Schattenjagd von Scarla ================================================================================ Prolog: »Liebste Serafina...« ----------------------------- Liebste Serafina, ich schreibe dir nun, um dir eine deine Frage zu beantworten, die du mir stelltest, vor scheinbar so langer Zeit in einer Welt, die mir so fern erscheint, obwohl sie immer noch dieselbe ist. Es ist schon so lang her, doch erinnerst du dich? Du fragtest mich, was es uns zu dem macht, was wir sind. Die Lichter antwortete ich dir und du fragtest, was die Lichter seien. Damals wusste ich keine Antwort, jetzt habe ich eine. Sie sind nicht unser Geist, sie sind nicht unsere Seele, sie sind auch keine Engel. Sie sind alles gemeinsam. Sie sind, was uns ausmacht, sie sind, was wir sind. Sie machen uns zu Menschen. Sie lassen uns lachen und weinen, sie haben unsere Fäden in der Hand und dennoch sind wir nicht ihre Marionetten. Sie beschützen uns vor anderen und vor uns selbst. Sie sind wir und doch sind sie etwas völlig anderes. Weißt du, liebste Serafina, ich habe mich so lange schon mit ihnen beschäftigt, doch verstanden habe ich es dennoch nie ganz. Jetzt jedoch ist es zu spät. Du ahntest es schon, nicht wahr? Ich schreibe nicht nur mit guten Nachrichten an dich. Es hat auch mich letztlich erwischt. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird und auch nicht, ob wir uns noch einmal im Guten sehen werden, denn ich habe die Schatten immer nur gejagt und verfolgt. Doch dich, meine liebste Serafina, bitte ich darum, dass du es sein sollst, der meinem Leben ein Ende bereitet, damit ich nicht unschuldiges Leben anderer beenden kann. Ich weiß, wie groß diese Bitte ist, ich weiß, wie schwer es dir fallen muss und dennoch muss ich dich darum bitten. Wenn wir uns nicht wieder sehen sollten, dann lass mich dir sagen, das ich dich, meine liebste Serafina, mehr als alles in der Welt liebe. Sag unseren Kindern, das ich stolz auf sie bin, egal was auch geschehen wird und drück sie fest von mir, denn ich kann es nicht mehr selbst tun. Mit diesem Worten verabschiede ich mich, während mein Herz vor Sehnsucht zerbricht. In ewiger Liebe zu dir, dein Jerome Kapitel 1: Ein Wiedersehen -------------------------- Verträumt blickte Arwynn aus dem Fenster. Es hatte aufgehört zu regnen und die Sonne war herausgekommen, sodass die Welt seltsam hell erstrahlte. Die Wolken spiegelten sich in den Pfützen, das Gras wirkte noch grüner und der Steinboden war schon wieder fast trocken. Sie seufzte. Es war ein so schöner Tag, doch es lagen noch zwei Schulstunden und die Mittagspause vor ihr und auch diese Stunde war noch nicht einmal zur Hälfte um. In Momenten wie diesen wünschte sie sich, dass sie die Zeit vordrehen könnte. »Wir haben wirklich glück«, jauchzte ihre beste Freundin Jule an ihrer Seite. »Wieso das? Alleine bis zur Mittagspause ist es doch noch so lange«, bemerkte Arwynn und zog vielsagend eine Augenbraue hoch. »Du Schaf, die Lehrer haben doch nach dieser Stunde ihre Besprechung«, lachte Jule leise. »Ach ja! Das heißt, wir können dieses super Wetter doch noch genießen. Es ist schon fast so, als wäre der Sommer ausgebrochen«, stellte Arwynn mit einem verlegenen Grinsen fest. »Jep. Hast du schon etwas vor oder bist du so optimistisch wie ich und kommst mit ins Schwimmbad?«, erkundigte sich ihre Freundin gut gelaunt. »Nein, meine Schwester kommt doch heute mit ihrem Verlobten nach Hause, da werde ich sie abholen gehen«, Arwynn begann damit, ihre Sachen, die sie in den letzten Stunden über den Tisch verstreut hatte, zusammen zu suchen. »Weiß Einon bescheid, das du früher kommst? Sonst fährt er noch ohne dich«, überlegte Jule. »Ich weiß nicht… Ich glaube, dass ich ihm bescheid gesagt hatte, aber ich denke, dass er es auch vergessen haben wird«, lächelte sie und zog langsam und vorsichtig ihr Handy hervor, das sie geschickt hinter ihrem Berg aus Ordnern und Federmappen verbarg. Schnell tippte sie eine Nachricht in die Tasten und schickte sie an ihren Bruder, dann wartete sie ungeduldig auf das Klingeln, dass das Ende ihres Schultages verkündete. Als es endlich kam, waren sie und Jule die Ersten, die gut gelaunt aus der Schule traten. »Rufst du mich nachher an?«, erkundigte sich Jule, während sie tief die frische Luft einatmete. »Natürlich, ich muss dir doch von Alencias Verlobten berichten. Ich bin wirklich gespannt, wie er so ist. Ich kenne nicht einmal seinen Namen.« Gemeinsam gingen sie die Treppe hinab. Jule verabschiedete sich in Richtung Fahrradständer, Arwynn dagegen ging meistens zu Fuß und gerade an solch schönen Tagen lief sie viel lieber, als sie jedoch auf den Fußweg an der Straße lang trat, erblickte sie schnell das Auto ihres Bruders, der sie scheinbar von der Schule abholen wollte. Freudig lachend lief sie auf ihn zu und öffnete die Beifahrertür. »Wartest du schon lange?«, erkundigte sie sich, während sie die hintere Tür öffnete und ihre Tasche auf die Rückbank schmiss. »Es geht, aber ich war sowieso gerade hier in der Gegend, da konnte ich dich auch gleich mitnehmen«, grinste Einon während sie die Tür zuschlug und auf den Beifahrersitz einstieg. Gerade als sie die Tür zuziehen wollte, fuhr Jule vorbei und die beiden riefen sich noch einen schnellen Gruß zu, bevor sie nun wirklich abfahrbereit waren. Als sie sich jedoch wieder ihrem großen Bruder zuwenden wollte, bemerkte sie sein ernstes, nachdenkliches Gesicht. »Was ist denn auf einmal?«, fragte sie verdutzt. »Was? Oh, nichts. Nichts wichtiges«, grinste er und drehte den Schlüssel. »Okay, dann du meinst… Fahren wir erst nach Hause oder gleich zum Flughafen?«, wollte Arwynn aufgeregt wissen. »Erst nach Hause, immerhin fahren wir eine Stunde und wie ich dich kenne hast du in der Schule wieder nichts gegessen. Du isst also erstmal etwas, während ich das Bett für die beiden beziehe«, erklärte Einon. »Das Bett? Nicht eher die Betten?«, Arwynn zog vielsagend eine Augenbraue hoch. Immer wenn sie einen Freund mit nach Hause gebracht hatte, hatte für die Nacht eine strickte Raumtrennung gefolgt, sie hatte erwartet, das ihr Bruder es mit Alencia ähnlich handhaben würde. »Wäre mir zwar lieber, aber ich fürchte, dann lacht sie mich nur aus«, grinste Einon. »Immerhin ist sie volljährig, lebt seit drei Jahren im Ausland und ist mit diesem Kerl verlobt. Sie hat also gutes recht dazu und weil ich keine lust habe, mich von meiner kleinen Schwester auslachen zu lassen, versuch ich es gar nicht erst.« »Oh, wenn Volljährigkeit dazu führt, dass ich endlich auch nach zehn Männerbesuch empfangen darf, dann sollte ich mir schnellstens einen neuen Freund zulegen«, bemerkte Arwynn. »Ich habe es als einen der Gründe aufgeführt, nicht als den Hauptgrund schlechthin«, stellte Einon augenzwinkernd richtig, schüttelte dann aber entschieden den Kopf. »Darüber sprechen wir ein anderes Mal. Offiziell verbieten darf ich es dir ja jetzt nicht mehr, aber solange du…«, begann er, doch Arwynn unterbrach ihn lachend. »Solange ich meine Füße unter deinen Tisch stelle, gelten deine Regeln, schon klar. Jetzt mal ernsthaft, deine Kinder tun mir jetzt schon ein wenig leid«, erklärte sie grinsend. »Besser ein paar sinnvolle Regeln, als wenn Kinder völlig verwahrlost aufwachsen müssen. Oder haben dich meine Regeln etwa umgebracht?«, erkundigte er sich lauernd. »Nein, das nicht, aber für den nächsten Teenager gebe ich dir den Rat, das man mit sechzehn auch mal ein wenig Privatsphäre mit dem anderen Geschlecht braucht. Mir darfst du es ja nicht mehr verbieten, hast du selbst gesagt«, grinste Arwynn gut gelaunt. »Und für den ersten Teenager, den du aufziehst, habe ich die Weisheit, das man manchmal Dinge tut, von denen man überzeugt war, das man selbst sie nie tun wird, also halte dich mit deinen Klugscheißerein zurück«, konterte er, während er schon auf den Parkplatz fuhr. Die Wohnung, in der Arwynn mit ihrem Bruder und seiner Frau Isabella wohnten, war nur einen Katzensprung von ihrer Schule entfernt. Gefahren wurde sie trotzdem gerne. »Ja, schon klar. Du hast mehr Erfahrung, bla bla«, sie stieg aus und holte ihren Rucksack, bevor sie gemeinsam in Richtung Tür schlenderten. »Genau, also hör auf das, was ich dir sage, denn ich bin alt und weise«, lachte Einon. »Alt ja, weise nein«, konnte sich seine Schwester nicht verkneifen. Er schnitt eine Grimasse, schloss dann die Tür auf und polterte mit seiner Schwester gemeinsam das Treppenhaus hinauf. In ihrer Wohnung ließ Arwynn die Tasche bloß achtlos neben der Tür fallen und schnupperte dann in die Luft. »Was gibt es denn heute leckeres?«, erkundigte sie sich bei Isabella, die bei offener Küchentür am Herd stand und kochte. »Rouladen mit Kartoffeln und Rotkohl. Wie war die Schule?«, erkundigte sich die, während sie mit dem Messer prüfte, wie weit die Kartoffeln waren. »Wie immer«, antwortete Arwynn während sie schon mal Teller herauskramte und den Tisch deckte. »Einon, wann wollt ihr losfahren?«, rief Isabella in den Flur und ließ von ihren Töpfen ab. »Sobald wir gegessen haben. Du kannst übrigens gerne mitkommen wenn du möchtest«, bot der an und lief geschäftig mit der frischen Bettwäsche in den Raum, den er gerne als sein Arbeitszimmer betitelte, obwohl es eigentlich mehr eine Art große Abstellkammer, Bügelzimmer und Gästeraum in einem war. »Nein danke, ich muss noch saugen und die Wäsche aufhängen. Von deiner Schwester und ihren Verlobten werde ich noch genug haben in den nächsten Wochen«, lachte die junge Frau und stellte den ersten Topf auf den Tisch. Sie bestand darauf, dass man sich aus den Töpfen am Tisch direkt auf die Teller tat und niemand mehr aufstehen musste, wenn er noch mehr haben wollte. Arwynn war das anfangs seltsam erschienen, mittlerweile war es jedoch so in den Alltag übergegangen, das ihr gar nicht mehr bewusst war, dass das in anderen Haushalten anders gehandhabt wurde. So eilte sie also in die Küche um den zweiten Topf zu holen während Isabella die Pfanne mit den Rouladen nahm und nach Einon rief. Dann setzten sie sich an den Tisch und aßen, während sie davon erzählten, was der Tag bisher so gebracht hatte. Es kam selten vor, das sie gemeinsam Mittag aßen, aber sie frühstückten jeden Tag und auch das Abendessen nahmen sie gemeinsam ein, dafür sorgte Isabella mit Nachdruck, aber wirklich störend fand es eigentlich keiner von ihnen. Als sie fertig waren, räumten sie gemeinsam ab, dann beschloss Einon, das es langsam an der Zeit war, das sie losfuhren. So polterten sie abermals durchs Treppenhaus zum Auto hinab. Sie fuhren lange, der Flughafen war in einer anderen Stadt, aber es war eine lustige fahrt, denn Arwynn sang bei den meisten Liedern im Radio so laut mit, das sie bald heiser war. Erst auf den letzten Kilometern wurde sie stiller und schaute nachdenklich aus dem Fenster. »Na, keine Stimme mehr?«, fragte Einon nach einer Weile mit einem Lächeln. »Es ist schon so lange her, das ich Alencia gesehen habe, meinst du, sie hat sich sehr verändert?«, fragte das Mädchen leise. »Ich hoffe, wäre nämlich schade, wenn wir beide uns nur streiten würden wir früher immer«, fand Einon und grinste. »So mein ich das nicht und das meinst du genau«, brummte Arwynn. Darauf schwieg ihr Bruder eine ganze Weile. »Sie war vier Jahre fort, der Mensch, der sich in dieser Zeit nicht verändert, den gibt es nicht. Alles was wir erleben ändert uns, jeden Augenblick, den wir existieren geschieht es. Ich frage mich mehr, ob sie mir noch immer so nah, oder ob sie eigentlich eine völlig Fremde ist, mit der ich zufällig verwandt bin«, erklärte er leise. »Warum ist sie eigentlich gegangen? Ja, klar, weil sie im Ausland studieren wollte, aber… ich weiß auch nicht, ich hatte immer das Gefühl, das dort mehr hinter gesteckt hat«, erklärte Arwynn nachdenklich, doch darauf erhielt sie keine Antwort mehr. Zwanzig Minuten später standen sie in der Ankunftshalle des Flughafens und erwartete sehnsüchtig den Flug aus New York, in dem auch die sehnsüchtig erwartete Schwester sitzen sollte. Das Flugzeug landete und die Passagiere kamen heraus. Einer nach dem anderen wurde begrüßt oder verließ eilig die Halle, weil es niemand gab, der sie erwartete, doch die sehnsüchtig erwartete Schwester war nicht dabei. Erst, als Einon und Arwynn schon gar nicht mehr damit rechneten, da erblickten sie Alencia. »Da!«, schrie Arwynn, hüpfte aufgeregt auf und ab und deutete dabei heftig auf die Rothaarige. »Ich sehe sie doch, ganz…«, das letzte Wort blieb Einon regelrecht im Hals stecken, denn nun sah er seine Schwester ganz und somit auch den deutlichen Babybauch, den sie vor sich her trug. Und davon hatte sie definitiv nichts erzählt. Doch auch die Begleitung Alencias überraschte ihn über die Maßen, den er hatte einen jungen Mann erwartet, stattdessen wurde die Schwester von einer jungen Frau mit weißem Haar gestützt. »Kein doofer Blick, keine blöde Bemerkung, wir tun so, als wäre das alles völlig normal«, beratschlagte er schnell mit Arwynn die nun völlig geänderte Situation. Die nickte lachend, denn nichts anderes hatte sie vorgehabt. Dann jedoch hielt sie nichts mehr und stürzte auf Alencia, fiel ihr um den Hals und quietschte dabei sinnfrei, aber voller Freude vor sich hin. »Arwynn!«, auch Alencia schien ihre Schwester erkannt zu haben und erwiderte die Umarmung heftig, drängte die kleine Schwester dann aber ab, um dem großen Bruder um den Hals zu fallen. Dann fingen alle drei gleichzeitig an zu erzählen, umarmten sich immer wieder und freuten sich sichtlich darüber, nach vier Jahren wieder aufeinander zu treffen. Irgendwann räusperte sich die weißhaarige Frau dezent, lenkte so Alencias Aufmerksamkeit auf sich. »Oh verdammt, ich hab dich ganz vergessen! Also, das sind Arwynn und Einon, meine Geschwister. Und das hier ist Era Durand«, stellte sie sogleich vor. »Schön dich kennen zu lernen, Era«, sprach Einon, lächelte ein wenig maskenhaft und streckte der jungen Frau die Hand entgegen. »Wird auch höchste Zeit, das ich die Verlobte meiner Schwester kennen lerne.« Daraufhin herrschte bei Era, die nur Sekunden zuvor etwas hatte erwidern wollen, verblüfftes Schweigen. Sie schaute schnell zu Alencia, die ebenso verdattert aus der Wäsche blickte, dann so laut und schallend loslachte, das die Leute im Umkreis alle neugierig, erschrocken oder missbilligend zu ihnen blickten. »Oh Einon, sie ist doch nicht meine Verlobte«, kicherte sie. »Sie ist eine Kommilitonin, wir wohnen in der gleichen WG.« Daraufhin wurde Einon rot, grinste aber breit. »Tja, da zeigt es sich mal wieder, man sollte erst denken, dann fragen und zum Schluss reden«, lachte er gut gelaunt. »Na, zu deiner Verteidigung muss ich sagen, das es wohl ein sehr irritierendes Bild abgegeben haben muss, wie wir hereinkamen, dir sei also verziehen«, lächelte auf Era mit dem Hauch eines Akzentes, den Arwynn nicht ganz einordnen konnte. »Und wo ist dann dein Verlobter? Und jetzt sag nicht, der hat sich abgeseilt und dich so zurückgelassen«, wandte sie sich aber sogleich interessanteren Fragen zu als der, woher Era wohl kommen mochte. »Ich komme so auch gut ohne Kerl zurecht«, bemerkte Alencia spitz, aber mit einem belusteten Funkeln in den Augen, dann deutete sie hinter sich. »Mein Kerl holt gerade die Koffer.« Wie auf Stichwort kam da gerade ein junger Mann mit hellbraunem Haar und einem Haufen Koffern zu ihnen. Er musterte Arwynn und Einon mit einem abschätzenden Blick und streckte ihnen dann mit einem Lächeln die Hand entgegen. »Hey guys«, erklärte er, während er ihnen die Hand schüttelte. »Oh hello! My name ist Einon Fenger. Are you the fiancée of my little sister? Where are you come from?«, erkundigte sich Einon mit seinem schlechten Englisch. »Aus Deutschland. Entschuldige, die Macht der Gewohnheit«, antwortete der junge Mann. »Na ja, das macht die Kommunikation zumindest leichter, mein Englisch ist nämlich grausig«, erklärte Einon. »Macht nichts. Ich bin Abel Kramer.« »Arwynn«, stellte sich auch die letzte noch einmal vor. »So, dann können wir ja los, wir haben nur ein kleines Problem: Ich habe mit nur zwei Leuten gerechnet, drei müssen sich auf die Rückbank quetschen und Alencia wird nicht dazu gehören«, erklärte dann ihr großer Bruder und lächelte mitleidig. »Wir saßen eben über Stunden in einem engen Flugzeug, auf die Stunde kommt es jetzt auch nicht mehr an, an uns soll es bestimmt nicht scheitern«, lachte Abel. »Soll das bedeuten, das Era mit uns kommen kann? Ich war mir nicht sicher, aber ich hatte auch keine Gelegenheit mehr zu fragen, das war eine kurzfristige Entscheidung, dass sie mitkommen wird«, erklärte Alencia. »Kein Problem, Arwynn schläft sowieso bei Issy und mit im Zimmer, und wenn Abel mit dem Sofa vorlieb nehmen möchte, dann können Era und du Arwynns Bett haben«, erklärte Einon während sie schon langsam in Richtung Ausgang gingen. »Ich möchte aber keine Umstände bereiten, ich kann auch in ein Hotel gehen, wenn das Besser ist«, warf Era sogleich ein, doch Arwynns Bruder schüttelte entschieden den Kopf. »Keine Chance, meine Frau würde mich erwürgen, wenn ich ihr ein Opfer zum Bemuttern vorenthalte«, lachte er. »Sie sind verheiratet?«, fragte Abel sogleich interessiert. »Ja, seit fast drei Jahren. Am 21. Juni haben wir unseren dritten Hochzeitstag«, nickte Einon. »Ja, deine Isabella kenn ich ja auch noch nicht«, überlegte Alencia gut gelaunt. »Die wirst du nach den drei Wochen besser kennen, als dir lieb ist«, warnte Arwynn leise, aber mit einem Lächeln. »Na, dann bin ich ja mal gespannt.« Sie plauderten, bis sie beim Wagen waren, dann verstauten sie die Koffer und drängten sich ins Auto, fuhren los. »Was machen Sie beruflich, Einon?«, erkundigte sich Abel, kaum das sie losgefahren waren. Ihm waren die Bilder, die das Auto zierten, definitiv nicht entgangen. »Wenn du mich noch einmal siezt, Abel, dann, läufst du«, drohte der, bevor er auf die Frage antwortete. »Ich bin Siebdrucker, wenn dir das etwas sagt. Wenn nicht, dann erklär ich dir das zu Hause, mit einem Sieb geht das nämlich einfacher.« »Hab ich nie gehört, also wirst du ein bisschen mehr zu erklären haben«, überlegte Abel, wechselte dabei zum freundlichen Du. »Bin ich gewohnt, den Beruf kennt kaum jemand. Und was machst du? Und Era, was studierst du?«, fragte Einon seinerseits. »Ich bin nichts besonderes, nur ein kleiner Bürokaufmann, der mit seiner Verlobten die Heimat besucht«, Abel strich von hinten liebevoll über Alencias Oberarm. »Ich studiere Naturwissenschaften auf einem sehr speziellen Gebiet«, antwortete Era daraufhin zögernd. »Einem sehr speziellen Gebiet? Sag jetzt bitte nicht, dass du Parapsychologische Vorgänge studierst«, meinte Einon und runzelte die Stirn. »Nein, so einen quatsch doch nicht. Sie studiert, wieso Menschen wie wir etwas Besonderes sind. Wieso wir sie sehen können. Era ist nämlich eine Jägerin«, antwortete Alencia anstelle ihrer Freundin. Arwynn bemerkte sofort, das ihre Schwester damit etwas gesagt hatte, womit Einon scheinbar nicht gerechnet hatte. Er ruckte unbewusst am Lenkrad, etwas, was er sonst nie tat, und sein Gesicht verfinsterte sich zusehends. »Ich glaube, wir müssen uns nachher mal ein wenig länger unterhalten«, meinte er noch, dann hüllte er sich für den Rest der Autofahrt in ein verbissenes Schweigen, egal, was die anderen auch sagten oder taten. Arwynn hatte zwar keine Ahnung, worum es ging, aber zumindest eines war ihr sofort bewusst: Dieser Besuch ihrer Schwester würde Interessant werden. Und sie sollte recht behalten. Kapitel 2: Nachtgespräch ------------------------ Arwynn erwachte durch laute Stimmen. Der helle Vollmond schien ins Schlafzimmer und die digitale Weckeranzeige verriet ihr, dass es schon sehr spät war. Oder sehr, sehr früh am Morgen, wie man es sehen mochte. Sie lauschte einen Moment, doch nun war es still in der Wohnung. Sie rollte sich wieder zusammen, doch sie konnte nicht mehr weiterschlafen, denn Isabella kuschelte sich fest an sie, grunzte dabei im Schlaf und zerquetschte sie fast. Arwynn rutschte ein wenig beiseite, doch Isabella drängelte immer noch und als sie noch ein wenig rutschte, saß sie plötzlich auf dem Boden. Jetzt erst, wo ihr Hintern schmerzte, fiel ihr auf, das Einon gar nicht mehr da war. Sie hatte zwischen ihm und Isabella gelegen, als sie eingeschlafen war, doch nun lag nur noch ihre Schwägerin dort. Sie stand zögernd auf, überlegte, ob sie schauen sollte, wo ihr Bruder war, doch vermutlich plünderte er bloß den Kühlschrank oder war noch einmal auf die Toilette gegangen. Sie wollte sich gerade wieder neben Isabella legen, da hörte sie abermals die lauten Stimmen und erkannte, dass sie aus dem Wohnzimmer drangen. Sie zögerte noch einen Moment, doch dann siegte ihre Neugierde und sie schlich hinaus zum Wohnzimmer. Die Tür war nur angelehnt, so konnte sie nicht nur lautstark hören, sondern auch sehen, was vor sich ging. Alencia und Einon waren dort, Alencia saß auf dem Sessel und hatte die Arme auf ihren dicken Bauch gelegt, während ihr Bruder harsch auf und ab ging. »Verdammt, du hast doch gar keine Ahnung, Alencia«, fauchte er böse. »Meinst du? Ich denke, ich weiß sogar mehr als du, Era und Abel haben mir eine Menge beigebracht«, antwortete sie kalt und abweisend. »Es ist Wahnsinn, mehr muss ich nicht wissen! Du kannst die Welt nicht von allen Schatten befreien, es wird sie immer geben!«, fuhr er sie an. »Woher willst ausgerechnet du das wissen? Du versperrst dich doch schon seit Jahren, du tust, als würde es sie nicht geben, dabei wette ich auf mein ungeborenes Kind, das auch du ab und zu mit deinem Fuchs sprichst und das du dich nicht mehr einsam fühlst, wenn du ihn streichelst«, schnaubte Alencia und ihre Hände verkrampften sich. »Ich habe nie gesagt, dass wir ihre Existenz als solche leugnen sollen«, stellte Einon kühl richtig. »Stattdessen sollen wir einfach zusehen, wie sie zu Schatten werden, ja? Wie sie einfach verschwinden und ihre Menschen ins Nichts stürzen? Einon! Wie konntest du das nur all die Jahre mit ansehen? Ich kann es einfach nicht, ich muss ihnen helfen, wenn ich es kann.« »Das ist Gott verdammt nicht mein Problem! Ja, es ist grausam, ja, ich benehme mich auch nicht anders, als irgendein Politiker, der mit ansieht, wie seine Leute im Krieg fallen und dabei froh ist, das er zu Hause im Sessel sitzt und ihn das alles niemals erreichen wird! Ja, das weiß ich! Aber ich will es nicht anders! Und ich versichere dir, ich hab mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht.« »Du hast sie dir noch leichter gemacht, als irgendwer sonst, du hast sie nämlich niemals selbst getroffen«, fand Alencia und rümpfte die Nase. »Denkst du das wirklich? Meinst du, ich habe einfach nur etwas getan, und dabei waren mir die Konsequenzen egal? Hältst du mich wirklich für so gedankenlos, für so selbstsüchtig?«, Einons Stimme war leise, klang fast zärtlich. »Ich zumindest habe dich niemals bei der Jagd gesehen«, erwiderte seine Schwester hart. »Weil du damals noch die Nächte geschlafen hast, statt dich mit irgendwelchen Leuten einzulassen, die gefährlich sein könnten.« »Oh, jetzt weiß ich, wo der Hase lang läuft, du kannst es nicht ertragen, dass ich verlobt bin. Mit einem Mann, der nicht so viel Angst vor seiner Gabe hat, so wie du.« »Es ist keine Gabe, es ist ein Fluch. Und ich bezweifle, das dein Abel dieselben Dinge weiß, die ich weiß.« »Und was weißt du? Wenn du ach so allwissend bist und so viele gute Gründe hast, warum wir mit dem jagen aufhören sollen, warum sagst du sie uns nicht? Dann bekommst du doch deinen Willen.« »Ich bezweifle, dass ihr euch davon abhalten lassen würdet. Ihr denkt nicht nach, ihr würdet die Konsequenz dahinter nicht verstehen.« »Dann erklär sie mir.« Einon seufzte. Er blieb stehen und schaute erst aus dem Fenster, dann zu seiner Schwester. »Weißt du, was mit den Schatten geschieht, die ihr gefangen habt?« »Sie verschwinden«, antwortete Alencia prompt. »Genau. Weißt du auch, was die Schatten eigentlich einmal waren?« »Tiere. Wie dein Fuchs.« »Seelen. Es sind Menschenseelen die ihr jagt. Und wenn ihr sie eingefangen habt, dann verschwinden sie. Was aber ist ein Mensch ohne Seele? Hast du jemals einen getroffen?« »Nein, jeder Mensch hat eine. Immer.« »Genau. Wir können ohne unsere Seelen nicht leben, Alencia. Jedes Mal also, wenn ihr einen Schatten stellt, dann tötet ihr auch einen Menschen. Schon einmal daran gedacht?« »Aber die Menschen sterben doch auch, wenn ihre Tiere zu Schatten werden. Der Unterschied ist nur, das wir die Schatten daran hindern, unheil anzurichten, sterben würde der Mensch sowieso.« Einon schüttelte den Kopf. »Ich sagte ja, du würdest es nicht verstehen«, bemerkte er. »Stimmt, das hier verstehe ich nicht.« Ihr Bruder seufzte und setzte sich an den Esstisch. »Gut, du willst weiterhin Menschen töten, dann tu das. Ich kann dich daran nicht hindern, ohne dir weh zu tun und ich will dir nicht wehtun, also mach weiter. Aber wenn du irgendwann einmal verstehst was ich meine, dann tu mir den Gefallen und hasse dich selbst für das, was du getan hast und nicht mich«, bat er distanziert. »Du hast mich ja schon Wochen oder Monate zuvor gewarnt, schon klar«, bemerkte Alencia giftig. Einon feuerte noch einen wütenden Blick auf sie ab, dann jedoch schüttelte er schon wieder seufzend den Kopf und schaute aus dem Fenster in die dunkle Nacht. »Wenn du für mich die Jagd schon nicht aufgeben willst, kannst du es zumindest für dein Kind tun?«, bat er leise. »Im Moment jage ich auch nicht.« »Ich meine auch nicht den Moment, ich meine immer. Solange es klein ist, solange es eine Mutter braucht«, traurig schaute er sie an. »Aber mir passiert nichts, Einon. Ich bin nicht alleine und ich pass schon auf mich auf«, lächelte Alencia beruhigend. »Das hat Mam auch gesagt, zwei Stunden später war sie tot«, die tonlose Sachlichkeit, mit der Einon dies feststellte, erschreckte Arwynn ein wenig, doch jetzt wurde sie erst recht neugierig. Sie verstand schon die ganze Zeit nicht genau worum es ging, aber um den Tod ihrer Eltern hatte Einon immer schon ein einziges großes Geheimnis gemacht, sie hoffte, das er es jetzt endlich lüften würde. Eine kleine Weile jedoch sagte keiner von beiden mehr etwas. Alencia streichelte Gedankenversunken ihren Bauch und Einon streichelte den weißen Fuchs mit den schwarzen Ohren und den flammenfarbenen Schweif, der immer bei ihm war. »Dich hat der Tod von Mama und Papa am Meisten getroffen, oder?«, fragte Alencia nach einer Weile leise. »Nein. Ich habe mittlerweile erfolgreich alles verdrängt, was ich gesehen habe, ich erinnere mich an nichts mehr«, antwortete er Gedankenversunken. »Ich habe noch immer nachts Alpträume deswegen. Weißt du, manchmal denke ich, wenn ich nur mehr gekonnt hätte, wenn ich gewusst hätte, was ein Schatten ist und was es bedeutet sie zu jagen, dann hätte ich unseren Eltern vielleicht helfen können.« »Das hättest du nicht, Alencia. Und es bringt auch nichts, wenn du es jetzt lernst, du wirst sie damit nicht wiederholen können. Und ich will nicht noch jemanden auf diese Art und Weise verlieren. Deswegen bin ich so froh, das Issy keine Jägerin ist. Wir teilen dieses Geheimnis, aber ich muss mir keine Sorgen darum machen, was die Schatten mit ihr anstellen könnten«, antwortete er leise. »Und Arwynn? Kann sie sie überhaupt sehen?« »Ja, aber ich hab ihr nicht gesagt, dass ich es auch kann. Ich lasse sie lieber in dem Glauben, das sie verrückt ist, oder was immer sie denken mag. So kommt sie gar nicht erst auf die Idee, sich irgendwelchen Jägern anschließen zu wollen. Sie erkennt die Seelen fast schneller als ich, dabei weiß sie nicht einmal was sie sieht. Nur, das sie darüber nicht reden soll«, erklärte der junge Mann. Alencias Antwort bekam Arwynn nicht mehr mit, denn eine Hand legte sich über ihren Mund und zog sie von der Wohnzimmertür fort. Sie erschrak heftig, wehrte sich dann verbissen bis sie merkte, dass es Era war. »Sei nur leise, Alencia und Einon müssen nicht wissen, das du sie belauscht hast«, erklärte sie ruhig und ließ Arwynn dann los. »Ich habe laute Stimmen gehört und wollte wissen, was vor sich geht«, verteidigte sich das Mädchen. »Das war kein Vorwurf, Arwynn. Wissen müssen sie es trotzdem nicht«, fand Era und wandte sich ab, um ihre Stiefel anzuziehen, die sie trotz des warmen Wetters trug. »Weißt du, worüber sie gesprochen haben?« »Nein, aber da sie sich uneins waren und dein Bruder die Schattenjäger nicht gerade zu mögen scheint, geh ich davon aus, das er und Alencia sich darüber gestritten haben, ob die Gesellschaft von Abel und mir wirklich das Richtige für sie ist«, mutmaßte Era. »Was sind die Schatten überhaupt? Einon hat es mir nie verraten«, fragte Arwynn. Ihr Gegenüber hielt für einen Moment inne, schaute sie dann nachdenklich an. »Machen wir einen Spatziergang, da kann ich es dir erklären«, bot die junge Frau an und das Mädchen nickte. Während sie sich schnell Schuhe und eine Jacke anzog, ging Era langsam zur Wohnzimmertür und klopfte an. »Alencia, ich geh noch ein bisschen spazieren«, erklärte sie, sagte von Arwynn kein Wort. »Um diese Uhrzeit?«, fragte Einon ungläubig. Und kalt, wie seine jüngste Schwester verwundert feststellte. Eigentlich gab es nie jemanden, den Einon nicht mochte, deswegen war es umso erstaunlicher für sie. »Wieso nicht? Zwischen dem Frühling und dem Sommer sind die Nächte am Schönsten und Vollmond ist auch«, erklärte sie und bevor irgendwer antworten konnte, hatte sie schon die Tür hinter sich zugezogen. Sie machte einen Schritt zur Haustür und öffnete sie, deutete dann Arwynn, das sie vorangehen sollte. Sie traten gemeinsam in die kühle Nachtluft auf die Straße hinaus. Ihnen gegenüber lag der Wald, doch um diese Zeit wollte das Mädchen dort um nichts in der Welt hinein, deswegen wandte sie sich nach rechts. Era folgte ihr und für eine schiere Ewigkeit liefen sie nur so nebeneinander her. » Erzählst du mir jetzt, was die Schatten sind?«, fragte Arwynn irgendwann. »Ja, aber fangen wir an einer anderen Stelle an. Du kennst die Tiere, die keine sind, nicht wahr?« »Wenn du so welche wie deine Wölfin meinst, und meine Flatter, dann ja, die kenne ich«, nickte Arwynn. »Einon sagte, das sie unsere Seelen sind.« »Ja, in gewisser Weise hat er recht, aber sie sind noch viel mehr. Ich weiß nicht, was sie genau sind. Ich glaube, so ganz genau weiß es keiner, aber das spielt auch keine Rolle. Sie sind hier, sie sind bei uns und sie lenken unser Denken und unsere Schritte«, erklärte Era und strich der Wölfin über den Kopf. »Wieso sehen wir sie oder anders herum… wieso sehen sie so viele Leute nicht?« »Ich weiß auch das nicht. Vielleicht konnten es irgendwann einmal alle und sie haben es nur verlernt, oder es ist genau anders herum, aber schlussendlich ist es egal. Wir können es, das ist von Bedeutung, mehr nicht.« »Gut. Im Prinzip weißt du also auch nichts«, stellte Arwynn lächelnd fest. Era lächelte zurück, schüttelte aber langsam den Kopf. »Weißt du, warum wir Menschen existieren?«, erkundigte sie sich. »Nein, aber wieso fragst du?« »Weil es das gleiche ist. Wir müssen so etwas nicht über sie wissen, um etwas über sie zu wissen«, grinste Era. »Okay, so kann man es natürlich auch sehen.« »Nun, wir wissen über sie, dass sie anders aussehen, als gewöhnliche Tiere. Der Fuchs deines Bruders müsste eigentlich reinweiß sein, denn vom Körperbau her sieht sie stark nach einem Polarfuchs aus. Seine Besonderheit ist der feuerrote Schwanz und vor allem die schwarzen Ohren, von denen ich gestehen muss, dass sie mich anfangs erschreckten.« »Wieso?«, Arwynn runzelte die Stirn. »Weil es so beginnt. Jeder Schatten war irgendwann einmal ein Lichter. Die Meisten bleiben es auch ihr Leben lang, aber manche bekommen schwarze Flecken. Diese Flecken breiten sich aus und irgendwann ist es komplett schwarz. Sobald dies geschehen ist, ist es ein Schatten, dann ist es… nicht mehr das, was es einmal war.« »Sind die Schatten böse? Warum jagt ihr sie und wie jagt ihr sie?« Arwynn und Era waren im Einkaufszentrum angelangt, das um diese Zeit dunkel und leer, fast gespenstisch war. »Sie töten. Sie greifen die Lichter an, und versuchen ihr Opfer böse zu erwischen. Die Lichter können sterben, wenn ein anderer Lichter oder eben ein Schatten sie verletzt. Wir Menschen können es nicht, aber sie können auch uns Menschen nicht angreifen. Aber wenn sie sich gegenseitig töten, dann ist das, als wenn wir Menschen uns gegenseitig töten. Und das Eine kann ohne das Andere nicht leben, jeder von uns hat einen Lichter. Wenn sie sterben, sterben auch wir«, Era schlenderte langsam zu dem Brunnen, den man vor Jahrzehnten einmal vor der Kirchen angelegt hatte. Er war nicht besonders kunstvoll, aber im Sommer spielten die kleineren Kinder gerne hier. Im Moment war er aber noch trocken, das Wasser hatte man noch nicht angeschaltet. Era kletterte hinauf, die graue Wölfin, ihr Lichter, immer neben sich. Arwynn setzte sich still und nachdenklich unten auf den Rand. Sie legte ihren Kopf in die Hände und schaute nachdenklich vor sich hin. Irgendwann dann legte sie sich auf den Rand und schaute in den Sternenbesetzten Nachthimmel hinauf. »Wieso jagt ihr sie? Damit sie nicht andere… Lichter angreifen können?«, erkundigte sie sich leise. »Ja, auch. Weißt du, ich will so viel wie irgendwie möglich über die Schatten erfahren, vielleicht kann ich dann auch dafür sorgen, das sie wieder normal werden. Oder zumindest, das die Lichter zu Schatten werden. Ich will anderen damit helfen.« »Das solltest du Einon erzählen, vielleicht hilft er euch dann ja. Wenn ich alles richtig verstanden habe, dann war er ebenfalls einmal ein Jäger«, überlegte Arwynn. »Das wird er nicht. Hast du verstanden, was genau sein Problem ist? Das, was Alencia nicht sehen wollte?« »Nein. Wenn es nicht darum geht, ob die Menschen sterben oder nicht, dann… nicht.« »Er will nicht, dass das Blut an seinen Händen klebt. Wenn sie sterben, dann sterben sie eben, er ist nicht schuld, er hat sie nicht getötet. Wenn er die Schatten allerdings jagt, dann tötet er sie auch, dann ist er der Mörder und das will er nicht«, erklärte Era. »Wenn man es so sieht… dann hat er recht«, fand Arwynn. »Ja, aber wenn er nichts tut, dann sterben noch mehr und dann ist es genauso seine Schuld, den er hätte es verhindern können. So zumindest sieht Abel das. Und Alencia auch.« »Und du?« »Ich habe meine eigenen Beweggründe«, Era lächelte geheimnisvoll zu ihr hinab. »Interessiert dich nicht, das du sie auf dem Rücken von Menschen ablädst?«, Arwynn kam das Gespräch irgendwie seltsam vor. Sie sprachen hier über Mord, doch es erschien ihr so weit entfernt, so wage und vernebelt, als unterhielte sie sich über das Wetter. »Manchmal muss man Opfer bringen. Und manche Dinge muss man einfach so weit von sich Fortschieben, wie es irgendwie geht, damit man nicht daran zerbricht. Ich habe meine Gründe und wenn diese Gründe es erfordern, dass ich andere opfern muss, dann werde ich es tun«, erklärte Era. Arwynn sagte zwar nichts, aber sie runzelte die Stirn. Diese Aussage war nun wirklich nicht, was sie hatte hören wollen und es ließ Era in einem völlig anderen, neuen Licht erscheinen. Es war kein positives Licht. Sie setzte sich wieder auf und schaute zu der Freundin ihrer Schwester hoch. Sie überlegte, ob sie sich jetzt vor ihr in Acht nehmen sollte und sie kam zu dem Schluss, dass sie es durchaus tun sollte, den Era würde auch vor ihr als Opfer nicht zurückschrecken, das war ihr klar. In dem Moment schaute die Wölfin zu ihr hin und ihre braunen Augen wirkten so wissend, als hätte sie Arwynns Gedanken gelesen und machte sich ganz unverhohlen, aber nur im Stillen über sie lustig. Dann stupste sie Era mit der Nase an und als sich die junge Frau zu ihr hinabbeugte erschien es Arwynn, als sprachen sie kurz miteinander. »Wir sollten wieder zurückgehen, sonst macht sich dein Bruder noch sorgen«, meinte sie und sprang geschickt vom Brunnen aus zu Boden. »Wenn er gemerkt hat, das ich nicht da bin, dann ist er garantiert schon losgezogen um mich zu suchen, wenn er es nicht bemerkt hat, wäre es mir lieber, wenn er es auch nicht allzu bald erfährt«, erklärte Arwynn und stand auf. »Von mir bestimmt nicht, er mag mich auch so schon nicht, wenn er erfährt, dass ich des Nachts seine kleine Schwester aus ihrem Bett entführe, dann werden wir niemals warm miteinander«, lachte Era. »Glaub ich auch«, nickte Arwynn bestätigend. Dann gingen sie und Era gemeinsam zurück und während sie liefen, holte das Mädchen eine kleine, weiße Fledermaus aus ihrer Tasche. Flatter. Ihr eigener Lichter, den sie jetzt mit neuen Augen betrachtete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)