Orthogonalität am Beispiel des virilen Objekts von Kirschbaum ================================================================================ Ungenügend reicht nicht aus --------------------------- „Boah man“, ich griff den Zettel fest und seufzte theatralisch genervt auf „das hab ich ja total vergessen. Wie das nervt.“ ich verdrehte die Augen und reichte den Zettel an Ray weiter. Der nahm das Stück Papier entgegen und lachte dann vergnügt auf „Oh man.“ „Bescheuertes... blödes scheiß Sommerfest.“ Super angenervt ließ ich mich auf meinen Stuhl neben der Tür zum Flur fallen und legte das Gesicht in die Hände. „Was ist denn so schlimm?“ sagte Ray-Ray, er zerknüddelte den Zettel, warf ihn zum Mülleimer, welchen er verfehlte, was ihm egal war, und setzte sich zu mir an den Tisch in der Pausenhalle. „Ich hab voll kein Bock auf diese Scheiße“, erklärte ich und erinnerte mich an die unzähligen Male aus den vorherigen Jahren an das jährliche Sommerfest unserer Schule. Es war vielleicht ganz spaßig, wenn man in der fünften oder sechsten Klasse war, aber jeder Sommer danach war einfach nur quälend oder unermesslich peinlich. Die jüngeren Schüler spielten dämliche Spiele, die etwas älteren langweilten sich auf dem Sportplatz zu Tode und die Oberstüfler gaben sich jedes Jahr die Kante. Und um den Titel als „schlimmere Säufer“ kämpften jedes Jahr die Elfer gegen die Abiturienten, und aus sehr verlässlichen Quellen wusste ich, dass der Dreizehner Jahrgang diesen Titel die letzten beiden Jahre einheimste. Und das, obwohl sie letztes Jahr gar nicht teilnahmen, an diesem inoffiziellen Wettkampf. Deshalb auch nur konnten sie den auch gewinnen, weil er eben nicht konventionell war. Ray-Ray lächelte und zuckte gleichgültig die Schultern „ach komm schon Tim. Wir saufen die Dreizehner unter den Tisch, dieses Jahr.“ Ich lachte argwöhnisch auf „Ja klar. Aber du weißt sicher noch, dass dein Bruder in dem Jahrgang ist? Er hat mindestens fünfzig Prozent dazu beigetragen, den Titel der schlimmsten Säufer zu erlangen.“ Ray-Ray nickte selbstbewusst und verschränkte die Arme vor der Brust „Ja. Letztes Jahr haben wir ja nicht dran teilgenommen. Und erinnere dich daran, dass ich viel jünger und vitaler und kräftiger und hübscher und klüger und toller bin als Steve. Den hau ich weg und um die restlichen fünfzig Prozent kümmert ihr euch.“ Ich lächelte. Und dachte daran, dass ich nicht an diesem Wettkampf teilnehmen sollte. Wenn das ein Sommerfest der Schule war, dann würde sicherlich auch Herr Branner da sein. Herr Branner war neu am Neuling-Gymnasium, so wie Joe und diverse andere aus meinem Jahrgang und es wäre ihr erstes Fest. Joe war verpflichtet, teilzunehmen, Herr Branner wahrscheinlich nicht, er wusste ja gar nicht, was da los war. Aber ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass er kommen würde. Um zu gucken, wie es war. Die Theater AG aus der Mittel- und Unterstufe würde sicherlich etwas vorführen, auf dem Sportplatz würden die jüngeren Schüler Völkerball- und Fußballspiele spielen und engagierte Mütter verkauften Obsttarteletten. Letztes Jahr, ich war damals frisch fünfzehn geworden, hatte ich mir mit Lilly, Ray-Ray hatte sich den Fuß gebrochen und war deshalb befreit gewesen, eine Flasche Schnaps geteilt und wollten zu zweit allein den damaligen Oberstufenschülern den begehrten Alki-Titel abstreiten, aber die Teilnahme einzelner Schüler war nicht erlaubt und der Rest unseres Jahrgangs hielt sich im Sommer noch stark zurück. Ich hatte meine damalige Französischlehrerin angepöbelt, war halbnackt über den Sportplatz gerannt, hatte dreizehn Tarteletten geklaut und dann, als ich meine Französischlehrerin wieder über den Weg gelaufen war, hatte ich ihr diese auf ihre Sandalen gekotzt. Das war im Allgemeinen nicht so schlimm gewesen, die Schulleitung wusste, worauf sie sich bei diesem Spektakel einließ und dadurch, dass es jedes Jahr wieder gemacht wurde, gab es eine stille Unterstützung zur Weiterführung dieser Tradition ihrerseits, oder? Ich wollte eigentlich nur sehr, sehr ungern, dass Herr Branner mich so erlebte und ich ihm womöglich auf seine Vans Chukka kotzte. Was sollte er von mir denken? „Tim.“ Etwas mitleidig sah er mich an. Nur mich, als er auf mich zu kam, er wandte seinen Blick kein einziges Mal ab. Seine Lippen lächelten leicht und vorsichtig, seine Augen waren etwas feucht und anteilnehmend. „Nicht so gut, hm?“ er beugte sich zu mir vor und reichte mir das unordentliche Pack Blätter. Ich lächelte schüchtern, zuckte die Schultern und nahm es entgegen, als ich den Blick verlegen sank. Ich schaute mir die Note gar nicht erst an. Herr Branners Benehmen war es nicht unbedingt gewesen, das mich wissen ließ, dass die erste Matheklausur beschissen gelaufen war. Sowas wusste man schon, wenn man vor dem Aufgabenblatt saß und nicht eine einzige Frage verstand. So rein von den Wörtern her. Herr Branner sah, wie ich die Blätter, leicht verknüddelt, in meine Tasche verschwinden ließ und seufzend die Hände vor das Gesicht hob. Bisher hatte ich mich immer irgendwie da durch mogeln können und eigentlich hatte ich gehofft, dass es auch so weiter gehen würde. Aber irgendwie waren die Anforderungen anders und überhaupt. Alles war gerade doof. Dann spürte ich die kleine, sanfte Hand von Lilly auf meiner Schulter. Schnell ließ ich die Hände sinken und sah sie lächelnd an. „Na?“ sagte sie einfühlsam „nicht so prickelnd, was?“ Ich sah zu meinen ineinander gefalteten Fingern, die auf der Tischplatte lagen und zuckte die Schultern. Was sollte ich tun? Die Zeit zurück drehen und genau das vertiefen, was in der Klausur dran kam? Obwohl ich das nicht mal verstand? Auch, wenn ich jeden Montag und Dienstag gerne hier auf meinem Platz neben Lilly in der ersten Reihe saß und ihn anstarrte und versuchte, ihm zuzuhören, nichts von dem, was er redete, drang irgendwie zu mir durch. Er benutzte so viele Begriffe, die ich noch nie gehört hatte, oder verdrängt hatte, damit andere, wichtigere Gedanken in meinem Kopf Platz hatten, und zeichnete Striche und Geraden in Koordinatensysteme, mit denen ich nichts anfangen konnte. Dafür besah ich mir jede Woche seine Lippen, wenn er sprach. Sie waren schmal und blass und wunderschön. Ich schaute mir seine langen Finger an, wenn er in seinem Buch oder in seiner Mappe blätterte. Sie waren fahl und ich hätte sie zu gern gespürt, wie sie mich berührten. Ich sah mir die Bewegungen unter seinem Shirt oder seinem Hemd an, wenn er etwas an die Tafel schrieb, die breiten Schultern, die schmale Hüfte und die dünnen Beine. Und natürlich sein festes Gesäß, über welchem sich eine Lee Flint oder Levis Rigid spannte. Und ein oder zwei Mal hatte ich mich sogar dabei erwischt, wie ich ihm in den Schritt gestarrt hatte. Ich war sofort errötet und hatte beschämt dämliche Bildchen in meinen Collegeblock gekritztelt. Als die Schulglocke das Ende der Stunde ankündigte, raschelte es heftig um mich herum und alle packten schnell ihre Blätter, Blöcke und Stifte in ihre Taschen, um eilig das Klassenzimmer zu verlassen. Wir taten gerade so, als handelten wir uns eine weitere Stunde Mathe ein, wenn wir den Raum nicht schnellstmöglich verließen. Als ich mir den Riemen meines Rucksacks um die Schulter warf und das Zimmer schon halb verlassen hatte, hörte ich Zacs Stimme in meinen Ohren klingen. Sie sagte meinen Namen, ganz sanft und verführerisch. Den Tonfall hörte aber nur ich. Ich verspannte mich, schluckte meinen Missgunst der kompletten Situation runter und drehte mich zu ihm um. „Hättest du vielleicht noch mal kurz Zeit?“ fragte er. Herr Branner stand neben dem Pult, auf dem sein brauner Rucksack lag und wirkte beinahe schon wie ein schüchterner Junge, der seine Mutter um Süßigkeiten gebeten hatte. Nahm aber nur ich so wahr. Verlegen senkte ich den Blick und ließ die anderen Schüler an mir vorbei gehen. Flo, der meine Schwärmerei nicht so mit bekommen hatte, klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und Lilly zwinkerte mir verschmizt zu. Als Joes schwarzes Haar als letztes den Raum verließ, sah ich verschämt zu ihm auf. Er lächelte schüchtern. Und niemand konnte mir sagen, dass ich das nur sehen wollte. Sein Lächeln war zaghaft. Er kramte gehemmt in seinen Unterlagen rum, dann setzte er sich mit einer Arschbacke auf den weiß lackierten Tisch und sah mich letztendlich an. „Tim“, er seufzte beseelt auf „ich glaube, ich habe noch nie eine Sechs unter eine Klausur schreiben müssen.“ „Ähm...“ Das war bestimmt nicht schwierig, wenn man erst zwei Jahre Lehrer war, dachte ich böse, bereute meinen Ton aber sofort und wurde etwas rot. „Solange wir noch am Anfang sind sollte es eigentlich kein Problem für dich darstellen, dich etwas mit der Materie auseinander zu setzten. Tim.“ erklärte er liebevoll „Wenn du hinterher versuchen willst, da noch was zu machen, kann das viel Zeit und vor allem Nerven kosten.“ Herr Branner griff nach einem Kugelschreiber und klickte einige Male darauf herum. „Johann ist eigentlich ziemlich gut mit der Sache“, sagte er und ich verzog kurz das Gesicht, bis ich mich daran erinnerte, dass er meinen Freund Joe meinte „und ich sehe, dass ihr... gut miteinander aus kommt?“ Ich presste die Lippen aufeinander und nickte schnell. Er lächelte erheitert und nickte dann auch: „Das ist nur eine Idee... oder vielleicht ein Ratschlag. Ich denke nicht, dass er Nein sagen würde, würdest du ihn fragen, dir zu helfen, oder?“ Ich schüttelte schnell den Kopf. „Gut.“ er lächelte wieder. Ich liebte sein Lächeln. Er rutschte vom Tisch runter, legte den Kugelschreiber in seine Stifterolle und packte die dann in den Rucksack. Mein Hals war ganz trocken, als ich mich umdrehte und zwei Schritte zur Tür machte, als ich noch mal seine Stimme hörte „Und?“ Ich verspannte mich noch mehr und drehte mich wieder zu Herrn Branner um. Er hatte seine Sachen fertig zusammen gepackt und nahm gerade die megafette Mappe vom Tisch „hast du dir das neue Album von Placebo angehört?“ Ich hielt die Luft an, als er auf mich zu kam, mit diesem Lächeln, mich fröhlich ansah und, als er mich erreicht hatte, seinen Arm hinter meinen Rücken legte und mich sanft zum Ausgang schob. Ich schüttelte beklommen den Kopf, schluckte, dann nickte ich: „Ähm... ja, also nein, ich meine... nicht ganz. Nur ein bisschen...“ „Gut.“ Er lächelte wieder, schloss die Tür zu und verabschiedete sich dann, um die Treppe runter zum Lehrerzimmer zu gehen. Mein Herz raste. Und mein Rücken kribbelte ganz aufgeregt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)