The Truth About Norwegian Black Metal von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Nostalgia -------------------- Beim Eintreten schallten ihm augenblicklich ruppige Riffs begleitet von einem rauen Knurren entgegen. Zur musikalischen Untermalung von Darkthrone tummelten sich einige Besucher im Laden. Zwischen den Reihen der Vinyl-Regale erblickte Nattefrost einen unscheinbaren Blondschopf, der sich hinter seiner Mähne und einer schwarzen Lederjacke versteckte. Die Schere, die er sich eigentlich kaufen wollte, hatte er längst vergessen. Mit verschlagenem Grinsen pirschte er sich an den jungen Mann heran, um ihn dann von hinten anzuspringen und mit den Armen fest um die Taille zu greifen. Ein überraschter Ausruf entfuhr dem anderen, bevor er sich umdrehte und seinem 'Angreifer' einen Knuff gegen die Schulter verpasste. „Was glaubst du, wer du bist?“, lachte er; unfähig, einen vorwurfsvollen Ton beizubehalten. „Dein bester Freund, Herr Nordavind“, ließ Nattefrost amüsiert verlauten, klopfte ihm noch mal auf den Rücken und nahm sofort neugierig die Schallplatte aus der Hand seines Freundes, um sie genauer zu betrachten. „Venom“, jubelte er sichtlich erfreut. „Die guten, alten Tage“, lächelte Nordavind mit leichter Wehmut in den Mundwinkeln zurück. „Weißt du noch“, begann sein Freund, „wie wir damals dazu im Wohnzimmer deines Elternhauses Luftgitarre gespielt haben? Wir haben den Text mitgekeift und hatten keinen anderen Wunsch, als selbst mal solche Musik zu machen.“ „Ich musste dich immer davon abhalten, beim Zertrümmern deiner imaginären Gitarre den Raum zu verwüsten und die Vasen von der Fensterbank zu trümmern“, kicherte Nordavind, „und dann diese Schnapsidee, als du genau wie der Venom-Sänger Blut sabbern wolltest! Was wolltest du dafür noch nehmen?“ „Tomatensaft. Aber ich konnte dann sogar echtes Blut spucken, weil ich mir im Eifer des Gefechts auf die Zunge gebissen hatte.“ Die beiden schauten sich an und brachen zeitgleich in jenes warme Gelächter aus, wie es bei einer sentimentalen Mischung aus Wiedersehen, Nostalgie und lustigen Anekdoten üblich ist. Nattefrost schlug schließlich vor, gemeinsam einkaufen zu gehen, um sich für die Festivaltage zu versorgen, worauf Nordavind einwilligte. Die beiden verließen den Plattenladen mit dem Juwel unter dem Arm und machten sich auf den Weg. Zuallererst war der Laden an der Reihe, wo Nattefrost sich eine neue Schere besorgen wollte. Während er auf der Suche nach einem geeigneten Exemplar die Regale durchwühlte, erzählte er seinem besten Freund redselig von seinen Ideen für die Show und die beiden Schönheiten, die er dafür aufgetrieben hatte, was sein Begleiter bloß mit einem Würgegeräusch quittierte - was Nattefrost wiederum umso lauter lachen ließ. „Nein, ehrlich, Nordavind, du solltest nicht immer so missbilligend sein. Die Damen haben durchaus Klasse! Außerdem habe ich Lust auf eine Show, die wieder mal schockt. Die Leute sind alles von mir gewohnt, sie sind nicht mal mehr angeekelt. Aber sie sollten nicht denken, dass ein Nattefrost nicht mehr überraschen kann!“ „Glaubst du nicht, um zu überraschen, müsstest du ihnen etwas anderes bieten?“ „Ich werde meine Munition nicht sofort herausschießen. Zuerst werden sie mit anderen Elementen hinreichend verwirrt, sodass sie die eigentliche Bühnenshow, die danach folgt, umso abstoßender finden werden.“ „Wie willst du das denn anstellen, Roger?“ „Warte es ab, darling!“ Nordavind zuckte bei diesem Kosenamen zusammen, er war es nicht mehr gewohnt, hatte er seinen besten Freund doch seit Monaten nicht gesehen; teilweise deshalb, weil selbiger auf Tour gewesen war, dann deswegen, weil er selbst mit der Aufnahme für die Gitarren- und Gesangsspuren für ein Album beschäftigt gewesen war. Nur Nattefrost konnte sich erlauben, so zu sprechen, ohne dafür von irgendjemandem eins aufs Maul zu bekommen oder blöd angemacht zu werden. Er war eben Nattefrost und sein Ruf eilte ihm voraus. Allerdings war das auch eine der Sachen, die Nordavind an seinem Freund schätzte, die Direktheit und Offenheit, die er in seiner Nähe an den Tag legte; dass er sich so benahm, wie er sich gerade fühlte, also auch durchaus mal kindlich und albern, was jedoch mit ihm meistens einen Heidenspaß machte. Aber gerade schaukelte sich der Carpathian Forest-Frontmann wieder hoch. Er war bei guter Laune und dementsprechend noch aufgedrehter als ohnehin, wenn er in der Öffentlichkeit unter Bekannten und Kollegen agierte. Und die streunten zuhauf durch die Supermärkte, um sich mit Nahrungsmitteln und anderen Dingen einzudecken. Als er den schwer mit Einkaufen beschäftigten Gorgoroth-Trupp erspähte, konnte er nicht anders, als den Einkaufswagen mit voller Wucht in die kleine Gruppe hineinzufahren und dabei King ov Hell aufzuladen. Band und Bassisst waren erst völlig verdutzt, dann jedoch liefen sie lachend dem jubelnden Nattefrost hinterher, der mit seiner Beute durch die Gänge brauste. Mit einigem Abstand und wesentlich langsamerem Tempo folgte ihnen auch Nordavind. Der ruhige und zurückhaltende Norweger blieb im Hintergrund und beobachtete, wie Nattefrost mit offensichtlich sehr viel Spaß diverse Dinge im Vorbeilaufen in den Wagen hineinschmiss, beispielsweise eine Packung Damenbinden und Tampons, was ihm viel Gelächter von den anderen einbrachte. Er erklärte daraufhin trocken, er brauche diese Requisiten für die Show. Die fröhliche Truppe bewegte sich weiter plappernd und lachend auf die Kasse zu. Ein wenig misstrauisch behielt Nordavind die Szene im Blick. Nach dem ziemlich turbulenten Einkauf waren alle bei Gaahl in der Wohnung eingeladen. Man sprach über das Line-Up der nächsten Tage und diskutierte die Bands ausführlich. Nattefrost überflog nochmals die aufgeführten Namen und geriet bei einer britischen Band ins Stocken: „Was ist denn Akercocke für ein Scheiß-Name?!“, echauffierte er sich und lachte anschließend darüber. Da er schon einige Flaschen Bier intus hatte, wollte der Kicheranfall überhaupt nicht aufhören. Er verkündete, dass er sich auf die Toilette begeben müsse und verschwand prompt dorthin, fortwährend glucksend. „Es ist ja schon witzig mit ihm, aber ab und an kann er einem etwas auf die Nerven gehen“, bemerkte Infernus leicht gereizt. Nordavind seufzte leise. Diese Verhaltensweisen an seinem Freund beunruhigten ihn manchmal, obwohl die Situation gerade nichts im Vergleich zu den Extremfällen war, die auftreten konnten. Wenn der Sänger durch Alkohol und Drogen völlig hysterisch war und sich selbst total herabwürdigte, bisweilen einen sehr traurigen Anblick bot – dann war Nordavind wirklich besorgt. Nordavind hatte auch ganz andere Stimmungen mitgemacht, die Nattefrost vor anderen zwar auch nicht verbarg, aber eigentlich nur vor ihm richtig zeigte. Melancholisch und nachdenklich; nicht diese depressive Attitüde, die er in einigen Interviews oder auch Photographien seiner Selbst durchblicken ließ. Die meisten kannten ihn als durchgeknallte, abgedrehte Partykanone ohne Tabus und Hemmungen. Kennzeichnend für sein Benehmen war tatsächlich, dass er tat, wozu er Lust hatte, aber gerade in Rauschzuständen ließ er sich zu noch mehr anstacheln und übertrieb stark, entsprach dann vor allem dem Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hatte. Eigentlich war er eher ein verrücktes, liebenswertes großes Kind, das auch seine ernsten Geisteszustände mit entsprechenden Gedanken hatte, aber genauso die Flusen auslebte, die es im Kopf hatte. Nattefrost versuchte eben immer, ganz er selbst zu sein, was seine Authentizität ausmachte. Aber richtig nah ran ließ er auch nicht jeden, bei weitem nicht. Nordavind kannte ihn weitaus besser und facettenreicher als jeder andere, der schon mal 24 Stunden nonstop mit ihm verbracht hatte. Und sie kannten sich auch schon seit ihrer Jugendzeit, viele Jahre lang. Er selbst war derjenige, der sich mehr im Hintergrund hielt, sich rar machte und mysteriös blieb, da er kaum etwas von sich preisgab und wenig über ihn bekannt war. Nordavind verließ sich hauptsächlich auf sein Können, war aber auch gar nicht ernsthaft daran interessiert, seinen Namen zu verbreiten. Wenn er tätig war, dann allein der Kunst wegen und des Vergnügens, die ihm das Musizieren bereitete. Eine Weile noch führte er den Vergleich zwischen ihren beiden Persönlichkeiten fort, auch dann, als Nattefrost bereits zurück war und sich an den Tisch gesetzt hatte. Nordavind fühlte sich auf einmal verpflichtet, auf seinen Freund aufzupassen, verließ die Runde dann aber früher als er, da er als einer der diesjährigen Helfer und somit Mitorganisatoren am nächsten Tag, dem ersten Tag des Infernos, schon morgens alle Hände voll zu tun haben würde. Also verabschiedete er sich von allen und ermahnte Nattefrost noch einmal, es nicht schon heute zu wild zu treiben. Der Angesprochene nickte nur und winkte die Bedenken seines guten Freundes ab. Es war klar für ihn, dass er bald schon nach Hause gehen würde, denn er wollte das Festival noch auskosten können, und nicht schon am ersten Tag von einem Kater gebeutelt k.o. daheim herumliegen. Das jedenfalls stand für ihn fest, immerhin musste er doch all diese unbekannten Bands mit den bescheuerten Namen kennenlernen. Wie zum Beispiel Akercocke. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)