Spiegelbilder von Zyra (Makato x Taro) ================================================================================ Prolog: So ist es ----------------- Hallo! Ich kann es einfach nicht lassen, über Taro und Makato zu schreiben. Die Vorgaben zum Glückskeks- Wettbewerb passten aber auch wie die Faust aufs Auge! ^^ Hier ist also eine weitere Geschichte zu den beiden. Es ist keine Fortsetzung zu "Engelstränen", sondern eine Alternativegeschichte. Ich hoffe, sie gefällt euch! LG Zyra --- Prolog: So ist es Als ich meinen Blick schweifen lasse, entdecke ich am Rande der tanzenden Masse meinen besten Freund. Seine Augen sind auf mich gerichtet und sobald er sich sicher ist, meine Aufmerksamkeit zu haben, tippt er mehrmals auf sein linkes Handgelenk und nickt in Richtung Ausgang. Automatisch schiele ich auf meine Armbanduhr. Hoppla. Es ist schon zwanzig vor elf. Mit anderen Worten: Zeit, schleunigst zu verschwinden. Ich trinke den letzten Schluck meiner Cola und fahre dem Mädchen, das mich gerade zu textet, ins Wort: „Sorry, Chiyo-chan. Ich muss jetzt los. Taro will weiter. Wir sehn uns. Tschau!“ Ehe sie überhaupt reagieren kann, bin ich schon aufgestanden und bahne mir einen Weg zu Taro hinüber. „Bis Montag, Makato-kun!“, glaube ich, sie nach einem Moment noch gegen den Lärm der Musik rufen zu hören. Ist auch egal, denke ich missmutig, das lief so oder so nicht wie geplant. Mädchen in Beziehungen herumzukriegen ist nie leicht, aber die … erweckt das Gefühl, sie hätte die Treue erfunden. Scheiß Tag. Taro grinst mich an, als ich zu ihm trete. „Das war wohl nichts“, sagt er mit Genugtuung. „Das gönnst du mir, hm?“ Sein Gesichtsausdruck wird ein wenig ernster. „Ja, da es gemein war!“ Ich zucke mit den Schultern. Wenn die Mädchen ihre Freunde mit mir betrügen, ist es ja im Grunde nicht meine Schuld. Zumindest ist das meine Sicht der Dinge. Taro scheint das etwas anders zu sehen. Vielleicht, weil ich es teilweise darauf anlege. „Ach“, rufe ich mit einem Augenzwinkern, „im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.“ Taro legt nachdenklich den Kopf schief. Nach einem Moment schmunzelt er. „Interessanter Gedanke. Allerdings trifft er auf diese Situation nicht zu.“ „Hm“, gebe ich von mir, aber ich bezweifele, dass Taro es bei dem enormen Lautstärkepegel der Disko hört. „Wie auch immer“, meine ich lauter. „Lass uns zusehen, dass wir von hier verschwinden, bevor die Polizei kommt.“ Taro nickt nur und gemeinsam schieben wir uns in Richtung Ausgang durch die Menschenmassen. Mann, wie ich den Tag herbeisehne, an dem ich volljährig bin. Es ist nervig, um elf zu Hause sein zu müssen und keinen Alkohol trinken zu dürfen. Nicht, dass wir uns oft daranhalten würden. In unserer Stammdisko nehmen sie es mit dem Alter nicht so genau. Wir sind hier bekannt wie ein bunter Hund und immer, wenn die Barkeeper uns keine alkoholische Getränke verkaufen, wissen wir, dass wohl eine polizeiliche Überprüfung ansteht und wir gut daran tun, bis elf zu Hause zu sein. Bisher hat an diesen Tagen tatsächlich immer eine Polizeiaktion stattgefunden. Jemand in der Chefetage des Clubs scheint also wirklich gute Beziehungen zu den Bullen zu haben. Uns ist es recht so. Nachdem wir unsere Jacken von der Garderobe geholt haben, machen wir uns auf den kürzesten Weg nach Hause. Für Anfang April weht eine ganz schön kalte Brise und ich stelle den Kragen meiner Jacke auf. „Der letzte Samstag in den Frühjahrsferien“, fluche ich leise. „Warum ausgerechnet heute?!“ „Vielleicht gerade weil es der letzte Samstag der Frühjahrsferien ist“, mutmaßt Taro. „Möglich“, stimme ich grummelnd zu. Ich seufze. „Und was machen wir jetzt mit dem angebrochenem Abend?“ Ich sehe, dass Taro mit den Schultern zuckt. „Herum gammeln und Cocktails trinken. Rum und Tequila haben wir noch“, schlägt er vor. „Hm, warum nicht“, stimme ich zu, dann kommt mir ein Gedanke. „Hey, wir könnten damit beginnen, ein paar Ideen für unseren ‚Plan U‘ zu sammeln.“ Ich schaue zu ihm hinüber und beinahe synchron fangen wir an zu grinsen. Ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren, ist es beschlossene Sache. „Plan U“ haben wir unser ultimatives Lehrerverarschungsprojekt genannt. Der Plan an sich steht noch nicht, aber die zu erfüllenden Anforderungen sind abgesteckt. Es muss hinterhältig und nicht auf uns zurückzuführen sein. Im Grunde genommen soll es aussehen wie ein gemeiner Zufall. Keine einfache Sache, deswegen haben wir bisher auch noch keine passende Idee gefunden. Während Taro uns in der Küche je einen Mojito mixt, räume ich schnell meine technischen Basteleien von den Sofas. Kaum bin ich damit fertig, klingelt es an der Tür. Ich runzele die Stirn. Kurz nach elf. An einem Samstag. Das ist eigentlich keine Zeit, in der wir normalerweise zu Hause sind oder Besuch bekommen. „Geh doch mal, bitte“, ruft Taro aus der Küche. Genervt stehe ich auf und gehe zur Tür. Als ich durch den Spion schaue, sehe ich Nozomi, Cathrin und Vivian. Sie sehen ein wenig abgehetzt aus. Wahrscheinlich haben sie zu spät von der Polizeirazzia erfahren. Ich habe die Tür kaum geöffnet, da huschen die drei Mädchen schon herein. „Zum Glück seid ihr da. Wir haben es zu spät mitbekommen“ japst Vivian. „Warum seid ihr denn hierhergekommen? Im Notfall hättet ihr den Polizisten doch einfach erzählen können, ihr hättet kurz die Zeit vergessen. So spät, dass sie euch das krumm nehmen, ist es nun auch wieder nicht. Wo liegt das Problem?“, werfe ich ein. „Das Problem liegt darin, dass wir schon etwas getrunken haben, du Dumpfnase!“, keift Cathrin mich an. Mir liegt eine bissige Erwiderung auf der Zunge, aber Nozomi kommt mir zuvor. „Außerdem dachten wir, dass wir uns vielleicht so doch noch einen ganz gemütlichen Abend machen könnten. Wenn euch das recht ist“, erklärt sie und streicht sich eine Strähne ihrer langen schwarzen Haare hinters Ohr. „Vivi ist sich sicher, dass ihre Eltern uns abholen können.“ Vivian nickt. „Sie werden wahrscheinlich nicht begeistert sein, aber es kommt schon jemand.“ Sie lächelt von sich überzeugt. „Wie lange können wir denn bleiben?“ Ich zucke mit den Schultern. „Das klärst du am besten mit deinen Eltern. Taro und ich können morgen ausschlafen. Uns ist es reichlich egal, solange ihr hier nicht übernachtet“, erwidere ich in Erinnerung an das letzte Mal, als unter anderem die drei bei uns übernachtet haben. Eine einzige Katastrophe. Selbst in meinen Augen. „Kein Ding. Weit nach Mitternacht wird es wahrscheinlich eh nicht. Ich kann doch sicherlich mal euer Telefon benutzen, nicht?“ „Gönn dir!“, antworte ich und frage dann: „Wollt ihr irgendeinen Cocktail? Entweder auf Rum- oder Tequila-Basis.“ Nozomi und Cathrin tauschen einen Blick und antworten wie aus einem Munde: „Einen Tequila Sunrise, bitte.“ „Für mich auch“, wirft Vivi ein, während sie die Nummer eintippt. „Hast du’s mitbekommen?“, rufe ich in Richtung Küche. „Ja, ich bin nicht taub“, kommt es beinahe genervt von Taro. Während Vivian telefoniert, gehe ich zusammen mit Nozomi und Cathrin ins Wohnzimmer. Cathrin und ich lassen uns je auf ein Sofa fallen und Nozomi lugt in die angrenzende Küche hinein. „Hallo Tata!“, begrüßt sie Taro. „Kann ich dir irgendwie helfen?“ „Hi, Nono. Nein, ist nicht nötig.“ Ich höre geradezu, dass er lächelt. „Ich bin sowieso gleich fertig.“ „Alles klar“, antwortet sie und setzt sich neben Cathrin. „Was habt ihr denn heute noch vor?“ „Wir haben überlegt, den Abend noch sinnvoll zu nutzen, in dem wir schon mal anfangen, Ideen für den ‚Plan U‘ zu sammeln“, erkläre ich und komme nicht umher zu grinsen. „Ich bezweifele, dass euch etwas einfällt“, schnaubt Cathrin. „Zu hohe Anforderungen.“ Abermals liegt mir eine bissige Erwiderung auf der Zunge und wieder kommt mir Nozomi zuvor: „Ach, komm. Falls es jemand schafft, dann Tata und Toto.“ „Ja, falls“, murmelt sie widerstrebend. „Das wirst du schon noch sehen!“, sage ich überheblich, bevor mir Nono noch einmal dazwischenfahren kann. Eigentlich mag ich Nozomi. Abgesehen von zwei Dingen: Erstens versucht sie ständig meine Streitereien mit Cathrin zu unterbinden und zweitens missfällt mir ihre Beziehung zu Taro. Cathrin sieht mich spöttisch an. „Ach ja. Das wird sich ja zeigen.“ „Also Mädels, ich konnte meine Mutter dazu überreden, uns ‚erst‘ um halb eins abzuholen“, sagt Vivian, als sie den Raum betritt. „Und wenn ich mir euer Gespräch so anhöre, dann sollten wir vielleicht alle unsere Vorsätze für den Zeitraum des nächsten Schuljahrs äußern und einen darauf trinken.“ „Netter Vorschlag“, ruft Taro aus der Küche. „Das trifft sich gut. Ich hab den Rest Tequila aufgeteilt.“ Keine Minute später kommt er mit einem Tablett ins Wohnzimmer und stellt jedem sein Cocktailglas und einen Kurzen auf den Tisch. „Oh prima“, freut sich Vivian, die sich inzwischen in einen Sessel hat plumpsen lassen, und greif nach ihrem Glas. „Ich will einen neuen Höchstrekord der Verkaufszahlen der Schülerzeitung erreichen.“ Sie kippt den Tequila herunter. „Toto“, fordert sie mich danach auf. „Ich werde endlich den ‚Plan U‘ entwerfen und umsetzen!“, lege ich fest und exe den Schnaps. „Tata.“ Neugierig blicke ich zu Taro hinüber, der es sich neben mir im Sofa bequem gemacht hat. Ich habe überhaupt keine Ahnung, was jetzt kommt. Auch sein hintergründiges Lächeln kann ich nicht deuten. „Ich will eine schauspielerische Meisterleistung vollbringen“, erklärt er und ich bin immer noch nicht viel schlauer. Aber ich bezweifele, dass er genaueres dazu sagen wird. Nicht bei der Art von Grinsen. Kaum hat er sein Glas wieder abgesetzt, fragt Vivi neugierig: „Wozu denn?“ „Tja, wie immer: entweder um etwas zu bekommen, das ich haben will oder …“, setzt er an und macht dann eine Spannungspause. „Oder?“, echot Vivi. „Um jemanden zu verarschen. Ist doch ganz klar, Viv. Oder hast du ernsthaft gedacht, ich würde meine Zeit in der Theater-AG verplempern?“, entgegnet er und sein Grinsen sagt mir ganz deutlich, dass er es darauf angelegt hat, dass Vivian nachfragt. „Das kann ja interessant werden“, sagt Nozomi und nimmt sich ihren Kurzen. „Ich habe nur das bescheidene Ziel, mir meinen B-Durchschnitt, nicht wieder von einem Fach wie Kunst durchkreuzen zu lassen.“ „Und du, Caca?“, wendet sie sich an ihre beste Freundin, nachdem sie den Tequila getrunken hat. „Ich will dafür sorgen, dass unser Kendo-Team endlich mal wieder die Schulmeisterschaft gewinnt!“, erklärt sie überzeugt. „Aber mir sagen, ich würde mir etwas nicht umsetzbares vornehmen!“, spotte ich und endlich hält mich niemand auf. Leider nimmt Cathrin den Spruch und das Gelächter der anderen erstaunlich gelassen. Zu dumm aber auch. Ich sehe zu Taro und frage mich erneut, was er wohl vorhat. Vielleicht erzählt er es mir ja nachher unter vier Augen, wen er auf die Schüppe nehmen will. Auf jeden Fall scheint es ein interessantes Schuljahr zu werden. Kapitel 1: Z wie Zweifel ------------------------ Hallo! Hier ist das nächste Kapitel. Bin ja mal gespannt, wie lange ich den zehn Tage-Rhythmus noch beibehalten kann. ^^ Viel Spaß beim Lesen! LG Zyra --- Z wie Zweifel „Hey Toto!“ Taros Stimme reißt mich aus meinem geistigen Tiefschlaf. Mathematik. Analytische Geometrie. Das beherrsche ich schon seit Jahren. Warum also aufpassen? Ich kann es jetzt schon kaum noch erwarten, nach Hause zu kommen. „Hm“, brumme ich abwesend und gähne herzhaft. „Nach dem Spruch müssten wir ziemlich aufeinander abfahren!“, meint er und deutet grinsend auf die Tafel. Träge drehe ich meinen Kopf in der stützenden Handfläche und richte meinen Blick auf die grüne Fläche. Keine mathematischen Formeln, fällt mir sofort auf. Anscheinend war ich nicht nur für ein paar Minuten gedanklich abwesend. Ups. Liebe ist, dass Du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle, lese ich und verstehe in meinem momentanen Zustand kein Wort. Von Franz Kafka. Okay. Sowieso nicht mein Interessensgebiet. „Ach, und in der Realität tut ihr das nicht, oder was?“, fragt Vivian provokant. Wie so oft hat sie sich halb zu uns herumgedreht. „Ich möcht zu gern mal wissen, was nachts in eurem gemeinsamen Schlafzimmer so abgeht.“ „Ach, und die Nachmittage interessieren dich nicht, oder wie?“, erwidert Taro. Er lächelt lasziv und fährt sich lässig durch die schwarzen Locken. Ich komme nicht umher zu grinsen. Dieses Spiel spielt er nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit mit ihr. „Du möchtest sicherlich nicht wissen, was wir in unsere Freizeit so treiben. Glaub mir ruhig.“ „Hast du etwa Angst, es könnte etwas davon in der Schülerzeitung erscheinen?“, fragt sie süffisant. „Nein, warum denn?“, schießt Taro absolut ruhig und selbstsicher zurück. „Du würdest ja sowieso nicht darüber schreiben.“ „Och, wieso denn?“, werfe ich ein und zwinkere ihm verschwörerisch zu. „Unsere nächtlichen Kloppereien um Kopfkissen, Decken und was sich sonst noch so auf die falsche Seite des Bettes verirrt, fände ich durchaus erwähnenswert.“ Vivi hebt interessiert eine Augenbraue, während Taro gespielt nachdenklich einen Finger an seine Wange legt. „Meinst du?“ „Mhm.“ Gerade als Vivi den Mund öffnet, erfolgt die beinahe schon überfällige Rüge der Lehrerin. „Clark-kun, drehen Sie sich um. Da Sie es augenscheinlich nicht für nötig befinden, zuzuhören, nehme ich an, dass Sie verstanden haben, was Kafka mit diesem Satz ausdrücken möchte.“ „Tut mir leid. Ich verstehe es nicht“, knirscht sie, fügt nach einem Moment jedoch selbstbewusst hinzu: „Deswegen wollte ich Taro fragen, da er es anscheinend so gut verstanden hat, um sich darüber lustig machen zu können.“ Schlagartig richtet sich die Aufmerksamkeit der Lehrerin auf Taro. „Also Tarimo-kun“, knurrt sie. „Ich denke, Kafka möchte mit diesem Satz ausdrücken, dass Liebe darin besteht, sich gegenseitig Stärken und Schwächen aufzeigen und einander zu zwingen, darüber nachzudenken. Der Geliebte ist quasi ein Spiegel mit dessen Reflexion man sich ständig auseinander setzen muss. Und ich habe mich nicht darüber lustig gemacht, sondern Makato“ Er betont meinen Namen so, dass deutlich wird, dass Vivi sich eingemischt hat. „gegenüber nur eingeworfen, dass meiner Meinung nach nicht nur Liebende diese Spiegelfunktion füreinander haben können“, erklärt er souverän. Ich lese das Zitat noch einmal und dieses Mal erschließt es sich mir. In wachem Zustand hätte ich es sicherlich auch irgendwann ohne Taros Erklärung begriffen. Aber bis ich geistig wieder voll anwesend bin, wird es wohl noch nen Moment dauern. „Sehr gut“, sagt die Lehrerin erfreut. „Zudem ein interessanter Einwand. Bei der Betrachtung des Zitats darf man natürlich den Autor nicht außer Acht lassen. Und wie wir wissen …“ Ich schalte wieder ab. Kafkas Leben ist mir vage bekannt. Es ist definitiv nichts, dass ich vertiefen möchte. „Und was meinst du dazu?“, fragt Taro mich. In seinen grünen Augen blitzen Neugier und Interesse auf. „Wozu?“, frage ich verpeilt. „Zu der These, mit der ich dich aus deiner eineinhalbstündigen gedanklichen Abwesenheit gerissen habe“, sagt er seufzend. Ach ja, da war was, denke ich beinahe desinteressiert. Ich hasse es, wenn er mit mir über Literatur sprechen will. Wahrscheinlich genauso sehr, wie er es hasst, wenn ich ihn mit technischen Themen zu texte. Da das öfter vorkommt, nehme ich mir ne Minute Zeit, um darüber nachzudenken. Ich muss nicht lange überlegen, um festzustellen, dass Taro diese „Spiegelwirkung“ tatsächlich auf mich hat. Niemand führt mir deutlicher vor Augen, worin ich gut bin und insbesondere, wo meine Schwächen liegen. Aber ich liebe Taro nicht. Zumindest nicht in dem Sinne, den Kafka wohl meint. Also ist die logische Schlussfolgerung daraus, dass Taro richtig liegt. „Ich denke, du hast Recht“, sage ich schließlich. „Wir sind ein guter Beleg dafür. Möglicherweise ist es allerdings so, dass Liebende diese Wirkung noch ausgeprägter aufeinander haben.“ „Vielleicht“, antwortet Taro vage und lässt das Thema damit glücklicherweise ruhen. Ich spreche nicht gern über solche tiefschürenden Dinge. Auch mit Taro nicht. Er weiß das. „So, wo und was gehen wir heute Mittag essen?“, frage ich nach einem Moment, in dem mir mein Magen endgültig klar gemacht hat, wie spät es schon ist. „Pizza? Döner? Burger? Was meinst du?“ „Was hältst du denn von etwas traditionell Japanischem? Etwas Gesundem“, neckt er mich. „Nur wenn du kochst“, entgegne ich prompt. „Hm. Dann lass uns heute Mittag nur eine Kleinigkeit in der Mensa essen. Ich koche nach dem Nachmittagsunterricht.“ Es muss gesehen haben, dass ich das Gesicht verzogen habe, denn er fügt Kopfschüttelnd hinzu: „Stell dich nicht so an! Es ist ja nur eine Doppelstunde und es ist auch nicht so, als ob du zum Mittag gar nichts bekommen würdest.“ „Na gut“, brumme ich widerwillig. Und auch nur, weil ich mir augenblicklich des Spiegels sehr bewusst bin, den er für mich darstellt. Der Spiegel, der in diesem Moment Ungeduld zeigt. *** Letztendlich stellt sich die Entscheidung zu warten, als richtig heraus. Das Sushi, das Taro in kurzer Zeit gezaubert hat, ist besser, als alles, was wir hätten kaufen können. Deutlich besser. Während ich noch genüsslich esse, blättert Taro in einer Zitatensammlung. Was nicht damit zusammenhängt, dass Taro besonders schnell oder wenig essen würde, sondern mit der Menge, die ich verschlinge. „Was ist los?“, frage ich schließlich nach einem Moment des stillen Genusses, als ich seinen nachdenklich besorgten Blick bemerke. „Ach, ich überlege nur, was ich später machen sollte“, antwortet er und wirkt ein wenig bekümmert. Sein Anblick löst irgendetwas in mir aus. Ich kann nicht sagen, was es ist, geschweige denn ob es mir gefällt. „Und was willst du machen?“, frage ich, weil mir das „sollte“ aufgefallen ist. Diese Formulierung ist mit Sicherheit kein Zufall. „Wie kommst du überhaupt gerade jetzt darauf? Wegen des Buches?“ „Ich würde gerne Koch werden“, sagte er und sieht bei dem Gedanken wesentlich glücklicher aus. „Ich merke, dass ich ein Talent dafür habe, zum Beispiel an deinem Gesichtsausdruck gerade eben. Aber ich denke, ich sollte lieber etwas anderes machen. Das Buch erinnert mich daran, dass ich auch im Umgang mit Sprachen talentiert bin. Dolmetschen könnte ich mir durchaus vorstellen, obwohl mir der Gedanke, das Kochen zu meinem Beruf zu machen, besser gefällt. Nur weiß ich, dass dieses Gewerbe ebenso stressig ist, die Bezahlung aber um einiges mieser.“ Taro lächelt leicht. Worüber kann ich nicht sagen, aber seiner Antwort nach zu urteilen, darüber dass ich verstanden habe, dass er zwischen Wunsch und Sinnvollem differenziert. Ich kann seine Argumentation nachvollziehen. Und so gern ich normalerweise für mein Handeln eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstelle, in diesem Moment scheint sie mir nicht zu passen. Dass Taro sein Kochhobby zum Beruf macht, empfinde ich als richtiger, als wenn ich ihn mir als Dolmetscher vorstelle. Es ist nicht so, dass ich daran zweifele, dass er letzteres schaffen könnte. Er hat wirklich eine Begabung, was Sprachen betrifft. Er wäre gut darin. Und mit den Sprachen, die er beherrscht, könnte er relativ schnell einen guten Job finden. Nur fühlt es sich nicht richtig an. „Du solltest Koch werden“, entgegne ich schließlich. „Du kochst jetzt schon spitze. Ich bin sicher, dass du auch in höhere Einkommensklassen kommen kannst.“ Ich sage nicht, dass er sich dabei nie um seine Finanzen große Sorgen machen müsse, weil schließlich ich da sei, um ihn zu unterstützen. Ich weiß, dass er das nicht hören will. Ebenso wenig, wie die Tatsache, dass er es mit seinem Können und meinen Beziehungen sehr schnell schaffen würde, eine gut bezahlte Stellung zu bekommen. Ich muss es nicht aussprechen, es ist uns beiden klar. Er will auf eigenen Beinen stehen. Sich selbst das erarbeiten, was er haben möchte. Ich akzeptiere das, auch wenn ich es nicht immer verstehe. Es wäre sehr leicht für ihn, den einfacheren Weg zu wählen. Zumindest ab und an. Bei Kleinigkeiten. Aber er sträubt sich jedes Mal dagegen, grundlos etwas von mir anzunehmen. „Ich will es allein schaffen“, informiert er mich und es ist beinahe so, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich lächele unweigerlich. „Ich weiß“, erwidere ich. Was nicht heißt, dass ich mich nicht einmischen werde, falls er sich für diesen Weg entscheidet. „Du solltest nicht so viel zweifeln“, füge ich hinzu, „sondern einfach das tun, was du willst. Du bist gut darin.“ Taro seufzt und schüttelt, wie mir scheint, über sich selbst den Kopf. „Du hast Recht. Zu viele Gedanken machen bewegungsunfähig.“ „Das Stadium hast du noch nicht erreicht!“, prognostiziere ich. „Du musst es ja wissen“, erwidert er und lächelt leicht. Er wirkt glücklich. In diesem Moment wird mir klar, dass er sich meiner Spiegelwirkung wirklich sehr bewusst ist. Die Aussage, dass wir nach Kafkas Definition von „Liebe“, ineinander vernarrt sein müssten, ist anscheinend gut durchdacht gewesen. Ich esse auf und während Taro den Abwasch macht, beginne ich, ohne viel darüber nachzudenken, in der Zitatensammlung zu blättern. Plötzlich lese ich wieder Kafkas Zitat. Liebe ist, dass Du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle. Und nun regen sich Zweifel in mir. Nicht etwa, ob Kafka sich geirrt hat, sondern ob ich mich vielleicht in meinen Gefühlen für Taro versehe. Der Gedanke resultiert aus einem Gefühl. Ich weiß nicht, wo es herkommt, aber es ist da und nagt an mir. Es kommt mir vor, als hätte ich bisher etwas Wichtiges übersehen. Kapitel 2: W wie Würde ---------------------- Hallo! Hier ist also das zweite Kapitel. Wahrscheinlich kommt das dritte erst am 13.04. Ich glaube nicht, dass ich es zum 3. schaffe. Na ja, erst einmal viel Spaß mit diesem! LG Zyra --- W wie Würde Seit ich diesen Zweifel in mir gespürt habe, beobachte ich Taro eingehender. Nicht absichtlich. Es ist nicht so, dass ich es wollte. Ich bin mit der jetzigen Beziehung zwischen ihm und mir zufrieden. Aber es passiert einfach. Immer wieder stelle ich fest, dass ich ihn mustere – ihn analysiere. Auch in diesem Moment. Wir bekommen unsere Matheklausuren zurück. Und faul wie Minamoto – der Leerkörper, wie wir zu sagen pflegen – ist, dürfen wir vorne bei ihm antanzen und sie uns abholen. Samt irgendeines Kommentars, der in den meisten Fällen absolut mies ausfällt. Dabei ist es egal, wie gut die Arbeit ist. Minamoto hat augenscheinlich irgendeinen Narren an Taro gefressen. Wir können auch nach mehreren Jahren nicht sagen, was genau es ist – es wurmt mich, dass ich es immer noch nicht auf die Reihe bekommen habe, es zu analysieren. In jedem Fall äußert es sich in Perversion. In einer Situation ist er mit Begeisterung für Taro, in einer anderen macht er ihn mit eben dieser Begeisterung fertig. Die Rückgabe einer Mathematikklausur fällt eindeutig in letztere Kategorie. Schon seit bestimmt drei Minuten macht er nicht nur Taros Arbeit, sondern auch Taro selbst runter. Ich weiß, dass die Klausur nicht so schlecht sein kann. Immerhin habe ich mit ihm gelernt. Und ich höre immer erst dann auf, ihm Aufgaben zu geben, wenn ich mir sicher bin, dass er das Thema verstanden hat. … Manchmal auch erst später. Hin und wieder bereitet es mir einen perfiden Spaß, Taro mit mathematischen Problemen zu überhäufen. Zugebenermaßen ist das nicht nett, aber wer ist schon immer nett. Selbst zu Taro bin ich das nicht. Vielleicht muss er manchmal sogar meine nervigsten Launen ertragen. In diesem Moment hat er andere Probleme. Vordergründig steht er zwar ganz locker da und erweckt den Eindruck, dass diese ganze Triade zum einen Ohr rein und zum anderen sofort wieder rausgeht, aber ich sehe die unterschwellige Anspannung. Ich weiß, wie wütend er auf Minamoto ist und, dass es ihn mehr mitnimmt, als er zeigt. Als es sollte, denke ich. Auch in mir brodelt die Wut. Niemand hat das Recht meinem besten Freund zu sagen, dass er schlecht in Mathe ist – abgesehen von mir. Ganz besonders dann nicht, wenn ich vorher mit ihm gelernt habe. Danach kann er es nämlich. Ich verberge meine Wut ebenso wie Taro. Er gönnt es Minamoto nicht, zu sehen, wie sehr ihn dessen Verhalten ärgert. Er ist zu stolz dazu. Man sieht es ihm an. In diesem Augenblick geht es allerdings noch darüber hinaus. Er wirkt geradezu würdevoll, obwohl er eine Strafpredigt über sich ergehen lassen muss. Eigentlich paradox, schießt es mir durch den Kopf. „Sie haben sicherlich nichts dagegen, wenn Makato meine Arbeit mit seiner vergleicht, nicht wahr, Minamoto-sensei?“, fragt Taro schließlich zuckersüß, als der Lehrer endlich seine Klappe hält. Es ist eine rhetorische Frage. Minamoto weiß das. Vielleicht sagt er deshalb nichts dazu. Ich habe Taros gesamten, letzten Mathearbeiten „nachkorrigiert“. Ein paar Mal sind wir mit der Arbeit auch schon beim Direx gewesen. Es ist jedes Mal eine Genugtuung, Recht zu bekommen, auch wenn es eine Farce ist, dass es überhaupt notwendig ist. Taro nimmt die Klausurbögen entgegen, dreht sich um und verdreht vor der Klasse erst einmal demonstrativ die Augen. Ich lächele. Wo er Recht hat … Noch bevor er sich setzt, reicht er mir seine Arbeit. Ich sehe die Wut in seinen Augen. Es muss aber auch ein scheiß Gefühl sein, zu lernen und zu lernen, es zu verstehen und trotzdem angeschissen zu werden, wie dumm man eigentlich ist. „Mach ihn fertig!“, raunt er mir zu, bevor er in einer elegant-fließenden Bewegung auf seinen Stuhl gleitet. Ich runzele die Stirn. Was habe ich da gerade gedacht? Wie habe ich seine Bewegung beschrieben? Ehe ich genauer darüber nachdenken kann, fragt Taro, der anscheinend mein Stirnrunzeln bemerkt hat: „Was ist los?“ Da ich das selbst nicht weiß, werfe ich schnell einen Blick auf die Note und lüge: „Ich begreife nicht, wie der dumme Trottel dir nur ein D geben kann.“ „Vielleicht, weil er ein dummer Trottel ist!“ „Argument“, murmele ich und lächele ihn leicht an. Währenddessen krame ich nach meinem Block und reiße ein Blatt heraus. Dann beginne ich seine Arbeit mit meiner zu vergleichen und gegebenenfalls Aufgabenteile nachzurechnen. Ich habe ein A in der Arbeit. So wie eigentlich in allen Arbeiten. … Okay, ich präzisiere: Wie eigentlich in allen Arbeiten in allen wichtigen Fächern. In Kunst hab ich mir ein D geleistet. Man gönnt sich ja sonst nichts, wie Taro ironisch kommentiert hat. *** „Ich hasse diesen Kerl“, murmelt Taro, als wir zu Hause angekommen sind. Ich bewundere, dass er so ruhig bleibt. Ich an seiner Stelle würde inzwischen wohl fluchen wie ein Rohrspatz. Jedenfalls würde ich es nicht mit solch einer … Würde ertragen. Minamoto ist wieder einmal uneinsichtig gewesen. Wir sind also weiter zum Direktor und haben dort die Unstimmigkeiten vorgetragen, die ich in unseren Arbeiten gefunden habe. „Folgerichtig“ hat Minamoto mehrmals nicht gegeben. Abgesehen davon hat er von Taro an etlichen Stellen „weitere Erklärungen“ verlangt, obwohl er es genauso gerechnet hat wie ich. Ende des Liedes: Taro muss einen weiteren Test schreiben. Unter Aufsicht von Direktor Yamaguchi. Zugebenermaßen nicht die schlechteste Lösung, aber von der besten war es ebenso meilenweit entfernt. „Na ja, immerhin hast du jetzt die Chance, es Minamoto gehörig zu zeigen“, versuche ich ihn aufzumuntern. Taro lächelt bitter. „Ja, immerhin. Hast du den Nachmittag Zeit, mit mir zu lernen?“ „Hm, klar.“ *** Mit Taro zu lernen, ist immer wieder amüsant. Für mich versteht sich. Nicht für ihn. Er gibt sich Mühe, aber besonders in den Momenten, in denen wir aneinander vorbeireden, kann er kaum vor mir verbergen, wie genervt er ist. Und selbst dann ist seine Reaktion gemessen an der Situation noch gelassen. Auch jetzt, drei Tage später, würde ich an seiner Stelle toben vor Wut. Zumindest würde ich meckern. Allerdings scheint Taro trotz seiner Lage noch so rational denken zu können, dass er das als zwecklos befindet und sich nicht unnötig in seinen Ärger hineinsteigert. Dass es ihn ärgert, steht außer Frage. Er zeigt es nur selten. Ich bewundere das. Mir ist bewusst, dass ich meine Schwierigkeiten damit haben würde. Meine Gefühle verbergen kann ich. Sie in einem solchen Maß zu kontrollieren, ist mir eher nicht möglich. Ich will es auch gar nicht. Meistens zumindest. In diesem Augenblick frage ich mich jedoch, wie er es die letzte Stunde geschafft hat, vor mir zu verbergen, wie schlecht es ihm geht. Natürlich ist mir aufgefallen, dass es kränkelt. Nur hab ich es für eine einfache Erkältung gehalten. Ernsthaft krank wird Taro selten. Ich seufze und breche das Lernen ab. „Wir lassen es für heute gut sein“, bestimme ich. „Du wirst immer unkonzentrierter. Vielleicht solltest du dich etwas ausruhen, dann können wir morgen mehr machen.“ Taro gibt nur ein leises „Hm“ von sich und räumt seine Sachen zusammen. Das ist ein weiteres Zeichen dafür, dass es ihm wirklich dreckig geht. Normalerweise protestiert er sofort, wenn ich versuche, das Lernen abzubrechen, bevor wir unser Tagesziel erreicht haben. „Ich mache mir Tee. Möchtest du auch?“, fragt er heiser. „Ja“, antworte ich knapp. Kaum dass er sich umgedreht hat, mustere ich ihn kritisch. Er wirkt erschöpft. Besonders seine Bewegungen drücken eine gewisse Müdigkeit aus. Allerdings haben sie dabei noch nicht ihre … ich stocke, wundere mich über meinen eigenen Gedanken. Ihre was verloren, frage ich mich und schüttel über die Wörter, die mir spontan einfallen, den Kopf. Anmut, Eleganz, Flüssigkeit. Ich seufze. Was denk ich da nur? Und warum? „Was ist los?“, fragt mich Taro, ehe ich weiter darüber sinnieren kann. Das ist vielleicht auch besser so. Ich bezweifele, dass ich die Antwort wirklich wissen will. „Nichts weiter“, erwidere ich. „Nur unsinnige Gedanken.“ Taro mustert mich kurz. Seine sonst so klaren dunkelgrünen Augen erscheinen mir trüb. Fiebrig, schießt es mir durch den Kopf. Nach einem Moment seufzt er und wendet sich wieder um. Ein weiteres Zeichen. Sonst bohrt er bei solchen Antworten mit Vergnügen nach. Wir amüsieren uns gern über Unsinnigkeiten. Das „Teegespräch“ bleibt oberflächlich. Generell reden wir nicht viel. Kurz spekulieren wir über unseren neuen Sozialkundelehrer, bei dem wir morgen unsere erste Stunde haben werden, aber uns beiden fehlt der Elan. Nachdem wir ausgetrunken haben, verschwindet Taro aus der Küche. Ich höre, wie sich die Schlafzimmertür öffnet und schließt. Er legt sich hin, denke ich. Ich gehe ins Wohnzimmer und versuche mich mit Gedanken über ein Computerprogramm, das ich schon länger schreiben will, abzulenken. Es will mir nicht gelingen. Immer wieder schweifen meine Gedanken zu Taro ab. Irgendetwas zieht mich hinüber zu ihm. Meine Sorge? Es fühlt sich anders an. Ehe ich mich versehe, sitze ich schon mit der Deutschschullektüre in meinem Bett. Taro liegt in seine Decken gekuschelt neben mir. Er mustert mich kritisch. „Seit wann liest du Schullektüren?“, fragt er stirnrunzelnd. „Mir ist langweilig“, murmele ich. „Und mit meinem Programm komm ich grad nicht weiter.“ Es ist nicht gelogen, aber es erscheint mir so. Vielleicht, weil es nicht die Antwort auf die Frage ist, die ich mir im Moment stelle. Warum bin ich zu ihm gegangen? Kapitel 3: E wie Ehrgeiz ------------------------ Hallo! Ich hab es doch glatt noch geschafft. ^_____^ Hab ich kaum noch für möglich gehalten. Mal sehen, was passiert, wenn ich nicht mehr im Prüfungsstress bin. Viel Spaß beim Lesen! Ich hoffe, es gefällt! LG Zyra --- E wie Ehrgeiz Ich hasse es, wenn er das tut. Er ist gut darin, mich als Weichei darzustellen. Obwohl er es ist, der es übertreibt. Da sorge ich mich schon mal um jemanden, und dann sowas. Ich meine, natürlich kenne ich das von ihm. Aber es macht mich jedes Mal wieder wütend. „Okay. Bitte“, presse ich hervor und versuche gleichgültig zu klingen. „Beschwer dich bloß nicht, wenn du wieder in der Schule umkippst.“ Taros Lippen verziehen sich zu einem dünnen Strich. Er hasst es, wenn ich ihn daran erinnere. Jetzt wird er erst recht gehen. Aber damit habe ich mich schon abgefunden. Auf dem Schulweg muss ich mich bemühen, auf ihn Rücksicht zu nehmen. In mir brodelt es, allerdings will ich unter keinen Umständen, dass es ihm noch schlechter geht und er mir wohlmöglich tatsächlich noch in Ohnmacht fällt. Manchmal verstehe ich ihn absolut nicht. Augenscheinlich geht es ihm wirklich schlecht. Wo liegt da das Problem, es zuzugeben? Niemand würde es ihm als eine Schwäche oder dergleichen auslegen, wenn er mal einen Tag zu Hause bleiben und sich ausruhen würde. Besonders seltsam ist es, dass er bei sich selbst anscheinend andere Maßstäbe ansetzt, als bei anderen. Käme ich auf die Idee, in einem solchen Zustand zur Schule zu gehen – was ich niemals tun würde –, Taro würde die Hände in die Hüften stemmen und mich mit einem so missbilligenden Blick bedenken, dass ich mich sofort freiwillig in meinem Bett verkriechen würde. Wenn ich das versuche, bekomme ich nur ein „Du übertreibst maßlos“ zu hören. Ich schaue besorgt zu ihm hinunter. Er ist wirklich gut darin, es zu verbergen. Aber ich habe ihn heute Morgen ins Bad wanken sehen und seine Appetitlosigkeit bemerkt. Von den Hustenanfällen will ich gar nicht erst anfangen. Den Vormittag sollte ich ihn wohl im Auge behalten und zumindest versuchen, darauf Einfluss zu nehmen, dass er nicht in Situationen gerät, in denen er sich anstrengen muss. Einen Moment lang spiele ich mit dem Gedanken, irgendeinem Lehrer zu stecken, wie krank er ist, sodass dieser ihn wegen der Ansteckungsgefahr zur Krankenschwester und nach Hause schickt. Den damit verbundenen Ärger will ich ihm jedoch nicht antun. Und mir auch nicht. Taro wäre ziemlich sauer. *** Gemessen an den Umständen ist der bisherige Vormittag eigentlich ganz gut verlaufen. Taro ist zwar etwas unaufmerksam, aber ansonsten scheint er klarzukommen. Er schlägt sich durch. In der zweiten großen Pause hat Direktor Yamaguchi ihn zu sich bestellt. Wahrscheinlich geht es um seine Zusatzklausur. Ich hoffe immer noch, dass der ihn nach Hause schickt. Aber wie ich Taro kenne, wird er schon zu verhindern wissen, dass der Direx erkennt, wie es ihm geht. Allerdings ist in mir in den letzten Minuten ein Plan gereift, wie ich ihn dazubekomme, mit mir zur Krankenschwester zu gehen. Dem neuen Sozialkundelehrer sei Dank, denke ich ironisch. Ich sitze in Sozialkunde und muss an mir halten, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Das ist mir auch noch nie passiert. Der Typ ist eine einzige Katastrophe. Dabei hatte er auf den ersten Blick ganz in Ordnung gewirkt. Entspannt und locker. Wie ich inzwischen gemerkt habe, in einem zu hohen Maß. Seit geschlagenen zehn Minuten erzählt der Kerl uns schon seine Lebensgeschichte. Inzwischen muss man schon das Gefühl entwickeln, sein Leben bestehe ausschließlich aus Sex … und wie es dazugekommen ist. Wenn ich bedenke, womit er sich alles brüstet, erscheint er mir nur erbärmlich. Ein erfülltes Sexleben ist schön und gut, aber man sollte erkennen, dass es auch andere Dinge im Leben gibt, die Spaß machen. Sein restliches Leben scheint nicht besonders dolle zu sein, ansonsten würde er sicher auch mit anderen Erfolgen als „Frauenerrungenschaften“ prahlen. Ich muss hier weg, denke ich und drücke meine Hände auf meinen Bauch, um mich zu kontrollieren. Mein „Fluchtplan“ steht. Es fehlt nur noch Taro. Ich muss noch zwei weitere lange Minuten warten, bis es endlich an der Tür klopft, Taro kurz darauf eintritt und den Redeschwall des Lehrers unterbricht. Die beiden mustern sich. Während Taro es unauffällig macht, tut der Lehrer es unverhohlen. „Omata Daisuke“, sagt er schließlich und fragt dann: „Und wer bist du?“ „Tarimo Litaro“, erklärt Taro schließlich leise mit gesenktem Blick. Es ist eine Masche von ihm sich neue Lehrern gegenüber, eher zurückhaltend zu präsentieren. In diesem Fall vermute ich jedoch, dass seine Lautstärke auch darauf zurückzuführen ist, dass er seiner Stimme nicht traut. „Entschuldigen Sie die Verspätung, Omata-sensei. Der Direktor wollte noch mit mir sprechen.“ Während dieses etwas längeren Sprechens höre ich das Kratzen in seiner Stimme. Nicht deutlich, aber es bestätigt meine Annahme. Taro übereicht dem Lehrer eine Nachricht von Yamaguchi, wartete darauf, dass er aufgefordert wird, sich hinzusetzen, und kommt zu mir hinüber. Er sitzt noch keine drei Minuten, da schiebt er mir schon seinen Block hinüber. „Interessante“ Unterrichtsart. Geht das schon die ganze Zeit so?, lese ich und greife zu einem Bleistift. Ja, schreibe ich, aber es war noch schlimmer. Ich muss hier raus, sonst brech ich mir noch ne Rippe bei dem Versuch, das Lachen zu unterdrücken. Widersprich mir nicht! Ich schiebe seinen Block zurück, atme tief durch und melde mich, bevor er überhaupt die Chance hat, nachzuhaken. Seinen fragend-skeptischen Blick ignoriere ich. „Ja …?“ Omata zeigt auf mich, da er augenscheinlich meinen Namen nicht kennt. „Kitano Makato“, sage ich und komme dann zum Punkt: „Taro geht es nicht gut. Kann ich ihn zur Schulkrankenschwester bringen?“ Der Lehrer blickt mich einen Moment fragend an, bis er versteht, dass sich hinter Taro Litaro verbirgt. Dieser spielt tatsächlich mit. Vielleicht kann er das Husten auch einfach nicht mehr zurückhalten. „Ja, natürlich“, antwortete Omata schließlich. Wir packen unsere Sachen zusammen und sind in Windeseile verschwunden. Sobald wir uns ein wenig vom Klassenzimmer entfernt haben, breche ich in unterdrücktes Gekicher aus. Taro schüttelt leicht lächelnd den Kopf. „Schräger Typ“, bemerkt er. „Was machen wir jetzt?“ „Wir gehen zur Krankenschwester“, bringe ich nach mehreren tiefen Atemzügen hervor. Kaum habe ich geendet, verengen sich Taros Augen. Ungerührt fahre ich fort: „Ich weiß, du magst keine Ärzte. Du musst ja nicht machen, was sie sagt. Aber wir haben keine Ahnung, ob der Kerl eine Bescheinigung, darüber dass wir da gewesen sind, haben will oder nicht. Also gehen wir besser auf Nummer sicher.“ Es ist keine Lüge. Und ich bin überzeugt davon, ihn mit dieser Argumentation zu kriegen. Meine Worte habe ich mir gut überlegt. Sie ergeben Sinn, bieten aber auch ein Schlupfloch. Wenn er krankgeschrieben wird, wird er sich daran halten müssen. Soweit mein Plan, bleibt nur noch zu hoffen, dass er ihn nicht durchschaut. „Okay. Ja. Meinetwegen“, murrt Taro einen Moment später. *** Grippaler Infekt, lautet die Diagnose. Zwei Tage krankgeschrieben. Man bin ich gut, jubele ich innerlich. Inzwischen sind wir fast zu Hause und Taro hat noch immer nichts gesagt. Ich zweifele nicht daran, dass er verstanden hat, was meine Absichten gewesen sind. Es wird ihm spätestens klar geworden sein, als ich seine Krankschreibung und die Bescheinigung für Omata sofort im Sekretariat abgegeben habe. „Ich mag es nicht, wenn du das tust“, sagt Taro düster. „Wenn ich mir Sorgen um dich mache?“, frage ich provokant, obwohl ich genau weiß, dass er das nicht meint. Jedoch will ich es betonen. Er soll diesen Aspekt ja nicht vergessen. „Nein. Wenn du etwas über meinen Kopf hinweg entscheidest!“ „Wer mag das schon“, murmele ich mehr zu mir selbst, stelle dann aber die Frage, die mich schon lange beschäftigt: „Was soll das eigentlich?“ Kurz runzelt Taro die Stirn. Er braucht einen Moment, bis er mir folgen kann. Normalerweise hätte er sofort verstanden, dass ich wissen will, warum er sich das ganze überhaupt antut. Das ist auch ein eindeutiges Indiz dafür, dass es ihm nicht gut geht. Nicht, dass man noch einen weiteren Anhaltspunkt bräuchte. „Ich will nichts verpassen!“, sagt er schließlich, aber ich erkenne augenblicklich, dass es gelogen ist. Mir ist bewusst, dass Taro ungemein ehrgeizig sein kann. Allerdings weiß er genauso gut wie ich, dass ihn, wenn überhaupt, nur die Hälfte von dem interessiert, was in der Schule besprochen wird, und ich ihm diese Hälfte ebenso gut erklären könnte. „Du redest gequirlte Scheiße“, bricht es aus mir heraus. Langsam habe ich dieses Spielchen satt. „Wir wissen beide, dass dir an der Schule nicht sonderlich viel liegt!“ Im ersten Moment zuckt Taro zusammen. Danach legt sich ein beinahe gebrochener Ausdruck über seine Augen. „Aber an dir liegt mir etwas“, erwidert er und schlurft ins Schlafzimmer. Perplex starre ich ihm hinterher. Was hat denn das damit zu tun? Manchmal verstehe ich ihn wirklich nicht. Unbewusst schüttele ich den Kopf über die Situation. Ich überlege, ob ich ihn darauf ansprechen soll, befinde es aber als zwecklos. Für den Moment zumindest. „Ich besorg uns etwas zum Mittagessen“, rufe ich und warte einen Augenblick auf eine Antwort. Die bleibt allerdings aus. Keine Ahnung, ob er sauer ist oder nur seine Stimme nicht überstrapazieren will. Ich stelle meine Schultasche im Flur ab und mache mich dann auf den Weg. Als erstes springe ich noch schnell in eine Apotheke, bevor diese über Mittag schließt. In weiser Voraussicht hat die Schulkrankenschwester das Rezept für die Medikamente gleich mir in die Hand gedrückt. Taro hätte sie sich so oder so nicht geholt. Wie ich ihn allerdings dazu bringen soll, die Medizin zu nehmen, weiß ich noch nicht. Während ich auf die bestellten Nudelsuppen warte, kommt mir Taros Blick wieder in den Sinn. Irgendwie erinnert er mich an den Ausdruck seiner Augen, wenn er über die Zeit spricht, bevor er nach Japan gekommen ist. Ich kenne die groben Zusammenhänge, aber irgendwie kann ich die Parallele nicht ziehen. Vielleicht sollte ich ihn fragen. Das Essen verläuft ruhig. Taro isst seine Nudelsuppe und verschwindet danach wieder ins Schlafzimmer. Ohne die Tablettenpackungen auch nur eines Blickes gewürdigt zu haben. Du hast es nicht anders gewollt, denke ich genervt. Ich schnappe mir ein Glas Wasser sowie die Tabletten und gehe ihm hinterher. Er sitzt im Bett und liest. Den Titel kann ich zwar nicht erkennen, aber ich vermute, dass es leichte Lektüre ist. Kein Kafka oder dergleichen. Nachdem er mich kurz angesehen hat, blickt er stoisch auf sein Buch. Seufzend lasse ich mich im Schneidersitz auf meinem Bett nieder. „Erklär es mir, Tata“, fordere ich ihn auf. „Ich versteh nämlich gar nichts und werde so schnell nicht locker lassen.“ „Was einen nicht umbringt, macht einen stärker“, entgegnet er düster. „Ich habe schon einmal alles verloren. Und ich habe schon einmal geglaubt, dich verloren zu haben. Das ist kein Gefühl, auf das ich scharf bin.“ Ich nicke, obwohl ich es nicht ganz verstehe. Ich weiß, dass Taro mich „gerne“ mal beschützt. Ich verlasse mich teilweise auch darauf. Aber es ist ja nicht so, dass er mich nirgends alleine hingehen lassen würde. Warum sollte es ein Problem sein, wenn er krank ist? „Aber wenn du deinen Körper überanstrengst, dauert es nur noch länger, bis du wieder ganz fit bist. Und wenn du nicht aufpasst, ziehst du dir noch irreparabelle Schäden zu. Damit würdest du dich dauerhaft schwächen“, argumentiere ich auf der Grundlage dessen, dass ich verstanden habe. Taro lächelt nachsichtig. So als wisse er, dass ich ihn immer noch nicht ganz verstehe. „Es resultiert aus einem Gefühl“, murmelt er, „und normalerweise höre ich auf meine Gefühle.“ „Dann hörst du jetzt eben auf deinen Verstand!“, lege ich fest und halte ihm auffordernd das Glas und die Medikamente hin. „Es sind auch keine Chemiekeulen – alles auf pflanzlicher Basis.“ „Meine Güte, Toto, manchmal bist du echt hartnäckig!“, seufzt er, nimmt die gereichten Sachen aber an. Ich grinse triumphierend. „Und manchmal bist du echt niedlich“, fügt er hinzu und belächelt mich. „Was die nächsten Tagen betrifft“, setze ich an und ignoriere seinen Ausspruch, obwohl ich es nicht leiden kann, wenn er das tut. Ich bin nicht niedlich! „Ja, ja“, fährt Taro mir ins Wort. „Ich bleibe zu Hause und ruhe mich aus. Ich hab’s verstanden.“ „Daran zweifele ich nicht“, erwidere ich grinsend. „Eigentlich wollte ich auf deine Klausurvorbereitung zu sprechen kommen. Ich dachte mir, dass ich dir Aufgaben geben kann, die du im Laufe des Vormittages bearbeitest und die wir dann gemeinsam besprechen können, wenn ich wieder da bin.“ „Klingt sinnvoll!“, stimmt Taro mir zu. „Freitag gehe ich aber auf jeden Fall wieder hin. Da haben wir Mathe.“ „Das sehen wir dann!“, sage ich und halte mir alle Optionen offen. *** Am Freitag gibt es nicht viel zu diskutieren. Taro ist wieder so gesund, dass ich ihn bedenkenlos gehen lasse. Dabei hat er sich gar nicht so viel ausgeruht, abgesehen davon, dass er die meisten Zeit im Bett verbracht hat. Wir haben Mathe gelernt ohne Ende. Taro hat nicht aufhören wollen, bis er auch die letzte Kleinigkeit verstanden hatte. Er scheint es Minamoto wirklich zeigen zu wollen, mit solch einem Ehrgeiz und einer Disziplin wie er bei der Arbeit ist. „Das müssen wir auch noch wiederholen!“, sagt Taro und reicht mir eine Liste, während wir nach dem Matheunterricht in die Pause gehen. Ich werfe einen Blick auf den Zettel. Manches sicherlich, einiges okay, aber teilweise … ich bezweifele, dass es dran kommen wird. Natürlich ist die Arbeit von Minamoto konzipiert, aber Yamaguchi weiß, welche unsere Themen sind und welche nicht. „Was wir machen, überlass ruhig mir“, antworte ich von seinem Eifer schon etwas genervt. „Ich hab den Überblick.“ Die Chance darauf zu antworten, nimmt Omata, der uns gerade entgegen kommt, Taro, indem er ihn fragt: „Bist du wieder fit, Taro-chan?“ Für einen winzigen Moment entgleisen Taros Gesichtszüge, dann bringt er ein zurückhaltendes „Ähm, ja, sensei“ hervor, bei dem ich nicht sagen kann, wie hoch der gespielte Anteil ist. „Dann ist ja gut“, erklärt Omata gut gelaunt und schlägt mir kumpelhaft auf die Schulter. „Pass nur weiterhin so gut auf deinen kleinen Freund auf!“ Mir klappt der Mund auf und sobald der Lehrer weitergegangen ist, entgleisen Taros Gesichtszüge endgültig. Man wie abgedreht ist der Kerl? „So etwas Unverschämtes“, beschwert sich Taro. „‚Taro-chan‘. Ich glaub, es hakt. Ich bin doch kein kleines Kind.“ Wo er Recht hat. Die Anrede war äußerst unangebracht. Und auch mir gegenüber hat es sich zu lässig verhalten. Der Typ ist schließlich Lehrer und nicht einer meiner Freunde. Auf dem Weg zum Schulhof höre ich weiterhin Taros Geschimpfe zu. Unweigerlich muss ich schmunzeln. Er hasst es, wenn er als klein oder als Kind bezeichnet wird. Im Gegensatz zu mir war er immer relativ klein für sein Alter und ich habe ihn gerne damit geneckt. Inzwischen bin ich nur noch vier Zentimeter größer und habe keine großen Gelegenheiten mehr, ihn etwas damit zu ärgern. Aber das hier ist ganz sicher eine. „Das hat er bestimmt gesagt, weil du so klein und niedlich bist, Taro-chan“, necke ich ihn grinsend. Schlagartig hält er in seinem Gemurmel inne und seine Augen verengen sich. Treffer versenkt!, triumphiere ich und grinse breit. Allerdings nur solange, bis Taro die Stirn runzelt und seine Gesichtszüge sich kurz daraufentspannen. Es scheint, als sei ihm eine Idee gekommen. „Sag das noch mal!“, fordert er mich auf. „Äh was?“, frage ich perplex und bleibe abrupt stehen. Taro grinst, kommt auf mich zu und schlingt seine Arme um meinen Hals. „Nenn mich noch mal ‚Taro-chan‘, Toto-sempai!“, schnurrt er mir ins Ohr. Seine Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken. Nein, jetzt hat er definitiv nichts mit jemanden zu tun, den man mit „chan“ betitelt. Sein verheißungsvoller Tonfall ist eher verboten erwachsen. „Ähm, Tata, was soll das?“, bringe ich hervor. Taro sieht mich ernst an. „Den mache ich fertig!“, verkündet er finster. Danach entspannen sich seine Gesichtszüge wieder und er schaut mich bittend aus großen, naiven Augen an. „Du hilfst mir doch, Toto-sempai?“, fragt er zuckersüß. „Du passt doch weiterhin auf deinen kleinen Taro-chan auf, nicht wahr?“ „Öhm, ja“, erkläre ich immer noch neben der Spur. Meine Güte, diese geballte Ladung „Taro“ scheint meinen Sinnen nicht gut zu bekommen. Seine Locken kitzeln mein Gesicht, sein warmer Atem streift meinen Hals und sein Geruch hat mir, glaube ich, noch nie intensiver in der Nase gelegen. „Du bist echt der Beste“, frohlockt Taro kindlich und schmiegt sich an meine Brust. Ich weiß gar nicht, worum ich mir im Moment mehr Sorgen machen soll. Darüber, dass sein Ehrgeiz noch mit ihm durchgeht oder … darüber, dass bei mir zurzeit augenscheinlich einiges gewaltig durch rattert. Kapitel 4: I wie Impertinenz ---------------------------- I wie Impertinenz „Na prima“, seufzt Taro und fährt sich genervt durch die Haare. Seine Stimme trieft vor Sarkasmus. „Du hast auch überhaupt kein Talent, Lehrern auf die Füße zu treten.“ „Und schon gar nicht dafür, dich auch noch mit hineinzuziehen“, ergänze ich. „Nein, dafür schon gar nicht“, stimmt er zu und lächelt bitter. Wir sitzen im Vorzimmer des Direktors. Wegen … einer Kleinigkeit. Zumindest ist es das in meinen Augen. Aber nein, der Biologielehrer bezeichnet es als „unsittlich“. Was nicht anders zu erwarten war. Manche Leute sind wirklich leicht zu manipulieren. Und wenn es dann auch noch Spaß macht … perfekt. Mein Blick hängt an dem Eingangskorb auf dem Schreibtisch der Sekretärin, die zum Glück gerade Mittagspause macht. „Na ja, Yamaguchi sieht es sicherlich nicht so streng. Mal wieder.“ Er richtet seine Schuluniform und ich tue es ihm gleich. Das könnte besser sein. Im Gegensatz zu anderen Dingen legt der Direx auf die Einhaltung der Kleiderordnung Wert. „Du weißt ja: Kapitalkräftige Argumente.“ Ich grinse. Aufgrund des Vermögens meiner Familie ist bisher über jede meiner „Unverschämtheiten“ – deren Wortwahl nicht meine – hinweggesehen worden. Und jeder weißt, wenn sie Taro von der Schule werfen, bin ich auch weg. In Rekordgeschwindigkeit. … Auch wenn uns diese Tatsache sicherlich nicht vor allem beschützen kann. „Ja klar“, brummt er und lehnt sich genervt in seinem Stuhl zurück. Aber wie so oft wirkt es vordergründig lässig. Taro eben. Schnell wende ich den Blick wieder ab. Meine Sinne habe die „Taro-Überflutung“ immer noch nicht ganz überwunden. „Aber ehrlich: Musste das sein?“ Ich kann nicht anders, trotz der Aktion vom Morgen. Vielleicht auch gerade wegen der Aktion vom Morgen. Jedenfalls lege ich den Kopf schief, mustere ihn und versuche mich auf das Wesentliche zu beschränken. So witzig hat er die Aktion anscheinend doch nicht gefunden, stelle ich fest. „Es hätte nicht sein müssen“, gestehe ich ein, grinse jedoch, „aber es schrie danach!“ Wie nebenbei stehe ich auf und schlendere zu der Ablage mit den Dokumenten hinüber, die für den Direx bestimmt sind. Mal sehen, was haben wir denn da? „Was genau schrie deiner Meinung danach, den Lehrer in dieser Weise auf sein Sexleben anzusprechen?“ Ich seufze und drehe mich halb zu ihm herum. Er wirkt unnachgiebig und ich weiß, dass er für keine Erklärung Verständnis aufbringen kann, weil es in seinen Augen überzogen gewesen ist. Vielleicht war es das auch. Aber ich hatte meine Gründe. Schließlich wollte ich hierher. „Seine Art. Sein mehr als nur prüdes Verhalten“, antworte ich ohne viel Elan. Einfach der Vollständigkeit halber. Nicht, dass ich nicht wüsste, dass er es weiß. Für den Moment konzentriere ich mich mehr auf die Aktenmappen. Bei der dritten schleicht sich ein Grinsen auf mein Gesicht. Wusst‘ ich’s doch! Ich schlage sie auf und überfliege schnell den Inhalt. „Makato, was tust du da?“, fragt Taro mich. Ich mag diesen Ton nicht, stelle ich am Rande fest. Normalerweise deutet er daraufhin, dass ich bald richtig Ärger mit ihm bekomme „Reg dich nicht auf, Tata!“, fordere ich ihn auf, während ich die Mappe wieder an ihren Platz schiebe. Ich schlendere zurück zu meinem Stuhl. „Ich soll mich nicht aufregen?! Mann, Toto! Manchmal bist du echt übertrieben dreist. Ich hab echt keinen …“, weist Taro mich zurecht und bricht dann ab. Wahrscheinlich hat er Schritte gehört. Ich spitze die Ohren und nehme sie ebenfalls wahr. „Ja, ich weiß, ich weiß!“, sage ich entschuldigend und lächele ihn beschwichtigend an. Ich bereue nicht hier zu sitzen, aber dass Taro mir Gesellschaft leistet, hat eigentlich nicht zu meinem Plan gehört. Ehe er etwas erwidern kann, öffnet sich die Tür zum Vorzimmer und Yamaguchi tritt ein. Taro und ich stehen auf und verbeugen uns. Für unsere Verhältnisse ziemlich tief. „Was ist es diesmal?“, verlang er zu wissen, nachdem er uns in sein Büro gewunken hat. „Eure Verbeugung lässt Böses ahnen.“ „Hiota-sensei wirkte ziemlich wütend!“, ist Taros trockener Kommentar, was bedeutet, dass wir annehmen, dass er Ärger machen wird. Obwohl ich persönlich „wütend“ eher als „mit Wut überspielte Empörung“ bezeichnet hätte. Eine Formulierung, die gegenüber dem Direktor sicherlich nicht so angebracht ist. Yamaguchi lächelt milde. „In der Tat, Tarimo-kun. Den Eindruck machte er auf mich auch, als er mir seine schriftliche Version der Geschehnisse gab.“ Er schlägt eine Schulmappe auf und liest deren Inhalt. Wahrscheinlich Hiotas Erklärung. Kurz runzelt er die Stirn, aber ansonsten bleibt sein Gesicht starr. Aber diese Reaktion reicht mir, um zu wissen, dass wir auch dieses Mal problemlos aus der Sache herauskommen werden. Es hat eindeutig seine Vorteile, einen verhältnismäßig jungen Direktor zu haben. „Also, Kitano-kun. Ihre Version“, fordert er mich wenig später auf. Ich kenne das schon. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass ich hier sitze. Ich weiß, was ich sagen muss und wie ich es sagen muss. Sachlich bleiben. Persönliche Eindrücke auch entsprechend kennzeichnen. Die Schose eben. Ebenso kann ich einschätzen, was ich getrost weglassen kann, weil der prüde Lehrer es so oder so nicht erwähnt hat. „Ich habe mich über die Umsetzung der Unterrichtsthematik beschwert. Ich sagte, dass es meiner Meinung nach zum Thema Aufklärung gehöre, über Sex zu sprechen, und es nicht ausreiche, nur die Befruchtung und die embryonale Entwicklung zu besprechen. Hiota-sensei forderte mich, in meinen Augen, unangemessen unfreundlich auf, zu schweigen, weil es mich nichts anginge. Das hat mich geärgert und daraufhin bin ich persönlich geworden. Ich meinte, nur weil er so prüde sei, müsste der Unterricht ja nicht darunter leiden. Weiter sagte ich, dass er sich nicht so anstellen solle, schließlich verlange ja niemand, dass er von seinem Sexleben spreche. Abschließend warf ich ein, dass Taro auch meiner Meinung sei.“ Yamaguchi nickt, dann wendet er sich an Taro. „Ich nehme an, Sie stimmen mit Kitano-kun überein.“ „Ja“, bestätigt er. „Es hat sich so zugetragen. Ich bin Makatos Meinung, auch wenn ich es auf andere Art und Weise angesprochen hätte.“ Wie bitte? Was soll das? Wozu dieser Zusatz? Das klingt ganz so, als wolle er sich aus der Sache herausreden. Ich denke über eine andere Erklärung nach. Schließlich gibt es kaum etwas, dass stärker ist als Taros Loyalität. Aber mir fällt nichts ein. Der Direktor schweigt einen Moment. Sein Gesichtsausdruck ist wieder nicht zu deuten. „Ich teile Hiota-sans Ansicht über Ihr Verhalten nicht vollends. Es war respektlos, aber nicht unsittlich. Ihr werdet zusammen eine schriftliche Entschuldigung an Hiota-san schreiben. Sie waren in diesem Fall zwar nicht aktiv beteiligt, Tarimo-kun, aber ich nehme an, dass sich Hiota-san ansonsten nicht so leicht mit diesem Strafmaß zufrieden geben wird. Ich werde mich um ihre Unterrichtskritik kümmern. Und sollte es noch einmal Anlass zu einer Beschwerde geben, Kitano-kun, mäßigen Sie sich!“ Taro und ich nicken. Jeder im Raum weiß, dass wir uns bald wiedersehen werden. Wegen irgendetwas. Nur ob es Worte oder Taten sein werden, ist noch nicht klar. Taro hat zwar das Vergnügen, am Montag die Matheklausur unter Yamaguchis Aufsicht schreiben zu dürfen, aber das zählt nicht. Kaum dass der Direx uns entlassen hat und wir außer Hörweite sind, zische ich Taro an: „Was sollte das? Warum bist du mir in den Rücken gefallen?“ „Ich bin dir nicht in den Rücken gefallen!“, antwortet er ruhig. Ich kenne diese Ruhe. Ich spüre, dass er immer noch sauer auf mich ist. Vielleicht sollte ich ihm sagen, warum ich diese Aktion angeleiert habe, sinniere ich, aber dafür bin ich im Moment zu wütend. „Natürlich bist du das! Dein Zusatz ist unnötig gewesen. Außer du wolltest dich rausreden.“ „Unnötig war es, Hiota zu sagen, ich wäre deiner Meinung. Ich habe nichts getan, Makato. Rein gar nichts. Und ich hätte auch nicht so regiert wie du. Du zieltest darauf ab, Hiota für eine Nichtigkeit, die dich nicht einmal richtig interessiert, eins auszuwischen. Es war überzogen. Yamaguchi habe ich nur die Wahrheit gesagt. In den Rücken gefallen wäre ich dir, wenn ich ihm erzählt hätte, dass du auch angezweifelt hast, dass Hiota überhaupt noch ein Sexleben hat.“ „Nein, in dem Fall hättest du mir gleich einen Dolch in den Rücken rammen können“, fauche ich wütend. Während unseres Streits sind wir immer schneller geworden. So als sei es unser Ziel, unsere Wut durch Geschwindigkeit freien Lauf zu lassen. Inzwischen hasten wir. Bis Taro plötzlich stehen bleibt. „Pf“, schnaubt er. „Jetzt übertreibst du!“ Er atmet tief ein und stößt die Luft geräuschvoll wieder aus. „Du hast Recht, es war nicht nett. Aber ich war ziemlich sauer. Besonders, weil du eigentlich wissen solltest, dass ich mir nicht so viel erlauben kann wie du.“ Ich seufze. Plötzlich fühle ich mich schlecht. Ich hätte mich besser unter Kontrolle haben müssen. Taro hat Recht. Ich weiß das. Einen Schulverweis kann er sich im Grunde nicht leisten. Einmal davon abgesehen, dass es ihn tierisch ärgern würde, im Lebenslauf macht sich ein Verweis nicht gut. Ich habe so viel Geld, dass es mir egal sein kann. Selbst wenn ich die Firma meines Vaters nicht übernehme, sichert das Vermögen mich ab. Außerdem gelte ich als Genie. Und da würde schon eher einmal über solch einen Makel hinweggesehen werden. „Okay“, sagt Taro und bricht das betretende Schweigen, das eingetreten ist. „Wir sollten aufhören, uns zu streiten. Immerhin ist Freitagmittag und wir haben wesentlich besseres zu tun.“ Vorfreudig grinst er mich an. Unweigerlich erwidere ich die Geste. Er hat Recht. Mal wieder. Unsere Freizeit sollten wir genießen. „Jap. Das finde ich auch“, bestätige ich. „Tu mir einen Gefallen“, sagt er, als wir uns wieder in Richtung Ausgang in Bewegung setzen. Er lächelt schief. „Vermies mir das Wochenende nicht mit irgendeiner impertinenten Aktion!“ „Nicht, wenn es nicht sein muss!“ Taro lacht. Und es ist alles wieder in Ordnung. Obwohl ihm klar ist, dass ich meine Lust, anderen auf der Nase herumzutanzen, deswegen noch nicht besser unter Kontrolle habe. „Ach Tata“, sage ich, als wir den Schulhof verlassen und fingere seinen Lernzettel für Mathe aus der Tasche. „Das können wir uns größtenteils sparen!“ „Warum …“ Er stockt und mustert mich mit einem ungläubigen Blick. „Toto, das ist jetzt nicht dein Ernst?! Du hast diese Aktion nur abgezogen, um einen Blick auf die Klausur von Minamoto zu werfen? Mann, du bist sowas von dreist!“ „Jap“, stimme ich munter zu. Es ist mal wieder typisch, dass er den ersten Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hat. „Nur dich mit hineinzuziehen, war nicht geplant.“ „Hm. Tja, danke“, murmelt er. „Dir ist aber schon klar, dass wir uns jetzt nicht mehr über Omata beim Direx beschweren können. Da du dich heute darüber mokiert hast, dass das Thema ‚Sex‘ zu wenig behandelt wird, lacht er dich nur aus, wenn du in ein paar Wochen mit dem anderen Extrem kommst.“ Wo er recht hat. Aber was soll’s. Für heute hat es wunderbar geklappt. Ich weiß, was in der Arbeit dran kommt und muss mit Taro nichts Überflüssiges machen. „Ach“, entgegne ich mit einer wegwerfenden Geste. „Notfalls schicken wir halt Nono und Caca hin. Die sind auf ihre Art auch sehr überzeugend. Außerdem dachte ich, du hättest mit der Witzfigur sowieso etwas anderes vor.“ Schlagartig verziehen sich Taros Lippen zu einem Grinsen. „Allerdings!“, sagt er vergnügt. „Wo wir grad davon sprechen. Was planst du eigentlich genau?“, hakte ich neugierig nach. „Da wirst du dich bis heute Abend gedulden müssen. Ich habe keine Lust, alles doppelt und dreifach zu erzählen“, erwidert er. „Och Mann“, murre ich, aber Taro lacht nur. *** „Damit ich das richtig verstehe: Du willst einfach nur den Naiven spielen?“, fragt Nozomi ungläubig. „Du meinst, das reicht?“ Neben mir nickt Taro leicht. Da habe ich den ganzen Nachmittag und Abend gewartet. Sogar als wir uns mit den anderen getroffen haben, hat Taro noch ein Geheimnis aus seinem Plan gemacht. Erst als wir schon gemütlich in einer unserer Lieblingsbars gesessen haben, ist er mit der Sprache rausgerückt. Und jetzt kommt das. Ich habe mehr erwartet. Ich nehme einen Schluck von meinem Cocktail und nuschele, während ich auf dem Strohhalm herum kaue: „Und wozu brauchst du mich dabei?“ „Leute, der Typ sieht sich als eine Art Missionar. Wenn nicht bewusst, dann zumindest unbewusst. Er redet ständig über Sex und das auf eine Art, die erkennen lässt, dass man bei ihm auf völliges Unverständnis trifft, wenn man seine Meinung nicht teilt. Also treibt es ihn am meisten in den Wahnsinn, wenn da jemand ist, der von seiner ‚Welt‘ überhaupt keine Ahnung hat und sich auch nicht dafür begeistern lässt. Und einfach ist das sicherlich auch nicht. Es ist ja nicht nur die Unerfahrenheit, die ich vorspielen muss. Dazu kommt das Kindliche und Zurückhaltende. Deshalb brauch ich dich, Toto. Omata hält dich für meinen Beschützer, also nimm diese Rolle ein. Stark, aufgeklärt und beschützend. Wenn er mich in prekäre Lagen bringt, damit meine ich Situationen, aus denen ich kaum rauskomme, ohne die Kontrolle über meine Rolle zu verlieren, dann schreitest du ein. Antwortest für mich, lenkst ihn ab oder ähnliches.“ „Verstehe. Guter Plan“, sage ich grinsend. Das ist einfach gedacht, aber in der Wirkung genial. Wenn ihm das gelingt, hat er seine schauspielerische Meisterleistung sicherlich geschafft. Außerdem gefällt mir meine Rolle dabei. „Ja schon, aber ich hatte so auf eine Neuauflage euer Scheinbeziehung gehofft“, murrt Vivi. „Das ist immer so lustig!“ „Ja und lässt die Verkaufszahlen der Schülerzeitung in die Höhe schnellen, wenn du darüber schreibst“, wirft Ryo neckend ein. „Das auch!“, gibt Vivian unverfroren zu. „Wart erst mal ab. Vielleicht ergibt es sich ja“, erklärt Taro und ich habe das eindeutige Gefühl, dass er ebenso will, dass es sich ergibt. „Soll heißen?“, fragt Caca mürrisch. Ihre Neugier kann sie dadurch aber nicht verbergen. „Soll heißen, dass ich mir gut vorstellen kann, dass Omata in die Beziehung zwischen Toto und mir Liebe hineininterpretiert. Sollten wir Anzeichen dafür finden, dass er es tut und wenn das Ganze bis dahin gut verlaufen ist, können wir es immer noch in Betracht ziehen. Fürs erste will ich aber den leichteren Weg, um auszutesten, was ich mir zutrauen kann“, bestimmt Taro ruhig und winkt, ehe jemand auch nur den unnötigen Versuch starten kann, ihm zu widersprechen einen Kellner heran. „Noch ein Wasser, bitte.“ „Ich find’s gut, dass du noch nicht wieder Alkohol trinkst“, meint Ryo und verleiht damit seinem teilweise übertriebenem Gesundheitstick Ausdruck. „Ach, ich hab mir gedacht, bevor Toto auch hier beginnt, mir Vorhaltungen zu machen, ich sei noch nicht gesund genug, verzichte ich dieses Wochenende lieber“, sagt Taro neckend. Ich kann den Blick, den er mir dabei zuwirft nicht richtig deuten. „Vorhaltungen?“, echoe ich empört. Einmal davon abgesehen, dass ich niemals auf die Idee gekommen wäre, ihm in diesem Zustand Alkohol zu verbieten, habe ich ihm nie Vorhaltungen gemacht. Ich bin nur besorgt gewesen. „Jetzt übertreib mal nicht!“, mischt sich Nozomi ein. Ich will sie schon anfahren, als ich bemerke, dass ihre Augen auf Taro ruhen. „Toto hat genau richtig gehandelt. Die Methode war zwar nicht sonderlich nett, aber es war echt unvernünftig von dir am Dienstag in die Schule zu kommen. Manchmal hab ich wirklich das Gefühl, du weiß gar nicht, was du an Makato hast.“ In Taros Augen legt sich ein sanfter Ausdruck, als er zu mir hinübersieht. „Doch, Nono. Das weiß ich ganz genau.“ Ich lächele unsicher – bin mir im Moment über die Dimension dessen nicht sicher, was er mir bedeutet. Die Wirkung seines Blickes scheint alles bisher als selbstverständlich Angenommene in Frage zu stellen. Kapitel 5: F wie Fitness ------------------------ Hallo! Pünktlich kommt das nächste Kapitel. Ich kann es ja doch länger durchhalten. ;) In diesem Kapitel geht es um mehr um die Beziehung zwischen Taro und Makato. Der Plan läuft erst im nächsten an. Ich hoffe, ihr könnt euch noch gedulden. ^^ Ich wünsche euch frohe und sonnig Ostern und viel Spaß beim Lesen. LG Zyra --- F wie Fitness „Makato, aufwachen!“ Ich brumme verschlafen und kuschele mich in die warmen Laken. Meine innere Uhr sagt mir, dass es eindeutig viel zu früh ist, um das Bett zu verlassen. „Toto, es ist zehn Uhr. Du musst aufstehen!“, sagt Taro eindringlicher. Eine warme Hand legt sich auf meine Schulter und beginnt zu rütteln. Nicht schön. „Warum denn?“, murmele ich dämmrig. „Weil du mir versprochen hast, mit mir laufen zu gehen“, erklärt Tata. Ich grummelte widerwillig und vergrabe mein Gesicht im Kopfkissen. Wann bin ich denn bitte schön so blöd gewesen, ihm zu versprechen, an einem Samstagmorgen mit ihm laufen zu gehen? Da muss ich betrunken gewesen sein. Definitiv. „Könn‘ wir das nich verschieben. War spät gestern“, nuschele ich ins Kissen. Und ich war angetrunken. Im Gegensatz zu ihm. „Makato“, schimpft Taro und mit einem Ruck ist meine schöne, warme Decke weg. Oh nö. „Wir wollten zusammen …“ Missmutig sehe ich ihn an. Da mein Blick total verschlafen ist, verfehlt er wohl etwas seine Wirkung. Aber zumindest hält Taro inne, blickt mich fragend an. „Wenn du jetzt etwas mit mir zusammen machen willst, dann komm zurück ins Bett“, fordere ich. Taro hebt langsam eine Augenbraue und sieht mich zweifelnd an. Ich seufze, schlinge meine Arme um mein Kopfkissen und vergrabe abermals mein Gesicht im weichen Stoff. Erst sein Blick macht mir deutlich, was ich da gerade gesagt habe. Zu früh am Morgen. Zu lange weg gewesen. Zu viel getrunken. Nix gut für Denken. Und angebrachtes Formulieren. Ich weiß, dass er jetzt grinst. Mit dieser Zweideutigkeit wird er mich ne ganze Weile aufziehen. Seine Schritte kommen näher, eine Hand schließt sich um einen meiner Arme und zieht ihn mühelos vom Kopfkissen weg. Wahrscheinlich klaut er mir gleich mein Kissen. Eine seiner „Nun steht schon auf!“ – Maßnahmen. Er hat mir auch schon mal einen nassen Waschlappen ins Gesicht geklatscht. Heute bin ich, glaube ich, bereit auch dieses Risiko einzugehen, um noch ein bisschen länger schlafen zu können. Erstaunlicherweise bleibt mein Kissen an Ort und Stelle. Ich bekomme auch meine Decke zurück. Und noch etwas bekomme ich in mein Bett: Taro. Seelenruhig setzt er sich neben mich, lehnt sich in mein Kopfkissen und an die Wand, legt meinen Arm um seinen Bauch und zieht die Decke zurecht. Oh Mann. Einige Zeit verharren wir in dieser Position. Ich, mein Gesicht im Kissen vergraben. Er, neben mir sitzend. Dann beginnen seine Finger ungeduldig auf meinem Kopf herum zu tippen. Tip tab. Tip tip tab. Tip tab. Tip tip tab. Mit der Zeit verändert er den Rhythmus. Langsam bekomme ich Kopfschmerzen. Einen Kater habe ich nicht, aber vielleicht hab ich doch etwas mehr getrunken, als gedacht. „So. Und was machen wir jetzt? Im Bett. Zusammen.“ Als ich mich auf die Seite drehe und zu ihm hinauf schiele, begegne ich seinem neckischen Grinsen. So etwas hat ja kommen müssen. Ich beiße mir auf die Zunge, um nicht „schlafen“ zu sagen. Das ist es, was ich will. Im Bett. Aber alleine. … Oder zumindest nicht so, wie er es auslegen würde. Wenn er da sitzen bleiben will. Bitte. Ich halte ihn sicher nicht auf. „Du kannst meinen Kopf massieren und den Anflug von Kopfschmerzen wieder vertreiben, den du mit deinem Getippel verursacht hast“, brummele ich. Ich rechne mit einer spöttischen Bemerkung, aber stattdessen fährt eine Hand durch meine Haare und beginnt leichten Druck auszuüben. Mhm. Ich seufzte wohlig. Taro hat ein Händchen fürs Massieren. Da er mir so nahe ist und ich meine Nase nicht mehr ins Kissen drücke, nehme ich verstärkt seinen Geruch wahr. Er riecht gut. Der irrationale Drang steigt in mir auf, mein Gesicht in seinem T-Shirt zu verbergen und tief zu inhalieren. Ich kenne diesen speziellen Geruch. So duftet seine Haut immer, wenn er Sport gemacht hat, aber nicht geschwitzt hat. Wahrscheinlich hat er sich schon mit irgendwelche Kampfkunstübungen „aufgewärmt“. „Du hast doch schon trainiert“, murmele ich. Einen Versuch ist es wert. Wahrscheinlich lässt er sich nicht erweichen, aber probieren kann ich es zumindest. „Ein wenig“, gibt Taro zu. „Aber das ist nicht der Punkt!“ Unwillkürlich stöhne ich genervt auf. Jetzt wird er mir sicherlich wieder eine Moralpredigt darüber halten, dass ich mehr Sport machen müsste. Ich weiß das. Aber ich habe keine Lust. Ich treibe nicht gerne Sport. Und nachdem mir mein Vater ein absolut hartes Training aufgebürdet hat, noch viel weniger. Ich kenne Taros Argumente. Sie sind durchaus sinnvoll, aber bisher hat mein innerer Schweinehund immer gesiegt. Langfristig zumindest. Dann und wann hat Taro mich schon dazu gebracht, mit ihm laufen zu gehen. Letztendlich hab ich mich aber immer wieder durchgesetzt. Denn im Gegensatz zu meinem Vater würde Taro mich niemals zwingen. Mich ständig damit nerven, ja. Zwingen, auf gar keinen Fall. Dazu hat er mich zu gern und das weiß ich. Doch seine übliche Argumentation bleibt aus, stattdessen legt er die Hand, die nicht meine Kopfhaut massiert, auf eine meiner Hände und führt diese unter sein Shirt. Ich zucke unerwartet zusammen, als ich warme Haut unter meinen Fingern spüren … und Muskeln. So fühlen sich also Taros Bauchmuskeln an. Respekt. Ich habe ihn in der letzten Zeit oft beobachtet. Auch beim Umziehen. Sein Körper ist durchweg trainiert. Nicht muskelbepackt, aber durchaus muskulös. Man sieht ihm die Kraft, die er hat, nicht an. Zumindest mein ungeschultes Auge nicht. Unbewusst zeichne ich die Muskelstränge unter seiner Haut nach. Ich verspüre den Wunsch, mich über Taro zu beugen, seinen Bauch mit den Lippen und der Zunge zu liebkosen, ihn zu küssen, zu spüren wie er unter mir erbebt, ihn wohlig stöhnen zu hören und … Was denke ich denn da?, frage ich mich und erst in diesem Moment wird es mir klar. Plötzlich bin ich hellwach. Ich begehre meinen besten Freund. „Da Gesundheit dich nicht sonderlich zu interessieren scheint, appellieren ich mal an etwas, was bei dir definitiv ausgeprägt ist“, sagt Taro gerade. „Dein Ego.“ Kurz darauf legt er meine Hand auf seinen Oberschenkel. Seinen Innenschenkel. Wieder strömt Wärme in meine Finger. Wieder spüre ich deutlich straffe Muskeln. Auch durch seine Hose. Was allerdings wesentlich beunruhigender ist: Wieder springt mein Kopfkino an. Ich begehre meinen besten Freund, denke ich. Schockiert. Überrascht. Ungläubig. Dieser Gedanke überfordert mich. „Willst du noch eine Kostprobe dafür, wo mein Körper wesentlich trainierter ist als deiner?“, fragt er mich und automatisch schüttele ich den Kopf. Noch mehr Taro für meine Sinne ertrage ich wahrscheinlich nicht mehr, ohne mich zu verraten. Verdammt, was würde er nur von mir denken, wenn er es wüsste, schießt es mir durch den Kopf. Es folgen sämtliche Horrorvisionen. „Zweimal die Woche begleitest du mich beim Laufen“, schlägt Taro vor, wobei es mehr wie eine Festlegung klingt. „Samstags und mittwochs. Noch hast du ein paar gute Grundlagen. Eine Stunde sollte für den Anfang genügen. Und jetzt ab aus dem Bett.“ Bei der Ankündigung vergesse ich für einen Moment mein anderes Problem. Eine Stunde? Ist er denn des Wahnsinns? Und das auch noch jetzt? Eigentlich beantwortet das meine Frage. „Ne halbe“, sage ich entschieden. „Du kannst ja schon mal vorgehen, wenn du länger laufen willst. Ich komm nach.“ Taro lacht und piekt mir in die Seite. „Hey, für wie blöd hältst du mich eigentlich?! Wenn ich nicht da bin, pennst du mir so wieder ein“, prophezeit er. Unter normalen Umständen hätte ich ihm zugestimmt. Aber bei dem Chaos, das gerade in meinem Kopf herrscht, brauche ich Zeit, um in Ruhe nachzudenken. Ich habe keine Ahnung, wie ich mit dieser Erkenntnis umgehen soll. „Eine dreiviertel Stunde“, meint Taro nach kurzem Überlegen versöhnlich. „Aber jetzt.“ Frustriert stöhne ich auf. Ich benötige Zeit zum Nachdenken, verdammt. Aber den Grund dafür kann ich ihm ja schlecht nennen. Angestrengt suche ich nach einer guten Ausrede beziehungsweise Erklärung. „Du willst du doch deinen Taro-chan nicht alleine gehen lassen“, schnurrt Taro mir plötzlich ins Ohr. „Ihm könnte was passieren.“ Ich schlucke. Mein Taro-chan. Das klingt auf einmal verlockend. Wünschenswert und … richtig. Aber dass meinem Taro-chan etwas beim Joggen passiert, ist sehr unwahrscheinlich. Da ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich höher, dass ihm hier etwas Unerwartetes geschieht, wenn er nicht aufhört, so verführerisch zu klingen. Grummelnd rappele ich mich auf. In meinem Bett kann ich zurzeit mit Sicherheit nicht in Ruhe nachdenken. Ich ignoriere seinen zufriedenen Blick und stapfe ins Bad. „Gib mir fünf Minuten“, fordere ich brummend. *** Wann immer Taro ein wenig vorausläuft – anders gesagt, ich sein Tempo nicht mehr halten kann – wandert mein Blick zu Körperteilen, wo er eigentlich nichts zu suchen hat. Seinem Hinterteil zum Beispiel. In diesen Momenten steigt Bedauern in mir auf, dass ich „weitere Kostproben“ abgelehnt habe. Rational betrachtet, ist das natürlich absolut richtig gewesen. Wer weiß schon, in was für verzwickte Situationen ich mich wieder gebracht hätte. „Träum nicht!“, ruft Taro mir zu. Er steht an einer Straßenecke hundert Meter entfernt und wartet auf mich. Er lächelt leicht und als ich näher komme, sehe ich, dass sich wieder ein sanfter Ausdruck in seine Augen geschlichen hat. Ich habe bisher keine Zeit gehabt, mir großartig Gedanken zu machen. Aber in diesem Moment findet mein Verstand etliche Querverbindungen zu meinem Verhalten in den letzten Tagen und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich nicht nur Taros Körper begehre. Könnte es sein, dass Kafka sich doch nicht irrte? Kapitel 6: E wie Egoismus ------------------------- E wie Egoismus Unser Plan lief an, aber ich war nicht richtig bei der Sache. Natürlich habe ich meinen Part gut gespielt. Spaß hatte ich auch. Doch es war nicht dasselbe. Nichts ist mehr dasselbe. Meine Gedanken schweifen immer wieder ab. Ich habe viel nachgedacht … in dieser Woche. Viel über mich und mindestens genauso viel an Taro. Richtig erkannt, was los ist, habe ich noch nicht lange. Ich habe einige Zeit gebraucht, um es zu realisieren … um es zu begreifen. Ich liebe meinen besten Freund. Das Gefühl, dass es so sein könnte, hatte ich früh, aber es zuzuordnen und es zu begreifen, hat länger gedauert. Verstehen tue ich es immer noch nicht. Warum liebe ich Taro? An diesem Punkt kommt mir immer wieder Kafkas Spruch in den Sinn. Zweifellos trifft er auf Taro und mich zu. Taro zeigt mir meine Ungeduld, ruft mir ins Gedächtnis, wie kackdreist ich manchmal bin, er führt mir meine sportliche Faulheit vor Augen und er zwingt mich dadurch, mich mit mir zu beschäftigen. Mal bleibt es bei der einfachen Erkenntnis – die nicht immer angenehm ist – und mal treibt er mich dazu, etwas zu ändern. Davon, dass er mir meine Stärken aufzeigt, brauche ich gar nicht erst anzufangen. Er tut es. Immer und immer wieder. Es ist wie eine Selbstverständlichkeit. Ich spüre es regelrecht. Sollte es wirklich so „einfach“ sein? Liebe ich ihn, weil er mir zeigt, wer ich bin? Ich finde keine Antwort auf diese Frage, aber ich liebe ihn und … ich begehre ihn. Jede seiner Facetten. Ob niedlich, lasziv oder entspannt. Ich finde ihn immer anziehend. Und egal, wie ich mich bemühe, es gibt niemanden, den ich mehr will als ihn. Das Chaos in meinem Kopf verberge ich. Ich verhalte mich, wie sonst auch. Am letzten Samstagabend habe ich geflirtet und Sex gehabt. Ich habe die geringe Hoffnung gehegt, dass mein Körper nur auf ihn reagiert hat, weil das letzte Mal länger zurückgelegt hat. Pustekuchen. Die ganze Zeit hält sich der Gedanken an Taro im Hinterkopf. Egal, was ich tue. Letztendlich hat es mich zur Einsicht gezwungen. Ich bin verrückt nach meinem besten Freund. Das klingt immer noch total fremd, doch ich weiß und fühle, dass es so ist. Ebenso habe ich begriffen, dass ich ihn für mich will. Wie soll das gehen?, frage ich mich, aber ich kenne keine Antwort. Ich habe keine Ahnung, wie ich ihn für mich gewinnen könnte. Ich weiß noch nicht mal, ob ich überhaupt eine Chance habe. Grundsätzlich gesehen. Soweit es mir bekannt ist, ist Taro heterosexuell. Einen Beweis dafür bietet der Blick auf die Tanzfläche. Taro tanzt gerade engumschlungen mit Nozomi. Spontan fallen mir einige Gründe dafür ein, warum mir das nicht gefällt. Dass ich ihn für mich allein haben will, ist nur einer davon. Und auch nicht der schwerwiegendste. Ehe ich den Gedanken vertiefen kann, entdecke ich Omata in der Menschenmenge. Alarmiert stelle ich mein noch halbvolles Cocktailglas auf dem Tresen ab und eile zur Tanzfläche. Noch kann der Lehrer Tata und Nono nicht sehen, aber es wird nicht lange dauern, bis sie in seinem Sichtfeld auftauchen. Und das würde unseren ganzen Plan ruinieren. Denn Taro ist im Moment vieles, aber sicherlich nicht kindlich-naiv. Ich erreiche die beiden früh genug. „Omata ist hier“, schreie ich gegen die Musik an. Sofort lösen sie sich voneinander. „Verdammt“, flucht Taro. Im Grunde passt selbst ein Diskobesuch nicht zu seiner Rolle. „Versuch mich auf dich aufmerksam zu machen“, rufe ich ihm einer spontanen Idee folgend zu. Sofort nickt er verstehend und bewegt sich schnell auf den Rand der Tanzfläche zu. Omata dabei immer im Blick. Ich hingegen schnappe mir Nozomi. „Was ist der Plan?“, fragt sie, während wir anfangen zu tanzen. „Freundschaftlicher Tanz“, raune ich ihr ins Ohr. „Darf ruhig nach ein wenig mehr aussehen.“ Nono nickt und legt locker ihre Arme um meinen Hals. Wir tanzen jetzt etwas enger beieinander. Als der Lehrer in Sichtweite kommt, setze ich ein neckisches Grinsen auf. Diese Veränderung meiner Mimik bemerkt sie sofort. „Und?“, ruft sie. „Na was denkst du denn?! Der Kerl quatscht ihn sofort an“, erkläre ich ihr, da sie mit dem Rücken zu ihnen tanzt. Als Taro meinen Blick erhascht, winkt er. Dabei wirkt er recht hilflos und total fehl am Platz. „Taro ist wieder einmal genial“, sage ich zu Nozomi. „Das stand ja zu erwarten“, erwidert sie grinsend. „Wie lang noch?“ „Ist die Nähe zu mir so schlimm?“, frage ich scherzhaft. Ich will noch warten, bis Taro ein paar Worte mit Omata gewechselt hat und mir einen weiteren fehlenden Blick zu geworfen hat. „Nein, keine Sorge. Du tanzt gut“, erklärt Nono lachend. „Ich will mir nur einen Platz suchen können, von wo aus ich alles mit verfolgen kann.“ „Wir sehen uns“, raune ich ihr zu, nachdem Taros Augen meine gefunden haben. „Ich melde mich“, sagt sie schmunzelnd und berührt zum Abschied freundschaftlich meinen Oberarm. „Viel Spaß!“ „Werd ich haben“, versichere ich grinsend und bahne mir zielstrebig einen Weg durch den Menge. Taro erweckt den Anschein, als fühle er sich sehr unwohl. Es ist schwer zu sagen, ob das wirklich so ist. Spaß machen, wird es ihm eher nicht. Dazu ist die Gefahr zu groß, dass er in Erklärungsnot gerät. „Da bin ich schon“, sage ich zu Taro und lächele ihn vertraulich an. „Guten Abend, Omata-sensei“, begrüße ich danach den Lehrer förmlich. „N’Abend, Makato-kun. Taro-chan sagte schon, dass er auf dich wartet“, antwortet er, beugt sich zu mir hinüber und fragt neugierig: „Läuft das was zwischen dir und Nozomi-kun?“ „Nee“, erwidere ich gedehnt. Es war so klar, dass diese Frage kommen würde. „Das war nur ein freundschaftlicher Tanz. Außerdem lege ich mich nicht so schnell fest.“ Ich zwinkere ihm zu und Omata lacht. „Ja, natürlich. Richtig so!“ Ich spüre, dass Taro leicht an meinem T-Shirt zupft und wende mich ihm zu. „Können wir dann gehen, Toto?“, fragt er mich schüchtern, aber ich erkenne auch etwas Sehnsüchtiges in seinem Blick. „Ja, klar“, antworte ich mit einem leichten Lächeln, werfe danach aber noch einen begierigen Blick auf die tanzende Menge. „Was ihr wollt schon gehen?“, fragt der Lehrer ungläubig. „Es ist gerade mal halb elf. Die Nacht beginnt doch erst. Und schaut euch nur all die heißen Bräute an.“ Kurz schiele ich auf die Tanzfläche, aber schnell ruht mein Blick wieder auf Taro. „Ja, stimmt schon. Aber Taro wollte erst gar nicht hierher und dafür, dass er mitkommt, hab ich ihm versprochen, relativ früh wieder zu gehen.“ Ich lächele erst Taro an und zwinkere danach wieder Omata zu. „Sie wissen ja: Langsam nähert sich das Eichhörnchen.“ „Tja, ja“, stimmt der Lehrer grinsend zu. „Schönen Abend noch!“ Wir verabschieden uns, holen unsere Jacken und machen uns auf den Nachhauseweg. Es ist sicherlich besser, wenn wir uns nicht noch woanders blicken lassen. So wie ich Omata einschätze, wird er nicht nur in der einen Disko bleiben. Taro scheint meiner Meinung zu sein, denn er widerspricht mir nicht. „Das war gut“, erklärt er und grinst. „Der Weiberheld scheint wie auf dich zugeschnitten.“ „Ich fand meinen umsorgenden Freund auch nicht schlecht“, sage ich und scherze: „Taro-chan, willst du deine Jacke nicht schließen?! Nicht, dass du dich wieder erkältest.“ Taro lacht und teilt seinerseits aus: „Ach, und ich dachte immer, du wärst die Frostbeule von uns beiden.“ Ich werfe ihm nur einen gespielt beleidigten Blick zu. Wir wissen beide, dass er Recht hat. Alleine die Tatsache, dass ich meine Jacke geschlossen habe, ist Indiz genug. Mir ist der Wind noch zu kühl, Taro hingegen interessiert er nicht. „Was wollte er eigentlich von dir wissen?“, lenke ich das Gespräch zum eigentlichen Thema zurück. „Was du auch gesagt hast, es wirkte von Weitem sehr überzeugend.“ „Verständlicherweise hat es ihn gewundert, mich in einer Disko anzutreffen“, erwidert Taro und zuckt mit den Schultern. „Er hat mich mit Fragen bestürmt und ich hab herumgedruckst, dass ich mit dir da wäre und auf dich warte.“ „Hm“, gebe ich nachdenklich von mir. „Ich frage mich gerade, ob es so klug war, die Andeutung am Schluss zu machen. Jetzt muss ich glatt damit rechnen, dass er in mir einen Komplizen sieht.“ „Ja, das stimmt schon“, bekräftigt Taro, „aber du musst ja nicht drauf eingehen. Es gibt keinen Grund, warum du wollen solltest, dass er sich einmischt. Und am Ende wird es ihn noch mehr wurmen, wenn du Erfolg hast!“ Er lächelt mir verschwörerisch zu. Das klingt einleuchtet, aber eine Frage bleibt noch offen. „Ach und an wen hast du als ‚Erfolg‘ gedacht? An Nono oder mich?“ Taro lacht nur. Anscheinend hält er die Frage für eine rhetorische. Das ist vielleicht auch besser so. *** Mir gefällt die Entwicklung nicht. Man müsste blind sein, um nicht zu bemerken, dass Taro und Nozomi sich näherkommen – wieder näherkommen. Eigentlich sollten sie vom letzten Mal gelernt haben. Ich zumindest habe es und ich werde nicht zulassen, dass es wieder soweit kommt. Taros wegen und wie ich mir eingestehen muss, auch meinetwegen. Als Taro noch einmal wegen der Matheklausur – die seinem Gefühl nach wohl ganz gut gelaufen ist – bei Yamaguchi ist, packe ich die Gelegenheit am Schopfe und bitte Nozomi um ein Gespräch unter vier Augen. „Was ist denn los?“, fragt sie verwundert, als ich sie in eine abgelegene Ecke des Schulhofs führe. „Hat sich an deiner familiären Situation irgendetwas geändert?“, frage ich ernst. Die Antwort ist im Grunde klar. Aber ich will mir nicht vorwerfen lassen müssen, dass ich es nicht in Betracht gezogen hätte. „Nein. Wieso fragst du?“ „Dann nimmst du lieber wieder Abstand zu Taro!“, fordere ich. „Wie bitte?“ Ihre Stimme ist ruhig, aber ich sehe ihr an, dass sie meine Aufforderung als unverschämt erachtet. „Sei nicht dumm“, sage ich und bemühe mich, ein wenig einfühlsam zu klingen. „Es ist nicht zu übersehen, dass ihr euch wieder näherkommt und wir wissen beide, dass es nicht gut gehen kann. Du hast familiäre Verpflichtungen und im Zweifelsfall wirst du ihnen nachkommen. Sowie beim letzten Mal. Also spar dir den zweiten Versuch.“ Es ist nicht so, dass ich Nozomi nicht verstehen könnte. Es ist ein ungemeiner Druck, der von ihrer Familie, speziell von ihrem Vater, auf sie aufgebaut wird. Sie hat nicht viele Optionen. Und einige davon rühren auch nur daher, dass sie ihren Vater dazu überreden konnte, ihre Ausbildung im Ausland machen zu dürfen. Die Distanz gibt ihr einige Freiheiten, weil sie sich etwas seiner Kontrolle entziehen kann. „Ist das ein Befehl?“, fragt sie herausfordernd. „Nein. Das ist ein gutgemeinter Rat“, erkläre ich. Im Grunde mag ich Nozomi. Und sie hat mit ihrer Familie ein echt hartes Los gezogen. Ich muss mir eingestehen, dass ich mich an ihrer Stelle auch nicht anders verhalten hätte. Es ist zwecklos, sich solch einer Familie zu widersetzen. Letzten Endes würde sie nur den Kürzeren ziehen. Ich weiß das und sie ebenso. „Was ist, wenn ich ihn nicht beherzige?“, fragt sie provokant. Ich lächele grimmig. „Ich werde nicht zulassen, dass du Taro erneut ins Unglück stürzt. Wenn du dein Leben zerstören willst, bitte. Aber zieh Taro da nicht mit rein. Wenn ich bemerke, dass du meinen Rat ignorierst, werde ich eingreifen.“ „Willst du mir drohen? Denkst du Taro würde dein Eingreifen gut heißen?“ „Wenn du es als Drohung sehen willst, tu dir keinen Zwang an“, sage ich kalt. „Ich würde es eher als Tatsache betitelt. Ich werde nicht zögern, zu deinem Vater zu gehen. Du willst nicht im goldenen Käfig enden. Niemand will, dass du das tust. Aber ich würde es in Kauf nehmen. Ebenso wie Taros Reaktion. Dass du ihm einmal das Herz gebrochen hast, war schon einmal zu viel!“ Nozomi lächelt traurig. „Ich werde später wahrscheinlich so oder so im goldenen Käfig landen“, erklärt sie. „Dazu werden meine kleinen Widersprüche wohl reichen.“ „Dann solltest du dich lieber darauf konzentrieren, dass zu verhindern, als Taro mit ins Unglück zu reißen“, appelliere ich abermals an sie. Ich zweifele nicht daran, dass sie ihn wirklich liebt. „Vielleicht“, murmelt sie und wendet sich von mir ab. *** „Sag mal, was fällt dir eigentlich ein“, wütet Taro. Er scheint es mitbekommen zu haben. Wahrscheinlich hat Nozomi die richtige Entscheidung getroffen und ist wieder ein wenig auf Distanz gegangen, was Taro dazu veranlasst hat, nachzubohren bis sie es ihm schließlich gesagt hat. „Du bist so ein Egoist!“ Ich seufze. Warum erkennt er in Streits eigentlich immer nur die Absichten, die mir in der Diskussion zum Nachteil gereichen? „Das leugne ich nicht“, gebe ich. Ich will ihn für mich und besonders große Lust, auf seinen Liebeskummer und weitere Aufheiterungsversuche von mir, habe ich nicht. „Aber würdest du bitte zur Kenntnis nehmen, dass ich es auch für dich getan habe?!“ „Für mich?“, echot er sauer. „Du weißt, was das letzte Mal passiert ist. Es hat sich nichts geändert. Jetzt würde es auch nicht anders verlaufen. Benutz deinen logischen Menschenverstand. Es würde dich nur wieder verletzen.“ „Was geht dich das an? Es ist meine Sache. Ich kann mit meinem Leben machen, was ich will!“ „Das Recht nimmt dir auch keiner. Aber wag es ja nicht, zu behaupten, es ginge mich nichts an. Dein Leben ist so mit meinem verknüpft, dass es mich unmittelbar betrifft.“ „Und das ist jetzt nicht egoistisch, oder was?“, meint er und ganz Unrecht hat er nicht. Nur dass ich ihm in diesem Moment nicht etwas für ihn Positives ausreden will, weil es mein Leben mit beeinflusst, sondern etwas, das ihn zu 100% unglücklich machen wird. „Aber zu sagen, es sei deine Sache, obwohl du genau weißt, dass es mich betreffen wird, ist nicht egoistisch, oder was?“, kontere ich und kopiere dabei teilweise seinen Satzbau. So wie er es Vivian gegenüber gerne tut. Nur lenkt es ihn nicht ab. „Meine Güte, selbst wenn es so ist. Das gibt dir immer noch nicht das Recht, ihr zu drohen, ihr Leben zu zerstören“, sagt er aufgebracht. „Aber du hast das Recht dazu, oder verstehen ich da was falsch? Denn wenn ihr Vater von eurer Beziehung erfährt, wird es genau darauf hinauslaufen. Es hat sich nichts an seiner Einstellung geändert. Er akzeptiert keine Beziehung seiner Tochter zu einem Normalbürger. Und wenn er der Meinung ist, dass Töchterli sich die falschen Freunde sucht, dann holt er sie einfach wieder in den Bereich seiner Kontrolle zurück. Mann Taro, benutzt doch mal deinen Kopf“, fahre ich ihn hitzig an und lasse mich genervt auf die Couch plumpsen. „Das ist noch lange keine Begründung dafür, dass du ihr gedroht hast“, erwidert er immer noch böse, aber zumindest ruhig. Vielleicht sollte ich ein wenig Reue zeigen, denke ich und seufze. Es bringt wahrscheinlich nichts, weil Taro sowieso durchschaut, dass ich es nicht ernst meine. Also versuche ich es erst gar nicht. „Meine Güte, Tata, was erwartest du von mir? Dass ich noch länger abwarte? Das hätte es nur schlimmer gemacht. Dass ich erst mit dir spreche? Ich kenn dich gut genug, um zu wissen, dass es nichts bringt. Du liebst sie immer noch und wenn sie bereit scheint, das Risiko einzugehen, dann sagst du sicherlich nicht Nein, weil du beim Misslingen Liebeskummer haben könntest. Ihr Risiko ist dabei bedeutend größer.“ Taro seufzt, lässt sich in den Sessel neben dem Sofa sinken, zieht die Beine an und schlingt die Arme um die Knie. Er wirkt unglücklich. „Es wär ne nette Geste gewesen“, murrt er, aber ich merke, dass er mir nicht länger böse ist, und dass er die Problematik nicht nur erkannt, sondern auch akzeptiert hat. „Eine Geste, die es zwischen uns nur noch verkompliziert hätte“, erwidere ich ungerührt, obwohl sein niedergeschlagener Anblick mir durch und durch geht. „Wie gesagt, ich gebe zu, dass eine gute Portion Egoismus mit im Spiel war. Ich muss es wirklich nicht haben, dass dich Liebeskummer quält. Was natürlich nicht heißt, dass ich nicht für dich da bin, wenn du welchen hast.“ Ich verschweige gekonnt, meine anderen Beweggründe. Zum Beispiel, dass ich ihn ganz für mich alleine haben will. Aber das wird wohl schwierig werden. Ich versuche mich an einem aufmunternden Lächeln. „Hm“, brummt Taro. Nach einem Moment des Schweigens fügt er hinzu. „Nozomi und ich haben uns darauf geeinigt, dass es in unser beider Interesse ist, wenn wir nur gute Freunde bleiben. Ich war nur so schrecklich sauer, weil du hinter meinem Rücken mit Nozomi gesprochen hast. Und das auch noch auf diese Art und Weise.“ „Schon okay“, murmele ich. Das Wichtigste ist, dass die beiden zur Vernunft gekommen sind … und Taro in keiner Beziehung ist. Das ist etwas, dass es mir zumindest etwas einfacher machen könnte. „Manchmal ist das Leben echt scheiße“, murrt er und ich stimme mit einem gedehnten „Mhm“ zu. Das bringt mich wieder zu meiner Frage zurück. Warum liebe ich meinen besten Freund? Was Unglückliches hätte mir auch nicht einfallen können. „Toto“, murmelt Taro irgendwann nach einer langen Zeit, in der wir unseren Gedanken nachgehangen haben. „Tust du mir einen Gefallen? Ich weiß, es klingt seltsam, aber küsst du mich mal. Ich hab die ganze Zeit das Gefühl, Noz Lippen auf meinen zu spüren.“ Mir klappt der Mund auf. Für einen Moment denke ich, ich habe mir das nur eingebildet, weil ich ihn so gern küssen würde. Sein fragender Blick beweist mir das Gegenteil. Keine Ahnung, ob das in meiner derzeitigen Situation so eine gute Idee ist, aber ich will ihm diesen speziellen Gefallen unbedingt erweisen. Und zwar aus eigennützigen Gründen. Ich will seine Lippen auf meinen fühlen. Ich will, dass er meine auf den seinen spürt und nicht die von Nono. „Ihr habt aber eine komische Art, euch zu trennen“, sage ich lässig. „Aber du wirst schon zu mir kommen müssen. Ich beweg mich dafür nicht vom Fleck.“ Ehe ich mich versehe, sitz Taro auf meinem Schoss und hat seine Arme um meine Hals geschlungen. So hatte ich das nicht gemeint. Ich spüre seinen warmen Körper nur zu deutlich. Ich bezweifele stark, dass das so gut ist. Aber für den Moment fühlt es sich herrlich an. Ich lege einen Arm um seinen Rücken und vergrabe eine Hand in seine weichen Locken. Mit der dirigiere ich ein wenig seinen Kopf. Als unsere Münder aufeinander treffen, schließe ich automatisch die Augen. Ich genieße einen Moment die Wärme und Weiche seiner Lippen und bewege dann meine gegen die seinen. Taro erwidert den Kuss sofort. Ich gebe mich dem Gefühl hin und lasse mich dazu verleiten, neckisch an seiner Unterlippe zu knappern, und mit meiner Zunge über seine Lippen zu streichen, als würde ich um Einlass bitten. Meine Hände drücke ich ihn fordernd an mich. „Also wenn du jetzt noch Nonos Lippen auf deinen spürst, ist dir echt nicht mehr zu helfen“, witzel ich, nachdem wir den Kuss beendet haben, um zu überspielen, dass ich es übertrieben habe. Ich habe mich doch tatsächlich total vergessen. „Manchmal bist du echt besitzergreifend“, murmelt Taro kopfschüttelnd. „Natürlich, du bist ja auch mein Taro-chan“, sage ich einer spontanen Eingebung folgend und wuschele ihm durch die Haare. Hoffentlich schluckt er das, ansonsten komme ich echt in Erklärungsnot. Kapitel 7: L wie Liebenswürdigkeit ---------------------------------- L wie Liebenswürdigkeit Es ist Mittwochvormittag. Wie meistens in den großen Pausen hat sich der Freundeskreis auf dem Dach versammelt. Nur Taro fehlt. Er wurde noch mal zu Yamaguchi bestellt. Wahrscheinlich bekommt er heute das Ergebnis der Mathearbeit. Am Montag hat der Direx ihm nur mitgeteilt, dass es noch ein paar Unstimmigkeiten gebe. Ich bin froh über den kurzen „Tarofreien“ Moment. Und andererseits vermisse ich Tata jetzt schon, dabei ist er gerade zehn Minuten weg. Seit ich ihn geküsst habe, rattert bei mir noch einiges mehr durch, als zuvor, obwohl ich es nicht für möglich gehalten hätte. Ich sehne mich nach seiner Nähe und seinen Berührungen. Gleichzeitig fürchtete ich mich vor ihnen, beziehungsweise vor dem, was sie auslösen könnten. Ich bin total Zwiegestalten. Auf der einen Seite möchte ich Taro unbedingt für mich und auf der anderen will ich nicht das verlieren, was wir im Moment haben. Denn das ist mir wesentlich lieber als gar nichts. Seine Freundschaft zu verlieren, fürchte ich nicht. Ich weiß, dass Taro tolerant ist und nichts gegen Homosexualität hat. Das zeigt alleine seine Bereitschaft sich auf Scheinbeziehungen mit mir einzulassen. Ich fürchte um die Nähe, die zwischen uns herrscht. Taro würde mich niemals absichtlich verletzten wollen und ginge deshalb sicherlich ein wenig auf Abstand, um nicht so schnell in die Situation kommen zu können, mich zurückweisen zu müssen. Aber allein dieser Abstand ist mehr als ich bereit bin, aufzugeben. Es, ihm zu sagen, kommt also nicht in Frage. Zumindest nicht unter diesen Bedingungen. Es, ihm nicht zu sagen, ist nicht gerade sehr angenehm. Aber ich weiß nicht, was ich stattdessen machen soll. Ich brauche dringend einen Plan, aber mir fällt nicht so recht etwas ein. Was kann ich denn schon groß tun? Ihn zwingen, sich in mich zu verlieben, kann ich nicht. Vielleicht würde es mir im Moment weiterhelfen, wenn ich auslote, ob er überhaupt – grundsätzlich – Interesse an Männer hat. Sicher bin ich mir da nicht, aber dann hätte ich zumindest das Gefühl, etwas zu tun. Ehe ich weiter grübeln kann, fliegt die Tür zum Dach auf und Taro kommt auf mich zu gelaufen – übers ganze Gesicht strahlend. „Du bist echt ein Schatz“, ruft er euphorisch aus und fällt mir um den Hals. „Und was hat dich endlich zu dieser Einsicht bewogen?“, frage ich neckend. Die Antwort ist im Grunde klar und prompt hält er mir die Klausurbögen vor die Nase. So dicht, dass ich erst den Kopf ein Stück zurückziehen muss, um das große, rote B erkennen zu können. „Das ist echt cool. Gratuliere“, sage ich lächelnd und verkneife mir die Frage, warum denn die Lehrer so lange gebraucht haben. Ich will seine Freude nicht durch den Ärger schmählern. Irgendwann wird er es mir so oder so erzählen. „Danke!“, erwidert er grinsend und ich frage mich, was er meint. Dass ich ihm geholfen habe oder dass ich ihm gratuliert habe. Wie auch immer. „Damit hast du Minamoto aber ne volle Breitseite verpasst“, erklärt Caca feixend, nachdem sie das Ergebnis gesehen hat. Taro lacht vergnügt und ich muss unweigerlich lächelnd. Seine Fröhlichkeit ist ansteckend und er sieht zum Ausbeißen aus. Ob er das wohl weiß? „Ja, das freut mich für dich“, stimmt Nono schmunzelnd zu. „Ach und Taro. Denk an deinen Wetteinsatz. Unsere Wette hab ich damit ja wohl gewonnen.“ „Ja, klar. Ich mach’s bei Gelegenheit“, erklärt er und es kann nichts Schlimmes sein, denn seine gute Laune wird dadurch in keiner Weise getrübt. Er wirft mir einen so kurzen, versteckten Seitenblick zu, dass ich zweifele, ihn überhaupt wahrgenommen zu haben. Hat die Wette etwas mit mir zu tun?, frage ich mich trotzdem automatisch. Ich habe keine Ahnung. Bis geradeeben wusste ich noch nicht einmal, dass sie überhaupt gewettet haben. Bei Gelegenheit werde ich ihn mal danach fragen. Wenn wir unter vier Augen sind, vielleicht beim Laufen heute Nachtmittag. Wenn ich nur daran denke, … auf was hab ich mich da nur eingelassen? Diese Frage stelle ich mir nicht zum ersten Mal. *** „Minamoto hatte die Arbeit wohl schon letzte Woche fertig, war ja auch nicht viel. Aber dann hat Yamaguchi noch ein paar Unklarheiten entdeckt und sie ihm zurückgegeben. Das ging wohl ein paar Mal so. Ich glaube, inzwischen sind die beide überhaupt nicht gut aufeinander zu sprechen“, erklärt Taro gutgelaunt, während wir durch die Straßen joggen. Seine Stimme klingt dabei wie immer. Kein Keuchen. Kein Schnaufen. Kein gar nichts. Dabei sind wir schon fast eine halbe Stunde unterwegs. Das ist wieder einer der Momente, in denen mir klar wird, wie fit er eigentlich ist. Mein Tempo ist für ihn zu langsam, um wirklich außer Atem zu kommen. „Ist doch … prima“, bringe ich stockend hervor. „Das macht … uns … die Sache ja … wesentlich einfacher. Yamaguchi … ist jetzt sicherlich … schneller auf … unserer Seite, … wenn Minamoto wieder … mal Ärger … macht.“ Oh je. Schnelles Luftholen und dabei dann sprechen. Das schließt sich bei mir ziemlich aus. „Ja“, sagt Taro gedehnt. „Da hast du sicherlich Recht.“ „Sag mal“, beginne ich schnaufend. Der Moment erscheint mir passend, um ihn auf die Wette anzusprechen. „Was ist das … eigentlich … für eine … Wette … von der Nono … gesprochen hat? Davon hab … ich ja … gar nichts mit - … bekommen.“ „Ach das“, sagt Taro und schafft es beim Laufen genauso lässig die Schultern zu zucken wie sonst auch. „Letztens waren wir doch abends noch auf einen Drink bei Nono und Caca. Keine Ahnung, ob du dich daran noch erinnerst. Wir hatten schon einiges im Kahn. Jedenfalls hab ich da gesagt, dass ich dich abknutsche, wenn ich in der Klausur nen B schreiben würde. Darauf hat Nono mich halt festgenagelt.“ „Ah ja“, bringe ich vage hervor. Ich weiß wirklich nicht, ob ich mich darüber freuen soll. Auf der einen Seite tue ich es, weil ich mich nach Taros Berührungen sehne, auf der anderen Seite bin ich mir darüber im Klaren, dass das schnell nach hinten losgehen kann, wenn ich mich nicht unter Kontrolle habe. Um mich nicht weiter mit der Frage beschäftigen zu müssen, frage ich: „Und du bist … dir sicher, … dass ich da- … bei gewesen bin?“ Ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, dass er so was gesagt hat. Ich weiß noch, dass aus dem einen Drink zwei oder drei geworden sind und ich mit Caca Tischkicker gespielt habe … beziehungsweise wir es versucht haben. Die Trefferquote war nicht die beste. Also nicht die der Tore, sondern die des Balls. „Nee, da warst du nicht dabei. Das hab ich gesagt, während Nono und ich die zweite Runde gemixt habe. Da warst du schon am Tischkickerspielen“, entgegnet Taro und seine Antwort beruhigt mich. Ich hasse Blackouts. „Und wann … hast … du vor … deinen Wett- … einsatz ein- … zulösen?“, frage ich weiter und die Kombination von Sprechen und Atmen gelingt mir immer weniger. „Keine Ahnung“, erwidert Taro. „Ich wollt‘ mich da nach dir richten.“ „Nach mir …?“, setze ich perplex an. Seit wann überlässt man den Zeitpunkt des Einlösens einer Wette einer dritten Person? Ehe ich weiter darüber nachdenken kann, rutscht mein Fuß beim nächsten Schritt von der Bordsteinkante ab. Ich knicke um, verliere das Gleichgewicht und kippe in Richtung Straße. Scheißverdammter, denke ich und stoße im Fallen einen Schmerzensschrei aus. Meine Augen weiten sich, als ich das sich nähernde Auto realisiere. „Toto“, ruft Taro entsetzt und ich spüre seinen festen Griff um mein Handgelenk. Gerade noch rechtzeitig reißt er mich zurück und so lande ich nicht auf der Straße vorm Auto, sondern auf dem Bürgersteig in Taros Armen lehnend. „Alles okay?“ „Danke. Geht schon“, murmele ich. Ich richte mich auf, um wieder aus eigener Kraft auf beiden Beinen stehen zu können. Als ich jedoch den Fuß aufsetze, mit dem ich weggeknickt bin, durchzuckt ein stechender Schmerz meinen Fuß. „Autsch … verdammt!“, sage ich keuchend mit schmerzverzerrten Gesicht. Taro wirft mir einen fragendbesorgten Blick zu und stützt mich weiterhin. „Bin umgeknickt … als ich vom … Bordstein abgerutscht bin.“ „Versuch noch einmal deinen Fuß aufzusetzen“, fordert Taro mich auf, nachdem er verstehend genickt hat. „Ganz langsam und vorsichtig.“ Ich tue wie geheißen, setze erst den Hacken auf und rolle den Fuß langsam und vorsichtig ab. Erst geht es halbwegs, dann schießt wieder der Schmerz in mein Bein. Fluchend beende ich den Bodenkontakt. Taro beobachtet mich skeptisch. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er ohne Murren weiterlaufen würde, aber ich bin nicht Taro. Ich weiß, dass ich relativ schmerzempfindlich bin. „Geht nicht?“, fragt er. Die intensivgrünen Augen sehen mich mitfühlend an. „Tut ziemlich weh“, sage ich. Durch den ungeplanten Halt hat sich zumindest mein Atem und Herzschlag wieder normalisiert. „Okay“, erwidert er nickend. „Ich schau mir das zu Hause mal an. Soweit ist es ja nicht mehr.“ Ich will schon protestieren, denn es ist mindestens noch ein Kilometer. Wahrscheinlich sogar mehr. Das wird schmerzhaft werden. Aber Taro legt nur meine Arme um seine Schultern, dreht sich um und geht ein wenig vor mir in die Hocke. „Ich nehm‘ dich Huckeback!“, erklärt er, greift nach dem Bein mit dem verletzten Fuß und zieht es an seine Seite. Automatisch lehne ich mich gegen seinen Rücken und hebe das andere Bein an, das Taro auch sofort zu fassen bekommt. „Danke, Tata“, murmele ich. Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass er mir den mühsamen Nachhauseweg erspart. „Kein Ding!“, antwortet er. Seine Schritte beschleunigen sich langsam, bis er in ein zügiges Gehen verfällt. „Es ist sicherlich besser so. Du hast keine unnötigen Schmerzen, die Gefahr, dass du deinen Fuß noch weiter verletzt, ist gering und es geht auch noch schneller.“ „Hm“, brumme ich nur. Der Duft seiner Haare und seiner Haut steigt mir in die Nase und ich spüre seinen Körper nur zu deutlich an meinem. Es ist betörend. Er fühlt sich gut an. Ich spüre wie sich seine Muskeln an- und entspannen. Erregend. Na, wenn das mal nicht nach hinten losgeht, denke ich und versuche mich auf alles andere zu konzentrieren, nur nicht auf Taros Bewegungen unter mir und seinem Körper an meinem. „Warum hat dich die Sache eigentlich so verwundert?“, fragt er mich. Jetzt nehme ich doch eine kleine Unregelmäßigkeit in seiner Stimme wahr. Ich versuche mich leicht zu machen, auch wenn es darauf wohl nicht ankommt. Wahrscheinlich sieht Taro dieses Stück einfach als nettes Training – bei dem Tempo, dass er inzwischen anschlägt. „Normalerweise überlässt du beim Einlösen von Wetteinsätzen nichts dem Zufall“, antworte ich, auch wenn das nur ein Grund für meine Ablenkung war. Der andere war zweifelslos gewichtiger. Ich habe mir vorgestellt, wie er mich küssen würde. Seine Lippen habe ich beinahe gespürt. „Ich überlasse … es ja nicht dem Zufall … - sondern dir“, erwidert er. Inzwischen doch ein wenig außer Atem. Für sein Tempo und mein Gewicht auf jeden Fall unangemessen gering. „Außerdem hab ich dich ja einfach so … in die Sache mit hineingezogen. Da ist es nur fair, wenn du auch etwas bestimmen kannst. Ich meine, ich hätte in dem Zustand … sonstwas sagen können.“ „Auf sonstwas hätte Nono dich aber nicht festgenagelt“, antworte ich bestimmt. Ich bin mir sicher, dass Nono niemals auf etwas bestehen würde, dass Taro wirklich richtig unangenehm wäre. „Wieso? Sie war ja auch nicht mehr nüchtern.“ „Ja, aber heute war sie nicht angetrunken. Komm, wir reden hier von Nono. Wenn du gesagt hättest, du würdest mir einen blasen, im Fall, dass du ein B schreibst, hätte sie sicherlich nicht darauf bestanden“, sage ich und könnte mich im nächsten Moment ohrfeigen. Was ist denn das für ein Beispiel? „Stimmt schon“, bestätigt er keuchend. Ich mag den Klang seiner Stimme dabei. Unweigerlich wünsche ich mir, es mal in einer anderen Situation zu hören. Ich muss mich zwingen, den Gedanken zu verdrängen. „Aber mal angenommen … ich hätte es gesagt … und sie hätte … darauf bestanden: Hättest du es … dann zugelassen?“ Ich hab’s gewusst, denke ich frustriert. Dieses Beispiel musste ja zwangsläufig zu Ärger führen. „Gibt es da etwas, das ich wissen sollte, Tata?“, frage ich neckend, um Zeit zu gewinnen. Vielleicht vergisst er es ja sogar. Taro lacht auf, aber es geht schnell in Schnaufen über. „Nein“, erklärt er abgehackt, „aber falls mir mal, … was Dummes in … der Art … passiert, wüsste ich gern, … ob ich mir ernsthafte … Sorgen machen … muss.“ „Das kommt darauf an, was du als Sorgen betitelst“, witzele ich und entscheide mich für die Wahrheit. Er scheint das Gespräch so oder so nicht ganz ernst zu nehmen. „Wenn du deinen Wetteinsatz unbedingt einlösen wolltest, würde ich mich dagegen nicht sperren. Wie man so hört, bist du ja ein Naturtalent im Bett. Wenn das stimmt, könnt ich mir sicherlich schnell vorstellen, dass es jemand anders ist.“ „Ach hört man das?!“, sagt Taro und in einer Fensterspiegelung sehe ich, dass er lächelt. „Von wem denn?“ „Ach von dieser und jener“, antworte ich grinsend. „Interessant“, meint er vage und legt einen letzten Sprint zu unserem Wohnhaus hin. Als wir schließlich vor der Wohnungstür stehen, ist er wirklich richtig außer Atem. Ich schlinge ein Bein um seine Hüfte, sodass er eine Hand freihat, um aufzuschließen. Er bringt mich direkt ins Schlafzimmer und setzt mich auf meinem Bett ab. Ich rutsche ein Stück nach hinten, bis nur noch mein verletzter Fuß über der Kante hängt. Dann ziehe ich das andere Bein an, um zu verhindern, dass Taro meine leichte Erregung bemerkt. Ich schlinge die Arme ums Knie und beobachte ihn. Taro hat sich vors Bett gekniet und zieht mir vorsichtig den Schuh und die Socke aus. Ich verziehe leicht das Gesicht. Selbst das tut schon weh. Der Knöchel ist ein wenig geschwollen. Taro tastet ihn ab, wobei ich mehrmals zusammen zucke. „Könnte ne leichte Bänderdehnung sein“, sagt er mit besorgter Miene. „Am besten trage ich ein kühlendes Gel auf und bandagiere ihn dann.“ „Du hast ruhig vorher duschen gehen“, schlage ich ihm vor. „Und während ich dusche, kannst du schon mal den Nachmittagstee kochen und alles andere zusammensuchen. Ich hab nen ziemlichen Durst. So geht es am Schnellsten.“ „Okay“, stimmt er zu und fügt fürsorglich hinzu. „Ich geb dir schon mal ne Flasche Wasser. Damit kannst du den größten Durst löschen.“ „Danke“, sage ich, als er mir die Flasche reicht, die auf seinem Schreibtisch gestanden hat. Ich schraube sie auf und trinke gierig einige Schlucke, während Taro schnell ins Bad verschwindet. Das mit dem Durst war nicht gelogen. Der Rest … na ja, ne Lüge ist es auch nicht. Ich will wirklich so schnell wie möglich meinen Tee haben, aber vordergründig soll Taro auf keinen Fall mitbekommen, dass er mich erregt hat. Damit würde ich ziemlich in Erklärungsnot geraten. Als er nach knappen zehn Minuten wieder ins Schlafzimmer kommt und zu seinem Kleiderschrank geht, rappele ich mich auf und humpele in Richtung Bad. „Soll ich dir helfen?“, bietet Taro an. „Das Stück geht schon“, wehre ich schnell ab. Im Bad schlüpfe ich mühselig aus meinen Klamotten und trete unter die Dusche. Nachdem ich das Wasser aufgedreht habe, entweicht mir ein leiser Schockschrei. Scheiße, ist das kalt, denke ich und meine Zähne beginnen zu klappern, während ich hektisch ein- und ausatme. Schnell fummele ich am Wärmeregler rum und drehe ihn auf warm. Zumindest hat sich mein Körper jetzt abgekühlt. Aber warum hat Taro denn kalt geduscht?, frage ich mich im nächsten Moment verwundert. Unwillkürlich taucht der irrationale Gedanke auf, dass es Taro vielleicht ähnlich gegangen ist wie mir. Ich schüttele den Kopf. So ein Unsinn. Reines Wunschdenken. Ich greife nach meinem Duschgel und wasche mich. Durch das Rauschen des Wassers glaube ich, das leise Klicken der Tür wahrzunehmen. Als ich aus der Dusche steige, erkenne ich, dass Taro tatsächlich im Bad war und mir Sachen zum Anziehen gebracht hat, sodass ich mir den Weg ins Schlafzimmer mit meinem kaputten Fuß sparen kann. Ich lächele. Er denkt immer mit. In der Küche angekommen, steht der Tee auf dem Tisch. Selbst eingeschenkt hat Taro schon, sodass das Gedränk jetzt die richtige Temperatur hat. Außerdem entdecke ich eine Tube und Verbandszeug auf dem Tisch. „Sorry wegen des Kälteschocks“, sagt Taro und lächelt entschuldigend. „Ich war so in Eile, dass ich vergessen habe, den Regler zurückzudrehen.“ Ich winke ab, denn schließlich brauchte ich die kalte Dusche. „Ist halb so wild. Ich hab‘s ja überlebt. Aber sag mal, seit wann duscht du denn kalt?“ Einen Moment liegt ein Ausdruck auf Taros Gesicht, den ich nicht deuten kann. Dann schüttelt er lächelnd den Kopf – anscheinend über sich selbst. „Das mach ich schon ne ganze Weile. Es ist gut für die Abwehrkräfte und nach dem Laufen ne schöne Erfrischung.“ Es war klar, dass es dafür eine ganz simple Erklärung gibt. Ich bin froh, dass ich den Gedanken sofort blockieren konnte, sonst wäre bei seinen Worten sicherlich ein bisschen Enttäuschung in mir aufgekommen. Ich halte Taro den Fuß hin, den er vorsichtig auf seinem Oberschenkel ablegt und mit sanften Bewegungen das Gel aufträgt und ihn bandagiert. „Hoffen wir mal, dass es über Nacht besser wird. Ansonsten gehen wir morgen Früh gleich zum Arzt“, erklärt er. „Ich will nicht zum Arzt“, sage ich automatisch und starre meinen Fuß böse an, als ob ihn das dazu bewegen könnte, schneller zu heilen. „Wer will das schon“, murmelte Taro, aber er scheint entschlossen, seine „Drohung“ wahr zu machen. Ich meine, was erwarte ich auch. Nachdem ich ihn mit seiner Erkältung zur Krankenschwester geschleppt habe, wird er bei mir ganz sicher nicht Gnade vor Recht ergehen lassen. Zumal es wahrscheinlich wirklich notwendig ist, wenn Taro schon darauf besteht. „Hier“, sagt er und hält mir die Dose mit Keksen hin, die er normalerweise vor mir versteckt. „Nimm’s nicht so schwer. So schlimm wird es schon nicht sein.“ Er lächelt mich aufmunternd an. Ich erwidere das Lächeln automatisch und lange großzügig in die Keksdose. Wenn er mir schon mal welche anbietet, sollte ich auch zuschlagen. Genüsslich kaue ich und Taro lacht auf. *** Als ich mitten in der Nacht aufwache und in Taros entspanntes, schlafendes Gesicht schaue, frage ich mich plötzlich, wie ich nicht wissen konnte, warum ich ihn liebe. Er ist absolut liebenswert. Er ist das Beste, was mir in meinem ganzen Leben jemals passiert ist. Seine Fröhlichkeit ist ansteckend. Er ist immer für mich da. Er passt auf mich auf. Er ist mitfühlend und zuvorkommend. Wenn es nötig ist, umsorgt er mich und muntert mich auf. Ich widerstehe dem Drang, ihm sanft über die Wange zu streichen, und wünsche mir, dass mir endlich ein Plan einfällt, mit dem ich ihn für mich gewinnen kann. Denn Taro ist alles, was ich will. Kapitel 8: S wie Sturheit ------------------------- S wie Sturheit Taro zwingt mich am Morgen nicht, zum Arzt zu gehen. Was nicht heißt, dass es meinem Fuß gut geht. Es scheint aber etwas besser geworden zu sein. Dumm nur, dass ich davon überhaupt nichts merke. Bei jedem Schritt schießt ein stechender Schmerz mein Bein hinauf. Ich muss die Zähne zusammenbeißen, damit mir kein schmerzhaftes Stöhnen entweicht. „Vielleicht solltest du doch noch zum Arzt gehen“, sagt Taro besorgt, während ich mich erleichtert in der Schule auf meinen Stuhl plumpsen lasse. So schnell werde ich mich nicht vom Fleck bewegen. „Bei ner Bänderdehnung kann der auch nicht mehr tun als du“, erwidere ich stur. Ich will nicht zum Arzt. Ich hasse Ärzte. Was zugegebener Maßen auch darin liegt, dass ich sie mit Schmerz verbinde. „Ganz Unrecht hast du nicht“, stimmt Taro mir zu, und ich denke ich höre nicht recht, aber da schränkt er es schon wieder ein. „Aber ich kann nicht genau sagen, ob es nur eine Dehnung ist. Der Übergang zum Bänderriss ist fließend. Es ist also besser, dass sich das ein Fachmann ansieht.“ Ich gebe nur ein Murren von mir. Ich will nicht. „Sag mal, kann es sein, dass du Angst hast?“, stichelt Taro. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er damit an mein Ego appellieren will. Aber das wird nicht klappen, … nicht dieses Mal. „Quatsch, warum denn?“, entgegne ich und im selben Moment merke ich, dass das unüberlegt war. „Dann kannst du mir sicher den Grund nennen, warum du nicht zum Arzt willst.“ „Weil …“, beginne ich und dehnen das Wort. In meinem Kopf rast es und ich suche fieberhaft nach einer halbwegs passablen Begründung. „Ja?“, fragt Taro provokant nach. Er grinst breit. „… ich keinen Bock darauf habe, Zeit mit Warten zu verplempert und er mir dann auch nur das sagt, was du schon festgestellt hast“, sage ich spontan und dafür ist es echt gut. Für einen Moment sieht es auch so aus, als würde Taro sich damit abfinden. „Wir haben gleich ne Freistunde. Um die Zeit ist bei Ivagawa nicht soo viel los und ich habe nen ganz guten Draht zur Sprechstundenhilfe. Warten müsstest du wahrscheinlich nicht lange. Außerdem steht es noch gar nicht fest, dass er dir nichts anderes sagt. Und davon einmal abgesehen, kann er dir etwas verschreiben. Ein geeignetes Schmerzmittel zum Beispiel.“ Schmerzmittel klingt gut, muss ich mir eingestehen, aber … ich will nicht zum Arzt. „Sonst noch ein Argument, nicht zum Arzt zu gehen?“, fragt er belustigt. Mein Standardargument – viele Ärzte sind Stümper –, das Taro normalerweise bereitwillig teilt, brauche ich in diesem Fall gar nicht zu versuchen. Nach Taros Einschätzung ist Ivagawa ein guter Arzt. Deshalb wähle ich eine andere Ablenkungstaktik. „Wie kannst du bei Thema Arzt so schnell anderer Meinung sein?“, frage ich, obwohl ich weiß, dass er die Frage genauso gut an mich zurückgeben kann. „Weil es um dich geht!“, antwortete er sofort. … Ergibt das irgendeinen Sinn? Ich blicke ihn verständnislos an. „Ich erklär’s dir nur, wenn du zum Arzt gehst“, bestimmt er stur. Jetzt haben wir endgültig eine Pattsituation. Dickschädel gegen Dickschädel gleich Bewegungsunfähigkeit. „So wichtig ist das auch wieder nicht“, erkläre ich. Während der Diskussion hat er an mein Ego, meinen Verstand und meine Neugierde appelliert, aber ich bin nicht bereit nachzugeben. Vielleicht gerade deswegen. Ich will mich nicht manipulieren lassen. *** Die ganze Englischdoppelstunde sprechen wir nur das nötigste. Wir haben unseren Standpunkt klar gemacht und keiner ist bereit nachzugeben. Allerdings arbeitet der Schmerz gegen mich. Das Stechen ist zu einem dumpfen Pulsieren geworden. Ich will ein Schmerzmittel. Und zwar dringend. „Okay“, stimme ich schließlich zähneknirschend zu, „aber wehe der beknackte Fuß tut danach noch mehr weh.“ Taro nickt nur. Er kennt mich. Wahrscheinlich ist es ihm im Moment Triumpf genug, dass ich hingehe und ich ihm gegen über die Wahrheit eingestanden habe. Taro gegenüber den Schein zu wahren, macht selten Sinn. In der Arztpraxis drücke ich ihm meine Versicherungskarte in die Hand und lasse mich auf den einzigen, freien Stuhl im Empfangsbereich sinken. Wenn das hier seiner Meinung nach „nicht soo voll“ ist, will ich gar nicht erfahren, was in dieser Praxis „voll“ ist. Ich war zwar noch nicht im Wartezimmer, aber sicherlich stapeln sich die Leute dort. Von meiner Position aus werde ich Zeuge, wie Tata wieder einmal jemanden manipuliert. Sein charmanter Blick ist auch wirklich umwerfend. Keine Ahnung, ob er ihn benutzt. Ich kann sein Gesicht nicht sehen und das, was verschwörerisch getuschelt wird, dringt nicht an meine Ohren. Wenig später kommt er zufrieden grinsend auf mich zu. „Ich will ja nichts sagen, aber … ich bin gut“, erklärt er mit gedämpfter Stimme. „Ich habe deine Wartezeit gerade von etwa zwei Stunden auf höchsten zwanzig Minuten reduziert.“ „Gratuliere“, antworte ich und lächele erleichtert. „Und darf man erfahren, wie du das hinbekommen hast?“ „Da wir unbedingt pünktlich zurück in der Schule sein müssen, ich dich unglaublich gern habe und …“, sagt Taro und schenkt mir sein bestes charmantestes Lächeln, um zu verdeutlichen, was ich mir unter „und“ vorstellen darf. Mir setzt jedenfalls das Herz aus. Er sieht verboten gut aus. „Wie gern?“, frage ich einem Impuls folgend, der eindeutig von meiner Verliebtheit kommt. Für einen kurzen Moment verziehen sich Taros Mundwinkel zu einem breiten Grinsen, was „So viel wie nötig war“ bedeutet. „Und in Wahrheit?“, frage ich weiter. Ich kann die Frage nicht unterdrücken, also setze ich ein neckendes Grinsen auf. „Bedeutest du mir selbstverständlich noch viel mehr“, gibt er schelmisch zurück. Ich sehe ihm allerdings an, dass er mich wirklich gern hat. Was auch nichts Neues ist. Mein über Nacht geschmiedeter Plan, auszuloten, wie er zu bestimmten Themen steht, hat mir etwas Ruhe gegeben. Ich weiß jetzt, was ich machen will. Das ändern allerdings nichts daran, dass ich mich immer wieder dabei ertappe, wie ich ihn … mustere, um es freundlich auszudrücken. Nach dem Arztbesuch weiß ich nicht viel mehr über meinen Fuß. Es ist eine Bänderdehnung. Ich soll ihn kühlen und von Taro weiterhin tapen lassen. Schmerztabletten habe ich verschrieben bekommen und ich darf vier Wochen keinen Sport machen. Das ist eindeutig das Beste. Auf anderer Ebene bin ich allerdings schlauer geworden. Ich weiß jetzt zum Beispiel, dass Ivawara es immer wieder amüsant findet, wie Taro seine Sprechstundenhilfe manipuliert. Außerdem scheint Ivawara tatsächlich kompetent zu sein und Taro macht wirkliche gute Tapes. Auf dem Weg zur Schule zurück machen wir kurz Halt in der Apotheke, um das Schmerzmittel zu besorgen. Ich kann es kaum erwarten, dass das Zeug endlich wirkt. „Haben wir einen bestimmen Plan für Omata?“, fragt Taro, nach einem Blick auf die Uhr. „Ich bin dafür, dass wir die Wahrheit für unser Zuspätkommen sagen und du beim Umfallhergang etwas ausschmückst.“ „Ja, keine schlechte Idee“, stimme ich ihm zu. „Mal sehen, was sich ergibt.“ *** „Ah, Makato-kun“, ruft Omata aus, kaum dass ich die Türschwelle übertreten habe. „Was sagt der Doc?“ „Ach, halb so wild“, erwidere ich und winke ab. „Ist nur ne Bänderdehnung. Das einzig Dumme ist, dass ich für ne länger Zeit keinen Sport machen darf.“ Ein kurzer Blick in die Klasse zeigt einige Leute, die grinsen oder lächelnd den Kopf schütteln. Diejenigen, die mich halbwegs kennen, wissen, dass ich über das Sportverbot eher jubel. „Na ja, da lässt sich nichts machen. Aber das gilt ja zum Glück nur für die Sachen, bei denen man die Füße belasten muss“, erklärt er grinsend und zwinkert mir zu. „Ja“, stimme ich gedehnt zu, obwohl die Anmerkung im Grunde nicht kommentarwürdig ist. „Und warum war Taro-chan mit?“, fragt Omata. Es klingt nicht vorwerfend, sondern einfach nur neugierig. Ich werfe einen Blick zu Taro, der schüchtern etwas hinter mir stehen geblieben ist. Unsere Augen treffen sich kurz und ich weiß, dass er die Sache übernehmen wird. „Ich kenne den Arzt ganz gut“, erklärt Taro zurückhaltend. „Und normalerweise ist zu dieser Zeit recht viel los und da Toto keinen Unterricht verpassen wollte, bin ich mitgekommen und hab darum gebeten, ihn dazwischenzuschieben.“ „Ah“, macht Omata gedehnt. Anscheinend ist er überrascht über Taros „Kontakte“. „Und ich dachte schon, du brauchtest jemanden zum Händchen halten.“ Er schlägt mir kumpelhaft auf die Schulter und lacht. „Händchen halten?“, echo ich in einer Mischung aus Ungläubigkeit und Empörung, die gar nicht mal so sehr gespielt ist. „Ja, du weißt schon: Man versinkt in sanften, rehbraunen Augen und alles um einen herum ist vergessen“, meint er, stemmt die Hände in die Hüften, legt den Kopf in den Nacken und lacht lauthals. Ich nutze den Moment, um die Augen zu verdrehen. Der Typ hat sie echt nicht mehr alle. „Wenn ich jemanden zum Händchen halten brächte, würde ich Tata mitnehmen“, erkläre ich und verschränke die Arme der Brust. Das stimmt sogar. Auch wenn es eindeutig andere Gründe hätte. Taro tritt unruhig von einem Bein aufs andere und sieht mich fragend an. „Ach ja, tatsächlich?“, fragt der Lehrer und sekundenspäter schwebt sein Gesicht nur wenige Zentimeter vor Taros. Dieser zieht den Kopf zurück und gibt ein unbehagliches „Huh?“ von sich. Ich glaub, es hakt, denke ich verärgert, greife nach Taros Hand und ziehe ihn zu mir hinüber. Das Wort „Privatsphäre“ scheint der Kerl in jeglicher Hinsicht nicht zu kennen. „Rehbraune Augen hat er aber nicht“, wirft er in den Raum. Keine Ahnung, was er mir damit sagen will. Denn eigentlich kann er der Sache mit den Augen keine dermaßen große Bedeutung geben. Ich schaue Omata an. Okay, der kann es vielleicht doch. „Ja. Und?“, entgegne ich und schaue ihn herausfordern an. „Ich mag Grün so oder so lieber als Braun!“ Taro blinzelt verwirrt und Omata blickt mich ungläubig an. Nach einem Moment grinst er breit. „Na, wenn das so ist …“ Während wir zu unseren Plätzen gehen – wobei ich eher humple, denn das verdammte Schmerzmittel wirkt immer noch nicht –, frage ich mich irritiert, was Omata mit seinem Spruch wirklich gemeint hat. Ich überprüfe alle Wörter auf möglichen Zweideutigkeiten. Abgesehen von „versinken“ fällt mir nichts ein, dass in den Bereich von Omatas „Lieblingsthema“ fällt, aber das wäre im vorgegebenen Situationsrahmen nicht durchführbar – außer man will den Arzt verscheuchen und seine eigenen „Doktorspiele“ machen … wo wir auch schon bei einem der heutigen Themen des Sozialkundeunterrichts wären. Genervt seufze ich auf, als der Lehrer nach einer Zeitstunde den Raum verlässt, um ein Arbeitsblatt zu kopieren. Ich bezweifele, dass ich wissen will, was darauf ist. „Ich möchte, dass du weißt, wie Leid mir das tut“, sagt Taro reumütig und tätschelt mir die Hand. „Aber jetzt weiß ich ja, was ich beim nächsten Mal besser machen muss.“ „Was meinst du?“, frage ich und kann mir ein Grinsen doch nicht verkneifen. „Mir tröstend an den Schultern zu knappern, kurz nachdem ich mich verletzt habe oder beim Doktor Händchen zu halten?“ „Beides natürlich!“, erwidert er schelmisch. „Es wird nicht wieder vorkommen. Und ich werde dich selbstverständlich entschädigen.“ Die letzten Worte gehen fast in unserem Gelächter unter. „Dann solltest du die restliche Zeit gut aufpassen, damit du ein paar Anregungen bekommst“, kichere ich und wir müssen uns arg zusammenreißen, als Omata wieder den Raum betritt. Es folgen weitere Anekdoten über Arztbesuche. Genau genommen wann er welche Sprechstundenhilfe beziehungsweise Ärztin wie rungekriegt und flachgelegt hat. Und nicht zu vergessen, ob sie erwischt wurden und im Allgemeine, welche Folgen der Spaß gehabt hat. Als die „Aufklärungsstunde für Fortgeschrittene“ endlich zu Ende ist, kommt Vivian auf uns zu. „Wir wollen zusammen essen gehen und danach noch Billardspielen. Habt ihr Lust?“, fragt sie begeistert. „Nein“, geben wir synchron zurück. Wenn ich nur daran denke, mich quer durch die Stadt zu schleppen, nur um Billard zu spielen, vergeht mir die Lust ganz schnell. Abgesehen davon kocht Taro jeden Donnerstag. Ich bin doch nicht bescheuert und gehe stattdessen essen. Das tue ich so schon häufig genug. „Seid ihr sicher?“ „Ja“, lautet die stumpfe Antwort. Ich habe keine Ahnung warum, aber Taro scheint von der Idee ebenso begeistert zu sein wie ich – nämlich gar nicht. „Aber das wird bestimmt lustig“, versucht Vivi es noch einmal. „Sorry, Viv. Aber wir haben kein Interesse“, brummt Taro, während ich sie nur genervt ansehe. Eigentlich müsste sie die Formel „Sturkopf Tata + Sturkopf Toto = absolute Chancenlosigkeit“ inzwischen kennen. „Okay, schon verstanden“, murrt sie. „Viel Spaß bei was auch immer ihr vorhabt.“ *** „Und Anregungen bekommen?“, frage ich Taro nach dem Mittagessen. Langsam beginnt mir dieses Spielchen Spaß zu machen. Ich erfahre zwar immer nur gar nichts bis wenig, von dem, was ich wissen will, aber seinen Witz hat es auf jeden Fall. Da ich mich auf dem Sofa ausgestreckt habe, muss ich den Kopf anheben, um Taros Reaktion mitzubekommen. Er lässt sich grinsend in den Sessel neben dem Sofa sinken. „Aber natürlich“, bestätigt er. „Und nicht nur das. Ich habe einen weiteren Fehler meinerseits bemerkt.“ „Und zwar?“, frage ich neugierig. „Na, dass ich es versäumt habe, während du beim Doktor warst, mit dessen Sprechstundenhilfe zu schlafen“, erklärt er und wir beginnen beide zu lachen. „Der Typ hat eindeutig nen Schaden. Nach seinen Stunden fühle ich mich hin und wieder echt beschmutzt. Und du weißt, dass ich alles andere als prüde bin.“ „Hm“, gebe ich erst nur nachdenklich von mir, dann spreche ich meine Gedanken aus. „Ja, er hat es echt drauf, Sex als etwas wirklich Versautes darzustellen. Wahrscheinlich merkt es das gar nicht. Sag mal, hast du den Spruch mit dem Händchenhalten verstanden?“ Taro legt den Kopf schief. Kurz darauf lächelt er zufrieden. „Ich glaube schon. Du nicht, hm?“ „Wie kommst du nur darauf?“, frage ich ironisch. Ich mag es nicht, wenn andere Leute Oberwasser haben. Selbst bei Taro fällt es mir nicht leicht, es zu akzeptieren. Zumindest nicht in Bereichen von denen ich normalerweise Ahnung habe. „In die Omata-Ebene bin ich nicht ganz vorgedrungen.“ „Hab ich mir schon gedacht, als du gesagt hast, du magst Grün lieber als Braun“, meint Taro und zuckt mit den Schultern. „Der Spruch war ’n guter Konter und ein schöner Startschuss für eine Scheinbeziehung.“ Na wenigstens etwas, denke ich, während ich darauf warte, dass er mir den Spruch endlich erklärt. „Du hast doch Lust, oder?“, fragt er und ich meine, ein klein wenig Unsicherheit in seiner Stimme zu hören. „Ja, klar. Warum auch nicht“, murmele ich, obwohl mir einige gute Gründe einfallen, es nicht zu tun. Auf der anderen Seite freue ich mich schon unheimlich auf die nächste Zeit. „Aber jetzt sag schon, wie er das gemeint hat. Außerdem schuldest du mir auch noch ne andere Erklärung.“ „Ersteres werd ich dir gar nicht erklären und letzteres erst später“, bestimmt er und seine Augen funkeln amüsiert. Ich will protestieren, halte aber inne, als Taro sich neben mich aufs Sofa sinken lässt und sich über mich beugt. „Aber ich kann dir zeigen, wie man in sanften, nicht-rehbraunen Augen versinkt.“ Wie gebannt sehe ich ihn an. Ich schlucke. Was jetzt wohl kommt? Um die Spannung etwas zu lockern, sage ich: „Ach, du weißt ja. Tannenbaumgrüne Augen mag ich eh lieber.“ „Tannenbaumgrün?“, wiederholt er gespielt empört und piekst mir in die Seite. „Ja, das war das erste, was mir einfiel, dass auch nur im entferntesten ins Wortfeld von ‚Reh‘ passt“, gebe ich grinsend zurück. Er schüttelt lächelnd den Kopf und greift nach meinen Händen. „Meinetwegen“, sagt er. Eine Hand umschließt er fest mit seiner, die andere hebt er an und vergräbt sie in seinen weichen Locken. „Dann zeig ich dir als erste Übung für unsere Scheinbeziehung, wie man in sanften, tannenbaumgrünen Augen versinkt!“ Die Betonung liegt auf „sinkt“ und ich begreife, was er meint, als er mit unseren Händen seinen Kopf in Richtung meines Gesichtes drückt. Meine Augen kleben an seinen, die mich wirklich enorm sanft anblicken, obwohl ich inzwischen weiß, dass es darum nicht geht. Grün kann wirklich toll sein, bemerke ich, bevor sich meine Lider automatisch senken. Als sich unsere Lippen berühren und wir uns küssen, vergesse ich tatsächliche alles um mich herum. Kapitel 9: O wie Orientierung ----------------------------- Hallo! Nach einer Urlaubspause, in der ich leider keinen PC hatte, geht es pünktlich weiter. Ich hoffe, euch gefällt das Kapitel! LG Zyra --- O wie Orientierung „Hach ja, ich liebe Anfang Mai“, seufze ich zufrieden und lehne mich auf meinem Lieblingsplatz in der Bar zurück. „Unauffälliger wäre es gewesen zu sagen: ‚Ich liebe den Frühling‘!“, wirft Taro grinsend ein. Sein Ton ist tadelnd, aber sein Gesichtsausdruck straft ihn Lügen. „Du solltest lieber inne halten und der Verfassung gedenken, anstatt in einer Kneipe zu sitzen.“ „Ja, du hast vollkommen Recht“, stimme ich mit ein. „Und die Natur ist wirklich etwas Tolles und Kinder … na ja, ein notwendiges Übel zum Fortbestehen der Nation.“ „Absolut“, pflichtet Taro mir bei. Sowie eigentlich jeder Schüler und viele Arbeitnehmer sich freut. Drei Feiertage hintereinander sind schon ein Traum, besonders wenn sie auch noch ein verlängertes Wochenende bilden. Das ist dieses Jahr zwar nicht der Fall, aber bei drei freien Tagen kommt man nicht so schnell auf die Idee, sich zu beklagen. „Und Flensburger Frühlingsbock“, füge ich breit grinsend hinzu, als ich sehe, wie ein Kellner die Getränketafeln ergänzt. Wieder einmal wird mir deutlich vor Augen geführt, warum dies meine Lieblingsbar ist. Die Auswahl ist einfach gigantisch. „Du hast hoffentlich nicht vor dich zu betrinken“, warnt Taro mich, nachdem er meinem Blick gefolgt ist. „Denk an das Schmerzmittel. Eigentlich solltest du gar keinen Alkohol trinken.“ „Ja“, gebe ich gedehnt zurück. Ich bemühe mich, nicht allzu genervt zu wirken. Aber er lässt wirklich kaum eine Gelegenheit aus, mich an meinen kaputten Fuß zu erinnern. Es stört, obwohl ich im Grunde froh darüber sein sollte, dass er es tut. Denn seitdem das Schmerzmittel wirkt, neige ich dazu die Verletzung auszublenden. „Aber dieses eine Bier – und ja ich weiß, dass es ein starkes ist – werde ich mir gönnen. Was ist mit dir, Tata? Bleibst du mir zu Liebe auch nüchtern?“ Die Fragen sind Teil meines Plans. Für mich steht jetzt endgültig fest, dass ich im Kleinen wie im Großen mehr über Taro herausfinden will. Was empfindet er für mich, ist die große Frage und um das herauszubekommen, will ich die Fragen klären: Was kann ich mir erlauben? Was tut er für mich? Wie reagiert er auf mich? „Okay, meinetwegen. Als einziger nüchtern zu sein, ist echt beknackt. Aber ein Bier werde ich mir dann auch erlauben“, stimmt er zu. Er hat zwar noch nie zu den Leuten gehört, dessen Ziel ist, sich zu betrinken, angetrunken ist er allerdings schon das ein oder andere Mal. „Danke!“, sage ich und lächele strahlend. „Hey, wir können uns über die anderen lustig machen. Außerdem lade ich dich zum Essen ein.“ Ein gewagter Vorschlag. Normalerweise stößt man damit bei Taro auf taube Ohren. Er hasst es, wenn ich ihm „grundlos“ etwas ausgeben will. Jedoch möchte ich heute die Grenzen dessen austesten. „Jetzt übertreib mal nicht“, meint er sogleich. „Ach komm schon. Weil ich es bin“, versuche ich ihn zu erweichen. Es ist eine ganz andere Strategie, als die, die ich sonst wähle. Üblicherweise argumentiere ich über Logik und Vernunft, indem ich versuche Dinge zu finden, die dafür sprechen. Dieses Mal mache ich es anders und verlagere das Thema auf die persönliche Ebene. „Was ist denn das für ein Grund?“, fragt Taro mich gleich und hebt zweifelnd eine Augenbraue. Ich glaube, Verwunderung in seinen Augen wahrzunehmen. Mit dieser Taktik scheint er nicht gerechnet zu haben. „Weil ich sonst wieder so schief vom Kellner angesehen werde, wenn ich ein Menü für vier Personen für mich allein bestelle. Weil ich sonst weniger Auswahl habe. Weil ich ohne dich nachher sicherlich der einzige Nüchterne wäre. Weil ich dich einfach gern habe“, zähle ich auf, obwohl das in meinen Augen eigentlich gar keine Argumentation ist. Zumindest keine, die für ihn relevant sein sollte. Mit Ausnahme vom letzten Punkt, vielleicht. Taro lacht. Anscheinend amüsiert ihn mein Vorgehen. Ich rechne schon mit einer ablehnenden Bemerkung, aber zu meiner Überraschung antwortet er: „Ich zahle ein Drittel!“ Das ist mehr, als ich erwartet hatte, aber ich bin noch nicht ganz zufrieden. „Ein Viertel“, sage ich und als er zweifelnd eine Augenbraue hebt, füge ich hinzu: „Ansonsten passt das Wort „Einladung“ nicht mehr.“ Lächelnd schüttelt er den Kopf, aber wohl über mich, denn er erklärt sich mit meinem Angebot einverstanden. Triumphierend winke ich den Kellner herbei und bestelle uns je noch eine Cola sowie das Menü. „Weißt du schon, wann Maemura mit den Renovierungsarbeiten fertig ist?“, frage ich. Die Frage drängt sich nach der „Diskussion“ auf, denn normalerweise hätte ich mit Sicherheit darauf verwiesen, dass Taro im Moment nicht arbeitet und somit wenig Geld zur Verfügung hat. „Irgendwann in den nächsten Wochen“, erwiderte er und ich sehe ihm an, dass ihm die nächste Woche am liebsten wäre. Ich habe schon bemerkt, dass er mit seinem Geld in letzter Zeit extrem sparsam ist. „Ich werd am Freitag mal bei ihm anrufen. Je nach dem wann er wieder öffnet, muss ich noch mit ihm sprechen, dass er mich abends nur in der Küche einsetzt.“ „Warum das denn?“, frage ich verwundert. Das, was den Job für ihn so „lukrativ“ macht, ist, dass er an so vielen Stellen arbeiten kann. Halt gerade dort, wo jemand gebraucht wird. Küche, Bar, Service. Dafür dehnte Maemura hier und da auch schon mal eine Regel. „Wegen meiner Rolle“, antwortet Taro sofort. „Der Kneipenteil des Heartbeats wird für Omata sicherlich nicht sooo attraktiv sein, die Disko dafür umso mehr. Es würde nicht passen, selbst wenn ich meine Rolle spielen würde. Aber ganz ehrlich, als Barkeeper oder Kellner hab ich darauf überhaupt keinen Bock!“ „Hm“, stimme ich ihm nachdenklich zu. Ich versuche mir Taro seine Rolle spielend als Barkeeper oder Kellner vorzustellen. Es will mir nicht recht gelingen. Selbst wenn er das Verstellen aufrecht halten könnte, würde es ihm sicherlich nur Ärger einbringen. Mit unserem Essen trudeln langsam auch unsere Freunde ein. *** „Also, Tata“, meint Vivi später am Abend. „Was schuldest du Nono noch für einen Wetteinsatz?“ Unwillkürlich horche ich auf, obwohl ich gerade in eine Diskussion über Sport mit Caca vertieft bin. Und Diskussionen mit Caca sind im Normalfall so fordernd und amüsant, dass ich sie nicht so schnell unterbreche. Aber wenn es um Küsse von Taro geht … immer wieder gern. „Mach ruhig“, sage ich zu Taro. „Mir ist es egal, wann du ihn einlöst.“ „Uhu“, gibt Vivi gedehnt von sich. „Toto hat etwas damit zu tun. Das kann ja lustig werden.“ „Nicht für dich, Vivi“, mischt Nono sich feixend ein. „Schließlich hast du keine Kamera dabei.“ „Hä?“, erwidert Vivi. Sie ist schon etwas angetrunken und dementsprechend langsam mit dem Kombinieren. „Oh, wie sieht es eigentlich mit der Scheinbeziehung aus? Macht ihr das nun? Meiner Meinung nach interpretiert Omata so etwas schon in euer Spiel hinein.“ „Das läuft an“, bestätigt Taro und fährt sich nachdenklich durch die Haare. „Wir sind schon am überlegen und planen.“ „Jetzt kannst du ja schon mal etwas üben“, wirft Caca ein, die anscheinend über die Wette informiert ist. Aber wen wundert’s? Sie ist die beste Freundin von Nono, und die ist ja maßgeblich an der Wette beteiligt. Ich zucke mit den Schultern, als Taro mich fragend ansieht. Soll heißen: Mach ruhig, mir ist es recht. In Wahrheit ist es mir mehr als recht, wenn alle denken, es hätte was mit der Scheinbeziehung zu tun. Nen kleinen „Fehltritt“ kann ich mir in dem Fall nämlich leisten. „Tja dann“, meint Taro und ehe ich mich versehe, sitz er auf meinem Schoss. Seine Arme schlingt er um meinen Hals. „Cathrin, Ryo, haltet mal seine Arme fest. Nicht, dass er am Ende so verzückt ist, dass er mich nicht mehr loslassen will“, feixt er. Die anderen lachen und ich sehe, dass die beiden wirklich nach meinen Armen langen. Ich entgehe ihrem Griff und lege sie provokant um Taros Taille. „Da wirst du dich aber ganz schön anstrengen müssen“, gebe ich zurück, was eine glatte Lüge ist, denn im Grunde will ich ihn schon jetzt nicht mehr loslassen. Taro lächelt neckisch und ich sehe ihm an, dass er die Herausforderung annimmt. Na prima. Schon wieder stecke ich in meinem in letzter Zeit typisch gewordenen Zwiespalt. „Angenehm“ versus „Gefährlich“. Die Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie ich mich verhalten soll, bekomme ich nicht. Taros Hände vergraben sich in meinen Haaren und zwingen mich mit sanfter Gewalt, meinen Kopf in den Nacken zu legen. Gleich darauf beginnt er mein Gesicht zu küssen. Automatisch schließe ich die Augen und genieße die sanften Bewegungen seiner Lippen. Sie wandern über meine Schläfen, meine Stirn, meine Augen, meine Wangen, meine Nase, mein Kinn bis sie schließlich auf meinen Lippen zum Liegen kommen. Ich lasse ihm machen, genieße einfach nur. Er gibt sich wirklich Mühe, seine Worte wahr werden zu lassen. Ich handele intuitiv und versuche nicht zu verbergen, wie sehr mir seine Berührungen gefallen. In dieser Situation kann ich es mir erlauben. Dafür achte ich darauf, dass meine Arme entspannt um Taros Taille liegen. Wenn ich sie fest um ihn schlänge, wäre das ein Zeichen dafür, dass er recht hat. Solange ich das nicht tue, wird sein Ehrgeiz ihn noch ein bisschen weitertreiben. So schnell gibt Taro nicht auf. Seine Lippen bewegen sich fordernd. Seine Zunge streicht bittend über meine Lippen. Er knappert neckisch an meiner Unterlippe. Langsam aber sicher bricht er meinen Widerstand. Eigentlich wollte ich ja nicht darauf eingehen. Irgendwann öffne ich dann doch meinen Mund und gewähre ihm Einlass. Er nutzt die Gelegenheit sofort und erkundet spielerisch meinen Mund. Immer wieder stupst seine Zunge die meine an, bis ich schließlich darauf eingehe. Der Kuss wird immer fordernder, bleibt aber zärtlich. „Das gibt’s doch nicht“, meint Taro, nachdem er den Kuss beendet hat. Meine Arme liegen immer noch locker um seine Taille. „Anscheinend doch“, murmele ich triumphierend und grinse ihn von unten herauf an. Mit einer Hand streiche ich seinen Rücken hinauf und kraule durch die weichen Locken. „Aber für einen naiven, schüchternen, süßen Jungen war das ganz schön beeindruckend.“ „Ich weiß“, gibt Taro selbstbewusst zurück. Als er sich erheben will, halte ich ihn zurück. Fragend hebt er eine Augenbraue. „Du willst doch jetzt wohl noch nicht gehen, Sweety“, hauche ich ihm entgegen und es fällt mir überhaupt nicht schwer, verführerisch zu klingen. Unsere Freunde, die bis jetzt still gewesen sind, brechen in schallendes Gelächter aus. Anscheinend habe ich den typischen Omata-Ton getroffen. „Was kann ich denn sonst noch für dich tun, Honey“, antwortet Taro lasziv. Wir schauen uns einen Moment in die Augen und werden danach vom Lachen unserer Freunde angesteckt. Als Taro wieder neben mich auf die Bank rutscht, sehe ich, dass sie teilweise schon Tränen in den Augen haben und auf den Tisch klopfen. *** „Hey, Schlafmütze, aufwachen!“, vernehme ich Taros eindringliche, aber amüsierte Stimme. „Was ist denn los?“, frage ich verschlafen und blinzele. „Om hat uns über das verlängerte Wochenende zu sich aufs Land eingeladen“, erklärt Taro und ehe ich reagieren kann, ist meine Decke futsch. „Welches verlängere Wochenende?“, frage ich schwerfällig. Am Freitag müssen wir ja zur Schule. „Das verlängerte Wochenende, das sie uns verschafft hat, indem sie mit Yamaguchi gesprochen hat“, erwiderte Taro und ich sehe ihm an, wie zufrieden er ist. „Cool“, gähne ich, womit ich das Wort ziemlich in die Länge ziehe. „Reicht es nicht, wenn wir heute Nachmittag da sind? Wie viel Uhr ist es überhaupt?“ Als ich nach meiner Decke lange, ist Taro darauf vorbereitet. Er kennt mich sehr genau. Dass mein Ausspruch für mich bedeutet, dass es meiner Meinung nach definitiv reicht am Nachmittag anzukommen, ist ihm anscheinend klar gewesen. „Es ist viertel vor neun. Das Wetter ist wunderbar und ich will den Tag im Grünen genießen. Du weißt schon, Tag der Natur“, meint er gutgelaunt. Und ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass dieser Ton für mich nichts Gutes verheißt. Lange zu schlafen, kann ich abschreiben. „Ja, ja“, brumme ich wenig begeistert. Ein paar Minuten kann ich vielleicht noch herausschlagen. „N bisschen mehr Begeisterung, wenn ich bitten darf“, verlangt Taro mit einem übertriebenem Grinsen im Gesicht. Toll. Jetzt macht er sich auf noch über mich lustig. Na, wenigstens bin ich so wach, dass ich es bemerke. „Na los, Dornröschen. Aufstehen!“ „Mmm“, murre ich widerwillig und murmele in Erinnerung an das Märchen: „Dornröschen musste erst wach geküsst werden. Und das auch erst nach 100 Jahren. Du bist also viiieeel zu früh.“ Ich habe gerade die Augen geschlossen und mich bequem auf die Seite gerollt, als ich Taro Lippen auf meinen spüre. Genießerisch seufze ich auf. Der Junge kann vielleicht gut küssen. Ich gebe mich dem Gefühl hin und merke nur am Rande, dass er mich auf den Arm nimmt und wir uns bewegen. Auch das Rauschen des Wassers ignoriere ich. „Jetzt wach?“, fragt Taro nach einem Moment keck. „Uhm, nee“, gebe ich zurück. Zum einen, weil es wirklich stimmt und zum anderen in der Hoffnung auf noch so einen Kuss. „Tja dann“, erwidert er und seine Stimme lässt böses ahnen. Bevor ich überhaupt die Augen öffnen kann, läuft mir eiskaltes Wasser übers Gesicht. „Arg verdammt“, fluche ich und reiße die Augen auf. Ein nasser Waschlappen schwebt über mir, der mir im nächsten Moment ins Gesicht klatscht. „Arsch“, murre ich, aber Taro setzt mich nur schnell auf der Toilette ab und verlässt lachend das Bad. „Deine Märchenkenntnis war auch schon mal besser, Litaro Tarimo“, rufe ich ihm hinterher, nachdem ich den Waschlappen ins Waschbecken gepfeffert habe, aber das Lachen erlischt nicht. Seufzend ergebe ich mich meinem Schicksal. *** „Hier ist es“, sagt Taro, als wir auf eine Lichtung hinaustreten. „Na endlich!“, murre ich und laufe den leichten kurzen Abhang herunter, um die Picknickdecke auf gerader Fläche auszubreiten. Dieser Tag ist echt nicht mein Glückstag. Kaum waren wir im Landhaus meiner Oma angekommen, teilte uns ihr Hausverwalter mit, dass sie noch Einkaufen gefahren sei, weil sie vor dem Nachmittag nicht mit uns gerechnet habe. Kurzerhand hat Taro vorgeschlagen ein Picknick zu machen. Beim ersten Hören klang das echt toll. Picknicken bedeutet Essen und essen tue ich immer gerne. Was ich da noch nicht wusste, ist, dass Taro sich eine bestimmte Wiese ausgeguckt hatte, die bestimmt nen Kilometer entfernt liegt. Normalerweise nicht soo das Problem, wenn man aber dank einer Bänderdehnung verdammt vorsichtig beim Laufen sein muss und es auch noch quer durchs Gelände geht, sieht die Sache schon ganz anders aus. Ich werfe meine Schuhe neben mir ins Gras, strecke mich auf der Decke aus und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Eine leichte Brise streicht mir kühlend übers Gesicht. Blätter rascheln im Wind und im ganzen Wald ist Vogelgezwitscher zu hören. Und wenn ich die Augen wieder öffnen würde, sähe ich eine saftig grüne Wiese mit vielen bunten Blumen … von denen ich gerade sicherlich einige platt gemacht habe. Im Moment ist das mein befriedigendster Gedanke. „Es ist wirklich schön hier“, verkündet Taro und ich höre regelrecht, dass er lächelt. „Hm“, brumme ich nur. Unter anderen Bedingungen würde ich ihm vielleicht sogar zustimmen. Aber ich spüre einen leichten Schmerz in meinem Knöchel, weil ich gerade einen Kilometer über Stock und Stein gelaufen bin. So viel schöner, als die Wiese hinter Oms Haus kann diese gar nicht sein, dass ich halbwegs gute Laune haben könnte. „Hier Muffelli“, meint Taro seufzend und legt etwas auf meiner Brust ab. Als ich die Augen öffne und den Kopf hebe, erkenne ich mehrere Reisbällchen auf einem Pappteller. „Danke“, murmele ich, schnappe mir eins und beiße herzhaft hinein. Von Taro gemacht, signalisieren mir meine Geschmacksnerven sofort. „Die sind gut.“ „Freut mich“, bedankt er sich und macht es sich neben mir auf der Decke bequem. Eine Weile essen wir still, obwohl von Stille eigentlich nicht die Rede sein kann, bei dem ganzen Trara, das die Tiere im Wald veranstalten. „Du schuldest mir noch eine Erklärung“, sage ich irgendwann spontan. Neben mir dreht sich Taro auf die Seite, stützt seinen Kopf auf einem Arm ab und sieht auf mich herab. „Stimmt“, bestätigt er, „das ist aber mehr eine Theorie.“ „Dann erklär mir deine Theorie“, antworte ich nur. „Normalerweise kann ich meinen Körper relativ gut einschätzen, wenn ich allerdings Medikamente nehme, dann verzerrt sich mein Einschätzungsvermögen, weil zum Beispiel bei Schmerzmitteln eine Betäubung einsetzt. Bei dir kann ich das logischerweise nicht so gut und da ich mir halt Sorgen um dich mache, schicke ich dich eher zum Arzt, damit sich dein Leiden jemand ansieht, der mehr Ahnung hat als ich.“ „Klingt logisch“, stimme ich zu, schränke aber sofort ein: „Das erklärt aber immer noch nicht, warum du selbst dann nicht zum Arzt gehen willst, wenn es dir wirklich schlecht geht.“ „Mhm“, gibt er erst nur von sich und ich sehe, wie sich seine Augen verdunkeln. Es ist so, als würde er in die Vergangenheit blicken. Und ich sehe Schmerz und Trauer. „Wenn ich krank bin, schwach bin, fühle ich mich oft an die Zeit erinnern, kurz nachdem ich meine Mutter verloren habe. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit, das geradezu Übelkeit erregend ist. Du bist der wichtigste Mensch für mich, viel wichtiger, als meine Mutter damals für mich war, und um nichts in der Welt will ich dich verlieren. Ich bezweifele, dass ich den Verlust verkraften würde. Du weißt, wie es mir in der Zeit ging, in der ich dachte, du seist tot. Wenn ich nur an das Gefühl denke … Da ich mich halt besser einschätzen kann, wenn ich keine Medikamente nehme, gehe ich solange wie möglich nicht zum Arzt. Es ist nichts Rationales. Es ist mehr eine Angst, was passieren könnte, wenn ich mich und meine Umgebung nicht richtig einschätzen kann.“ Jetzt verstehe ich, was Taro damals mit „Es resultiert aus einem Gefühl“ gemeint hat. Und ich kann auch seinen extremen Beschützerinstink mir gegenüber nachvollziehen. Ich lächele ihn an. „Versprichst du mir etwas?“, frage ich. „Kommt drauf an“, erwidert er. „Geht ab jetzt zum Arzt, wenn es dir nicht gut geht. Gutes Selbsteinschätzungsvermögen hin oder her. Bestimmte Krankheiten und Verletzungen kann nun mal nur ein Arzt feststellen. Ich verlange nicht, dass du irgendwelche Medikamente nimmst, wenn es nicht notwendig ist. Aber ich will dich nicht verlieren, weil irgendeine Krankheit aufgrund deines Beschützerinstinkts nicht entdeckt wurde. Ich würd nämlich auch ziemlich am Rad drehen, wenn ich dich verliere!“ „Okay, darauf können wir uns einigen“, stimmt er zu und schmiegt sich an meine Brust. „Ich darf doch?“ „Ja klar. Das gehört doch immer dazu“, sage ich in Gedanken an unsere Scheinbeziehung. Natürlich kann ich mir denken, dass er in diesem Moment wohl nur meine Nähe spüren will. Aber das muss ich ihm nicht auf die Nase binden. Ich habe keine Ahnung, wie er darauf reagieren würde. „Mhm“, meint er nur und legt eine Hand neben seinem Kopf ab. Ich schlinge einen Arm um seinen Rücken und plötzlich kommt mir eine Idee, wie ich ihn zum Lachen bringen kann. Ich schiebe eine Hand unter sein T-Shirt und suche nach der Stelle, die der Auslöser dafür war, dass wir beschlossen haben, dass wir die Nähe des anderen absolut gewöhnt sein sollte und wir den Körper des anderen halbwegs kennen sollten. Während ich einen Finger über Taros Seite kreisen lasse, was er mit einem zufriedenen Seufzen quittiert, muss ich unweigerlich an die Situation zurückdenken. Wir probten damals gerade für unsere erste Scheinbeziehung. Ich hielt ihn eng umschlungen, strich mit meinen Finger leicht über seine Seite und plötzlich fing er anzulachen. Genau wie in diesem Moment auch. Nur dass er es jetzt versucht, es zu unterdrücken. „Hey, lass das“, bringt er stockend hervor. „Wieso? Ich muss doch wissen, ob du hier“ Ich lasse meinen Finger provokant über der Stelle kreisen. „immer noch so kitzelig bist.“ „Das weißt du ja jetzt“, meint er und kichert unterdrückt. Recht hat er, aber das hab ich von Anfang an geahnt. Es macht Spaß, ihn auf diese Art zu reizen. Und sein Lachen ist einfach himmlisch. Warum sollte ich also damit aufhören? Ich schlinge meinen zweiten Arm um ihn, und versuche ihn ruhig zu halten. Es entsteht eine kleine Rauferei, bei der wir lachend über die Wiese kullern. Dummerweise habe ich in dem Moment, als ich das angefangen habe, vergessen, dass Taro den Spieß gerne umdreht und noch dazu stärker ist als ich. So ist es nicht verwunderlich, dass ich mich irgendwann unter ihm wiederfinde. Mit einer Hand drückt er meine Arme über meinem Kopf ins Gras. Er sitzt auf meiner Hüfte und hält meinen Körper mit seinem Gewicht am Boden. Ich spüre ihn zu deutlich, während ich mich unter ihm winde, um vielleicht doch noch eine Möglichkeit zu finden, mich zu befreien. „Dann wollen wir mal sehen, wo du besonders empfindlich bist“, verkündet Taro breit grinsend und seine andere Hand schlüpft unter mein Hemd. Überrascht keuche ich auf, als ich seine Hand sanft über meinen Oberkörper streichen spüre. Auf diese Art und Weise hat er mich noch nie berührt. Während ich wenig später doch noch in schallendes Gelächter ausbreche, weil er mich kitzelt, komme ich nicht umhin, zu bemerken, dass mein Plan zur Orientierung bestens funktioniert. Es sieht ganz danach aus, als ob ich so mehr in Erfahrung bringen kann. Vielleicht auch das, was ich wirklich wissen will. Kapitel 10: H wie Humor ----------------------- Hallo! Wie einige sicher schon gemerkt haben, bilden die Kapitel ein Wort. Wer das Wort erkannt hat, weiß wie viele Kapitel es noch werden. Dann kommt noch der Epilog, der den Satz zu Ende führt. Mit anderen Worten: Wir steuern langsam aber sicher auf den Höhepunkt und später das Ende zu. Na ja, jetzt erst einmal viel Spaß mit diesem Kapitel! LG Zyra --- H wie Humor „Wie seht ihr denn aus?“, schallt uns Oms Stimme entgegen, als wir immer noch unterdrückt lachend durch den Garten auf die Villa zu schwanken. Man könnte denken, wir seien betrunken oder hätten einen ordentlichen Sonnenstich. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, wir seien betrunken oder hätten einen ordentlichen Sonnenstich. Bei dem sinnvolles Gekicher und unserem Getorkel. „Wir haben spontan entschieden, eine Wiese platt zu machen“, erkläre ich breit grinsend und ein Seitenblick zeigt mir, dass Taro ebenso übers ganze Gesicht strahlt. Om hebt zweifelnd die Brauen. „Hättet ihr dafür nicht auch die ‚Rasendes Rhinozeros‘ –Methode nehmen können?“, fragt sie vorwurfsvoll. „Eure Klamotten sind voller Grasflecken.“ „Ne, das lief eher wie ne Doppelwalze ab. Das fanden wir lustiger“, erklärt Taro und wir brechen beide in unterdrücktes Guffeln aus. Daraufhin sieht Om uns endgültig so an, als hätten wir irgendetwas genommen. „Habt ihr irgendwelche Drogen genommen?“, fragt sie und mustern uns noch mal kritisch. „Wir nehmen keine Drogen“, entrüsten wir uns aus einem Munde, wobei es deutliche Ähnlichkeit mit dem Protest eines Betrunkenen hat, der lallt: „Neeeeiiiinnn, ick bin net betrunk-en!“ Taro räuspert sich. „Keine Ahnung, woran es liegt. Wir haben jedenfalls nur unser Mittagessen gegessen. Vielleicht ist uns die viele Sonne nicht bekommen“, erklärt er und wir wissen alle, wie abwegig das klingt. „Vielleicht haben wir auch einen Lachschock bekommen. Zu viele Glückshormone auf einmal ausgeschüttelt, oder so“, mutmaße ich weiter und es ist genauso wahrscheinlich. Om seufzt. „Am besten geht ihr jetzt erst mal duschen. Und gebt eure Sachen sofort in die Wäsche. Dann gehen die Flecken hoffentlich wieder raus“, bestimmt sie streng, lächelt dann aber. „Und sag mir auf jeden Fall gleich Bescheid, wenn ihr anfangt irgendwelche Luftschlösser oder paradiesische Oasen zu sehen.“ „Okay“, versprechen wir, wobei wir schon wieder vom Lachen geschüttelt werden. Dabei ging der Scherz eindeutig auf unsere Kosten. *** Als wir später am Nachmittag gemeinsam bei Tee und Kuchen auf der Terrasse sitzen, haben Taro und ich uns wieder beruhigt. Unglaublich gute Stimmung haben wir immer noch, aber zumindest brechen wir nicht ständig in sinnloses Gekicher aus. „Wie hast du Yamaguchi-sensei eigentlich dazu überredet, uns den Freitag zu beurlauben?“, fragt Taro neugierig. Das ist wirklich eine gute Frage. Vielleicht kann die Antwort uns sogar noch mal nützlich sein. „Da ich die nächsten vier Wochen auf Reisen bin, wollte ich euch gerne vorher noch einmal etwas länger sehen. Das hat er akzeptiert“, erklärt sie gelassen. „Wo geht es denn dieses Mal hin?“, frage ich interessiert. Taro und ich freuen uns immer über die Postkarten und Briefe, die sie uns aus aller Welt schickt. Den Überblick, wo sie schon überall gewesen ist, haben wir allerdings schon lange verloren. „Ich mache eine ausgedehnte Asien-Reise“, erklärt sie und daran, wie sie es sagt, erkenne ich, dass China in jedem Fall inbegriffen ist. Ich zwinge mich, ja keinen kurzen, prüfenden Seitenblick auf Taro zu werfen. „Schreibst du uns wieder?“, frage ich, bevor er die Chance hat, genauer nachzufragen. Die ersten neun Jahre seines Lebens hat er in China verbracht. Er erinnert sich nicht gerne daran und bei dem, was ich über die Zeit weiß, wundert mich das nicht im Mindesten. „Ja, natürlich“, erwidert sie lächelnd und ich erkenne, dass sie sich wieder an meine Bitte halten wird, was die Post aus China betrifft. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie die erste Postkarte aus Peking bei uns eintrudelte. Danach kam für zwei Wochen gar nichts – was im Grunde nicht ungewöhnlich ist, wenn Om auf Reisen ist, aber ich habe ganz genau gemerkt, wie Taro immer unruhiger wurde. Seitdem ich mit Om darüber gesprochen habe, schreibt sie uns immer so, dass sie auf jeden Fall noch unter der Festnestnummer, die sie uns angegeben hat, erreichbar ist oder sie schickt die Briefe und Karten gesammelt vom Flughafen ab, wenn sie wieder ausreist. Das beunruhigt Taro weniger – oder er ist einfach besser darin geworden, seine Sorge vor mir zu verstecken. Ausschließen will ich das nicht. „Wo wir gerade beim Thema sind“, fährt Om fort, „Aki-san hat die nächsten zwei Wochen Urlaub. Deshalb möchte ich euch bitten, an den Wochenenden nach dem Rechten zu sehen und ein paar Dinge zu erledigen.“ Ich wechsele mit Taro einen Blick und grinse. Er denkt mit Sicherheit das Gleiche wie ich: Sturmfrei! In der Stadt, in unserer eigenen Wohnung ist das zwar Normalzustand – glücklicherweise –, aber die Villa für uns allein zu haben, ist noch ne Nummer größer. „Ja, klar“, antwortet Taro und ich nicke zustimmend. „Das ist überhaupt kein Problem. Wenn es die nächsten Wochen so schön bleibt, sind wir hier sowieso besser aufgehoben als in der Stadt.“ Die nächste Stunde verbringen wir damit, uns von Om in bestimmte Haushaltssachen einweisen zu lassen. Das ist zwar ein bisschen nervig, aber ein geringer Preis, wenn wir dafür die Villa für zwei Wochen „bekommen“. Die restliche Zeit bei Om ist wesentlich lustiger und entspannter. Wir faulenzen draußen in der Sonne, spielen Spiele, sehen gemeinsam Filme, schlagen uns den Bauch voll und bekommen ganz nebenbei durch Oms Reiseberichte auch noch ein bisschen Kultur mit. Besser kann das Leben eigentlich nicht sein. Oh Moment … wäre da nicht dieser kleine „Ich habe mich in meinen besten Freund verliebt“ – Schönheitsfehler. Ich meine, wenn man die Nähe zueinander als Kriterium nimmt, lief es das Wochenende wirklich gut. Wir haben gekuschelt und uns geküsst. Es war schön, aber auch anstrengend. Ständig musste ich mich zusammenreißen, damit ich mich nicht zu sehr gehen lasse. Immerhin darf ich mich nicht verraten. Es ist nur Schein, egal wie real es sich anfühlt und das ist schon ein ganz schön großer Wehmutstropfen. Seit Sonntagabend hänge ich deswegen in einem kleinen Stimmungstief – mal wieder. Zu allen Überfluss haben die Mädels am Wochenende auch noch einen Schnulzen-Filmeabend gemacht und sind immer noch über bestimmte Punkte am Diskutieren. Sich irgendwelche märchenhaften Mädchenliebesfantasien anhören zu müssen, macht die Sache wirklich nicht besser. Auch wenn ich es normalerweise nur belächele, bin ich dieses Mal kurz davor einem bissigen Kommentar abzugeben, doch bitte wieder in die Wirklichkeit zurückzukehren. Niemand kann mir erzählen, dass ich plötzlich Taros Herz im Sturm erobern könnte, indem ich irgendeine dämliche, niveaulose „Ritterschar“ anführe und ihm das „Leben“ rette. Allein der Gedanken ist absurd. Taro würde mich auslachen oder fluchen wie ein Rohrspatz. Also allgemeine Aufforderung: Bitte lasst mich mit eure beknackten Märchengeschichten in Ruhe, ich habe im Hier und Jetzt genug Probleme, ohne dass ich mich noch mit denen von fiktiven Figuren beschäftigen muss. Ich seufze. Heute bin ich definitiv gereizt. Es bleibt zu hoffen, dass ich den Tag überstehe, ohne in die Luft zu gehen. „Was ist los?“, fragt Taro mich in der letzten Stunde. „Du stehst ziemlich unter Strom!“ War ja klar, dass er es bemerkt, denke ich deprimiert und ein klein wenig verärgert. „Dieser irrationale Ritter-Mist geht mir nur tierisch auf die Nerven“, gestehe ich ein, ohne darüber nachgedacht zu haben. Ich stoße abermals einen Seufzer aus. Jetzt kann ich es nicht mehr ändern. „Keine Ahnung, warum, aber ich kann diesen ‚Irgendwann findet mich mein Held‘- Schwachsinn nicht mehr hören.“ „Hm“, brummt Taro nachdenklich. „Kann ich nachvollziehen. Manchmal ist diese ganze realitätsferne Träumerei einfach nervig. Glück für dich, dass mein Held mich schon gefunden hat.“ Ich blinzele. Wer? Wie? Wo? Was? Welcher Held denn? Was hab ich da nicht mitbekommen? Um Ruhe bemüht, hebe ich fragend eine Augenbraue. Ich will mir nicht anmerken lassen, dass dieser Held wohl kaum ein Glück für mich ist. „Du weißt schon, diese kleine Nervensäge, derentwegen ich nach Japan gekommen bin“, erklärt er und lächelt mich warm und vertrauensvoll an. Es dauert einen Moment bis es „klick“ macht und ich begreife, dass er mich meint. Ha. Das soll mir mal jemand nachmachen. Ich habe keine dämliche, niveaulose „Ritterschar“, die ich herumkommandieren kann, gebracht, um der Held meines Liebsten zu werden. Sofort hebt sich meine Laune wieder ein bisschen, auch wenn es mit dem eigentlichen Problem nichts zu tun hat. Zumindest bekomme ich so nicht noch eins. Irgendeinen anderen angeblichen Helden, dem ich wohlmöglich auch noch in den Hintern treten muss, um Taro für mich allein zu haben, kann ich wirklich nicht gebrauchen. Der Schultag zieht sich hin und das einzige, was mich aufmuntert, sind Taros kleine Witzeleien, die wohl genau das bezwecken sollen. Ich liebe seinen Humor. Was das angeht, schwingen wir ziemlich auf einer Wellenlänge. Ironie mit ausgeprägtem Hang zum Sarkasmus – das ist schon etwas Herrliches, unter anderem versteht sich. Taro behauptet zwar manchmal mein Humor sei ihm teilweise zu makaber, aber in meinen Augen ist er da auch nicht „besser“. Wir nehmen uns da so gut wie gar nichts. Nach dem Abendessen hat sich meine Stimmung noch etwas weiter gebessert. Taro hat gekocht. Als wir ins Bett gehen, habe ich immer noch das Gefühl, fast zu platzen – so habe ich schon lange nicht mehr zugeschlagen. Zufrieden lasse ich mich in mein Bett fallen. Etwas, das ich wohl besser nicht getan hätte. Das zeigt das „Knack“ und „Knall“ ganz deutlich. Im nächsten Moment liege ich deutlich unbequemer. Da sind wohl mindestens drei Latten herausgefallen. „Verdammter Mist“, fluche ich. „Nicht schon wieder. Dieses dämliche Bett.“ Taro bricht in schallendes Gelächter aus. „Du hättest gerade deinen Gesichtsausdruck sehen müssen“, kichert er und ich kann nicht anders, als die Augen zu verdrehen. „Schön, dass ich dich so amüsiere“, murre ich ironisch. „Dafür kannst du die Latten auch wieder einsetzen.“ „Nicht mehr heute. Dazu hab ich echt keine Lust“, meint er und gähnt. Ich seufze. Na toll. Auch das noch. Ich habe immer meine liebe Not, die Dinger wieder an Ort und Stelle zu zwängen. Dazu ist eine ganz schöne Kraft von Nöten. Und auf diesen Kampf habe ich ebenso wenig Lust wie Taro. „Na gut“, sage ich und zucke mit den Schultern, „dann komm ich eben zu dir rüber.“ Anders als erwartet, erhebt Taro keine Einwände. Also schnappe ich mir Decke und Kissen und rutsche zu ihm hinüber. Ob das so eine gute Idee ist, frage ich mich sogleich, als ich meine Arme um ihn schlinge und er es sich in ihnen bequem macht. *** Es ist gerade mal Dienstag und ich sehne schon jetzt das Wochenende herbei. Mal wieder. Zumindest haben wir heute keinen Nachmittagsunterricht. Wenn nur diese nervige Sozialkundestunde um wäre. Ich gähne verhalten hinter vorgehaltender Hand. Omata gegenüber muss ich weder Müdigkeit noch Langeweile zur Schau stellen, das gibt nur einen dummen Spruch und im Moment hab ich nicht wirklich Bock, mich mit ihm herumzuärgern. Verwundert nehme ich kurz darauf wahr, dass Taro den Arm hebt … und sich meldet. Was hat er denn vor? Will er etwa etwas zum Thema beitragen? Was auch immer gerade Thema ist … Omata schaut Taro erstaunt an. Sein Redefluss bricht ab und er beginnt freudig zu grinsen. „Taro-chan. Was möchtest du dazu sagen?“, fragt er begierig. „Ähm –“ „Ja?“, hakt Omata nach. Es soll wohl auffordernd klingen, aber sein Gesicht strahlt nur Triumph und Neugier aus. „Eigentlich … wollte ich fragen, ob ich kurz auf die Toilette kann“, bringt Taro stockend hervor und schaut den Lehrer aus großen naiven Augen an. Ich bin froh, dass ich meinen Kopf immer noch lässig auf meinen Arm stütze und so nur die Hand heben muss, um mein breites Grinsen zu verbergen. Das hatte er also vor. Omata starrt ihn fassungslos an. Der Mund steht auf. Er blinzelt mehrmals. Enttäuschung und Verständnislosigkeit machen sich auf seinem Gesicht breit. Wiederholt schüttelt er ungläubig den Kopf. Die Klasse bricht in unterdrücktes Kichern aus. „Wenn das in Ordnung ist“, fügt Taro hinzu und seine Stimme klingt noch schüchterner. „Ähm, ja“, stottert der Lehrer immer noch perplex. „Natürlich“, setzt er kräftiger hinterher und während Taro sich erhebt, schleicht sich ein hintergründiges Grinsen in Omatas Züge. Oh, da kommt noch etwas nach. „Willst du Makato-kun nicht mitnehmen?“, fragt er gleich darauf. Taro legt den Kopf schief und wirft ihm und mir abwechselnd fragende Blicke zu. Es ist so klar, was jetzt kommt. „Er sieht so aus, als könnte er eine Erfrischung gebrauchen.“ „Inwiefern?“, meint Taro gespielt begriffsstutzig, dann hellt sich sein Gesicht begreifend auf. Im gleichen Augenblick tritt in Omatas Augen wieder das gewinnende Glitzern. Da freut er sich mit Sicherheit zu früh. „Oh ja klar“, ruft Taro aus. „Du kannst dir etwas kaltes Wasser ins Gesicht spritzen. Das macht dich sicher wieder munter.“ Abermals muss ich mein Amüsement verbergen, als die Gesichtszüge des Lehrers entgleisen. Und anscheinend ist Taro noch nicht fertig mit ihm. Auf ein Zeichen von ihm, schüttele ich nur stumm den Kopf, um seinen Vorschlag abzulehnen. „Du könntest ihm auch Kaffee besorgen“, murmelt Omata anscheinend zu sich selbst, bevor Tata überhaupt den Mund geöffnet hat. Diese Vorlage lässt er allerdings auch nicht ungenutzt. „Oh, klar“, stimmt er fröhlich zu. „Dann husche ich noch schnell beim Kiosk vorbei.“ Omata schlägt eine Hand vor die Augen und schüttelt deprimiert den Kopf. „Denn Kaffee, den er jetzt braucht, ist nicht so schnell gemacht“, nuschelt er fassungslos. Anscheinend ist er auf Doppeldeutigkeiten gepolt, sodass er gar nicht mehr darüber nachdenken muss. „Woher wollen Sie denn wissen, wie Toto am liebsten seinen Kaffee trinkt?“, setzt Taro zweifelnd noch einen drauf. „Vergiss es“, meint der Lehrer und wedelt mit der Hand in Richtung Tür. Taro schaut ihn noch kurz mit großen naiven Augen an und verschwindet schnell in den Gang hinaus. Ich hoffe, dass er mir wirklich einen Kaffee mitbringt. Ich könnte wirklichen einen gebrauchen. „Also was ist mit dir los, Makato-kun?“, fragt Omata mich. Seine Augen haben sich neugierig auf mich gerichtet. Er scheint mich als „Aufbaumaßnahme“ nutzen zu wollen, aber den Gefallen werde ich ihm nicht tun … zumindest nicht ganz. Ich muss an mir halten, um ein hinterhältiges Grinsen zu unterdrücken. „Ich hab einfach schlecht geschlafen“, meine ich und lächelte etwas wehmütig. „Es geht halt nichts über das eigene Bett.“ Sofort hellt sich Omatas Gesicht auf. Er wittert wohl eine Story. „Aha“, ruft er gedehnt aus. „Wo hast du denn geschlafen?“ „Bei Tata“, sage ich und reibe mir über die müden Augen. Der Lehrer hebt verwundert und zugleich interessiert die Augenbrauen. So. Jetzt gilt es, ihm den Spaß zu verderben. „Mir ist mal wieder Latten aus dem Lattenrost meines Bettes gebrochen und ich hatte gestern Abend keine Lust mehr, sie wieder ins Gestell zu zwingen. Da hab ich halt bei Tata im Bett schlafen. Das war ziemlich eng und ich bin mehrmals aufgewacht, weil ich halb aus dem Bett hing.“ Das ist nicht gelogen. Der Auslöser war allerdings, dass ich Taro nicht zu nahe kommen wollte, weil ich die Reaktion meines Körpers fürchtete. Zu recht, wie ich in den Morgenstunden feststellte. Die geballte Ladung „Taro“, die ich abgekommen habe, war ganz eindeutig nicht die, die mein Körper haben wollte. „Hm“, antwortet er nur. Er wirkt nicht ganz so deprimiert wie nach Taros Schlag, aber die Sensationsgier ist ihm ordentlich vergangen. Er beginnt seine langweilige Story, von „vor der Unterbrechung“, weiterzuerzählen. Ich schalte wieder ab. Fürs erste – bis Taro wieder kommt. Das dauert allerdings etwas. „Warum hat denn das solange gedauert?“, wird er gleich vom Lehrer gefragt. „Sie haben doch gesagt, ich brauch nicht schnell zu machen“, erklärt Taro schüchtern und sieht ihn verwundert an. Omata seufzt nur und schlägt wieder die Hand vor die Augen. „Setzt dich einfach“, sagt er in einem Moment der Resignation und wedelt abermals mit der Hand. Taro kommt breit grinsend – er nutzt die Gelegenheit, dem Lehrer den Rücken zuzudrehen vollkommen mit Feixen aus – auf mich zu und überreicht mir kindlich strahlend den Becher. „Danke“, flüstere ich ihm zu, aber doch laut genug, dass Omata es gerade so verstehen kann. „Du bist echt ein Schatz.“ Ich nehme einen Schluck und genieße das Gefühl. Herrlich. Wundervoller, schwarzer, starker Kaffee. Hach, da fühlt man sich gleich viel besser, denke ich entspannt und schlürfe die nächste Viertelstunde genüsslich meinen Kaffee. In diesem Zeitraum gelingt es mir das sinnlose Gebrabbel des Leerkörpers auszublenden. Das ändert sich jedoch schlagartig, als abermals Taros Name fällt. Wie es aussieht startet Omata noch einmal einen Versuch. „Stell dir vor, du bist mit Vivian-kun ganz alleine auf einer großen Lichtung. Was würdest du gerne tun?“, meint er und seine Stimme hat ihre Begeisterung tatsächlich wieder gefunden. Das ist ein echt plumper Versuch. „Hm“, gibt Taro gedehnt von sich. Er hat den Kopf nachdenklich schief gelegt und ein Finger liegt an seiner Wange. „Oh ja. Schmedderlinge beobachten!“, ruft er mit einer Begeisterung aus, die genauso kindlich ist wie seine Aussprache. Ich lache auf. Omata hingegen klappt der Mund auf. Er starrt Taro in einer Mischung aus Entsetzung und Verständnislosigkeit an. „Nicht?“, fragt Taro leise und verunsichert nach. So als würde erst der Gesichtsausdruck des Lehrers ihm sagen, dass das eine falsche Antwort war. Er beginnt zu plappern. „Na ja, wir könnten auch Federball spielen. Oh, das mochtest du ja nicht. Oder war das Tennis, Vivi-kun?“ Vivian antwortet nicht. Sie liegt lachend halb auf ihrem Tisch – wie der Rest der Klasse. Nur Omata steht vorne, blickt geschockt Taro an und sieht so aus, als würde er bald in Ohnmacht fallen. Kapitel 11: N wie Neugier ------------------------- Hallo! Jetzt ist endlich das gesamte Kapitel online. Sorry, dass es zwei Etappen gebraucht hat. Aber ich war gestern Abend einfach fertig. Ich hoffe, es gefällt! LG Zyra --- N wie Neugier „Verdammt noch eins. Das gibt’s ja nicht“, fluche ich. Taro blickt ratlos zu mir hinüber. „So oft ist das noch nie passiert.“ An diesem Abend hat Taro bestimmt schon fünf Mal die Lattenroste zurück ins Bettgestell gedrückt, aber jedes Mal ist mindestens eins wieder hinausgefallen, sobald ich mich auf meiner Matratze niedergelassen habe. Dabei bin ich schon so vorsichtig gewesen. „Vielleicht haben wir es schon einmal zu viel repariert und es ist endgültig kaputt“, mutmaßt Taro und zuckt mit den Schultern. „Ich guck mir das morgen noch mal ab, aber du brauchst dringend ein neues Bett. Dieses ständige Reparieren nervt.“ Er hat recht. Ich habe es genauso satt wie er. Kaum bekommen bestimmte Latten etwas mehr Druck ab, schon liegen sie auf dem Boden. Dumm nur, dass Om im Moment nicht da ist. Notfalls muss ich das Geld einfach auslegen. Bleibt zu hoffen, dass Taro das verdammte Ding morgen noch einmal in Ordnung bringen kann. Morgen? Kaum habe ich begriffen, was das für diese Nacht bedeutet, schlingen sich Taros Arme um meine Taille. Er zieht mich zu sich ins Bett hinüber, drückt mich in die Waagerechte und schmiegt sich an meine Brust. Ich seufze. Na das wird ein Spaß. Dabei hatte ich so gehofft, diese Nacht wieder gut schlafen zu können. Daraus wird jetzt mit Sicherheit nichts. Mein Körper reagiert dazu viel zu sehr auf den, der sich gerade an mich kuschelt. Wäre das Bett nicht so klein, ich würde mir wirklich eine Ausrede einfallen lassen, warum er von mir abrücken sollte, aber den Platz dazu haben wir einfach nicht. Und ich muss es wissen, schließlich habe ich genau das die letzte Nacht versucht. „Reg dich nicht so auf, Toto“, murmelt Taro. „Das mit deinem Bett kriegen wir wieder hin.“ Ich frage mich, wie er darauf kommt, dass ich mich deshalb aufrege. Im Grunde tue ich das nicht. Das Bett an sich ist nebensächlich. Ich will schon widersprechen, als mir bewusst wird, dass er meinem Herzschlag lauscht. „Pf“, gebe ich von mir und lasse ihn in dem Glauben, dass es der Ärger über das kaputte Bett ist, der meinen Herzschlag beschleunigt. In Wirklichkeit ist es Taros Nähe und da die noch eine ganze Weile anhalten wird, kann ich unmöglich sagen, wann sich mein Herzschlag wieder beruhigt hat. „Ich lieb es, dem Schlagen deines Herzen zuzuhören“, nuschelt Taro und er klingt richtig müde. „Hm“, ist mein einziger Kommentar dessen. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Die Frage nach dem Warum habe ich schon einmal gestellt. Er konnte sie mir nicht beantworten. „Danke, dass du mir in deinem Bett Asyl gewährst“, sage ich stattdessen. Ich kann nicht verhindern, dass es sarkastisch klingt, denn das scheint in dieser Situation treffend. „Fühl dich bloß geehrt“, erwidert Taro und an seiner Stimmlage erkenne ich deutlich, dass er den Sarkasmus nicht überhört hat. „Schließlich bist du der einzige, der hier schlafen darf!“ „Weiß ich doch“, murmele ich entschuldigend und wuschele ihm liebevoll durch die Haare. Etwas, dass ich lieber nicht getan hätte. Dadurch dringt mir Taros Geruch noch viel intensiver in die Nase. Ich seufze leise. Langsam steigen mir die Gefühle für ihn – das Verlangen nach ihm – wirklich zu Kopf. Ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Wenn das so weitergeht, werde ich mich wohlmöglich noch automatisch von ihm distanzieren und das will ich nicht. *** Der nächste Morgen ist eine Katastrophe und dabei kann ich noch von Glück sagen, dass ich vor Taro aufgewacht bin. Da ich mich eng an ihn geschmiegt hatte, hätte er meine Morgenlatte sofort bemerkt. Zumindest das ist mir erspart geblieben. Um die eiskalte Dusche kam ich leider nicht herum. Ebenso wenig um Taros Misstrauen, was ihm zugegebener Maßen nicht zu verdenken ist. Denn normalerweise bin ich nie vor Taro auf den Beinen – außer ich hecke etwas aus. So beäugt er mich den ganzen Vormittag argwöhnisch. Dagegen hilft auch meine Beteuerung nicht, ich sei nur so früh wach gewesen, weil er auf meinem Arm gelegen habe, der davon taub geworden sei, und da ich keinen Platz gehabt habe, mich auszustrecken, sei ich eben aufgestanden. Erst nach der Schule legt sich sein Misstrauen wieder. Entweder sehe ich überzeugend genug genervt aus – was ich auch bin – oder er hat angenommen, ich habe für die Schule etwas geplant. Wenigstens schafft er es am Nachmittag mein Bett wieder zu reparieren – vorläufig zumindest. Keine Ahnung wie und es ist mir auch egal. Hauptsache ich kann die nächste Nacht wieder in meinem Bett verbringen … mit Abstand zu Taro. Das denke ich zumindest bis ich mitten in der Nacht aufwache, weil sich etwas an meinen Rücken kuschelt. Ein Arm liegt über meinem Bauch und der gehört definitiv zu Taro. Anscheinend hat er sich im Schlaf zu mir ins Bett hinüber bewegt. Ich unterdrücke einen Fluch, atme nur zischend aus. Bleibt mir denn in letzter Zeit überhaupt gar nichts erspart? Fieberhaft überlege ich, was ich nun tun soll. So liegen zu bleiben, kommt jedenfalls nicht in Frage. Ihn so nah bei mir zu haben, ist unglaublich angenehm – so wie ich meinen Körper kenne, ist es zu angenehm. Ich seufze wehmütig und hebe danach vorsichtig Taros Arm an, sodass ich aus dem Bett schlüpfen kann. Im Schlaf murrt Taro leise, aber er wach nicht auf. Schnell decke ich ihn wieder zu. Es dauert einen Moment bis ich mich von seinem friedlichen Gesicht abwenden kann. Der Wunsch, zurück zu ihm ins Bett zu krabbeln, um ihn in den Arm zu nehmen, ist groß, aber ich bin nicht dumm. Ich lege mich in Taros Bett. Das ist zwar nicht ganz optimal, da alles nach ihm riecht, doch immer noch „besser“, als ihn direkt zu spüren. Sicherlich wird er morgen Früh fragen, warum wir die Positionen getauscht haben, aber damit werd ich schon klar kommen. Am besten wäre es gewesen, ihn in sein Bett zurücklegen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass er dabei weiter schläft, erscheint mir zu gering. Ich beobachte ihn noch eine ganze Weile und sehne mich danach, mich einfach zu ihm zu legen. Auf die Frage, wie ich weiter vorgehen soll, habe ich noch immer keine Antwort gefunden. So seltsam das klingt, meine Gefühle und Sehnsüchte stehen zwischen uns. Ewig werde ich kaum so weiter machen können wie bisher. Die Gefahr, dass ich die Kontrolle verliere, steigt immer mehr. Ich bezweifele, dass ich mein Verlangen noch lange unterdrücken kann. Vielleicht sollte ich tatsächlich mit Taro sprechen. Was ich fühle, kann ich ihm unmöglich sagen, da ich immer noch nicht weiß, was er für mich empfindet, aber eventuell kann ich ihm ja einen Teil meines Problems schildern. Wie genau das aussehen soll, weiß ich nicht, aber der Gedanke beruhigt mich ein wenig, sodass ich einschlafen kann. *** „Huch? Warum liegen wir in den verkehrten Betten?“, fragt Taro mich prompt, während ich mich noch verschlafen rekele. „Du bist im Schlaf zu mir hinüber gerollt. Ich wollte die Lattenroste nicht überstrapazieren und außerdem brauchte ich nach den beiden Kuschelnächten etwas Platz für mich“, erkläre ich und strecke mich demonstrativ. Kurz wirkt Taro etwas verwirrt, dann lächelt er. Während des Frühstücks klärt er mich über seine heutigen Pläne für Omata auf. Sie gefallen mir nicht recht. Es ist sehr viel Nähe inbegriffen, die meiner Kontrolle bedarf. Nach den letzten drei Nächten traue ich mir nicht besonders viel zu. „Was ist los?“, fragt Taro mich erstaunt. Ich muss wohl ziemlich skeptisch drein schauen. „Sagen dir die Ideen nicht zu?“ „Doch schon, aber …“, murmele ich, breche ab und raufe mir frustriert die Haare. Ich will das nicht machen, denn ich bezweifele das ich es kann. „Ach, verdammt … ich weiß nicht, wie ich es dir erklären kann.“ Taro schaut mich fragend an. Er wirkt aufgeschlossen. Ich sehe ihm an, dass er begreift, dass es mir wichtig ist. „Ist es dir lieber, wenn wir es auf Dienstag verschieben?“, bietet er an. „Ja, das wär gut“, stimme ich zu. „Vielleicht gelingt es mir bis dahin, dir mein Problem zu erklären.“ „Lass dir ruhig Zeit“, sagt Taro und lächelt sanft. Trotz seiner Worte erkenne ich, wie neugierig er ist. „Es eilt ja nicht.“ Ich versuche dankbar zu lächeln, aber vielleicht wirkt es gequält. Ich weiß immer noch nicht genau, wie viel ich ihm sagen soll. Wie abgemacht lassen wir die Sozialkundestunde ruhig angehen. Omata scheint sich von dem Schock der letzten Stunde noch nicht wieder erholt zu haben. Jedenfalls wagt er keinen Vorstoß, was mir nur gelegen kommt. *** Am Freitag fahren wir direkt nach der Schule hinaus zu Oms Villa. Nachdem wir die Post aus dem Briefkasten geholt und uns die Terrasse hergerichtet haben, beginnt Taro uns ein verspätetes Mittagessen zu machen. Ich strecke mich derweil auf einer der Gartenliegen aus und döse vor mich hin. Viel mehr machen Taro und ich am Freitag auch nicht. Wir faulenzen in der Sonne, albern herum und schauen uns am Abend zwei Filme von Om an. Der Tagesablauf lädt geradezu dazu ein, dem inneren Schweinehund nachzugeben und mein Grübeln aufzuschieben. Teilweise vergesse ich einfach, dass ich eine Entscheidung treffen wollte. In der Nacht, nachdem wir ins Bett gegangen sind, holt mich meine Frage allerdings wieder ein. Was soll ich Taro erzählen? Das ich nun keinen Rückzieher mehr machen kann, ist klar. Nach meiner Andeutung weiß Taro, dass es sich um keine Kleinigkeit handelt. Die Frage und ihre möglichen Konsequenzen quälen mich. Ich schlafe schlecht – werde von allen möglichen Albträumen geplagt, in denen ich Taro auf die unterschiedlichsten Art und Weisen verliere – und im Morgengrauen bin ich hellwach. Obwohl es draußen wie aus Eimern schüttet und ich mich gegen das Joggen normalerweise immer sträube, gehe ich laufen. Es erscheint mir eine gute Möglichkeit zu sein, in Ruhe nachzudenken und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Inzwischen ist mir klar geworden, dass ich um den größeren Abstand zu Taro, den ich eigentlich immer verhindern wollte, gar nicht herumkomme. Am Anfang habe ich befürchtet Taro könne ihn wählen, aber wie es aussieht, muss ich ihn selbst wählen, damit mich die Nähe zu meinem besten Freund nicht so verrückt macht. Als ich wieder in der Villa ankomme, weiß ich zumindest, was ich Taro offenlegen will – dass ich schwul bin – nur Wie habe ich noch nicht entschieden. Ihm zu sagen, „Hey, ich stehe auf Männer und wenn ich nicht ein bisschen Abstand halte, falle ich irgendwann noch über dich her“ ist jedenfalls keine gute Idee. Das Thema ist viel zu persönlich, als dass ich so direkt darüber sprechen könnte. „Mann, Toto, wo bist du denn gewesen?“, fragt Taro mich sofort, als ich von der Waschküche in die Küche trete. „Ich hab mir Sorgen gemacht!“ „Ich war laufen“, erkläre ich halbherzig. Inzwischen ist mir richtiggehend kalt und ich will so schnell wie möglich duschen. „Laufen? Im Platzregen? Am frühen Morgen? Du?“, fragt er ungläubig. Die Zusammenstellung klingt tatsächlich nicht nach mir. „Ich wollte nachdenken“, murmele ich und tippel von einem Fuß auf den anderen. „Ich weiß, war ne Scheißidee. Mir ist saukalt. Also kannst du bitte deine Moralpredigt auf ‚nach dem Duschen‘ verlegen?!“ „Na los, geh schon, bevor du dir noch ne Erkältung holst“, meint er kopfschüttelnd. Nachdem ich geduscht habe, trockne ich mich in Windeseile ab und schlüpfe so schnell wie möglich in meine Klamotten. Nach dem heißen Wasser ist die Luft im Haus erstaunlich kalt. In meinem Zimmer ziehe ich mir noch ein paar dicke Wollsocken über. Auf dem Weg nach unten in die Küche zum Frühstück treffe ich auf Taro, der mir mit einer Kanne Orangensaft entgegen kommt. „In der Küche ist es recht kühl, deshalb dachte ich mir, dass wir uns einfach in mein Zimmer setzen“, verkündet er. „Danke!“, murmele ich und drehe um. Mir ist hier oben schon kalt. Taro scheint das nicht anders erwartet zu haben. Er hat seinen Schreibtisch zum Bett gerückt, um dort das Essen abzustellen. Angetan von der Idee schlüpfe ich unter seine Decke und kuschele mich in sie. „Hat dich der Lauf wenigstens weitergebracht?“, fragt Taro mich neugierig. „N bisschen“, erwidere ich nur und beginne zu frühstücken. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragt Taro. Sein Gesichtsausdruck ist schwer zu deuten. Ich sehe Besorgnis sowie Neugier und es scheint mir, als warte er auf etwas. „Ich wüsste nicht wie“, gebe ich zu. Taro nickt nachdenklich und isst weiter. „Du befürchtest also, dass mein Plan nicht gelingen könnte?“, fragt er, nachdem wir das Frühstück beendet haben. Er scheint mir tatsächlich helfen zu wollen, das Problem in Worte zu fassen. „Ja“, bestätige ich. „Woran liegt das? An mir? An dir? Irgendwelche äußeren Umstände?“, hakt er weiter nach. Ich muss unweigerlich lächeln. Es kommt mir glatt so vor, als würden wir „Black Stories“ spielen. Nur das die Lösung dieser Geschichte glücklicherweise kein Mord ist, sondern „Makato liebt Taro und ist total verrückt nach ihm. Deshalb fürchtet er die Kontrolle zu verlieren.“ Ganz toll. Ich will ganz bestimmt nicht, dass er das so herausfindet. „Komm mal her“, sage ich schließlich einem spontanen Einfall folgend. Vielleicht kann ich ihm zeigen, wovor ich mich fürchte. Oh ja, ich will ihm zeigen, wovor ich mich fürchte. Taro blinzelt überrascht, rutscht aber auf mich zu. Sobald er in Reichweite ist, ziehe ich ihn auf meinen Schoß. Automatisch legt er seine Arme um meinen Hals, obwohl er noch nicht ganz zu verstehen scheint, was ich vorhabe. „Ich versuche es dir zu zeigen“, flüstere ich gegen seine Lippen und füge hinzu, auch wenn das für mich selbstverständlich ist: „Du beendest es.“ Ich küsse ihn. Der am Anfang sanfte Kuss wird schnell stürmischer. Ich erkunde jeden Winkel seiner Mundhöhle und stupse danach auffordernd seine Zunge an. Darauf scheint Taro nur gewartet zu haben. Während ich versuche die Oberhand bei dem Zungenkuss zu behalten, schiebe ich eine Hand unter Taros Shirt und beginne seinen Oberkörper zu erkunden. Ich lasse mich einfach gehen. Tue Dinge, die ich mir zuvor nie erlaubt habe. Ich streichele über Taros Rücken und reize vorsichtig die empfindliche Stelle an seiner Seite. Meine andere Hand wandert seinen Oberschenkel hinauf und fährt dann über sein knackiges Hinterteil. Obwohl er eine Hose trägt, ist das ein verheißungsvoller Genuss. Ich bekomme einen kleinen Ausblick auf das, was mich unter dem Stoff erwartet. Taro keucht leise in den Kuss. Ich rolle uns herum, bis er unter mir liegt. Ich schiebe sein Shirt ein Stück nach oben, um seinen Bauch zu liebkosen. Kaum berühre ich die warme Haut, beendet Taro den Kuss. Ich gebe einen unwilligen Laut von mir, bin aber noch so sehr Herr über mich, dass es mir gelingt, mich aufzusetzen und zu ihm hinunterzusehen – wenn wohl auch etwas verklärt. „Ah ja“, gibt verstehend von sich. „Wenn uns das in der Schule passieren würde, wäre das tatsächlich nicht sehr vorteilhaft.“ „Ich … sorry, dass … ich dich so … überfallen habe“, bringe ich hervor. Plötzlich kommt mir eine Idee, wie ich ihm „den Rest“ sagen kann. „Ich bin im Moment wohl in so einer … sexuellen Ausprobierphase.“ Phase ist genau das Wort, nachdem ich so lange gesucht habe. Denn Phasen können irgendwann enden und somit halte ich mir alle Möglichkeiten offen. „Homosexuelle Ausprobierphase?“, fragt Taro, aber er klingt wissend. „Hm-hm“, erwidere ich nur. Ich blicke auf ihn herab. Er ist immer noch ein wenig zerzaust. Sein Shirt hat er noch nicht zurecht gezupft und ich habe einen wundervollen Ausblick auf seinen Bauch. Oh Mann, diese Bauchmuskeln. „Willst du mit mir schlafen, Toto?“, fragt er. Seine Stimme klingt überaus anzüglich und der Blick, den er mir zuwirft, jagt mir zusätzlich einen Schauer über den Rücken. „Ähm … was … ja … doch schon … ziemlich“, stottere ich überrumpelt. Wer kann denn mit so was rechnen? „Tja, das trifft sich gut“, erklärt er zufrieden. Er rekelt sich kurz und zieht mich danach zu sich, bis ich zwischen seinen Beinen knie und mich über ihn beuge. „Ich bin nämlich schon eine ganze Weile neugierig darauf, ob es stimmt, was all die Mädchen über dein Talent im Bett sagen.“ Ich küsse ihn und mein Körper vergisst schnell die Überraschung. Ich muss zugeben, eine angenehmere Überraschung habe ich noch nie erlebt. „Hast du dich informiert?“, fragt Taro, während er aus seinem Nachtschränkchen Kondome und Gleitcreme hervorholt. Da ist aber jemand vorbereitet. Anscheinend ist er tatsächlich schon eine ganze Weile sehr neugierig. „Ja. Außer du willst unbedingt irgendwelche komplizierten Kamasutrastellungen nachturnen“, erwidere ich mit gewohnter Selbstsicherheit. Taro lacht leise. „Dann will ich mal deine Neugier befriedigen und unsere Beziehung auf die nächsthöhere Stufe heben.“ Taro brummt zustimmend und schlingt seine Beine um meine Hüfte. Kapitel 12: E wie Eifersucht ---------------------------- Hallo! Da ist es also das letzte Kapitel. Wie angekündigt folgt danach noch ein Epilog, um den Satz zu beenden. (So ist es zweifelsohne ???) Ihr könnt ja mal raten, wie der Epilog heißen wird, obwohl es eigentlich klar ist. ;) Erst einmal viel Spaß mit diesem Kapitel! LG Zyra --- E wie Eifersucht Ich seufze zufrieden. Eng an Taro gekuschelt und unter einer warmen Decke, liege ich dösig da. Mir steigt Taros Geruch in die Nase, gemischt mit meinem eigenen. Beinahe automatisch streichen meine Finger seinen Rücken und seine Seite entlang, was ich regelmäßig ein behagliches Schnurren entlockt. Seit längerer Zeit habe ich mich nicht mehr so wohl gefühlt. So sorgenfrei. So entspannt. Ich habe bekommen, wonach ich mich gesehnt habe. Ich muss nicht mehr befürchten, Taro gegenüber meine Neigungen zu offenbaren. Er kennt sie und er erwidert sie. Ich muss nichts mehr verstecken. Mit halbgeöffneten Augen schaue ich auf den Schreibtisch. Dort stehen immer noch die Reste des Frühstücks. Plötzlich läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ich habe Hunger. Begleitet vom Rascheln der Decken rutschte ich zum Schreibtisch hinüber. Während ich mich den Frühstücksresten annehme, wird mir erst bewusst, dass die Sorge und die Ungewissheit mir ziemlich auf den Appetit geschlagen sind. „Was ist los?“, fragt Taro. Ich kann den Unterton seiner Stimme nicht deuten. Unsicher? Neugierig? Beleidigt? Ich drehe mich halb zu ihm herum. Er liegt immer noch in die Decke gekuschelt, nur dass sie ihm bis unter die Brust gerutscht ist. Sein Gesichtsausdruck verrät mir auch nicht mehr, aber irgendwie wirkt er ein klein wenig verstimmt. „Ich hab Hunger“, murmele ich und schiebe mir genüsslich den nächsten Happen in den Mund. „Hunger?“, echot Taro ungläubig. „Jetzt?“ „Ähm ja“, sage ich und schaue ein wenig verlegen. Es war wohl nicht die netteste Geste, mich einfach so von ihm zu lösen und mich aufs Essen zu stürzen. „Die letzten Tage haben mir ziemlich den Appetit verhagelt, aber jetzt, wo ich weiß …“ Ich versuche mich zu erklären und breche ab. Eigentlich wollte ich sagen, „Jetzt, wo ich weiß, dass ich dich jederzeit haben kann“, aber mir ist klar geworden, dass das gar nicht stimmt. Ich habe keine Ahnung, welche Bedeutung Taro dem Sex beimisst. „Wo du was weißt?“, hakt Taro lauernd nach. Sein Ton verrät mir eindeutig, dass ich jetzt lieber nichts Falsches sage. „Deine positive Reaktion“, meine ich versöhnlich. „Ich hätte niemals damit gerechnet. Es hat mich ziemlich unter Stress gesetzt, zu merken, dass ich mich immer weniger unter Kontrolle hatte, aber nicht zu wissen, wie du reagieren würdest. Ich wollte nicht, dass unsere Beziehung irgendwie darunter leidet.“ Taros Blick wird wieder weicher. Er setzt sich auf und rutscht zu mir hinüber. „Ich habe keine Ahnung, was du jetzt nach dem allen“ Er macht eine ausladende Geste, die das Bett, mich und ihn selbst umfasst. „erwartest, aber ich will es mir nicht durch Essen kaputtmachen lassen.“ Der Teil mit dem Essen klang beinahe eifersüchtig. „Also hoffe ich für dich, dass du multitaskingfähig bist.“ Ich grinse und öffne einladend meine Arme. „Essen kann ich bei so gut wie allem.“ „Bei einigen Dingen will ich das ehrlichgesagt gar nicht so genau wissen“, erklärt Taro, schieb aber grinsend meine ausgestreckten Beine soweit auseinander, dass er seitlich bequem zwischen ihnen liegen kann und schmiegt sich danach wieder ein meine Brust. Ich lege die Arme um ihn und streichele mit der Hand, die die Essenschale hält über seine Rücken. Er seufzte zufrieden und ich beginne wieder damit mir Reis aus dem Schälchen zu picken. „Toto“, sagt Taro irgendwann, nachdem ich aufgegessen habe. „Ich habe eine ganze Weile hierauf gewartet.“ „Ja?“, entgegne ich erstaunt. Das ist mir niemals aufgefallen. „Mhm. Was ist das für dich? Eine einmalige Sache oder …“ Er bricht ab, um eine passende Beschreibung zu finden. Das nehme ich zumindest an. Ich wüsste jedenfalls nicht, wie ich es bezeichnen sollte. „Das einzige einmalige an der Sache bist du, Tata“, sage ich schließlich, da ich das deutliche Gefühl habe, dass er gegen eine Wiederholung nichts einzuwenden hat. Taro sieht mich verdutzt an. Ich grinse. Mit dieser Antwort hat er nicht gerechnet. „Ich dachte, du wolltest ein romantisches Nachspiel.“ Taro schüttelt lächelnd den Kopf. „Ich glaube, ich bringe dich jetzt mal lieber zum Schweigen, bevor du noch etwas sagst, dass mich ernsthaft daran zweifeln lässt, dass du Kitano Makato bist.“ Das „zum Schweigen bringen“ besteht erfreulicherweise aus einem Kuss. Einem sehr langen und sehr verheißungsvollen. Gut, dass wir das mit der „einmaligen Sache“ geklärt haben. *** „Hey, Makato-kun“, spricht mich am Montag in der ersten großen Pause ein Mitschüler an. „Stimmt es, dass zwischen Litaro-kun und Maemura-san etwas läuft?“ Äh … was? Es fehlt nicht viel dazu, dass meine Gesichtszüge entgleisen. Es gelingt mir ruhig zu bleiben. Ich mustere den Jungen vor mir abschätzig und frage süffisant: „Wie kommst du auf die Idee, dass ich dir diese Frage beantworten werde?“ „Äh, sorry“, bringt der noch hervor, bevor er zu seinen Freunden verschwindet. Nachdenklich schaue ich ihm hinterher. Ich weiß, dass Taros Chef ein gewisses Faible für ihn hat. Er ist damit nicht sehr zurückhaltend, aber es muss schon ein bisschen mehr passiert sein, wenn ein solches Gerücht herum geht. Und Taro hat mir nichts erzählt. Als er von der Toilette wiederkommt, nehme ich ihn mir prompt zur Seite. „Stimmt was nicht?“, fragt er besorgt. „Es gehen Gerüchte über dich und Maemura um“, sage ich nur düster. Es stört mich und das liegt sicherlich nicht an den Auswirkungen auf unsere Scheinbeziehung und das „Omata-Rollenspiel“. „Autsch“, meint Taro und verzieht das Gesicht. „War ja klar, dass das jemand sieht.“ „Dass was jemand sieht?“, hake ich nach. Als ich ihn gestern gefragt habe, wie sein Gespräch mit seinem Chef verlaufen ist, hat er nichts von Schwierigkeiten erzählt. Nur, dass er Probleme hat, seine Vorstellungen durchzudrücken, und dass Maemura sich wie üblich verhalten hätte. In diesem Moment fühle ich mich ziemlich belogen. Nach dem Wochenende tut das mehr weh als jemals zuvor. „Oh, Mann, Makato, sieh mich nicht so vorwurfsvoll an“, murmelt Taro. „Ich hab dich nicht belogen.“ „Ach ja“, sage ich, hebe zweifelnd eine Augenbraue und verschränke die Arme vor der Brust. „Nicht wirklich zumindest“, meint er und fährt sich resigniert durch die Haare. „Ich wollte nicht, dass du dich aufregst.“ „Das tue ich gerade“, erwidere ich, obwohl das im Grunde gar kein Ausdruck für das Gefühlschaos ist, das in mir wütet. „Es stimmt, was ich dir gesagt habe. Maemura hat sich verhalten wie immer und ich hatte Probleme, meine Omatatauglichen Arbeitsvorstellungen bei ihm durchzubekommen. Er will mich auch weiterhin an der Bar und im Service einsetzen. Ich hab dir allerdings verschwiegen, dass ich mich anders verhalten habe.“ „Du hast mit ihm geflirtet?“, frage ich schroff. Ich kann gar nicht richtig beschreiben, wie ich mich fühlen. Verletzt. Enttäuscht. Ungläubig. Verärgert. Eifersüchtig. Entsetzt. Dabei lief das Wochenende so gut. „Nein. Ich hab mich eher passiv verhalten. Das hat auch ganz gut geklappt. Ich hatte ihn schon fast so weit und dann versucht der Kerl, mich zu küssen. Ich hab ihm gesagt, wie würden heute noch einmal darüber reden, wenn er sich denn wieder an Benimmregeln erinnern könnte. Dann hab ich mir meine Sachen geschnappt und bin gegangen.“ „Na prima“, seufze ich ironisch, allerdings habe ich mich wieder etwas beruhig. Ich verstehe jetzt, warum er mir einen Teil der Wahrheit verschwiegen hat. Ich appelliere schon eine ganze Weile an ihn, sich einen neuen Job zu suchen, wenn Maemura ihn zu sehr nervt. „Lass uns heute Nachmittag noch mal darüber reden.“ *** „Ich sehe aber keine andere Möglichkeit. Ich hab schon sämtliche anderen Tricks probiert. Was diese Sache angeht, ist der Kerl stur wie ein Esel“, sagt Taro und rührt in seiner Teetasse. „Dir ist aber klar, dass Maemura sich nicht so leicht vor den Kopf stoßen lässt. Du hast den danach so etwas von an der Backe“, erkläre ich. Mir gefällt die Idee ganz und gar nicht. „Viel schlimmer als bisher wird es schon nicht werden“, meint er optimistisch, aber ich sehe, dass er davon selbst nicht überzeugt ist. „Okay, anderer Plan“, sage ich schließlich. Vielleicht setzten wir einfach an der falschen Stelle an. „Du machst deine Stunden an der Bar und im Service und wir denken uns für Omata etwas aus.“ Taro runzelt die Stirn. „Die Idee ist gar nicht so schlecht“, erwidert er nachdenklich. „Wir drehen den Plan für Omata einfach um.“ „Wie genau stellst du dir das vor?“, frage ich interessiert und nippe an meinem Tee. Mit der Idee fühle ich mich gleich etwas wohler. Allerdings war mir bisher nicht bewusst, dass wir zwei Phasen für Omata haben. „Na ja, der Plan sah ja vor, ihn erst mit der Scheinbeziehung auf Trab zu haben und das ganze danach auffliegen zu lassen. Anders herum müsste es aber auch gehen. Vielleicht sogar noch besser. Wenn er denkt, wir hätten aufgehört, ihn zu verarschen, es aber mit unserer nervigen Scheinbeziehungsart immer noch tun … das ist bestimmt auch lustig“, schlägt er vor. „Super. Problem gelöst“, sage ich und grinse ihn an. Ich nehme mir seinen Schichtplan. „Ich denke, du willst einen großen Schock, oder?“ „Da denkst du vollkommen richtig“, bestätigt Taro und lächelt hinterhältig. „Nächste Woche Dienstag ist die Wahl der Schulsprecher.“ „Ah, wie praktisch. Da hat es doch glatt etwas Gutes, dass sie uns die Posten wieder aufs Auge drücken wollen“, meine ich, während ich den Plan studiere. „Okay, Montag und Donnerstag sind kein Problem. Da bist du in der Küche. Dienstagnachmittag zu kellnern, sollte auch keine Umstände machen. Der Mittwochabend an der Bar könnte schwierig werden, wenn Omata heute dort ist.“ „Warum nur in dem Fall?“, fragt Taro erstaunt. „Weil ich ihm morgen erzählen werden, dass unter der Woche im Heartbeats nicht viel los ist. Und dieses Wochenende hast du ja glücklicherweise freibekommen. Falls ich mir nicht ganz sicher sein sollte, dass er es geschluckt hat, komme ich mit und suche mir ein Plätzchen, von dem ich ihn früh genug sehe und dich warnen kann“, erkläre ich meinen Plan. „Das sollte funktionieren“, stimmt Taro zu und leert seine Teetasse. „Ich muss los. Wir sehen uns dann gegen zehn.“ Er ist verschwunden, noch bevor ich protestieren und versuchen kann, ihn zu überreden noch den Abwasch zu machen. Was sicherlich Absicht ist. Ich trinke den restlichen Tee und überlege kurz, das Geschirr einfach stehen zu lassen. Klingt verlockend, … und nach Ärger mit Taro. Seufzend mache ich mich an den Abwasch. Zumindest ist es nicht viel. Taro ist kaum weg, da beginne ich mir Gedanken zu machen. Was ist, wenn doch mehr dahinter steckt? Schließlich hat Taro ziemlich lange an dem Plan festgehalten. Vielleicht wollte er es ja so. So ein Quatsch, denke ich. Warum sollte Taro mich belügen? Er hat keinen Grund dazu. Außerdem ist er es gewesen, der die konkrete Planänderung vorgeschlagen hat. Ich seufze. Das zwischen uns ist immer noch nicht so, wie ich es mir wünsche. Ich will ihn für mich allein und schon der Gedanke, dass er auch mit jemand anderem schlafen könnte, macht mich verrückt. Was weiß ich denn, ob Taro nicht längst mit Maemura geschlafen hat. Der Kerl hat Taro schließlich bereits als Juniorchef angemacht. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht einmal, wie lange Taro schon auf Männer steht. Maemura ist jedenfalls für seine ständig wechselnden Männerbekanntschaften berüchtigt. Er hat Erfahrung. Ich habe zwar deutlich gesehen und gehört, dass Taro der Sex gefallen hat, aber warum sollte er nicht auch welchen mit jemandem haben wollen, der wesentlich erfahrender ist. Allein der Gedanke Maemura könnte diesen feurigen Blick aus grünen Augen sehen oder eins dieser erregten Stöhnen hören oder den athletischen Körper unter sich spüren, treibt mich in den Wahnsinn. Wenn ich so weiter mache, springe ich gleich im Kreis. Ich atme tief durch und sage mir, dass das absolut irrational ist. Ich habe oft genug gesehen, dass Taro für Maemura nicht viel übrig hat. Wenn er mit einem anderen Sex haben wollte als mir, würde er unter Garantie nicht Maemura wählen. Allein aus dem Grund, dass er dem Kerl den Triumpf nicht gönnen würde, ihn rumgekriegt zu haben. Ich weiß, dass ich verdammt eifersüchtig bin, weil Maemura jetzt in Taros Nähe ist und ich nicht. Wenn ich nur daran denke, wie der Kerl ihn ständig ansieht … Mir ist bewusst, dass das total irrational ist. Dumm nur, dass Gefühle nicht auf den Verstand hören. Irgendwann entschließe ich mich Taro von der Arbeit abzuholen. Je eher ich ihn wieder sehe, desto eher hören diese wahnwitzigen Ideen auf, mich zu nerven. Ich gehe, wie immer, zum Hintereingang und als ich bereits fast um das Gebäude des Heartbeats herum bin, höre ich Maemuras Stimme: „Hey, Tarimo-kun du hast da etwas vergessen!“ Ich trete an die Hausecke und spähe in den Hof. Maemura steht in der Hintertür und wirft Taro, der ein paar Schritte entfernt steht, etwas zu. „Was soll ich mit deiner Gleitcreme?“, fragt er spöttisch, nachdem er einen Blick auf den Gegenstand geworfen hat. „Du wirst immer primitiver.“ „Tja, was soll man machen“, ruft Maemura theatralisch aus. „Du wirst von Mal zu Mal heißer, aber dummerweise nicht nachgiebiger.“ „Vergiss es einfach!“, verlangt Taro und wirft die Tube zurück, wobei er seinen Chef eher bewirft. „Mann, Mann, Mann“, murmelt der, während er sich die Schulter reibt, an der ihn das Geschoss getroffen hat. „Du bist vielleicht ne harte Nuss.“ „Unknackbar“, korrigiert Taro. „Bis morgen.“ „Tschau, Süßer!“ Taro hat sich schon herumgedreht und zeigt ihm im Weggehen den Stinkefinger. Ich grinse. Das ist genau das, was ich gebraucht habe. Nachdem ich gehört habe, dass Maemura die Tür geschlossen hat, trete ich um die Hausecke. „Hey, Tata“, begrüße ich ihn. „Was machst du denn hier?“, fragt er überrascht, aber keineswegs unfreundlich. „Dich abholen.“ „Wollen wir denn noch irgendwo hin?“ „Eigentlich nicht. Zuhause fiel mir nur beinahe die Decke auf den Kopf.“ „Ah, okay“, sagt Taro verstehend. „Hast du Lust einen kleinen Umweg zu laufen? Ich brauche dringend ne Menge frische Luft.“ „Ja, klar. Warum nicht. Solange es bei einem Spaziergang bleibt, joggen will ich nun wirklich nicht“, meine ich und Taro lacht. *** Als ich am nächsten Nachmittag während seiner Schicht im Heartbeats auftauche, ist er nicht mehr ganz so gelassen. Und als ich mich am Mittwochabend zu ihm an die Bar geselle, obwohl ich mir ganz sicher bin, dass Omata nicht kommen wird, kann ich ihm ansehen, dass er um die Kontrolle ringt, mich nicht sofort darüber auszuquetschen, was los ist. Das weiß ich selbst nicht so genau, beziehungsweise ich weiß, dass ich immer noch eifersüchtig bin. Ich kann mir nur nicht erklären warum. Spätestens nach dem Wortwechsel vom Montagabend sollte auch meinen Gefühlen klar sein, dass Taro nie und nimmer etwas mit Maemura anfangen wird, aber jedes Mal, wenn ich nur sehe, wie der ihn anmacht, kocht die Wut in mir hoch. „Makato, ich will wissen, was zum Teufel los ist“, verlangt Taro prompt, als wir auf dem Heimweg sind. „Langsam komme ich mir ein wenig verfolgt vor.“ Ich schweige mit unbeweglicher Miene. Ich kann ihm ja schlecht sagen, dass ich eifersüchtig bin. Was würde er nur denken? Ich weiß immer noch nicht, was genau er von mir will. „Toto, was ist los?“, sagt Taro einfühlsamer, als wir bereits fast zu Hause sind. Es gleicht einem Wunder, dass er mich überhaupt solange in Ruhe gelassen hat. Er greift sanft nach meiner Hand und bleibt stehen. „Ich bin eifersüchtig“, nuschele ich schließlich, weil ich keine andere Möglichkeit sehe. „Auf Maemura?“, rät er und ich nicke. „Tja, ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich beleidigt oder gerührt sein soll.“ „Ich weiß nicht warum. Es ist total irrational.“ „Ach, Toto“, murmelt Taro und schlingt die Arme um meine Taille. „Es gibt wirklich überhaupt keinen Grund. Er bedeutet mir nichts, du bedeutest mir alles. Ich verbringe die meiste Zeit mit dir. Wir lachen miteinander und sind füreinander da. Die Zeit bei Maemura ist nur Arbeit. Das, was du jederzeit haben kannst, davon wird er sein Leben lang nur träumen.“ Ich lächele. Jederzeit also? Ich küsse ihn kurz und ziehe ihn weiter. Ich kann es kaum erwarten nach Hause zu kommen. „Tata“, sage ich, während ich meine Jacke an die Garderobe hänge. „Ich glaube, ich weiß jetzt, woran es liegt.“ „Ja?“, fragt er erstaunt und bleibt stehen. „Es liegt nicht an ihm“, sage ich und fasse all meinen Mut zusammen. „Ich teile in mancherlei Hinsicht einfach nicht gern. Alleine der Gedanke, dass die Möglichkeit besteht …“ Taro lächelt. Höchsterfreut und irgendwie triumphierend. Er schlingt seine Arme um meinen Hals und küsst mich. „Das musst du auch gar nicht“, flüstert er mir verheißungsvoll ins Ohr. „Ich hab das halbe Wochenende mit dir geschlafen, die vorletzte Nacht mit verbracht, die letzte mit dir verbracht, diese will ich mit dir verbringen, genauso die nächste, die übernächste und … immer so weiter!“ Seine Lippen finden meine und während ich ihn ins Schlafzimmer dirigiere, macht er sich bereits an meinen Hemdknöpfen zu schaffen. Epilog: Liebe. -------------- Hallo! Nun ist es soweit. Das letzte Kapitel ist fertig. Ich bin selbst ein wenig traurig. Ich liebe die beiden einfach. ^____^ Wer auch weiterhin nicht auf sie verzichten will, dem empfehle ich "Engelstränen". Außerdem gibt es eine One-Shot-Sammlung (Spuren in der Seele) zu den beiden. Dort wird es am 03.08. einen weiteren One-Shot geben. Das sind allerdings Freundschaftsgeschichten. Ich würde mich freuen, wenn ihr mal vorbei schaut. ;) An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die die Story gelesen haben, ganz besonders bei den fleißigen Reviewschreibern. Vielen, lieben Dank. ^^ Ich hoffe, euch gefällt der Epilog! Viel Spaß damit! LG Zyra --- Liebe. „Du teilst also nicht gern“, sagt Taro, während ich an seinem Hals knabbere. „M-hm“, stimme ich zu, ohne von dieser wundervollen Haut abzulassen. Seine Arme schlingen sich um meine Rücken und er beginnt meine Wirbelsäule auf und ab zu streichen. „Kann ich verstehen“, erklärt Tata und ich höre, dass er lächelt. „Ich auch nicht.“ Obwohl ich mir das schon gedacht habe, ist dieses Eingeständnis eine riesige Erleichterung für mich. Ich weiß, dass Taro mich gut genug kennt, um zu wissen, was meine Weigerung, ihn mit jemandem zu teilen, bedeutet – dass ich ihn liebe. „Es gibt da so drei Wörter“, sagt er amüsiert, als ich von seinem Hals ablasse und dort einen dunklen Fleck auf seiner Haut hinterlasse, „damit kann man wunderbar einen Satz bilden. Und den würde ich gerne mal von dir hören.“ Das bestätigt meine Annahme endgültig. Allerdings stellt es mich vor ein anderes Problem. Ich bin ziemlich schlecht darin, meine Gefühle auszudrücken. Selbst jetzt, wo ich mir seiner Liebe sicher bin, fällt es mir unglaublich schwer. „Da wirst du dich ganz schön anstrengen müssen“, murmele ich mehr zu mir selbst. Ich lächele gequält. Taro erwidert es – verständnisvoll. Ich seufze erleichtert auf. Er kennt mich besser, als jeder andere. „Ich weiß“, flüstert er mir ins Ohr, „werd ich auch.“ Eine Hand streicht mir zärtlich den Pony aus dem Gesicht. „Ich liebe dich“, sagt er sanft und küsst mich, ehe ich auch nur die Chance habe, etwas zu erwidern. Er weiß, dass ich es nicht getan hätte. Ich lächele in den Kuss und drücke ihn an mich. Er ist wie für mich gemacht. *** „Wissen Sie was?! Ich diskutiere jetzt nicht mehr mit Ihnen. Gehen wir einfach zu Yamaguchi-sensei. Mal sehen, was er dazu sagt, dass sie mich die gesamte nächste Woche nachsitzen lassen wollen, weil ich eine Aufgabe eines neuen Themas nicht an der Tafel vorrechnen konnte.“ Taros Stimme dringt vom Flur in den Klassenraum. Er klingt … nun, um es freundlich auszudrücken … gereizt. Eigentlich hatte er nur vor mit einigen Klassensprechern über die Schulsprecherwahl zu sprechen. Aber da ist ihm wohl etwas dazwischen gekommen, denn zum Nachsitzen verdonnern, können ihn Schüler schlecht. Und wenn ich mir die Sachlage so anhöre, ist auch glasklar, welcher Leerkörper dafür verantwortlich ist. „Ich glaube nicht, dass der Direktor dadurch gestört werden will“, ertönt wie erwartet Minamotos Stimme. „Tja, wenn Sie ihn deswegen nicht stören wollen, sensei, dann müssen Sie sich eben damit abfinden, dass ich nicht nachsitzen werde“, erwidert Taro stur, „denn solange Yamaguchi-sensei es nicht von mir verlangt, sehe ich es nicht ein.“ Minamotos Antwort kommt nicht bei mir an, aber es besteht wohl nicht auf den Besuch beim Direx, denn Taro verabschiedet sich mit: „Dann entschuldigen Sie mich bitte, sensei, ich habe schon fünf Minuten Unterricht verpasst.“ Die Tür zum Klassenraum öffnet sich und Taro kommt herein gestiefelt. Oh ha, der ist wirklich genervt. „Entschuldigen Sie meine Verspätung, Omata-sensei, aber ich wurde aufgehalten“, sagt er zum Lehrer und zeigt mit einer abschätzigen Bewegung in den Flur, was wohl so viel bedeutet, wie „von dem da“. Omata nickt sichtlich verwirrt, wobei seine Augen kurz einen Punkt hinter Taro fixieren. Vielleicht tauschen die Lehrer diese Geste aus. Noch bevor die Tür geschlossen ist, blickt Omata wieder Taro an. Er ist fassungslos. Dieses Handeln und dieses Auftreten passen schließlich partout nicht zu dem Bild, das er von meinem besten Freund hat. Ich grinse. Keine Ahnung, ob Tata das gerade spontan beschlossen hat oder ob er diese verfrühte Aufgabe seines Schauspiels im Ärger über Minamoto einfach in Kauf genommen hat, die Wirkung ist jedenfalls brillant. Sprachlos beobachtet der Lehrer wie Taro kurz die Stirn runzelt und zur Tafel hinüber geht, um das Schriftzeichen für „Sadomasochismus“ zu korrigieren. In diesem Moment bin ich froh, dass ich mich nicht schon vorher gemeldet habe, um auf den Fehler hinzuweisen. Das hätte den Gag ordentlich versaut. „Darf ich mich setzen, sensei?“, fragt Taro und ich erkenne, dass er die Jacke seiner Schuluniform offen trägt. Also ist das ganze definitiv nicht ganz spontan gewesen. So sieht man nämlich den Knutschfleck, den ich gestern Abend an seinem Hals hinterlassen habe. „Ja, natürlich“, stammelt der Lehrer verdattert. Taro geht an ihm vorbei und wirft ihm dabei einen skeptisch-fragenden Blick zu. Und ich würde darauf wetten, dass er mit seiner Kopfbewegung den Knutschfleck direkt in Omatas Sichtfeld bringt. Jedenfalls deutet der plötzlich auf seinen Hals und ruft perplex aus: „Was ist das denn?“ Taros Hand wandert geistesabwesend zu der Stelle am Hals. Er blickt verträumt ins Leere und ich frage mich augenblicklich, wie viel davon gespielt ist. „Ein Knutschfleck“, sagt er schließlich selbstbewusst, er schaut den Lehrer zweifelnd an. „Ich dachte, dass wüssten Sie, sensei?!“ Prompt bricht die Klasse in unterdrücktes Kichern und Tuscheln aus. Ich grinse breit. So hatte ich mir das vorgestellt. Plötzlich landet ein kleines Zettelchen auf meinem Tisch. Schulsprecher?, steht dort in Taros Handschrift und Nozomi hat noch darunter geschrieben: Er meinte, ich soll dir den während der Knutschfleck-Nummer geben. PS: Hast du übrigens sauber hinbekommen! ;P Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Omata scheint immer noch nicht so ganz zu verstehen, wie ihm geschieht. Er braucht ein paar Anläufe, um halbwegs zu seiner Selbstsicherheit zurückzufinden. „Und wer ist dafür verantwortlich?“, fragt er begierig. „Warum sollte ich Ihnen das sagen?“, stellt Taro provokant eine Gegenfrage. „Warum solltest du es mir nicht sagen wollen?“, kontert der Lehrer. „Traust du dich etwa nicht?“ Taro lacht auf. Da kennt ihn jemand absolut überhaupt nicht. „Vielleicht sollten Sie sich eher damit abfinden, dass es sie rein gar nichts angeht, mit wem ich das Bett teile“, antwortet er ruhig und ein klein wenig herablassend. Omata blinzelt, aber dieses Mal fängt er sich schnell wieder. Er grinst. „Makato-kun“, spricht er mich an und vollste Zufriedenheit, die ich ihm wenn möglich schnellstens wieder verderben werde, klingt in seiner Stimme mit. „Was kannst du mir denn dazu sagen?“ Oh, das wird wirklich schnell gehen. Ich lächele überlegen. „Ah, dazu kann ich eine ganze Menge erzählen, aber das werd ich nicht!“, antworte ich grinsend und stoße ihn damit tatsächlich wieder von seinem hohen Ross. Nach kurzem Aufblitzen von Triumpf entgleisen seine Gesichtszüge. Abermals. „Was haben deine Gespräche ergeben, Tata?“, frage ich, nachdem ich einen Moment Omatas Fassungslosigkeit genossen habe. „Kommen wir aus dieser Schulsprechernummer noch irgendwie raus?“ Taro verzieht das Gesicht. Und das sieht leider verdammt ehrlich aus. „Das können wir ziemlich vergessen“, erklärt er säuerlich, ignoriert den Lehrer und kommt auf mich zu. „Die hatten das letzte Jahr wohl echt Probleme, sich dann und wann durchzusetzen, und sind dementsprechend entschlossen. Wenn wir nicht einige Streiche spielen wollen, die arg unter die Gürtellinie gehen, haben wir die Posten wieder an der Backe.“ Ich seufze frustriert. Den ein oder anderen Mist der Lehrerschaft zu vereiteln, ist zwar ganz lustig und zweifellos auch nützlich, aber die ganze Arbeit, die mit der Stellung als Schulsprecher verbunden ist, kann schnell ziemlich nervig werden. Aber anscheinend kommen wir nicht drum herum. „Ärgerlich“, brumme ich. „M-hm“, stimmt Taro zu. Omata hat sich immer noch nicht wieder gefasst. Das ausgerechnet Taro, als jemand angesehen wird, der sich gut als Schulsprecher macht, scheint er nicht begreifen zu können. Nach ungefähr fünf Minuten, in denen er uns, insbesondere Taro, kopfschüttelnd beobachtet hat, fährt er stockend mit seinem „Unterricht“ fort. Als er ein „Arbeitsblatt“ verteilt, auf dem wir Fragen zu unseren sexuellen Erfahrungen beantworten sollen, gibt Taro ihm endgültig den Rest, in dem er sich bei der Frage, wie viele Nummern wir denn in der letzten Woche geschoben hätten, meldet und sich erkundigt, wie genau er „Nummern“ definiert. Orgasmen, verschiedene Stellungen oder irgendein zeitlicher Abstand. Omata klappt der Mund auf und starrt ihn einfach nur perplex an. Die Klasse hingegen biegt sich auf ihren Stühlen vor Lachen. *** Am Samstagmorgen wache ich in Taros Armen auf. Im Schlaf habe ich mich anscheinend wieder mal an seine Brust gekuschelt. Ich seufze wohlig und schmiege meine Wange an seine warme Haut. „Morgen, Süßer“, murmelt Taro und krault mich im Haaransatz, worauf mir ein zufriedenes Brummen entweicht. „Bin nich süß“, nuschele ich, jedoch nur, um es gesagt zu haben. Augenblicklich ist es mir reichlich egal, wie er mich nennt. „Im Moment definitiv“, sagt Taro sanft und drückt mir einen Kuss auf den Kopf, wobei er seine Nase in meinen Haaren vergräbt und genussvoll einatmet. Ich schlinge einen Arm um ihn und spüre doch tatsächlich Stoff unter meinen Fingern. „Warum bist du nicht nackt?“, frage ich anklagend, während meine Hand in seine Shorts schlüpft und über seinen Knackarsch streicht. „Es war mir beim Essenmachen zu kalt“, meint er amüsiert, biegt sich aber beschwichtigend meinen Berührungen entgegen. „Essen?“, frage ich dämmrig. Und tatsächlich, als ich schnuppere, dringt mir der Duft von Taro, Sex, frischgewaschener Kleidung und Essen in die Nase. „M-hm.“ „Du hast mir Frühstück ins Bett gebracht!“, stelle ich inzwischen deutlich wacher fest, als ich über ihn hinweg zum Schreibtisch schiele, der immer noch am Bett steht. Essen oder Taro? Taro oder Essen? Taro. Ich rutsche ein Stück nach oben bis ich mit ihm auf Augenhöhe bin. Meine Hand ziehe ich aus seinen Shorts und platziere sie stattdessen auf seinem Rücken – unter dem Hemd, versteht sich. Ich küsse ihn zärtlich. Als ich mich verbal bedanken will, sehe ich leichte Sorge in seinem Gesicht. „Ich dachte damit könnte ich dich etwas besänftigen“, murmelt er schwach lächelnd. „Besänftigen?“, echo ich verwirrt. „Ich bin doch gar nicht böse.“ „Tja, es gibt da etwas, das ich dir wohl beichten sollte“, erwidert er etwas verlegen. „Etwas, das du gar nicht magst.“ Fragend hebe ich eine Augenbraue. Ich kann mir nicht vorstellen, wovon er spricht. „Und das wäre?“, frage ich irritiert. „Ich hab dich ein wenig manipuliert“, gesteht Taro ein und ich verstehe immer noch nicht, was er damit meint. Er sieht wohl meine Unverständnis und fährt fort: „Du weißt schon, die schauspielerische Meisterleistung. Der Spruch zu dem Zitat von Kafka. Mein Verhalten, um dich für meine Omata-Verarsche zu gewinnen. Den Scheinbeziehungsvorschlag sowie die Scheinbeziehung an sich. Dass ich zu dir ins Bett gekommen bin, als du dich geweigert hast, aufzustehen. Die Bitte, mich zu küssen, um das Gefühl von Noz Lippen loszuwerden. Die Wette mit ihr. Die Nachfrage, was du tun würdest, wenn ich darum gewettet hätte, dir einen zu blasen. Meine ständigen Andeutungen, wie sehr ich dich mag. Meine Nachbohren, als du Bedenken wegen des Omata-Plans hattest. Meine Güte, ich hab sogar darauf gesetzt, dass du wegen Maemura eifersüchtig werden würdest.“ Ich runzele die Stirn. Ich habe davon nichts bemerkt, aber es stimmt wohl, dass er damit meine Gefühle geweckt hat. Die Betonung liegt auf „geweckt“. Er hat mich nicht zu etwas gezwungen, dass ich nicht wollte, er hat mir nur etwas gezeigt, das ohnehin schon da war. Zumal ich nach der Zeit verstehen kann, warum er es getan hat. Er hat sich ebenso wenig wie ich getraut, mir seine Gefühle zu gestehen, bevor er sie nicht halbwegs erwidert sah. Wie könnte ich da wütend sein. Wahrscheinlich muss ich ihm dankbar sein, denn nur aufgrund seines cleveren, unterschwelligen Manipulierens sind wir dort, wo wir heute sind. Liebe ist, dass du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle, denke ich und komme nicht umhin Kafka endgültig zuzustimmen. Ich liebe Taro und niemand anderes schafft es auf so brillante Weise, mir zu zeigen, wer ich bin. Allein die Tatsache, dass er mich dazu bringen konnte, einzusehen, was ich für ihn empfinde, beweist das deutlich. Ich küsse ihn einfach, weil ich in diesen Gefühlsdingen verbal wirklich eine Niete bin. Kurz reißt Taro überrascht seine Augen auf, aber danach geht er sofort auf den Kuss ein. Er schlingt die Arme um mich und gibt sich voll und ganz der Zärtlichkeit hin. „Wag es ja nicht, dich zu entschuldigen“, flüstere ich schließlich gegen seine Lippen. „Werde ich nicht“, antwortet er bestimmt und sichtlich zufrieden. „Ich bereue es nämlich kein Stück.“ Lächelnd setze ich mich auf und sehe automatisch zu dem Tablett auf dem Schreibtisch. Ehe ich mich verstehe, sitzt Taro auf meinem Schoß, die Beine um meine Hüfte geschlungen. „Hey“, murmelt er mir ins Ohr und drückt sich aufreizend an mich, „hier spielt die Musik!“ Verlangend legen sich seine Lippen auf die meinen und nur zu gerne erwidere ich den Kuss. Meine Hände wandern seinen Köper entlang, streichen von seinen Beinen über seinen Po seine Rücken hinauf. Er stöhnt in meinen Mund. Ich streife ihm das offene Hemd von den Schultern und drücke ihn in die liegende Position, um eine Chance zu haben, ihm die störenden Boxershorts auszuziehen. Meine Finger umschließen schon den Saum des nervigen Dings, als mir eine Idee kommt, wie ich ihn ein wenig necken kann. Also lasse ich von ihm ab und setze mich auf, den Blick auf das Essen gerichtet. „Toto, das kann jetzt nicht dein Ernst sein“, protestiert Taro. Er scheint zu fürchten, dass es das ist, denn seine Beine umschlingen abermals meine Hüfte. „Die Suppe wird kalt“, sage ich nur und muss an mir halten, um nicht zu lächeln. „Dann mache ich sie nachher eben wieder warm“, antwortet er bestimmt und eine Hand streicht vorwitzig meine Seite entlang. „Ich hab da eine andere Idee“, sage ich nun doch grinsend. Ich greife mir eins der Suppenschälchen. Wie erwartet verengen sich Taros Augen zu Schlitzen. „Wag es ja nicht, mir demonstrieren zu wollen, wie man Sex mit dem Essen verbinden kann. Ich will es gar nicht wissen“, sagt er düstert, lächelt mich dann lasziv an und reibt sich an mir. Unwillkürlich stöhne ich leise auf. Gut, dass ich gar nicht von ihm ablassen will. „Doch willst du“, erwidere ich provokant und lege ihm augenzwinkernd einen Finger auf die Lippen, „denn es wird dir ganz sicher gefallen. Nur nicht aufsetzen.“ Ehe er protestieren kann, vergieße ich den Großteil der Suppe über seinem Oberkörper. Taro keucht aufgrund der warmen, fast heißen Flüssigkeit auf. Ich greife nach seinen Beinen, lockere sie von meinem Körper und spreize sie, sodass ich genügend Bewegungsfreiraum habe. Während ich meine Hände in die Boxershorts schiebe und über seine Innenschenkel streiche, beuge ich mich zu seinem Bauch hinunter und mache mich daran, ihn von der Suppe zu befreien. Mhm, lecker, Taro mit Suppe. „Toto“, keucht Taro und vergräbt seine Hände in meinen Haaren. Er erbebt unter meinen Berührungen. Böse auf dich sein? Von wegen, denke ich amüsiert. Wo er mir doch so viel gibt. Ich gebe ihn mit Sicherheit nicht mehr her. Meinen Taro-chan. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)