Fairytale von Zuckerschnute (das Leben ist ein Märchen- oder auch nicht) ================================================================================ Kapitel 6: Spielplatz, Photoalbum und Kindheitstrauma ----------------------------------------------------- Alex konnte es kaum glauben, als er auf seinen aufgeräumten Schreibtisch starrte. Es war gerade mal zwölf Uhr und er war bereit, sein Büro zu verlassen. „Es gibt heute keine wichtigen Termine mehr, die ich nicht auch erledigen kann!“ meinte Vincent. „Danke!“ Alex lächelte seinen besten Freund an. Vin und er kannten sich noch aus der Schule, er war einer seiner wenigen Freunde damals gewesen. „Bis Morgen!“ In seiner Wohnung wartete Amber schon auf ihn. „Danke das du auf die beiden aufpasst!“ sie lächelte ihn an und schnappte sich ihre Handtasche. „Das Essen steht auf dem Herd. Ich habe ihn auf die niedrigste Stufe gestellt, es bleibt also warm. Ihr müsst nur noch den Tisch decken und dann könnt ihr essen. Tschüß!“ und weg war sie. Alex schluckte. Er als Babysitter... und das, wo er doch eigentlich keine Ahnung von Kindern hatte... was hatte ihn da bloß geritten? Keine zehn Minuten später klingelte es an der Tür. Er drückte auf den Türöffner und öffnete die Wohnungstür. The nighttime fills the sky Stars alive, go floating by So still the evening air So warm and soft, Peace everywhere. I see a world in harmony A world of peace and humanity Where people walk free like water in a stream Flowing on forever more… Von wem auch immer Lalita ihr Gesangstalent hatte, es war definitiv nicht von ihrer Mutter! Im Gegenteil, der Vergleich entspräche ungefähr einem Reibeisen und einer Harfe! Gott sei dank verstummte das Mädchen als er sie begrüßte. „Hallo Alex!“ sie strahlte ihn an. Kito grummelte etwas, das sich verdächtig nach „Tag“ anhörte und machte sich direkt auf den Weg in die Küche. Irrte Alex sich, oder hatte er nicht ganz so böse geschaut wie sonst? Verwirrt kratzte sich der zukünftige Lord am Kopf. Sicherlich bloß Wunschdenken! „Du singst gerne, oder?“ Lalita lächelte ein ziemlich gequältes Lächeln. „Ja, aber so schön wie Mami kann ich das nicht...“ „Spaaaghettiiii!“ der verzückte Schrei aus der Küche sorgte für einen unkomplizierten Themenwechsel. „Echt?“ und schon kam Alexander in den Genuss, einfach stehen gelassen zu werden. Und das wegen einer Portion Spaghetti! Vin würde sich auf dem Boden kringeln, wenn er das sehen könnte! Allerdings wäre damit das Klischee, dass alle Kinder Spaghetti liebten, ein für alle mal bestätigt. Vielleicht sollte er machen, dass er in die Küche kam, oder er lief ernsthaft in Gefahr, nichts mehr abzubekommen. Die Fallucis futterten nämlich wie die Scheunendrescher! Alle drei! Als er das Zimmer betrat war Lalita gerade dabei, einen Stuhl in Richtung Küchenschrank zu zerren. Hoppla, er hatte vergessen, dass die Teller ja ganz oben standen, da kamen die Kinder nicht hin. „Ich hole die Teller, übernehmt ihr Gläser und Besteck?“ bot er an. Das Essen verlief relativ friedlich und danach machte er es sich mit einem Buch auf dem Sofa bequem, während die Zwillinge ihre Hausaufgaben machten. So ein freier Nachmittag hatte schon was! Er war gerade bei einer besonders spannenden Stelle, als ihm jemand am Ärmel zupfte. Widerwillig löste er den Blick von der Seite und blickte direkt ihn Lalitas grasgrüne Augen. „Gehst du mit uns auf den Spielplatz?“ Als Alex nicht gleich antwortete schob sie schmollend die Unterlippe vor und ihre Augen wurden noch größer, auch wenn er nicht gedacht hätte, dass das noch möglich wäre. Himmel, dieser Blick könnte einen Stein erweichen! Und er stimmte er zu, bevor er überhaupt wusste, dass er etwas gesagt hatte. Eine dreiviertel Stunde später kam er sich zwischen all diesen Müttern mit Kinderwägen und tobenden Kindern reichlich fehl am Platz vor. Allerdings schien es den Müttern keinesfalls besser zu gehen, so wie sie ihn anstarrten. Um dem zu entgehen vertiefte er sich wieder in seine Lektüre. Hin und wieder blickte er auf, um zu sehen was Kito und Lalita so machten. Momentan schwangen die beiden auf zwei Schaukeln vor und zurück, ihr vergnügtes Lachen freute Alex. Er hatte Ambers Sohn bisher noch nie so unbekümmert erlebt. Er sah meistens aus, als würde er über etwas brüten, wenn er nicht gerade Leute mit Blicken ermordete. Apropos Amber... von wem hatten die Kinder eigentlich ihre Augen- und Haarfarben? Auf der Grillparty waren die meisten blond gewesen, manche braun- oder schwarzhaarig... aber dieses leuchtende Mahagoni? Und dann die Gesichtszüge der beiden. Beinahe völlig identisch, aber keinerlei Ähnlichkeit mit ihrer Mutter... vielleicht kamen beide sehr nach ihrem Vater? „Lass sofort meine Schwester in Ruhe, du Blödmann!“ Kitos Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, gerade rechtzeitig um zu sehen, wie er auf einen anderen Jungen losging. Lalita stand daneben, eine Hand im Haar und schien nicht zu wissen was sie tun sollte, versuchte dann aber, die beiden Streithähne zu trennen, war damit aber nicht sonderlich erfolgreich. Einer der wenigen Männer auf dem Spielplatz, Alex vermutete dass er der Vater des Jungen war, mischte sich schließlich auch noch ein, ohne zu Ahnen das er damit alles nur noch schlimmer machte. Er nahm Lalita am Arm und wollte sie von den Jungs wegziehen, sie aber bekam beim Anblick des fremden Mannes Panik und fing an zu schreien wie am Spies. Der arme Mann machte einen erschrockenen Satz nach hinten und hob in einer abwehrenden Geste beide Hände, nur um im nächsten Moment von Kito gegen das Schienbein getreten zu werden, weswegen er vor Schmerz aufschrie. Um schlimmeres zu verhindern sprang Alex auf, lies sein Buch auf den Boden fallen und machte, dass er zum Ort des Geschehens kam. „Alex!“ rief die siebenjährige mit zittriger Stimme. Sie lehnte sich gegen sein Bein und verkrallte sich mit beiden Händen in seinem T-Shirt. „Ganz ruhig!“ um seine Worte zu unterstreichen fuhr er ihr mit einer Hand über das rote Haar, das sie zu ihren üblichen hohen Zöpfen zusammengebunden trug. „Sie sollten ihre Tochter besser erziehen!“ meinte Mister „Ich erschrecke ein armes kleines Mädchen fast zu Tode und rege mich dann darüber auf“ in einem Ton, bei dem Alex ihm am liebsten eine runtergehauen hätte. „Was heißt hier besser erziehen? Sie kamen von hinten und haben sie am Arm gepackt, da sollte ein Mädchen schreien!“ er wandte sich dem Jungen zu, mit dem Kito sich geprügelt hatte. „Und was hast du gemacht, dass Kito so auf dich los ist?“ „Gar nichts!“ zischte dieser wütend. „Stimmt nicht! Er hat Lali ‚olle Karotte’ genannt und sie an den Haaren gezogen, nur weil sie ihm im Weg stand!“ verteidigte Kito sich. Alex wandte sich mit einem süffisanten Grinsen an den Vater. „Soso, wer von uns beiden sollte seine Kinder hier noch mal besser erziehen?“ mit diesen Worten drehte er sich um und marschierte zurück zur Bank um sein Buch zu holen. „Sind das nicht die Kinder von dieser jungen Frau, die vor ein paar Monaten zu euch in die Nachbarschaft gezogen ist?“ fragte eine Frau Mitte fünfzig eine andere etwa im gleichen Alter und das so laut, dass alle umstehenden es hören konnten. Auch die beiden Kinder, die hinter Alex herliefen, da ihnen die Lust auf den Spielplatz vergangen war. „Ja! Ich habe es ja gleich gesagt: So ein junges Ding kann sich niemals richtig um kleine Kinder kümmern! Ich persönlich warte ja nur noch auf einen guten Grund um das Jugendamt einzuschalten...“ zustimmendes Gemurmel wurde laut. Eine alleinerziehende Mutter war in den Augen der Vorstadtklatschtanten schon schlimm genug, aber wenn sie dann auch noch so jung war? Unerhört! Das Wort „Jugendamt“ brachte etwas in Lalita zum zerspringen. Zu groß war die Angst, nach ihrem Vater auch noch die Mutter zu verlieren. Und das Jugendamt hatte kurz nach der Sache damals schon einmal ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt, in ihren Augen nur mit der Absicht ihnen auch noch die letzte Bezugsperson zu nehmen die sie noch hatten. Woher sollte das Mädchen auch wissen, dass die Frau, die zwei Häuser weiter von Amber wohnte, sich nur wichtig machen wollte? „Ich will nicht ins Heim, du miese Kröte!“ schrie sie so laut, dass jeder auf dem Spielplatz es hören konnte und Alex vor Schreck fast das Buch fallen gelassen hätte. „Meine Mama ist die beste auf der ganzen Welt! Du... du...“ bevor sie noch mehr sagen beziehungsweise schreien konnte nahm Alex sie auf den Arm und begann, wieder beruhigende Floskeln von sich zu geben. Die „miese Kröte“ klappte ihren Mund ein paar Mal auf und zu wie ein Fisch, zog es aber dann doch vor zu schweigen, da ihr offenbar nichts dazu einfiel. Ihrem Quasseltantenverein ging es offenbar nicht besser. Ein Umstand den die drei nutzten um sich aus dem Staub zu machen. Zuhause angekommen besserte sich die Stimmung nicht wirklich. Kito schien immer noch vor Wut zu kochen, während sein Zwilling ganz offensichtlich mit den Tränen kämpfte. Die ersten Schluchzer waren zu hören noch bevor die Tür ins Schloss gefallen war. Mit einer Mischung aus Verzweiflung, Mitleid und blanker Panik sah Alex auf den Rotschopf hinunter. Was sollte er jetzt bloß tun? Ihre abgehakten Schluchzer waren das einzige Geräusch und sie fuhr sich immer wieder mit den Händen über die geröteten Augen und Wangen, in der Hoffnung, den Tränen irgendwie Herr zu werden. Ihr Bruder schlang die Arme um sie und zog sie an seine Brust, doch sie stieß ihn weg, nur um mit verquollenen Augen zu dem Erwachsenen aufzusehen. „Es tut mir Leid! Das wollte ich nicht!“ sie wischte noch mehr Tränen weg und plötzlich wusste Alex, was er zu tun hatte. Er ging in die Hocke und nahm sie in den Arm, so wie Kito es vorhin versucht hatte. Sie sträubte sich zwar wieder, doch Alex war stärker. Er hielt sie fest, bis sie schließlich aufgab, ihren Kopf an seine Schulter legte und noch lauter weiterschluchzte. „I...ich will nicht ins H...heim! Wenn wir müssen ist das nur meine Schuld!“ „Quatsch mit Soße! Wegen so etwas kommst du doch nicht in ein Heim!“ „Wirklich?“ sie klang, als hätte er ihr gerade die Heilslehre schlechthin offenbart. „Und selbst wenn sie es versuchen sollten: wir hauen einfach ab und kommen zurück!“ ihr Bruder schlang bei diesen Worten ebenfalls die Arme um sie und so saßen sie zu dritt auf dem Boden, bis Lalita sich beruhigte. Etwa eine Stunde später, Alex saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und starrte Löcher in die Luft, machte Lalita es sich neben ihm bequem. Ihre Augen waren immer noch leicht gerötet, aber ansonsten schien es ihr wieder besser zu gehen. Sie hielt ihm ein beiges Photoalbum vor Gesicht, das mit dunkelbraunen und orangen Ranken verziert war. „Das ist mein Schatz!“ in ihrer Stimme schwang so viel Stolz mit, dass Alex schmunzeln musste. Doch schon beim ersten Bild fiel ihm das Lächeln beinahe wieder aus dem Gesicht. Ein Mann Mitte oder Ende zwanzig mit schwarzem Haar und saphirblauen Augen hatte dem Arm um eine Frau im gleichen Alter gelegt. Eine Frau mit kastanienfarbenem Haar und grasgrünen Augen, deren Gesichtszüge mit denen der Zwillinge beinahe identisch waren. „Wer ist das?“ er zeigte auf die Frau, obwohl er die Antwort eigentlich schon wusste. „Unsere Mutter!“ „Aber ich dachte Amber...“ er brach den Satz ab. „Amber ist unsere Mama, aber das ist unsere Mutter. Sie starb als wir noch ganz klein waren. Ich kann mich gar nicht mehr an sie erinnern...“ Mehr Puzzelteile fielen an ihren Platz. Kito und Lalita waren Ambers Stiefkinder... Himmel, wenn das nicht der Beweis war, dass der erste Eindruck täuschen kann! Das nächste Bild war ein Hochzeitsphoto von Amber und dem Mann vom vorherigen Bild. Das war dann wohl Matteo. Sie standen dicht beieinander, jeder ein etwa zweijähriges Kind auf dem Arm, während Amber noch zusätzlich einen Straus Rosen hielt. Bilder von den Kindern, ihrer Einschulung, Geburtstags- und Grillfeiern. Ausflüge. Oder einfach ganz normale Alltagssituationen. „Das ist mein Lieblingsbild!“ meine Lalita schließlich. Das Bild zeigte Matteo, der entspannt in einem Sessel saß und mit sanftem Blick auf Amber herab sah. Die saß vor dem Sessel auf dem Boden, den Kopf hatte sie auf seinen Schoß gelegt, ihr blondes Haar fiel über seine Schenkel bis fast auf den Boden. Ihre Augen waren auf einen unbestimmten Punkt im Raum fixiert und ihr Gesicht zierte ein seliges Lächeln, offenbar gefiel es ihr, dass der Mann mit ihrem Haar spielte. Auf jedem der Bilder war ihr Gesicht vollständig zu sehen, ohne irgendwelche Haare. Was versteckte sie bloß dahinter? Mit einem leisen „plopp“ wurde das Album zugeklappt. „Sag mal...“ schnitt er vorsichtig das Thema an, über das er nachgedacht hatte bevor sie gekommen war. „Warum hast du eigentlich solche Angst vor fremden Leuten?“ wirklich vorsichtig! Er sollte Psychologe werden! Das sanfte heranführen an Themen lag ihm ja offenbar! Die Miene des Mädchens verfinsterte sich und Alexander hatte schon Angst, er hätte es sich mit ihr verscherzt. „Sie wollten mir Mama wegnehmen! Die gemeinen Kerle wollten mich nicht zu ihr lassen!“ ihre Hände ballten sich zu Fäusten und ihr Gesicht verzog sich vor Zorn, wie er es bei ihr noch nie gesehen hatte. „W...was meinst du damit? Was ist passiert?“ „Es war direkt nach der Sache mit Papa...“ nach der er besser gar nicht fragte! „... Kito und ich waren bei Tante Susa und Onkel Peter. Dann kam ein Anruf und die beiden sind mit uns ins Krankenhaus gefahren. Die Leute dort haben immer wieder über Mama geredet, aber sie war nirgends. Also bin ich los und habe sie gesucht. Ich konnte ja schon lesen und irgendwann fand ich eine Tür auf der ‚Amber Falluci’ stand. Mama war so blass, überall waren so komische Schläuche und es hat dauernd gepiepst...“ sie drückte ihr Album gegen ihre Brust und starrte ins nichts, gefangen in Gedanken und Erinnerungen. „Sie ist nicht aufgewacht, egal was ich gemacht habe... dann kam so ein Kerl in einem weißen Kittel, packte mich und zerrte mich aus dem Zimmer! Ich hab geschrieen, gekratzt und gebissen, aber der gemeine Kerl hat mich nicht losgelassen!“ sie zitterte, allerdings vor Wut und Angst, nicht aus Trauer. „Er hat mich zur Tante zurückgebracht und gesagt, ich dürfe nicht mehr herkommen, wenn sie nicht besser aufpassen würde.“ Beide schwiegen. Daher also diese Angst. Der Arzt war offenbar nicht besonders feinfühlig gewesen und hatte damit unbewusst eine Kettenreaktion ausgelöst: Ihre Angst hatte sich durch Gewalt und Drohung noch verstärkt, sich tief in ihr eingenistet und sie mit kindlicher Logik folgern lassen, dass man ihr die Mutter nehmen wollte. Und das führte zu ihren Panikattacken. „Hör mal!“ er stand auf und kniete sich vor das Mädchen um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. „Er wollte dich nicht von Amber fernhalten!“ „Aber...“ er lies sie nicht ausreden. „Du hast es doch selbst gesagt: es hat dir Angst gemacht! Und das wusste er. Er wollte nicht, dass du dich erschreckst!“ er griff nach ihren zitternden Händen. „Außerdem brauchte sie wahrscheinlich Ruhe um wieder gesund zu werden!“ „Wirklich?“ riesige grüne Augen sahen ihn an und ihre Mundwinkel wanderten nach oben, bis sie ihn anstrahlte. „Danke!“ sie schlang die Arme um seinen Hals, drückte ihm einen dicken Kuss auf die Wange und hüpfte fröhlich aus dem Zimmer, einen ziemlich stolzen Alex zurücklassend, der das Gefühl hatte die beste Tat in seinem Leben verbracht zu haben. Sah so aus, als wäre der Tag doch zu etwas gut gewesen. Mit diesem Gedanken widmete er sich erneut dem Werk von Dan Brown. Weder der Song „Waiter! Bring me water!” (Shania Twain) aus Kapitel 5 noch “mizu no akashi” (Tanaka Rie) sind von mir... ebenso wenig wie die Übersetzung von letzterem... Ich finde nur das beide Lieder sehr gut passen! Danke an alle die das lesen;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)