Lichtbringer von MilliBee (Der Fall des Lichkönigs einmal anders...) ================================================================================ Kapitel 11: Der Richter ----------------------- „So eine verdammte Sauerei.“ Mathis kratzte sich am Kopf und starrte mit zusammengekniffenen Lippen auf den leblosen Körper, der vor ihm auf den groben Steinplatten des Burghofes lag. Sie hatten sechs Mann gebraucht, um Mithilfe eines rasch errichteten, provisorischen Flaschenzuges den Toten aus dem Wurzelgestrüpp in Brunnenschacht hochzuhieven. Soldaten aus Sturmwind, die ihre täglichen Exerzierübungen auf dem Burgplatz machten, waren Mathis und seinen beiden Gehilfen Krestin und Gorben zu Hilfe gekommen. Die, die nicht mit am Seil zogen, hatten Posten in einem losen Ring um den Burgbrunnen bezogen, um neugierige Blicken abzuhalten. Währenddessen stand Feldwebel Holthus die ganze Zeit nur schweigend mit verschränkten Armen dabei und beobachtete missmutig. Und nun lag der Leichnam des jungen Nachtelfen vor ihnen, den rechten Arm und das rechte Bein in einem anatomisch völlig unmöglichen Winkel von Körper abgespreizt, mit tiefen Schürfwunden in Gesicht und auf den Händen. Mathis sah mit düsterer Miene zu Feldwebel Holthus. „Jetzt solltet ihr mal eurem König und Hochlord Fordring Meldung machen. Und am Besten schickt ihr gleich noch jemanden zu den Kirin Tor.“ „Ihr scheint diesen Mann zu kennen, Godefrey?“ „Ja, leider,“ nickte der Steinmetz. „Er ist, oder besser war ein Magister der Kirin Tor.“ Mathis hatte Riviel, den Portlamagier der sie über mehrere Wochen in den Sturmgipfeln begleitet hatte, sofort wieder erkannt. Holthus warf einen flüchtigen Blick in den tiefen Brunnenschacht. „Da hat jemand versucht, gründlich zu sein. Von alleine ist der da nicht reingefallen.“ Dann wandte er sich zu einem seiner Soldaten um. „Soldat! Meldung bei seiner Hoheit und bei Hochlord Fordring. Und zwar zack zack!“ Der junge Soldat salutierte und eilte zur Königsfeste. Während Holthus einen weiteren Soldaten zum Kuppelbau der Kirin Tor schickte, hockte sich Mathis vor den toten Elf und betrachtete ihn betrübt. Vorgestern Abend hatte er ihn noch ausgelassen mit Niamanee tanzen sehen und nun würde der junge Bursche niemals wieder das Tanzbein schwingen. Als er wieder aufsah, bemerkte er, dass Gorben verschwunden war. Wohin war dieser unnütze Kerl denn jetzt schon wieder verschwunden? Aber bevor er den Krestin danach fragen konnte, trat Waffenmeister Renfurt, König Varians persönlicher Adjutant, aus dem hohen Portal der Königsfeste und eilte schnellen Schrittes auf ihn zu. Mathis erhob sich und sah ihm entgegen. Renfurt schenkte ihm ein kurzes Nicken, das Mathis mit einer höflichen Verbeugung konterte und dann strich sich der Waffenmeister gewichtig über seinen scharf gestutzten Schnurrbart. „Erstattet Bericht, Steinmetz!“ Mathis beschloss, sich nicht von Renfurts aufgeblasenem Auftritt beeindrucken zu lassen und wollte gerade anfangen zu erzählen, da sah er aus den Augenwinkeln wie Hochlord Fordring auf den Burghof trat. Er war allein, wie so oft, blieb kurz stehen, warf einen Blick über den Burghof und kam dann im gemächlichen Tempo zum Brunnen. „Wenn der Herr Waffenmeister auf den ehrenwerten Hochlord Fordring warten würde, dann müsste ich nicht alles zweimal erzählen.“ Renfurt schien das nicht zu gefallen, nickte aber, da er Fordring ebenfalls kommen sah. Der Hochlord hatte sie auch bald erreicht und wehrte mit einer raschen Handbewegung Mathis Ansatz einer tiefen Verneigung ab. „Mein lieber Godefrey, da habt ihr ja etwas ausgesprochen unerfreuliches zu Tage gebracht.“ Der Blick des alten Paladins fiel auf die wachsende Zahl der Schaulustigen, die von den Soldaten zurückgehalten wurde, dann wanderten seine grauen Augen weiter zu Renfurt. „Waffenmeister, nehmt eure Männer hier und erklärt doch unseren neugierigen Zuschauern da unten, dass es hier nur einen kleinen Unfall gegeben hat und es nichts weiter zu sehen gibt.“ Er lächelte freundlich. Renfurt salutierte kurz, winkte den drei Soldaten sowie Feldwebel Holthus zu und machte dann mit unbewegter Miene auf dem Absatz kehrt um zu der wachsenden Menge an Zuschauen zu gehen. Mit einem Hauch von Schadenfreude sah Mathis ihm nach. Ganz Soldat. Läßt sich nicht anmerken, dass er vor Ärger beinahe platzt, weil er nun einiges nicht mitbekommen wird. Renfurts scharfer Ton sorgte in der Tat dafür, dass sich die Menge der Schaulustigen wenn auch unwillig recht schnell zerstreute. Ohne den Blick von dem Toten zu nehmen richtete Fordring seine Worte wieder an Mathis. „Das ist doch der junge Magister, der mit euch unter dem Kommando von Dunkelschwinge in den Sturmgipfeln war.“ Das Personengedächtnis von Fordring war legendär. Man konnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass er jeden Einzelnen hier im Lager persönlich kannte. Der Hochlord strich über seinen eisgrauen Bart. „Ich erinnere mich noch gut, weil der Junge kurzfristig eingesprungen ist. Mooswanderer war sein Name, glaube ich. Riviel Mooswanderer.“ Jetzt sah er Mathis direkt an. „Kanntet ihr ihn gut?“ Mathis zuckte mit den Schultern. „So gut man halt jemanden kennt, mit dem man mehrere Wochen lang im selben Zelt gelebt hat. Viel von sich erzählt hat er allerdings nie.“ Fodring lehnte sich über den Brunnenrand und sah in Schwärze hinab. Seine gedämpfte Stimme hallte im Schacht wieder. „So, wie er zugerichtet ist, muss er tief gefallen sein. Wie habt ihr ihn entdeckt?“ „Purer Zufall. Bei den Ausbesserungsarbeiten in den Kellergewölben hat’s einen kleinen Zwischenfall gegeben, ein Teil der Decke ist weg gebrochen und hat einen Gang freigelegt. Wahrscheinlich ein alter Fluchttunnel, der zum Brunnenschacht führte. Und genau auf der Höhe, wo der Gang in den Schacht mündete habe ich ihn gefunden.“ „Wo er ansonsten niemals entdeckt worden wäre.“ Mathis zögerte. „Na ja, wenn jemand spurlos verschwindet, wäre das einer der ersten Orte, wo ich nachschauen würde.“ Fordring wirkte interessiert. „Wieso?“ „Wenn ich es eilig gehabt hätte, mein Opfer verschwinden zu lassen, hätte ich genau den alten Brunnen gewählt.“ „Und wenn ihr Zeit gehabt hättet?“ „Hätte ich es von der Steilklippe geschubst.“ Fordring lächelte. „Ihr beherbergt ja ein beachtliches Potential an krimineller Energie, mein lieber Godefrey.“ Mathis zuckte wieder mit den Schultern. „Ich sag’ halt nur, wie es ist.“ „Und genau das schätze ich an Euch, Herr Steinmetz.“ Erzmagier Rhonin kam vom Kuppelbau her in wehenden Roben über den Burgplatz geeilt, in seinem Windschatten gefolgt von drei weiteren, violett umflatterten Magiern. Fordring warf einen kurzen Blick in seine Richtung und wandte sich wieder Mathis zu. „Da dieser Gang ja nun nichts Geheimes mehr hat, solltet ihr ihn besser wieder zumauern. Und sorgt dafür, dass die Aufbauten hier schnell verschwinden.“ Mathis nickte, winkte Krestin zu sich und gemeinsam machten sie sich an den Abbau des Gerüsts. Erzmagier Rhonin hatte den Brunnen mittlerweile erreicht. „Ach herrje! Das ist ja entsetzlich!“ Fordring sah den fuchshaarigen Magier ruhig an. „Ja, das ist ein unschöner Anblick. Ich vermute, dass ist der Magier, den ihr seid gestern Nachmittag vermisst?“ Rhonin bejahte. „Als Mooswanderer heute Mittag nicht zum den Studien erschien, haben wir uns noch keine großen Gedanken gemacht. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass der Junge seine Studien verschlafen hätte. Dann aber entdeckte Fräulein Jaina die Spuren der ungemeldeten Portalsprünge. Wir begannen sofort mit der Überprüfung aller Personen, die dafür in Frage kämen. Riviel Mooswanderer blieb unauffindbar. Wir hatten den Jungen bisher immer für begabt, aber etwas unbedarft gehalten, aber nach Abwägung aller Fakten sah es so aus, dass er dahinter stecken musste. Und wir vermuteten, dass er sich abgesetzt hatte, weil ihm der Boden möglicherweise zu heiß geworden ist. Aber dass er ermordet worden ist...“ Der Erzmagier schüttelte den Kopf. Mathis runzelte leicht die Stirn. Er hatte gute Ohren und obwohl er voll und ganz mit dem Abbau beschäftigt schien, hielt er den Großteil seiner Aufmerksamkeit auf das Gespräch gerichtet. Gestern Morgen noch hatte er Riviel beim Würfelspiel in dem ‚Hängenden Prinzen’ gesehen. Dann musste der Mord also kurz danach geschehen sein. Er beschloss, diese Erkenntnis erst einmal für sich zu behalten. Waffenmeister Renfurt hatte sich wieder dazugestellt. Die Soldaten exerzierten weiter unter Holthus’ Kommando, Renfurt hatte sie allerdings wie eine zufällige Barriere zwischen Burgtor und Brunnen postiert. Auf dem Burgplatz schien wieder Normalität einzukehren. „Das er ermordet wurde, könnte bedeuten, dass er, angenommen, er ist tatsächlich der Springer gewesen, seinen Hintermännern zu unbequem geworden ist.“ fuhr Fordring fort. „Die möglicherweise jetzt in Panik geraten, weil der Tote so früh entdeckt wurde.“ Fordring warf Renfurt einen anerkennenden Blick zu. „Das wäre denkbar.“ „Andererseits- vielleicht ist dass auch nur ein unglücklicher Zufall,“ sinnierte Rhonin nachdenklich. „Mooswanderer hat die Finger nicht vom Spiel lassen können. Das ist ihm möglicherweise zum Verhängnis geworden. Vielleicht schuldete er jemanden Geld “ Vom Burgtor her näherte sich jetzt eine dunkel gekleidete Gestalt, eher spielerisch auf einen Gehstock gestützt, gefolgt von Maurergeselle Gorben. „Was macht der Richter denn hier?“ Rhonin wirkte alles andere als erfreut. Seine drei Magier positionierten sich wie auf einen lautlosen Befehl hin vor die kleine Gruppe am Brunnen und den beiden Ankömmlingen. Fordring beschwichtigte. „Wir hätten Fallon so oder so informieren müssen. Lasst ihn hochkommen.“ Mathis sah auf. Deswegen war Gorben so schnell verschwunden. Er hatte den Richter geholt! Egmunt Fallon, genannt ‚der Richter’ war nicht wirklich ein Richter. Zumindest nicht mehr. Tatsächlich war Egmunt Fallon lange Jahre Richter in Lordaeron-Stadt gewesen, bis er bei König Terenas in Ungnade gefallen war. Während der Geißelinvasion in Lordearon war er dann wieder in Erscheinung getreten. Nachdem Arthas dem Ruf seines Meisters nach Nordend gefolgt war, hatte Fallon recht erfolgreich aus dem Untergrund den Kampf gegen die Geißel in der Hauptstadt organisiert, musste dann aber mehr oder weniger freiwillig den Untoten von Sylvanas Windläufer weichen. Daraufhin hatte er sich dem Nordend- Kriegszug angeschlossen und aus eigener Initiative relativ schnell eine schlagkräftige Miliztruppe zusammengestellt, mit der er im äußeren Ring der Argentumsfeste für Recht und Ordnung sorgte. Und dies tat er so effektiv, dass ihn jeder nur noch respektvoll ‚den Richter’ nannte. Niemand legte sich freiwillig mit dem Richter an. Mit einer fast schon zu tiefen Verbeugung grüßte Fallon, ein knochiger, mittelgroßer Mann in den späten Vierzigern mit bereits sehr ausgeprägten Geheimratsecken im graumelierten, kurzgeschnittenen Haar, den Hochlord und den Erzmagier. Dann klemmte er mit dem Schwung des Hochkommens den Gehstock unter den linken Arm und versenkte die Hände in den Taschen seines mottenlöchrigen Mantels. Die eisblauen Augen, deren Iris sich kaum vom Weiß der Augäpfel abhob blieben kalt, als sich Fallons Mundwinkel zu einem kaum merklichen Lächeln hoben. „Ein Mord also. Gut, das Gorben mich so schnell geholt hat.“ „Wir hätten euch zeitnah informiert, Fallon,“ fiel Rhonin ihm ins Wort. Der Richter nickte. „Sicher. Darf ich mir den Toten einmal näher anschauen?“ Letzteres war hauptsächlich an Fordring adressiert. Dieser ging einen Schritt zur Seite. „Nur zu, Fallon. Sagt uns, was ihr denkt.“ Der Richter ging in die Hocke, lehnte seinen Gehstock mit dem angelaufenen Silberknauf an den Brunnen und für einen kurzen Moment hob er die geschlossenen Lider des Toten. Dann drehte er den Leichnam zur Seite und öffnete den Kragen des gefütterten Wollwamses. Die blassen, violett-roten Spuren am Hals ließen wenig Spielraum für Interpretationen. Ohne aufzusehen murmelte er: „Erwürgt. Von Hinten.“ Von Hinten? Woran macht Ihr das fest?“ Der Richter ging nicht auf die Frage des Erzmagiers ein. „Was Totschlag im Affekt ausschließt.“ Er warf Krestin einen kurzen, ausdruckslosen Blick zu. „Einen Zwerg als Täter übrigens auch.“ Dann wandte er sich wieder dem toten Elf zu. „Haare und Kleidung sind gefroren, der Körper allerdings noch nicht, ebenso wenig ist die Leichenstarre komplett eingetreten. Berücksichtigt man die Tatsache, dass die Leichenstarre bei Frosttemperaturen etwas länger braucht, weisen die Fakten auf einen Todeszeitpunkt in den frühen Morgenstunden hin, vor Sonnenaufgang. Also die Zeit, wo die meisten hier noch tief und fest schlafen. Da er keinen Umhang oder Mantel trägt, ist er vermutlich in einem Gebäude umgebracht worden und dann hierhin geschleift worden. Man kann wohl davon ausgehen, dass niemand einen Toten quer durch das ganze Lager schleifen würde, selbst zu nachtschlafender Zeit nicht, um ihn dann hier im Brunnen zu versenken. Das lässt den Schluss zu, dass er hier in unmittelbarer Nähe umgebracht und direkt darauf in den Brunnen gestoßen wurde.“ Mathis fragte nicht, woher der Richter das so sicher zu wissen schien, ließ seinen Blick aber einmal in die Runde schweifen. Als nächstes zum Brunnen standen die Königsfeste- und der Kuppelbau der Kirin Tor. Mit einem leisen Ächzen erhob sich Fallon wieder, schlug den Kragen seines Mantels hoch, schob den Gehstock wieder unter den Arm und seine Hände wieder in die Taschen. Irritiert stellte Mathis fest, dass an Fallons frostroter Nase ein kleiner Tropfen funkelte und konnte einfach nicht mehr den Blick davon abwenden. Es war geradezu eine Erleichterung, als Fallon endlich ein ausgerissenes Taschentuch aus dem Mantel hervorzog und seine Nase mit einem leisen Schnäuzen darin vergrub. Während er das Tuch wieder verschwinden ließ, sah er in die Runde. Hochlord Fordring schien nachzudenken. „Ihr seid euch bezüglich des Todeszeitpunktes sicher?“ Fallon nickte. „Ziemlich sicher.“ „Dann stellt sich die Frage: Wo ist Magister Riviel von gestern morgen an bis zum Zeitpunkt des Mordes gewesen?“ Fordring sah zu Rhonin. Dieser wirkte ratlos und schüttelte den Kopf. „Könnte er wegen Spielschulden getötet worden sein?“ Jetzt lachte Fallon leise.“ Werter Hochlord, ihr überschätzt die Geldmengen, die hier im Lager im Umlauf sind. Könnte hier jemand soviel Geld verleihen, dass es einen Mord lohnt, wüsste ich davon.“ Rhonin schien allmählich ungeduldig zu werden. „Nun, Fallon, ihr habt uns da wahrlich einige sehr nützliche Anhaltspunkte gegeben, aber wir werden jetzt mit unseren Möglichkeiten weiter ermitteln.“ Fallon verneigte sich leicht. „Es freut mich, wenn ich mit meinem bescheidenen Wissen ein wenig behilflich sein konnte.“ „Wieder einmal habt ihr euren scharfen Verstand unter Beweis gestellt, Fallon,“ Rhonin versuchte sich an einem gönnerhaftem Lächeln. „Aber es gibt Dinge, von denen habt ihr nicht die blasseste Ahnung. Wir werden sehr bald wissen, wer dahinter steckt.“ Der Richter schien unbeeindruckt. „Davon bin ich überzeugt, Erzmagier. Lasst es mich wissen, wenn ihr den Täter gefunden habt.“ Mehr zu Fordring gewandt fuhr er fort. „Trotzdem- ich werde mich mal ein wenig umhören. Ich will nicht ganz ausschließen, dass er tatsächlich Spielschulden hatte und sie mit speziellen Gefälligkeiten abgezahlt hat. So jemanden möchte ich ungern bei uns unten im Lager herumspazieren haben. Besonders, da das Gerücht umgeht, dass Spione des Lichkönigs unter uns weilen. Wäre unschön, wenn sich der Verdacht verbreitet, dass die undichten Stellen in etwas höheren Kreisen zu finden sein könnten.“ Sein Blick fiel wieder auf Rhonin. „Und da meine Anwesenheit hier ganz offensichtlich auch nicht länger erwünscht ist, werde ich mich jetzt unten wieder meiner Arbeit zuwenden. Sollten die hohen Herren meiner vielleicht doch noch benötigen, lasst nach mir schicken. Ich stehe selbstverständlich jederzeit zu ihrer Verfügung.“ Tirion Fordring kräuselte leicht die Lippen. „Fallon, dies hier ist eine sehr ernste Sache und je weniger davon wissen, desto besser. Wir können jetzt keine Unruhe mehr im Lager gebrauchen.“ Fallon nickte. „Das ist mir sehr wohl bewusst, Hochlord. Ihr könnt euch auf meine Diskretion verlassen. Aber dies wird nicht der letzte Mord gewesen sein – und ihr wisst das.“ Fordring ging nicht auf den Richter ein. „Wir halten Euch auf dem laufenden.“ Fallon verneigte sich ein letztes Mal, schlug seinen mittlerweile wieder heruntergekippten Kragen hoch, nahm seinen Gehstock und wandte sich zum Gehen. Dann aber hielt er nochmals inne, drehte sich um und wies mit dem Stock direkt auf Mathis. „Meister Steinmetz- euch hätte ich gerne heute Abend mal gesprochen! Ihr habt den Toten schließlich gefunden!“ Etwas perplex ob der unerwarteten Ansprache sah Mathis auf. „Seit nach der achten Abendstunde bei mir!“ „Ich werde es einrichten,“ nickte Mathis und fuhr fort, den letzten Balken auf dem Karren festzuzurren. Das der Richter ihn heute abends noch sehen wollte, passte ihm gar nicht. Im ‚Hängenden Prinzen’ hatte Balgin Kohlenfaust zur letzten großen Sause vor der kommenden Schlacht gerufen und die Schänke würde brechend voll sein. Kam man da nicht früh genug, konnte man froh sein, wenn man noch einen Stehplatz kam. Für derartige Feierlichkeiten hatte der Richter keinen Sinn. Einmal war er bisher im ‚Hängenden Prinzen’ aufgetaucht- und das auch nur, um einen Holzdieb zur Rechenschaft zu ziehen. Schlecht gelaunt winkte Mathis Krestin und Gorben zum Aufbruch. Während die Gesellen den Karren zogen, nickte Mathis dem Hochlord und dem Erzmagier höflich zum Abschied und folgte dem Karren zum Burgtor hinaus. Aus dem Kuppelbau der Kirin Tor waren mittlerweile zwei weitere Männer gekommen, die eine Trage brachten. Sie verbeugten sich kurz vor dem Erzmagier und dem Hochlord und blieben schweigend stehen. Fordring warf den beiden einen etwas nachdenklichen Blick zu. Zu den Schweigenden, wie man die Bediensteten der Kirin Tor nannte hatte er so seine eigene Meinung. Die Schweigenden, von Geburt an stumm wurden bereits als kleine Kinder von den Magiern geholt um dort zu Dienstboten aufgezogen zu werden- Dienstboten, die vieles lernen würden, nur nicht lesen und Schreiben. In den meisten Fällen waren es Waisenkinder, aber es gab auch des öfteren die eine oder andere ärmere Familie, die ihr benachteiligtes Kind in die Obhut der Magier gaben, da sie es dort weit besser versorgt wussten und froh waren, einen Esser weniger am Tisch zu haben. Den Verdacht, dass der Stummheit der Kinder aus genau den Gründen bisweilen nachgeholfen wurde, hatten die Magier niemals wirklich entkräften können. Aber es hatte auch nie jemand wirklich interessiert. Waffenmeister Renfurt räusperte sich. „Ich werde seiner Hoheit Bericht erstatten.“ Er sah zum Erzmagier. „Seine Hoheit sind sehr besorgt und erwarten ebenfalls detaillierte Informationen über alle weiteren Erkenntnisse.“ Rhonin gab sich keine Mühe, seine Gereiztheit zu verbergen. „Seine Hoheit werden selbstverständlich auf dem Laufenden gehalten, Renfurt.“ Der Waffenmeister verabschiedete sich mit einem knappen Nicken und kehrte strammen Schrittes zur Feste zurück. „Wir werden unseren Magier jetzt mitnehmen und eingehend untersuchen, wenn es euch recht ist, Tirion.“ Der alte Paladin nickte. Mit einer knappen Handbewegung ordnete der Erzmagier den Abtransport des Leichnams an und wandte sich wieder Fordring zu. „Das der Richter hier aufgekreuzt ist, ist nicht gut. Er hätte davon noch nicht so früh erfahren dürfen. Das setzt Dinge in Bewegung, die so kurz vor der Schlacht für Unruhe sorgen werden.“ Rhonin seufzte leise. „Zumal er mit seinem unausgesprochenen Verdacht recht haben könnte. Ich fürchte, die Person, die wir suchen trägt das Wappen unseres Ordens.“ „Ja, im Moment sieht es ganz danach aus. Ist es möglich, im Nachhinein festzustellen, wohin die Portalgänge des jungen Mannes geführt haben?“ „Schwierig. Ja, es gibt Möglichkeiten. Aber genauso gut gibt es Möglichkeiten, die Spuren des Sprunges zu verwischen. Und Riviel Mooswanderer war einer unserer besten Portalmagier. Wir müssten schon viel Glück haben, noch etwas Brauchbares aufspüren zu können. Aber es gibt noch etwas anderes, worüber ich mit Euch reden wollte, Tirion. Folgt mit doch in unsere bescheidene Unterkunft.“ Fordring ließ ein trockenen Lächeln aufblitzen und begleitete den Erzmagier zu dem großen, weißen Kuppelbau der Kirin Tor, der wie ein Halbmond an der Burgmauer klebte, direkt neben einem der beiden schlanken Türme, von denen aus der magische Schutzschild um die Argentumsfeste gespeist wurde. Das Metall der Dachkuppel blitze fast violett im grellen Licht der Wintersonne. Damals, beim Bau der Feste hatte Rhonin Fordring erklärt, dass dieses Metall ein Leiter für die energetischen Ströme sei die von den feinen Messinstrumenten im Inneren aufgenommen würden. Da aber Tirion nicht wirklich viel von Magie verstand, hatte ihn das auch nicht weiter interessiert. Wie viele Streiter des Lichts stand er der Magie schon seid jeher eher skeptisch gegenüber. Die leicht gerüsteten Wachen in den Farben der Kirin Tor am Eingangsportal rückten respektvoll einen Schritt zur Seite, als der Erzmagier und der Hochlord eintraten. Ähnlich der Königsfeste war auch hier ein Außengang um den inneren Bereich gebaut worden der von schwebenden Lichtgloben an der hohen Decke mit sanftem weißen Licht erhellt wurde. Durch die langen, schmalen Fenster drang regenbogenfarbenes Sonnenlicht nach innen – eine schillernde Membran aus flimmernder Energie sperrte anstelle von Fensterglas die Kälte aus. Überflüssige magische Spielereien in Tirions Augen. Immer wieder kamen sehr beschäftigt wirkenender Magister an ihnen vorbei, verneigten sich höflich und eilten dann weiter. Fordring folgte Rhonin eine von mehreren schmalen Treppen hoch, die zum inneren Bereich des Gebäudes führten. Der innere Bereich des Kirin Tor Komplexes war Außenstehenden nicht zugänglich, selbst Fordring war bisher nur wenige Male im heiligsten Inneren der Magiergilde gewesen, ein großer, runder, nach oben offener Raum in dessen Mitte eine gewaltige, bronzene Apparatur rotierte, bestehend aus hunderten und aberhunderten lautlos in und um sich drehender Scheiben und Zahnräder die unablässig in metallische Rahmen gefasste, farbige Kristallscheiben in ständig wechselnde Positionen brachten. Ein ganzes Dutzend Magier war rund um die Uhr damit beschäftigt diese Positionen von unübersichtlich vielen kleinen Skalen abzulesen und in riesigen Folianten niederzuschreiben. Meganitium nannten die Magier diese Apparatur die in der Lage war, jede noch so feine Schwingung der Energieströme zu erfassen. Niemand, der diesen Raum zum ersten Male betrat konnte sich der Faszination dieses Anblickes entziehen. Auch jetzt schlug diese gewaltige Apparatur Fordring für einen Moment wieder in ihren Bann. Er strich sich über den Bart. „Immer wieder faszinierend.“ Jetzt war es Rhonin, der lächelte. „Ja, dass ist wahrlich ein kleines Wunderwerk. Und dabei ist es nur eine kleinere Version. Habt ihr eigentlich je das Meganitium in Dalaran gesehen?“ Fording verneinte. „Tatsächlich habe ich es bisher noch nie nach Dalaran geschafft.“ Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der riesigen Maschine zu. „Und damit seid ihr in der Lage, jedwede magische Bewegung aufzuzeigen?“ Der Erzmagier nickte mit sichtbarem Stolz. „Diese Maschine deckt nur Nordend und den Norden von Azeroth ab. Das Megantinium in Dalaran operiert weltweit und wir stehen in ständigem Kontakt. Immer wieder springen Magier zurück nach Dalaran um unsere Aufzeichnungen mit den dortigen Aufzeichnungen abzugleichen.“ „Was für ein immenser Aufwand.“ Fording hatte mehr zu sich gesprochen, Rhonin ging dennoch darauf ein. „Allerdings. Aber es lohnt sich. Deswegen stehen wir jetzt auch hier. Ich werde Euch jetzt auch nicht mit langen, fachlichen Ausführungen belasten sondern versuchen, es so verständlich wie möglich zu erklären.“ Fordring hatte den kleinen Seitenhieb sehr wohl verstanden, ließ sich aber nichts anmerken. Rhonin fuhr fort. „Wie ich Euch ja bereits mitgeteilt habe, hatten wir jüngst unerklärliche Fluktuationen im Schild. Es war nicht ganz einfach, aber wir haben das Energiemuster extrahieren können und haben es mit bereits bekannten Mustern verglichen. Und wir sind fündig geworden.“ Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort. „Als Illidan Sturmgrimm in der Scherbenwelt vernichtet wurde, gab es einen bisher nie da gewesenen, unglaublich starken, energetischen Impuls, der noch bis nach Azeroth deutliche Wellen geschlagen hat. Bisher hatten wir angenommen, dass dies von den Naaru verursacht worden war. Aber nun haben wir dasselbe Muster in den Fluktuationen gefunden. Da die Naaru, wie ja allgemein bekannt, sich für uns aufopferten haben uns die neuen Erkenntnisse zu einem weit besorgniserregenderen Schluss gebracht.“ Wieder legte er eine kleine Pause ein und Fordring bemerkte, dass Rhonin ihn verstohlen beobachtete. Er will sehen, wie er mich beeindruckt. Und ja, ich bin beeindruckt- aber anders, als er glaubt. Rhonin räusperte sich leise. „Wir alle wissen, dass der Erzdämon Kil Jaeden mit seinem einstigen Vasallen Illidan gebrochen hat – genau, wie mit seinem Geschöpf, dem Lichkönig.“ Der Hochlord nickte bedächtig. „Nun, wir nehmen es an.“ „Diese Erkenntnis kann wohl als gesichert gelten, wir haben es aus vielen Quellen bestätigt bekommen. Wir haben zudem noch etwas anhand unserer Aufzeichnungen festgestellt. Unmittelbar nach der Vernichtung Illidans ist der Lichkönig aus seinem eisigen Schlaf erwacht. Zu einem Zeitpunkt, an dem seine Festungsanlage noch längst nicht fertig gestellt war. Wir glauben, dass das so nicht geplant war. Weiterhin sind wir uns mittlerweile so gut wie sicher, dass es der energetische Impuls war, der den Lichkönig geweckt hat. Eine Energie, die den Dämonen Illidan tötet und den Lichkönig aus dem Schutz des Eises holt, als er noch verwundbar ist. Es ist höchstwahrscheinlich, dass Kil Jaeden dahinter steckt. Und dass er bereits ordentlich hier mitmischt. Fordring- wir haben es hier nicht mit Spionen des Lichkönigs zu tun. Das hier ist eine ganze Nummer größer! Ich habe da ein ganz mieses Gefühl. Hochlord, die Schlacht übermorgen – die Schlacht übermorgen könnte ein großer Fehler sein.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)