Orthogonalität am Beispiel des virilen Objekts von Kirschbaum ================================================================================ Gefühlsbarrieren ---------------- Mein Kopf dröhnte gegen meine Stirn, und von meinem Magen aus kroch eine unangenehme Übelkeit in meinen Hals. Ich wachte am nächsten Tag allein auf und mein Arsch tat mir gewaltig weh. Brummend öffnete ich die Augen und konnte die Lider nicht bewegen, ohne, dass mich ein ekliger Kopfschmerz durchzuckte. Die Wand, die ich betrachtete, war makellos weiß. Verwirrt fuhr ich die Hand an ihr hoch, legte sie dann auf meine Stirn und erinnerte mich an gestern. Ich seufzte genervt und tastete neben mich. Die Matratze war kalt. Widerwillig hob ich den Kopf und drehte mich um, damit ich ins Zimmer sehen konnte. Mein Mathelehrer saß gegenüber an der Wand, hatte die Beine angezogen – es erinnerte mich an meine Kopf-Auf-Knie-Welt – starrte zwar in meine Richtung, sah mich jedoch nicht an und kaute nervös auf seiner Fingerkuppe. „Hm“, machte ich und drehte den Rest meines Körpers um. „Was sitzen Sie da so verstört rum“, sagte ich und merkte im selben Moment, dass ich noch nicht vollkommen ausgenüchtert war. Ich ließ genervt meinen Kopf in das blau gelb karierte Kissen fallen. „Ich fusche nicht gern irgendwo drin rum!“ sagte er dann. Diese nichtssagende Aussage setzte meinen Kopf noch mehr zu „Was?“ „Es tut mir Leid“, sagte er dann endlich und schaffte es, mich an zu sehen „wegen... na ja, dein Gesäß.“ Ich lachte leise auf, erfreut über Herr Branners schüchterne Wortwahl. Er hatte mich leidenschaftlich geküsst am vorherigen Abend. Er war betrunken, genauso wie ich, und das machte es, dass wir darauf eingingen, auf einander. Auf diesen älteren Mann. Er sah mir in die Augen, dann lächelte er glücklich und küsste mich nochmal, als wir das leise Flüstern und Tapsen der Mädchen hörte. Er ließ von mir ab, legte doch etwas unsanft seine Hand auf meinen Mund und drückte mich hinter die Tür, welche er etwas zu zog. „Guten Abend... ähm“, ich hörte Lillys Stimme und mein Herz raste. „Sie sind noch wach.“ Lilly klang gespielt überrascht und ich sah durch sein T-Shirt, wie sich seine Muskeln am Rücken und an den Schultern verspannten. Auch die Hand, die um meinen Kiefer fasste und der Arm, der mich gegen die kalte Wand drückte. Ich war so aufgeregt, mein Herz musste so schnell geschlagen haben wie das eines Kolibris, als die Mädchen auf der anderen Seite der Tür standen und nicht wissen durften, dass ich hier war. „Haben Sie Tim gesehen?“ Obwohl sie mich hierher geschickt hatten. Ich versuchte, mich zu räuspern, doch sein Griff hielt mein Kopf hoch und nur der Versuch, ein Geräusch von mir zu geben, tat mehr weh, als dass es einen Zweck erfüllte. „Hm“, machte ich dann unter seiner Hand, und ich sah, wie sich seine Muskeln noch mehr verspannten. „Nun ja, mehr wollten wir auch nicht.“ sagte sie dann und ich dachte, ich müsse irgendwas tun, damit sie mich bemerken würde; nur, damit sie wusste, dass ich meine Pflicht erfüllt hatte. „Lül...“, versuchte ich, unter seiner Hand her zu rufen, doch er war so stark, er ließ mich nicht. Stattdessen zog er meinen Kopf ein Stück vor, dann drückte er ihn mit etwas zu viel Wucht zurück gegen die Wand. Ich spürte einen dumpfen Schlag, die Welt drehte sich kurz auf den Kopf, ich verlor meine Orientierung, mir wurde schlecht und meine Beine gaben nach. In dem Moment, in dem Herr Branner die Tür schloss und mich los ließ. Unsanft sackte der Körper zusammen und noch unsanfter schlug der schöne Arsch auf den harten Linoleumboden auf. Autsch. „Oh mein Gott, Tim“, sagte er besorgt und hockte sich zu mich runter. Die Welt verlangsamte sich und ich konnte ihn wieder erkennen. Sein braunes Haar, die blauen Augen, die mich so liebevoll ansahen, die Wangenknochen und die rote Nase. „Alles in Ordnung?“ fragte er und ich nickte. Ich nickte und war vollkommen glücklich und zufrieden. Dann wurde mir schwarz vor Augen und ich bemerkte irgendwie nebenbei im Döszustand, wie sich sein warmer Körper über mich beugte, wie ich im Bett lag und wie er sich leise Vorwürfe machte. Bis ich aufwachte. Mein Kopf dröhnte und mir war so richtig schlecht. Herr Branner richtete sich vom Boden auf, er sah mich etwas verstört an, aber in seinem Blick war auch Glück und genauso Unsicherheit. Vorsichtig setzte er sich neben mich auf das untere Bett und lächelte verklemmt. Er wusste nicht recht, ob er mich berühren sollte, wog es mit sich ab, bis er schließlich befangen die Hand hob, in der Bewegung inne hielt und mir dann vorsichtig über die Wange strich. „Tim Müller“, er lächelte so glücklich und zufrieden, wie ich es noch nie gesehen hatte bei ihm. Ich schluckte vorsichtig und nickte, dabei genoss ich die Berührung seiner sanften Finger an meiner Haut und war mir ziemlich sicher, dass ich träumte. Denn so von ihm angefasst zu werden war sicherlich immer ein Traum gewesen, es konnte jetzt einfach nicht real sein. „Du bist bewundernswert.“ flüsterte er dann. Ich wurde etwas rot, natürlich. Dann beugte sich mein Mathelehrer zu mich runter, schloss seine blauen Augen und drückte mir einen Kuss auf die kalten Lippen. Es war soviel intensiver und klarer als gestern, ich nahm mit viel mehr Bewusstsein auf und wahr, wie er mich berührte, wie seine Lippen meine massierten, wie er mich so wunderbar küsste, seine Hand mein Gesicht in sich nahm, er durch mein blondes Haar strich. Mein Herz raste regelrecht, schlug mit aller Gewalt und voller Aufregung gegen meinen Brustkorb, und es fühlte sich so gut an. Ich war glücklich, fühlte mich federleicht, tanzend auf allen Wolken im Himmel und solange ich hier war bei ihn, solange war alles gut. Dann hörte er auf und richtete sich wieder auf. „Was ist?“ flüsterte nun ich, musterte ihn, sein Gesicht, seine Augen, die mich so liebevoll ansahen, seine Lippen, die ich zurück haben wollte. „Was ist mit Johann?“ sagte er dann und klang etwas weniger warm und mild. „Joe?“ fragte ich verwirrt. Er nickte. „nichts ist mit Joe.“ vorsichtig richtete ich mich auf, sah ihn verwirrt an und zuckte die Schultern. Ich wusste einfach nicht, wo drauf er hinaus wollte. „Du bist doch mit ihm zusammen“, er wandte den Blick ab „ich will nicht irgendwo rein geraten oder euch auseinander bringen.“ Ich gluckste vergnügt und mein Kopf fühlte sich weniger schlimm an als noch vorhin. „Joe und ich sind garantiert nicht zusammen. Wir sind bloß Freunde. Gute Freunde, aber kein Paar.“ „Nicht?“ „Das war alles wohl ein Missverständnis, man, dafür könnte ich ihn töten!“ Ich dachte an das Sommerfest im September zurück und dann kam mir in den Sinn, dass Herr Branner seit dem geglaubt hatte, er und ich wären ein Paar? „Heißt das, Sie haben... die ganze Zeit geglaubt, Joe und ich...“ Er sah mich wieder an, fragend, dann lächelte er und nickte: „Natürlich hab ich das.“ „Heißt das, Sie... moment“, ich schluckte nochmal hart. Es kam plötzlich über mich wie eine Erleuchtung. „Herr Branner“, sagte ich etwas verstört und stand vom Bett auf, legte die Hand auf die Türklinke, fühlte mich so, als müsse ich von ihm weg. Der Raum war auf einmal so klein und die Luft heizte sich plötzlich so schrecklich auf. Atmen ging jetzt viel schwerer. „Sie sind mein Lehrer...“ Er hob verwirrt eine Augenbraue. „Aber... ich hab dir doch gesagt, du sollst mich nicht als dein Lehrer betrachten.“ Ich nickte. Die Luft schnürte mir immer mehr den Hals zu. „Ja. Sie haben recht. Ich denke, ich sollte jetzt rüber gehen. In mein Zimmer. Anziehen und so. Wir sehen uns beim Frühstück.“ Ich verließ den Raum, sah ihn nicht noch mal an, hielt den Blick auf den Boden und versuchte in meinem Kopf das ganze zu rekonstruieren, zu verstehen, wieso das passiert war und wieso ich diesen Seifenblasentraum kaputt machen musste. War es nicht schön so gewesen? Wir hätten im Bett liegen können, beieinander sein, kuschlen, küssen, reden, träumen. Vielleicht träumte ich ja doch noch. Als ich in mein Zimmer kam, waren Joe und Ray schon wach, etwas träge und scheinbar schlimmer verkatert als ich, aber immerhin wach. Ray putzte sich die Zähne und Joe saß müde auf seinem Bett an der Wand gelehnt und sah mich misstrauisch an. Pat und Flo lagen noch wie Steine in ihren Betten und dünsteten unangenehme Dämpfe aus. „Na Tim“, sagte Ray grinsend „kommste jetzt erst nach Hause?“ „hä was?“ „warst wohl die ganze Nacht unterwegs, hä? Haste Mädels aufgerissen?“ Ich lief augenblicklich rot an, wandte deshalb schnell mein Gesicht von ihm ab und wühlte ziellos in meiner Tasche rum. Und spürte Joes traurigen, musternden Blick auf meinem Rücken. Der tat weh. Ich mied Herr Branner den ganzen Morgen. Ich mied ihn auf der Fahrt zur Hochschule, ich mied ihn während der Vorlesung und ich mied ihn, als wir uns danach in der Schule umschauen und informieren durften. Die Gänge und Räume waren voll bis oben hin, es war ein Tag der offenen Tür und dementsprechend war der Andrang im Gebäude. Nach einer Stunde neben Lilly rumrennen beschlossen wir, uns in die Cafeteria zu setzten. Hier trafen wir auch den Großteil unseres Jahrgangs wieder. Und natürlich Herrn Branner. Er saß allein am Ende eines langen Tisches und starrte gedankenverloren auf seine Hände. Und mir wurde gleich ganz komisch. Ich schluckte das Gefühl runter und setzte mich zwischen Ray und Lilly auf einen der Plastikstühle. Ich wusste einfach nicht, was los war. Mit mir, mit ihm. Mit uns und der Sache heute Morgen. Denn es kam ganz gewiss von ihm. Er wollte es. Und ich sehnte mich danach. Wieso hatte ich mich dem entzogen? Mein Herz schlug wütend gegen meine Brust. Ich seufzte schwer. Meine Hände zitterten. Ich sah auf und schielte rüber zu ihn. Er saß unverändert da. Vielleicht ging es ihm nicht so gut, vielleicht ähnlich wie ungefähr allen anderen. Er hatte einen dicken Kopf. Ein besoffener Lehrer. Diese Sache war gerade so absurd, dass ich leise Schmunzeln musste. „Was ist?“ fragte Lilly, ich schüttelte nur den Kopf, dann schob ich meinen Stuhl zurück und stand auf. „Wohin gehst du?“ fragte sie, aber ich ignorierte die Frage und ging zu ihm. Ich setzte mich auf den Stuhl gegenüber und sah Herrn Branner in die blauen Augen, als er aufschaute. Er schwieg. Und mir fiel einfach nichts anderes ein, als jetzt diesen belanglosen Scheiß zu sagen: „Josh hat mir versprochen, dass er nicht mehr blau macht bei Ihnen!“ Zuerst sah er mich weiterhin ohne Regung an. Dann zuckten seine Mundwinkel nach oben und er lachte kurz unsicher auf: „Was?“ Und ich lachte auch: „Ja, Josh hat gesagt, er benimmt sich, und was er mir verspricht, das hält er.“ „Josh Sutherland, hm?“ Ich nickte „In solchen Gruppen gibt es immer einen, der so eine Art Führerrolle übernimmt, der sich alle irgendwie unterwerfen. Wenn Josh was sagt, dann machen's alle. Aber wenn ich was sage, dann macht Josh das.“ Herr Branner musterte mich genau, und nur ich schien dabei den verlangenden Blick zu bemerken „Und was genau... hast du mit Josh Sutherland zu tun?“ Er kniff verdächtigend die Augen zusammen und ich hörte den fürchtenden Unterton in seiner Stimme. Als wenn jetzt, wo gerade Joe als Konkurrenz aus dem Weg war, der unschlagbare Joshua auftauchen würde. Ich ekelte mich kurz ob diesem Gedanken, dann sagte ich so nüchtern wie möglich: „Er ist mein Bruder.“ Dann korrigierte ich: „Halbbruder. Selber Vater, verschiedene Mütter.“ „Tatsächlich?“ Und ein Hauch Erleichterung klang mit. Und das erleichterte mich, als wenn eine Tonne Steine von meinem Schultern fiel und dieselbe Menge von meiner Brust. Ich spürte, dass ich plötzlich freier Atmen konnte, das Zittern meiner Hände ließ nach und in meinem Magen blieb ein angenehm aufregendes Gefühl zurück. Und als ich Herr Branners blaue Augen sah, wie sie mich glücklich anschauten, da wurde mir heiß und kalt und ich wusste, nichts schien mehr im Weg zu stehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)