A Thief´s Life von TiniChan ================================================================================ Prolog: -------- Trigon hieß die große Stadt, über die Baron Kieran von Lancaster regierte. Sie war eine blühende Metropole in der tausende Menschen lebten. Jede Bevölkerungsschicht war vertreten: Reiche, Arme, Bettler und Tagelöhner, und es gab eine gefürchtete Diebesgilde. Trigon war auch Heimat eines jungen Mannes von gerade 21 Jahren, über den die wildesten Gerüchte kursierten. Sein Name war Demian, sein Ruf war der eines berühmt-berüchtigten Meisterdiebes. Eine hohe Summe war auf ihn ausgesetzt und es hieß, er hätte sogar dem Baron selbst schon einen Besuch abgestattet. Bisher war es niemandem gelungen ihn zu erwischen. Den Stadtwachen war er schon so oft durch die Lappen gegangen, dass sie seufzten, sobald mal wieder ein Einbruch bekannt war, der eindeutig Demians Handschrift trug. Sie kannten seinen Namen und die Art seiner Einbrüche. Sein richtiges Aussehen aber kannten sie nicht, es gab nur widersprüchliche Angaben. Genaues wusste die Gilde, aber sie schwieg dazu. Ob Warenhäuser, kleine Läden oder das Anwesen eines Lords, wenn es für ihn lukrativ war, war nichts vor Demian sicher. Ihn reizte die Herausforderung noch mehr als das Geld. Jedenfalls führte er kein langweiliges Leben. Seine Kindheit war wenig glücklich verlaufen. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben, seinen Vater kannte er nicht. Also hatte er den größten Teil seiner Kindheit elternlos und ohne ein Zuhause auf der Straße verbracht. Aus dem Waisenhaus war er aus Angst vor den brutalen Aufsehern geflüchtet und musste sich, völlig auf sich allein gestellt, als kleiner Bettler und Taschendieb durchschlagen, um nicht zu verhungern. Bis ein Mann namens Merlin sich seiner annahm. Er war auf ihn durch das für einen gerade elf-jährigen Jungen doch recht ungewöhnliche Talent, sich im Schatten zu bewegen, aufmerksam geworden. Merlin war selbst als ein meisterhafter Dieb stadtbekannt gewesen. Er nahm Demian bei sich auf und lehrte ihn den Umgang mit Dolch und Bogen, sowie das nahezu lautlose Bewegen und die Schatten zur Tarnung zu nutzen. Eine besondere Art von Wissen hatte sein Ziehvater ihm ebenfalls beigebracht: lesen und schreiben. In der organisierten Diebesgilde ging nichts ohne gelegentliche schriftliche Nachrichten. Aber unter den Einzelgängern dieses Metiers war es dieses Können die Ausnahme. Wäre er nun einer dieser „Schriftlosen“, hätte er so manchen seiner Aufträge gar nicht erst in Erwägung ziehen, geschweige denn durchziehen können. Bei seinen Einbrüchen halfen ihm Briefe und andere Notizen, um voranzukommen und zusätzliche Informationen zu erlangen. Demian war sechzehn gewesen, als Merlin bei einem missglückten Streifzug so schwer verletzt wurde, dass sich die Wunde entzündete und er an der schweren Infektion starb. Jedes Mal, wenn der junge Mann an Merlin dachte - und das war oft der Fall - erwachte die Trauer in seinem Herzen, derselbe Schmerz, den er damals empfand, als er den Vater verloren hatte. Ja, Merlin war für ihn der Vater gewesen, den er nie hatte. Demian wusste nicht, ob und wo sein leiblicher Vater lebte, aber es war ihm gleichgültig. Er beschloss, in Merlins Fußstapfen zu treten und perfektionierte seine erlernten Fähigkeiten in kürzester Zeit. Und so war er trotz seines jungen Alters schnell zu einem Meister seines Fachs geworden. Trotzdem war der junge Mann anders als die üblichen Diebe und Verbrecher. Er hatte sich etwas bewahrt, was vielen seines Gewerbes längst abhanden gekommen war: Menschlichkeit und Mitgefühl. Demian benutzte bevorzugt seinen Knüppel, weil dieser es ermöglichte, unliebsame „Hindernisse“ lautlos schlafen zu schicken. Er ging immer nach demselben Muster vor: beobachten, planen, handeln. Und er verließ sich, ganz wie es Merlin ihm einst beigebracht hatte, auf drei wesentliche Dinge: sein Können, seinen Verstand und seinen Instinkt. Nur im äußersten Notfall griff er auch auf den Dolch zurück, denn wenngleich die Stadtwachen im umgekehrten Fall mit ihm kurzen Prozess machen würden, hasste er den Gedanken, jemanden töten zu müssen. Er mochte keine Gewalt und hatte deshalb noch nie ernsthaft Menschenleben gefährdet. Wurden die Wachen zu einem Tatort gerufen, war ihre erste Frage, ob jemand zu Schaden gekommen war. Kam die Antwort, dass niemand ernsthaft verletzt, wenn man vielleicht von einer kleinen Beule durch den Knüppel absah, oder gar tot war, wussten sie sofort, dass es sich bei dem ungebetenen „Besucher“ höchstwahrscheinlich um den jungen Meisterdieb gehandelt haben musste. Seine für einen Dieb eher ungewöhnliche Vorgehensweise, keinerlei Tote zu hinterlassen, war eine Art Markenzeichen. Er war zwar jemand, der es mit dem Eigentum anderer – besonders der adeligen Herrschaften – nicht sehr genau nahm, aber nichts gab ihm in seinen Augen das Recht, für ein paar Goldstücke zu töten. Schließlich war er kein kaltblütiger Mörder! Für ihn war ein Menschenleben mehr wert als Geld. Dies war auch einer der Hauptgründe, weshalb er sich standhaft weigerte, sich der Diebesgilde anzuschließen und Teile seiner Beute an deren Anführer Aker abzuliefern. Denn deren Mitglieder hatten diesbezüglich weit weniger Skrupel. Wer ihnen bei Raubzügen oder Einbrüchen im Weg war, ob Wachmann oder Diener, musste meist mit dem Leben bezahlen. Besonders ein ihm gut bekannter Gildenangehöriger mit Spitznamen „Stich“ hatte die Angewohnheit, jedem mit seinem Dolch zu Leibe zu rücken, den er nicht mochte. Er hasste diesen skrupellosen Kerl. Demian „arbeitete“ lieber allein, blieb so unabhängig und nahm keine Befehle entgegen. So wie es einst auch Merlin getan hatte. Dieser hatte aus den gleichen Gründen wie er ebenfalls nichts von einer gemeinsamen Sache mit der Diebesgilde wissen wollen. Und diese Einstellung hatte er auch Demian beigebracht. Selbst wenn Demian bei dem ein oder anderen kleinen Diebstahl erwischt wurde, kannte er genug andere Mittel und Wege einer Strafe zu entgehen, welche das war wusste er nur zu genau. Auf Einbruch und Diebstahl stand Kerkerhaft und das Abschlagen der rechten Hand oder auch, bei besonderer Schwere der Vergehen, wie etwa Raubmord, der Tod am Galgen. Besonders die vorherrschende Religionsgemeinschaft der Stadt, die den „Schöpfer“ verehrte und sich "Die Erleuchteten" nannte, waren nicht zimperlich, was die Bestrafung von Verbrechern anging. Das einzige, was ihm manchmal Sorgen machte, war die Einsamkeit, in der er sich durch seinen „Beruf“ befand. Er pflegte nur zu seinen Hehlern und Informanten Kontakt, aber hin und wieder sehnte er sich danach, von jemandem erwartet zu werden. Einmal nur hatte er den Bordellen an den Docks einen Besuch abgestattet. Wenn auch unfreiwillig. Ein Kerl, selber wohl dort Stammgast, hatte ihn gesehen, als er, auf der Suche nach einem geeigneten Ziel, die Warenhäuser beobachtete. Und ehe er etwas erwidern konnte, hatte der Kerl ihn, unter guten Ratschlägen für „Anfänger“ auf diesem Gebiet, in eines der Häuser mitgeschleppt. Aber kaum hatte er die Türschwelle übertreten, fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut. Die nur leicht bekleideten Damen waren entzückt von ihm gewesen, denn sie hatten ihn als Mann sehr attraktiv gefunden. Zugegeben, er war alles andere als hässlich, im Gegenteil. Demian war groß, größer als die meisten anderen Männer und hatte eine schlanke Figur, er war nicht übermäßig muskulös aber auch nicht schmächtig. Dazu ein ebenmäßiges, schmales Gesicht mit gerader Nase und weichen Zügen, etwa schulterlanges blondes Haar und seine ernsten tiefblauen Augen glichen zwei Saphiren. Letztendlich er hatte sich auf keine von ihnen eingelassen und war kurz darauf auch schon verschwunden. Dass sein Begleiter ihn deshalb belächelt hatte, war ihm völlig egal gewesen. Er hielt nichts von käuflichem körperlichen Vergnügen. Und Demian wusste ganz genau, dass er sich, so wie er sein Leben führte, nicht auf eine Beziehung einlassen konnte. Denn es war zu gefährlich, würde ihn angreifbar und erpressbar machen. Er hatte sich für das Diebesdasein entschieden und sich die Einsamkeit damit selbst auferlegt. Dennoch wünschte er sich manchmal, sein Leben mit jemandem zu teilen. Manchmal fragte er sich auch, was mit seinem leiblichen Vater war und ob er ihm je begegnen würde. Falls er wusste, das Demian sein Sohn war, wusste er vielleicht auch von seinem Ruf als Dieb. Kapitel 1: Die Kathedrale Teil 1: Katakomben -------------------------------------------- Es war tiefe Nacht, als Demian von einem Streifzug zurückkehrte. Er war müde, aber zufrieden. Für jemanden wie ihn waren die Lagerhäuser an den Docks ein leichtes Ziel. Er hatte nach dem gelungenen Einbruch in Selbige mit der Beute seinem Hehler Kronos einen Besuch abgestattet. Seine „Ware“ gefiel Kronos so gut, dass es kein Problem war, einen annehmbaren Preis auszuhandeln. Von dem Geld, das seine Beute wert war, würde er schon über die Runden kommen. Und Kronos hatte Demian noch einen Umschlag überreicht. „Ein kleiner, feiner Auftrag“, hatte er grinsend gesagt. Demian hatte den Brief eingesteckt und sich auf den Heimweg gemacht. Der Dieb wohnte in einem ärmlichen Außenbezirk der Stadt in einem Mietshaus. Er betrat seine Kammer, entzündete ein Feuer im Kamin und ein paar Kerzen, öffnete den Brief und las: Werter Demian, ich habe viel über Euch und euren Ruf gehört. Ich habe Euch ein interessantes Angebot zu unterbreiten. Ihr werdet verstehen, das ich nicht persönlich erscheinen kann, daher erwartet mein Bote Euch bei Sonnenuntergang an der Brücke des Marktplatzes. Alles weitere erfahrt Ihr dort. Gez. L. A. „Hmm...“ Wer konnte das sein? Es war kein Absender zu lesen. Aber Demian war zu müde, um sich jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen. Erst einmal wollte er schlafen, dann würde er darüber nachdenken. Er legte den Brief auf den Tisch, seinen Mantel und die Waffen ab und nachdem Demian das Geld gut verstaut hatte, legte er sich ins Bett und schlief fast sofort ein. Nur sein Dolch lag stets griffbereit unter der Matratze. Und die Tür schloss er stets ab. Schließlich wusste man ja nie. Als er erwachte, schlug die Glockenturmuhr gerade zur zehnten Morgenstunde. Er hatte eigentlich ruhig geschlafen, aber aus irgendeinem Grund fühlte sich Demian beim Aufstehen etwas matt, sein Kopf schmerzte leicht und er hatte ein unangehmes Brennen und Kratzen im Hals. Er wusch sich und zog sich an, dann schürte er das Kaminfeuer. Er war gerade mit seinem Frühstück fertig und dachte sich, dass er bald seinen Lebensmittelvorrat auffüllen musste, als es an seiner Tür klopfte. „Seid Ihr da?“ Der Vermieter. Demian seufzte und öffnete. „Werter Herr, die Miete ist fällig.“ „Ich weiß.“ „Morgen. Ich hoffe diesmal zahlt Ihr pünktlich und das Versäumnis des letzten Monats war eine Ausnahme.“ „Natürlich.“ „Gut. Ich muß ja auch davon leben. Und ich würde ungern einen meiner Mieter auf die Straße setzen müssen. Ihr wißt, der Winter steht vor der Tür und außerdem habe ich Gerüchte gehört, dass...“ „Schon gut“, unterbrach er den Mann unwillig. „Ihr werdet euer Geld bekommen.“ Der Vermieter lächelte, machte aber keine Anstalten zu gehen. „Ich hätte gerne eine Anzahlung. Nur zur Sicherheit.“ „Wie viel?“ „Fünfzig.“ Demian zählte das Geld ab und gab es dem Mann. „Wann folgt der Rest?“ „Morgen Abend.“ „In Ordnung. Ich verlasse mich darauf.“ Der Vermieter machte auf dem Absatz kehrt und ging. Demian sah ihm nach. Eigentlich musste er dem Vermieter sogar dankbar sein, dass er ihn nicht schon letzten Monat vor die Tür gesetzt, geschweige denn verraten, sondern ihm gnädig eine zusätzliche Frist eingeräumt hatte. Er bewohnte zwar eine ziemlich kleine Kammer, aber das war besser, als auf der Straße zu leben. Aus langjähriger Erfahrung wusste er ja, wie hart das war, besonders im Winter. So manche Not hatte er damals nur durch seinen eisernen Überlebenswillen überstanden. Und außerdem hatte er nicht die geringste Lust das gefürchtete Gefängnis des Schöpferordens kennen zu lernen, geschweige denn am Galgen zu baumeln. Er schloss die Tür seufzend und entschied sich in diesem Moment, mit Blick auf den Brief, der geheimnisvollen Einladung zu folgen. Vielleicht wartete ein gut bezahlter Auftrag und das Geld konnte er brauchen, zumal die Preise für Lebensmittel in der letzten Zeit zum Leidwesen besonders der armen Leute deutlich gestiegen waren. Es war noch viel Zeit, bis zum Treffen und so erledigte er kleinere Dinge, die nötig waren. Zum Beispiel stellte er fest, dass die Hose, die er an hatte hinten einen Riss hatte. Demian hatte genug Geschick, um mit Nadel und Faden soweit umzugehen, dass er solche Kleinigkeiten selbst machen konnte. Die meiste Zeit des Tages verbrachte er dann mit Lesen. Nachdem Demian sich endlich von dem Buch losreissen konnte überprüfte er noch in Ruhe seine Ausrüstung, dann wurde es wirklich Zeit, sich zur Brücke zu begeben. Zur Sicherheit steckte er sich noch ein paar Blitzminen ein, er hätte auch Gasminen mitgenommen, doch diese gehörten zur teuersten Ausrüstung und er hatte die letzten verbraucht. Er erreichte den Treffpunkt noch bevor es ganz dunkel war. Er sah sich um, entdeckte aber nichts, was auf einen Hinterhalt hinwies und suchte sich dann, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, eine ihm sicher erscheinende Nische. Der Fluss, der die Stadt und den Marktplatz in zwei Hälften teilte, plätscherte leise vor sich hin. Nach einer Weile des Wartens näherte sich jemand der Brücke. Ein Mann mittleren Alters in einfacher Kleidung. Er blieb stehen und sah sich um. Demian trat aus den Schatten hervor, räusperte sich und der Mann drehte sich um. Seine Miene war wenig begeistert, er machte diesen Botengang wohl nicht ganz freiwillig. „Aha, Ihr seid der sogenannte Meisterdieb Demian. Ihr seid also gekommen.“ „Ich war neugierig.“ „Mein Name ist Blake, Ihr fragt euch sicher, warum mein Auftraggeber die Hilfe eines...“, Blakes Stimme klang verächtlich, „... Kerls wie Euch sucht. Tja, ehrlich gesagt, frage ich mich das auch.“ Er musterte den jungen Dieb grimmig. „Aber der Auftrag, den er anzubieten hat, kann, wie mein Herr sagte, nur von einem Meister seines Faches, als solchen man von Euch hört, erfolgreich ausgeführt werden.“ Ein leises Lächeln umspielte Demians Lippen. „Soso. Was für ein Auftrag soll das genau sein?“ Blake sah sich nervös um und zog Demian dann mit sich in eine dunkle Nische, die beide von neugierigen Blicken abschirmte und sprach im Flüsterton weiter: „Mein Herr möchte, dass Ihr ihm eine wertvolle antike Statue beschafft. Sie befindet sich zur Zeit im Besitz des Hohepriesters des Schöpferordens in der großen Kathedrale.“ „Was ist das für eine Statue?“ „Sie hat die Form eine sitzenden Katze und ist etwa eine Elle groß.“ „Aha.“ „Mein Auftraggeber macht Euch einen guten Preis. Er gibt Euch 1000 Goldstücke.“ „Ein stolzer Preis. Nicht schlecht“, meinte Demian, ohne sich sein Erstaunen anmerken zu lassen. ‚Da ist doch etwas faul‘, dachte er sich. ‚Also entweder hat dieser geheimnisvolle Herr etwas vor, oder der Auftrag ist schwieriger, als es den Anschein hat. Und dann auch noch solch ein Preis? Sehr verdächtig.‘ Laut sagte er: „Wenn er einen solchen Preis anbietet, muss Eurem Herrn diese Statue ja ziemlich wichtig sein.“ Blake nickte nur. „Also, was ist? Nehmt Ihr den Auftrag an? „Unter einer Bedingung.“ „Was?“, fragte der Mann ungeduldig. „Eine Anzahlung.“ Blake schüttelte den Kopf. „Damit kann ich nicht dienen.“ Demian lächelte kühl. „Dann kann ich Euch ebenfalls nicht dienen. Ich nehme keine Aufträge ohne einen Vorschuss an“, antwortete er gelassen. „Reine Vorsichtsmaßnahme.“ Er wandte sich um. „Wartet“, Blake nickte widerwillig. „Hier sind 100 Goldstücke, reicht das?“ Der Dieb nickte und er gab Demian einen Geldbeutel. „Ihr bekommt das übrige Geld, wenn Ihr mir das Artefakt bis zum Sonnenaufgang bringt. Ich übergebe es dann meinem Herrn.“ „Einverstanden. Sonnenaufgang.“ „Gut. Ich erwarte Euch wieder hier.“ „Ich werde da sein.“ Beide Parteien trennten sich. Demian ging, damit ihm niemand folgte über einige Umwege, zu einer Händlerin für Ausrüstungsgegenstände „der besonderen Art“, die es nicht überall zu kaufen gab um seine Vorräte noch um einige Dinge zu ergänzen. Danach zu einem zuverlässigen Informanten und dann kehrte er heim, um sich richtig vorzubereiten, bevor er sich auf den Weg machte. Demian machte sich bereit. Was er vorhatte, war keiner seiner üblichen Streifzüge. Dieser Auftrag würde, wenn er denn erfolgreich war, ihm für längere Zeit den Unterhalt sichern. Er saß am Tisch in seiner Kammer und studierte einen Lageplan der Kathedrale, den er gegen ein paar Goldstücke von dem Informanten bekommen hatte. Dann füllte er den Köcher mit verschiedenen Pfeilen: Wasserpfeile; Seilpfeile; Moospfeile, die es ermöglichten lautlos auf jedem Untergrund zu gehen; zwei Pfeile mit einem sehr wirksamen Betäubungsgas (ebenfalls sehr teuer und es waren vorerst die letzten, die er hatte) und gewöhnliche Breitkopfpfeile. Er stand auf. Sein Dolch blitzte im Feuerschein des Kamins kurz an seinem Gürtel auf, auch der kleine Prügel steckte im selbigen. Neben den üblichen Blitzbomben gehörten heute auch einige Weihwasserfläschchen zu seiner Ausrüstung. Er hatte bereits Gerüchte über einen Geheimgang, der durch die unter der Stadt angelegten, sehr weiträumigen Grabgewölbe des Ordens führte, gehört. Der Eingang sei angeblich auf dem städtischen Friedhof zu finden. Räuber, die die eigentlich verrückte Idee, in die Kathedrale einzubrechen schon lange vor Demian hatten, hätten ihn einst dort angelegt, als Totengräber getarnt. Aber es waren eben nur Gerüchte und nicht bewiesen. Ob es der Wahrheit entsprach, würde er schon selbst heraus finden. Demian hatte bereits mehr Erfahrungen mit Untoten gemacht, als ihm eigentlich lieb war, also wollte er kein Risiko eingehen. Und falls in den jahrhundertealten Grüften keine Untoten sein sollten, würde ihn das schon sehr wundern. Im Grunde taten ihm diese ehemaligen Menschen leid, aber besser sie als er selbst. Er schüttelte den Kopf um diese Gedanken zu vertreiben, bei seiner Mission war äußerste Konzentration gefragt. Dann zog er seinen Kapuzenmantel über und dazu Lederhandschuhe, welche die Fingerkuppen frei ließen, hängte Kurzbogen und Köcher über die Schulter und wollte das Haus verlassen. Just in dem Moment kam eine Wache vorbei, sodass er innehalten musste, die Tür einen Spalt breit geöffnet. Der Wachmann ging pfeifend vorbei, dann glitt Demian schnell durch die Tür, schloß sie und verschwand in der Dunkelheit. Ein Bettler, der an der gegenüberliegenden Hauswand lehnte, bekam von ihm nur einen huschenden Schatten zu sehen. Jetzt war er in seinem Element. Die tiefschwarze Nacht wurde nur von einzelnen Laternen spärlich erhellt. Außer den Stadtwachen war kaum jemand um diese Zeit auf den Straßen unterwegs. Es war sehr kalt geworden, sein Atem wurde zu einer weißen Wolke, dazu wehte ein leichter eisiger Wind. Es roch förmlich schon nach dem ersten Schnee. Den Stadtwachen ausweichend, stand er schon bald vor dem Friedhofstor. Fackeln erhellten die Wege. Wo sollte er jetzt anfangen zu suchen? Er wusste zumindest in welcher Richtung die Kathedrale lag, vielleicht konnte ihm das als Anhaltspunkt dienen. So folgte er dem nördlichen Weg und sah sich alles ganz genau an. Das dauerte recht lange und er wollte sich schon in eine andere Richtung wenden, da bemerkte er eine bogenförmige Vertiefung im Mauerwerk. „Hmm.“ Das konnte endlich der Geheimgang sein, aber wo war der Mechanismus zum Öffnen? Er tastete entlang der Wand suchend an den Steinen herum, als sich einer löste und auf den Boden fiel. Dahinter war ein Schalter. „Na bitte.“ Nun musste er aufmerksam sein. Es war so dunkel, dass er nicht zu sehen war, leider aber konnte er auch nichts sehen. Durch seine langjährige Erfahrung hatte er gelernt, gut in der Dunkelheit zurecht zu kommen und jede noch so kleine Lichtquelle auszunutzen. Aber wenn es gar kein Licht gab, konnte er sich anstrengen so viel er wollte, heller wurde es nicht, also verließ er sich auf sein Gehör. Die erste Strecke des Weges war eine nach unten führende Treppe. Er zog eine kleine Fackel aus den Untiefen seines Umhangs. Der Feuerschein würde ihn zwar sichtbar machen, aber hier oben war er erfahrungsgemäß noch sicher vor den lauernden Kreaturen, denn die hielten sich in der unmittelbaren Nähe ihrer ehemaligen Gräber auf, dieses Risiko konnte er also vorerst getrost eingehen. Die Treppe war nicht lang und am Ende ging es eine Weile in engen, gewundenen Gängen und einer weiteren Treppe immer tiefer in die Erde. Er kam an mehreren Gräbern vorbei, teils senkrecht mit Platten verschlossen, teils Särge in Wandnischen stehend. Dann hörte er ein plötzlich für einen Augenblick ein leises Geräusch und blieb lauschend stehen. Fast glaubte der Dieb schon, sich geirrt zu haben, als er es wieder hörte. Schritte näherten sich ihm und das auch noch von hinten, aber anscheinend noch weit genug entfernt um den Schein seiner Fackel nicht zu bemerken. Sofort löschte er diese und presste sich eng an die Wand, auch ein Weihwasserfläschchen hielt er nun griffbereit. Vorsichtig lehnte er sich um die Ecke, zuerst sah er nichts, alles war ein einziges dunkles Loch, dann aber kam ein blasser Schein näher, der ein Grab beleuchtete. Sein Gehör hatte ihn nicht getäuscht. Wie erwartet folgte dem Schein ein weiß-grün leuchtender Geist, kein einfacher Geist was er an der Kleidung erkannte. Ein langes blaues Gewand mit dem Symbol des Schöpferordens, einer stilisierten Blume, dazu ein prächtiges Pektoral und ein Gürtel mit herab hängenden Quasten, nur ein Hohepriester dieses Ordens trug so etwas. Es hieß, dass diese Phantome sogar nach dem Tode noch ihre Magie auf jeden ungebetenen Gast loslassen konnten. Es kam näher und näher. Demian taste sich schon etwas nervös an der kalten, feuchten Wand entlang und fühlte den Rand einer Grabnische die genug Platz für ihn bot, weil der Sarg darin weitest gehend zerstört war. Noch war er verborgen und hoffte, der Geisterschein würde ihm nicht zum Verhängis, indem er ihn aus dem schützenden Dunkel holte. Das Glück war ihm hold. Trotz der Schrittgeräusche eher schwebend als gehend kam der Geist ihm vorbei, ohne ihn zu entdecken. Demian schlich aber erst weiter, als er nichts mehr hörte. Noch immer enthüllte dieses unheimliches Geisterlicht den Weg vor ihm, dieser führte in eine sehr große Grabkammer. Sie war quadratisch und sehr hoch, an allen vier Wänden befanden sich Särge in Nieschen über zwei oder gar drei Stockwerke verteilt. In der Mitte eine Statue des Schöpfers, ähnlich derer, die am Hafen die Seefahrer begrüßte. Am Sockel war etwas eingraviert worden. Im Schein seiner Fackel konnte er die vom Zahn der Zeit angefressenen Buchstaben soweit entziffern, dass er begriff wo er sich gerade befand. Diese Kammer war allein für die Obersten des Ordens bestimmt. Nun wusste er auch, was der Geist des Hohepriesters beschützte. Er wollte sich schon abwenden als ihm am Sockel noch etwas auffiel, er hielt es zuerst für einen losen Stein. Aber als der Dieb ihn berührte, sank er mit einem Klicken in den Sockel ein. Ein lautes Zischen erklang und plötzlich war der ganze Raum hell von magischen Fackeln erleuchtet. Das konnte Demian eigentlich gar nicht gebrauchen, musste aber feststellen, dass die Sache nicht mehr rückgängig zu machen war. Zu allem Überfluss kehrte der Geist von vorhin zurück, angekündigt durch Schritte und dem weiß-grünen Schein. Der Dieb eilte in einen dunklen Durchgang zu einer anderen Kammer und versteckte sich dort erst einmal in einer dunklen Grabniesche. Erst nach einer Weile des Wartens und da alles ruhig war, verließ er das versteck und sah sich um. Ein weiterer Gang ihm gegenüber sollte sein nächstes Ziel werden. Langsam und lauschend, die eigene Fackel hatte er längst wieder eingesteckt, ging er bis zur dritten Grabkammer, von dort gingen zwei Gänge links und rechts von seinem Standpunkt aus ab. In jeder Kammer brannten nun diese Fackeln, es gab nicht mehr viel Schatten. Zunächst erkundete er den rechten Gang, der führte in eine Sackgasse, die Wand war dort eingestürzt und unpassierbar. Also ging er wieder zurück. Plötzlich hörte er schlurfende Schritte, Stöhnen und Röcheln, er wusste, was da in seine Richtung kam. Hastig sah er sich um und sah mehrere Vorsprünge in der Wand, die fast wie eine Treppe aussahen. Schnell kletterte er hinauf und wartete. Aus dem linken Gang kamen zwei Untote, langsam und mühsam. Aber Demian wusste, dieser Eindruck täuschte. Wen sie einmal entdeckt hatten, den verfolgten sie mit einer Schnelligkeit, die man kaum für möglich hielt. Es hieß sogar, die Unglücklichen, die von Geistern oder Zombies getötet wurden, standen selbst als Untote wieder auf. Die beiden zum größten Teil verwesten Kreaturen erwiesen sich als ehemalige Krieger des Ordens, offensichtlich sehr hochranging um der Ehre zuteil geworden zu sein, in der Nähe der Hohepriester bestattet zu werden. Jetzt hatte Demian keine Wahl mehr, er musste sich beider entledigen. Da er auf einem recht hoch gelegenen Vorsprung kauerte und der im Schatten lag, konnten sie ihn nicht sehen. Er schraubte das Weihwasserfläschchen auf und tropfte etwas davon auf die Spitze und den halben Schaft zweier Breitkopfpfeile. Dann schraubte er das Fläschchen wieder zu und steckte es weg, danach legte er einen Pfeil an und suchte sein Ziel. Dies lag im Nacken der Untoten zwischen dem Helm und dem Schulterpanzer. Langsam atmete er ein und aus, der Pfeil flog schnell und treffsicher und der erste Untote stieß noch einen erstickten Schrei aus, dann zerfiel er zu Staub und gesellte er sich zu den wirklich Toten. Die zweite Kreatur heulte wütend auf und machte sich mit toten Augen auf die Suche nach dem Eindringling. Demian hatte bereits den Bogen erneut gespannt und wartete, bis sie stehen blieb, dann war auch sie Geschichte. Jetzt war der Weg frei und führte ihn ohne weitere Zwischenfälle in eine weitere große Grabkammern mit mehreren Särgen. Er hatte bereits aufgehört die Kammern zu zählen. Auch hier war es feucht, er schien den tiefsten Punkt der Katakomben erreicht zu haben. Auf dem Boden hatten sich einige Pfützen gebildet, es tropfte von der Decke herab. Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Nichts zu sehen. Demian wollte schon weitergehen, als er es wieder hörte. Es klang wie ein Flüstern, geisterhafte Stimmen schienen von überall zu kommen. Sie wurden abwechselnd lauter und leiser, hörten auf und fingen wieder an. Was um alles in der Welt war das? Demian lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er drehte sich um die eigene Achse, weil er das Gefühl hatte, die Besitzer der Stimmen würden im Kreis um ihn herum stehen. Der Dieb wollte so schnell wie möglich weg und machte, dass er aus dieser unheimlichen Kammer kam, doch das Flüstern schien ihm zu folgen. Er beschleunigte seine Schritte, die ihn wieder in einen von der, wie es schien letzten, Kammer abzweigenden Gang entlang führte. Kaum war er einige Schritte in diesen hinein gegangen, hörte er gar nichts mehr, nur sein eigenes Herz hämmerte. Es war wieder dunkel, hier gab es keine Fackeln mehr, aber er zündete die Seine nicht an, sondern schlich sich tastend weiter. Seine Stiefel waren mittlerweile durchweicht, auch an den Fingern spürte er die Kälte der Feuchtigkeit. Der Gang schien kein Ende zu nehmen, aber er schien die Grabkammern endlich hinter sich zu haben. Also konnte er die Fackel doch getrost wieder anzünden. Die Wände schimmerten in ihrem Schein. Er fühlte sich gleich wohler und atmete auf, auch weil er merkte, dass der Weg iihn wieder nach oben führte. Dieser knickte nun scharf nach links ab und Demian sah, das die Wand an einer Stelle eingestürzt war. Dahinter hörte er Wasser rauschen. Er schaute durch die Öffnung und stand plötzlich mit einem Fuß im Wasser. Zuerst glaubte er, zu einem Abwasserkanal gelangt zu sein, aber als er zwei Schritte weiter ging wurde das Wasser tiefer. Das war kein Kanal, das war zu seinem Erstaunen ein unterirdischer Fluss. Er hielt die Fackel weiter von sich und machte rechts von ihm einen schmalen Weg ausfindig. Das machte ihn sehr neugierig. Zu gerne hätte er gewusst, was er finden würde, wenn er dem Weg folgte. Aber er hatte einen Auftrag zu erfüllen. Er watete aus dem Wasser und ging auf der anderen Seite in dem roh behauenen Gang weiter, den er gewohnt war. Vor ihm führten plötzlich Stufen nach oben, über eine eng gewundene Treppe gelangte er direkt an eine Mauer. Der Unterschied zum Gang war sofort sichtbar: die Mauer bestand aus behauenen Steinen, der Gang war nur grob aus dem Fels geschlagen worden. Er sah eine Vertiefung in der Wand und wusste instinktiv was er zu tun hatte: er langte hinein und fühlte einen Drehschalter. Er hörte ein Klicken und die Wand glitt knarrend beiseite. Es schien, als wäre dieser Geheimgang schon lange nicht mehr begangen worden. Der Boden war so staubig, dass er im Licht seiner Fackel seine Stiefelabdrücke sehen konnte, und Spinnweben hingen überall. Und als er sich, während er weiterging, umschaute, streifte er ein sehr großes Spinnennetz. „Hach, auch das noch.“ Die klebrigen Fäden hingen ihm im Gesicht, Haaren und Schultern und Demian hatte einige Mühe, das Zeug von sich abzustreifen. „Ich hasse Spinnen...“ Nun musster er doppelt Acht geben, wo Spinnennetze hingen, waren Spinnen selbst auch nicht weit. Die Biester hatten den Vorteil von acht Beinen, waren von Natur aus aggressiv und sogar recht intelligent. Die Riesenspinnen konnten einen erwachsenen Menschen mühelos überwältigen. Sie waren aber seltener als die kleineren Exemplare, die meist in Gruppen lebten. Sie bauten alle Netze doch meist nur als Behausung, bei der Jagd bevorzugten sie den Hinterhalt und sponnen ihre Opfer ein, sobald sie sie sicher gepackt hatten und ihre Giftklauen brachten einen langsamen, qualvollen Tod. Und Demian hatte das am eigenen Leib erfahren. Vor Jahren hatte es ihn und Merlin nach einem Einbruch in eine Adelsvilla in deren Familiengruft verschlagen, von dort aus hatten sie sich einen Fluchtweg suchen wollen. Dort wurde Demian, als er etwas voraus gegangen war, von einer Riesenspinne überrascht und gebissen, Merlin hatte es gerade noch verhinden können, dass das Biest ihn mit ihren Fäden einwickelte. Wie sie beide zurück nach Hause kommen waren, daran konnte er sich bis heute nicht mehr erinnern, das schnell wirkende Spinnengift hatte ihm heftige, schmerzhafte Krämpfe beschert und schließlich das Bewusstsein genommen. Nur das Gegengift von einem alten Einsiedler, der ausserhalb der Stadt lebte, hatte ihm damals knapp das Leben gerettet. Seitdem konnte er beide Arten nicht ausstehen. Er schaffte sie sich lieber gleich endgültig vom Hals, wenn er ihnen begegnete. Ein gut gezielter Breitkopfpfeil konnte auch eine Riesenspinne mit einem Mal töten. Wenn sie einen noch nicht bemerkt hatte. Ansonsten brauchte es mehrere Pfeile und schnelle Beine. Endlich sah Demian ein schwaches Licht am Ende des Ganges. Es war nicht ganz erkennbar, woher es kam. Er trat aus der Öffnung und verstaute die gelöschte Fackel unter seinem Umhang. Noch immer stand er in einem steinernen Raum, einem kleinen Raum. Demian schaute sich um und fand eine weitere Tür, aber diese war ebenso aus Stein. Der schwache Lichtschein kam durch die Ränder hindurch. Das machte ihn stutzig, eine große Steinplatte als Tür? Diesmal gab es keinen Mechanismus, dafür aber Griffe in der Steinplatte. Er legte sein Ohr an die Platte und horchte, da er nichts hörte, schob er sie auf. Sogleich wusste er, wo ihn dieser Ausgang hingeführt hatte. Er war durch ein kleines Mausoleum gekommen, das direkt im linken Querschiff der Kathedrale stand. Nun war er also im größten Heiligtum des Ordens angekommen. Kapitel 2: Die Kathedrale Teil 2: Auftrag ausgeführt ---------------------------------------------------- Die Statue sollte sich im Privatraum des derzeitigen Hohepriesters befinden eine Etage höher. Er schlich sich in die Schatten des Kreuzgangs. Die ganze Kathedrale war nur schwach beleuchtet, ideale Bedingungen für Demian. Anscheinend war ein Dieb hier in diesem Gebäude das letzte, womit gerechnet wurde. Tatsächlich konnte sich Demian nicht erinnern, je von einem Einbruch in die Kathedrale gehört zu haben, die schiere Zahl an Wachen schreckte die meisten Diebe ab. Nur der Boden war nicht wirklich ideal, denn er bestand aus nur von einzelnen Teppichen unterbrochenen Marmorplatten. Demian schätzte die Entfernung von seinem Standpunkt aus bis zu einem dunklen Gang des rechten Querschiffs genau gegenüber und schoß ein paar Moospfeile ab. Da vorerst keine Wachen zu sehen waren, auch nicht in der oberen Etage, nahm er den direkten Weg zwischen den unzähligen Reihen der Kirchenbänke hindurch. Es war fast andächtig still. Im Mittelgang angekommen musste er doch kurz stehen bleiben und staunen: der Raum des Hauptschiffs war einfach gewaltig, die Decke schien weit über ihm in der Luft zu schweben. Die riesigen Säulen sahen aus, als müssten sie das Himmelsgewölbe selbst tragen. Wer die Mittel hatte, eine Kirche mit diesen Ausmaßen zu bauen, der sollte sich auch nicht über den Verlust einer Statue zu sehr aufregen, das war zumindest Demians Meinung. Dann hörte er Schrittgeräusche aus einem Seitengang. Schnell huschte er in die Schatten. Es handelte sich um eine mit Schwert bewaffnete Wache, die mit bärbeißiger Miene den Gang entlang schritt. Als sie ohne ihn zu entdecken vorbei gegangen war, schlich er weiter, kam an eine Reihe von Seitentüren und musste zum zweiten Mal unwillkürlich grinsen. Die Ordensbrüder waren dermaßen ordnungsversessen, dass sie jede Tür mit einem kleinen Schildchen versahen, auf dem stand, was sich dahinter befand. Leichter konnte man es einem Dieb nicht machen, so würde es ihm nicht schwer fallen, das richtige Zimmer zu finden. ‚Vielleicht sind die erleuchteten Brüder nicht so helle, wie sie glauben.‘, dachte er spöttisch. Der die ersten beidem Räume waren zur Vorbereitung für den Gottesdienst, dort fand er nichts wertvolles, die dritte Tür erwies sich als ein Durchgang zum Haupteingangsbereich. Leise schlich er sich eng an der Wand entlang und traf auf zwei Wachen, die sich über das Essen unterhielten. Einem der beiden Männer sah man deutlich an, dass er gern und viel aß. Sie standen mit dem Rücken zum Dieb, den Blick auf die große Haupttür gerichtet. Lautlos schlich er sich hinter den Beiden nach rechts zur Treppe und wollte die ersten Stufen hinauf, als von oben Schritte und Feuerschein kamen. Schnell huschte er in die dunkle Niesche unter der Treppe. Erfreulicher Weise fand er dort einen prall gefüllten Geldbeutel. Vielleicht eine heimlich versteckte Notreserve von irgendeinem der Wachen oder Diener, hier schaute normalerweise keiner nach. Die Wache wechselte ein paar Worte mit den anderen Beiden und ging dann wieder die Treppe hinauf, Demian folgte ihr. Es war riskant durch das Fackellicht, aber es gab keinen anderen Weg nach oben. Als sich die Wache schon wieder umdrehen wollte, gelang es ihm gerade noch rechtzeitig, in den nächstbesten Raum zu huschen. „Nanu, war da etwas? Hm, nur ein Luftzug, hier ist nichts.“ Leise atmete der Dieb aus, dann sah er sich hier drinnen um. Es war ein Schlafraum, drei Betten mit Nachtschränken standen hier. Nur ein paar Kerzen erhellten das Zimmer, die er löschte, bevor er sich rasch den Schränkchen zuwandte. Wieder wechselte ein Geldbeutel den Besitzer. Demian hatte nicht vor, sich in jeden erreichbaren Raum zu schleichen, sondern wollte den Auftrag so schnell wie möglich erledigen. Die beiden Geldbeutel reichten ihm vorerst. Jetzt wollte er zum Raum des Hohepriesters. Er bog um die Ecke und schlich sich mit Hilfe von Moospfeilen an weiteren Wachen, zum Glück ohne Fackeln, vorbei und gelangte eine Wendeltreppe hinauf. Seine Ohren verrieten ihm aber, dass er dort oben nicht alllein sein würde, denn er hörte frommes Gebrabbel. Irgendwer rezietierte Verse von Gebeten mit monotoner Stimme. Er lugte vorsichtig um die Ecke. Es gab nur eine einzige Tür und eine Wache stand davor. Ebentuell war das der Gesuchte Raum, er sah noch einmal auf die Karte. Diese zeichnete wirklich eine kleine Treppe zu einem einzigen sehr groß eingezeichnetem Raum. Es war hier viel zu eng, er konnte sich nicht vorbei schleichen. Somit musste er die Wache los werden. Demian holte einen Gaspfeil hervor und kam die Treppe bis zum letzten erreichbaren Schatten hinauf. Er konnte der Wache geradewegs in die Augen sehen, diese sah ihn jedoch nicht, sondern starrte stumpfsinnig an die Decke. Der Dieb schätzte schnell die Entfernung ab, er hatte nur einen Versuch und musste auf jeden Fall treffen. Ein gezielter Schuss neben die Füße des Mannes und dieser sackte hustend in einer grünlichen Wolke zusammen. Das Türschild verkündete „Hohepriester Salomon“, er hatte also Recht behalten. Er drückte die Klinke und ein leises Geräusch sagte ihm, was er ohnehin schon ahnte: abgeschlossen. Schnell suchte er die passenden Dietriche und machte sich an die Arbeit. Die Sicherheit des Hohepriesters musste viel wert sein, denn das Schloss war keines der üblichen, die er in ein paar Augenblicken knacken konnte. Aber Demian hatte auch dieses Talent schon gemeistert. Mit einem leisen Quietschen schwang die Tür auf. Entgegen aller Erwartungen schlief der Hohepriester nicht, er war gar nicht da. Es gab nicht viele Möglichkeiten, wo er sein konnte. Vielleicht hatte ihn ein kleines, außerkirchliches Laster in die verruchteren Hafenbezirke der Stadt gezogen. Demian lächelte bei dem Gedanken, von wegen fromm und enthaltsam. Den betäubten Mann zog er mit in den Raum in eine Ecke. Die Räumlichkeiten waren kostbar ausgeschmückt und verziert, eigentlich waren es sogar drei Zimmer: ein Hauptraum, in dem ein großer Schreibtisch stand, in einer Ecke war ein Kamin, von diesem Zimmer ging es weiter in einen Schlaf- und Privatraum, von dem aus eine weitere Tür zu einem kleinen Bad führte. Der Hohepriester schien nicht schlecht zu leben. Demian schaute sich den Schreibtisch an, auf dem einige Listen lagen, Materiallisten, Ausrüstung für die Soldatenmönche des Ordens. Egal, in einem noch eher öffentlichen Raum erwartete er sowieso nicht, die Statue zu finden. Er ließ seinen Blick nochmals durchs Zimmer schweifen. Ein großes rotes Sofa stand zusammen mit einem dazu passenden Sessel vor dem Kamin, der Stuhl vor dem Schreibtisch war mehr als nur reich verziert, die Schnitzereien waren selbst im Licht der Kerze zu sehen. Der Privatraum war etwas sporadischer eingerichtet, es gab ein dermaßen großes Bett, dass Demian sich fragte, für was der Priester das wohl brauchte. Ein Schrank, aus dem noch die Spitze eines Messgewandes heraushing, und eine Vitrine mit verschiedenen Dingen. Und auf einem Ehrenplatz oben in der Mitte entdeckte er die zu besorgende Statue. „Hab ich dich“, sagte Demian zu sich selbst, und wieder musste er grinsen, den selben Spruch würden wohl auch die Wachen benutzen, wenn sie ihn entdeckten. Er öffnete die Tür der Vitrine und wollte gerade nach der Statue greifen, als eine Glocke ertönte, mitten in der Bewegung hielt er inne. Doch nach zwei Schlägen war es wieder totenstill, es war also nur die Glocke der Uhr gewesen. Trotzdem blieb Demian stutzig, konnte er mit der Katze einen Mechanismus auslösen? Die Zwischenböden waren aus unreinem Glas, es hatte eine komisch grüne Farbe und war durchzogen von Rissen und anderen Ablagerungen. Sein Blick fiel auf eine winzige Ecke Pergament, die aus einer Schatulle heraus schaute. Er öffnete sie und besah sich das Schriftstück, das sich als Brief entpuppte. Der Geheimtresor ist wiklich gute Arbeit. Besser ist es auf jeden Fall, die heilige Reliquie hier aufzubewahren um sie bestmöglich zu schützen. Wenn nur mein Zahlengedächtnis nicht so schlecht wäre, aber so muss ich es notieren. - 853 - „Hm, interessant.“ Demian sah sich genau um, aber fand an den Wänden oder Möbeln keinen Schalter. Sein Blick fiel auf das große Gemälde, dass den Schöpfer und seine Propheten zeigte. Das war vielleicht die Lösung. Es ließ sich nicht abhängen, dafür ertasteten seine Finger am Rand einen winzigen Stift, der hörbar klickte. Allerdings musste er erst noch einen Weiteren finden, dann schwang das Bild auf und gab den Tresor frei. Nur eine Minute brauchte er um ihn zu öffnen und die darin befindliche kleine goldene Büste in seinen Beutel verschwinden zu lassen. Das war doch ein nettes Extra. Demian schloss Tresor und Bild wieder und wandte sich nun wieder seinem eigentlichen Auftrag zu. Rings um die Statue herum konnte er nichts entdecken, was darauf hindeutete, dass sie gesichert war. Er streckte seine Finger nach der Katze aus, fasste sie fest und hob sie an. Sie war schwerer, als er erwartet hatte. Er griff sie sich rasch und verstaute sie sicher im Beultel unter seinem Umhang. Zeit sich zurück zu ziehen. Er war gerade wieder an der nach unten führenden Treppe. Auf einmal war das helle Klingen einer anderen Glocke zu vernehmen und diesmal wurde mit Sicherheit keine neue Stunde ausgerufen. „Na toll, jetzt muss ich doch rennen,“ fluchte Demian leise vor sich hin. Wieso war eigentlich Alarm? Der Dieb war sich sicher, nichts falsch gemacht zu haben. Er vernahm hinter sich Schreie und versteckte sich im nächsten Schatten und rüherte sich nicht. Dann sah er den vorher betäubten Wachmen mit vor Wut rotem Kopf zusammen mit anderen bewaffneten Männern. Das war es also gewesen, das Gas hatte seine Wirkung verloren und nun hatte er den Alarm ausgelöst. Normalerweise sollte das nich so schnell der Fall sein, er hatte keine Ahnung, wie der Mann so bald hatte erwachen können. Wie kam er nun am besten ungesehen zum Geheimgang zurück? Den schwer gepanzerten Kriegern hatte er wenig entgegen zu setzen. Er musste auf Heimlichkeit setzen, doch diese war gerade flöten gegangen. Während er noch überlegte, tauchte eine Wache mit Fackel vor ihm auf und schrie: „Da ist der Eindringling!“ und zeigte mit seinem Arm in Demians Richtung. Er fuhr herum und rannte die Treppe hinunter. Überall hörte er jetzt das Scheppern von Rüstungen, das nach der Stille wie ein Gewittersturm klang. Nun war auch das letzte bisschen Tarnung dahin. So hatte er sich das alles nicht vorgestellt. Er stürmte den Kreuzgang entlang und wollte zum Mausoleum aber die Männer schnitten ihm den direkten Weg dahin ab. Eine Blitzbombe kam zum Einsatz und ehe die Männer wieder etwas sahen, war Demian in die andere Richtung gelaufen und am Ende der Kathedrale angekommen, an der Stirnseite. Dort suchten auch schon Wachen nach ihm. Noch hatten ihn nicht alle der Männer entdeckt, und so wollte er im Schatten der Wände weiter auf die andere Seite spurten. Rechts von ihm begannen die Reihen der Kirchenbänke, links lagen große Fenster. Nun war er in der Mitte, zu seiner Rechten ging der Mittelgang vor bis zum Altar. Er hörte eine Truppe hinter sich, und kurz darauf auch eine zweite vor sich, mittlerweile befand er sich mitten zwischen der Seitenwand und einem Seitengang, von dem er keine Ahnung hatte, wohin er führte. Er konnte nicht die Wände hoch laufen, den Truppen in die Arme zu laufen wäre genau so unklug gewesen. Also blieb ihm nur eine Möglichkeit, er sprang auf die ersten Rückenlehnen der Kirchenbänke und sprang weiter auf die Lehnen der dritten Reihe. Diese Taktik war gar nicht so schlecht. Die durch ihre Rüstungen schwerfälligen Baltanier waren viel langsamer als er und konnten ihm daher auch nicht so leicht folgen. Schnell war er in den Gang verschwunden und kam am Quergang heraus, der zum Seitenschiff mit dem Mausoleum führte. Die Soldatenmönche verfolgten ihn unerbittlich. „Dieb!“ „Bleib sofort stehen!“ Aus den Augenwinkeln bemerkte Demian jetzt noch etwas anderes und konnte gerade noch zur Seite hechten, bevor der magische Blitz in treffen konnte. Jetzt mischten sich anscheinend die Priester selbst noch mit ein. Den Geheimgang konnte er nun abschreiben. Nur mit äußerste Mühe gelang es Demian mit Hilfe von weiteren Blitzbomben, die wütende Meute aus Priestern und Wachen soweit abzulenken, um durch einen Nebeneingang auf den Hof zu kommen. Aber auch dort suchten sie schon. Der junge Dieb hastete von Schatten zu Schatten über den Hof. Beinahe wäre er an dem Metalldeckel im Boden vorbei gelaufen und hob ihn an um in den Kanälen zu verschwinden. Selbst das bemerkten die Wachen noch. Er konnte sich keine Verschnaufpause leisten, es war nicht auszuschließen, dass sie ihm selbst dahin noch folgten. Oder Männer ausschickten, die an sämtlichen Kanaldeckel in der Umgebung auf ihn warten würden. Der Sims an der Seite war zu schmal, um darauf rennen zu können, also eilte er in der Abwasserrinne weiter. Er kam zu einer Kreuzung, hier flossen Kanäle aus verschiedenen Richtungen zusammen. Er blieb kurz stehen und versuchte sich eine Straßenkarte der Stadt ins Gedächtnis zu rufen, er wollte so schnell wie möglich zu seiner Wohnung. Aber vergeblich, er hatte die Orientierung schon verloren. Hier unten war es nass, kalt und außerdem roch es bestialisch. Endlich hatte er sich für eine Richtung entschieden und rannte weiter. Nach kurzer Zeit kam er an eine weitere Kreuzung, die ihm bekannt vorkam, er wollte stoppen, um sich kurz umzusehen, als er auf dem glitschigen Untergrund ausrutschte, ungeschützt und hart schlug sein Kopf auf einen der Simse auf. Ihm wurde schwarz vor Augen. Etwas tropfte auf seine Stirn. Demian erwachte wieder langsam, seine Fackel lag erloschen und durchweicht neben ihm, er fror und musste auch sogleich niesen. Vorsichtig betastete er seinen Kopf. „Au, das gibt eine Beule ...“ Er erhob sich und sah sich um. In der Kanaldecke entdeckte er eine etwa faustgroße Öffnung. Da noch kein Lichtschimmer da hindurchfiel, konnte er wohl nicht lange ohnmächtig gewesen sein. Erst nachdem er mehrere Kanäle passiert hatte, entschied er sich wieder nach oben zu klettern. Langsam hob er den Deckel an, es war nichts und niemand da. Demian kletterte hinaus und schaute zum Himmel, es würde bald dämmern, aber es war noch nicht so spät, dass er seinen Auftraggeber Blake verpasst hätte. Dennoch beeilte sich Demian, um unbemerkt durch die Stadt nach Hause zu kommen. Dort wusch er sich gründlich und zog sich um, aber obwohl er nun warme Kleidung am Leib hatte und das Feuer im Kamin prasselte, war ihm kalt. Schließlich machte er sich auf den Weg zur Brücke. Um diese Zeit traf er außer ein paar Frühaufstehern niemanden. Sein Kontaktmann stand bereits am selben Fleck wie beim letzten Mal. Demian hatte die Katze in einem Wäschesack versteckt. Nachdem er sich umgesehen und nichts Verdächtiges entdeckt hatte, näherte er sich dem Mann wie gewohnt leise von hinten. Er wollte sich gerade räuspern, als er laut niesen musste, sein Auftraggeber drehte sich um und erkannte ihn sofort wieder. „Habt Ihr die Katze?“ „Bin ich ein guter Dieb?“ sagte Demian lächelnd und hielt ihm den Sack unauffällig hin. Blake schaute kurz hinein und antwortete: „Ja, das seid Ihr. Ich bin überrascht, dass Ihr es wirklich geschafft habt, Ihr werdet Eurem Ruf mehr als gerecht. Dieses Schmuckstück ist meinem Herrn sehr viel wert.“ „Dann erfüllt auch Euren Teil der Abmachung.“ Blake grinste breit. „Ha! Denkt Ihr wirklich, mein Herr zahlt Euch das Geld? Narr! Ihr solltet lieber verschwinden, bevor ich die Stadtwache informiere.“ Demian spürte Zorn in sich aufsteigen. „So haben wir nicht gewettet. Ich bin zwar keiner, der gleich den Dolch für sich sprechen lässt“, sagte er leise und in seiner Stimme schwang eine Drohung mit. „Aber auch ich lasse mich nicht lumpen.“ „Ihr wollt mir drohen?“ Blake lachte verächtlich auf. Dann lüftete er seinen Mantel und offenbarte ein Schwert an seiner Seite, mit dem er zweifellos auch gut umgehen konnte. „Versucht doch, Euch das Geld zu holen.“ Demian sah Blake an, dass der sich regelrecht wünschte, dass er sich provozieren ließ. Aber den Gefallen würde er ihm ganz sicher nicht tun. Dolch gegen Schwert? Das konnte nicht gut gehen. Die Sonne war mittlerweile aufgegangen und er stand hier gut sichtbar wie auf dem Präsentierteller, schon bald würde es hier von Leuten wimmeln. In der Nähe hörte er auch schon die erste Patrouille. Er entschied sich zum Rückzug. „Na los, kommt doch, Dieb!“ „Das hättet Ihr wohl gerne“, sagte Demian kühl. „Wir sehen uns wieder.“ Schritte lenkten Blake ab, als die von dem Dieb gehörte Patrouille um die Ecke bog. Er wollte sie schon anhalten, doch als er sich wieder umdrehte, war Demian schon verschwunden. Also machte er sich ebenfalls aus dem Staub. Nur wenige Meter entfernt stand Demian aber noch, verschmolzen mit dem Schatten eines dunklen Hauseinganges und beobachtete Blake. Als dieser sich in Bewegung setzte, sah er sich kurz um und folgte ihm. Er sagte sich dabei, dass es auf jeden Fall besser gewesen war, sich nicht auf einen Kampf einzulassen. Die immer mehr werdenden Wachen wären mit Sicherheit auf den Vorfall aufmerksam geworden und dann hätte es für ihn schlecht ausgesehen. Aber diesen Betrug würde er auf keinen Fall auf sich sitzen lassen. Die Verfolgung führte in westliche Richtung durch Straßen und Gassen und schließlich ein inneres Stadttor. Demian wusste, dass er im Adelsviertel angelangt war. Dieses war von den anderen Stadtteilen durch eine zusätzliche Mauer getrennt. Als Blake von jemandem in ein Gespräch verwickelt wurde, wollte der junge Dieb abwarten und duckte sich in sicherem Abstand hinter einigen großen Fässern. Aber jetzt merkte er, dass es ihm nicht allzu gut ging. Der Weg bis hierher war ihm doch ziemlich schwer gefallen, seine Beine fühlten sich wackelig an und das Kratzen und Brennen im Hals war zurück gekehrt, stärker noch als vorher. Blake ging weiter und er stand auf, um ihm weiter zu folgen, aber plötzlich drehte sich alles um ihn herum, dass er beinahe gestürzt wäre. Leise keuchend hielt er sich am Rand eines der Fässer fest. Sein Kopf begann zu schmerzen, erst leicht, dann wurde es binnen Minuten immer schlimmer. Blake war längst verschwunden. Aber so wie er sich fühlte, war es wohl vorerst besser, die Sache abzubrechen. Er würde schon noch herausfinden, wer ihn betrogen hatte. Immerhin hatte er Blake noch etwas von der Königsstraße sagen hören. Dieser Hinweis würde ihm noch nützen. Jetzt wollte er nur noch nach Hause und sich hinlegen. Der einsetzende erste Schneefall dieses Jahres gab ihm den Rest. Demian musste sich auf dem Rückweg sehr konzentrieren, um nicht aufzufallen und dennoch so vorsichtig wie möglich zu sein. Zwei Stadtwachen kamen vorbei und er verbarg sich in einer Nische, dem einzigen erreichbaren Schatten. Die beiden Männer blieben zu allem Überfluss auch noch stehen und unterhielten sich. Demian ballte die Faust. Mussten sie sich gerade hier aufhalten, um sich gegenseitig ihre neuen Uniformen zu präsentieren? An ihnen vorbei schleichen konnte er sich nicht, sie würden ihn sofort entdecken. Ein Hustenreiz stieg in ihm auf und er konnte ihn nur mit Mühe unterdrücken, um sich nicht zu verraten. Da kam ihm eine Idee. Er nahm einen Stein und warf ihn gezielt hinter eine Hausecke. Wie erwartet, entfernten die Wachen sich in Richtung des Geräusches und Demian huschte schnell unter der Laterne vorbei, bog um eine Ecke und stand endlich vor seinem Mietshaus, trat schnell ein und in seine Kammer. Es war kalt und er fachte das Feuer wieder an. Seine Hände zitterten dabei und er hustete. ‚Großartig‘, dachte er. ‚Eine Erkältung hat mir jetzt gerade noch gefehlt.‘ Er fühlte sich schwach, schwitzte und als er sich den Schweiß von der Stirn wischte, merkte, er dass er wohl Fieber hatte. Demian seufzte. Zwei Straßen weiter wohnte Chiron. Er hatte ihn einst durch Merlin kennen gelernt und war mit ihm in freundschaftlichem Kontakt geblieben. Dieser Mann war ausser dem Hehler und der Gilde der einzige normale Bürger, der Demians Aussehen und seinen Ruf kannte. Er konnte ihm sicher helfen. Aber heute fühlte er sich außerstande, noch einmal in die Kälte hinaus zu gehen. Demian beschloss, gleich am nächsten Morgen den Arzt aufzusuchen. Es blieb ihm erst mal nichts weiter, als auf den Abend zu warten. Also verbrachte Demian den Rest des Tages damit, seine Ausrüstung zu prüfen und zu lesen, zumindest versuchte er das, wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, zu niesen und zu husten. Sein Vermieter würde auch jeden Moment auftauchen. Also holte er das Geld aus seinem kleinen Versteck und zählte die Summe ab. Er war kaum fertig, als es auch schon an seiner Tür klopfte und er die Stimme des Vermieters hörte. „Seid Ihr da?“ Bemüht, sich seine angeschlagene Gesundheit nicht anmerken zu lassen, öffnete er. „Ich bin gekommen um den Rest Eurer Miete für diesen Monat zu kassieren.“ „Ja, ich weiß.“ „Gut.“ Er blickte Demian auffordernd an, dieser wandte sich um, nahm den kleinen Geldbeutel vom Tisch und legte ihn in die Hand des Mannes. „Hier, bitte. Genau abgezählt.“ „Vielen Dank. Ich weiß ja, dass Ihr mich nicht betrügt, das ist umso besser für uns beide.“ „Betrug? Das habe ich nicht nötig.“ „Zu Eurem Glück.“ Der Mann grinste und ging. Demian wusste, was er damit gemeint hatte. ‚Was soll´s‘, dachte er. ‚Zumindest bin ich ihn vorerst los.‘ Die Sonne war inzwischen untergegangen. Er war müde und kaputt, also legte er sich schließlich ins Bett und versuchte einzuschlafen. Doch er hustete stark und sein Kopf schmerzte immer noch. Schließlich fiel er in einen fiebrigen, sehr unruhigen und von wirren Träumen durchzogenen Schlaf. Wenig erholt wachte er früh am Morgen auf und machte sich, nachdem er das Feuer geschürt und Brennholz nachgelegt hatte, zu Chiron auf. Der Arzt stand vor einem Regal mit allerlei Flaschen und Tiegeln, als Demian eintrat. „Demian bist du es? Welch seltener Besuch.“ Der junge Mann lächelte ein wenig gequält. Seine Stimme klang sehr heiser, als er antwortete: „Ihr habt nicht zufällig ein Hausmittel gegen Erkältung?“ „Du liebe Zeit, dich hat es ja erwischt. Du hörst dich an wie eine Krähe.“ „Tja, wenn es mich erwischt, dann richtig.“ Schon wieder musste er husten. Chiron lächelte mitleidig, drehte sich um und nahm zwei kleine Fläschchen aus dem Regal und gab sie ihm. „Hier. Das Mittel ist gegen Fieber und Schmerzen und eines gegen den Husten. Du solltest ein paar Tage lieber das Bett hüten. Aber so wie ich dich kenne, wird dir das schwer fallen. In diesem Fall solltest du dich wenigstens solange schonen, bis du deine Erkältung völlig auskuriert hast. Sonst könnte bei diesem Wetter daraus vielleicht noch eine Lungenentzündung werden und das willst du doch sicher vermeiden.“ „Ich werde Euren Rat befolgen, keine Sorge. Was bin ich Euch schuldig?“ Demian bezahlte den Arzt und wandte sich zum Gehen. „Und gute Besserung.“ „Danke, Chiron.“ Demian verließ den Laden und hielt inne, als sich zwei bewaffnete Gestalten näherten. Er erkannte sie als Mitglieder der Diebesgilde und verschmolz schnell mit den Schatten. Eine Auseinandersetzung mit Akers Leuten war jetzt das allerletzte was er brauchen konnte, vor allem da einer der beiden sich als „Stich“ entpuppte. Wenn sie ihn entdeckten, dann würde er in seinem geschwächten Zustand und unbewaffnet kaum eine Chance haben. Als ihm plötzlich schwindelig wurde, oresste er sich eng an die Wand, um nicht umzukippen. ‚Reiß dich zusammen, Demian‘, dachte er. Aber das war nicht einfach, schon dieser kurze Weg zu Chiron war in seiner Verfassung zu viel gewesen und hatte das Fieber wieder steigen lassen. Er rührte sich nicht. Stich und der andere kamen näher, und er hörte Stichs wie immer schlecht gelaunte Stimme. „Keine Sorge“, sagte er zu seinem Begleiter. „Wir wissen zwar nicht, wo er sich einquartiert hat, aber das macht nichts aus. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich mich mit Akers Erlaubnis persönlich um ihn kümmere! Und dann wird Demian Aker auf Knien anflehen sich uns anschließen zu dürfen!“ Trotz seiner gefährlichen Lage musste Demian spöttisch lächeln. ‚Darauf kann Aker lange warten‘, dachte er. ‚Niemals mache ich gemeinsame Sache mit einem wie ihm!‘ Stich zeterte weiter, während sie an ihm vorbeigingen, und als sie außer Sichtweite waren, machte Demian, dass er nach Hause kam. Dort angekommen, aß er ein wenig Brot und Käse, für mehr reichte sein Appetit nicht. Dann nahm er Chirons Medizin. Sie schmeckte bitter und er verzog das Gesicht, aber besser eine Unannehmlichkeit, als sich mit Fieber und Husten herumzuplagen. Dann legte er sich erschöpft ins Bett und schlief augenblicklich ein. Kapitel 3: Wirtshaus "Zum goldenen Kelch" ----------------------------------------- Gemäß Chirons Rat verließ Demian in den nächsten Tagen seine Wohnung nicht. Er verbrachte seine Zeit mit Lesen oder stand an seinem Fenster und beobachtete das Treiben draußen. Es hatte in der kurzen Zeit viel geschneit, der Winter war endgültig da. Langsam begann Demian sich aber zu langweilen. Er wurde rastlos, die Untätigkeit bekam ihm ganz und gar nicht. Außerdem fühlte er sich doch wieder ganz gut. Nach fast einer Woche zu Hause hatte er es satt, nur herum zu sitzen. Er hatte zwar erst mal genug Geld zum Leben und brauchte daher nicht unbedingt einen Auftrag, trotzdem konnte es nicht schaden, sich etwas umzuhören. Vielleicht konnte er sogar etwas über den geheimnisvollen Mann herausfinden, der ihn in die Baltanierkathedrale gelockt und betrogen hatte. Er beschloss also, in der Schenke „Zum goldenen Kelch“ einzukehren. Er war schon längere Zeit nicht dort gewesen und das rege Treiben war jetzt genau das Richtige. Das Haus war bereits voll, als er den Schankraum betrat. Einige „Damen“ warfen ihm vielsagende Blicke zu, doch er ignorierte sie. Selbst hier, wo es eigentlich nicht viel Sinn machte, waren seine Schritte - ob aus Gewohnheit oder ganz unwillkürlich wusste er selbst nicht so richtig - nahezu unhörbar, womit er die Anwesenden in Staunen versetzte. Demian wusste, dass es riskant war, sich an einem Ort wie diesem aufzuhalten. Die Belohnung, die auf ihn ausgesetzt war, dürfte für so ziemlich Jeden Grund genug sein, ihn zu verraten, wenn man ihn erkannte. Daher war er insgeheim sogar ein bisschen erleichtert darüber, wie schnell sich Gerüchte verbreiten und schon ins Absurde auswachsen konnten. Zum Beispiel hieß es, dass sich schon einige mit diesem Versuch lächerlich gemacht hatten. Der Dieb konnte auftauchen und verschwinden wie ein Geist. Einmal hatte es ein Kaufmann versucht. Die Stadtwache war schon informiert aber noch nicht da gewesen. Demian war es trotz allem gelungen, zu entwischen, und er hatte den Mann so sehr an der Nase herum geführt, dass er sich noch heute kaum irgendwo sehen lassen konnte, ohne dass ihn schallendes Gelächter empfing. Demian konnte es recht sein, denn dadurch bot sich ihm ein gewisser Schutz. Er schaute sich nach einem freien Tisch um als er in einer Ecke Giso erblickte. Demian kannte ihn schon lange, der glatzköpfige Seemann, der nur noch ein Auge hatte, war ein guter Informant. Das war aber auch schon alles, denn seine Hand würde der Dieb für ihn, genauso wenig wie auch für seinen Hehler, nicht ins Feuer legen. Der einzige Mensch, der Demians Vertauen genoss, war Chiron. Ansonsten vertraute der Dieb nur sich selbst. Giso hatte ihn längst erkannt und winkte ihm zu. „Ich habe den Eindruck, du machst entweder eine Pause oder deine „Dienste“ werden wohl heute mal nicht benötigt, was?“, begrüßte er den Dieb. Demian zuckte nur mit den Schultern. „Eher beides. Ist etwas?“, fragte er, als Giso ihn vorwurfsvoll anblickte. Der Mann wies mit dem Kopf zu einem Hinterzimmer und beide gingen hinein. Dort musste der Seemann sich beherrschen, um nicht zu laut zu werden. „Sag mal, bist du irre? Wie kanst du so verrückt sein, hierher zu kommen, besonders da volles Haus ist?“ „Was?“ „Verdammt, jetzt tu nicht so, als wüsstet du nichts davon! Dieser Einbruch in die Kathedrale, das warst doch du, stimmts oder habe ich recht? Ich kenne sonst keinen, dem so was gelingen würde. Nicht mal die Gilde könnte das, ohne sofort geschnappt zu werden! Du wirst gesucht! Diese Fanatiker haben eine Riesenbelohnung ausgeschrieben, um die Statue wiederzufinden. Ich sage dir, ich warte nur auf den Tag, an dem dein Steckbrief an jeder Mauer der Stadt hängt! Es heißt sogar, es seien Kopfgeldjäger in der Stadt aufgetaucht. Ganz zu schweigen von Akers Bande von Halsabschneidern und dem sonstigen Gesindel, das diese Belohnung zu gerne einstreichen würde! Du bist wohl nicht auf dem neuesten Stand oder was?“ Demian schwieg einen Moment. „Da hast du recht, so könnte man es sagen.“ „An deine Stelle würde ich schleunigst wieder verschwinden!“ Ein leises Lächeln huschte über das Gesicht des Diebes. „Jetzt beruhig dich wieder, Giso. Ich habe nicht vor, es denen leicht zu machen.“ Der Seemann starrte ihn an. „Das glaub ich ja nicht! Bist du so naiv oder tust du nur so? Ist dir dein Ruhm zu Kopf gestiegen oder wie?“ Der junge Dieb blieb gelassen, was den Mann noch mehr aufbrachte. „Ich sagte „Kopfgeldjäger“! Die sind Profis! Noch nie was von den Brüdern Lorenzo gehört?“ „Nein.“ „Die gehören zu den Besten ihrer Zunft! Man sagt, ihnen sei noch keiner entwischt! Auch ohne Steckbrief haben die bestimmt ihre Mittel und Wege um deine Identität herauszufinden!“ „So einfach lasse ich mich nicht fangen.“ „Also das ist doch ...“, Giso wollte schon wieder auffahren, aber Demian unterbrach ihn: „Reg dich nicht so auf. Ich bin dir für diese Warnung zu Dank verpflichtet. Aber du solltest dich da lieber raus halten. Das ist meine Angelegenheit. Ich bin weder naiv noch hochmütig, wie du sagst. Solange nichts passiert, sehe ich jedoch keinen Grund, mich vor Angst zitternd hinter dem Ofen zu verstecken.“ „Aber ...“ „Wenn ich das Vergnügen haben sollte, diese Brüder „kennen zu lernen“, dann muss ich eben selbst sehen, wie ich da wieder raus komme.“ Der Seemann sah ihn an und seufzte dann. „Du musst wissen, was du tust.“ „Weiß ich auch.“ Demian schwieg einen Augenblick und fragte dann: „Kannst du mir eine Frage beantworten?“ „Was denn?“ „Sagt dir der Name „Blake“ etwas?“ Er gab dem Mann eine kurze Beschreibung, aber dieser schüttelte den Kopf. „Der Name sagt mir nichts. Warum willst du das wissen?“ „Sagen wir, ich habe mit dem Kerl ein Hühnchen zu rupfen. Na ja, dann muss ich es woanders versuchen.“ Demian drehte sich um und ging in den Schankraum zurück. Der Seemann folgte ihm seufzend. Der Wirt, Arthur mit Namen, kam zu den beiden Männern, um deren Bestellung aufzunehmen. „Wars darfs denn sein?“ „Einen großen Humpen Bier!“ „Und Ihr?“ „Das Übliche.“ Demian war nicht unbedingt ein Stammgast, aber oft genug hier gewesen, dass Arthur inzwischen wusste, was „das Übliche“ war. Als einer der wenigen kannte er auch sein Gesicht und wusste wie alle in der Stadt von den Gerüchten um den Meisterdieb, ahnte aber nicht im Geringsten, dass genau Dieser höchstpersönlich gerade hier vor ihm saß. „In Ordnung, kommt sofort.“ Der Mann kehrte zum Tresen um, füllte einen Becher mit Rotwein, einen Humpen mit seinen frisch gezapften Gerstensaft und kam zurück. „Bitte sehr.“ „Danke.“ Demian trank langsam, während er die Augen offen hielt und die Ohren spitzte. Aber es war nichts sehr interessantes zu hören. Also hing er eine Weile seinen eigenen Gedanken nach. Giso nahm ein hohes Risiko auf sich, ihn zu warnen. Obwohl er dem alten Seefahrer nicht wirklich traute, kam er nicht umhin, sich Sorgen zu machen. Wer Verbrechern half, der bekam sein Fett gleich mit ab. Demian wollte trotz seines Misstrauens nicht gerne Schuld sein, wenn man den Mann wegen Beihilfe ins Gefängnis steckte. Der junge Mann ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, alles Holz und die Steinwände waren neu und frisch verputzt. Auch das Holz des Tisches fühlte sich noch größstenteils glatt an und wies nur wenige Kerben auf. Die Kneipe war neu erbaut worden, nachdem vor einem Jahr aus nicht geklärter Ursache hier ein verheerendes Feuer ausgebrochen war. War das wirklich schon wieder so lange her? Arthur kam mit dem Leben davon, aber nur weil er, wie er den Gästen, unter ihnen einmal Demian und Giso, erzählt hatte, von einem Unbekannten gerettet wurde. Bis heute wisse er nicht, wer sein Retter gewesen war, aber er sei ihm unendlich dankbar. Hatte er das wirklich nicht heraus bekommen, wollte Giso wissen, aber der Wirt hatte verneint. Demian hatte sich nicht dazu geäußert und auch nicht mit spekluliert, wer dieser Held, wie manche ihn bezeichneten, war. Der Dieb wusste nämlich, wer Arthur gerette hatte. Er selbst. Er erinnerte sich daran, als wäre es erst gestern gewesen. Er war auf dem Weg zu der Waffenhändlerin gewesen und an der Kneipe vorbeigekommen, als es einen Knall gab und das Haus, grösstenteils aus Holz, durch den Wind angefacht und begünstigt durch die ungewöhnlich heiße Trockenheit jenes Sommers, in Sekundenschnelle lichterloh in Flammen stand. Er hatte den Wirt schreien gehört, war ungeachtet der Gefahr hinein gerannt und hatten den verletzten Mann aus dem Haus gebracht. „Du hast... mich gerettet...“ Demian konnte aber nicht mehr tun, denn schon eilten die Stadtwachen herbei und er lief Gefahr, dass sie ihn als Übeltäter ansehen würden. Also nickte er dem Wirt zu und verschwand in die Dunkelheit. Vielleicht würde der Dieb es ihm eines Tages erzählen. Ein schmerzhafter Hieb in die Seite ließ ihn aufschrecken: „He, ich rede mit dir!“ Giso rollte mit den Augen. „Was?“ „Lust auf ein kleines Spielchen? Meine Seefahrer-Freunde brauchen noch Mitspieler.“ Eigentlich war er kein Spieler, aber etwas Ablenkung würde ihm nicht schaden, also stimmte er zu. Die Würfel klapperten nur so über den Tisch. Bald zeigte sich, dass Demian heute wohl ein recht glückliches Händchen hatte und so einige Goldmünzen mehr in seinen Besitz kam, als er sich für den Kneipenbesuch eingesteckt hatte.. „Beim Klabautermann! Der Bengel hat schon wieder gewonnen!“ Einer von Gisos Freunden funkelte ihn verärgert an. „Sag mal, ziehst du uns hier über den Tisch? Wir dulden keine Falschspieler!“ „Ich habe keinen Betrug nötig“, antwortete Demian gelassen. „Habe wohl eine kleine Glückssträhne.“ Nach drei weiteren Runden, von denen der Dieb zwei gewann, gaben die beiden Seemänner auf und verabschiedeten sich von ihm und Giso. Dieser war auch ein wenig beleidigt, wie es schien und sagte kein Wort, während er schon den fünften Humpen Bier schlürfte. Aber nach einem Gespräch stand dem jungen Mann momentan auch gar nicht der Sinn, er war wieder in Gedanken versunken. Als Demian schließlich den Blick von der Tischplatte wieder in den Schankraum zurück hob, wurde plötzlich seine Aufmerksamkeit von etwas gefesselt. Oder besser gesagt von jemandem. Eine junge Frau lehnte am Tresen, Demian schätzte sie auf sein eigenes Alter. Sie war von vollkommener Schönheit und er konnte nicht verhindern, dass sie ihm auf Anhieb gefiel. Ihr kastanienbraunes Haar reichte bis zu ihrer schlanken Taille und ihre grünen Katzenaugen nahmen jeden augenblicklich gefangen, der sie ansah. Mit Abstand war sie die schönste Frau, die er je zu Gesicht bekommen hatte. Seine Neugier war geweckt. Wer war sie? Aber heute wollte er dieser Frage nicht mehr nachgehen. Wichtiger war für ihn erst mal Blake. Wieder in Gedanken versunken, bekam er nicht mit, dass Arthur die junge Frau zu ihm schickte. Er schreckte hoch, als sie ihn ansprach. Er sah auf und ihre Blicke trafen sich. Saphir traf auf Smaragd. Demian spürte etwas Seltsames in sich. „Möchtet Ihr noch etwas?“, fragte sie. „Nein ... äh ... doch ...“ Wieso stammelte er plötzlich? Er konnte auf einmal keinen klaren Gedanken mehr fassen und schwieg lieber. Sie fand seine Verlegenheit wohl amüsant, denn sie kicherte nur kurz und fragte: „Was denn nun?“ „Ich äh ...“ „Ja?“ „Doch, einen Becher nehme ich noch, denke ich ...“ „In Ordnung.“ Sie entfernte sich. Giso stieß Demian in die Seite und grinste von einem Ohr zum anderen. Auch die Gäste am Nachbartisch fanden Demians Artikulationsschwierigkeiten wohl äußerst erheiternd. ‚Was ist denn mit mir los?‘, fragte sich Demian verwirrt. ‚Ich tue ja so, als hätte ich noch nie eine Frau gesehen. Peinlich ...‘ Die Frau kehrte zu ihm zurück und stellte den Becher auf den Tisch. „Danke.“ Mehr brachte Demian nicht heraus. Während sie noch andere Gäste bediente, schweiften seine Gedanken erneut ab. Erst der Schrei einer weiblichen Stimme holte ihn in die Wirklichkeit zurück: „Lass das gefälligst!“ Die schöne Bedienung stand neben ihm und versuchte einen angeheiterten Gast abzuwehren, der zudringlich wurde. „Na, meine Schöne? Wie wäre es mit uns beiden?“, grölte er und machte eindeutige Handbewegungen. „Lass mich zufrieden!“ „Ach, zier dich nicht so!“ Demian rückte wie zufällig mit seinem Stuhl etwas ab und als der Kerl grinsend aufstand und einen Schritt in die Richtung der jungen Frau machte, stellte Demian ihm ein Bein. Unsanft landete der zudringliche Gast unter dem Gelächter der anderen auf dem Boden. „Wer war das?“, schnaubte er wütend und blickte dann zu dem Dieb hinüber, Giso setzte eine unschuldige Miene auf, doch sein auf Demian gerichteter Blick war verräterisch. Dieser gab sich unbeteiligt. Knallrot vor Wut wollte der Betrunkene auf ihn losgehen, als der Wirt einschritt. „Es reicht! Ich dulde keine Übergriffe auf meine Gäste, klar?“ „Halt dich raus, Alter!“ Arthur wich keinen Schritt zurück. „Macht, dass Ihr raus kommt, bevor ich die Stadtwache rufe! Die werden sich gerne um Euch kümmern, wenn sie erfahren, dass Ihr es mit dem Bezahlen nicht sehr genau nehmt und obendrein noch meine Nichte und meine Gäste belästigt!“ Diese Drohung wirkte. Der Kerl verließ unter dem Spott Gisos und anderer Gäste zähneknirschend und nicht ohne Demian einen finsteren Blick zuzuwerfen das Haus. Zufrieden kehrte der Wirt zu seinen Fässern zurück und fing im Vorbeigehen einen sowohl amüsierten als auch beeindruckten Blick Demians auf, den er mit einem Grinsen beantwortete. Giso indessen riet ihm, sich nun doch besser durch den Hintereingang aus dem Staub zu machen. „Ich glaube, der Kerl vorhin wird die Beleidigung nicht auf sich sitzen lassen. So wie der dich angesehen hat, traue ich ihm zu, dass er draußen auf dich wartet oder sogar die Wachen gerufen hat.“ „Den Spaß werde ich ihm sicher nicht gönnen.“ Demian trank noch seinen Becher leer und ertappte sich dabei, wie er immer wieder der schönen Frau Blicke zuwarf. Er seufzte, trank schließlich den letzten Schluck und ging zum Tresen, um den Wirt zu bezahlen. Dann ging er kurz zurück um seine Handschuhe, die er beinahe vergessen hätte, zu holen. Der Wirt folgte ihm, um am Nebenstisch seine vollen Bierhumpen abzusetzen. „Dein nächster Auftrag kommt bestimmt“, flüsterte Giso leise und grinste. Demian antwortete ihm nicht und jetzt erst bemerkte er, dass die junge Frau, die gerade seinen eigenen leeren Becher fortbringen wollte, ihn ansah. „Das ist übrigens meine Nichte, Lada“, sagte Arthur und bedankte sich sogar noch bei dem Dieb, dass er ihr geholfen hatte. Lada lächelte und wieder spielten seine Gedanken verrückt. Und das lag bestimmt nicht am Alkohol, er hatte ja nur einen (oder waren es zwei?) Becher getrunken. Ehe er sich wieder blamierte, verließ er mit einem knappen „Ich habe noch zu tun“ die Schenke durch den Hintereingang. Bevor Demian den Weg zu seiner Wohnung einschlug, schaute er kurz um die Ecke. Giso hatte recht behalten, dort vor der Kneipentür stand der Kerl noch immer und wartete. ‚Der steht sich bestimmt noch in zwei Stunden die Beine in den Bauch‘, grinste Demian in sich hinein. Stadtwachen waren nirgends zu sehen. Dann verschwand er, immer im Schatten gehend; zum Einen, um den Stadtwachen zu entgehen, zum Anderen konnte er so unbemerkt einige Passanten um ein paar Geldbeutel erleichtern. Es war schon spät, eigentlich seine Zeit, aber der Dieb hatte keine Lust, wieder in das dichte Schneetreiben hinaus zu gehen. Er las noch eine Weile, und legte sich dann schlafen. Doch er schlief unruhig. Der Anblick der schönen Lada hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Ihr Gesicht verfolgte ihn bis in seine Träume. Am nächsten Tag machte Demian sich auf den Weg zum Markt, um seine Vorräte aufzufüllen. Er grinste bei dem Gedanken, dass Lebensmittel zu den wenigen Dingen gehörten, die er legal erwarb. Er ließ sich Zeit und schlenderte gemächlich durch die Budengassen, in seinen dunklen Kapuzenmantel gehüllt. Seine Sinne arbeiteten trotzdem auf Hochtouren, für den Fall der Fälle hatte er ein paar Blitzbomben eingesteckt. Nur den Bogen hatte er nicht dabei. Damit würde er zu sehr auffallen. Außerdem war es so schon nicht ungefährlich, sich als gesuchter Verbrecher am helllichten Tage auf der Straße herumzutreiben. Die Warnungen des Seemannes hatte er nicht vergessen. Aber ein Markt wurde nun einmal nicht mitten in der Nacht abgehalten. Als er nach dem Einkauf zurückkam, standen zwei Stadtwachen an der Wand seines Wohnhauses. Demian verbarg sich im Schatten und kam vorsichtig näher. Es war besser, wenn er wartete, bis die beiden mit ihrem Schwätzchen fertig waren. „Ehrlich? Du hast noch nichts von diesem Einbruch in die Kathedrale gehört?“ „Nein. Ich hatte Urlaub und war auf dem Land. Bin erst gestern zurück und seit heute wieder im Dienst. Was war da los?“ „Es war eigentlich alles ganz normal, bis der Alarm los ging. Und dann haben sie tatsächlich einen Eindringling entdeckt.“ „Und haben sie den Kerl gefasst?“ „Nein. Sie haben ihn zwar verfolgt, aber der hat sie alle mit Lichtblitzen abgehängt und konnte durch die Kanäle fliehen. Es stellte sich heraus, dass er dem Hohepriester eine Statue gestohlen hatte.“ „Wer kann das denn gewesen sein?“ „Vermutlich dieser Meisterdieb.“ „Demian? Ja, gut möglich. Wenn es stimmt, was du mir gerade erzählt hast, hat der Kerl die Brüder ja richtig vorgeführt. Klingt sehr nach ihm.“ Demian grinste in sich hinein. „Wenn wir den Kerl nicht bald schnappen, wird noch ein Donnerwetter über uns kommen, das sag ich dir. Ich habe erst heute morgen ein Gespräch zwischen Sheriff Duncan und dem Baron gehört. Der hat unserem Chef die Hölle heiß gemacht, das ihm die Ohren gesummt haben müssen. Ich glaube, es ging sogar um diesen Meisterdieb. Ich kann mich noch an jedes Wort erinnern: „Wofür werdet Ihr eigentlich bezahlt? Dieser Räuber hat mir meinen kostbaren goldsilbernen Pokal gestohlen und mich und meine Frau bedroht! Das muss man sich mal vorstellen, uns – Baron und Baronin von Lancaster – von einem gemeinen Wegelagerer bedroht! Und ich will, dass ihr Crétins mir meinen Pokal wiederholt – oder zumindest diesen Bastard endlich in die dunkelste Zelle einsperrt!“ Hat mir fast leid getan, der Chef, aber eben nur fast!“ Die Stimme des Mannes klang gehässig. „Fast leid getan? Ich konnte mir die Schadenfreude kaum verkneifen! Das Gebrüll war nicht zu überhören. Endlich bekommt dieser Sklaventreiber auch mal sein Fett weg. Uns immer herumkommandieren und die Drecksarbeit machen lassen, während er sich in seinem gemütlichen Büro breit macht.“ „Nur lässt Duncan jetzt seinen Frust wieder an uns aus.“ „Genau, weil wir diesen Dieb immer noch nicht haben. Aber ich sag's ja: er hat gut Reden. Sitzt den ganzen Tag in seinem Büro, während wir die ganze Drecksarbeit machen.“ „Man müsste diesem Meisterdieb mal eine Falle stellen.“ „Stimmt. Aber ich melde mich nicht dafür, das ist sicher. Mein Leben ist mir lieb!“ „Mir auch!“ Die beiden Wachen gingen, nach einer weiteren für Demian endlos erscheinenden Weile, schließlich ihrer Wege. Nachdenklich saß Demian vor seinem Feuer. Dieses Gespräch wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen. Jetzt, nachdem er dem Schöpferorden so einen Streich gespielt hatte, würden auch sie nichts unversucht lassen, ihn zu finden. Die beiden Wachmänner hatten von einer Falle gesprochen. Auf diese Idee würde früher oder später wohl auch der Sheriff selbst kommen, er beschloss, nun besonders vorsichtig mit Aufträgen umzugehen. Um seiner Grübelei ein Ende zu setzen, richtete er sein Augenmerk schließlich auf die Sache mit dem geheimnisvollen L. A. Dieser Kerl hatte ihn übel herein gelegt. Aber wenn er dachte, das Demian sich das einfach gefallen ließ, hatte er sich geschnitten. Sein Hehler hatte den Auftrag an ihn weitergeleitet. Demian wollte ihm also einen Besuch abstatten, um herauszufinden, wie Kronos überhaupt an den Brief gekommen war. Es war schneidend kalt, als der Dieb die Gasse durchquerte, die zu Kronos´ Haus führte. Er klopfte und nach kurzer Zeit öffnete der Hehler die Tür. „Welch angenehmer Besuch“, begrüßte er Demian grinsend. „Ihr kommt wie gerufen. Was haltet Ihr von einem neuen Auftrag?“ Ehe der Dieb antworten konnte, drückte Kronos ihm ein zusammengerolltes Blatt in die Hand. Es war die Karte einer Villa. „Und was soll ich damit?“ „Das ist das Anwesen eines Kaufmanns namens ... äh, Moment ... ah, Ludwig oder so ähnlich. In seinem Besitz befindet sich eine wertvolle, diamantenbesetzte Krone.“ „Lasst mich raten. Ich soll dafür sorgen, dass sich das ändert, richtig?“ Kronos nickte. „Richtig. Nach dem guten Stück giert gerade jeder meiner Zunft.“ Demian zuckte die Schultern. „Das ist ja nichts neues. Ihr giert doch nach allem. Aber eigentlich bin ich aus einem anderem Grund hier.“ „Und der wäre?“ „Wer hat euch den letzten Auftrag zukommen lassen?“ Kronos überlegte. „Keine Ahnung wer der Kerl war. Hat noch anderen Hehlern den Brief geben wollen, aber keiner von denen hat mit Euch zu tun.“ Er grinste breit. „Das ist mein Privileg. Der große Meisterdieb kommt immer zu meiner Wenigkeit.“ „Und weiter?“ „Na ja, dann kam der Kerl zu mir und fragte mich, ob ich Euch kenne und den Brief weiterleiten kann. Das war es auch schon, er drückte mir den Brief in die Hand und machte sich davon.“ „Hm. Und er hat nichts weiter gesagt?“ Der Hehler schüttelte seinen grauen Zottelkopf. „Wie sah er aus?“ „Hm, lasst mich nachdenken. Ziemlich massig gebaut, mittelgroß, hatte ein Gesicht wie ein Kampfhund.“ Demian nickte, dieser Beschreibung nach war es eindeutig Blake gewesen. Zuletzt fragte er noch, wohin Blake verschwunden war. „So in Richtung des Reichenviertels. Wenn ich mich nicht getäuscht habe, sah ich unter seinem Umhang auch ein Wappen oder so was.“ „Ein Wappen? Wie sah es aus?“ „Konnte ich nicht ganz erkennen. Ich glaube, es war ein Buchstabe drauf, ein „A“ oder so. Wieso wollt Ihr das alles überhaupt wissen?“ Kronos kratzte sich am Kopf, dann fing er an zu lachen. „Sagt bloß, der hat Euch über den Tisch gezogen? Na, dann ist mir alles klar. Aber wie gesagt, ich weiß auch nicht mehr, da müsst Ihr euch wohl selbst darum kümmern.“ „Das werde ich. Was könnt Ihr mir noch über diesen Kaufmann sagen, nach dessen Schmuckstück ...“, er lächelte spöttisch. „ ... Ihr Euch so sehnt?“ Nach einer Weile verließ Demian schließlich das Haus und kehrte nach Hause zurück. Es war Blake gewesen, der den Auftrag hinterlassen und sich mit ihm getroffen hatte. Er schlussfolgerte aus Kronos´ Aussagen auch, dass er ein Dienstmann einer der reichen Adelssippen war, die in diesem Edelstadtteil lebten. Eventuell war er ein Wachhauptmann; so oder so ähnlich schätzte Demian den Grad der Gefolgschaft ein. Das ließ insgesamt nur einen Schluss zu: Der eigentliche Auftraggeber musste ein Lord gewesen sein, darauf wies auch die Unterschrift auf dem Brief hin. Wie viele Lords, deren Namen mit dem Buchstaben „A“ begonnen, gab es? Das würde nicht allzu schwer herauszufinden sein. Zuvor aber wollte er sich erst noch um den neuen Auftrag kümmern. Kapitel 4: Die Villa des Kaufmannes ----------------------------------- Als es dunkel wurde, machte sich Demian auf den Weg durch das Reichenviertel der Stadt. Den direkten Weg konnte er natürlich gleich vergessen, die Stadtwache war hier, im Gegensatz zu seinem Viertel, zahlreich und sehr diensteifrig. Nach einiger Zeit und vielen Umwegen stand er vor der besagten Villa. Er runzelte die Stirn, als er die hiesigen Wachen beobachtete, das würde wohl kein Routineauftrag werden. Hier waren offensichtlich mehr Wachen als üblich angestellt, jedenfalls sah er allein mehr als 10 Männer ihre Runden um das Grundstück herum gehen. Das passte zu Kronos´ Ausführungen, der Kaufmann hätte eine panische Angst vor Einbrechern. Zugegeben, nicht ganz ohne Grund. Denn wenn diese Krone wirklich so wertvoll war, war er nicht der einzige Dieb, der versuchen würde, das gute Stück an sich zu bringen. Aber er sagte sich, solange er nicht entdeckt wurde, konnte ihm das egal sein. Demian schlich im Schutze der Dunkelheit um das Haus herum und sah eine unbewachte Tür, wohl ein Nebeneingang, die praktischer Weise unbeleuchtet war. Doch er musste feststellen, das sie auch mit den Dietrichen verschlossen blieb. Also musste er versuchen, sich nahe genug an einen Wachmann heranzuschleichen, um diesem einen Schlüssel zu entwenden. Demian kauerte sich hinter ein dichtes Gebüsch und nahm die vorbeikommenden Männer in Augenschein. Aber keiner hatte einen Schlüssel bei sich. Keiner, bis auf einen und der stand mit einem Kameraden an der Haupttür im schönsten Lichtschein. Selbst für Demian war es unmöglich, da ran zu kommen ohne sofort entdeckt zu werden, also musste er sich etwas anderes einfallen lassen. Er wollte seinen Beobachtungsposten gerade verlassen, als etwas pelziges seine Beine streifte und ihm einen gehörigen Schreck einjagte. Demian blieb fast das Herz stehen, und er hätte sich fast durch eine unachtsame Bewegung verraten. Zum Glück konnte er sich gerade noch fangen und schaute zu seinen Beinen hinunter. Es war nur eine Katze. Sie stellte sicher keine Gefahr da, aber anscheinend gefiel er ihr. Oder das Tier hatte irgendeinen anderen Grund, weshalb sie ihm unablässig um die Beine streifte. „Ich habe keine Zeit für dich, Mieze!“ Demian erhob sich und glitt an der Hauswand entlang, aber die Katze ließ sich nicht abschütteln. Dann fing sie auch noch an zu miauen und das nicht gerade leise. „Sei still!“ „Hallo? Ist da wer?“ Ein Wachmann kam näher. „Zeigt euch!“ Der Dieb erstarrte. ‚Nur das jetzt nicht!’, dachte er und versuchte die Katze zu verscheuchen, aber es gelang ihm nicht. Erst als der Mann seine Laterne hob, fauchte sie und lief weg. „Ach, nur die Katze der Herrin.“ Der Wachmann drehte sich um und ging seine Patrouille weiter. Glücklicherweise hatte Demian sich rasch hinter einem Baum verstecken können und war deshalb von ihm nicht entdeckt worden. Seine Fußabdrücke waren im Schnee zum Glück kaum noch sichtbar, denn inzwischen hatte es wieder angefangen zu schneien. „Puh, das war knapp.“ Er hatte nichts gegen Katzen, aber diese eben war mehr als lästig gewesen. Plötzlich ging eine Alarmanlage los. Mit dem schrillen Pfeifen in den Ohren, presste sich der Dieb an die Außenmauer des Anwesens, als die Wachen hastig durch die Gegend rannten. Aber er hatte doch nichts falsch gemacht, oder? Der Dieb machte sich ganz klein und gab keinen Laut von sich. Einige Male kam einer der Männer so dicht an ihm vorbei, dass Demian nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um ihn zu berühren. Erst nach einer ganzen Weile kehrte langsam wieder Ruhe ein. „Heh, Männer!“, rief ein Wachmann. „Ich denke, es war wohl falscher Alarm! Die Katze der Herrin hat wahrscheinlich einen der Stolperdrähte ausgelöst, ich hab das Tier vorhin gesehen.“ Seine Kameraden zeigten sich wenig begeistert: „Schon wieder dieses Vieh!“ „Nicht schon wieder!“ „Ich hasse Katzen!“ Demian wurde hellhörig. Stolperdrähte? Na, da hatte er ja riesiges Glück gehabt, dass er selbst noch keinen ausgelöst hatte, denn gesehen hatte er keinen. Jetzt musste er doppelt acht geben, denn solche Drähte waren in der Dunkelheit schwierig auszumachen. Und in dem dichter werdenden Schneetreiben noch viel schwieriger. Die Wachmänner gingen wieder ihrer Arbeit nach. Zwei von ihnen kamen dicht an Demians Versteck vorbei. „Mann“, sagte der eine. „Der Herr ist wirklich zu übervorsichtig. Wir sind so viele, dass wir uns gegenseitig auf die Füße treten. Und es vergeht keine Nacht, in der nicht einer von uns, oder dieses Katzenvieh, aus Versehen auf so einen Draht tritt und wir wegen nichts hier rumrennen.“ „Na, ehrlich gesagt, wären mir ein paar Hunde auch lieber. Aber die Herrin duldet sie ja nicht, weil sie Angst um ihr verfluchtes Fellknäuel hat.“ „Sag ich ja. Überhaupt, es traut sich ohnehin keiner mehr hier einzubrechen. Weißt du nicht mehr, was aus dem letzten Langfinger geworden ist? Ich wette, der verrottet noch immer im Knast.“ „Stimmt schon. Aber sei nicht so voreilig. Noch nie was von diesem Meisterdieb gehört? Wenn der sich hier was holen wollte, dann würde er es auch tun.“ Sein Kamerad winkte verächtlich ab. „Pah! Nicht mal der würde hier unbemerkt bleiben. Und wenn er hier aufkreuzt, empfangen wir ihn gebührend mit unseren Schwertern.“ Die zwei entfernten sich wieder. Demian musste grinsen. Wenn die wüssten ... Er schlich weiter, immer dicht an der Wand entlang, dabei schaute er sich den Boden vor seinen Füßen genau an, sich dabei so gut es ging mit der Hand gegen die Schneeflocken schützend. An der anderen Seite des Gebäudes gab es eine große, etwas erhöht angelegte Doppelluke, die laut Plan in den Keller, genauer, per Rutsche ins Kohlenlager, führte. Aber auch das war nicht die Lösung, denn ein Wachmann stand mit grimmiger Miene davor. Demian verwarf seinen ersten Gedanken wieder, den Mann ins Traumland zu befördern, als er nach kurzer Beobachtung bemerkte, dass eine Patrouille den Kerl ständig im Auge behielt. Die beiden Männer leuchteten seinen Standort stets mit einer Laterne ab. Sie würden sein Verschwinden sofort bemerken und Alarm schlagen. Er sah sich um und entdeckte schließlich einen Holzschuppen an dessen einer Seite ein paar Kisten aufgestapelt waren. Er schlich vorsichtig näher heran und blickte nach oben. Zuerst konnte er wegen des Schnees kaum etwas erkennen. Er blinzelte und hielt eine Hand vor seine Stirn. Die Dachbalken waren aus Holz. „Hm, so geht es auch.“ Rasch hatte Demian einen Plan gefasst. Er wollte gerade auf das schräge Dach des Schuppens klettern, als ihm knapp oberhalb der Schneedecke etwas auffiel, etwas dünnes, metallisch glänzendes. Eine der Stolperdrahtfallen verlief genau vor dem Schuppen entlang. „Komische Stelle für einen Draht.“, murmelte er. „Haben die Angst, dass jemand die Gartengeräte klaut?“ Der Gedanke amüsierte ihn. Andererseits war ihm klar, das ein entsprechend ausgerüsteter Dieb sehr wohl diese Chance, unbemerkt einzudringen, nutzen konnte. Und das wussten auch die Wachen. Der Dieb stieg nun ganz vorsichtig über den Draht hinweg und kletterte auf den Kistenstapel und – er musste dabei aufpassen, damit der Stapel nicht einstürzte - auf das Dach. Es war aus Holz, aber durch Schnee und Eis auch rutschig. Nachdem er sich in eine günstige Position gebracht hatte, schoss Demian einen Seilpfeil in den Balken und hangelte sich hinauf. Sonderlich breit war der Sims nicht gerade, und – wie das Dach des Schuppens – sehr rutschig, er musste Acht geben, um nicht abzurutschen. Zum Glück litt er nicht unter Höhenangst. Vorsichtig bewegte er sich zu einem Dachfenster. Es war, wie schon erwartet, verschlossen. Seine treuen Dietriche würden dieses Problem auch nicht lösen können, denn Dachfenster hatten bekanntlich kein Schloss. Daher hatte Demian immer auch ein kleines Stemmeisen bei sich, welches ihm hier nun gute Dienste leistete. Er hebelte das Fenster auf und war auf dem Dachboden angekommen, klopfte sich den Schnee ab und schaute sich um. Da standen mit Tüchern abgedeckte alte Möbel herum, einige Kisten und Truhen und noch so allerlei Kram, aber nichts wirklich wertvolles, was sich gelohnt hätte mitzunehmen. Der Safe stand im Arbeitszimmer des Hausherren, eine Etage unter ihm. Jetzt musste er sehr vorsichtig zu Werke gehen, denn wenn schon draußen so viele Wachen waren, mussten es im Inneren des Hauses zweifellos noch mehr sein und er wollte lieber kein unnötiges Risiko eingehen. Demian hob vorsichtig die Luke im Fußboden an und spähte in den Korridor. Aus der unteren Etage, dem Foyer, hörte er dank des Fliesenbodens die schweren Schritte von Wachen. Wenn er sich nicht täuschte, mindestens 3 Männer. Hier oben aber es war noch still und niemand zu sehen. Trotzdem lauschte er erst noch eine Weile und als auch weiterhin nichts zu hören war, schoss er einen Seilpfeil in den Lukenrand, seilte sich hinab und zog den Pfeil aus dem Holz. Er stand jetzt in einer hell erleuchteten Nische und ließ einen Wasserpfeil dieses Problem schnell beheben, was vom Dachboden aus nicht möglich gewesen war. Er wollte sich gerade weiter wagen, als er Schritte vernahm. Zwei Wachen machten hier ihre Runde und unterhielten sich dabei. Demian wich bis an die Wand zurück und rührte sich nicht. „Gehst du auch zu dieser Tanzveranstaltung?“, fragte der eine. „Schön wäre es. Aber meine Schwiegermutter kommt zu Besuch.“ „Oh du Armer“, lachte der Mann. „Lach nicht! Ich sage dir, wer die Alte hat, der braucht keine Feinde mehr.“ „Tröste dich, Kumpel. Meine ist auch nicht besser. Ständig am nörgeln. Und wenn ich ein Widerwort wage, wird meine Frau auch noch sauer.“ Die zwei waren so mit lamentieren über ihre Frauen und Schwiegermütter beschäftigt, dass sie nicht einmal die erloschene Fackel bemerkten. Als die Luft rein war, wagte sich Demian ein paar Schritte vor. Weiterhin alles ruhig. Bald hatte er das gesuchte Arbeitszimmer erreicht und knackte die verschlossene Tür. Er machte kein Licht an. Die Tür hatte eine Glasscheibe und seine Anwesenheit wäre so offensichtlich, das selbst ein besoffener Wachmann alarmiert worden wäre. Selbst die Fackel war zu auffällig. Aber er konnte trotzdem genug sehen, da das Licht des Korridors durch die Scheibe fiel und den Raum genügend erhellte. Auf dem Schreibtisch lagen mehrere Geldbeutel, die rasch den Besitzer wechselten. Demian fand, dass bei diesem Reichtum, der sich in der prachtvollen Einrichtung spiegelte, ein paar solcher Beutel weniger den Herrn wohl kaum ins Armenhaus bringen würden. Er überflog ein Blatt Papier, in dem der Kaufmann über die Teuerung mancher Güter klagte. „Also echt, diese Sorgen will man haben. Als ob der es sich nicht leisten könnte“, murmelte er kopfschüttelnd. Dann wandte sich der Dieb dem Safe zu, der, wie er feststellte, nicht zusätzlich gesichert war. Dennoch stand er vor einem Problem. Die Dietriche passten nicht. Natürlich nicht, es war ja nicht umsonst ein Safe und die waren nun mal nicht einfach zu knacken. „Hätte ich mir doch denken können, ich Dummkopf“, schalt er sich selbst. Er überlegte eine Weile und kam zu dem Schluss, dass es am wahrscheinlichsten war, den Schlüssel beim Hausherrn selbst zu finden. Wo lag gleich noch sein Schlafzimmer? Es lag laut Karte gleich nebenan und war mit diesem Raum durch eine Tür verbunden, so dass er nicht erst zurück auf den hellen Gang musste. Der Hausherr schlief und schnarchte so laut, das es wohl noch bis zum Keller zu hören war. ‚Der Kerl fällt ja einen ganzen Wald‘, dachte Demian amüsiert und sah sich um. Der Raum war bis auf ein noch brennendes Nachtlicht völlig dunkel. Auf dem Nachttisch stand außer der Kerze nur ein kleines, gerahmtes Bild. Darauf erkannte er beim Heranschleichen eine Frau, vermutlich die Hausherrin. ‚Hm, an seiner Stelle, wo würde ich wohl den Schlüssel verwahren?‘ In dem Moment drehte sich der schlafende Hausherr um und an seinem Hals blitzte etwas auf. Ein kleiner, silbern schimmernder Schlüssel an einer Kette. Damit war die Frage wohl beantwortet. Jetzt bedurfte es viel Fingerspitzengefühl, damit Herr Ludwig nicht aufwachte. Ganz vorsichtig beugte er sich über ihn, streckte die Finger aus und zog sachte am Schlüssel. Auf einmal griff der Mann nach Demians Ärmel, richtete sich auf und drehte den Kopf in seine Richtung. Demian wich erschrocken zurück und dachte schon, gleich würde er die Wachen herbei rufen. Aber Ludwig tat nichts dergleichen. Geistesabwesend starrte er durch den Dieb hindurch, als wäre er nur Luft, dann stand er auf und ging aus dem Zimmer hinaus auf den Gang. Verblüfft sah Demian ihm nach, ehe er begriff, was los war. Von draußen hörte er nun einige Wachen und versteckte sich rasch in der Ecke neben dem Kleiderschrank. Die Männer führten ihren Herren zurück ins Zimmer. Aber leicht wurde es ihnen nicht gemacht. Obwohl nicht Herr seiner Sinne, entzog sich Ludwig ihnen immer wieder und strebte zurück zur Tür. Dieses Schauspiel war wirklich zu komisch, Demian musste an sich halten, um nicht zu lachen. Endlich hatten sie ihn zurück ins Bett gebracht und nun schnarchte der Hausherr wieder seelenruhig. „Kevin, hol Gerda her!“, sagte eine der Wachen. „Sie soll ihm seine Medizin gegen dieses vermaledeite Schlafwandeln geben! Er hat sicher wieder vergessen, das Zeug zu nehmen.“ Die anderen Wachen verließen das Schlafzimmer wieder. Der eine Wachmann blieb jedoch und hinderte den Herren bis zum Eintreffen dieser Gerda daran, wieder eine Nachtwanderung zu beginnen. Demian wartete ab und ließ den Herren und seine Wache nicht aus den Augen. Nach eine Weile öffnete sich die Tür erneut. Es war eine Dienerin, die ein Tablett trug, auf dem eine kleine Flasche stand. Sie weckte den Hausherren und gab ihm die Medizin, dann verließ sie den Raum wieder und der Herr schlief bald wieder ein. Also, neuer Versuch. Dieses Mal wollte er auf Nummer sicher gehen und holte seinen Knüppel heraus. Jedoch streifte er dabei den Nachttisch so unglücklich, dass das Bild vom Nachttisch auf den Boden fiel. Davon wurde Ludwig wach und richtete sich wieder auf. „Was ist ... WER BIST DU?“ Ehe der Mann um Hilfe rufen konnte, schickte ihn ein Schlag mit dem Knüppel zurück ins Land der Träume. „Hallo? Herr, stimmt etwas nicht?“ Zurück in die Ecke. Ein Wachmann kam ins Zimmer bis zum Bett und sah das Bild auf dem Boden liegend. „Was zum Teufel ...?“ Aber er beruhigte sich wieder, als er sah, dass sein Herr ruhig im Bett lag. Demian hatte ihm gerade noch die Decke hochziehen können. „Ach, es war nichts.“ Demian atmete auf. Die Wache nahm wohl an, der Herr selbst hatte das Bild bei seinen nächtlichen „Aktionen“ hinunter gestoßen und stellte es wieder an seinen Platz, bevor er seine Runde wieder aufnahm. Seufzend kam Demian wieder aus der Ecke hervor und wagte den nächsten Versuch und hielt endlich den Schlüssel sicher in der Hand. ‚Puh, das wäre geschafft.‘ So leise wie er hineingekommen war, verließ er das Schlafzimmer wieder und machte sich an der Safetür zu schaffen. Und siehe da, der Schlüssel passte. „Hm, nicht übel. Das Ding ist sicher ´ne Menge wert.“, sagte er zu sich selbst, als die Krone ihm entgegen funkelte und in einem Beutel, den er am Gürtel trug, verschwand. Um den Diebstahl nicht gleich auffallen zu lassen, verschloss Demian den Safe wieder und wollte den Schlüssel unauffällig an seinen Platz zurückbringen. Es erwies sich als etwas kniffelig, aber nicht unmöglich, den Schlüssel wieder an der Halskette zu befestigen. Nun musste er nur noch verschwinden. Er öffnete vorsichtig die Tür und spähte hinaus. Niemand. Schnell verließ er das Arbeitszimmer und wollte in den dunklen Gang zurück, aus dem er gekommen war. In dem Moment kamen die beiden Wachmänner von vorhin zurück. Der Dieb konnte gerade noch in eine Nische eilen. Dieses Mal fiel nun einem von ihnen doch die gelöschte Fackel auf. „Müssen diese verfluchten Fackeln ständig ausgehen?“ Er blieb stehen und kramte an seinem Gürtel. „Mist, ich habe meine Zunderbüchse vergessen.“ „Ach, lass doch“, meinte sein Kollege. „Wegen einer Fackel weniger brauchen wir uns doch nicht zu sorgen. Sag es dem alten Gulliver und der erledigt das.“ „In Ordnung. Wo steckt Gulliver überhaupt?“ „Was ist denn?“ Ein älterer Mann kam die Treppe hinauf gehumpelt. „Die Fackel hier ist ausgegangen. Sei so gut und zünde sie wieder an.“ Gulliver nickte und tat, was von ihm verlangt wurde. „Hey, was ist mit der Dachluke? Die war doch vorhin noch zu!“ Demian verhielt sich ganz still. Hoffentlich schöpften die jetzt nicht Verdacht und schlugen Alarm. „Moment, das haben wir gleich.“ Der Diener öffnete eine schmale Tür und holte eine lange Eisenstange heraus. „Die Luke hat manchmal ihren eigenen Willen. Geht auf, wann sie will.“ Nach ein paar Augenblicken war die Luke zu. Damit war der einfache Weg zurück versperrt. Jetzt hatte Demian ein Problem. Der Diener hatte die Stange beim Gehen wieder mitgenommen. Ihm nun zu folgen, um die Stange wieder zu holen, würde zu viel Zeit kosten. Er musste sich etwas einfallen lassen. Er wartete eine Weile, bis niemand mehr da war, dann schlich er den Gang entlang, als er erneut Schritte hörte, die sich ihm schnell näherten. Hastig blickte er sich um, sah aber weit und breit kein schattiges Fleckchen. Deshalb öffnete er rasch die glücklicherweise unverschlossene Tür hinter sich, huschte in den Raum und schloss sie schnell wieder. Demian war in einem weiteren, aber kleineren Arbeitszimmer angekommen. Die Einrichtung bestand unter anderem aus ein paar Regalen und einem Schreibtisch auf dem noch eine Lampe brannte. Der Kamin war aus. Wenn er schon hier war, sah er sich ein bisschen um. Aus ein Paar Pergamenten auf dem Tisch ging hervor, dass dieser Raum wohl der Arbeitsplatz des Hausverwalters war. Ein kleines, verschlossenes Kästchen stand im Regalschrank und erregte Demians Aufmerksamkeit. Er knackte es und fand einen Zettel: Rechnung für die neue Kanal-Luke im Keller. 1200 Goldstücke. Wie gewünscht, haben wir die Luke mit einem speziellen Sicherheitsschloss versehen. Es lässt sich nur mit Eingabe folgender Nummer öffnen: 19712 Es wird jedem Kunden zur Sicherheit angeraten, sich einen persönlichen Code zuzulegen und das Schloss entsprechend einzustellen. Na, das war ein Glücksfall. Er musste also irgendwie ungesehen in den Keller gelangen. Während er überlegte, bemerkte der Dieb noch einen Brief auf dem Schreibtisch mit der Notiz: „WICHTIG!“ „Hm ...“ Demian sah sich den Brief genauer an. Er entpuppte sich als eine Rechnung für eine kürzlich installierte Geheimtür, die sich in Ludwigs Arbeitszimmer befand und durch einen bestimmten Knopf geöffnet werden konnte. Der Dieb wartete, ob die Luft rein war, dann huschte er in Ludwigs Büro zurück. Demian sah sich nun den Raum und den Boden genauer an. Eines der kleinen Bücherregale neben dem Kamin machte ihn stutzig. Es schien, als stünde es nicht an der Wand, sondern war mit dieser verbunden. Als Demian an einer Seite mit der Hand entlang strich, bemerkte er außerdem einen schmalen Schlitz in der Wand, aus dem auch ein leichter Luftzug zu spüren war. Er hockte sich hin und fühlte mit den Händen, was im Halbdunkel nicht zu erkennen war: feine Kratzer im Parkettboden. Jetzt war sich der Dieb sicher, den Gang gefunden zu haben. Wo aber war der Knopf zum Öffnen? Er drehte sich um und sah plötzlich am Kamin etwas metallisches aufblitzen, angeleuchtet durch das Licht, was von draußen durch die Glastür fiel. Der Dieb ging näher heran und erkannte im Halbdunkel den gesuchten Metallknopf. „Na, bitte! Wieso hab ich den nicht schon vorhin gesehen?“, fragte er sich. Na ja, er war eben auch nicht perfekt. Glück musste man halt haben, und das hatte er. Ohne weiter zu zögern drückte er den Knopf, das Regal schwang auf und gab einen Durchgang frei. „Aha, da ist die Hintertür.“ Er betrat den Durchgang und schloss ihn wieder mit dem Gegenknopf an der Holzwand. Es war ein schmaler Gang, an dessen Ende eine Leiter nach unten führte. Demian stieg hinunter und fand sich in einem kleinen Lagerraum wieder. Am Boden fand er eine Luke, öffnete sie vorsichtig einen Spalt weit und sah hinunter. Niemand zu sehen oder zu hören. Nachdem ein Moospfeil zum Einsatz gekommen war, sprang der Dieb hinab und landete lautlos auf dem Steinboden. Er war im Heizungsraum angekommen, ein großer Ofen stand da, daneben Unmengen von Kohle. Als er sich umdrehte, war da auch die große Luke, die er auch schon draußen gesehen hatte. Die Kohlenrutsche lehnte zwischen Boden und Luke an der Wand, aber es war trotzdem keine gute Idee, diese hochzuklettern. Mit Sicherheit hatte der Wachmann draußen seinen Posten nicht verlassen. Demian öffnete die Tür einen Spalt breit und hörte Schritte zweier Wachen. In der Küche hörte er außerdem trunkenen Singsang. Als die Patrouille vorbei war, schlüpfte er in entgegengesetzter Richtung durch die Tür und in die Küche, in eine dunkle Nische hinein. „Hallo ... hicks ..., ist da jemand?“ Er erstarrte. Eine weitere Wache stand oder vielmehr schwankte da und sah in seine Richtung. Der Dieb presste sich eng an die Wand und rührte sich nicht. „Hm ... hicks ... da war nichts ...“ Demian atmete auf. Das hätte jetzt schief gehen können. Der Mann war aber schon so trunken, dass er nichts mehr richtig merkte. Seine beiden Kollegen kamen gerade wieder durch einen zweiten Eingang in die Küche zurück und empfahlen ihrem Kameraden kopfschüttelnd, seinen Rausch auszuschlafen. „Ich ... hicks ... bin nicht betrunken, ich vertrage viel ... hicks ...“, war dessen Antwort. Die zwei Kollegen verdrehten die Augen und gingen ihre Runde weiter. „Der Herr sollte den alten Säufer feuern“, hörte Demian den einen noch sagen, als er neben dem großen Herd eine Nische bemerkte, von der eine Treppe nach unten führte. Er wollte zu gerne wissen, wohin die führte. Zuvor galt es aber, an dem Mann vorbeizukommen. Da es kaum Schatten zum Verstecken gab, war es Demian nicht möglich, sich ungesehen vorbei zu schleichen. Der Prügel würde auch nicht helfen, denn er wäre entdeckt worden, ehe er sich nahe genug an die Wache hätte anschleichen können, um zuzuschlagen. Sein umherschweifender Blick fiel auf ein Regal voller Weinflaschen und ihm kam eine Idee. Lautlos brachte er sich in Position und machte seinen Bogen mit einem Gaspfeil einsatzbereit. Er wartete, bis die Wache ihm den Rücken zuwandte, dann beendete ein gezielter Schuss den monotonen Singsang. Demian steckte den Bogen weg, hievte den schweren Mann auf eine Bank neben dem Ofen und lehnte ihn an die Wand. Dann nahm er einige der Weinflaschen aus dem Regal und platzierte sie so, dass es den Eindruck erweckte, die betrunkene Wache hätte sich auf die Bank gesetzt und wäre eingeschlafen. Nun war der Weg frei und Demian ging vorsichtig die Treppe hinunter. Die Schatten umschlossen ihn keine Sekunde zu früh, denn er hörte schon die Schritte der beiden zurückkehrenden Wachmänner. Sie schöpften durch die Inszenierung mit den Flaschen keinen Verdacht. „Schau ihn dir an. Jetzt pennt er doch.“ „Solange macht er zumindest keinen Unsinn.“ Demian hatte inzwischen das Ende der Treppe erreicht, als er plötzlich Geräusche aus dem Bereich um die Ecke hörte. Ein mehrstimmiges, hohes Fauchen und Zischen. „Das ist doch wohl nicht das, wofür ich es halte?“, murmelte er und folgte den Geräuschen. Er irrte sich nicht. Da stand ein großer Käfig mit Spinnen, zumeist kleine, aber auch ein paar Riesenexemplare. Und die hatten wohl Hunger, denn sie gerieten aus dem Häuschen, als Demian ins Fackellicht trat. Das Gefauche hallte in seinen Ohren, während er den Zettel las, der am Käfig hing. Alfons, wehe du vergisst wieder, meine Lieblinge zu füttern! Es ist mir egal woher du das Futter bekommst, das ist dein Problem. Aber wenn ich noch einmal erfahre, dass du es „vergessen“ hast, wirst du ihr Hauptgang, verstanden? Also mach dich an die Arbeit! L. Der Hausherr hatte einen wirklich originellen Geschmack, was Haustiere anging. „Wie kann man sich diese Viecher nur als Haustiere halten?“ Demian schüttelte den Kopf. Na ja, es konnte ihm auch egal sein. Durch einen schmalen Durchgang neben dem Käfig gelangte er schließlich zu einer großen, schweren Luke. „Hm, das muss der Ausgang sein.“ Er gab die Zahlenfolge ein und betätigte den Schalter an der Wand und der Durchgang war offen. „Jetzt aber nichts wie raus hier.“ Er sah sich um, es war niemand zu sehen, er schloss die Luke wieder und ging eine Weile den Kanal entlang bis er einen Deckel fand. Demian stieg die Leiter hinauf und öffnete vorsichtig den Deckel. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete. Vielleicht stand da eine Stadtwache und wartete schon. Glücklicherweise war aber keine Menschenseele zu sehen oder zu hören, also stieg der Dieb eilig aus dem Kanal und in den nächsten Schatten. Nur eisiger Wind und Schnee erwarteten ihn. Er wartete eine Weile, ob auch alles ruhig war, dann machte sich Demian auf zu Kronos´ Haus, um ihm die Krone zu bringen. Der Hehler war höchst zufrieden und als nach ein bisschen Feilschen ein für beide Seiten annehmbarer Preis entstand, war Demian es auch. „Na dann, bis zum nächsten Auftrag“, verabschiedete sich Kronos grinsend. Der Dieb nickte nur und machte sich auf den Heimweg. Als er gerade unter einer Laterne hindurch huschte, kam eine Patrouille der Stadtwache vorbei, just in dem Moment, als Demian voll im Lichtkegel war. Er hatte sie durch den Lärm, den einige Bettler unweit von ihm schreiend und prügelnd veranstalteten, nicht kommen gehört. Und sie sahen ihn natürlich sofort. „Halt, Du da, was machst Du hier?“ Er wich einige Schritte zurück, die Männer kamen immer näher. Er hatte keine Wahl, als eiligst zu fliehen. „Das ist ein Dieb!“ „Hinterher!“ „Verdammt!“, fluchte Demian und hastete die Straße entlang, die Wachen ihm dicht auf den Fersen und er glaubte schon, ihren keuchenden Atem im Nacken zu spüren. Schnell tastete er nach seiner einzigen Chance, ließ seine Verfolger näher kommen und schleuderte das kleine kugelige Objekt zwischen die Kerle, selbst die Augen schließend. Ein greller Blitz und die Wachen taumelten geblendet und fluchend umher. Demian selbst eilte weiter, bog um ein paar Ecken – und lief einer weiteren Gruppe Stadtwachen beinahe direkt in die Arme. Er konnte gerade noch einen Haken schlagen, um nicht mit ihnen zusammen zu stoßen und rannte so schnell er konnte. ‚Das darf doch nicht wahr sein‘, dachte er dabei. ‚Gleich zwei Patrouillen auf einmal!‘ Die Männer stürmten hinter ihm her. „Na warte, Dieb!“ „Wir kriegen dich!“ Demian blieb nicht stehen, die gezückten Schwerter wollte er nicht kennen lernen. Außerdem war er allein, sie waren zu viert. Demian hatte jetzt keine Blitzbombe mehr, die hatte er ja der ersten Patrouille vor die Füße geworfen. Er musste schnell handeln, wenn er entkommen wollte. Da sah er einige aufgestapelte Kisten unter der Feuerleiter eines baufälligen Hauses. Ohne zu zögern kletterte er auf die Kisten, ergriff die Leiter und zog sich nach oben. „Verflucht!“, hörte er die Männer zetern. Einer von ihnen kam ihm selbst hier noch hinterher. Er war nur wenige Jahre älter als er selbst. Schon stand dieser Demian auf der schmalen und - wie dieser erst jetzt bemerkte - sehr maroden Metallgang Mann gegen Mann gegenüber. Demian wich zurück. „Los bring ihn zur Strecke!“, riefen seine Kameraden hinauf während sie versuchten, die mit Brettern vernagelte Tür aufzubekommen, um ihm den Weg im Haus abzuschneiden. Der junge Wachmann richte drohend sein Schwert gegen ihn. Der junge Dieb zögerte, dann fuhr seine Hand zum Dolch, aber er kam nicht dazu, selbigen zu ziehen, denn plötzlich hörte man ein Klirren und knacken. Die Belastung der beiden Kontrahenten war zu viel für den alten Gang. Quietschend begannen sich die verrosteten Metallbolzen des Ganges zu lösen, und er senkte sich bedrohlich ab. Während sich Demian und der Wachmann noch mühten, ihr Gleichgewicht zu halten, bog sich der Gang immer weiter nach unten. Da machte Demians Verfolger einen unbedachten Schritt und der Metallgang löste sich zum Teil von der Wand ab. Demian konnte sich gerade noch an dem verankerten Teil festhalten, der junge Wachmann verlor jedoch das Gleichgewicht und rutschte mit einem Aufschrei nach unten. Verzweifelt klammerte der Wachmann sich an das Gitter, doch lange würde er das wohl nicht aushalten können. Seine Kameraden standen starr vor Schreck. Einen Moment lang sahen sich beide in die Augen. Da tat Demian etwas, was keiner der Wachmänner je für möglich gehalten hätte: Bevor der junge Wachmann abstürzte, ergriff Demian seinen Arm und hielt ihn fest. Dieser griff in seiner Angst ebenfalls nach diesem „Strohhalm“. Wenn er selbst keinen anderen Halt fand, war es trotzdem nur eine Frage der Zeit, bis den Meisterdieb auch die Kräfte verlassen würden. Seinen Kameraden wagten es nicht, sich zu bewegen. Demian hielt sich an einer Metallstange fest und versuchte, den Mann nach oben zu ziehen. Er hatte es fast geschafft, als das Metall der Belastung endgültig nachgab. Beide rutschten nach unten, Demian konnte sich gerade noch an die Stange klammern und sich dabei mit den Füßen auf einem Sims abstützen. Der Arm des Wachmannes rutschte aber aus seiner Hand und es kam wie es kommen musste. Er versuchte noch, ihn wieder zu packen, aber zu spät, der Mann rutschte vollends ab und stürzte in die Tiefe, wo er reglos liegen blieb. Bestürzt und geschockt standen die anderen Wachmänner da, dann sahen sie ungläubig hinauf zu Demian, dem es gelungen war, auf den Sims zu klettern und der nun seinerseits entsetzt nach unten blickte. Dann wandten sie sich ihrem Kameraden zu, ohne sich weiter um ihn zu kümmern. Demian konnte nichts mehr tun. Durch eine Luke stieg er in einen Dachboden hinunter, wo ein Fenster offen stand. Mit Hilfe seines Seilpfeils gelangte er schließlich auf die Straße hinter dem Gebäude, blickte sich rasch um und verschwand dann in die Dunkelheit, den schnellsten Weg nach Hause einschlagend. Kapitel 5: Schuld und Sühne --------------------------- Aber er war nicht unbeobachtet geblieben. Verborgen im Schatten eines Hauseingangs stand jemand, der alles mit angesehen hatte. Atemlos hatte dieser Jemand das folgende Drama verfolgt und sich dann aufgewühlt nach Hause begeben. Demian selbst machte, dass er heimkam. Dabei lief er seinem Vermieter über den Weg. Dieser warf ihm ob seines Gesichtsausdrucks einen fragenden Blick zu, sagte aber nichts. Der Dieb ignorierte ihn ohnehin und ging stumm in seine Kammer. Er schürte das Kaminfeuer und legte sich dann ins Bett. Demian wollte nur noch schlafen und vergessen, aber er fand keine Ruhe. Immer wieder hatte er das Bild des Mannes, wie er reglos auf der Straße lag, vor Augen. Er war nun wirklich kein Sensibelchen, aber das war sogar für ihn zu viel. Demian seufzte. Der Wachmann konnte diesen Sturz unmöglich überlebt haben, dessen war er sich sicher. Und nun fühlte er sich schuldig. Wenn er doch nur ein oder zwei Blitzbomben mehr dabei gehabt hätte, wäre außer kurzzeitigem Verlust der Sehkraft nichts passiert. Am nächsten Morgen, nach diesem Erlebnis und ein paar Stunden unruhigen, von Alpträumen heimgesuchten Schlafs, musste sich Demian erst mal wieder beruhigen und machte sich auf den Weg durch die Stadt und zu einem geheimen Durchgang in der Stadtmauer, den er vor längerer Zeit zufällig entdeckt hatte. Das Stadttor konnte er ja nicht nehmen, dieses wurde Tag und Nacht strengstens bewacht. Er hatte ein ganz bestimmtes Ziel, das er immer dann aufsuchte, wenn er mit sich selbst nicht im Reinen war. Er war immer noch so aufgewühlt und mit sich selbst beschäftigt, dass er gar nicht richtig auf den Weg achtete. Als er, auf die Straße blickend, um eine Ecke bog, prallte er mit einem Handwerker zusammen. „He du Dummkopf! Hast du keine Augen im Kopf?“ „Tut... mir leid!“ „Pha!“, kam es von dem Mann, als er schnell weiter ging. ‚Ich muss besser aufpassen‘, ermahnte er sich. Aber noch während ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging und er sich nach dem immer noch fluchendem Mann umsah, übersah er zwei Stadtwachen, die direkt auf ihn zu kamen. Erst kurz vor einem Zusammenstoß bemerkte er sie und schlug schnell einen Haken. „Hey du Kerl, stehn geblieben!“ Er eilte davon, die beiden hinterher, aber er war um einiges schneller als sie. Im Gewirr der Gassen verloren sie seine Spur, fluchten, suchten und gaben dann auf. Demian atmete tief durch. Er musste sich zusammen reißen, sonst kam er nicht lebend dort an, wo er hin wollte. Endlich war er am Stadttor angekommen und wollte sich gerade in einem unbeobachteten Moment durch den Durchgang zwängen, als er lauschend inne hielt: „Hast du auch von dem Wachmann gestern Nacht gehört?“ „Was ist denn passiert?“ „Er hat mit ein paar Kameraden einen flüchtenden Kriminellen verfolgt, sogar bis auf ein Dach ist er ihm nach geklettert. Dann ist der Gang abgebrochen und unser entfernter Kollege ist in die Tiefe gestürzt. Man brachte ihn noch zu einem Arzt, aber er war zu schwer am Kopf verletzt und starb kurz darauf.“ „WAS?? Wie denn abgebrochen?“ „Na ja, das Haus ist sehr baufällig und alt. Aber das Beste kommt ja noch.“ „Rede schon!“ „Die anderen Kameraden sagten dem Sheriff, der Kerl hat versucht ihrem Kollegen zu helfen! Er hätte ihn festgehalten und wollte ihn wieder hoch ziehen, aber als der Gang ganz abbrach, konnte er ihn nicht mehr festhalten und er stürzte ab.“ Demian ballte die Fäuste. Er hatte also wirklich nicht überlebt. Der Wachmann sah seinen Kumpel ungläubig an und schüttelte immer wieder den Kopf. „Ist das wahr? Hat dieser Verbrecher wirklich versucht unserem Kameraden zu helfen? Ich kann es nicht glauben, so was tut doch kein Krimineller, der von uns verfolgt wird!“ „Eben, dass würde ich ehrlich gesagt auch nicht tun. Der Sheriff hat denen sogar mit der Prügelstrafe gedroht, wenn sie nicht die Wahrheit sagen. Aber sie haben Stein und Bein geschworen, dass es stimmte, sie hatten es ja mit eigenen Augen gesehen.“ „Ich würde zu gerne wissen, wer das wohl war. Unser Kollege tut mir leid, der war doch noch so jung!“„Ja mir tut er auch leid und er hatte gerade eine Familie gegründet. Nun steht seine Frau mit einem Säugling alleine und fast mittellos da.“ „Oh je! Ist denn das Begräbnis schon geplant?“ „Aber sicher doch, so eine Frage! In drei Tagen auf dem Armenfriedhof.“ „Armenfriedhof? Aber...“ „Ja ja. Als Mitglied der Stadtwache wäre eigentlich ein Grab auf dem Beamtenfriedhof angemessen. Aber selbst für den niedrigen Rang, den der Bursche noch hatte, ist das nicht gerade billig und seine Witwe hat nicht genug Geld für eine solche Bestattung. Sie muss schließlich die Miete bezahlen und so weiter.“ Das Gespräch ging noch weiter, aber Demian hatte genug gehört (oder wollte er nichts mehr hören?), er benutzte den Gang und gelangte so aus der Stadt. Sein Weg führte ihn außerhalb der Stadtgrenzen durch eine weiße Landschaft, bis hin zu einem kleinen Wäldchen. Er ging zwischen den schneebedeckten Tannen hindurch bis zu einem einsam gelegenen Weiher, um dort wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Demian erinnerte sich: Wenn sein alter Meister an etwas zu knabbern hatte, war auch er immer hierher gekommen und hatte ihm diesen Ort später mal gezeigt. Jetzt saß er gedankenverloren auf einem Stein und blickte auf die gefrorene Oberfläche des Sees, die wie ein Spiegel glänzte. ‚Es ist nicht meine Schuld‘, versuchte er sich zu sagen. ‚Niemand konnte doch damit rechnen, dass so etwas passiert, auch ich nicht.‘ Trotzdem wurde er dieses Schuldgefühl nicht los. Es war zum verrückt werden. Demian schüttelte den Kopf. ‚Verdammt, jetzt reiß dich endlich zusammen!‘, schalt er sich selbst. ‚Du kannst was geschehen ist, nicht mehr ändern!‘ Da erinnerte er sich an eine Geschichte, die ihm Merlin einst erzählt hatte. Dieser hatte eine ähnliche Situation durchmachen müssen. Damals war auch er vor einer Wache geflüchtet, er hatte sich verstecken können, aber der Wachmann lief einigen Mitgliedern der Diebsgilde in die Arme, die ihn kurzerhand geradezu abgeschlachtet hatten. Merlin hatte tatenlos zugesehen und sich ebenso schuldig gefühlt, wie Demian jetzt. Er hatte es aber überwunden, weil er sich gesagt hatte, dass er es ohnehin nicht hätte verhindern können. Eher hätte es ihn selber auch erwischt. „Es war schwer“, hörte Demian ihn wieder sagen. „Aber letztendlich konnte ich es schnell vergessen. Außerdem kann niemand die Zukunft vorher sagen. Es hätte den Mann genauso an einem anderen Tag erwischen können. Abgesehen davon hörte ich kurz danach, dass die Kerle verhaftet und hingerichtet wurden.“ „Dann habt Ihr nicht mehr darüber nachgedacht?“, hatte Demian gefragt. „Nein. Es hätte sich nicht gelohnt. Du darfst auch niemals alles zu persönlich nehmen, mein Junge. Daran ist schon so mancher zerbrochen.“ ‚Es tut mir leid für den Mann, aber ich kann es nicht rückgängig machen‘, dachte er. ‚Ich hoffe, er hat Frieden gefunden.‘ Sein eigener Seelenfrieden war aber nicht so einfach wiederhergestellt. Er konnte nicht so schnell vergessen wie einst sein Mentor. Durch das still sitzen begann er zu frieren und rieb sich die Hände, das half aber nichts und so lief er ziellos umher. Da fiel ihm plötzlich jemand ein, der wohl genauso wenig Frieden hatte, wie er selbst. Ihm kam ein Gedanke und er schüttelte den Kopf. Nein, das konnte er nicht machen. Sie würde ihm, dem Dieb, doch kein Wort glauben, würde ihn verdammen, ihn der Stadtwache ausliefern... Aber je mehr er darüber nachdachte, umso mehr nahm das Vorhaben Gestalt an. Schließlich stand sein Entschluss fest und er wandte sich um und kehrte in die Stadt zurück. Als er das Tor passierte, unterhielten sich, nach den ersten Wörtern die Demian vernahm zu urteilen, die beiden Wachen immer noch über den Vorfall. Andere Wachmänner und auch ein paar Bürger waren neugierig hinzu getreten. „Ich kenne seine Witwe sehr gut“, meldete sich ein dicker Wachmann zu Wort. „Sie wohnt bei den Docks, in einer dieser Baracken, gegenüber der alten Spelunke da, „Leuchtturm“ oder wie die hieß. Man erkennt diese Bude gleich, sie hat immer eine weiße Christrose im Fenster stehen. Eigentlich wollten sie sich bald eine größere Wohnung im östlichen Viertel nehmen“, erzählte er weiter. „Aber nun, wo sie kaum Geld hat, da sie wegen des Kindes nicht arbeiten kann, kann sie den Umzug vergessen. Sie tut mir leid.“ Diese Information kam Demian gerade recht. Als er wieder Zu hause angekommen war, holte er seine gesamten Ersparnisse aus seinem kleinen Versteck und zählte. Am Ende kam eine hübsche Summe zusammen. Einen Teil behielt er für seine eigenen Ausgaben. Der Rest wanderte zusammen mit einem kurzen Brief in einen Beutel und er machte sich auf den Weg zu den Docks. Es roch nach salziger Seeluft und Fisch. Als Demian den Hafen erreichte, war soeben ein großes Frachtschiff eingetroffen und die Waren wurden verladen. Zu beneiden waren die Arbeiter hier wahrlich nicht, die Arbeit war hart und wurde nicht gerade üppig bezahlt. Die meisten Wachen hatten ihre Aufmerksamkeit zum Schiff gerichtet und bewachten die Verladung. Es musste sich um also um sehr kostbare Fracht handeln. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Demian das ausgenutzt, um sich das ein oder andere wertvolle Stück zu sichern. Aber er hatte im Moment etwas wichtigeres zu tun. Der Dieb hielt nach den Baracken der Arbeiter und Tagelöhner Ausschau. Eigentlich seltsam, dass ein Mitglied der Stadtwache hier gewohnt hatte. Er musste also noch nicht lange in deren Diensten gewesen sein. Nach dem was er gehört hatte, hatte die Familie aber umziehen wollen, in ein besseres Stadtviertel. Nun kam es ihm vor, dass er das junge Glück zerstört hatte. Er seufzte und wünschte sich, die Zeit zurück drehen zu können. Er besah sich die Fenster der Behausungen. Und wirklich, in der dritten stand innen auf dem Fensterbrett eine weiße Christrose in voller Blüte. Die Schönheit der Blume stand im krassen Gegensatz zu dem schwarzen Trauerflor an der Tür. Ein schwaches Licht strahlte aus dem Raum dahinter. Er ging langsam heran bis er schließlich an der Bretterwand neben dem Fenster stand und spähte vorsichtig in den Raum hinein. Es war niemand zu sehen, aber im Nebenzimmer erhaschten seine Augen eine Bewegung. Eine Gestalt, undeutlich durch die beschlagenen Scheiben zu erkennen. Ein Geräusch hinter sich ließ ihn zusammen zucken und er huschte um die Hausecke. Eine Frau klopfte an die Haustür. Die Tür wurde geöffnet und eine warme, melodische Frauenstimme erklang. „Was wollt Ihr? Ach Ihr seid es.“ „Ich bringe die Decke, die ich für Euch genäht hatte.“ „Oh, vielen Dank.“ „Mein Beileid für euren verstorbenen Mann. Es muss furchtbar für Euch sein!“ Sie antwortete nicht, Demian hörte nur ein Seufzen. Dann das Geräusch klimpernder Münzen. „Mehr kann ich Euch leider nicht bezahlen“, sagte die Witwe schüchtern, als fürchtete sie, die Frau könnte die Decke wieder mitnehmen, weil sie mehr kostete. „Das macht nichts. Wenn Ihr noch etwas braucht, dann fragt mich ruhig.“ „Danke.“ Die Näherin ging ihres Weges und Demian entspannte sich wieder und schaute weiter durch das Fenster, in der Hoffnung, sie zu Gesicht zu bekommen. Aber sie blieb im Nebenraum. Schließlich legte er den Beutel auf das Fensterbrett und klopfte ein paar mal deutlich an die Scheibe. Er kam aber nicht mehr dazu, zu beobachten, ob sie öffnete oder nicht, denn auf einmal war da eine Stimme hinter ihm. „Sieh mal an, wen haben wir denn da?“ Demian fuhr herum und sah Stich, der hinter ihm stand, die Arme verschränkt. „Lässt du dich neuerdings auf mickrige Baracken hinab, mit denen nicht mal wir unsere Zeit verschwenden? Oder hat der ach so gute Meisterdieb etwa keine Aufträge mehr?“ Demian wich ohne zu antworten von den Baracken weg. Er wollte nicht, dass die Witwe, sollte sie doch noch aus dem Fenster sehen und ihn noch erblicken, etwas von der zweifellos folgenden Auseinandersetzung mitbekam. Wortlos wollte er an Stich vorbei gehen, aber der packte ihm am Arm. „Etwa Angst vor mir?“ „Bestimmt nicht!“ Er riss sich wieder los. „Was versuchst du dann abzuhauen?“ „Weil ich keine Lust habe, mit dir zu reden! Lass mich in Ruhe!“ Stich knurrte, packte ihn plötzlich am Kragen, drückte ihn gegen die nächste Hauswand und hielt ihm seinen Dolch an die Kehle. Und er war der körperlich weit stärkere. „Wer sagt denn, dass ich mit dir reden wollte? Du willst doch sowieso nicht zu uns, egal welche Angebote dir Aker macht! Ehrlich gesagt, ist mir das nur recht.“ Er begann böse zu lachen. „Ich konnte dich schon nicht ausstehen, als ich dich das erste Mal sah! Weißt du was? Ich habe eine Idee. Wir können unsere Differenzen auf einen Schlag beilegen. Denn ich werde dich gleich hier und jetzt ins Reich des Schöpfers schicken! Was sagst du dazu?“ Er grinste und drückte den kalten Stahl stärker an Demians Hals.„ “Tu dir keinen Zwang an“,“ antwortete dieser gepresst. “„Du kannst mich jetzt hier umbringen, aber sei dir sicher, du bist mit mir dran! Sieh mal nach unten!““ Jetzt erst bemerkte Stich, dass auch Demian den Dolch gezogen hatte und ihn an seinem Bauch hielt. „„Na was ist, Stich? Wer sticht zuerst zu?““ „„Du elender Bastard!““ Stich kochte vor Wut, weil Demian sich selbst mit Dolch an der Kehle nicht von ihm einschüchtern ließ und es sogar noch geschafft hatte, ihn in seine eigene Position zu bringen. Demian würde sich nicht scheuen, seinerseits im selben Augenblick wie er zuzustechen. Er knirschte mit den Zähnen. „Hör mir jetzt gut zu, Demian“, sagte er dann und überraschte diesen, weil er ihn sonst nie direkt beim Namen nannte. „Ich lasse dich dieses eine Mal noch laufen. Wenn du mir aber noch ein einziges Mal in die Quere kommst, ist es mir völlig egal, ob mir jemand zusieht oder nicht! Und es ist mir auch egal, das Aker dich immer noch lebend will! Ich werde dich töten, das ist ein Versprechen, hast du mich verstanden?“ Er ließ Demian los, dafür holte er plötzlich mit seinem Dolch aus. Der junge Dieb unterdrückte einen Aufschrei und taumelte zurück. Blut quoll aus einer Schnittwunde in der linken Wange. „Das war ein Vorgeschmack“, sagte Stich gelassen. „Das wird dich an mein Versprechen erinnern.“ Damit steckte er lachend den noch blutigen Dolch weg, drehte sich um und verschwand um die nächste Hausecke. Demian biss sich auf die Lippen, zog sich einen Handschuh aus und presste ihn notdürftig auf die schmerzende Wunde, während er sich auf den Heimweg machte. Er würde die nächsten drei Tage abwarten und dann zum Friedhof gehen. Dort würde sich dann zeigen, ob der Inhalt des Beutels seinen Zweck erfüllt hatte. Zuhause angekommen, warf er zunächst den blutigen Handschuh auf einen kleinen Kleiderhaufen, die er ohnehin noch heute waschen wollte. Die Blutung hatte zum Glück aufgehört und die Wunde war zu seiner Erleichterung nicht sehr tief. Er wusch sein Gesicht vorsichtig ab. Dieser Zwischenfall hatte seine Laune an den Tiefpunkt gebracht und er schnaubte zornig. Demian hasste diesen Kerl wirklich. 'Wäre ich zur Gilde über gewechselt, es hätte zwischen Stich und mir wohl Krieg gegeben, den über kurz oder lang nur einer von uns überlebt hätte', dachte er sich. Sein Blick fiel auf eine Flasche Wein. Genau das, was er jetzt brauchte, in seinem Kopf ging irgendwie alles durcheinander, er war frustriert, zornig und traurig zugleich. Betrinken wollte er sich nicht, er wollte nur etwas Ordnung in seine Gedanken bringen. Er seufzte fast zufrieden, als der Alkohol eine wohlige Wärme durch seine Glieder sandte. Als er sich einen zweiten Becher einschenkte, blitzte plötzlich ein Bild vor ihm auf. Langes braunes Haar, grüne Katzenaugen... er erinnerte sich an das Mädchen in Arthurs Kneipe. Es war seine Nichte, hatte er gesagt, ihren Namen hatte er aber vergessen. Vielleicht fiel es ihm ja später wieder ein. Demian trank den Becher aus, verschloss die Flasche wieder und nahm einen großen hölzernen Wassereimer. Dann ging er leise die Treppe nach unten. Im Erdgeschoss des Hauses gab es eine Hintertür, die zu einem winzigen Hinterhof führte. Dort stand ein Brunnen, aus dem er sich jetzt den Eimer füllte, zurück in seine Kammer trug und auf den Tisch stellte. Er schürte das Feuer neu, machte das Wasser heiß und kramte in einem der kleinen Schränkchen nach der Seife, damit er die Kleidungsstücke waschen konnte. Irgendjemanden hatte Demian irgendwann einmal sagen hören, Wäsche zu waschen sei reine Frauenarbeit und er lachte leise. Nun, er hatte keine Frau, also musste er es selbst tun. Er achtete auf seinen Körper, saubere Kleidung und mindestens ein wöchentliches Bad waren für ihn selbstverständlich. Er ließ sich Zeit und soviel war es ja auch wieder nicht. Eins nach dem anderen hängte er die Teile zum Trocknen über die nahe an den Kamin geschobenen Stühle. Als er fertig war, kippte er das Wasser im Hinterhof aus und merkte, dass ihm der Magen ziemlich knurrte. Kein Wunder, es war längst Mittag und er hatte an diesem Tag noch gar nichts gegessen. Er öffnete den zweiten Schrank mit den Lebensmitteln und entschied sich schließlich für den Räucherfisch und ein paar Kartoffeln und Karotten, die er sich schälte und in einem kleinen Kessel über dem Kaminfeuer garte. Wieder musste er an das Wort „Frauenarbeit“ denken. Männer, die eine Ehefrau hatten, erwarteten von dieser ganz selbstverständlich einen gedeckten Tisch, wenn sie nach Hause kamen. Er war auf sich allein gestellt und hatte gelernt, sich auch größere Mahlzeiten ohne große Mühe selbst zuzubereiten. Die besagten nächsten Tage verbrachte er mit größtenteils unwichtigen Dingen. Am zweiten Tag begab er sich bereits einmal zum Friedhof, in den Teil, wo die Beamten der Stadt, dazu gehörten auch die Stadtwachen, bestattet wurden. Er hörte das Geräusch einer Schaufel. Der Totengräber war gerade dabei ein Grab auszuheben. War es für die Person, auf die er sozusagen wartete? Er tat so, als wäre er ein Hinterbliebener irgendeines dort Begrabenen und fragte den Mann, wer denn bestattet werden sollte. Sein Verdacht wurde bestätigt. Schon einen Tag eher als ursprünglich geplant, sollte der junge Wachmann hier seine letzte Ruhe finden. Die Witwe hatte einen anonymen Brief und einen Beutel mit Geld erhalten, das nun für ein angemessenes Begräbnis sorgen würde. Er dankte dem Mann und ging wieder nach Hause. Am nächsten Tag machte Demian sich frühmorgens zum Friedhof auf. Er wollte der Erste sein und sich ein sicheres Plätzchen suchen um die Beerdigung heimlich zu verfolgen. Er blieb schließlich hinter einer sehr großen Eiche mit mächtigem Stamm in unmittelbarer Nähe des Grabes stehen und wartete. Von diesem Standpunkt aus hatte er eine gute Übersicht, ohne selbst gesehen zu werden. Nach einer Weile erklangen viele Schritte. Der Sheriff persönlich führte zusammen mit einem Priester den Leichenzug an. Sechs Wachmänner trugen den Sarg. Aber Demian hatte nur Augen für die Person, die hinter dem Sarg ging. Jetzt sah er sie erstmals. Eine sehr hübsche, zierlich gebaute Frau, mit langem schwarzen Haar. Ganz allein bis auf das kleine Bündel, dass sie neben einem großen Strauß Blumen in den Armen trug und aus dem ein leises Wimmern drang. In schwarz gekleidet, ging sie schweigend den Weg bis zum ausgehobenen Grab entlang. Anscheinend waren sie und das Kind die einzigen Angehörigen, denn sonst sah er außer den Wachen niemanden. Der Priester sprach ein Gebet, in das alle mit einstimmten. „So komme denn seine Seele ins Reich des Schöpfers, auf dass er in ewigem Frieden ruhe.“, schloss der Priester und alle antworteten: „So sei es! Gelobt sei der Schöpfer!“ Langsam wurde der Sarg in die Erde gelassen, der Totengräber trat mit seiner Schaufel heran, um das Grab zu zuschütten. Nachdem sich der Sheriff und seine Männer noch von der Witwe verabschiedet hatten, stand sie da, ihm den Rücken zu gewandt, den Kopf gesenkt und hielt ihr Kind fest im Arm. Demian hörte unterdrücktes Schluchzen. Der Totengräber beendete seine Arbeit, nickte ihr zu und ging ebenfalls. Nun stand sie allein davor und legte den Blumenstrauß auf die frisch aufgehäufte Erde. Für einen Moment hatte Demian den Drang, sich ihr zu offenbaren, ließ es aber bleiben. Er stand weiter still hinter dem Baum und beobachtete die Frau, die eine leise Zwiesprache mit dem Toten führte. Er hörte zwar ihre Stimme, verstand aber kein Wort. Er seufzte leise und hatte plötzlich das Bedürfnis, dasselbe zu tun. Er konnte ohnehin nichts weiter für sie tun. Er wünschte ihr im Stillen, dass sie irgendwann wieder glücklich werden würde, drehte sich um und entfernte sich in Richtung Armenfriedhof. Der Schnee knirschte leise unter seinen Stiefeln. Der Armenfriedhof war vollkommen still. Die Gräber hier hatten keine Grabsteine. Nur Erdhügel ohne Schmuck. Demian wusste dennoch genau, wohin er sich wenden musste. Er hatte einen bestimmten Hügel unter einer großen Buche mit einigen Steinen so markiert, dass er sich deutlich von den anderen unterschied. Hier ruhte sein Ziehvater Merlin in der kalten Erde. Als sich damals die Kunde seines Todes verbreitet hatte, waren nicht wenige froh gewesen, den Meister unter den Dieben los geworden zu sein. Normalerweise hätte ein Verbrecher keinen Platz auf dem Friedhof erhalten, sondern man hätte seinen Körper verbrannt und die Asche ins Wasser gestreut oder ihn irgendwo verscharrt. Und dieser Gedanke war für den jungen Dieb in seiner Trauer damals unerträglich gewesen. Demian war es gelungen, den verantwortlichen Totengräber ausfindig zu machen. Und der war gegen eine Stange Geld bereit gewesen, Merlin doch auf den Friedhof zu begraben, ohne seinen Vorgesetzten etwas davon zu sagen. Demian war noch heute sehr froh darüber. So hatte er einen Ort, an dem er sich an Merlin erinnern konnte. Er hockte sich hin und strich den Schnee von den Steinen. Irgendwie war ihm nach weinen zumute, er wusste nicht, warum und kämpfte dagegen an. Es war lange her, dass er sich nicht mehr hatte beherrschen können und das war bei Merlin´s Tod gewesen. Er schloss die Augen und dachte an dessen letzte Worte... „Ich bitte dich nur um eines, Demian. Bewahre dir dein ehrliches Herz, bleibe so wie du bist und ändere dich nicht.“ „Das werde ich. Ich verspreche es.“ „Darüber bin ich sehr froh.“ Merlin schoss mit einem Seufzer die Augen. Ein paar Mal noch hob und senkte sich seine Brust, dann nicht mehr. Vergeblich wartete Demian auf ein Lebenszeichen. „Nein... Merlin...“ Lautlos fielen Tropfen auf seine zu Fäusten geballten Hände. Alles, was Demian jetzt empfand, war Schmerz und Trauer. Um den einzigen Menschen, der ihm je etwas bedeutet hatte. Merlin war wie ein Vater zu ihm gewesen. Nun war er wieder allein. Er fühlte sich völlig verlassen und mutlos. Wie sollte es nun weitergehen? Sollte er aufgeben? Aber dann würde er in der Gosse und früher oder später in einem anonymen Grab enden. Die Diebesgilde zog er gar nicht in Betracht. Mit diesen brutalen Kerlen wollte er nichts zu tun haben. Er wäre dort zwar nicht mehr allein, würde aber für den Rest seines Lebens unter Akers Fuchtel stehen. Und das war das allerletzte, was er wollte. Ihm war seine Unabhängigkeit wichtiger. Eine Weile überlegte Demian, sich eine andere Arbeit zu suchen. Aber die meisten wollten wissen, was er zuvor gemacht hatte. Und wenn sie erfuhren, dass er ein Dieb gewesen war, würden sie ihn sofort von der Tür weisen. Oder ihn gleich zu den Stadtwachen schleppen. So blieb ihm keine andere Wahl, als weiter als einzelgängerischer Dieb zu leben. Was sein „Vater“ geschafft hatte, konnte er auch schaffen. Nein, er würde jetzt nicht das Handtuch werfen. Keinesfalls. Das war er Merlin schuldig. Entschlossen fuhr Demian sich über die noch immer nassen Augen. Es war das letzte Mal, dass er sich diese Schwäche erlaubte. Demian atmete tief durch. Seine Augen waren trocken, als er sie wieder öffnete. Kapitel 6: Ein kühner Plan -------------------------- Eine große Last war von seinen Schultern gefallen, als er den Friedhof durch das südliche Tor verließ. Jetzt endlich konnte er sich darauf konzentrieren, den betrügerischen Auftraggeber zu finden und sich seinen Lohn zu holen. Dafür musste sich Demian seine Ausrüstung wohlüberlegt zusammenstellen, da er nicht wusste, welche Maßnahmen der Lord gegen unerwünschte Besucher getroffen hatte. Besonders, da Demian sich sicher war, dass Ashfield mit einem Besuch seinerseits rechnete. Blake hatte seinen Herrn sicher gewarnt. „Ach, sieh an, unser kleiner Meisterdieb“, begrüßte ihn Anna, die Waffenhändlerin. So nannte sie Demian immer, wenn er sie aufsuchte. Der Dieb verdrehte die Augen, sagte aber nichts. Anna konnte es einfach nicht lassen, ihn „Kleiner“ zu nennen. „Na dann, bedien dich.“ Er nickte nur und sah sich ihre Waren genau an. Nach einer Weile legte er, neben Blitzbomben und Wasserpfeifen, ein paar Gaspfeile und –minen auf den Ladentisch. „Du willst wohl auf Nummer sicher gehen, wie? Ich wüsste doch zu gerne, was du vorhast.“, flötete Anna kichernd. „Das wirst du vielleicht noch früh genug erfahren“, antwortete Demian lächelnd. „Du weißt doch, Besuche unsereins sprechen sich immer schnell herum.“ „Ja, besonders die deinen.“ Sie lachte. Nachdem sie beide sich auf einen Preis geeinigt hatten, verließ Demian den Laden. Während er die Gasse entlang ging, die zur Hauptstraße führte, überlegte er wie er sich Informationen beschaffen konnte. Königsstraße und ein „A“ als Anfangsbuchstabe des Lords. Das waren seine einzigen Hinweise. Er blieb stehen, dachte einen Moment nach und wandte sich dann nach Westen. Bei Tageslicht gab es nicht sehr viele schattige Stellen, also nahm er die berühmte Straße der Diebe: die Dächer. Bald war er am Tor, dass zum Adelsviertel führte angelangt und sprang vom Dach, zunächst aber auf einen hohen Kistenstapel und nicht gleich auf die Straße. Da standen zwei Stadtwachen, die aufgeregt gestikulierend miteinander sprachen. Erst leise, dann wurden sie immer lauter, sie stritten sich, wer von ihnen der bessere Wachmann sei. Alles endete in einer wilden Prügelei der beiden Streithähne. Mehrere andere Passanten beobachteten alles amüsiert, bis ein dritter Wachmann einschritt, der Brustharnisch wies ihn als einen höherangigen Offizier aus. Der Dieb nutzte das Durcheinander aus, um auf die Straße zu kommen und unbemerkt das Tor zu passieren. Dort ging er sehr vorsichtig durch die Straßen, auf der Suche nach dieser Königsstraße. Als er sie gefunden hatte, war das schon die halbe Miete. Mehrere Villen standen in Reihe und Glied, getrennt durch ausladene Gartenanlagen und Mauern. Dann sah er bei einem der Eingangstore ein Symbol, kam näher heran und erkannte den Buchstaben „A“. „Hmm...“ Das Tor stand offen und er versteckte sich in einer dunklen Ecke, hörte das Geräusch von Pferdehufen, dann kam aus dem Anwesen ein Wagen mit mehreren Kisten. Der Kutscher drehte sich noch einmal um und rief einen Gruß, die Stimme, die antwortete, kam ihm sehr bekannt vor. Das war Blake´s Stimme gewesen. Dann fuhr der Wagen in Richtung des Handwerkerviertels davon. Das Tor blieb weiter offen und Demian blickte vorsichtig um die Ecke in den Hof, sah einen Mann mit dem Rücken zu ihm vor drei Dienern stehen und hörte dieselbe Stimme sagen, dass auf eine Weinlieferung gewartet werden sollte. Er sah genauer hin, nein er hatte sich nicht getäuscht. Dieser Mann war Blake. Auch den Dienstgrad hatte er wohl richtig eingeschätzt, denn die anderen Wachmänner und die Diener begrüßten ihn stets nicht nur respektvoll, sondern geradezu unterwürfig. Er trug die Nase ziemlich hoch. Jetzt kam ein Mann aus dem Haus, beladen mit einer Kiste. Blake drehte sich um und fing an, böse zu grinsen und Demian ahnte, dass er nichts Gutes im Schilde führte. Der junge Dieb wurde unsichtbarer Zeuge, wie er den Diener scheinbar grundlos aufs Übelste beleidigte, ihm die Kiste aus den Händen und schließlich den Mann selbst auch mehrmals mit den Fäusten zu Boden schlug. Und niemand von den anderen Wachen hinderte ihn daran. Der arme Kerl tat Demian leid und er fühlte Zorn in sich aufsteigen. Blake würde noch sein blaues Wunder erleben. Der Diener, als Blake sich lachend abgewandt hatte und ins Haus gegangen war, kam wieder auf die Füße. Er kümmerte sich nicht um die immer noch auf dem Boden liegende Kiste, sondern eilte fluchtartig aus dem Anwesen und an dem im Schatten verborgenen Dieb vorbei. Sein Gesicht verriet eine Mischung aus Angst, Trotz und Wut. Demian konnte sich denken, wohin er unterwegs war. Oftmals fand man diese Leute in den Kneipen, wo sie ihren Frust über ihre Herrschaft oder unliebsame Kollegen loswerden konnten. Auch in Arthurs Kneipe hatte er schon Gespräche mitbekommen, wie sich Diener oder auch Wachmänner gegenseitig ihr Leid klagten. Gegen ein paar Goldstücke sagten viele von ihnen einem alles, schon aus dem Gedanken der kleinen persönlichen Rache heraus. Gedacht, getan und Demian folgte dem Mann in gebührendem Abstand. Seine Vermutung stimmte. Es war eine zeimlich herunter gekommene Kneipe, die den Eindruck machte, bald zusammenzubrechen, auf die der Diener zusteuerte. Der Mann wollte gerade eintreten, als er von einem anderen angesprochen wurde, sie kannten sich wohl. Beide gingen hinein. Als der Dieb nach einer Weile ebenfalls eintrat und sich umsah, entdeckte er den gepeinigten Diener, der wie ein Häufchen Elend an einem Tisch saß. Sein Gegenüber redete auf ihn ein. Demian kam langsam näher und hörte das Wort „Blake“ heraus. Er setzte sich an einen freien Tisch daneben und gab sich scheinbar desinteressiert, spitzte aber die Ohren. „Warum suchst du dir dann nicht eine andere Anstellung?“ „Ich ... ich weiß nicht ...“ „Komm schon, Tom! Wenn dieser Bastard dich nicht in Ruhe lässt, dann geh!“ „Und wie soll ich das dem Lord erklären? Den interessieren unsere Belange nicht. Hauptsache, wir machen, was er will.“ „Du musst dir doch nicht alles gefallen lassen! Dieser Lord Ashfield hat ohnehin mehr Leute, als er brauchen kann.“ „Du meinst wirklich ich soll ...“ „Ja! Kündige! Oder willst du lieber, dass dieser Blake dich solange fertig macht, bis du zusammenbrichst?“ „Nein!“ „Na, also!“ Das war höchst interessant. Lord Ashfield also. Und seinen Boten Blake hatte er selbst gesehen. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr über die Identität seines betrügerischen Auftraggebers. Wenn er es klug anstellte, dann konnte er von diesem Mann alles erfahren, was er wissen musste. In seinem Kopf reifte ein kühner Plan, der rasch Gestalt annahm. Vielleicht musste er ja gar nicht mehr direkt einbrechen... Nach einer kurzen Weile des Grübelns stand er auf und wandte sich den beiden Männern zu. „Was wollt Ihr denn von uns?“ „Ich habe nur ein paar Fragen an Euch.“ Demian setzte sich zu ihnen und hatte seine Kapuze so, dass man sein Gesicht gerade noch erkennen konnte, damit sie kein Misstrauen hegten. „Ich habe zufällig gehört, Ihr arbeitet für einen Lord Ashfield? Und Ihr wollt kündigen?“ „Ja, warum wollt Ihr das wissen?“ „Ich bin auf der Suche nach einer Anstellung und hoffte, Ihr könntet mir dabei helfen.“ „Inwiefern?“ „Nun ja, ich nehme an, der Lord wird sich, wenn ihr ihn verlassen wollt, sicher nach einem Ersatz umsehen. Darum würde ich Eure Stelle gern übernehmen.“ „Ist das euer Ernst?“ „Gewiss. Sonst würde ich Euch das nicht fragen. Ich war früher bereits bei einem Adeligen angestellt, leider verarmte er und hat uns alle entlassen müssen. Jetzt muss ich mich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser halten, denn bisher ist es mir nicht gelungen, eine neue Anstellung zu finden.“ Tom zögerte, aber sein Kumpel stieß ihn an. „Tu es doch, mein Freund. Lass dich durch den Burschen hier ersetzen. Wenn du erst von dort weg bist, kann dir doch alles andere egal sein.“ Tom lächelte plötzlich und Demian wusste, dass er gewonnen hatte. „Ich werde gleich morgen meine Kündigung einreichen! Und Euch als Ersatz anbieten.“ „Einverstanden. Ich würde mich dann mit Euch noch einmal treffen um alles weitere genau zu besprechen.“, sagte Demian. „Wann?“ „Morgen abend wieder hier, bei Sonnenuntergang, wenn es recht ist.“ Den einen Tag brauchte Demian noch um sich „angemessen“ vorzubereiten, denn er vermutete, dass Tom ihn wohl bei diesem zweiten Treffen mit zu seinem Herren nehmen würde, um ihn schon einmal dort vorzustellen. „Gut, dann morgen Abend.“ „Los Tom, lass uns ein bisschen feiern“, meinte dessen Freund grinsend. Der Dieb aber verabschiedete sich mit der Begründung, bei einem seiner ehemaligen Kollegen eingeladen zu sein und ging nach Hause. Als er heim kam, traf er seinen Vermieter, der sich über die gute Laune des Diebes wunderte. Ein Lächeln auf dessen Gesicht war selten zu sehen. In seiner Kammer angekommen, wühlte Demian in der Truhe neben dem Kamin und holte mehrere Kleidungsstücke heraus: Ein graues und ein weißes Hemd, dazu ein braunes Wams und braune Hosen. Auch sein zweites Paar Schuhe waren für seinen Plan geeignet. „Hm, passt das Zeug eigentlich noch?“ Demian probierte die Sachen an und sie passten wie angegossen. „Na also.“ Er wandte sich noch einmal suchend der Truhe zu und unter einem Handtuch war sie verborgen. Eine schwarze Perücke. Merlin hatte ihm einmal gesagt, sollte ihm etwas passieren, sollte Demian seine Habseligkeiten für sich nehmen, es wäre einiges darunter, was ihm vielleicht noch einmal nützlich sein würde. Diese Perücke hier (woher auch immer Merlin die her gehabt hatte) würde es jetzt ganz sicher sein. Mit einiger Mühe setzte er sie sich richtig auf den Kopf. Seine Haarlänge erwies sich dabei als etwas hinderlich und er band sie nach hinten, aber immerhin passte das Ding. Er blickte in einen kleinen Spiegel und musste lachen. „Du liebe Zeit! Wenn mich jetzt Merlin sehen würde, würde er mich nicht mehr erkennen. Was man nicht alles für seinen Lohn tut ...“ Er wusste auch schon, wie er sich nennen wollte. Die nächste Sache war etwas komplizierter als eine Verkleidung und ein neuer Name. Er brauchte Papiere, Referenzen, irgendetwas um keinen Verdacht zu erregen. Denn er war sicher, ohne diese würde man ihn niemals über die Schwelle lassen. Und am besten noch jemanden, der ihm ein zeigte, worauf er in puncto Verhalten und Sprache achten sollte, um in seiner geplanten Rolle zu überzeugen. Er beschloss, sich an seinen Hehler zu wenden. Kronos hatte schließlich weitreichende Kontakte. Also suchte er ihn auf und fragte ihn, ob er ein paar Leute kannte, die ihm weiter helfen konnte. Und in der Tat schickte er Demian zu einem Mann, der sich mit geradezu perfekten Fälschungen einen Namen gemacht hatte. Für eine Summe Gold war er mit Freunden bereit, ihm die notwendigen Papiere zu beschaffen. „Aber ich brauche sie bis spätestens morgen Abend.“ „Kein Problem, verlasst euch auf mich! Ihr könnt alles morgen abholen.“ Ferner kannte der Hehler noch einen Mann, der ehemals Diener eines hohen Adelshauses gewesen war und sich jetzt als Schwarzhändler sein Geld verdiente. Als der Dieb sein Anliegen vortrug lachte er. „Na dann streng dich mal an, mit dem was ich dir jetzt zeigen werde!“ Er zeigte Demian verschiedenste Dinge, etwa verschiedene Ausdrucksweisen und schärfte ihm ein, stets Unterwürfigkeit zu zeigen. „Küss ihnen die Füße und sie lieben dich!“, sagte er grinsend. Demian merkte sich alles genau und dankte es dem Mann mit Gold. Zufrieden kehrte er kurz vor der Dämmerung nach Hause zurück und machte sich etwas zu essen zurecht. Bisher lief alles nach Plan. „Endlich. Jetzt kann sich der ehrenwerte Lord warm anziehen. Na dann Lord Allan, ...“ er lächelte triumphierend, „ ... wir sehn uns! Auf die eine oder andere Art.“ Am nächsten Abend begab Demian sich zum Treffen mit Tom, nachdem er sich verkleidet und die gefälschten Unterlagen abgeholt hatte. Tom teilte ihm mit, dass er gekündigt hatte und der Hausverwalter ihn bereits erwartete. Also begaben sich beide zur Villa. Hier konnte er gemütlich durch den Haupteingang schlendern, ohne Aufsehen zu erregen. Das war eine willkommene Abwechslung. Als er Blake entdeckte, unterdrückte er das Verlangen, ihm einen spöttischen Blick zuzuwerfen. Der würde sich noch wundern. Dem Hausverwalter stellte er sich nun unter dem Namen „Gabriel“ vor. „Hast du deine Papiere?“ „Ja natürlich, Herr.“ Der Mann las sich alles genau durch, fand, dass alles seine Ordnung hatte und nickte zufrieden. „Die Herrschaften sind heute Abend aus gegangen. Aber wir wollen es ja ohnehin kurz machen. Du bist jederzeit bereit anzufangen?“ „Ja. Ich möchte endlich wieder einer angesehenen Familie dienen.“ „Ein Diener mit Leib und Seele was?“ Der Mann lachte. „Das ist selten. Aber von Vorteil. Also gut. Tom, der Herr ist einverstanden, dass du sofort gehen kannst, da du ja gleich einen guten Ersatz gefunden hast. Du weißt ja, zwei deiner Kollegen werden uns ebenfalls bald verlassen, aus Altersgründen. Du kannst deine Sachen holen und gehen.“ „Danke Herr! Und danke an dich, Gabriel! Viel Glück wünsche ich dir.“ „Ebenfalls, danke.“ Tom verschwand. „Und du, Gabriel, kannst morgen hier anfangen. Ich erwarte dich morgen früh pünktlich beim 8. Glockenschlag hier. Pünktlichkeit wird in diesem Haus groß geschrieben, dass kannst du dir schon einmal merken!“ „Ich werde da sein. Vielen Dank, Herr.“ Damit war er entlassen und machte sich auf den Heimweg. Dort angekommen, zog er sich als erstes die Perücke vom Kopf, er hatte das Gefühl als würde seine ganze Kopfhaut anfangen zu Jucken. Er schüttelte ein paar mal den Kopf, dann ging es wieder. Die Vorbereitungen waren abgeschlossen. Schon am Morgen konnte er seine „neue Stelle“ antreten. Es war alles schneller gegangen als gedacht, aber das war ihm nur recht. So langsam fand Demian Gefallen an diesem Spiel. Vorher würde er sich aber noch ein wenig mehr über den Lord schlau machen. Je mehr er über Ashfield wusste, um so besser. Es gab eine Person, die ihm da weiterhelfen konnte. Demian machte sich also noch einmal auf den Weg zu den Bordellen an den Docks, aber nicht, um sich mit Frauen zu vergnügen. Er machte sich nichts aus Huren, aber diese eine Frau, Lisa, war eine Ausnahme. Sie war eine seiner Informantinnen, wenn es um den Adel ging. Die ach so ehrbaren Lords nahmen nur allzu gerne die Dienste der Frauen in Anspruch. Gegen ein paar Münzen erfuhr Demian von ihr einige nützliche Dinge über die feinen Herren und ihre Gewohnheiten. Lisa hatte sich darauf spezialisiert, ihre Kunden auszufragen und ihr Wissen gegen Geld an Leute wie Demian weiterzugeben. Von seinem ehemaligen Hehler, den er seit seiner Verhaftung durch die Stadtwache nie wieder gesehen hatte, hatte er erstmals von dieser Frau erfahren. „Falls Ihr noch irgendwelche Informationen braucht“, so hatte der Mann damals gesagt, „geht zu den Bordellen an den Docks und haltet dort nach einer schwarzhaarigen Frau namens Lisa Ausschau. Die kann Euch alles sagen, was Ihr wissen wollt, aber gegen bare Münze, versteht sich.“ Als er sie schließlich gefunden hatte, war sie ob seiner Jugend mehr als skeptisch. Sie hatte laut gelacht, als Demian ihr sagte, was er wollte. Es hatte eine Kostprobe in der Kunst des Taschendiebstahls erfordert, um sie zu überzeugen. Inzwischen war das nicht mehr notwendig. Ihre anderen „Dienste“ nahm er indessen nie in Anspruch, aber Lisa nahm es ihm nicht übel. Demian ging also zu der Stelle, an der sie, auf Kunden wartend, zu stehen pflegte. Lisa summte vor sich hin, als die leise Stimme des Diebes sie zusammenzucken ließ: „Na, heute schon einen guten „Fang“ gemacht?“ Sie fuhr herum, beruhigte sich aber gleich wieder, als sie Demian erkannte. „Musst du einen immer so erschrecken, mein Süßer?“, flötete sie. „Tut mir leid.“ Sein Lächeln verriet jedoch, dass es ihm nicht im geringsten leid tat. „Was kann ich denn diesmal für dich tun?“ „Erst mal sollten wir uns abschirmen.“ „Oh, aber gerne.“ Sie lachte und er verdrehte leicht die Augen. „Du weißt, was ich meine.“ „Ja, ja ich weiß. Obwohl ich dir doch gerne auch meine eigentlichen Dienste anbieten würde, du bist doch wahrlich alt genug dafür.“ Ihr Blick war aufreizend, ihre Bewegungen kokett. Wie immer versuchte Lisa, ihn doch rumzukriegen. Und sie war durchaus eine schöne Frau. Aber Demian schüttelte nur den Kopf. Beide gingen in eine dunkle Nische, fern neugieriger Ohren und sprachen im Flüsterton weiter. „Also, wen hast du dir denn diesmal ausgesucht?“ „Ausgesucht ist nicht das richtige Wort. Sagen wir, ich habe mit dem feinen Herrn ein Hühnchen zu rupfen. Kennst du einen Lord Allan Ashfield?“ Lisa lachte. „Oh ja und ob ich den kenne! Ein Stammkunde von mir. Man fülle ihn mit ein, zwei Bechern Wein ab und schon redet er wie ein Wasserfall! Er merkt nicht mal, was er so alles ausplaudert. Was genau willst du wissen?“ Demian merkte sich jedes Wort und schickte sich dann an, zu gehen. „Na, viel Vergnügen, mein Süßer!“, sagte sie, nachdem der Dieb sie bezahlt hatte. „Das werde ich haben.“ Er lächelte und verschwand in die Dunkelheit. Kapitel 7: Undercover --------------------- Zielstrebig ging er am nächsten Tag nun durch die Stadt, bis er vor der Villa stand. Wenn alles gut ging, würde er sehr bald den Lohn in Händen halten, den Ashfield ihm noch schuldete. Am Haupteingang stand eine grimmig drein blickende Wache. „Was ist dein Begehr, Bursche?“ Sein Tonfall war scharf und auch wenn Demian nicht gerade klein war, dieser Kerl war ein wahrer Riese. Aber trotzdem musste Demian sich zwingen, die von dem Kerl erwartete Ehrfurcht zu heucheln. Ein Dieb war schließlich nicht so leicht einzuschüchtern. „Ich bin Gabriel, der neue Angestellte von Lord Ashfield.“ Der Mann sah wenig überzeugt aus. „Hast du Papiere dabei? Referenzen?“ „Die habe mich mir längst angesehen“, sagte eine tiefe Stimme und der Hausverwalter trat aus der Tür. „Außerdem erwartet man ihn bereits, heute ist sein erster Tag hier. Geh an deine Arbeit zurück.“ „Jawohl!“ Der Hausverwalter wandte sich an Demian. „Ich zeige dir gleich deinen neuen Arbeitsplatz.“ „Gerne, mein Herr“, erwiderte Demian und musste sich ein amüsiertes Lächeln verkneifen. Der Verwalter führte ihn durch die große Eingangshalle, direkt bis zu einer Tür. Sie gingen dann einen schmalen Gang entlang, der von ein paar Fackel erleuchtet wurde. An der dritten Tür blieb er stehen. „Hier ist dein Quartier.“ Demian trat ein und sah sich um. Hier standen mehrere Betten, ein Tisch mit ein paar Stühlen und vor jedem Bett eine Truhe für persönliche Habseligkeiten. „Das Bett ganz rechts ist jetzt für dich frei.“ „Danke.“ „Komm. Ich will dich den anderen Bediensteten vorstellen.“ Diese hatten sich in Erwartung des Neulings in der Küche versammelt. Der Reihe nach lernte Demian einige Frauen und Männer kennen, deren Namen er sich nicht gleich alle merken konnte. „Der Herr hat befohlen, ihm zunächst mal die leichteren Aufgaben zu übertragen, bis er sich eingewöhnt hat.“, sagte der Verwalter. „Wenn du dich gut machst, sehen wir weiter.“ „Ich gebe mir die größte Mühe.“ „Gut, das erwartet man auch von dir. Du wirst also vorerst hier kleinere Arbeiten tun, in der Küche mit helfen, die Herrschaften bedienen und vielleicht ein paar Botengänge machen. Sie erwarten dich bereits, um dich kennen zu lernen“, fuhr der Mann fort. „Gehe nach oben in den Speisesaal. Das ist die erste Tür links, wenn du die Treppe hoch gehst. Ach warte, ich komme lieber doch mit.“ Auch wenn die Strecke von der Küche bis zum Speisesaal kurz war, hatte Demian doch die Muße zu sehen, wie erlesen und vor allem verschwenderisch die Villa eingerichtet war. Manche Blumenvase schimmerte golden, Säulen aus Marmor, edle Teppiche und kostbare, teure Edelhölzer. Hier ließ es sich sicher sehr gut leben. An der Tür angekommen, klopfte der Hausverwalter an. „Herein!“ Er öffnete die Tür. „Herr, hier ist ihr neuer Angestellter.“ Er schob Demian in den Raum und schloss die Tür wieder und der junge Mann war allein mit dem Ehepaar. „Komm näher.“ Die Stimme des Lords war ruhig, aber gebieterisch. Demian kam gelassen heran und verneigte sich. Die Kleidung des Hausherren war aus bestem Tuch und mit Goldfäden durchwirkt. Die Herrin trug blaues ein Kleid aus feinster Seide und kostbaren Schmuck. Das dunkle Haar war, wie bei verheirateten Damen üblich, hochgesteckt und mit einem goldenem Diadem geschmückt. Beide musterten ihn von oben bis unten. „Wie ist dein Name?“ „Ich heiße Gabriel, Herr.“ Der Lord setzte wieder zum Sprechen an, als seine Frau, die schon etwas irritiert ausgesehen hatte, das Wort ergriff: „Mein Gemahl, warum erfahre ich erst jetzt, das wir einen neuen Angestellten haben?“ „Weil du jetzt so lange zu deiner Kur warst, erst gestern zurück gekommen bist und ich dich folglich noch von gar nichts unterrichten konnte. Und er ist doch gerade erst hier angekommen. Außerdem war Tom´s Kündigung recht kurzfristig.“ „Wie, Tom hat gekündigt? Naja, er hatte seine Arbeit sowieso nicht zur Zufriedenheit erfüllt, im Gegenteil! Ich hoffe du“, sie sah Demian mit erhobenem Kinn durchdringend an, „stellst dich besser an als dieser Nichtsnutz!“ „Nun sei doch nicht so! So schlecht war Tom nun auch nicht.“ „Pftt!“ `Meine Güte“, dachte Demian. `Das kann ja heiter werden. Ich sollte zusehen, dass ich das alles so schnell wie möglich durchziehe. Mehr als ein paar Tage Zeit habe ich ohnehin nicht. Also dann, Augen zu und durch!` „Ich erwarte“, wandte sich die Hausherrin direkt an Demian. „dass du ordentlich und ohne Trödelei arbeitest. Jeder Auftrag ist ohne Umschweife auszuführen!“ Demian lächelte. „Ich gebe mein Bestes, Herrin.“ Er verbeugte sich untertänigst, worauf sie hochmütig lächelte. Solche Demutsbekundungen schien sie zu mögen. „Nun“, sagte Lord Allan, „mein Verwalter hat dir bereits gezeigt, was du zu tun hast?“ „Ja, Herr.“ „Dann geh.“ Also ging er wieder hinunter, wo der Koch ihn bat, neues Holz für den Ofen zu holen. Der Holzschuppen war draussen. Als er mit dem vollen Korb gerade wieder heraus kam, kam ihm Hauptmann Blake entgegen. „Sieh mal an, ein neues Gesicht. Der gute Tom hat aber schnell Ersatz gefunden für sich!“ Er lachte böse und versuchte ihm den Korb wegzunehmen, aber Demian stellte ihn rechtzeitig auf den Boden. „Was wollt ihr von mir? Der Koch wartet auf mich.“ „Ich will dir nur zeigen, wer hier das Sagen hat, klar?“ Er vertrat Demian weiter den Weg. „Lasst mich durch.“ „Warum so schnell, ich brauche gerade jemanden zum Frust ablassen, komm her!“ Doch er wich dem Hauptmann aus. „Geht Ihr immer so mit neuen Angestellten in diesem Haus um, Hauptmann? Ich habe Euch nichts getan, lasst mich in Ruhe. Wenn ihr Frust habt, geht in die Kneipe. Ich bin nicht Euer Fußabtreter.“ „Auch noch frech werden, ja?“ Blake holte wütend aus um ihn zu schlagen, doch er fing die Hand ab. Seine Miene machte deutlich, dass er sich nicht so behandeln ließ, wie der Hauptmann es mit Tom gemacht hatte. Blake sah ihm ins Gesicht und schien über etwas nachzudenken, dann wandte er sich abrupt ab und ging ins Haus. Demian hatte beschlich ein ungutes Gefühl und er beschloss vorsichtig zu sein. Sollte der Mann tatsächlich Verdacht geschöpft haben, könnte es schwierig werden. Am Abend dieses ersten Tages kam er als letzter in den Essensraum der Dienerschaft. Seine Arbeit hatte sich heute die meiste Zeit in der Küche abgespielt, er hatte beim Kochen geholfen und auch das Ehepaar zusammen mit einer anderen Dienerin beim Essen bedient.„Sie sollen endlich mal einen Plan gegen dieses Diebesgesindel machen! Diese frechen Kerle klauen doch alles, was nicht niet- und nagelfest ist und was machen die Stadtwachen dagegen? Nichts!“, empörte sich gerade eine der älteren Dienerinnen als er den Raum betrat. „Recht hast du. Allen voran dieser sogenannte Meisterdieb. Wann verhaften die den Kerl endlich? Ich habe erst neulich von einem Kaufmann gehört, dem er ein wertvolles Ding gestohlen hat. Keiner hat etwas bemerkt, nicht mal, dass der Kerl den Hausherrn niedergeschlagen hatte. Er hat die Hälfte der Wachen in seiner Wut gefeuert, heißt es.“ Demian musste sich ein Lächeln verkneifen. Das klang sehr nach Kaufmann Ludwig. „Moment mal. Woher willst du wissen, dass es dieser Meisterdieb war?“, fragte ein anderer. „Äh... na ja, das erzählt man sich zumindest. Ich traf einen der ehemaligen Wachen in der Kneipe, er ist ein guter Freund von mir. Ja und er war felsenfest überzeugt, es war dieser... Demian oder wie er heißt.“ „He“, wandte der dicke Benno sich an Demian. „Was sagst du denn dazu?“ „Was soll ich dazu sagen? So lange die Stadtwachen den Dieb nicht fangen, wird es wohl so weiter gehen.“ „Tja, da hast du recht.“ Dann aber musste Demian an sich halten um seine Überraschung zu verbergen: „Naja eigentlich können einem Diebe doch leid tun.“ Der Satz kam von einer jungen Dienerin. „Wie kommst du denn auf so eine Idee“, empörte sich die Ältere sofort wieder. „Na denk doch mal nach, wie verzweifelt jemand sein muss, der so etwas tut, jemandem sein Geld zu stehlen. Einfach nur, damit er sich selbst davon ein Stück Brot kaufen kann, um nicht zu verhungern. Es mag sein, das manche Spaß daran haben, man denke an die Diebesgilde, das ist auch in meinen Augen eine Bande von Verbrechern. Aber einer, der nicht weiß ob er den nächsten Tag überlebt, weil er nichts zu essen hat, so jemand tut mir leid.“ An diesem Abend konnte Demian lange nicht einschlafen. Immer wieder gingen ihm die Worte der jungen Dienerin im Kopf herum. Seine „Kollegen“ hatten ihn schnell als einen der Ihren akzeptiert und keine Ahnung, wer er wirklich war. Er aber trieb mit allen Leuten in diesem Haus ein falsches Spiel. Irgendwie hatte er schon ein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber. Aber nur bei ihnen, denn sobald er dem Lord begegnete, verschwanden seine Skrupel augenblicklich. Demian fühlte sich im Recht. Er wollte den Lord ja nicht gleich einen Kopf kürzer machen. Er hatte für ihn einen Auftrag erfüllt und wollte nur den ihm dafür zustehenden Lohn, nicht mehr und nicht weniger. Inzwischen hatte er auch einen Plan, wie er weiter vorgehen wollte. Morgen würde er die Nachtstunden für sich nutzen, um die Gemächer des Lords zu untersuchen. Lisa hatte ihm erzählt, Ashfield prahlte ihr gegenüber immer wieder von seinem Geheimtresor und dem vielen Geld was darin war. Den Schlüssel hatte er immer bei sich. Demian hatte aber nicht vor schon morgen alles durchzuziehen. Er würde zuerst sehen, wie es um die Wache bestellt war und wieviel Zeit er haben würde, um den Tresor, falls es mit den Dietrichen möglich war, zu knacken. Ausserdem hatte Lisa noch gewusste, dass der Tresor mit einer Alarmanlage gesichert war. Diese musste er zuerst unschädlich machen. Mit diesen Gedanken schlief er schließlich ein. Am nächsten Tag ging wieder alles nach dem selben Muster vor sich. Küche und Holz holen, Feuer machen und die Flure reinigen. Lord und Lady Ashfield waren zwar sehr streng, besonders die Hausherrin duldete keine Fehler. Ihre Dienerinnen weinten sich jeden Abend wortwörtlich die Augen aus. Demian war schweigsam und gelassen, meisterte aber alles, selbst diese manchmal selbst für Diener sehr feine Ausdrucksweise, ohne den geringsten Verdacht aufkommen zu lassen. Im Rücken spürte er aber immer wieder Blakes Blick, wenn dieser an ihm vorbei kam. Die anderen Diener hatten längst mitbekommen, dass ihr neuer Kollege dem Hauptmann und seinen Launen die Stirn bieten konnte. „Lass den Alten ruhig schauen, Gabriel. Der hat einen große Klappe aber nichts gescheites ist dahinter!“, sagten sie zu ihm. Er war sich da nicht so sicher, ließ sich aber nichts anmerken. Das einzige, was ihm arge Probleme machte, war die Perücke selbst. Anscheinend war da irgendetwas, was seine Kopfhaut nicht vertrug, es juckte ständig. Er musste sich kratzen, aber nur wenn keiner hinsah, es war ihm etwas peinlich. Er konnte es sich aber nicht erlauben, sie abzunehmen, auch nicht nachts. Das tat er nur einmal, als er allein im Bad war und die Tür hinter sich abgeschlossen hatte. So wie es aussah musste er jetzt da irgendwie durch, auch wenn ihn das unangenehme Jucken gehörig auf die Nerven ging. Der zweite Abend kam. Eine Wache war ausserordentlich gut gelaunt und erzählte lachend, Blake sei in die Kneipe gegangen. „Der kommt vor Mitternacht nicht wieder und wenn er kommt, ist er so besoffen, dass er Mühe hat sein Bett zu finden!“ Das kam Demian gerade recht. Als alle in seinem Zimmer eingeschlafen waren, stand er lautlos auf. Für den Notfall hatte er sich eine Ausrede ausgedacht, falls man ihn erwischen sollte, würde er so tun, als sei er geschlafwandelt. An der Tür des Privatgemachs gab es zwei Wachen. Aber er wusste, der Raum danben, das Bad, hatte eine zweite Tür zu diesen Zimmern. Also schlich er sich dort hinein und lauschte an der Schlafzimmertür aus denen erregte Stimmen drangen. Was er da hörte, entpuppte sich als handfester Streit des Ehepaares. „Wer weiß, was der Kerl inzwischen geplant hat? Ich habe Angst um mein Leben und du tust so, als wäre nichts gewesen!“, keifte die Herrin zornig. „Nun hör auf, ich habe seitdem die Wachen verdoppeln lassen und bisher ist nichts passiert!“ „Das muss doch nichts heißen! Vielleicht kommt er schon heute Nacht und bringt uns um! Hättest du den Kerl nicht übers Ohr gehauen, könnte ich jetzt ruhig schlafen! Und überhaupt, du hätte es einfach akzeptieren können, dass Meister Salomon die Statue nicht verkauft. Dann hätten wir uns mit solchem Gesindel wie diesem Dieb gar nicht erst abgeben müssen! Aber nein, der Herr musste ja diesen unnützen Staubfänger unbedingt haben!“ „Ach, was versteht ihr Weiber schon davon!“ Einen Augenblick herrschte Stille. Dann wieder die keifende Stimmer der Lady: „Damit du es nur weißt, ich schlafe die nächsten Tage in meinen eigenen Gemächern und zwar allein! Und glaube ja nicht dass mir entgangen ist, wo du manche Abende verbringst! Geh zu deinen verkommenen Hurenstücken, wenn du es brauchst, aber lass mich ja in Ruhe!“ „Pha, die sind allemal besser als du es je warst!“ Eine Tür knallte und der Dieb hörte wie die Dame des Hauses schluchzend den Flur entlang lief und sich in ihre Zimmer einschloss. Ein bisschen tat sie ihm doch leid. Wenn der Lord wüsste, dass Lisa alles andere als von ihm geschwärmt hatte. „Ich ertrage den Alten nur, weil er besonders gut zahlt! Der wird sowieso nicht mehr lange was können, wenn er weiter so trinkt, wie bei mir. Er kommt nüchtern und geht sturzbetrunken.“, hatte sie gesagt. Der Dieb wartete bis nichts mehr zu hören war, dann öffnete er die Tür. Der Hausherr schlief bereits tief und fest. Einige Kerzen und ein Nachtlicht brannten noch und erhellten den Raum genug. Praktischerweise war hier alles mit Teppich ausgelegt, Demian musste sich nicht anstrengen, um sich lautlos umzusehen. Zuerst musste er den Tresor finden. Er untersuchte alles, fand aber nichts. Er schlich sich wieder hinaus und den langen Flur entlang bis zum Arbeitszimmer. Die Wachen, die ihre Runden drehten, bemerkten ihn nicht. Drinnen sah er sich genauso gründlich um wie im Schlafzimmer. Er hatte von seiner Ausrüstung neben den Dietrichen und ein paar anderen kleinen Sachen eine seiner kleinen Fackeln eingeschmuggelt, mit deren Licht er genug sehen konnte. An einem Bücherregal fiel ihm ein Buch auf, dass ein ein klein wenig vor stend und damit die Ordnung durcheinander brachte. Als er es berührte, fuhr es mit einem Klicken zurück. Hinter ihm öffnete sich etwas, er drehte sich um und dort, wo eben noch ein riesiges Schöpfterpotrait gehangen hatte, war eine Tresortüre zu sehen. Demian lächelte zufrieden. Es war kein Zahlenschloss, aber er versuchte es nicht mit den Dietrichen, denn die Alarmanlage war mit Sicherheit aktiv. Auf dem Schreibtisch lagen mehrere Notizen, eine war besonders interessant. Es war eine Zeichnung, es sah aus wie eine Art Kasten, mit Zahnrädern darin, um die ein Draht gewickelt war. Es war alles auf der Rückseite genau beschrieben, dieser Kasten kontrollierte den Tresor. Nun suchte er so lange bis er ihn fand. Er musste dafür vorsichtig auf ein breites Bücherregal klettern, das an der linken Wand des Zimmers stand. Und genau da befand sich besagter Kasten. Er würde irgendetwas brauchen um die Drähte zu zerschneiden. Das konnte er im Laufe des nächsten Tages tun. Er hatte nun alle Informationen, die er gebraucht hatte und machte sich genauso unbemerkt zurück in die Schlafkammer, wie er diese verlassen hatte. Am nächsten Tag suchte er, als er ein bisschen freie Zeit hatte, nach etwas um die Alamanlage lahmzulegen. Zuerst im Keller, aber da fand er nichts brauchbares, ausser einer Zange, die aber viel zu klein war. Dann im Geräteschuppen wurde er endlich fündig. Er nahm einen Drahtschneider mit und packte ihn, zusammen mit seinem letzten eingeschmuggelten Gegenstand, heimlich unter sein Bett. Er würde es noch in dieser folgenden Nacht beenden und verschwinden. So machte er es dann auch, problemlos gelangte er unbemerkt ins Arbeitszimmer. Er deaktivierte mit Hilfe des Drahtschneiders die Alarmanlage und machte sich am Tresor zu schaffen. Das Glück war ihm hold, die Dietrichen erfüllten ihre Arbeit einwandfrei. Nicht, dass es ein Problem für ihn gewesen wäre, an den Schlüssel zu kommen, aber es sparte Zeit. Mehrere Geldsäckchen, eine goldene Uhr und einige Juwelen gingen nun in seinen Besitz über. Das war angemessen für Ashfields Schulden. Gerade hatte er einen kleinen Zettel geschrieben, als die plötzlich die Tür auf- und das Licht an ging. „Wo ist mein Bett... WAS ZUR...DU!“ Es war Blake, der mal wieder sein eigenes Zimmer nicht gefunden hatte. Jetzt war Eile geboten. „Ich wusste doch gleich, dass mit dir irgendetwas nicht stimmt! Du wirst das sofort wieder zurück legen!“ Wütend stürzte sich Blake auf ihn, aber er hatte getrunken und sein Schwert nicht dabei und Demian wich jedem der durch den Alkohol ungeschickten Angriff aus, er war schneller und wendiger als der Hauptmann. „Mistkerl! Komm her!“ Demian musste sich beeilen, der Lärm hier würde jeden im Haus aufwecken. Da stolperte er etwas zurück und als er sich wieder gefangen hatte, war die Perücke verruscht und das blonde Haar lugte etwas hervor. Der Hauptmann stutzte. „Jetzt er kenne ich dich, du bist der verdammte Dieb den mein Herr...“ „... betrogen hat“, beendete Demian den Satz. „Habe ich nicht gesagt, dass wir uns wieder sehen? Wie auch immer, ich habe jetzt, was mir zusteht.“ Wieder griff Blake ihn an, wieder schaffte er es nicht einmal, ihn zu berühren. Der Dieb hatte noch ein letztes Ass im Ärmel, das ihm die Zeit zur Flucht geben würde. Und er nutzte ihn. Dann hörte man schon näher kommende Schritte von Wachen und die verschlafene Stimme des Lords: „Was beim Schöpfer geht da drinnen vor?“ Blake schrie noch etwas, dass er einen Dieb gestellt hätte, dann kam er wieder auf Demian zu, der bis an die Wand zurück gewichen war. „Ist dir die Puste ausgegangen?“ Er ahnte nicht, dass ihm die Puste gleich ausgehen würde, denn er sah im Halbdunkel nicht, was da aktiviert vor seinen Füßen lag. Beim nächsten Schritt zischte es und der Hauptmann wurde von einer grünen Wolke eingehüllt, das letzte was er sah, war das siegessichere Lächeln des Diebes, dann sackte er zusammen. Jetzt aber raus hier. Er packte den Beutel und ließ einen kleinen Zettel neben dem Betäubten auf den Boden fallen und schwang sich aus dem Fenster. Im nächsten Moment wurde die Tür aufgestossen. Fassungslos starrte Lord Ashfield erst den Bewusstlosen, dann den leeren Safe an und las den kleinen Zettel: „Ich habe genommen, was ihr mir noch geschuldet habt. Nun sind wir quitt. D.“ Mit Mühe und Wasser hatten die anderen Wachen es geschafft, Blake wieder aufwachen zu lassen. Dessen Bericht ließ Ashfields Kinnlade herunterfallen. Er brauchte nur noch eins und eins zusammen zählen. Das Wutgeschrei hörte man noch im Garten draussen. Die sofort ausgesandten Wachen aber fanden keine Spur mehr von „Gabriel“, auch nicht auf den Straßen vor dem Anwesen. Demian hatte sich längst auf den Dächern den Weg zu seinem Viertel gebahnt. Er schaute zuerst bei seinem Hehler vorbei, der ihn in seiner Verkleidung zunächst nicht erkannte und misstrauisch musterte. „Wer bist du denn? Verschwinde, Bursche, sonst...“ Der Dieb musste amüsiert lachen. „Sonst was?“, war seine Antwort und Kronos stutzte. „Immer mit der Ruhe, ich bin es.“ Er zog sich die Perücke vom Kopf und der blonde Zopf kam zum Vorschein. „Also, dass... was soll den dieser Aufzug?“ „Ich hatte noch keine Gelegenheit mich umzuziehen, bin geradewegs von meinem gerupften Hahn gekommen, es musste etwas schnell gehen.“ Sein Bericht machte Kronos großen Spaß. „Haha! Das ist wirklich genial, darauf könnt wirklich nur Ihr kommen.“ „Ihr könntet mir einen kleinen Gefallen tun und dafür sorgen, dass es sich ein bisschen herum spricht.“ „Mit Vergnügen!“ Endlich wieder Zuhause angekommen, machte er sein Haar los und wusch es, die Perücke hatte es ihm wirklich nicht leicht gemacht. Dieser ständige Juckreiz war kaum auszuhalten gewesen. Aber der wog im Nachhinein nichts gegenüber seinem Triumpf über Lord Ashfield. Andere potentielle Auftraggeber würden es sich nun zweimal überlegen, ihn hereinzulegen. Er hatte jetzt bewiesen, dass er immer bekam, was er wollte, auch auf Umwegen. Kapitel 8: Der Anschlag ----------------------- Die nächsten Tage verbrachte Demian größtenteils zu Hause. Er hatte die Uhr und die Juwelen bei seinem Hehler verkauft und damit erst einmal genug Geld, um sich über Wasser halten und die nächste Monatsmiete bezahlen zu können. Er erledigte in der Zeit Dinge, die er lange genug hinaus geschoben hatte. Dazu gehörte, einmal wieder seine Kammer in Ordnung zu bringen. Ansonsten las er viel und manchmal ging er abends ziellos durch die Straßen, wenn er nicht schlafen konnte. Am vierten Tag nach seinem Abenteuer besuchter er wieder seinen Hehler. Der hatte schon auf ihn gewartet und kam gleich zur Sache. „Ich habe da einen neuen Kunden an Land gezogen, der sich mit Euch zwecks eines Auftrags treffen will. Er sagte, er zahlt gut!“ „Wann und wo?“ „Morgen nach Sonnenuntergang an der großen Statue am Hafen. „Gut, ich werde dort sein.“ „Darüber wird er sich freuen!“ Als die Zeit heran war, machte er sich auf zum Hafen. Natürlich nicht ohne einige Blitz und Gasbomben, auch den Bogen hatte er dabei. Langsam und vorsichtig näherte er sich dem Treffpunkt. An der Statue stand ein Mann. Eher untersetzt und klein von der Statur, aber ein Schwert hing an seiner Seite. Und er war nicht allein. Im Schatten hinter seinem Gegenüber standen zwei weitere Männer. Einer davon hatte eine Art Handschuh an mit blitzenden, scharfen Eisenspitzen daran. „Ihr seid gekommen.“, wurde Demian begrüßt, als er auf den Wartenden zukam und sich zu erkennen gab. Er nickte nur. „Euer Ruf eilt Euch voraus. „So wie man gehört hat, habt Ihr bewiesen, dass Ihr bekommt, was ihr wollt, nicht wahr? Dieser feine Lord kann sich kaum noch irgendwo blicken lassen! Ich bin es ebenso gewohnt, das meine Aufträge ausgeführt werden. Und meine beiden Freunde hier können das bestätigen.“ Er grinste zweideutig. Demians Miene verhärtete sich. Dieser Kerl war ihm unsympathisch. „Um was für einen Auftrag handelt es sich?“, fragte er in leicht gereiztem Tonfall. „Einen der besonderen Art.“ Sein Auftraggeber grinste immer noch. „Ihr habt vielleicht schon von der „Schlange“ gehört?“ Der Dieb nickte. Dieser Mann war einschlägig bekannt, man kannte ihn nur als die „Schlange“ und ihm gehörten die meisten der Bordelle an den Docks. Ein mächtiger Mann in Trigons Unterwelt, nur Aker konnte ihm das Wasser reichen. Selbst der Sheriff hatte seine Leute angewiesen, sich nicht in die Angelegenheiten dieses Manns zu mischen, denn es hieß, er hätte Verbindungen bis in die höchsten Adelskreise. „Er ist mein größter Konkurrent. Ich will den Kerl loswerden, damit er mir nie mehr in die Quere kommt und da kommt Ihr ins Spiel.“ „Inwiefern?“ „Ganz einfach. Ich will, dass Ihr ihn beseitigt – ein für allemal!“ Demian musste Luft holen, bevor er antworten konnte. „Verstehe ich das richtig? Ein Attentat? Ich soll diesen Mann töten, damit Ihr freie Bahn habt?“ „Genau das. Ihr seid der einzige, der die Fähigkeiten hat, seine Wachen zu überwinden. Ihr würdet nicht nur mir, sondern der ganzen Stadt einen großen Gefallen damit tun, das könnt ihr mir glauben! Geld spielt keine Rolle!“ Demian ballte die Fäuste. So einer wie der war ihm bisher noch nie untergekommen. Hätte er den Auftrag erhalten, den Kerl zu bestehlen, oder irgendwelche Beweise gegen ihn zu sammeln, würde er annehmen. Aber einen heimtückischen Mord zu begehen, egal um wen es sich bei dem potenziellen Opfer handelte, das ging ihm zu weit, es widersprach seinem Grundsatz, nie zu töten. „Also, was ist?“, fragte sein Auftraggeber. „Nehmt Ihr meinen Auftrag an?“ Demian sah ihn kühl an und antwortete dann: „Meine Antwort lautet: Nein!“ „Wie bitte?!“ „Spreche ich so undeutlich? Ich nehme einen solchen Auftrag nicht an, schon gar nicht, wenn er solch niedere Beweggründe hat. Es ist mir vollkommen gleichgültig, was an den Docks passiert und wer wem Konkurrenz macht. Sucht euch einen anderen Auftragsmörder oder einen aus der Diebesgilde. Bei mir aber seid Ihr damit an der falschen Adresse!“ Sein Gegenüber schäumte vor Wut. „Also, dass...“ „Ich habe auch keinerlei Verpflichtung, einen Auftrag anzunehmen. Ob ich ja oder nein sage, müsst Ihr schon mir überlassen. Gehabt Euch wohl.“ Ohne ein weiteres Wort wandte Demian sich um und verschwand. Aber er hörte noch, wie der Abgewiesene zischte: „Das werdet Ihr noch bitter bereuen!“ Ein paar Tage danach bekam er von Kronos einen neuen Auftrag. Jemand verlangte aus einer der Baracken an den Docks, gleich neben der Spelunke, eine bestimmte Brosche. Sie sollte sich in einem Geheimfach befinden. Es war einfach, das Schloss zu knacken und hinein zu gehen. Es war ja auch nur eine einfache kleines Baracke, wie es hier viele gab. Trotzdem hatte er aus irgendeinem Grund ein ungutes Gefühl bei der Sache. Demians Hand fuhr unter den Mantel, während er weiterging und sich umsah. Der Dieb sah nichts verdächtiges, aber das musste nichts heißen. Er kam ins Wohnzimmer, dort gab es einen großen Schrank, der ihn interessierte. Fast wäre er einfach hin gegangen, bemerkte aber noch rechzeitig den seltsamen Boden. Beim genauen hinschauen, erkannte er eine einzelne Platte, die sich vom Fußboden deutlich unterschied und dann an der Wand gegenüber dem Schrank eine runde Vertiefung. Eine Pfeilfalle, eine von vielen Neuerungen, die immer mehr Hausbesitzer seines Wissens nach nutzten, um sich gegen Diebe zu schützen. Er sah sich gründlich um und hinter dem Sofa fand er den Sicherungskasten. Der Drahtschneider, den er von seinem Abenteuer bei Lord Ashfield für sich behalten hatte, leistete hier nun gute Dienste. Der Inhalt des Schranks bestand aus einer kleinen goldenen Büste und mehreren Amuletten. Dann ging er in den Raum nebenan, ein kleines Schlafzimmer. Ein kleines Kerzenlicht brannte auf dem Nachttisch, auf dem ein Zettel lag. Was Demian darauf las, ließ seine Alarmglocken schrillen: Überraschung, Meisterdieb! Behaltet, was Ihr Euch genommen habt - es wird ohnehin Eure letzte Beute sein. Macht Euch bereit für Eure letzte Reise, nämlich ins Jenseits! Grüßt den Schöpfer von uns! P.S. Die Brosche haben wir uns längst selbst genommen. Also eine Falle! Er wollte eilig den Raum verlassen, aber in dem Moment schlug die Türe zu. Ein Schlüssel drehte sich im Schlüsselloch und es hörte sich so an, als ob dazu noch etwas großes und schweres davor geschoben würde. Er hörte hämisches Lachen, von mehreren Männern. „Das war’s dann wohl! Es ist zwar Winter, aber Ihr werdet auf der letzten Reise sicher nicht frieren, dafür haben wir gesorgt! Lebt wohl, Meisterdieb!“ Danach herrschte Stille. Demian versuchte erst gar nicht, die Tür wieder aufzuknacken, denn wenn sich seine Ohren nicht getäuscht hatten, stand auch ein Schrank oder anderes Möbelstück davor. Es war daher unmöglich, allein die Tür auf zu bekommen. Eine Weile stand er unschlüssig da und überlegte, was er tun sollte, als er ein Geräusch hörte. Er lauschte an der Tür, es klang wie Knistern. Der Dieb spitzte die Ohren. Ein Knistern wie... Feuer! „Oh nein!“ Unter der Tür hindurch quoll Rauch in sein Gefängnis. ‚Verdammt’, dachte Demian. ‚Wenn ich nicht schnellstens hier raus komme, ende ich als Grillhähnchen!’ Er sah sich um, irgendwo musste es doch etwas geben, dass ihm aus der Klemme half. Und er musste den Türspalt abdichten, das würde ihm etwas Zeit verschaffen. In Ermangelung von etwas anderem nahm er kurzerhand seinen Mantel. Dann untersuchte Demian jeden Winkel nach Brauchbarem. Dabei fiel ihm auf, dass die Wand an der linken Seite ziemlich morsch und weich aussah. Die Zeit hatte seine Spuren an den alten Holzlatten hinterlassen. Diesen Umstand nutzte er aus und fing an, die Wand mit seinem Stemmeisen zu bearbeiten. Leider erwies sie sich als nicht ganz so weich, wie es den Anschein gehabt hatte. Mit aller Kraft schlug er wieder und wieder auf die dünnste Stelle ein. Immer wieder fiel sein Blick zur Tür. Langsam aber stetig bahnte sich der Rauch seinen Weg durch die provisorische Abdichtung. Ihm lief die Zeit davon. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Dazu kam noch der Zorn auf sich selbst. „Wie konnte ich so dumm sein, darauf einzugehen! Ich hätte es doch besser wissen müssen!“ Ihm erlahmten schon die Arme, aber das Holz wollte einfach nicht nachgeben. „Verdammt noch mal, jetzt brich endlich!“ Der Schweiß auf seiner Stirn kam nicht vom Feuer. Demian fühlte sich wie eine Maus, die ins Maul einer Katze blickt, bevor sie gefressen wird. Auch der Rauch wurde bereits dichter, die Luft immer stickiger. Seine Augen begannen zu tränen. War es das nun gewesen? Sollte alles so enden? Sollte er aufgeben und sich in sein Schicksal fügen? Noch während ihm das alles durch den Kopf ging, erwachte sein Überlebenswille. „Nein!“ Mit aller Kraft schlug er wieder zu und da endlich splitterte das Holz. Dem Dieb gelang es nach noch ein paar wenigen Hieben, ein Loch hinein zu schlagen und die Latten so weit auseinander zu schieben, dass er hindurch kam. Noch ein Blick zur Tür. Der Mantel konnte den Rauch nicht länger zurückhalten, welcher nun schwarz und dick hervorquoll. Demian hatte keine Zeit, sich ihn noch wieder zu holen, er musste hier raus. Der Mantel war ersetzbar, sein Leben jedoch nicht. Er stieg durch die Öffnung und gelangte in einen Gang seitlich des Raumes. Ein paar Schritte wagte er sich vorwärts in den Eingangsbereich des Hauses. Auch hier waberten bereits dichte Rauchschwaden, die ihm den Atem raubten und die Hitze war groß. Die Flammen leckten schon an den Dachbalken. Der Weg, den er reingekommen war, war unpassierbar. Der Dieb hustete und sah für sich nur noch eine Chance: ein Fenster. Hier im Gang war keines, also hastete er zum nächsten Nachbarzimmer, aber dabei stolperte er und landete unsanft auf dem Boden. Er richtete sich taumelnd auf und griff nach der Türklinke, als von einem Balken über ihm ein Stück glühendes Holz herunterfiel und direkt auf seine linke Hand. Es tat höllisch weh und er musste einen Aufschrei unterdrücken, als er sich den Handschuh von der Hand zog. Eine klaffende Brandwunde sah er auf dem Handrücken, roch verbranntes Fleisch. Hitze und Rauch machten ihm zunehmend zu schaffen, er riss die Tür auf und stürmte zu einem Fenster, dessen große blanke Scheibe trotz der Hitze noch nicht zersprungen war. Da das Fenster keinen Griff zum Öffnen besaß, schlug er die Scheibe mit dem Knüppel entzwei. Der Versuch sich hochzuziehen scheiterte, weil er sich dabei an noch im Holz steckenden Glassplittern auch noch in die Hände schnitt. Inzwischen war auch dieses Zimmer voll Rauch. Er schob mit aller ihm verbliebenen Kraft einen schweren Tisch von der Wand bis unter den Fensterrahmen, kletterte darauf und warf sich mit letzter Anstrengung mit einem Hechtsprung aus dem Fenster. Zum Glück war er im Erdgeschoss gewesen. Er brauchte eine Weile, um wieder zu Atem zu kommen, dann hörte er viele Schritte und Schreie: „Feuer!“ „Es brennt!“ Mehrere Leute eilten herbei, die Stadtwache im Schlepptau. Er richtete sich taumelnd auf und versteckte sich mit raschen Schritten eine Straße weiter in einer kleinen Sackgasse hinter einem Kistenstapel. Langsam, ganz langsam beruhigten sich seine Nerven. Er war beileibe kein Hasenfuß, aber in seinem ganzen Leben hatte ihm die Angst nie so dermaßen im Nacken gesessen, wie in dieser Nacht. Demian hoffte wirklich, nie wieder in eine solche Situation zu kommen. Er zitterte immer noch und der eingeatmete Rauch verursachte ihm Übelkeit. Es begann heftig zu schneien, als er so schnell und unauffällig wie möglich seinem Zuhause zu stebte. Der Schnee taute auf seiner Haut und ließ seine verletzten Hände noch mehr schmerzen als ohnehin schon. Ohne Mantel auch frierernd beschleunigte seine Schritte und atmete auf, als er die Tür zu seiner Kammer öffnete. Er schürte die Glut, der Schürhaken wurde blutig von den Schnittwunden. Sein Holzvorrat war fast aufgebraucht, er musste sich bald neues Holz beschaffen. Als er seine Hände betrachtete, schauderte er. Besonders die Brandwunde sah wirklich übel aus. Obwohl es ihm widerstrebte, Chiron mal wieder mitten in der Nacht zu behelligen, war das die einzige Möglichkeit, die Wunde zu behandeln. Und am besten seinen rebellierenden Magen gleich mit. Zum Glück hatte er nichts weiter gegessen vor seinem Aufbruch. Also stand er auf, wickelte seine Hände notdürftig in Leinenstreifen und eine Hand auf den schmerzenden Magen gepresst, streifte er sich seinen Ersatzmantel über und begab sich zum Haus des Arztes. Die Bewegung des Laufens linderte die Übelkeit etwas, aber nur so lange bis er vor dem Haus stehen blieb. Es dauerte nicht lange, als Chiron auf Demians Klopfen hin die Tür öffnete. „Ach, du bist es.“ „Tut mir leid, Euch mal wieder zu solch später Stunde zu behelligen.“ „Ach, schon gut. Ein Arzt muss zu seinen Patienten, wenn er gerufen wird. Egal zu welcher Tageszeit. Komm herein.“ Chiron führte Demian in ein Nebenzimmer. „Was kann ich diesmal für dich tun?“ Mit sichtlichem Schmerz hielt Demian ihm statt einer Antwort seine Hände hin. „Ach du...“, entfuhr es Chiron, als er die Brandwunde sah. „Wie ist denn das passiert? Zu heiße Waren angefasst, wie?“ Demian seufzte. „Fragt lieber nicht.“ „Schon gut, du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst.“ Der Arzt besah sich die Wunde genau. „Das sieht ziemlich schlimm aus. Gut, das du gleich zu mir gekommen bist, damit ist nicht zu spaßen. So eine Brandwunde wie diese kann sich leicht entzünden und eine Blutvergiftung nach sich ziehen. Ich gehe davon aus, dass du deine Hand auch behalten willst.“ Demian wurde blass. „Ganz ruhig, soweit lasse ich es nicht kommen. Je früher, desto besser die Chancen. Aber ich kann dir jetzt schon sagen, es wird eine Narbe bleiben.“ Der Dieb zuckte die Schultern. Immer noch besser, als die Hand zu verlieren. Das konnte er sich nicht leisten, es wäre sein Verhängnis. Er schüttelte sich innerlich bei der Vorstellung, so verkrüppelt zu werden. „Die Schnittwunden sind nicht so schlimm, ich mache eine Salbe darauf, damit sie sich nicht auch entzünden und verbinde sie, dann werden sie schnell abheilen. Aber deine Hände nicht das einzige Problem nicht wahr?“, fuhr der Arzt fort. „Du machst den Eindruck, als müsstest du dich gleich übergeben. Jedenfalls hast du deine Hand nicht umsonst so fest auf den Magen gepresst, oder?“ „Euch kann man nichts verheimlichen…“ „Das macht die Erfahrung. Da hilft das hier.“ Chiron machte Wasser heiß, tat einige Kräuter hinein und stellte ihm dann einen Becher hin. „Das wird deinen Magen schnell beruhigen.“ Demian musterte die grünliche Flüssigkeit etwas skeptisch. „Keine Angst, ich will dich doch nicht vergiften! Habe ich dir nicht schon bewiesen, dass du mir vertrauen kannst?“ Das war ein Argument. Also brachte er es hinter sich. Und nach einer Weile ließ die Übelkeit nach, bis sie ganz verschwand. So fühlte sich Demian viel besser. „Also, mein Junge. Es gibt zwei Möglichkeiten: die sanfte oder die harte Tour.“ „Das heißt?“ „Ich kann dir ein Mittel geben, dass betäubend wirkt, so dass du einschlafen wirst und nichts spürst. Wenn du aufwachst ist alles vorbei.“ „Oder?“ „Oder du wählst eine Behandlung ohne Betäubung. Das wird allerdings sehr schmerzhaft, dass du glatt die Wände hoch gehst und ich dich festbinden müsste.“ Chiron sah ihn abwartend an. „Deine Entscheidung. Obwohl, wenn ich mir deine Miene so ansehe“, er lächelte, „denke ich, du ziehst ein Nickerchen vor, nicht wahr?“ Demian nickte stumm. „Dachte ich mir, bisher hat jeder die schmerzfreie Methode vorgezogen. Allerdings wird es nicht billig werden.“ „Dafür könnt Ihr ja nichts. Ihr bekommt das Geld, ich werde Euch bestimmt nicht darum prellen, macht Euch da keine Gedanken.“ Chiron nickte und begann dann, die nötigen Utensilien zusammen zu suchen, während Demians Gedanken abschweiften. Im Nachhinein erschien es ihm fast wie ein Wunder, der Flammenhölle entkommen zu sein. Er fragte sich, wer ein Interesse haben könnte, ihn so ins Jenseits zu befördern. Na ja, genaugenommen gab es da sehr viele. Kopfgeldjäger konnten es wohl nicht gewesen sein, die brachten ihre „Beute“ gewöhnlich lebend zu ihren Auftraggebern und kassierten dann ihre Belohnung. Wahrscheinlich waren es gedungene Auftragsmörder. Aber wer konnte die beauftragt haben und warum? „Hörst du mir zu?“ Demian schreckte aus seinen Gedanken hoch. „Was habt Ihr gesagt?“ „Ich sagte, du sollst dich jetzt im Nebenraum auf das Behandlungsbett legen. Im Sitzen wäre es doch etwas unbequem. Wo warst du denn mit deinen Gedanken?“ Der Dieb sah Chiron entschuldigend an. „Jedenfalls nicht hier.“ „Das habe ich gemerkt.“ Demian streckte sich auf dem Bett aus und der Arzt reichte ihm einen Becher. „Dann wollen wir mal. Trink das und entspann dich.“ Gehorsam hob Demian den Becher an die Lippen. Das Zeug schmeckte irgendwie herb, aber nicht unangenehm, fast wie der Wein, den Arthur aus schenkte. „Gut so.“ Chiron legte sich verschiedene Geräte zurecht, deren Anwendung ihm fremd waren und nach der er lieber nicht fragte. Nach einer Weile wirkte der Trank und Demian fühlte sich wie in Watte gepackt. „Entspann dich, wenn du aufwachst, ist es vorbei“, hörte er Chirons Stimme, die von weit weg zu kommen schien. Er ließ sich zurück sinken und schloss die Augen. Irgendwo raschelte etwas, dann glitt er in einen tiefen Schlaf. Chiron prüfte kurz, ob er wirklich nichts mehr spürte, nickte zufrieden und machte sich an die Arbeit. Er hatte noch keine fünf Minuten gearbeitet, als die Ladenklingel ertönte. Er ging in den Eingangsraum und erstarrte. Eine Stadtwache. „Guten Abend. Habt Ihr freundlicherweise kurz Zeit? Ich brauche ein gutes Mittel gegen Husten, mein Kamerad keucht sich noch die Lunge aus dem Hals!“ Der Arzt atmete unmerklich auf. Er wusste, was passieren würde, wenn der Mann entdeckte, wen er gerade behandelte. Die Stadtwachen taten in diesem Viertel ihren Dienst zwar längst nicht so gewissenhaft wie im Adelsviertel, aber sie alle wussten, wer Demian war. Und dieser Hüne hier sah nicht so aus, als wenn er bei einer Verhaftung Widerspruch gelten lassen würde. Abgesehen davon würde er wohl selbst auch gleich mitgenommen werden, weil er ihn deckte. „Einen Moment bitte.“ Der Arzt kramte im Regal. „Was ist das denn für ein Zimmer?“ Verdammt, er hatte die Tür nicht richtig geschlossen. Was für ein neugieriger Kerl, Chiron musste verhindern, dass er da reinging. „Das ist ein Behandlungsraum. Aber der ist für Euch tabu, mein Herr! Diskretion!“ „Es riecht hier irgendwie verbrannt!“ „Ach, das...“ Der Arzt legte sich schnell eine Ausrede zurecht: „... das ist nur das Ofenrohr. Da hatte sich kürzlich eine Ratte drin verirrt und als ich den Ofen anfeuerte, na ja, Ihr könnt es euch wohl denken. Der Geruch zog durch das ganze Haus und ist leider etwas hartnäckig.“ „Mal ordentlich lüften!“ „Na, Ihr macht mir Spaß! Natürlich tue ich das jeden Tag. Aber bei dieser Kälte halte ich die Zugluft nicht lange aus, ich bin auch nicht mehr der jüngste. Außerdem, wer kümmert sich um die Leute, wenn der Arzt selber krank wird?“ „Da habt ihr auch wieder recht.“ „Hier habe ich das Mittel, euer Kollege soll es unverdünnt nach jeder Mahlzeit nehmen. Sollte es nicht besser werden, dann kommt noch einmal zu mir.“ „Danke.“ Der Wachmann nahm das Fläschchen entgegen, bezahlte den Arzt und trollte sich. Nun machte Chiron da weiter, wo er aufgehört hatte, er wollte fertig sein, bevor die Wirkung des Betäubungstranks nachließ. Langsam schlug Demian die Augen auf. Zuerst war alles verschwommen, dann klärte sich seine Sicht und er erkannte den Arzt, der unweit von ihm an einem Tisch saß. Er richtete sich auf. Seine Hand war dick verbunden und er spürte ein leichtes Pochen. Als Chiron bemerkte, das Demian wach war, lächelte er gutmütig. „Na, ausgeschlafen?“ „Ich denke schon“, antwortete der Dieb noch etwas benommen. „Wie fühlst du dich?“ „Eigentlich ganz gut.“ Er stand auf. „Ich sollte jetzt gehen. Ihr versteht sicher, dass ich nicht länger als unbedingt nötig hier bleiben kann.“ „Sicher.“ Der Arzt begleitete Demian bis zur Tür. „Ich erwarte dich trotzdem morgen wieder hier. Der Verband muss möglichst täglich gewechselt werden.“ „In Ordnung. Wie viel muss ich euch bezahlen für heute?“ Chiron nannte ihm eine Summe und er nickte. „Gut, ich werde das Geld dabei haben.“ „Ich verlasse mich darauf.“ Kapitel 9: Begegnungen ---------------------- Die restliche Nacht verbrachte der junge Dieb in unruhigem Schlaf. Die Ereignisse verfolgten ihn bis in seine Träume. Am Morgen danach wurde er von lauten Stimmen geweckt. „Raus mit dir!“, schrie eine weibliche Stimme wütend. „Und komm nicht eher wieder bis du endlich wieder nüchtern bist!“ „Ich ... hicks ... hab doch nur … hicks... 2 Becher getrunken … hicks...“ „Zwanzig trifft es wohl eher, du elender Trunkenbold! Und jetzt raus und schlaf irgendwo deinen Rausch aus, aber nicht bei mir! Es stinkt in dieser Gegend so schon wie die Pest, da brauche ich das nicht auch noch! Raus!“ Türen knallten und der Betrunkene torkelte vor sich hin murmeld die Treppe runter. Demian schüttelte den Kopf, dass konnte niemand anderes sein, als das Ehepaar am anderen Ende des Ganges. Es verging eingentlich kein Tag, an dem es bei denen nicht laut wurde und meistens ging es um die Trinkerei des Mannes. `Zum Glück kenne ich meine Grenzen“, dachte Demian spöttisch. Er selbst war noch nie betrunken gewesen und er hatte auch nicht das Bedürfnis diesen Zustand kennen zu lernen. Er stand auf und öffnete seine Truhe. Seine Sachen vom Vortag rochen noch nach Rauch und er suchte sich etwas anderes. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, sich mal wieder etwas neue Kleidung zuzulegen. Er kannte da einen guten Schneider und beschloss ihn aufzusuchen. Er musste sowieso in diese Richtung, denn heute war Markttag und er musste Vorräte auffüllen. Zuallererst aber wollte er ein Bad nehmen, um sich von dem ganzen Schmutz der letzten Tage zu befreien. Das warme Wasser war eine Wohltat. Nur das Pochen in seiner verletzten Hand erinnerte ihn daran, dass er auch noch zu Chiron gehen musste. Die Schnittwunden waren leicht genug und verschorften bereits. Nachdem er sich angezogen hatte, frühstückte er noch etwas, dann nahm er zwei leere Körbe und machte sich auf den Weg zum Markt. Inmitten des emsigen Treibens und doch verloren, standen zwei Jungen auf dem Markt. Der eine war nicht älter als vierzehn, der andere kaum zehn Jahre alt. Sie froren sichtbar und sahen sehr mager aus. Hand in Hand gingen sie herum und versuchten, etwas zu Essen zu erbetteln, aber egal an wen sie sich wandten, alle schüttelten die Köpfe und vertrieben sie. Da versuchten sie ihr Glück an einem Stand mit Gemüse, der von einem dicken Mann betrieben wurde. Als der die Jungen sah, machte er eine Miene, als wollte er sie auffressen. „Was wollt ihr?“ „Bitte Herr“, sagte der ältere der beiden. „Habt ihr nicht etwas für uns übrig? Wir wollen auch nichts gutes, nur ein klein wenig ...“ „Nein!“, unterbrach der Dicke ihn. „Ich muss sehen das ich meine Ware gut verkaufen kann, für Bettler habe ich nichts übrig!“ „Bitte Herr ...“ „Verschwindet, ihr Bengel! Aber schnell!“ Die beiden suchten lieber das Weite. „Ich hab solchen Hunger“, schluchzte der kleinere der beiden. „Nicht weinen kleiner Bruder, vielleicht finden wir doch noch jemanden, der uns etwas abgibt.“ Demian, der wegen der Stadtwachen im Schatten verborgen alles beobachtet hatte, fühlte sich mit einem Schlag in seine eigene Vergangenheit zurückversetzt. Er wusste, was hungern bedeutete und sah sich selbst, wie er auch vertrieben worden war, wenn er mit knurrendem Magen und sehnsüchtig auf die Stände blickend, jemanden um etwas gebeten hatte. Kurzentschlossen stattete er dem Händler einen unauffälligen Besuch ab. Und kurz darauf hörten die beiden Jungs sein wütendes Schreien: „Mein Geld! Gestohlen! Diebe!“ Die Stadtwachen eilten herbei und machten sich dann schnell auf die Suche. Doch der junge Meisterdieb war längst wieder in die schützenden Schatten verschwunden. Als die Aufregung sich etwas gelegt hatte, gesellte er sich zu den beiden. „Hier sind ja Diebe unterwegs!“ „Hab keine Angst, wir haben sowieso nichts, was die stehlen würden.“ Sie zuckten zusammen als sie eine Stimme aus dem Nichts hörten: „Das lässt sich ändern.“ Zu ihrer Verwunderung stand jemand neben ihnen. Eine große, dunkel gekleidete Gestalt in einem weiten Kapuzenmantel. Sie spielte mit einem prall gefüllten Geldbeutel. „Wer seid ihr?“ „Das ist unwichtig. Wichtiger ist, das ihr zwei mal an etwas zu Essen kommt. Das hier dürfte dafür reichen.“ Der Fremde gab ihnen den Geldbeutel des Gemüsehändlers in die Hand. „Seid aber vorsichtig damit, lasst den Beutel niemanden sehen. Am besten, ihr macht, dass ihr hier weg kommt. Geht zum Markt im Südviertel.“ Staunend hielten die beiden den Beutel in den Händen. „Danke Herr“, sagte der ältere, aber Demian war schon wieder verschwunden. Lada schlenderte gemütlich durch die Budengassen. Sie hatte keine Eile und sah sich in Ruhe die Waren an, die sie ohnehin immer genau prüfen musste. In einer Wirtschaft, wie ihr Onkel sie betrieb, konnte man es sich nicht leisten, schlechte Ware zu kaufen. Als sie an einem Kleidungsstand vorbei kam, hielt sie inne. Obwohl der große, dunkel gekleidete Mann im Kapuzenmantel, der dort stand, ihr den Rücken zu wandte, hatte sie das Gefühl ihn zu kennen. Neugierig trat sie näher und tat, als ob sie die Kleidungsstücke, die der Händler anbot, begutachtete. Vor ihr stapelten sich allerlei Wintersachen. Handschuhe, Mäntel, auch Schuhwerk war im Angebot. Auf dem Boden neben dem Mann standen zwei Körbe, einer leer, der Größere voll mit Kaminholz. Und nun bückte er sich, um einen zusammengefalteten dunklen Mantel über die Scheite zu legen. Er erhob sich wieder und betrachtete weiter die Waren. Sein Gesicht aber blieb unter der Kapuze fast völlig verborgen. Als er den Verkäufer etwas fragte, kam Lada seine Stimme bekannt vor: „Wie viel kostet bitte dieses Paar Handschuhe?“, und er deutete auf ein Paar schwarze Lederfingerlinge. Dabei sah sie, dass er ein paar verschorfende Schnittwunden an den Fingern und dazu einen Verband an seiner linken Hand hatte. „Die kosten zwanzig Goldstücke. Wollt Ihr sie einmal anprobieren?“ Das tat der Kunde und sie passten genau. Er legte die Handschuhe ebenfalls in den Korb und bezahlte den Händler, bevor er ging. Lada vergaß ihre Einkäufe und folgte ihm. Sie dachte nicht darüber nach, sie tat es einfach. Bald merkte sie, dass der Mann auffallend den Schatten folgte und stets einen großen Bogen um die Stadtwachen machte. Er machte noch an diversen Lebensmittelständen Halt, dann verließ er den Markt in Richtung östliches Viertel. Da hörte sie eine tiefe Stimme, die den Mann anrief. „He, sieh mal einer an, wen haben wir denn da? Du hier mitten am Tag?“ Der einäugige Kerl in Seemannstracht, ein Stammgast ihres Onkels, der sich jetzt von der Wand der Stadtbibliothek abstieß und auf den Mann zuging, schien ihn zu kennen. Und als jener etwas mehr ins Licht kam, man sein Gesicht erkennen konnte und der Kerl ihm beim Namen nannte, fiel es Lada wie Schuppen von den Augen. „Wenn das nicht Demian, unser stadtbekannter Meisterdieb, ist! Kommst wohl von einem Einkaufsbummel, was?“ Lada schluckte. Es war der junge Mann, den sie in der Kneipe ihres Onkels das erste Mal gesehen hatte. Er hatte sie sogar vor diesem zudringlichen Kerl gerettet. Sie hatte ihn seitdem nicht wieder gesehen, aber aus irgendeinem Grund auch nicht vergessen. Besonders seine Augen, so ernst und tief wie Brunnen, hatten es ihr angetan. Und hatte sie sich verhört oder hatte der Seemann ihn wirklich gerade Meisterdieb genannt? Lada hatte ebenfalls schon die Gerüchte gehört, um den berüchtigten Dieb Demian, der noch nie gefasst worden war. War das wirklich er, oder gab es noch jemanden der diesen Namen trug? „Kannst du auch noch lauter reden, Giso?“, fragte Demian nun gereizt. „Es muss doch nicht jeder wissen, dass ich hier bin, besonders nicht die beiden da drüben!“ Er deutete auf zwei Stadtwachen, die in der Nähe standen. Dieser Reaktion nach war er es wohl wirklich oder zumindest war er den Gesetzeshütern kein Unbekannter. „Tschuldigung. Ist nur etwas ungewöhnlich.“ „Es gibt nun mal keinen Nachtmarkt.“ „Nein.“ Giso grinste. „Aber gut das ich dich treffe. Ich wollte dir mal etwas zeigen, du wirst staunen!“ „Später, ich habe gerade wenig Zeit.“ „Ja, bring erst mal deine Einkäufe nach Hause, wo auch immer du dich verkrochen hast! Ich schlage vor wir treffen uns in zwei Stunden an der Schöpferstatue am Hafen. Einverstanden?“ Warum um alles in der Welt wollte sich jeder immer an dieser Statue treffen? „Um was geht es überhaupt?“ „Das verrate ich noch nicht, Geheimnis! Also?“ „Also gut, in zwei Stunden.“ Demian wandte sich um und ging ohne ein weiteres Wort. Wieder folgte er konzentriert und ruhig den Schatten. Dann aber blieb er stehen und sah sich um. Lada versteckte sich rasch in einer kleinen Nebengasse. Hatte er sie bemerkt? Nach einem Moment ging er weiter und Lada mit genügend Abstand weiter hinter ihm her. Auf einmal torkelte ein betrunkener Bettler aus einer Gasse und rempelte sie unsanft an. „Pass doch auf!“, zischte sie. Der Bettler torkelte lallend davon. Nun hatte sie ihn aus den Augen verloren. Sie stand an einer Kreuzung, in welche Richtung war er gegangen? Sie entschied sich für die Gasse rechts von ihr und ging vorsichtig hindurch. Sie sah und hörte aber niemanden. Es war wohl doch die falsche Entscheidung gewesen. Das war Pech. Sie seufzte und wandte sich zum Gehen um, als sie eine Stimme an ihrem Ohr hörte: „Wer bist du und warum verfolgst du mich?“ Instinktiv wollte sie ihren verborgenen Dolch ziehen, aber ihre Handgelenke waren fest im Griff eines Mannes. „Ich... ich wollte nichts...“, stotterte sie. „Aha. Und weil du nichts von mir willst, folgst du mir vom Markt durch die halbe Stadt?“ Er hatte sie also doch bemerkt. Und zwar die ganze Zeit über, er war wirklich gut. „Ich wollte nur wissen wohin du willst! Lass mich doch endlich los, Demian!“ Als er seinen Namen hörte, ließ Demian sie los und sah sie erstaunt an. Und als Lada den Kopf hob und ihm ins Gesicht sah, erkannte er jene Katzenaugen wieder, die er die ganze Zeit, seit ihrer ersten Begegnung in der Kneipe, nicht hatte vergessen können. Oft hatte sie sich in seine Gedanken gedrängt, sogar geträumt hatte er schon von ihr, wenn er sich recht erinnerte. Er wusste nur nicht, dass es ihr genauso gegangen war. „Ich kenne dich“, sagte er leise. „Du bist die Nichte von Arthur, dem Kneipenwirt.“ „Ja.“ „Was willst du von mir?“ Lada lächelte verlegen. „Ich... ich weiß es nicht, ich bin dir einfach gefolgt ohne nachzudenken.“ Laute Schritte waren zu hören, von schweren Stiefeln, wie sie nur Stadtwachen trugen. Sie kamen in ihre Richtung. „Du solltest gehen“, sagte Demian. „Die Stadtwachen fragen erst, nachdem sie einen verhaftet haben. Und das kann heutzutage schon dafür sein, zur falschen Zeit am falschen Ort zu wandeln. Und wohin ich gehe, werde ich dir nicht sagen.“ „Es tut mir leid, wenn ich dich verärgert haben sollte.“ „Schon gut.“ Er nahm seine beiden Körbe, die er in eine Nische gestellt hatte. Ihre Frage traf ihn völlig unerwartet: „Sehen wir uns einmal wieder?“ Kaum hatte Lada das gesagt, senkte sie errötend den Kopf. Wie kam sie denn auf die Idee? Sie hatte schon wieder gar nicht nachgedacht, es war ihr einfach raus gerutscht. Nun starrte der Dieb sie ungläubig an und wusste offensichtlich gar nicht, was er darauf antworten sollte. Ihre Blicke trafen sich wieder und beide hatten ein seltsames, unbekanntes Gefühl. Schließlich drehte sich Demian rasch um. „Vielleicht.“, war seine leise, zögernde Antwort, als er aus ihrem Bllickfeld verschwand. Seufzend erledigte Lada nun endlich ihre Einkäufe. Demian selbst brachte seine Einkäufe heim. Aber nun spukte ihm diese junge Frau im Kopf herum. Ihre Frage hatte ihn völlig überrascht, wie kam sie nur auf so etwas? Er schüttelte den Kopf. ‚Hör auf, es ist nur eine Frau! Ich kann mir so etwas nicht erlauben!‘ Aber er konnte es nicht ganz vergessen. Um sich abzulenken suchte er zunächst den Schneider auf, der ihm fröhlich zusicherte, ihm die gewünschten Sachen innerhalb einer Woche fertig zu haben. Danach ging er zu Chiron, der schon auf ihn gewartet hatte. „Da bist du ja, ich dachte schon du kommst nicht.“ „Ich hatte noch anderes zu erledigen.“ „Wie geht’s der Hand?“ „Es tut noch weh, aber es geht.“ „Dann zeig mal her.“ Der Arzt besah sich die Hände. „Hm, sieht doch schon ganz gut aus. Die Schnittwunden brauche ich nicht weiter zu behandeln, die haben sich schon geschlossen. Die Brandwunde wird aber noch eine Weile dauern.“ Er bestrich die Stelle mit Salbe und verband sie wieder. „Ich denke, so mindestens vier oder fünf Tage lang musst du dir von mir den Verband noch wechseln lassen, dann werde ich sehen, ob ich die Fäden entfernen kann.“ Demian nickte. „Das werde ich.“ „Freut mich, dass du so gut auf deinen Arzt hörst!“ Chiron lachte und lockte selbst dem sonst so ernsten jungen Mann ein amüsiertes Lächeln ab, bevor dieser sich verabschiedete. Draussen hörte er die Glockenturmuhr schlagen. Es war zwar noch etwas Zeit, aber da er nichts besseres zu tun hatte, begab er sich zum Hafen. Normalerweise wartete Giso auf ihn, diesmal war es umgekehrt. Der Seemann war kurz darauf auch schon zur Stelle und staunte, dass der Dieb eher da war als er. „Du bist aber früh dran! Na umso besser.“ „Was willst du mir jetzt zeigen?“ „Ich zeige dir etwas Übernatürliches. Ich kenne da eine Wahrsagerin, die ihren Worten nach direkt mit Geistern und sogar dem Schöpfer selbst in Verbindung treten kann.“ „Aha...“ Demian war äußerst skeptisch. Er glaubte weder an den Schöpfer noch sonst eine höhere Macht, aber seine Neugier überwog schließlich. Giso führte den jungen Dieb durch den Hafenbezirk und blieb vor einer alten Hütte stehen. Über der Tür prangte ein Schild mit einer Glaskugel und Sternen als Motiv und am Schild an der Wand stand: Madame Kira, Wahrsagerin und Sterndeuterin. Jetzt war Demian gespannt. Nicht, dass er an die Wahrheit von Madame Kira´s Praktiken glaubte, aber es könnte interessant sein, zu hören, was sie ihm wohl zu sagen hatte. Giso bemerkte Demians Zweifel. „Wart´s nur ab. Du wirst dich noch wundern, das garantiere ich dir.“ „Sag bloß, du glaubst an solche Märchen?“ „Jetzt ja. Zuerst hab ich auch drüber gelacht, was sie mir da erzählte, aber es ist alles haargenau so eingetroffen, wie sie es voraus gesagt hat!“ „Unsinn.“ „Es stimmt, so wahr ich hier stehe. Und du wirst auch noch bekehrt werden.“ Der Dieb musste lachen über diese gestelzte Wortwahl. Verärgert, dass der Dieb ihn nicht ernst nahm, schnaufte Giso und klopfte. Ein leises „Tretet ein!“ war zu hören und die beiden betraten das Haus. Demian sah sich um. Die ganze Einrichtung war auf das „Handwerk“ der Frau ausgerichtet. Sternenkarten, seltsame runde Gehänge aus Holz mit Steinen, Fäden und Federn und Bilder mit undefinierbaren Motiven zierten die Wände. Ein großer runder Tisch stand in der Mitte, darauf stand auf einer schwarzen Samtdecke eine Glaskugel und ein Stapel Karten. Überall Kerzen und der Duft seltener Kräuter und Blumen erfüllte die Luft hier. Demians Blick fiel auf ein Regal. Gläser und bunte Halbedelsteine in allen Größen und Formen, er fragte sich, wozu das gut sein sollte. „Was wünscht ihr?“ Die Stimme kam so plötzlich, dass der Dieb herumfuhr. Er hatte niemanden kommen gehört, aber am Tisch saß jetzt eine alte Frau. Ihre langen weißen Haare wurden von einem Schultertuch überdeckt, sie war mit Goldschmuck behängt. Giso lachte. „Das macht sie immer so.“ „Setzt euch.“, sagte Madame Kira, ohne aufzublicken. „Was wünschen die Herren?“ „Ich nichts, mir habt Ihr schon genug geweissagt, Madame Kira“, antwortete Giso. „Aber mein Begleiter möchte sich gerne von Euren Fähigkeiten überzeugen.“ „Ich möchte Euch sehen.“ Demian war verwirrt. „Ich bin doch vor Euch.“ Da hob sie den Kopf, ihre Augen waren grau, trüb und starrten ins Leere. Erst jetzt begriff er, dass die alte Frau blind war. Sie lächelte. „Ich sehe auf eine andere Art. Gebt mir Eure Hände.“ Ihre beringten Finger fuhren langsam über Demians Handflächen. „Erstaunlich.“ Madame Kira blickte ihm direkt ins Gesicht und obwohl ihre blinden Augen ihn nicht sahen, hatte Demian das Gefühl, abgeschätzt zu werden. „Ihr seid ein besonderer Fall.“ „Warum?“ „Ihr nehmt es mit dem Gesetz nicht sehr genau, nicht wahr? Ihr seid als Krimineller bekannt.“ Für einen Moment war Demian sprachlos. Woher wusste sie das? Giso beobachtete mit stillem Vergnügen die wachsende Verblüffung des Diebes. Dieser drehte sich nun zu ihm um und blickte ihn vorwurfsvoll an. „Ich habe ihr nichts von dir erzählt, Ehrenwort!“ „Ach ja? Woher weiß...“ „Ich erkenne bei jedem meiner Kunden, welchem Erwerb er nach geht“, unterbrach ihn die Frau. „Auch, dass Ihr jemand Besonderes in eurem Metier seid. Ich hatte schon einige nach außen hin unbescholtene Bürger, an deren Händen das Blut Unschuldiger klebte. Doch Eure Hände sind rein. Ihr habt Euch trotz des Weges, den Ihr gewählt habt, ein reines Herz bewahrt. Und da war noch so eine Sache, die euch sehr beschäftigt hat, nicht wahr? Es hat etwas zu tun mit einer Witwe mit Kind. Und mit Schuld und Sühne.“ Demian war wie vom Donner gerührt, als ihm die Bedeutung dieser Wort aufging. Der unglückliche junge Wachmann, dem er zu helfen versucht hatte und dessen Todessturz mit ansehen musste. Davon hatte er nun wirklich niemandem erzählt, wie konnte sie das wissen? Giso wunderte sich ob seines Gesichtsausdrucks, fragte aber nichts. Die alte Frau lächelte. „Es war nicht eure Schuld.“ Nun strichen ihre beringten Hände über die Glaskugel. Demian erwartete schon, darin eine Rauchwolke zu sehen. Es tat sich nichts, aber die Alte starrte konzentriert hinein und ihr Mienenspiel schwankte zwischen Freude, Mitleid, Angst und Erleichterung. „Es wird Veränderungen geben“, sagte sie jetzt zu Demian. „Freudige wie auch schlechte Ereignisse werden kommen. Ich sehe eine sehr schwere Zeit auf euch zu kommen, ihr werdet schlimmes erdulden müssen.“ Der Dieb schluckte. „Was für Dinge?“ „Das kann ich nicht genau sagen, aber es wird alles ein gutes Ende nehmen, wenn es Euch beruhigt. Und Ihr müsst letztlich Entscheidungen treffen, die Eurer restliches Leben entscheidend beeinflussen und verändern werden.“ „Inwiefern?“ „Das liegt ganz allein an Euch. Ich sehe nur vorher, was in Zukunft eintreffen wird, doch letztlich ist sie das, was Ihr daraus macht.“ „Danke...“ Mehr brachte Demian nicht heraus, irgendetwas an ihren Worten hatte ihm in seinem tiefsten Inneren berühert. Abrupt stand er auf. „Ich muss gehen.“ Giso wollte ihn noch zurückhalten, aber er ließ es nicht zu. Den Türgriff schon in der Hand hielt er noch einmal inne, als Madame Kiras Stimme noch einmal erklang. „Du bist ein seltenes Kind der Schatten. Sei auf der Hut.“ Er nickte stumm und verließ fast fluchtartig das Haus. Kapitel 10: Das St. Bernhard-Fest --------------------------------- Vor seinem Kamin sitzend, dachte Demian noch lange an die Worte der alten Frau. Hatte Giso wohlmögich recht gehabt und sie konnte wirklich Dinge vorhersehen? Er war immer der Ansicht gewesen, das nur der Mensch selbst für sein Schicksal verantwortlich war. Aber sie hatte ja auch gesagt, es komme darauf an, wie er es anging. Er würde nichts an seinen Gewohnheiten ändern und die Dinge nehmen wie sie kamen und das Beste daraus machen. An den nächsten Tagen herrschte überall geschäftiges und vor allem gut gelauntes Treiben. Zunächst wunderte sich Demian bei seinen kleinen Streifzügen, die er oft zum Taschendiebstahl nutzte. Doch dann fiel ihm ein, welcher Tag bevor stand. Der Ehrentag des St. Bernhard, heiliger Märtyrer des Schöpferordens. Es war ihm zwar schleierhaft, warum dieser Tag immer im Winter gefeiert wurde, aber die Gläubigen unter den Städtern – und das waren die Meisten – störte das eisig kalte Wetter an diesem Tag nicht. Feiertag war Feiertag. Trotz des Schnees wurden auf den Märkten viele Buden aufgebaut, die Geschäfte und Kneipen lockten gar mit erniedrigten Preisen. Selbst die Ärmsten vergaßen an diesem Festtag für ein paar Stunden ihr Elend. Am Tag des Festes wurde er von lautem, frommen Gesang geweckt und schaute aus seinem Fenster. Eine Prozession an Priestern zog singend und betend durch sein Viertel. In seinem Mietshaus war es auch ungewöhnlich still, hatte er so lange geschlafen? Die meisten anderen Mieter waren längst auf den Straßen und feierten. Der Lärm des Festes, frommer Gesang und fröhliches wie auch trunkenes Gelächter war überall zu hören. Er selbst blieb den Tag über zuhause und ging erst nach Einbruch der Dunkelheit hinaus. So fühlte er sich einfach sicherer. Aber er hielt sich abseits und beobachtete nur alles. Sein Weg führte ihn in Richtung Hafen. An einer Ecke dort prügelten sich ein paar Betrunkene. An einer anderen Ecke sah er ein paar dunkle Gestalten, Mitglieder der Diebesgilde, die auf ahnungslose Leute warteten. Er lief lieber in der entgegen gesetzten Richtung weiter. „He, wen haben wir denn da?“ Das war die Stimme seines Informanten Giso. „Was machst du denn hier, willst du auch mit feiern? Oder nur das Durcheinander hier ausnutzen?“ Der alte Mann lachte. „Ich wollte grade im „Leuchtturm einkehren. Weißt du was, ich lade dich ein!“ Demian zögerte, ihm war nicht wirklich nach Feiern zumute, Madame Kiras Worte beschäftigten ihn immer noch. „Nein, ich habe anderes zu tun.“ „Was für eine schlechte Ausrede! Ich sehe dir an, irgendetwas beschäftigt dich. Etwas Ablenkung wird dir nicht schaden. Wer sollte dich hier schon erkennen? Die Stadtwachen sind an Tagen wie diesen auf beiden Augen blind und taub sowieso.“ „Ich weiß nicht...“ „Ach komm schon, was ist gegen ein bisschen Bier an einem solchen Tag einzuwenden, noch dazu, da es um einiges billiger ist als sonst! Ich zahle!“ Demian seufzte Eigentlich hatte der alte Seeman recht. Er brauchte wirklich etwas Ablenkung. Warum sollte nicht auch er einmal einen unbeschwerten Abend haben? Niemand scherte sich heute um irgendetwas, auch was die Stadtwachen anging, hatte Giso den Nagel auf den Kopf getroffen. Er ließ sich ja deshalb nicht gleich gehen, es würde eine Ausnahme bleiben. Er gab nach und Giso führte ihn zu seiner eigenen Lieblingskneipe, die alte Spelunke an den Docks. Was ihm heute noch hier passieren sollte, ahnte er nicht. Die beiden Männer traten ein und suchten sich einen freien Tisch, Giso bestellte beim Wirt zwei Humpen Bier. Der Abend wurde doch besser, als Demian gedacht hatte. Eine Gruppe von Männern gab Seemannslieder zum Besten. Überall hörte man Gelächter und das Klappern von Würfeln. Er ließ sich sogar überreden dieses neue Spiel auszuprobieren, das seit Kurzen in allen Kneipen die Runde machte. Man hatte ein paar kleine Pfeile, die man auf eine Scheibe, die an einer Wand hing schießen musste. Die Scheibe war in Felder und Ringe mit Zahlen unterteilt, je höher die getroffene Zahl, desto höher der Gewinn. Die anderen Männer schätzten Demian durch seine Jugend gering. Aber da er als guter Bogenschütze ein geschultes Auge hatte, gewann er einige Runden haushoch. Er blieb völlig gelassen, aber innerlich bereitete es ihm ein diebisches Vergnügen, die verdutzten Gesichter zu sehen. „Sag mal“, begann Giso in einer „Spielpause“, „Hast du auch das neueste Gerücht um unseren Meisterdieb gehört?“ Er zwinkerte Demian zu, dieser ließ sich lächelnd darauf ein. „Nein, was denn?“ „Es gibt da so einen Lord, dessen neuer Diener sich als verkleideter Dieb heraus gestellt hat. Er hat seinen Hauptmann achtkantig rausgeschmissen, heißt es und keiner sollte dem Kerl jetzt im Dunkeln begegnen. Und ich schätze nur einer ist in der Lage sich so etwas auszudenken.“ „Sagen wir so, der gute Lord hat jemanden Geld für einen Auftrag geschuldet und er hat es sich genommen.“ „Und dieser Jemand sitzt gerade neben mir, stimmts?“ Demian zuckte die Schultern. „Stimmt.“, sagte er gelassen. „Ja ja, wehe dem, der dich reinlegen will, nicht wahr? Der Streich wird diesem Fatzken von einem Lord noch lange nach hängen!“ Giso lachte und ging zum Tresen, um sich den jetzt schon vierten Humpen füllen zu lassen. Demian sah ihm nach und schüttelte leicht den Kopf. Er selbst hatte das Gefühl, dass ihm dieses Bier bereits jetzt, während er gerade erst am zweiten Humpen nippte, zu Kopf zu steigen begann. Ihm war schon leicht schwindelig. `Ich weiß wieder, warum ich eigentlich Wein bevorzuge. Das ist mir eindeutig zu stark`, dachte er, `ich sollte nichts mehr trinken.“ Auf einen Vollrausch mit anschließendem Kater konnte er sehr gut verzichten. Er ließ den Rest Bier einfach stehen, aß stattdessen noch eines der belegten Brote, lehnte sich zurück und beobachtete still den Trubel um sich herum. `Giso braucht aber lange`, dachte er und blickte zum Tresen. Gleich darauf musste er lächeln. Denn der Seemann war gerade dabei, eine Frau seines eigenen fortgeschrittenen Alters nach allen Regeln der Kunst zu umgarnen. Nur schaute sie ziemlich gelangweilt drein, das würde wohl nichts werden. Im selben Augenblick merkte er, dass jemand hinter ihm stand. „So allein hier an diesem großen Tisch?“, fragte eine weibliche Stimme. Der Dieb drehte sich um und da stand eine junge Frau, etwa so alt wie er. Sie war sehr schön und geizte nicht mit ihren Reizen. Sie trug ein hellgrünes, weit ausgeschnittenes Kleid mit einem eng geschnürtem Mieder, das lange dunkle Haar strich sie sich mit einer koketten Geste aus dem Gesicht. „Das kann man ja gar nicht mitansehen! Ein so gut aussehender Mann wie du, der das schönste Fest des Jahres hier ganz alleine bei Bier und Brot in der Kneipe verbringt? Das ist ja eine Sünde!“ „Ich... ich bin nicht allein hier.“ “Na ehe dieser Seemann zurück kommt, wird wohl noch eine Weile vergehen, was?“ Sie deutete lachend auf Giso. Dann stellte sie sich genau vor ihn, ein Bein angewinkelt auf einen Stuhl stellend, reckte sich und ließ Demian unfreiwillig den Blick auf (oder eher in) ihren tiefen Ausschnitt tun, bevor seine Augen dem verführerischen Winkel ihres Beines folgten. Ihre ebenso dunklen Augen hatten ein dem Dieb völlig unbekanntes Funkeln in sich, das nicht vom Licht stammte, aber unerklärlicher Weise etwas in ihm weckte, was er noch nie zuvor gespürt hatte. Eine seltsame, neue und fremde Art von Sehnsucht. Eine ungewohnte Begierde, die sich plötzlich besonders in seinen Lenden bemerkbar machte. Demian wunderte sich über sich selbst (lag es am starken Bier?), als er merkte wie sein Blick an ihrem Körper entlang glitt, es war das erste Mal, dass er eine Frau so bewusst betrachtete. Eine Mischung aus Neugier, einer gehörigen Portion Nervosität und seltsamer Erregung begann sich in ihm auszubreiten. Für einen Moment glaubte er gar, dass es Arthurs schöne Nichte war, die da so freizügig vor ihm stand und er musste blinzeln umd zu erkennen, dass es nicht so war. „Komm doch mit mir nach oben“, gurrte die junge Frau jetzt und blickte ihm tief in die Augen. „Dort haben wir Ruhe und machen es uns richtig schön gemütlich.“ Ohne recht zu begreifen was er da tat, lächelte er sie an, stand wortlos auf und sie nahm seine Hand. Sie war für eine Frau recht groß, reichte ihm, der selbst mit einer beachtlichen Körpergröße gesegnet war, mindestens bis zum Kinn. Seine Füße bewegten sich wie von selbst, als er ihr die Treppe nach oben folgte. Als sich die Tür hinter ihnen schloß und die schöne Unbekannte mit der Begründung, keiner solle sie stören, den Riegel vorschob, wurde er immer nervöser, sein Herz schlug schnell und kräftig. Langsam begriff er, worauf das hier hinaus laufen würde und er atmete tief durch. Sie drehte sich um und kam dem jungen Dieb jetzt so nahe, wie ihm nie zuvor überhaupt jemand nahe gekommen war. Demian schluckte und dachte ernsthaft daran, sie von sich zu stoßen und zu flüchten. „Warum bist du denn so nervös? Wir tun doch nichts Unrechtes. Oder hast du am Ende etwa Angst vor Frauen?“ Sie stemmte die Arme in die Hüften. „Ich habe nicht direkt Angst. Es ist nur, ich habe noch nie...“ Sie hob die Brauen, dann verstand sie. „... weil ich die erste Frau bin für dich, stimmts? Du bist sozusagen der Unberührte von uns beiden.“ In ihrer Stimme war kein Spott. Er konnte nur verlegen nicken. „Es ist doch nichts dabei, entspann dich einfach. Außerdem willst du es auch, ich sehe es an deinen Augen.“ Ehe sich Demian versah, küsste sie ihn auf die Wange. Er spürte ihre zarten, warmen Lippen auf seiner Haut. „Und überlass es mir, ich fühle mich ja geradezu geehrt, es dir zeigen zu dürfen“, flüsterte sie und begann, langsam und sanft an seiner Brust entlang zu streichen. Er bekam ein Gefühl, das er nicht beschreiben konnte, aber es gefiel ihm. Sie blickte ihm tief in die Augen, als sie ihre Zärtlichkeiten fortsetzte und er begann, diese zu erwidern. Schüchtern, vorsichtig umarmte er sie nun und automatisch strichen seine Hände über ihren Rücken. Lächelnd zog sie Demian jetzt ein paar Schritte Richtung Bett und fing an, die Knöpfe seines Hemds zu lösen. Jetzt gab es wirklich kein zurück mehr und er wollte es auch gar nicht mehr. Zu sehr genoss er ihre Berührungen. Sie zog ihm das Hemd ganz aus und strich mit warmen Händen über seine Brust. Er schluckte und ihm blieb für einen Moment die Luft weg, als sie damit aufhörte, aber nur, um nun mit dem Lippen seine Brustwarzen zu umschließen. Leise sog er die Luft ein. Die junge Frau kicherte, er spürte ihren Atem. Dann brachte sie ihn dazu, sich auf das Bett zu setzen und stellte sich vor ihn. Betont langsam öffnete sie nun ihr Kleid und das Mieder, streifte es sich über und lies es zu Boden fallen. Demian wurde beim Anblick ihres nackten Körpers vor Verlegenheit rot im Gesicht, doch er vermochte nicht die Augen von ihr abzuwenden. Ihre Haut schimmerte im Feuerschein des kleinen Kamins, ihre Brüste waren recht groß, voll und rund geformt und ihre Beine waren lang und schlank. „Na gefällt dir, was du siehst?“ Das Funkeln in ihren Augen verstärkte sich, als sie sich vornüber beugte um ihn wieder zu küssen. Ihre Hände streichelten seine Brust, gingen tiefer und er hätte beinahe gekeucht als ihre Finger an der empfindlichsten Stelle eines jeden Mannes angelangten. Seine wachsende Erregung war längst deutlich sichtbar geworden. Er wusste gar nicht richtig wie ihm geschah, sein Denken war wie ausgeschaltet, als sie ihn dazu brachte sich nun ebenfalls ganz auszuziehen und hinzulegen. Sie legte sich neben ihn und strich ihm über die Wange. „Ganz langsam, wir wollen es doch beide recht lange geniessen, nicht wahr?“ Ihr Lachen steckte ihn an und er konnte nicht anders als leise mit einzustimmen. „Lass dich einfach fallen, lass deinen Gefühlen freien Lauf. Du merkst schon, was dir selber dabei gut tut.“ Er tat was sie sagte und überließ sich ganz ihren weichen Händen und seinen eigenen Gefühlen, die ihn langsam übermannten. So innige Empfindungen, solche Erregung hatte er noch nie gespürt. So also fühlte sich Lust an, er hätte nicht gedacht, dass so etwas so schön sein konnte. Es war, als legte sich ein Nebel über sein Bewusstsein. „Ich zeige dir, was wir Frauen gern haben.“, hauchte sie, nahm seine Hand und führte sie an ihrem Körper entlang, während ihre eigene über den seinen und dabei auch immer wieder über seine empfindlichste Stelle strich. Den Sinn ihres leisen kicherenden „Prächtig, so mag ich es!“ begriff Demian zunächst gar nicht, aber es spielte für ihn in dem Moment auch keine Rolle. Er hörte wie aus der Ferne sich selbst bei ihren Berührungen stöhnen und hörte sie stöhnen, als er nun seine Hände auch ohne ihre Führung sprechen ließ. Er spürte ihre warme Haut auf seiner, hatte die festen Brüste unter seinen Fingern. Er war dabei zwar noch ein wenig unsicher, aber sie ließ ihn spüren, dass es ihr gefiel, was er tat. Sein Blick traf sich mit ihrem, als sie über ihm war und er zog sie jetzt vorsichtig auf sich. Ihr Haar strich wie Seide über seine erhitzte Haut. „Wie schön das ist“, flüsterte sie in sein Ohr, (er selbst brachte kein Wort heraus) dann richtete sie ihren Körper auf und vereinte sich mit dem seinen. Langsam ließ sie ihr Becken kreisen und seine Hände legten sich wie von selbst um ihre Hüften und strichen über das wohlgeformte Gesäß. Ihre Bewegungen wurden zu einem gemeinsamen Rhythmus und ihrer beider Lust steigerte sich immer weiter, bis sie im selben Moment ihren Höhepunkt erreichten. Sie waren beide erschöpft und seine, wie es Giso nennen würde, Eroberung legte sich noch ganz außer Atem, aber mit zufriedenem Lächeln neben ihn. Zunächst hingen sie beide stumm ihren eigenen Gedanken nach. Erst jetzt, sie im Arm haltend, noch genauso atemlos und völlig überwältigt, lichtete sich der seltsame Nebel in seinen Kopf und Demian wurde sich erst richtig darüber klar, was gerade geschehen war. Seine Anziehung auf Frauen war ihm immer sehr wohl bewusst gewesen, er hatte ihr verstohlenes Geflüster gehört, ihre Blicke gesehen, wenn er ab und an in eine Kneipe ging. Er hatte sich oft gefragt, wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn er sich mit einer Frau körperlich einließ. Doch diese Gedanken hatte er immer sofort wieder verdrängt, weil er eine solche Beziehung als gefährlich angesehen hatte. Doch jetzt war es wirklich passiert. Er hatte soeben seine körperliche Unschuld verloren, war vom Jüngling zum Mann geworden, hatte sich verführen lassen von einer Frau, die er nie zuvor gesehen hatte. Es war wie ein Rausch gewesen, gegen den er sich nicht hatte wehren können und auch gar nicht mehr hatte wehren wollen. Obwohl diese Empfindungen neu und ungewohnt gewesen waren, hatte Demian es seiner Unerfahrenheit zum Trotz so genossen, wie noch nie etwas zuvor. Dann lächelte er innerlich über sich selbst. War es auch die normalste Sache der Welt, für ihn aber war es in diesem Augenblick etwas ganz Besonderes gewesen. Schließlich richtete die junge Frau sich auf und lächelte ihn an. „Na wie fühlst du dich? Ich sehe, es hat dir gefallen“, sagte sie, während sie ihr Kleid überstreifte. „Gut.“ Demian nickte lächelnd und zog sich seinerseits wieder an. Und so fühlte er sich wirklich. Er fragte sich jetzt, warum er vorher so nervös gewesen war. Jetzt aber war er völlig entspannt, wie selten zuvor. Das merkte auch die junge Frau und lachte leise. „Ich sagte ja, es ist nichts dabei. Und dafür dass du vor mir noch keine Frau hattest, warst du gut. Ich habe es selbst lange nicht so genießen können.“ Demian stand auf, sie ebenfalls. Giso würde sich wohl schon fragen, wo er war. Und falls er mitbekommen hatte, dass er dieser Frau nach oben gefolgt war, würde er sich den Rest selber denken können. Seine altklugen Kommentare würe er Demian nicht ersparen, aber sollte der Seemann von ihm denken was er wollte, es war ihm egal. Eigentlich war es schon immer nur eine Frage der Zeit gewesen, wann diese Sache passieren würde und es war heute geschehen. Er war erwachsen, unabhängig und niemandem Rechenschaft schuldig. Als beide gerade die Treppe hinab gegangen waren und um die Ecke in den Schankraum wollten, hörte Demian etwas, was ihm gefährlich werden könnte, wenn er nicht sofort handelte. Er blieb wie angewurzelt stehen. „Was hast du denn?“ Die schöne Unbekannte musterte ihn erstaunt, als er vorsichtig um die Ecke schaute. Stadtwachen. Sie hatten sich wohl hier verabredet um ebenfalls zu feiern. Einen von ihnen erkannte er an jedoch seiner dröhnenden Stimme. Dieser Mann kannte sein Gesicht nur zu gut, er hatte ihn einmal vor einigen Monaten im Alleingang dermaßen bedrängt, dass er sich schon im Gefängnis gesehen hatte. Nur knapp war er ihm entkommen, seine hasserfüllten Drohungen klangen ihm heute noch im Ohr. Auf keinen Fall durfte er den Dieb sehen. Zu allem Überfluss setzten sie sich genau neben den Tisch, an dem Giso schon wieder saß und sich immer wieder suchend umsah. Offentsichtlich wartete er auf ihn, er musste ihn mit der Frau gesehen haben, denn er grinste öfters vor sich hin. Demian hatte nur die Möglichkeit, unbemerkt durch eine Hintertür zu verschwinden. „Was ist los?“ Sie ging weiter, Demian jedoch wandte sich um. „Ich muss gehen“, antwortete er ihr knapp. „Aber warum denn? Wir könnten noch etwas zusammen trinken, sozusagen als Abschluß, was meinst du?“ Demian schüttelte den Kopf. „Frage besser nicht nach“, sagte er leise, drehte sich aber noch einmal um und strich kurz, schüchtern, über ihre Wange. „Es war schön mit dir. Ich danke dir.“ Er lächelte sie an, dann verließ er mit stillem Bedauern die Schenke durch die Hintertür. Der Abend war noch jung, aber er ging auf direktem Weg heim. Er wollte jetzt allein sein und nachdenken. Kapitel 11: Das Herrenhaus -------------------------- Zuhause ging er auf und ab. Er wusste, er würde diese Frau wahrscheinlich nie wieder sehen. Dennoch würde dieser Abend ihm lange in Erinnerung bleiben. Was hätte Merlin wohl dazu gesagt? Demian erinnerte sich, dass sein Ziehvater manchmal alleine weg ging und beim zurück kehren so seltsam zufrieden und gleichzeitig wehmütig gewesen war. Natürlich hatte der junge Dieb gewusst, wo, oder eher bei wem er diese Zeiten verbracht hatte. Demian selbst hatte nie das Bedürfnis gehabt, Merlin zu begleiten. Er lächelte. Wahrscheinlich hätte sein Meister ihn damit aufgezogen, dass er endlich ein richtiger Mann sei. Und ihn ins nächste Freudenhaus mitgenommen. Am nächsten Tag wurden die Buden wieder abgebaut, der Alltag kehrte wieder ein. Demian ging ziellos durch die Straßen und fand sich schließlich (zufällig?) am Hafen in der Nähe der Kneipe wieder. Warum beschäftigte ihn diese Sache so sehr? Er war gerade ziemlich verwirrt, in seinem Inneren ging alles durcheinander. Nachdenklich stand er an einem Steg und blickte auf das Meer hinaus. Es war doch eine ganz normale Sache. Vielleicht war das einfach die Nachwirkung seiner zuvor völlig unbekannten Gefühle, die er empfunden hatte. Ihm war klar, dass es mit einiger Sicherheit nicht bei dieser einen Erfahrung bleiben würde. „Hab ich mich doch nicht getäuscht!“, riss ihn eine wohlbekannte Stimme aus den Gedanken. „Mich einfach in der Kneipe sitzen zu lassen!“ Der alte Seeman kam auf ihn zu. „War keine Absicht.“ „Also wo du gesteckt hast, brauchst du mir nicht zu sagen, ich habe doch Augen im Kopf!“ Giso grinste breit. „Das war aber auch eine süße Kleine, die du da abgeschleppt hast!“ „Es war eher umgekehrt“, murmelte Demian. „Hä?“ „Nichts. Neidisch?“, gab er zurück. „Vielleicht, ha ha! War es wenigstens gut mit ihr? Du kannst mir ja nicht erzählen, ihr habt nur geredet!“ `Ja, es war schön`, dachte der Dieb, aber er antwortete: „Denk doch was du willst. Ich brauche dir keine Rechenschaft abzulegen.“ „Aber warum bist du dann einfach abgehauen?“ „Ganz einfach, weil da jemand war, der mich nicht sehen durfte.“ „Aha, verstehe schon.“ Und da kam schon wieder jemand, auf dessen Gesellschaft Demian keinen Wert legte. Stich samt einiger Kumpanen kamen direkt in ihre Richtung. Der Dieb verabschiedete sich knapp und machte sich in die andere Richtung davon. Zunächst holte er die neuen Kleider vom Schneider ab, dann suchte er seine Händlerin Anna auf, um sich mit Waffen einzudecken. Danach ging er wieder heim und verbrachte den Rest des Tages mit Lesen und einem kleinen Nickerchen zwischendurch. Am Abend beschloss er einen neuen Streifzug. Am Rande der Stadt in der Nähe der Adeligen gab es ein großes Herrenhaus, das ihn schon lange reizte. Es lag recht abseits, aber es hieß in den kriminellen Kreisen, dort wäre etwas zu holen. Gerüchten zufolge hatten dort schon einige Diebe ihr Glück versucht und waren nie zurück gekehrt. Es war sogar von einem Fluch die Rede, dem diese Kerle zum Opfer gefallen wären, aber Demian schenkte dem keinen Glauben. Nach einer längeren Wegstrecke stand er auf der Hauptstraße vor dem Haus. Es unterschied sich deutlich in der Bauweise von anderen Adelsvillen. Reich verzierte Giebel, zwei spitze Ecktürme an jeder Seite des Gebäudes. Die Außenmauer war baufällig, was ihm gerade recht kam. Das einzig seltsame war die Stille hier. Keine Menschenseele weit und breit zu sehen oder zu hören. Der Dieb suchte sich von der Seitengasse aus eine Stelle, an der er gefahrlos die Mauer erklimmen konnte und befand sich nun im Garten. Am Haupteingang standen zwei Wachen, weitere drehten hier ihre Runden Er beobachtete die Wachen von einem Versteck aus eine Weile, um sich ihre Runden einzuprägen. Aber irgendetwas war hier ungewohnt. Und erst als eine Patrouille mehrmals an ihm vorbei gekommen war, wurde ihm klar, was. Es war vollkommen still. Zu still. Die beiden Männer sagten kein einziges Wort. Weder zu sich selbst, noch miteinander. Ihr Gesichter waren beinahe wie Masken, starr und ausdruckslos. Es schien, als wären sie geistig gar nicht anwesend, wie ferngesteuerte Puppen. Und das war nicht nur bei ihnen so, sondern bei allen Wachen, an denen er sich jetzt vorbei schlich um eine unbewachte und unbeleuchtete Hintertür zu erreichen. Die Tür führte in die Küche. Leise schlich er sich hinter dem Koch entlang zur Tür gegenüber. Alles was er hörte, waren die dampfenden Töpfe und das Haumesser, mit dem der Koch gerade Fleisch bearbeitete. Doch seine Bewegungen wirkten seltsam fahrig, auch er war völlig stumm dabei. Dann war er in der Eingangshalle und suchte sich eine dunkle Ecke. Eine große dreigeteilte Treppe führte nach oben. Ein sehr großer Kamin direkt neben dem Haupteingang. Gegenüber von seinem Standpunkt aus sah Demian zwei weitere Türen, die er sich als nächstes vornehmen wollte. Eine Wache ging ihre Runde oben, zwei hier unten. Ein Diener, der einen Eimer trug, kam die Treppe herunter und ging in die Küche. Aus eine der anderen Türen kam noch einer, der die Treppe wiederum nach oben ging, aber nach kurzer Zeit wieder herunter kam um in dem Raum zu verschwinden, aus dem er gekommen war. Zwei Wasserpfeile löschten die Fackeln, die ihn verraten konnten und er schlich sich in den nächsten Raum. Dort standen zwei Betten mit Nachtschränken, die er sogleich untersuchte, in einem befand sich ein Geldbeutel. Die gequält klingende Stimme kam aus dem Nichts und so plötzlich, dass er zusammen zuckte: „Verschwinde von hier!“ Wer oder was war das eben gewesen? Er sah sich um, es war nichts und niemand zu sehen. Demian beruhigte sich wieder, vielleicht war er einfach nur etwas nervös. Er steckte den Geldsack ein und ging vorsichtig aus dem Raum zurück auf den Gang. Sein nächstes Ziel waren die Privatgemächer des Hausherren. Als eine Wache vorbei kam, drückte er sich eng an die Wand. Und wieder fiel ihm auf: Der Mann wirkte genauso abwesend und stumm wie die Wachen im Garten. Dasselbe traf auch auf alle Diener zu, die er gesehen hatte. Und obwohl der riesige angefeuerte Kamin in der Eingangshalle eigentlich genug Wärme hätte spenden müssen, hatte Demian das Gefühl, dass es immer kälter wurde. Er sah seinen eigenen Atem zu einer weißen Wolke verdunsten. Nur einen Augenblick blieb der Wachmann jetzt stehen und sah in seine Richtung und Demian zuckte wieder zusammen, als er dessen Augen sah. Sie waren gänzlich schwarz, wie zwei dunkle Löcher im Schädel. Er schüttelte blinzelnd den Kopf, als der Wachmann ohne ihn zu entdecken weiter ging, waren die Augen aber normal gewesen. Hatte er sich das gerade eingebildet? Verwirrt schlich er sich weiter und ging langsam und vorsichtig die Treppe hoch. Noch auf der letzten Stufe erstarrte er für einen Moment. Da war ein blutiger Schriftzug an der Wand zu sehen: „Flieh, solange du noch kannst!“ Und so plötzlich wie er aufgetaucht war, war er auch verschwunden. Hatte er sich das auch nur eingebildet? ´Was ist das für ein Haus`, dachte er mit zunehmender Unsicherheit.´Was geht hier vor?` Er atmete ein paar Mal tief durch, bevor er weiter ging. An der Tür angekommen, stand eine Wache davor. Abwesend und still wie alle anderen. Ein Wasserpfeil löschte die Fackel, die Wache stand weiterhin stumpf vor sich hin blickend da und reagierte auch nicht auf die plötzliche Dunkelheit. Der Dieb schlich sich an ihm vorbei und drückte die Klinge leicht herunter. Abgeschlossen. Aus der kleinen Privatbibliothek gegenüber kam eine Frau, mit einem Besen in der Hand und auch bei ihr glaubte er zunächst, zwei schwarze Löcher statt Augen zu sehen, so dass er sich über die eigenen fuhr. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Demian knackte die Tür, brauchte aber mehrere Versuche, weil seine Hände ein wenig zitterten und er deshalb immer wieder abrutschte. In den Räumen angekommen, sah er sich um. Es gab ingesamt vier Räume, bis auf eines alle mit einem bogenförmigen Durchgang verbunden. Das vierte Zimmer mit der Tür erwies sich als kleines Bad. Auf dem Waschbecken lag ein silbener Ring mit einem blauen Edelstein, der rasch den Besitzer wechselte. Im Wohnzimmer fanden sich keine Wertsachen. Auf dem Schreibtisch des Arbeitsraumes lag ein aufgeschlagenes Buch. Neugierig las der Dieb, was darin stand: „Endlich habe ich nach jahrelanger Suche einen der schönsten Edelsteine aller Zeiten gefunden. Um die halbe Welt bin ich dafür gereist, habe Unmegen Geld ausgegeben und nun gehört er mir! Die „Perle der Isis“ ist endlich mein! Dieser Rubin ist die Krönung meiner Juwelensammlung. Und diese dummen Eingeborenen des Landes, wo ich schließlich am Ziel meiner Suche war, Himmel was für primitive Leute! Ein Fluch? Humbug! Ihre Göttin Isis ist doch nichts weiter als heidnischer Unfug. Es gibt nur einen Gott und das ist unser geliebter Schöpfer und nicht das Götzenbild einiger unwissender Waldmenschen.“ Das war interessant. Wenn Demian diesen Edelstein in seinen Besitz bringen konnte, würden sich sämtliche Edelsteinschleifer der Stadt um dieses kostbare Kleinod reissen. Er las auf der nächsten Seite weiter: „Wie mich alle um dieses Prachtstück beneiden würden! Aber nein, niemand wird davon erfahren. Die „Perle der Isis“ gehört nur mir! Nicht dem Museum oder gar dem Schöpferorden, sonder nur mir allein! Stundenlang könnte ich mir diese blutrote Kugel ansehen. Ich habe beschlossen, den Stein in meinem geheimen Wandsafe einzuschließen, damit niemand mehr ausser mir da ran kommen kann. Die Diebe dieser Stadt können von mir aus ruhig mein Haus plündern, aber sie wissen nicht, dass es diesen Safe gibt, wo er ist und vor allem wie man ihn öffnet. Nur ich weiß es. Der Rubin ist absolut sicher.“ Absolut sicher also. Abwarten, sagte Demian sich lächelnd. Die Sammlung samt Rubin war zweifellos hier in diesen Zimmern versteckt. Fern neugieriger Diener oder Hausgäste. Er hob den Blick vom Buch hoch und selben Moment sah er sich der durchsichtigen Gestalt eines Edelmannes gegenüber, stöhnend, blutüberströmt. Und noch ehe er reagieren konnte, war die Erscheinung auch schon wieder verschwunden. „Was war das jetzt schon wieder...“ Demian schüttelte den Kopf. Er musste sich jetzt konzentrieren, konnte aber nicht verhindern, dass er unglaublich nervös geworden war durch diese seltsamen Erscheinungen. Er steckte einen weiteren Geldbeutel ein, den er in einer Schublade fand und ging ins angrenzende Schlafzimmer. Dort lag der Hausherr schlafend im Bett. Ein Nachtlicht erhellte den Raum. Nun musste er das Versteck des Safes finden. Aus Erfahrung wusste Demian, dass oft Gemälde gewählt wurden, um dahinter eine Wandnische zu verbergen, also sah er sich alle drei Bilder, die hier hingen genau an. Er behielt Recht. Eines schien mit der Wand verbunden, es ließ sich nicht einfach ab hängen, sondern wie eine Tür nach außen klappen. Da war der Safe. Er runzelte die Stirn. Der Safe hatte ein sehr besonderes Schloss, es war rund und der Rand mit Symbolen verziert, die man wie einen Knopf nach innen drücken konnte. Anscheinend musste man ganz bestimmte Symbole drücken, um den Safe zu öffnen. Nur welche? Demian sah sich um, irgendwo musste es doch einen Hinweis geben. Vielleicht die Bilder selbst, er schaute sich alle drei noch einmal an. Nichts zu finden. Nachdenklich trat er zum Bett. Der Schlafende schnarchte friedlich vor sich hin. Das Bett war reich verziert. Dann fiel Demian etwas auf. In der Mitte des Kopfendes war ein rundes Muster. Er sah genauer hin und stellte fest, dass es identisch mit dem Safeschloss war. Vorsichtig beugte er sich vor und tastete mit einer Hand daran. Sechs der insgesamt elf Symbole waren als kleine Kuppen fühlbar, der Rest wie kleine Löcher. Entschlossen trat er an den Safe und drückte fünf der Symbole genau so, wie sie am Bett angeordnet waren. Es klickte hörbar. Mit dem Blick auf den schlafenden Edelmann und einem leisen Lächeln öffnete er nun die Safetür und dann funkelte ihm der Edelstein und einige kleinere Juwelen entgegen. Es war wirklich ein Prachtexpemplar von einem Rubin, wie er es noch nie gesehen hatte, fast so groß wie ein Hühnerei. Ein schneller Griff und Demian hielt neben den anderen Steinen die „Perle der Isis“ in den Händen. Er entschied sich für den Rückzug aus diesem seltsamen Haus, seine bisherige Beute war eher gering, aber der Wert dieses einzelnen Kleinods machte das mehr als wett. Draußen auf dem Gang war alles ruhig. Der Wachmann bemerkte ihn wieder nicht. Plötzlich ertönte aus den Privatgemächern ein seltsamer kläglicher Laut. Es klang, als würde da drinnen jemand nach Luft ringen. Er ging leise wieder zurück, öffnete vorsichtig die Tür, dann ging alles ganz schnell. Er registrierte noch, dass das Zimmer sich plötzlich aufzulösen schien und in der Mitte erschien eine rot leuchtende Pyramide, die ihn unaufhaltsam zu sich zog. Er war unfähig sich davon zu befreien und dann erschien eine Kreatur die ihm, den bizarren Anblick Untoter gewohnt, das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es war nur ein Kopf, der Kopf eines riesigen Krokodils, es starrte ihn mit rot glühenden Augen an und riss sein Maul weit auf. Er fiel durch dieses furchteinflössende Bild hindurch ins Nichts. Dann ein Aufprall und die Sinne schwanden ihm. Als er erwachte, befand er sich wieder im Schlafzimmer, welches aber anders aussah als zuvor. Das blutige Bett war leer. Die Möbel waren verstreut und kaputt, als hätte jemand versucht alles kurz und klein zu schlagen. Eine große Blutlache war auf dem Teppich, die Safetür heraus gerissen. Das Wohnzimmer sah genauso aus. Der Schreibtisch des Arbeitsraumes ebenso wie das Buch war blutverschmiert. Nur wenige Worte waren noch zu entziffern: „Was habe... alle verflucht... Hilfe... Der Fluch wird uns alle... niemand kann uns... Alle sind tot... Monster... betreten... kann entkommen... werden ebenfalls sterben... Erlösung?... Isis... flehe... ! “ Von draußen hörte er schlurfende Schritte, Stöhnen, ein geisterhaftes Geflüster, diese Geräusche kannte er. „Das kann doch nicht...“ Vorsichtig öffnete die Tür einen Spalt breit, es war nichts zu sehen. Er tastete sich wie durch Nebel bis kurz vor die Haupttreppe. Er hatte sich nicht getäuscht. Das ganze Haus war in düsteres Licht getaucht und wirkte wie eine verlassene und verfallene Ruine. Das Feuer im Kamin in der Eingangshalle und das der Fackeln war grün, von manchen Stellen stiegen Rauchwolken aus dem Nichts auf, als ob es brannte und es war eisig kalt. Mittendrin sah er das Wachpersonal und die Dienerschaft ziellos umher wandeln, bestehend aus Zombies und Geistern mit schwarzen Löchern im Gesicht statt Augen, wie er es vorhin schon gesehen hatte. In der Mitte der Eingangshalle stand ein Stuhl, darauf saß die entstellte und mumifizierte Leiche des Hausherren. Erschrocken lehnte Demian sich gegen die Wand. In was für ein Dilemma war er hier nur hinein geraten? Und vor allem, wie kam er wieder da raus? Kapitel 12: Die Prüfung ----------------------- Zunächst, so entschloss er sich, würde er sehen ob es überhaupt noch einen Ausgang hier gab. Und falls er das Haus verlassen konnte, konnte er vielleicht auch einen Weg zurück auf die Straßen finden. Vorsichtig ging er in Richtung der großen Haupttreppe. Als er an einem Zimmer vorbei kam, das keine Türe mehr hatte denn die lag auf dem Boden, hörte er daraus ein Knurren. Er zögerte, bevor er weiter gehen wollte. Als er einen Schritt machte, musste er zurück weichen vor einem dunklen Schatten, dass schneller als ihm seine Augen folgen konnten aus dem Raum hinaus und die Treppe hinunter huschte. Was war das jetzt wieder gewesen? Er hatte nur eine schattenhafte Gestalt gesehen. Ganz langsam ging er selbst die Treppe hinunter. Es war so seltsam neblig hier drin, dass er nicht richtig sehen konnte. Also verließ er sich auf seine Ohren, die ihm sagten, dass hier mehrere Untote umher streiften. Immer wieder blieb er stehen und presste sich an die Wand ohne einen Laut von sich zu geben, wenn das Stöhnen und Flüstern ihm zu nahe erschien. Er kam an der Mumie vorbei und ihm schauderte es. Es war ein grässlicher Anblick und er wandte sich rasch ab. Plötzlich ein Geräusch, wieder dieses Knurren und nur wenige Schritte vor ihm sah er wieder diese schattenhafte Gestalt von einem Zimmer zum nächsten huschen. In diesem Buch hatte etwas von einem Monster gestanden. War es etwa immer noch hier? Demian hatte keine Lust, das nächste Opfer dieses Wesens zu werden. Dann gleich wieder ein Geräusch, sehr nahe, viel zu nahe. Ein wütendes Knurren und er sah aus den Augenwinkeln einen halb verwesten Arm, der nach ihm griff. Demian konnte sich gerade noch weg ducken und zurück weichen. Der Lärm lockte noch einen Zombie an, dazu ein gespenstisches Geisterlachen. Er nahm die Beine in die Hand, verfolgt von zwei Zombies und einem kreischenden Geist. Als er um die Ecke bog, eilte ihm abermals der knurrende Schatten voraus und an ihm knapp vorbei. Ich muss hier raus und zwar schnell, dachte er nur, während er seine drei Verfolger abzuschütteln versuchte. Dann noch ein Raum, das Fenster stand dort sperrangelweit offen und ohne zögern kletterte er hinaus in den Garten. Gerade rechtzeitig, denn ein Untoter griff schon nach seinem Mantel. Endlich draussen, immerhin ein Anfang. Aber er stellte schnell fest, dass er sich zu früh gefreut hatte. Auch hier Untote und Geister. Das große Tor ließ sich nicht öffnen. Da versuchte er, die Mauer hochzuklettern um diesen verfluchten Ort so zu verlassen, wie er hinein gekommen war. Aber als er die Mauerkrone erreichte und sich hoch ziehen konnte, so war es, als wäre da eine unsichtbare Barriere. Er kam nicht weiter, so sehr er sich auch streckte. Mit der Hand griff er scheinbar in die Luft und bekam wie einen Stromschlag ab. Vor Schmerz aufzischend zog er die Hand weg, verlor aber dabei das Gleichgewicht und fiel rittlings die Mauer herunter. Zum Glück war sie kaum mannshoch gewesen, so dass er sich außer ein paar blauen Flecken nicht ernsthaft verletzte. Nun hatte er erst recht ein Problem, hier wieder heraus zu kommen. Er sah sich etwas ratlos um als er eine feine Stimme hörte. So etwas hatte er noch nie gehört, diese Stimme zog ihn geradezu magisch an, sie schmeichelte seinen Ohren, lockte ihn zurück in Richtung des Hauses. Die Eingangstür stand offen und als er eintrat wurde schlagartig alles stockdunkel und er hatte das Gefühl, zu fallen. Als er sich wieder aufrichtete, war er nicht mehr im Haus, jedenfalls hörte er hier keinerlei Untote. Es war düster und kalt hier, er fröstelte und konnte kaum erkennen, wo er sich befand. Er ging einfach los und sah in der Ferne etwas leuchten und golden glänzen. Es war eine riesige Waage. Eine Schale war leer, auf der anderen lag eine weiße Feder. Demian kam näher und blieb dann vor einem übergroßem Tisch stehen, auf dem sich dieses glänzende Ding befand. Schlagartig wurde es hell und er fand sich in einem großen Saal wieder. Die Wände waren mit ihm unbekannten Zeichen bedeckt. Rechts und links von ihm jede Menge Affen mit Schreibfedern in den Händen. Neben der Waage standen zwei Wesen, wie er sie noch nie gesehen hatte. Beide hatten einen menschlichen, mit einem Schurz bekleideten Körper. Goldene Reifen schmückten die Arme, Schmuckkragen hingen an ihren Hälsen. Aber ihre Köpfe waren die von Tieren. Jetzt erinnerte sich der Dieb, in der Stadtbibliothek in einem Buch über exotische Tiere genau diese schon einmal gesehen zu haben. Das eine Wesen hatte einen Ibiskopf und in der Hand einen Pinsel und ein Blatt und schrieb emsig. Das andere war ein Schakal und es hielt etwas in der Hand, etwas rotes, pulsierendes. Entsetzt erkannte Demian ein menschliches Herz. Ein ihm wohlbekanntes Knurren ließ ihn herum fahren. Und er sah, genau wie bei dieser Pyramiden-Erscheinung, den Kopf eines Krokodils. Jetzt aber war der gesamte Körper zu erkennen, es bestand aus verschiedenen Teilen exotischer Tiere. Krokodilskopf, der vordere Teil ein Flusspferd, der hintere Teil ein Löwe. War das der Schatten gewesen, den er durch die Räume des Hauses hatte huschen sehen, das Monster, das alle in dem Haus getötet hatte? Das Ibisköpfige Wesen begann zu sprechen und es hörte sich an, als würde er das gesamte Leben Demians nacherzählen. "Er hat viel genommen, was nicht das Seine war. Und doch klebt kein Blut an seinen Händen.", schloss es. Die vielen Affen flüsterten mit- und untereinander: "Doch er ist ein Dieb!" "Er hat die Göttin bestohlen!" "Er hat kein Gewissen, seine Seele ist schwarz!" Da erklang eine weiche, melodische Frauenstimme: „Wiegt des Diebes Herz! Die Waage soll sein Schicksal bestimmen!“ Demian hielt den Atem an, als das schakalköpfige Wesen das Herz, sein Herz, auf die zweite Waagschale legte. Die Schalen wippten hin und her und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, dann hielten die Schalen still und waren im Gleichgewicht geblieben. Die schaurige Kreatur hinter Demian stieß ein enttäuschtes Schnauben aus und verschwand aus dem Saal. „Die Waage ist im Gleichgewicht geblieben“, sagte das schakalköpfige Wesen, das Andere nickte nur und schrieb weiter. DIe vielen Affen begannen wieder zu sprechen. "Er hat die Prüfung bestanden!" "Dieser Sterbliche ist rein!" Wieder die weibliche Stimme. „Komm zu mir!“ Licht strömte durch die Halle, ein Tor öffnete sich. Es offenbarte sich ein weiterer großer Saal. Dieselben Zeichen und dazu farbenprächtige Bilder von Tieren und Menschen schmückten die Wände und die Säulen, die links und rechts die Decke, welche dunkelblau und mit unzähligen Sternen bemalt war, stützten. Brennende Feuerschalen in jeder Ecke. Der Fußboden aus weißen Marmorfliesen. Mit klopfendem Herzen – welche Ironie – ging er hindurch und sah sie, die Besitzerin der Stimme, auf einem goldenen, juwelenbesetztem Thron sitzend. Langes schwarzes Haar reichte einer Frau unschätzbaren Alters bis zur Taille und hing zu beiden Seiten über die Schultern. Sie hatte ein goldenes Stirnband um den Kopf, einen breiten Schmuckkragen mit glitzernden Edelsteinen um den Hals und goldene Reifen zierten Oberarme, Handgelenke und Fußknöchel. Das gefältelte Gewand war schneeweiß, mit einem goldenen Gürtel. Ihr geschminktes Gesicht war nicht nur schön, sondern perfekt. „Wo bin ich?“, wagte Demian zu fragen. „Wer bist du?“ Sie lächelte. „Ich bin Isis, die Göttin des Himmels und der Erde. Der Rubin, den du in deinen Besitz gebracht hast, gehört mir.“ Von wegen Humbug, dachte Demian. „Ich habe den törichten Menschen bestraft, der mein Eigentum stahl. Sein selbstüchtiges Herz war nicht rein, die Waage blieb nicht im Gleichgewicht. Ich wollte auch dich bestrafen. Doch nun sehe ich, du hast die Prüfung deines Herzens mit Leichtigkeit bestanden. Wie kommt es, dass ein Dieb wie du ein solch reines und edles Herz und eine blütenweiße Seele hat?“ Demian wusste darauf keine Antwort. „Nun, ich bin keine Rachegöttin. Gib mir den Rubin zurück und ich werde den Fluch, der auch dich bedrohte, aufheben und du wirst als freier Mensch in deine Welt zurück kehren.“ Er sah den kostbaren Stein eine Weile an. Dann lächelte er. Was nutzte ihm das Prachtstück schon, wenn er dafür zu einem Untoten wurde? Nein, Demian wollte leben, dieser Preis war ihm zu hoch. Die Göttin hatte die Hand bereits ausgestreckt und der junge Dieb legte den funkelnden Rubin hinein. „Er gehört wieder dir.“ „Nimm dafür meinen Dank, junger Dieb. Mein Wort als Göttin gilt, kehre in deine Welt zurück. Doch ich rate dir, nie wieder in das Haus der Strafe zurück zukehren.“ Darum musste sie ihn nun wirklich nicht bitten, nie mehr würde er auch nur eine Zehe auf dieses Grundstück setzen. „Ich verspreche es.“, sagte er trotzdem. Isis lachte und breitete die Arme aus, jetzt erkannte Demian an diesen große, silbern glitzernde Federn, so dass es wirklich mehr Flügel als Arme waren. „Lebe wohl, du Dieb mit dem Herzen eines Diamanten!“ Ein Licht blendete ihn und die Sinne schwanden ihm. Als er erwachte, befand er sich wieder zuhause, im Bett in seiner Kammer. Hatte er das alles nur geträumt? Doch er fand in seinem Beutel die Beute, die er in dem Haus gemacht hatte. Fühlte an seiner linken Hüfte die blauen Flecken von dem Mauersturz und in seinem Bett lag – das war der letzte Beweis dafür, dass es kein Traum gewesen war – eine silbern glänzende Feder. Kapitel 13: Wölfe, Steuern und ein Dejá Vu ------------------------------------------ „Es war kein Traum“, murmelte Demian, als er die Feder betrachtete. Draußen war noch alles stockdunkel und er fühlte sich erschöpft. Es dauerte nicht lange, bis er wieder eingeschlafen war. Geweckt wurde er am späten Vormittag mal wieder von dem sich lautstark streitendem Ehepaar. Manchmal fragte er sich, wie die Beiden es überhaupt vor den Traualtar geschafft hatten und vor allem immer noch zusammen lebten. So wie es aussah, konnten sie nicht mehr wirklich mit- aber auch nicht ohne einander sein. Demian stand auf, wusch sich und zog sich an. Die Beute von letzter Nacht wollte er gleich zu Kronos schaffen und dann zu Chiron gehen und dabei zumindest einen Teil seiner Schulden bei ihm schon mal bezahlen. So machte er es denn auch. Chiron sah sich die Hand an und war zufrieden. „Ich denke morgen oder übermorgen kann ich die Fäden entfernen, damit es völlig abheilen kann.“ Das war ihm sehr recht. „Komm einfach morgen wieder bei mir vorbei.“ „Gut, mache ich.“ Die nächsten Tage verbrachte er, bis auf die Besuche beim Arzt, der die Fäden entfernt hatte, recht müßig. Das Geld reichte erst einmal zum leben, da konnte er sich auch einmal etwas Ruhe gönnen. Einmal spazierte er (zumindest wurde es ein Spaziergang, sobald er das Stadttor hinter sich hatte) bis zum kleinen Weiher im Wald. Dort hatte er eine Begegnung der besonderen Art. Er beobachtete ein Reh, dass an der Stelle, wo kein Eis war, weil dort der Wasserfall in den See mündete, trank und sich gar nicht von seiner Anwesenheit stören ließ, weil er es auch nicht störte. Plötzlich aber hob es den Kopf und nahm dann eiligst Reißaus. Im selben Moment hörte er ein leises Knurren und Winseln direkt neben sich. Er drehte sich in die Richtung und sah sich einem Wolfsrudel gegenüber. Es waren fünf Tiere, die ihn genauso überrascht anstarrten wie er sie. Es war ihm doch etwas unheimlich, aber er rührte sich nicht. Zumal es auch gar nicht danach aussah, als ob sie ihn angreifen wollten. Der größte Wolf kam zwei, drei Schritte auf ihn zu, als wolle er Demian genauer ansehen, dieser blieb weiterhin ganz ruhig. Das Tier winselte leise, kam dann noch näher, so nahe, dass Demian dessen Atem an seiner Hand spüren konnte, als es weiter schnupperte. Dabei trafen sich die gelben Augen des Wolfs mit den Seinen. Das war schon sehr ungewöhnlich für diese eigentlich so scheuen Tiere, die normalerweise gleich wieder verschwunden wären, anstatt ihn noch zu beschnuppern. Nach einer Weile stummen Blickkontaktes, denn der Dieb wollte es dennoch nicht riskieren, die vierbeinigen Beobachter durch eine unbedachte Bewegung doch noch aggressiv zu machen, lief der Wolf wieder zu seinem Rudel zurück, ließ ein eigentümliches Knurren hören und alle verschwanden in die entgegen gesetzte Richtung im Wald. Demian sah ihnen nach und lächelte. Er mochte die Natur, auch wenn es Tiere gab, die ihm gefährlich werden konnten. Wölfe und Bären galten als böse Kreaturen, doch diese Begegnung eben hatte ihm gezeigt, dass dem nicht so war. Es war vielleicht nicht einfach, aber möglich, als Mensch friedlich mit Tieren zusammen zu leben, solange beide Seiten einander nicht störten. Nun wurde ihm aber langsam doch zu kalt und er machte sich wieder auf den Heimweg. Auf dem Gang zu seiner Kammer hörte Demian schon wieder (oder immer noch?) das Gezeter des ach so liebenden Ehepaares. Er schüttelte den Kopf, so langsam ging es ihm doch auf die Nerven. Konnten die wenigstens leiser sein? So erfuhr man ständig von Dingen, die man am liebsten überhaupt nicht wissen sollte. Und er war mit dieser Ansicht nicht allein, alle in dem Haus gingen den beiden Streitsüchtigen möglichst aus dem Weg. „Was machst du da?“, fragte die Frau gerade deutlich hörbar. „Ich stehe vor dem Spiegel, das siehst du doch!“ Hatten die einen so großen Spiegel? So ein Ding konnten sich eigentlich nur die Adeligen leisten oder der Kerl stand günstig genug um sich anschauen zu können. „ Nackt?!“ Demian, der gerade den Schlüssel drehen wollte, hielt inne und lauschte. Was ging denn dort drinnen vor sich? „Ja und? Was dagegen? Gefällt dir etwa nicht mehr, was du siehst? Du hast dich doch sonst nie beschwert!“ Keine Antwort der Frau. Der Dieb musste grinsen. „Ein, zwei Zentimeter mehr und ich wäre ein König für dich!“ Da begann die Frau laut zu lachen und bei ihrer Antwort musste Demian sich auf die Zunge beißen, um es ihr nicht gleichzutun. "Ein, zwei Zentimeter weniger und du wärst eine Prinzessin, mein Lieber!“ Daraufhin folgte Stille, das hatte gesessen. Demian beeilte sich, in seine Kammer zu kommen, schade nur, dass er die sicher sehr freundliche Antwort des Mannes so nicht mehr mitbekam. Drinnen in seiner Kammer konnte er sich nicht mehr beherrschen und lachte erst einmal wirklich los, wenn auch so, dass ihn niemand hören konnte. Und das war etwas, was er wirklich selten tat, es gab in seinem Leben ja bisher wenig komische Dinge. Das hier eben gehörte aber definitiv dazu. Als er sich beruhigt hatte, machte er sich ein Mittagessen zurecht, grinste dabei aber immer noch. Wenig später hörte er Türen knallen und den Nachbarn fluchend das Haus verlassen. Er ging jede Wette ein, dass sich der Herr jetzt zu ein paar Damen auf machen würde, die ihn im Gegensatz zu seiner Frau zu schätzen wussten. Während des Essens allerdings kam er durch diese kleine Anekdote plötzlich auf einen anderen Gedanken, der ihn zunächst wieder zum Schmunzeln brachte. Sein eigenes erstes Erlebnis mit einer Frau lag gerade mal eine Woche zurück und er musste an ihre Worte denken. Sie war anscheinend sehr zufrieden gewesen mit seinem eigenen „Angebot“. Moment mal, seit wann machte er sich über so etwas Gedanken? Er wusste gerade nicht, ob er über sich selbst lachen oder den Kopf schütteln sollte. Und so wie sich sein Gesicht gerade anfühlte, war er auch noch rot geworden, zum Glück war er allein. „Schluss mit dem Blödsinn! Komm wieder runter!“, sagte er laut zu sich selbst. Da hörte er Schritte, jemand klopfte an seiner Tür. „Vermieter hier!“ Was wollte der denn hier? Die nächste Miete hatte doch noch Zeit. Er ließ den Mann herein. Dieser erzählte von baldigen Arbeiten am Haus, sobald das Wetter es zuließ. Das Dach wäre ja kaputt (das hatte Demian allerdings wirklich lange schon bemerkt) und er fluchte darüber, dass Vermieter wie er jetzt eine Extra-Steuer zahlen mussten, für was genau eigentlich wusste auch keiner, aber wer nicht bezahlte handelte sich schnell große Probleme ein. „Wahrscheinlich braucht der Herr Baron nur wieder eine neue Geldquelle für seinen Luxus“, knurrte der Vermieter. Kurzum, Demian musste eine beträchtliche Summe hergeben, um seinen Teil dazu beizutragen, mehr sogar als die Miete an sich kostete. Und als der Mann wieder fort war, hörte er teilweise deutlich den Unmut der anderen Mieter über diese Sache. Seufzend sah er seine Ersparnisse durch. Die waren jetzt recht zusammen geschmolzen und die Preise auf den Märkten machten immer noch das Gegenteil. Da half alles nichts, ein neuer Auftrag musste her. Kronos begrüßte ihn und meinte, er hätte tatsächlich etwas sehr Gutes an Land gezogen. Aber er verlor sich in etwas wirren Erzählungen über seine letzten Kunden und „Lieferanten“, denn Demian war nicht der Einzige, der seine Hehlerdienste in Anspruch nahm, aber der Einzige, der die „richtig guten“ Aufträge von ihm bekam. Der Dieb unterbrach den Redefluss des Hehlers: „Also, der Auftrag.“ „Äh... ja. Gut. Im Anwesen des Barons wird morgen Abend eine Feier stattfinden und wir wissen ja alle, wie gerne er mit seinem Reichtum prahlt. Ich habe in Erfahrung gebracht, dass er dabei im großen Festsaal mit seinen schönsten Dingen angeben möchte. Neben diversen Kostbarkeiten befindet sich dort eine überaus wertvolle Brosche, so groß wie meine Hand.“ Der Hehler hob seine Pranke. „Diese Brosche sollst du mir besorgen. Und es gibt da einen tollen Trick, damit man gar nicht bemerkt, dass jemand die Brosche gestohlen hat.“ „Und der wäre?“ „Ich kenne da einen genialen Fälscher.“, antwortete Kronos. „Er hat eine perfekte Kopie angefertigt, die so schnell niemand als solche erkennen wird. Und du schleichst dich heute Nacht in das Anwesen und tauschst die beiden guten Stücke aus. Falls es doch dann auf dieser Feier jemand bemerken sollte, gibt das bestimmt eine schöne Blamage obendrein. Wenn nicht, umso besser für uns. Glaub mir, es wird sich lohnen! Und nebenbei spricht ja nichts dagegen, noch ein paar Kleinigkeiten mitgehen zu lassen“, fügte der Hehler zwinkernd hinzu und gab ihm ein Kästchen. Und Demian gab zu, hätte er nicht gewusst, dass es eine Fälschung war, hätte er die „Edelsteine“, die nur aus Glas waren, durchaus für echt gehalten. „Siehst du, sogar du wärst darauf rein gefallen“, grinste der Hehler. „Voraussichtlich wie ich bin, habe ich natürlich auch eine Karte des Hauses besorgt.“ Mit Karte und Kästchen ging Demian dann wieder nach Hause. Am Abend saß er am Tisch, neben sich die Ausrüstung, die er mitnehmen wollte. Er lächelte vor sich hin, während er die Karte betrachtete, denn er konnte sich kaum noch erinnern, wie das Haus von innen aufgebaut war. Es war dem verfluchten Herrenhaus von neulich recht ähnlich. Ja, das Gerücht stimmte. Er war wirklich schon im Domizil des Barons gewesen, vor ein paar Jahren. Wenn er jetzt so darüber nachdachte, war das eigentlich der pure jugendliche Leichtsinn, wenn nicht sogar Wahnsinn, gewesen. Er hatte es als Übung nehmen und austesten wollen, inwiefern er seinem Ziehvater, damals etwa ein knappes Jahr nach dessen Tod, schon das Wasser reichen konnte. Er hatte nicht einmal ein bestimmtes Ziel gehabt, er wollte nur sehen, was er so alles schon mitgehen lassen konnte. Demian schüttelte über sich selbst den Kopf. Eigentlich hatte er nur unverschämtes Glück gehabt. Denn als er sich ins Schlafzimmer geschlichen hatte, bereits ein paar wertvolle Dinge in seinem Beutel und bis dahin unentdeckt, war er – von Euphorie erfüllt – unvorsichtig geworden. Der Baron und seine Frau hatten ihn entdeckt und nur ein gewaltiger Bluff hatte Demian vor seinen Wachen bewahrt. Er hatte natürlich niemals vorgehabt, ihnen wirklich etwas anzutun, doch anscheinend war er sehr überzeugend gewesen, als er kurzerhand den Dolch gezogen hatte. Damit hatte er – die Baronin war vor Angst und Schrecken völlig erstarrt und schrie nicht mal um Hilfe – gedroht, den Herren über diese Stadt schneller auszuschalten, als dieser die Wachen rufen konnte. Demian hatte genau vor der Schlafzimmertür gestanden und hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, ihn durch einen gezielten Wurf mit dem Dolch zu töten. Daraufhin hatte dieser ihm aus Angst sein kostbarstes Stück, den gold-silbernen Pokal, übergeben. Den hatte er damals bei seinem alten Hehler, vor Kronos, der folglich nicht ahnte, dass Demian schon einmal erfolgreich dort gewesen war, verkauft. Wie ihm das alles gelungen war, vor allem sein Rückzug aus dem Haus, denn der Baron hatte lautstark alle seine Männer herbei gerufen, als er gerade über den Balkon des Schlafzimmers das Haus verlassen hatte und einen Rückweg über den Garten suchte, darüber staunte Demian selbst heute noch. Wie unglaublich leichtsinnig und dumm er genau genommen gewesen war! Wäre es nur ein klein bisschen anders verlaufen, wäre er schon seit ein paar Jahren im Kerker, falls überhaupt noch am Leben. Denn seine damaligen Fähigkeiten mit erst siebzehn Jahren steckten im Vergleich zu jetzt noch gerade am Anfang. Hätte Merlin das noch erlebt, er hätte ihn – und das trotz des Erfolgs doch berechtigter Weise – getadelt, bis ihm die Ohren gesummt hätten und das war noch harmlos ausgedrückt. Und jetzt wiederholte sich diese Geschichte. Aus dem neulich mitgehörtem Gespräch wusste er, dass der Baron ihn nicht vergessen hatte. Dementsprechend würden die Sicherheitsmaßnahmen und die Anzahl der Wachen sein. Andererseits war er jetzt erfahren genug und gut ausgerüstet. Nachdem er die Karte studiert und sich entschieden hatte, welchen Weg er wählen wollte, um zum Festsaal zu kommen, brach er auf. Kapitel 14: Tauschgeschäft -------------------------- Im Schutz der Nacht und in luftiger Höhe bahnte sich Demian den Weg zum Haus des Barons. Es befand sich im Adelsviertel und von dessen Villen auch noch etwas außerhalb, umgeben von einem sehr großzügigen Garten. In den Räumen rund um den großen Festsaal würde es genug Wertsachen geben, zumindest das war ihm auf jeden Fall von seinem ersten Versuch im Gedächtnis geblieben. Von den Dingen, die sich im Saal befinden würden, wollte er nur die Brosche mitnehmen und nichts anderes anrühren. Eventuell wäre es sogar besser, auf jede Beute außer seinem Zielobjekt zu verzichten. Denn mit Sicherheit würde das Fehlen dieser Dinge bemerkt werden und es verdächtig aussehen, wenn ausgerechnet aber die wertvollsten Stücke unangetastet waren. Das würde er sich noch überlegen. Und noch ein Gedanke kam ihm. Die Ausstellung war bestimmt besonders gesichert. Den Drahtschneider hatte Demian dabei, aber wahrscheinlich wäre es auch ein Fehler, den zu benutzen um das System, wenn es denn ein solches gab, abzuschalten. Ein durchschnittener Draht würde genauso Verdacht erregen, wenn die Kostbarkeiten dennoch an ihrem Platz waren. Vielleicht fand er eine Möglichkeit, die Anlage auszuschalten und nach getaner Arbeit auch wieder zu aktivieren, als wäre nichts gewesen. Inzwischen war er beim Haus angekommen, schaute noch einmal auf die Karte und fasste einen Plan. Er würde sich zuerst vom Keller aus ins Zimmer des Hausverwalters, oder wenn er dort nicht fündig wurde, das des Wachhauptmanns voran arbeiten. Beide Zimmer waren im Erdgeschoss. Seiner Erfahrung nach waren diese beiden Herren immer über solche Angelegenheiten wie Sicherheitssysteme bestens informiert und wussten auch, wie man es bediente. Also würde er diese Informationen für sich nutzen. Und sobald er das Schmuckstück ausgetauscht hatte, wollte er alles wieder so einstellen, wie es vor seinem Besuch gewesen war und keiner würde irgendetwas bemerken. Der Festsaal selbst befand sich im dritten Stock unterhalb des Dachbodens. Demian hatte beschlossen, sich nicht durch das gesamte Haus von unten nach oben zu schleichen. Sondern er würde, nachdem er hoffentlich alles über das Sicherheitssystem erfahren hatte, dieses abschalten und dann von draußen über die Feuerleiter nach oben und in den Dachboden steigen. Und danach denselben Weg wieder zurück, um es wieder einzuschalten und zu verschwinden. Er sprang vom Dach des letzten direkten Nachbarhauses auf einen breiten Sims und ging in geduckter Haltung auf ihm entlang, er führte um die Ecke. Dort sprang er auf einen großen Kistenstapel und auf die Straße. Dieser folgte er, gehüllt in die Schatten bis er gegenüber des Eingangstores stand und beobachtete dann erst einmal die direkte Umgebung. Die Mauer war glatt verputzt, ungeeignet zum Klettern. Zu beiden Seiten des Tores stand eine Wache, eine Gruppe von drei Mann patrouillierte die Straße rauf und runter. Es war durch die Straßenlaternen auch ziemlich hell. Noch während er überlegte, wie er ungesehen in den Garten kam, hörte er die Schritte der Gruppe. Dabei fiel ihm auf, dass in einem bestimmten Abstand der Ton anders war. Es klang nicht dumpf-klackend, sondern metallisch. Wenn der Grund dafür der war, den er vermutete, hatte er vielleicht den Weg hinein gefunden. Vorsichtig schlich er sich die Straße entlang bis zu der Stelle, von der er meinte, dass das metallische Klappern daher kam. „Aha...“ Er hatte Recht behalten. Einer der drei Wachen trat immer wieder auf einen Kanaldeckel. Nun wartete er, bis die Männer weit genug weg waren, sah sich noch einmal um und hob den Deckel an um die Leiter hinunter zu steigen. Heraus kam er in einem geraden Gang, ein paar Meter weiter eine Kreuzung. Theoretisch musste er sich jetzt links halten, er hoffte nur, dass dieser Teil der Abwasserkanäle auch wirklich mit seinem Zielort verbunden war. Er ging bis zur Kreuzung vor, als er ein hohes Fauchen und Zischen hörte, es kam von rechts. Bitte nicht diese Viecher! Demian spähte um die Ecke und leider doch, dort war eine Sackgasse, die vollkommen zu gesponnen einer Riesenspinne als Zuhause diente. Wie kam so ein Tier überhaupt dort hin? So leise wie nur möglich wollte sich Demian in entgegen gesetzter Richtung weg schleichen, doch er trat dabei auf ein paar lose Gesteinsbrocken, die platschend im Abwasser landeten. Sofort stieß die Spinne ein hohes Fiepen aus, ihre Vorderbeine in die Luft gestreckt und setzte sich dann in Bewegung. Demian huschte eiligst in die nächste dunkle Ecke. Zunächst schien es, als hätte er Glück, die Spinne lief in die Richtung aus der er gerade erst gekommen war, er war jetzt in dem Gang, in den er sowieso hin gewollt hatte. Er gab keinen Laut von sich und wartete, darauf hoffend, sie würde die Suche aufgeben. Leider tat sie ihm aber diesen Gefallen nicht, ganz schön hartnäckiges Biest. Er musste sich ihrer entledigen, jetzt kam sie in seine Richtung, aber noch war sie weit genug entfernt. Der Dieb legte einen Pfeil an, zog die Sehne bis zum Anschlag nach hinten und schoss. Er traf das Monstrum genau zwischen die riesigen Augen und mit einem letzten Fauchen sackte es tot zusammen. Demian atmete auf, das war knapp. Nachdem er im Keller angekommen war – das Glück war auf seiner Seite, denn der Kanal hatte sich zwar noch weiter verzweigt, ein Gang führte aber genau da hin – lauschte er erst einmal. Die Luft war rein und er musste zur nächsten Tür nach oben. Hier waren gerade überhaupt keine Wache zu sehen oder zu hören, das würde sich aber garantiert ändern, sobald er im Erdgeschoss an kam. Noch ein Blick auf die Karte, dann öffnete er vorsichtig die Tür zum Erdgeschoss. Er kam gegenüber der beiden Zimmer heraus, zu denen er wollte, denn die Räume des Hauptmanns und des Verwalters lagen zufällig direkt nebeneinander. Der Dieb runzelte die Stirn. Marmorfliesen wohin man sah, alles hell erleuchtet durch Fackeln und einen großen Kronleuchter. Er horchte erst einmal genau auf die Schritte der Wachen, die Tür einen winzigen Spalt geöffnet. Es mussten etwa fünf oder sechs Leute sein, der Baron hatte laut seiner Erinnerung also die Zahl seiner Schwertträger mindestens verdoppelt. Er wagte sich hinaus, duckte sich und schlich in dieser Haltung bis zu einem Spind und weil dieser leer war, dort hinein. Das machte er wirklich nicht oft. Aber es reichte um sich einen genaueren Überblick zu schaffen. Dies war die Eingangshalle, an jeder Seite gingen Türen ab, in der Mitte die große Haupttreppe. Ein paar Male kamen Wachen an seinem Versteck vorbei, jedes Mal hielt er dann den Atem an. Er grübelte vor sich hin, aber so richtig wollte ihm noch nichts einfallen, wie er dort hinüber kam, ohne Lärm zu verursachen. Ein Zufall kam ihm zu Hilfe. Gerade hörte er noch mit, wie sich eine Dienerin mit einer Wache über eine Mäuseplage im Haus unterhielt. „Diese Viecher höre ich nachts ständig in den Wänden, grauenhaft!“, jammerte die Frau. „Und gestern in der Speisekammer muss ich ein ganzes Nest weg machen!“ „Wir bräuchten einen Kammerjäger, aber dafür ist der Herr zu geizig“, knurrte der Mann daraufhin leise. In dem Moment gab es einen Knall und der Kronleuchter ging aus. „Verdammt, bestimmt hat so ein Vieh ein Kabel durchgebissen!“ Es folgte ein kleines Durcheinander und dann waren noch die Hälfte der Männer hier unten und standen auch erstmal nur in der Gegend herum. Der Dieb nutzte die Gunst der Stunde. Ein paar Wasserpfeile – woraufhin jemand fluchend über dieses zugige Haus seine Zunderbüchse holen ging, also musste er jetzt schnell sein – ein paar Moospfeile und er konnte unerkannt hinter der Treppe auf die andere Seite laufen. Schnell öffnete er die Tür zum Zimmer des Verwalters, wenigstens war sie nicht noch abgeschlossen. Dort brannte noch eine Lampe, dieser Ausfall betraf also wohl nur den Kronleuchter. Ansonsten hätte er sich auch gleich weiter nach oben begeben können um so ohne Weiteres die Broschen austauschen zu können. Aber gut, es war nicht zu ändern. Der Verwalter schlief und Demian suchte leise nach Informationen. Und auch ein Geldsack kam in seinen Besitz. Selbst wenn das Fehlen dieses Säckchens bemerkt werden sollte, da er ja die eigentlichen Schätze unangetastet lassen wollte, würde man eher einen Hausangestellten verdächtigen, als einen Einbruch zu vermuten. Endlich wurde er wirklich fündig und las eine Notiz: Diese Sicherungsanlage ist ja schön und gut. Aber neuerdings hat der Alte wohl eine Vorliebe für solch komplizierten Sachen. Man muss die Hebel so einstellen, dass die Lampen in grünem Licht den ersten Buchstaben vom Familiennamen des Barons zeigen. Dann schaltet die Anlage ab und die Diener können die Schätze entstauben. Natürlich nicht ohne Aufsicht des Wachpersonals. Meine Güte, das war beim ersten Mal ganz schön schwierig. Und zeitraubend ist es außerdem. Ein Rätsel also? Zu dumm, dass die Lösung nicht mit dort stand. Na großartig, als ob Demian die Zeit für solche Mätzchen hatte. Andererseits hatte er gar keine Wahl, wenn er seinen Plan durchziehen wollte. Und bisher hatte ihn niemand entdeckt. Er schaute durch das Schlüsselloch. Immer noch alles dunkler als vorher, der Defekt schien noch nicht behoben zu sein. Langsam öffnete er die Tür, die Fackeln brannten wieder und die Wachen waren wieder vollzählig. Trotzdem schaffte Demian es, sich mit etwas Timing wieder unbemerkt zu seinem Ausgangspunkt zu schleichen, der weiche Teppich aus Moos tat das Seine dazu. Wieder im Keller machte er sich auf den Weg zu der dicken Eisentür, hinter der der Sicherheitsapparat war. Davor stand eine missmutige Wache, die er auf jeden Fall los werden musste. Das tat er mit einem Gaspfeil, der Mann würde hoffentlich lange genug betäubt sein. Er knackte das Türschloss und stand eine halbe Minute später vor dem Apparat. „Du liebe Zeit“, entfuhr es ihm. Im ersten Moment sah er nur ein Wirrwarr aus rot leuchtenden Lampen und Hebeln. Er atmete erst einmal tief durch. Jetzt nur nicht nervös werden. Er sah sich die Apparatur genauer an. Sechzehn Lampen in einem 4x4-Quadrat angeordnet, links und rechts je2 Hebel. Da half wohl nur Versuch und Irrtum. Er stellte schnell fest, dass mit jedem Hebel gleich mehrere Lampen die Farbe wechselten. Insgesamt brauchte er ganze sechs oder sieben Versuche, dann endlich strahlte ein grünes „L“. Jetzt war doch etwas Eile geboten, denn er musste ja auch alles wieder zurück setzen. Der Wachmann lag immer noch dort, wo er hin geschleift hatte, fragte sich nur, wie lange noch. Zurück im Garten, kletterte er so schnell es ging die Feuerleiter hinauf und stieg in den Dachboden, nachdem er das Fenster aufgehebelt hatte. Die Luke hob er an, sprang hinunter und kam in einer winzigen Abstellkammer heraus. Der Festsaal war einen Gang weiter. Er wünschte sich manchmal wirklich, sich richtig unsichtbar machen zu können. Zu seinem Glück aber gab es Balken über den Gängen, die er mit Hilfe eines Seilpfeils schnell erklomm und zum Festsaal balancierte. Unter ihm zwei Wachen, Schritte von Patrouillen waren auch zu hören. Er musste sie ablenken, wenn er sie betäubte, wäre das Haus in Windeseile in heller Aufregung. Aber nun hatte Demian ja eine ganz neue „Erfindung“ im Köcher. Waffenhändlerin Anna hatte ihm diese Pfeile, die keine Spitze hatten, sondern abgerundet waren, zu einem Sonderpreis verkauft. „Die machen gründlich Lärm, wenn man sie irgendwo hin schießt und gehen nicht mal kaputt“, hatte sie gesagt. Dann würde er jetzt diese Neuheit einweihen. Er balancierte wieder zur Ecke zurück und schoss in die Richtung der kleinen Abstellkammer. Es klang wie klackende Schritte und wie erwartet eilten alle Wachmänner dort hin, er selbst wieder zurück und sprang vor die Tür des Festsaals. Sie war abgeschlossen und er beeilte sich, die Tür zu knacken. Gerade noch rechtzeitig kam er hinein und machte die Tür schnell zu. Hinter ihm ärgerten sich die Wachen über die vergeudete Zeit. Er staunte doch, solche Kostbarkeiten hatte er wirklich noch nie gesehen, ganz so weit war er bei seinem Einbruch damals nicht gekommen. Mit dem Geld, was diese Pokale und Statuen wert waren, könnte man der armen Bevölkerung viel Gutes tun, dachte Demian ärgerlich. Aber auf so einen Gedanken kamen Leute, die sich nie im Leben um irgendetwas Sorgen machen mussten, natürlich nicht. In der Mitte des Saals in einer Glasvitrine befand sich die Brosche. Demian hob den Deckel an, nichts geschah, die Anlage war also wirklich außer Kraft gesetzt. Der Austausch war eine Sache von Sekunden. Jetzt musste er wieder zurück, fragte sich nur wie. Die Wachen hatten längst wieder ihre Positionen eingenommen und würden kein zweites Mal auf den Trick herein fallen. Immerhin hatten sie nicht mitbekommen, dass die Tür nicht mehr verschlossen war. Schließlich nahm er den Weg durch das Fenster und huschte über die breiten Rohre, die an der Hauswand entlang führten wieder durch das Fenster zu einem Raum, der direkt neben der Abstellkammer lag. Er wartete bis die Patrouille vorbei gegangen war und wechselte von diesem Badezimmer in die Kammer. Dort fand er sogar den Pfeil wieder, der unter der Tür hindurch gerollt war. Pfeile die nicht zerbrachen waren doch keine schlechte Sache. Nun war es leicht wieder in den Keller zu kommen und die Alarmanlage wieder zurück zu setzen. Der betäubte Wachmann lag immer noch in der Ecke. Aber jetzt galt es für den Dieb nur noch, den Rückweg anzutreten, inwiefern Verdacht geschöpft wurde bis zu dieser Feier morgen, würde sich sowieso schnell herum sprechen. Und auch wenn der eingefädelte Betrug entdeckt wurde, die Blamage war dem ehrenwerten Baron so oder so sicher, denn schließlich hatte Demian es geschafft, nicht ein einziges Mal direkt gesehen zu werden. Er war schon ganz gespannt, wie sich das noch entwickelte, als er die Leiter zum Abwasserkanal herunter stieg. Das gab bestimmt Gesprächsstoff in der Stadt für ein paar Tage. Mit einem spöttischen Lächeln im Gesicht ging er denselben Weg, auf dem er her gekommen war zurück zum Hehler Kronos. Kapitel 15: Forscherdrang ------------------------- Kronos war sehr erfreut über diesen Erfolg. „Ich habe keine Minute an dir gezweifelt. Nun schau dir das Prachtstück an!“, meinte er grinsend. „Und diesmal sind die Steine echt! Mein Kunde wird einen Luftsprung machen.“ Er gab Demian einen prall mit Münzen gefüllten Beutel in die Hand. „Hier dein Anteil. Hab doch gesagt, es wird sich lohnen.“ „Ja. Und immerhin hat er uns beide nicht über den Tisch gezogen.“ Der Hehler lachte. „Die Kunden werden sich hüten, nachdem du dem feinen Lord diesen Streich gespielt hast. Die wissen jetzt genau, dass du dich nicht damit abfindest, rein gelegt zu werden.“ Zufrieden mit sich und der Bezahlung verbrachte Demian den Rest der Nacht schlafend. In den nächsten Tagen achtete er aufmerksam auf den Klatsch und Tratsch der Stadt. So erfuhr er, dass man zwar den betäubten Wachmann im Anwesen des Barons entdeckt hatte und einen Einbruch vermutete. Aber das schien nicht wirklich von Bedeutung zu sein, denn der Betrug war trotzdem nicht aufgedeckt worden. Keiner der Gäste des Festes hatte bemerkt, dass er eine Fälschung bewunderte. Deshalb glaubte man, es wurde zwar versucht, aber weil der Dieb nicht gewusst hatte, wie man das Sicherheitssystem umging, war er deshalb unverrichteter Dinge – mit Ausnahme des Geldbeutels, den Demian dem Hausverwalter gestohlen hatte – wieder verschwunden. War ihm nur recht so, dass der Verdacht nicht speziell gegen ihn ging. Einige Leute meinten zwar, dass es der Meisterdieb gewesen sein konnte, aber andere wiederum hielten dagegen, dass dieser ja so gut war, dass er die Alarmanlage leicht hätte umgehen oder lahmlegen können. Als Demian das hörte, fühlte er sich geradezu geschmeichelt. Es gab jedenfalls nicht den geringsten Beweis, wer genau dahinter steckte. Auch an den Docks trieb er sich herum, weil er in Erinnerung an den Mordanschlag vielleicht etwas aufschnappte, wer und was dahinter steckte. In der Tat hörte er häufig den Namen „Schlange“. Dieser Bordellbesitzer musste den Reden nach zu urteilen ein widerlicher Mensch sein. Seine Wachen behandelte er schon nicht besonders gut. Aber was die Frauen in den Häusern wohl erst erdulden mussten? Die Geschäftspartner, welche die Bordelle leiteten konnten mit ihnen tun was sie wollten, ohne dass er einschritt. Gerüchte machten die Runde, dass für Fluchtversuche grausame Bestrafungen üblich waren. Demian schüttelte den Kopf. Diese armen Frauen taten ihm einfach nur leid. Sollte er sich doch jemals entschließen dort als Kunde zu verkehren, würde er sie wenigstens wie Menschen behandeln. Irgendeinen direkten Zusammenhang mit seinem feurigen Erlebnis sah er indessen nicht. Zumindest in Einem hatte sein ehemaliger Auftraggeber recht. Würde sich jemand um die „Schlange“ kümmern, würde ihm mit Sicherheit niemand eine Träne nachweinen. Da Kronos zur Zeit keine weiteren Aufträge hatte, wusste Demian bald nicht mehr so recht, was er jetzt mit seiner „Freizeit“ anstellen sollte. Bis er sich an etwas erinnerte und seine Neugier wuchs, je mehr er darüber nachdachte. Als er durch die Abwasserkanäle gegangen war, um einen Weg in die Kathedrale zu finden, war er doch auf diesen unterirdischen Fluss gestoßen und hatte auch einen kleinen Weg an dessen Ufer entlang gesehen. Was sprach dagegen, sich das mal genauer anzusehen? Wurde er eben zur Abwechslung zum Forscher. Mal sehen was er fand. Also suchte er sich seine Ausrüstung zusammen, Bogen und Pfeile, seinen Dolch, weil er ja keinerlei Ahnung hatte, wohin ihn der Weg führen würde. Alsbald ging er diesen schmalen Trampelpfad entlang, gehüllt in das gelb-grüne Licht eines Leuchtstabes. Und er lauschte aufmerksam. Wer wusste schon was für Tiere oder Kreaturen hier lauerten. Der Weg schien endlos zu gehen, neben sich hörte er das Rauschen des Flusses. Dann ging es plötzlich nicht mehr weiter. Geröll und große Felsen versperrten den Weg. Demian ging nahe heran um im Schein seines Stabes hoffentlich einen anderen Durchgang zu finden, ansonsten konnte er wahrscheinlich gleich umkehren. Und da fiel ihm etwas ungewöhnliches auf. Einige Steine wiesen Verzierungen auf und sahen aus, als wären sie einst Teile von Mauern gewesen. Verbogenes Metall, das an große Fackelhalterungen oder gar Lampen erinnerte. Und als er den Kopf drehte erkannte er, dass er wirklich neben einer Mauer oder etwas ähnlichem stehen musste, denn es waren behauene Steine, versetzt und mit Mörtel aufeinander geschichtet. Ein Teil war eingestürzt und es klaffte ein Loch, groß genug, dass er hindurch passte. Jetzt war er erst recht neugierig. Auf der anderen Seite angekommen erkannte er zuerst nicht viel, aber beim nächsten Schritt hörte er ein summendes Geräusch und es war plötzlich alles hell erleuchtet. Er stand in einem Zimmer aus Stein. Das gelb-bläuliche Licht stammte aus einer runden blauen Lampe, die offensichtlich auf Bewegungen reagierte. Wandverzierungen wie auf den Trümmern von vorhin, es gab einen Tisch, darauf standen sogar noch Becher, Teller und Krüge, dazu Stühle, Regale und ein Schrank. Aus Holz und Stein, angefressen vom Zahn der Zeit. Der Dieb ging durch die Tür aus massivem Holz und mit Eisenbeschlägen, die noch gut erhalten war. Draußen blieb ihm glatt die Sprache weg und er sah sich mit offenem Mund um. Um ihn herum lauter Ruinen von Häusern, teilweise noch mit Fensterläden und Türen, verzierte Bänke standen an jeder Hauswand. Leere Blumenkästen. Die Wege waren staubig, aber befestigt und alles war in dämmriges Licht getaucht durch große Straßenlampen, die zwar völlig anders aussahen wie die, die er kannte, aber noch funktionierten. Er lief staunend umher, es gab sogar Schilder mit Straßennamen und wenn er in eines der alten Gebäude hinein schaute oder sofern möglich auch ging, leuchteten automatisch wieder diese blauen Lampen und er erkannte Tische, Stühle, Betten, Truhen und all die bekannten Alltagsgegenstände. Es war aber ziemlich stickig und heiß hier und er merkte schnell, warum. Er hörte ein Rauschen, anders als bei Wasser und blubbern, aus einigen Häusern, die tief in die Erde eingesunken waren stiegen Dampfwolken aus. Er spähte durch die Fenster und sah, dass da drinnen Lava brodelte. „Ich fasse es nicht!“, stieß er hervor, als er noch weiter ging und sich dann auf einem weiten Platz wiederfand. Das musste ein Marktplatz gewesen sein. In der Mitte ein uralter Springbrunnen, Reste von Karren, Fässern, Kisten, sogar Marktständen, ein paar Gerippe von abgestorbenen Bäumen und eine große Statue, aber sie war wohl nicht dem Schöpfergott geweiht. Dessen Statuen zeigten immer einen bärtigen Mann in Rüstung und Umhang, mit Schwert in der rechten und einem Setzling irgendeiner Pflanze in der linken Hand. Der Dieb ging näher heran und es stellte sich heraus, dass es nicht nur eine Figur war, sondern eine ganze Gruppe. Ein Mann in Tunika und Kapuzenumhang und einem Stab in der linken Hand, vielleicht so etwas wie ein Zauberstab. Der rechte Arm lag auf dem Boden, hätte man ihn wieder angebracht, wäre es ein Mann mit Zauberstab und dem rechten Arm samt Hand zum Gruße erhoben gewesen. Daneben standen nur noch zwei Beine in ein langes Gewand gehüllt. Die Trümmer zeigten, dass es ehemals die Figur einer Frau gewesen war, deutlich war der Kopf zu erkennen, mit fein gearbeiteten Zügen und kunstvoller Flechtfrisur. Vollendet war diese Skulptur mit Tierfiguren, zum Teil auch völlig zerfallen oder mit abgeplatzten Fragmenten. Welche Tiere es sein sollten, konnte er nicht recht deuten. Sie erinnerten an Hunde oder Wölfe, konnten aber genauso gut irgendwelche Fabelwesen sein. Und dieser Platz, auf dem er nun herum ging, war von den Ruinen der Häuser umgeben, an denen manchmal Schilder hingen, die zeigten, dass es einst Läden gewesen waren. Ein Schuhladen, ein Bäcker, sogar eine Kneipe. Ein Stück von ihm entfernt führten noch mehrere Straßen nach links, rechts und geradeaus. Treppen meinte er ganz im Hintergrund zu erkennen. Und auch hier einige mit Lava gefüllte Krater, so dass er aufpassen musste, wo er hin trat. Hinter der Kneipe sogar ein richtiger Lavafluss, der Haus- und Felswand trennte. Nun stand er an diesem alten Brunnen und dachte nach. Auf dieser Erkundungstour hatte er in einigen Ecken und Häusern noch etwas entdeckt. Knochen von Tieren und augenscheinlich auch Menschen. Demian wurde klar, wo er sich befand. Dies hier waren die Überreste einer uralten, versunkenen und längst vergessenen Stadt. Kapitel 16: Uralte Kultur ------------------------- Was es nicht alles gab. Niemals hatte er auch nur das leiseste Gerücht gehört über Ruinen unterhalb seiner Heimat. Demian beschloss, demnächst einen Besuch in der Stadtbibliothek zu machen, vielleicht fanden sich ja dort noch Aufzeichnungen. Er fragte sich, was hier wohl passiert war. Auf jeden Fall etwas Schreckliches, was die Gebeine der einstigen Bewohner verrieten. In unmittelbarer Nähe von ihm lag noch ein menschliches Skelett. In einem Haus hatte er vorhin eine ganze Gruppe davon im Halbdunkel erkannt, und es hatte ausgesehen, als hätten sie zusammen dort Schutz gesucht. Andere Skelette hatten noch auf ihren Betten gelegen, als hätten die Menschen geschlafen als sie erschlagen wurden von den Steinen, die noch immer auf den zermalmten Knochen lagen. Irgendetwas schien die Bewohner völlig unvorbereitet überrascht zu haben. So kam Demian zu dem Schluss, dass es sich nur um eine Naturkatastrophe gehandelt haben konnte. Höchstwahrscheinlich, nach den vielen Rissen in den Steinwänden und den Trümmern zu urteilen, ein schweres Erdbeben. Er ging weiter zur Straßenkreuzung und wandte sich dann nach links. Dort kam er aber nicht weit, keine hundert Meter weiter stand er an einem Abhang, inmitten einer großen Höhle. Es war nicht klar ersichtlich, wie diese entstanden war. Unter ihm zischte und brodelte ein Lavasee, Trümmer von Hausdächern lagen darin. Auf der anderen Seite ging es noch irgendwohin weiter, aber dazu hätte Demian eine Brücke oder Flügel gebraucht. Der Dieb wandte sich wieder um, lief zurück zur Kreuzung und dann nach rechts, der Weg führte wieder in eine von Felsbrocken versperrte Sackgasse. „Also dann geradeaus“, murmelte er und blieb dann vor einer breiten Treppe stehen. Im Licht der uralten Lampen erkannte er zu beiden Seiten der Treppe große, verzierte Säulen. Oder zumindest was noch von ihnen übrig war. Bis auf eine Einzige, die noch stand, waren alle in mehrere Teile zerbrochen. Im Laufe der Zeit war dieses noch undefinierbare Gebäude mit den natürlichen Felsen verschmolzen. Er ging die Stufen hinauf, die bis zu einer noch gut erhaltenen Tür aus Ebenholz. Vorsichtig öffnete er sie und betrat das Innere. Er kam in einer schmalen Vorhalle heraus, hier war alles sehr dunkel, die Fackeln waren schon vor langer Zeit erloschen. Er holte einen Leuchtstab hervor und sah sich um. Vor ihm eine Doppeltüre, diesmal aus grün korrodiertem Kupfer, links und rechts von ihm ging es noch um die Ecke zu weiteren Türen. Er ging aber gleich durch diesen Eingang und gelangte so ein eine große Halle, die von Säulen gestützt wurde. Nun brauchte er den Stab nicht mehr, denn hier gab es nun wieder automatische Lampen, die ihn sofort in ein mehr oder weniger helles Licht hüllten. In jeder Ecke große Feuerschalen, die durch das Erdbeben allesamt umgestürzt waren. Überhaupt war auch hier alles voller Risse im Stein. In der Mitte ein quadratisches Loch von etwa fünf Metern Durchmesser, dass einst ein Wasserbecken gewesen, aber jetzt ausgetrocknet und voller Steintrümmer war, die von der Decke herunter gefallen waren. Und ihm gegenüber ein Altar vor einer Figurengruppe. Dieselben Figuren wie auf dem alten Marktplatz und in besserem Zustand als jene. Hier war die ganze Frauenstatue zu erkennen, sie hielt die Hände vor sich verschlungen. Die Tierfiguren zeigten wirklich Fabelwesen, was er aus den großen Flügeln schloss. Sie hatten dazu lange Schwänze und einen vogelähnlichen Kopf mit Schnäbeln wie Adler. Demian vermutete, dass dieses Gebäude ein Tempel für eben jene Figuren war, die hier einst angebetet wurden. Während der Katastrophe hatte man zweifellos ihren Schutz erfleht, denn hier lagen sehr viele Skelette und er musste aufpassen, nicht auf die morschen Knochen zu treten. Geholfen hatte es leider nicht. Demian beschloss, sich hier noch etwas mehr umzuschauen, vielleicht fand er ja hier irgendwelche Schriftstücke, die Hinweise zur Identität dieses Ortes hatten. Die Wände waren mit Reliefs bedeckt, die links eine Gruppe Menschen zeigte, der Größte davon trug eine Krone und saß auf einem Thron, daneben Frauen und Kinder umgeben von zahlreichen Dienern. Links noch einmal dieser König oder wer immer auf der anderen Seite dargestellt war, der mit erhobenen Händen vor zwei Thronen stand auf denen der Mann und die Frau saßen, die hier als Statuen verewigt waren. Neben den Thronen waren auch die geflügelten Tiere abgebildet. Anscheinend war es ein Götterpaar, dem der Herrscher dieser Gemeinschaft huldigte. Demian ging auf die einzige Nebentür zu und hindurch. Jeder der folgenden Gänge und Türen, sofern passierbar wurde jetzt von ihm untersucht. Er fand Speisesaal und Schlafkammern, Vorratskammer, Waffenkammer. Die Waffen waren denen, die er kannte sehr ähnlich. Es gab Bögen, Schwerter, Speere, Äxte nur gänzlich anders geformt als es zum Beispiel sein eigener Bogen war. Dann gelangte er in einen großen Raum, darin befand sich ein Bett, ein Schrank, ein Schreibtisch samt Stuhl. Das kam ihm bekannt vor, fast genauso hatten Hohepriester Salomons Räume ausgesehen. Er schloss daraus, hier im ehemaligen Gemach des Hohepriesters dieses uralten Götterkults zu stehen. Sogleich sah er sich auch hier eingehend um, darauf hoffend, endlich ein paar brauchbare Anhaltspunkte zu finden, wo er sich befand. Schriftrollen und Bücher lagen hier viele verstreut herum, aber Demian wurde arg enttäuscht. Er konnte sie nicht lesen. Das hieß, lesen an sich schon, aber die Worte ergaben für ihn keinen Sinn, es war eine völlig fremde Sprache. Was für eine Sackgasse. Ein Kästchen erregte seine Aufmerksamkeit, in dem sich ein Schlüssel befand. Aus einer Ahnung heraus nahm er ihn an sich. Daraufhin ging er in die Haupthalle zurück und dort entdeckte er bei einem zweiten Rundgang einen Schalter, der ihm vorhin noch nicht aufgefallen war. Es öffnete sich eine Falltür mit einer nach unten führenden Treppe. Mit dem Leuchtstab in der Hand, ging Demian vorsichtig die Stufen hinab und kam bis zu einer großen Eisentür, durch Rost rötlich gefärbt. Der Schlüssel passte und der Dieb ging neugierig in den dahinter liegenden Saal. Sofort reagierten hier wieder Lampen und gaben den Blick auf einen Schatz frei, dass er seinen Augen kaum trauen konnte. Ganze Berge von Statuetten, Gefäßen, Kelchen und Schmuckstücken aus Gold und Silber, mit Edelsteinen verziert. So etwas hatte er noch nie gesehen, das hier stellte sogar die Ausstellungsstücke des Barons locker in den Schatten. Das waren wahrscheinlich Opfergaben an diese Gottheiten gewesen. Diese Stadt oder zumindest der Herrscher musste sehr reich gewesen sein. Und die Priester dieses Tempels hatten zweifellos davon profitiert, denn er hatte bei der Untersuchung der Räumlichkeiten fest gestellt, dass zwar die Zeit ihre Spuren an den Einrichtungsgegenständen hinterlassen hatte, aber die Kostbarkeit war ihnen noch deutlich anzusehen. Eine Weile stand er da und es juckte ihn in den Fingern, zuzugreifen. Aber etwas hielt ihn davon ab. Es fühlte sich irgendwie... falsch an, als er doch einen Kelch in die Hände nahm. Wollte Demian einfach kein Grabräuber sein? Er war ein Dieb, ja, aber noch nie hatte er in Katakomben etwas mitgenommen aus eben diesem Gefühl heraus. War es, weil dieser Ort etwas Trauriges an sich hatte, angesichts der Katastrophe, die ihn heim gesucht und ausgelöscht hatte? Würde er sonst die Totenruhe stören und womöglich damit Untote herauf beschwören? Was auch immer der genaue Grund war, er verzichtete und stellte den Kelch zurück. Er entschloss sich, diese Ruinen zu verlassen, da er durch die fremde Schriftsprache sowieso nichts erfahren konnte. Die Bibliothek würde ihm vielleicht weiter helfen. Außerdem war ihm seit er hier war, überhaupt sehr unbehaglich zumute und er bekam Gänsehaut. Was mussten die Menschen hier während des Bebens für Todesängste ausgestanden haben? Wie panisch mussten sie aus ihren Häusern geflohen und zum Tempel geeilt sein um in rasender Verzweiflung ihre Götter um Hilfe anzuflehen? Fast bildete er sich ein, einen Nachhall der Schreie und Bitten hören zu können. Auf dem Rückweg kam ihm noch ein Gedanke. War es vielleicht möglich, dass es Überlebende gegeben hatte? Und seine Stadt von ihnen neu gebaut wurde? Dann wären die Einwohner von Trigon (mit Ausnahme derer, die aus anderen Orten hierher gekommen waren) einschließlich ihm selbst direkte Nachfahren einer untergegangenen Kultur. Irgendwie ein faszinierender Gedanke. Doch warum hatte noch niemals jemand etwas davon gehört? Nicht einmal Legenden? Wurde es geheim gehalten? Der Schöpferorden hätte zumindest einen guten Grund, nach ihrer Lehre gab es schließlich nur diesen einen Gott und nicht etwa ein Götterpaar. Aber vielleicht irrte sich Demian ja auch völlig und diese Gegend wurde erst wieder besiedelt, als diese Ruinen hier längst unter der Erde begraben und vergessen waren. Nachdem er wieder an der Oberfläche war suchte er sich zunächst den sichersten Rückweg. Da es Nachmittag war und er bewaffnet, durfte ihn so möglichst niemand sehen. Ohne Zwischenfälle zuhause angekommen, entschied er sich für die Verkleidung samt Perücke, die er damals in seiner Rolle als Diener benutzt hatte. Sicher war sicher, so hatte Demian die Garantie, in der Bibliothek nicht aufzufallen und in Ruhe nachzuforschen. Daraufhin machte er sich auf den Weg dorthin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)