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Bugs in my head

The way [out]inside
von

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Herbst

Bugs in my head – Herbst
 

Ich war auf dem Weg nach Hause.

War grade von der Arbeit gekommen, wie jeden Tag.

Aufstehen, zurecht machen, arbeiten, nach Hause gehen, schlafen.

Was für ein monotones Leben...

Die Hände in den Hosentaschen vergraben ging ich an dem silbernen Geländer entlang,

das davor schützen sollte in einen knapp 5 Meter tiefen, langen Riss in der Erde zu fallen.

Wie er da hin gekommen war wusste ich nicht.

Das stand mal irgendwo geschrieben, aber es hat mich nicht interessiert.

Fakt war, er war da und dagegen konnte und würde man nichts unternehmen.

War mir auch gleich.

Von mir aus könnte man das halbe Dorf dem Erdboden gleichmachen.
 

Ich atmete die kühle Luft ein.

Es war Ende Oktober, später Herbst.

An dem silbernen Metall der Absperrung bildeten sich kleine Eiskristalle,

die vom fahlen Licht der Straßenlaterne angestrahlt wurden und geheimnisvoll funkelten.

Schon fast fantastisch... dieser Kontrast.

Die leuchtenden Eiskristalle, dahinter der tiefschwarze Abgrund.

Manchmal wünschte ich, ich könnte abheben und gefahrlos in die Tiefe schweben.

Aber was sollte ich da unten?

Meine äußerst sinnlosen Gedankengänge überraschten mich immer wieder.

Warum dachte ich über solche nutzlosen Dinge nach?
 

Ich widmete mich lieber dem Wesentlichen,

wühlte in meiner Jackentasche nach dem Haustürschlüssel und zog ihn eine Weile später

heraus, nur um ihn in der Hand hin und her zu schwenken.

Ich liebte dieses Geräusch, es beruhigte mich.

Zwar klang es metallisch und war laut, aber es erinnerte mich an winzige, silberne Glöckchen,

hunderte davon und die Vorstellung allein gefiel mir.
 

Man konnte mich ruhig als Verrückt bezeichnen. Das war ich. Es stand schwarz auf weiß.

Depressionen, Schizophrenie, leichte Paranoia, folgend auf einige Suizidversuche.

Man konnte mir allerdings mehr vorwerfen, als es nachzulesen gab.

Ich fand das lustig. Eines der wenigen Dinge die mich zum Schmunzeln brachten.

Ich mochte die entsetzten Blicke wenn ich davon erzählte wie es bei uns Zuhause ablief

und wie ich damit klar kam.

Auch wenn ich ab und zu etwas übertrieb, das war mir aber egal.
 

Nach einer Weile bog ich links in unsere Einfahrt ein, ging an dem schwarzen Sportwagen vorbei.

Ging noch einmal recht um die Ecke des großen Hauses und kam an eine hölzerne Eingangstür

in dessen Schloss ich den kleinen Schlüssel schob.

Ich verharrte eine Weile.

Ich wollte gar nicht rein... Ich könnte noch so viel unternehmen, es war schließlich Samstagabend.

Man wird manipuliert, von sich selber, dem war ich mir sicher.

Wenn man immer und immer wieder das Selbe tut, macht man es hinterher automatisch,

ohne sich dabei etwas zu denken... obwohl man es besser machen könnte.

So war das.
 

Aber wollte ich genauso wenig weg gehen und nutzlose Dinge tun,

als die Tür zu öffnen und von einer Horde psychopathischen Spinnern gequält werden.

Außerdem wartete mein Freund auf mich.

Ich wusste gar nicht einmal wieso ich noch mit ihn zusammen war.

Er schlug mich und das nicht nur beim Sex.

Anscheinend dachte er, es würde mir gefallen.

Es war kein aggressives Schlagen. Es war eher so also würde... als würde er mir etwas schenken wollen.

Er schlug immer mit einem sanften Lächeln auf den Lippen.

Ich liebte dieses Lächeln, es war etwas ganz besonderes, aber ich musste ihm dafür meinen Körper überlassen.

Das war mir egal.

Ich wusste die blauen Flecken zu verstecken.

Aber heute hatte ich keine Lust darauf, wollte nicht einmal sein Lächeln sehen, wollte einfach nur meine Ruhe haben.

Aber die würde ich nicht bekommen, das wusste ich.

Obwohl das Haus groß genug war, gab es nicht einen Raum in den man sich zurückziehen konnte.

Nicht einmal der Dachboden, auf dem nie jemand war. Man hörte die Schritte. Sie würden mich finden.
 

Ich atmete noch einmal tief ein, bevor ich den Schlüssel im Schloss umdrehte und die Tür öffnete.

Ich sagte nichts, nicht mal ein 'Hallo'.

Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte Stille, bevor das rege Treiben an dem niedrigen Wohnzimmertisch weiterging.

Szamuel war nicht dabei gewesen, er hätte etwas gesagt, hätte mich vielleicht ins Zimmer geführt.

Wahrscheinlich war er da oben und saß am PC.

Ich wollte nicht zu ihm, also zog ich Schuhe und Jacke aus, legte beides sauber bei Seite und

setzte mich zu den Anderen auf das Sofa.
 

Ulli fragte wie mein Tag war. Ich antwortete wahrheitsgemäß, während ich mir eine Zigarette

in den Wundwinkel klemmte und sie mit dem Feuer entzündete.

Er starrte mich an, ich schmunzelte.

Ich hatte mein Ziel erreicht.

Alex griff währenddessen nach einer Flasche Bier, entfernte den Deckel an der Tischkante und reichte es mir.

Er fragte nicht ob ich trinken wollte, niemand fragte danach.

Ich lehnte ab.

Er sah mich mahnend an.

Ich griff nach der Flasche.

Ob ich trinken wollte, oder nicht war nicht von Bedeutung.

Wenn ich mich schon dazusetzte, musste ich auch annehmen was mit angeboten wurde, auch wenn ich es gar nicht wollte.

Ich nahm einen Schluck.

Ich mochte kein Bier, das war nicht mein Geschmack.

Jeder Schluck den ich nahm war grauenhaft und brannte im Hals.

Alex bemerkte es. Er lächelte, es gefiel ihm.
 

Ich war der jüngste im Haus und für meine 20 Jahre war ich auch noch recht klein.

Ich hatte also die perfekte Statur und den perfekten Charakter um für meine Mitbewohner das Spielzeug zu spielen.

Ich sagte nie etwas, sie dachten es gefiel mir.

Vorsichtig lehnte ich mich an die Sofalehne, nachdem ich meine Zigarette im Aschenbecher ausgedrückt hatte, dann wartete ich eine Weile, hielt den Atem an.
 

Sie sagten nichts, unterhielten sich weiter über Sport und Frauen, Dinge die mich nicht interessierten.

Sport war nutzlos, Weiber waren doof. Ich kam noch nie bei ihnen an. War ihnen wohl zu langweilig, aber das war mir egal.

Ich schloss für einen kleinen Moment die Augen, genoss das bisschen Ruhe und entspannte mich,

dann hörte ich Schritte auf der Treppe.
 

Szamuel?

Ich öffnete die Augen.

Ja. Er kam die Treppe herunter, sah mich kurz an, verzog aber keine Miene.

Lächelte nur Alex und die anderen an, bevor er auf mich zukam und vor mir stehen blieb.

Er sagte nichts, blickte mich nur an während er vor mir stand.

Sein Blick beunruhigte mich, machte mich krank.

Ich wollte nicht aufstehen und mit ihm gehen, aber ich musste.

Mir blieb keine Wahl.

Mir blieb nie eine Wahl, sobald ich über die Türschwelle trat.

Ich hob die Bierflasche, setzte die Öffnung an meine Lippen und trank.

Ich würgte.

Mir wurde warm.

Mir wurde schlecht.

Aber ich versuchte alles um das Bevorstehende nicht bei vollem Bewusstsein miterleben zu müssen.

Ob diese Flasche Bier dabei half war fraglich.
 

Es herrschte Stille.

Nur einen kleinen Moment starrten sie mich alle an.

Sie wussten das ich das nicht mochte, das es mich beunruhigte, das es mir Angst machte.

Sie wussten mich zu manipulieren.

Es war nur ein kleiner Bruchteil der Methoden die sie anzuwenden pflegten um mich so zu erziehen wie sie mich haben wollten.

Ich stand also auf und stellte die leere Flasche auf den Tisch.

Szamuel drehte sich um und ging die Treppe hoch. Ich folgte ihm.

Bei jedem Schritt stieg meine Anspannung, wurde der Druck in meinem Brustkorb immer stärker.

Wir standen vor der Tür.

Er öffnete.

Ich trat ein, blieb im Raum stehen.

Er schloss die Tür.

Normalerweise empfand ich nie etwas, ich hatte keine Angst, oder ähnliches, weil ich wusste,

dass alles ein Ende hatte. Mir war es gleich was er mir antat.

Heute nicht!
 

War das beabsichtigt? Kam das von ihnen?

Nein, das kam aus mir, das waren meine eigenen Gefühle. Wie nutzlos!

Es änderte nichts daran das ich still im Zimmer stand und auf Anweisungen warten musste.

Ich wollte nicht.
 

„Zieh dich aus.“
 

Seine Stimme war kalt und leise, aber bestimmend und ein wenig bedrohlich.

Ich zuckte kurz zusammen, blickte aber starr in sein wunderschönes Gesicht.

Seine Haare glänzten im Licht der Deckenleuchte fast in einem weißen Ton

und sein schwarzes Hemd, das lässig bis zum Brustbein aufgeknöpft war zeigte mehr von seiner hellen, reinen Haut als ich sehen wollte.

Ich wollte ihn berühren, aber ich wollte auf keinen Fall das tun was er von mir verlangte.

Es war gezwungen und lieblos.

Aber so war es immer.

Ich durfte keine Ansprüche stellen.

Ich durfte nicht einmal daran denken!

Ich wusste er würde es nicht akzeptieren und nicht respektieren.

Es machte mich krank und es zerriss mich!
 

Ich schüttelte den Kopf.

Nur ganz langsam und vorsichtig.

Nur ein kleines Bisschen.

Aber es reichte, er bemerkte es sofort, zog die brauen tief ins Gesicht.

Er holte aus und schlug ein mal kräftig zu.

Mit der flachen Hand ins das Gesicht.

Ich blieb stehen.

Es machte mir nichts aus, ich war es gewohnt.

Es gehörte einfach zu meinem Leben.

Aber irgendetwas war anders, irgendetwas war da und verwirrte mich.

Wo war sein Lächeln?

Es verunsicherte mich, brachte mich durcheinander.

Ich bekam Schuldgefühle.

Ich hatte etwas falsch gemacht!

Wie konnte ich nur?!

Es war das erste Mal das er nicht lächelte!

Aber trotz allem wollte ich nicht tun was er verlangte, ich wollte allerdings auch nicht das er noch einmal so zuschlug. Ohne das Lächeln!
 

„ZIEH DICH AUS!“
 

Er wurde lauter, klang aggressiver.

Ich hatte ihn wütend gemacht.

Ich hatte mich das erste mal widersetzt und mich plagten die Schuldgefühle.

Ich tat Dinge die mir nicht erlaubt waren.

Aber wie von meinen inneren Gefühlen gelenkt schüttelte ich ein weiteres mal den Kopf.
 

Szamuel fing an zu beben.

So hatte ich ihn noch nie gesehen, es machte mir Angst!

Er griff nach meinem Oberarm, packte fest zu, sodass sich seine Nägel in meine Haut bohrten.

Es tat weh als er mich durch die Zimmertür zerrte und mit mir die Treppe hinunter stolperte.

Aber es gab keinen körperlicher Schmerz der an meine emotionale Verwirrung heran ragte.

Ich empfand es als unwichtig, ließ mich einfach mit zerren.

Aber obwohl ich keinerlei Widerstand zeigte, zerrte und schleifte er mich durch das Wohnzimmer und blieb irgendwann vor der Kellerluke stehen.

Er öffnete.
 

Ich hatte etwas falsch gemacht, das war mir klar.

Mir war auch klar das ich dafür bestraft werden würde.

Aber wieso sollte ich etwas dagegen unternehmen?

Es stand mir zu!

Es gab auch nichts, was ich hätte tun können.

Er war schließlich nicht alleine.

Ihre Blicke durchbohrten mich, während ich die Treppe herunter gestoßen wurde.

Keiner von ihnen sagte etwas.

Sie wussten das Szamuel seine Gründe hatte, da durften sie nicht dazwischenfunken.
 

Einen letzten Blick warf ich nach oben, dann wurde die Luke geschlossen.

Ich hörte den Schlüssel im Schloss.

Hörte wie Szamuel mit den Anderen redete.

Dann hörte ich wie sich die Haustür öffnete, und wie sie kurz darauf wieder zurück ins Schloss viel.

Sie waren weg.

Oder sie taten nur so, um mich zu verängstigen, um mir die Hoffnung zu nehmen.

Aber ich hatte keine Hoffnung.

Die hatte ich nie.
 

Bugs in my Head - Herbst - Ende

Winter

Bugs in my head – Winter
 

Ich saß im Zimmer, auf dem Bett und ich wartete.

Szamuel war mit Ulli und Alex bei Rei, einem Freund von Kai, der eventuell zu uns ziehen wollte.

Genug Platz hatten wir ja, das war nicht das Problem.

Bevor er gegangen war teilte mir Szamuel ausdrücklich mit, dass ich hier auf ihn warten sollte.

Auf dem Bett.

Also saß ich hier, während ich schweigend aus dem Fenster starrte und die tanzenden Schneeflocken beobachtete.

Es war Mitte Januar und eine dicke, weiße Schneedecke hatte sich über unserem Kaff niedergelegt.

Obwohl ich den Winter hasste, wünschte ich mir nichts sehnlicher als sofort aufzustehen, hinaus zu gehen und mich in den kühlen Schnee zu legen.

Verrückt war das.

Aber ich musste sowieso hier bleiben, ich durfte nicht raus.

Wenn sie es bemerkten…

Ich durfte nichts falsch machen. Nicht noch einmal.

Ich wollte nicht wieder in den Keller.
 

Es war fast 4 Monate her.

Es war kalt und Dunkel.

Ich begann schnell zu frieren und bekam Angst.

Ich hasste es auf engem Raum zu sein, das wusste er, genauso wie er wusste dass ich die Dunkelheit verabscheute.

Er hatte mich erst am nächsten Tag herausgelassen, gegen Nachmittag.

Aber ich hatte ihn wütend gemacht, also stand es mir zu.
 

Trotz aller dem hatte ich die Regeln, die Verbote und die ewige Unterwerfung langsam satt.

Ich äußerte es nicht, ich versuchte auch nicht weiter darüber nach zu denken.

Ich durfte nicht über solche Dinge nachdenken, sie zerstörten die Ordnung, das würde ihn wütend machen.

Er hat sich doch solche Mühe gegeben diese Ordnung bei zu behalten.

Nein, ich durfte nicht.
 

Aber dieser Drang augenblicklich kühle Flocken auf der Haut zu spüren war kaum noch zu unterdrücken.

Vielleicht war es auch der Drang etwas Verbotenes zu tun, etwas Neues zu erleben.

Aber die Strafe war zu hart um es zu riskieren.

Andererseits… er war grade erst gegangen, vor knapp 30 Minuten.

Er brauchte mit Sicherheit länger als eine Stunde.

Ich könnte also… für 10 Minuten…
 

Ich stand auf, stellte mich vor das Bett und diese Gefühle tauchten augenblicklich wieder auf.

Es waren Schuldgefühle, aber auch das Gefühl von etwas neuem.

Es war ein positives Gefühl und es war stärker als mein schlechtes Gewissen.

Also verließ ich das Zimmer, ging langsam die Treppe hinunter, Schritt für Schritt und immer mit der Angst Szamuel könnte jeden Moment die Haustür öffnen.

Würde er es beim zweiten Mal mit dem Keller belassen?

Ich wusste es nicht. Aber zu meinem Glück blieb die Tür geschlossen.

Meine Hand zitterte als ich sie nach dem Türknauf ausstreckte.

Trotzdem wollte ich weiter, wollte mehr von diesem wundervollen Gefühl.

Ich öffnete, schaute raus, lauschte.

Die eiskalte Lust die mir entgegenwehte und mir durch die kurzen, schwarzen Haare wehte war noch viel angenehmer als ich es mir ausgemalt hatte.

Ich atmete tief ein, streckte den Arm ins Freie und genoss die kühlen Flocken auf der Haut.
 

Als ich mir sicher war, dass Szamuel sich nicht doch noch in der Nähe aufhielt setzte ich den ersten Schritt vor die Tür.

Barfuß und den kalten Schnee zwischen meinen Zehen spürend.

Es war etwas neues, und trotz der Kälte etwas sehr angenehmes.

Vorsichtig ging ich in den großen Garten, blieb stehen und betrachtete eine Weile die große Eiche vor dem großzügigen Gartenteich, bevor den Kopf gen Himmel richtete und die Augen schloss.
 

Doch dann wurde ich plötzlich am Shirt nach hinten gerissen, sodass mir der Kragen die Luft abschnürte.

Ich hatte ihn nicht kommen gehört, aber selbst wenn, es wäre zu spät gewesen und hätte nichts geändert.

Ich war wieder leichtsinnig gewesen, ich war dumm!

Nachdem er mich zurück durch die Tür gezerrt hatte, warf Szamuel mich zu Boden.

Ich robbte hilflos einige Zentimeter nach hinten, angsterfüllt, doch es änderte nichts daran dass ich einen kräftigen Tritt in die Magengrube bekam.

Ich hustete, rang nach Luft, krümmte mich.
 

„Sollst du dich mir widersetzen?!“
 

Er schrie mich an, ich schüttelte panisch den Kopf.

Ich hatte Angst, kauerte auf dem Boden, während er weiterhin auf mich eintrat.

Ich sollte mich ihm nicht widersetzen.

Widersetzen tat weh.

Aber dieses wunderbare Gefühl von Freiheit, das ich da draußen empfand, ich wollte nich mehr darauf verzichten!
 

Er trat weiter. In den Bauch, an die Beine, Körperteile die man verstecken konnte.

Er wusste ich würde sie verstecken.

Er wusste er könnte weitermachen, ohne dass irgendwer irgendwann etwas merken würde.

Wehren hatte allerdings keinen Zweck, würde ich versuchen wegzulaufen würde alles nur noch schlimmer werden.

Also blieb ich liegen, ließ es über mich ergehen und wartete darauf, dass er aufhörte.
 

Aber er tat es nicht.

Er war stinksauer, mit Recht!

Er packte mich an den Haaren, schlug meinen Kopf einmal kräftig gegen die Wand.

Mir wurde übel, ich wollte spucken, aber ich schluckte alles hinunter.

Spucken würde alles viel schlimmer machen, das wollte ich nicht.

Am liebsten hätte ich ihm gesagt es würde nie wieder vorkommen, das es mit Leid täte, dass ich mich ab jetzt nie wieder gegen ihn auflehnen würde, aber das stimmte nicht.

Es tat mir weder Leid, noch war ich mir sicher ob ich es nicht noch einmal tun würde.

Ich würde es wahrscheinlich wieder tun, auch wenn ich eines Tages blutend in einem feuchten Erdloch liegen würde.

Das war mir egal.

Mir war es sowieso egal was mit mir passierte.

Wenn es irgendwann ein Ende haben sollte, dann war das so, wenn nicht, dann eben nicht.

Szamuel hörte auf.

Erst jetzt machten sich die Schmerzen der Verletzungen bemerkbar.

Es war fast unerträglich.
 

„Steh auf!“
 

Ich wollte nicht aufstehen, ich konnte es nicht, aber ich musste, sonst würde es weitergehen.

Bei jeder Bewegung schmerzte jeder Teil meines Körpers, selbst die, die er nicht getroffen hatte.

Mit aller Mühe schaffte ich es tatsächlich mich zu erheben, wenn auch meine Beine nachgeben wollten.

Er packte mich am Kragen, starrte mich durchdringend und hasserfüllt an.

Ich mochte diesen Blick nicht.

Es war mir lieber, wenn er mich gar nicht ansehen würde.
 

„Nun pass gut auf, du unerzogener Bastard!“
 

Kaum hatte ich realisiert war er mir gesagt hatte, drückte er seine Lippen auf meine eigenen und begann unsanft damit mich zu küssen.

Ich verstand nicht. Was sollte das?!

Wieso küsste er mich?! Das ergab keinen Sinn!

Aber so schnell wie er damit begonnen hatte hörte er auch wieder auf, darauf folgend kam ein weiterer Tritt in die Magengrube und ich landete wieder auf dem Fußboden.

Das war zu viel für mich, ich war total durcheinander.

Was das beabsichtigt?
 

„Was hat dir besser gefallen, HUH?! Du ungezogener Bengel! Wir bieten dir alles und du fällst uns so in den Rücken! Bleib hier sitzen und schäm dich bis ich wieder da bin. Und wehe du rührst dich vom Fleck! Wenn ich dich dabei erwische wirst du draußen im Schnee mit bloßen Händen dein eigenes, beschissenes Grab schaufeln!“
 

Ob das eine leere Drohung war, wusste ich nicht, mich hatte es auf jeden Fall eingeschüchtert.

Ich würde nicht noch einmal raus gehen.

Ich war auch gar nicht in der Lage dazu und ich war wirklich froh hier liegen bleiben zu dürfen.
 

Szamuel ging, die Haustür fiel hinter ihm geräuschvoll ins Schloss.

Was wollte er überhaupt hier?

Was er nur gekommen um nachzusehen ob ich auch brav auf dem Bett saß, oder doch aufgestanden war?

Jetzt wusste ich, dass ich mir so etwas nicht noch einmal leisten konnte.

Die Tritte waren um einiges Schlimmer gewesen als der Keller.

Und sie würden auch länger schmerzen, als die Angst da unten.
 

Und was sollte überhaupt dieser Kuss?!

Wollte er mir vor Augen halten wie schön ich es haben könnte, würde ich brav tun was er verlange?

Das wäre eine glatte Lüge!

Er schlug so oder so, egal wie ich mich ins Zeug legte.

Ich war nicht mehr das naive Spielzeug von damals, denn ich begann zu realisieren was mit offen stand.

Jeden Tag das Gefühl von Freiheit genießen, das war es was ich nun wollte.

Nichtmehr eingesperrt zu sein und nach dem Willen anderer zu handeln.

Ich hatte ein für alle Mal die Schnauze voll!

Voll von Gewalt, voll von Regeln, und voll von Zwang.

Ich wollte nicht mehr.

Ich wollte endlich leben!

Frühling

Bugs in my head - Frühling
 

Der Regen im Frühling und Sommer war ein ganz anderer als im Herbst oder Winter.

Er roch anders und hörte sich anders an.

Der Regen im Frühling strahlte meines Erachtens nach eine viel traurigere Atmosphäre aus, was höchstwahrscheinlich daran lag, das er die saftig, grüne Landschaft in einen schweren, grauen Schleier hüllte.

Die kleinen Tropfen prasselten laut durch das Blätterdach, wurden größer und vielen anschließend herab.

Auf meine Schultern.

Ich war gegangen als Szamuel mit den Anderen ausgehen wollte. Hab meine Sachen zusammengesucht und hab das Haus verlassen.

Das es regnete war mir egal, so eine Gelegenheit bot sich nun mal nicht jeden Tag.

Es war meist immer jemand daheim und dieser jemand hätte mich nie gehen lassen.
 

Außerdem war Regen nur Wasser, es kühlte und erfrischte.

Aus diesem Grund machte ich mir nicht die Mühe einen trockenen Platz zu suchen.

Ich saß auf einer Bank im Park und versuchte mich so gut es ging über meine Tasche zu beugen. Diese war nämlich Wasserdurchlässig. Zu meinem Pech.

Denn einfach zurückgehen war mir nicht möglich. Ich wollte es auch gar nicht.

Wäre Szamuel bereits wieder zu hause angekommen und ich würde einfach durch die Tür spazieren, klatschnass und mit Tasche… er würde womöglich wieder zuschlagen, wenn er es überhaupt dabei belassen würde.
 

Ich blieb hier lieber sitzen. Hätte mich vielleicht vorher informieren sollen wo ich die Nacht verbringen konnte. Ich hatte auch nicht genug Geld dabei um mir ein Gasthaus zu leisten.

Ich wollte nur raus und hatte mir über nichts anderes Gedanken gemacht. Dumm von mir, wir hatten immerhin genug Geld.

Jeder im Haus hatte einen hohen Posten in einer Firma oder einem Betrieb.

Außer ich. Ich war komplett auf sie angewiesen.

Ich, als Mitarbeiter einer einfachen, örtlichen Supermarktkette.

Schon fast erniedrigend. Ich hatte keinen schlechten Schulabschluss.

Wenn ich wollte, könnte ich mir einen angesehenen Job suchen, aber ich fühlte mich in meinem Betrieb wohl und das war meiner Meinung nach wichtig, da ich nicht das Gefühl hatte zu hause respektiert zu werden.

In meinem Betrieb behandelten mich alle wie einen Menschen, nicht wie ein Werk- oder gar ein Spielzeug.

Ich ging gerne arbeiten.

Nur leider hatte ich keine all zu gute Beziehung zu meinen Mitarbeitern. Ich hatte weder eine Telefonnummer, noch eine Adresse, also war ich nun komplett auf mich angewiesen.
 

Prüfend zog ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche: 10,75€ … genug Geld für einen Drink, oder vielleicht zwei.

Genug um für ein paar Stunden ein Dach über dem Kopf zu haben.

Ich hatte kein Problem mit dem Wetter, eine Erkältung konnte ich mir allerdings nicht leisten.

Ich stand also auf und schulterte meine Tasche.
 

Ich stand vor einem der örtlichen Pubs, beobachtete zögernd die blinkenden Lichter über dem Eingang, bevor ich über die Türschwelle nach innen trat.

Es roch nach Alkohol und kalten Rauch.

Eigentlich mochte ich diese Art von Beschäftigung nicht. In Clubs gehen und sich besaufen war etwas für Teenies, Alkoholiker oder Perverse, nichts für mich.

Aber mir blieb kein eine Alternative, wenn ich mich vor diesem Unwetter schützen wollte, denn mittlerweile pfiff der Wind durch die Straßen und der Regen klatschte nur so an die Hauswände.
 

An der Bar saßen ein paar aufgeweichte Kerle, an den Tischen Weibergruppen, die sich kichernd über die verschiedensten Typen unterhielten und auf der Tanzfläche bewegten ein paar junge Frauen ihre schlanken Körper im Takt der Musik.

Dieser ganze Raum war voller unbrauchbarem Abschaum.

Ich lehnte mich an die Bar, bestellte mir einen Drink und setzte mich an einen der hinteren Tische.

Ich hatte keine Lust auf andere Menschen, nicht aus diesem Kreisen.

Ich blieb lieber alleine und zerbrach mir den Kopf über eine Bleibe, ich konnte schließlich nicht hier übernachten.

Hin und wieder beobachtete ich den Abschaum um mich herum, während ich an meinem Drink nippte.
 

Ich war nicht anders als sie. Ich war mindestens genau so schlimm.

Lief von zu hause weg, die ein eingeschnappter Teenie, besoff mich wie ein Alkoholiker und gaffte anderen Menschen hinterher, wie ein Perverser.

Ich hasste mich dafür, aber ich blieb sitzen und machte weiter.

Was blieb mir auch anderes übrig?
 

Seufzend schwank ich die rötliche Flüssigkeit im Glas, malte mir aus was passierte, wäre ich zu hause geblieben.

Vor meinem inneren Auge spielte sich die alltägliche Miesere ab.

Ich säße auf dem Bett, würde auf Szamuel warten. Er würde heim kommen, wir hätten Sex, er würde mich schlagen, ich würde einschlafen.

Ich hätte es trocken, hätte einen Körper, der mich wärmt und ich hätte mehr oder weniger etwas liebe, auch wenn diese nur vorgeheuchelt wäre.

Hier hatte ich nur meinen Drink… meinen Drink und eine Menge Hilf- und Hoffnungslosigkeit.

Vielleicht war es doch keine so gut Idee zu gehen, zumal er mich so oder so finden wird.

Spätestens Montag, wenn ich arbeiten gehe.

Er würde sicher auf mich warten und mich abfangen.
 

Ich hob den Kopf, fuhr mir durch die Haare und bemerkte, dass ich nicht mehr allein war.

Eine junge Frau hatte sich zu mir an den Tisch gestellt, lächelte mich nett an. Ich hatte sie gar nicht kommen gehört.
 

„Bist du alleine hier?“
 

Ich nickte. So was hatte mir grade noch gefehlt.

Nicht, dass ich komplett abgeneigt war, etwas Gesellschaft zu haben, es war eher, dass ich nicht wusste wie man mit Menschen umzugehen hatte, besonders nicht mit Frauen.
 

„Stört es dich, wenn ich dir ein wenig Gesellschaft leiste?“
 

Ich schüttelte den Kopf, mehr instinktiv, als groß darüber nach zu denken.

Sie setzte sich und reichte mir die Hand.

Anstand schien sie jedenfalls zu haben.
 

„Nina, freut mich.“
 

Ich nahm die Hand entgegen.
 

„Hideki.“
 

„Oh, ein Japaner?“
 

„Meine Eltern kommen aus Japan, ich bin hier aufgewachsen.“
 

Eine glatte Lüge. Ich wusste nicht wer meine Eltern waren, ich war in einem Heim aufgewachsen. Mehr als meinen Namen und mein Geburtsdatum wusste ich nicht.

Ich hatte auch nie das Bedürfnis meine Eltern zu suchen.

Sie waren Kriminelle, sie hatten mich im Stich gelassen und hatten sich alleine damit Strafbar gemacht, als sie mich allein mit einem Zettel vor die Tür des Heimes gesetzt.

Wie einen Köter, den keiner mehr wollte, ich hasse sie dafür!

Wären sie für mich da gewesen, wäre es erst gar nicht so gekommen, wie es jetzt ist!
 

„Mein Vater ist Russe, ich habe bis zu meinem 4. Lebensjahr dort gewohnt, bin also auch keine gebürtige Deutsche.“
 

Sie riss mich aus den Gedanken.

Warm lächelnd umschloss sie mit ihren schlanken Fingern das Whiskyglas, das sie sich mit an den Tisch gebracht hatte.

Ihr Lächeln beunruhigte mich ein wenig.

Es war anders als das Lächeln meiner Mitarbeiter und vor allem was es anders als das von Szamuel.

Doch ihre Mundwinkel senkten sich wieder und sie legte den Kopf leicht schief, sodass ihre langen, braunen Haare von der Schulter rutschten.

Anscheint erwartete sie von mir, dass ich ihr etwas entgegne. Allerdings hatte ich keine Ahnung was ich sagen sollte.

Zumal sie mich eigentlich nicht interessierte und es bestand auch kein Interesse daran, ihr mehr von mir zu erzählen.

Sie war nur ein Mensch für den Moment. So schnell, wie sie in mein Leben getreten ist, so schnell wird sie auch wieder verschwinden. Warum also sollte ich ihr mehr erzählen?
 

„Und… wie ist es so in Russland?“
 

Eher eine Frage der Höflichkeit, ein Lückenfüller um die peinliche Stille zu brechen, nichts weiter.

Sie schien sich auch wieder zu fangen, strich ihre Haare wieder zurück und beantwortete meine Frage:
 

„Ich kann mich an nicht viel erinnern.“
 

Die Frage beantwortete sich ehrlich gesagt von selber.

Wie sollte sie sich auch an etwas erinnern können, das so lange her war.

War mir aber auch egal.

Wie schon erwähnt: Sie interessierte mich nicht, sie war ein Mensch für den Moment und nicht für mehr.
 

„Und? Wie sieht’s mit dir aus? Warst du schon mal in deinem ‚Heimatland’?“
 

„Ich war noch nie im Ausland.“
 

Bevor ich zu Szamuel zog fehlte schlichtweg das Geld.

Hinterher hatte er es nicht dazu kommen lassen. Ich hätte abhauen können, es wäre zu riskant gewesen.

Fuhr er weg, war immer jemand daheim, der darauf achtete, das ich in meiner Freizeit keinen Fuß vor die Tür setzte.

Reiner Psychoterror, ich ging immerhin auch alleine zur Arbeit und zurück, ich hatte immer die Chance zu gehen. Allerdings ohne Kleidung oder Ähnlichem.

Fuhren sie alle weg, schlossen sie mich ein und schalteten den Strom ab.
 

Mal davon abgesehen hatte ich nie das Interesse das Land zu verlassen.

Für mich ergab das einfach keinen Sinn. Es war unnötig.

Was man nie hatte, konnte man auch nicht vermissen.
 

„Was? So was hört man selten! Hast du denn gar nicht das Interesse mal etwas anderes zu sehen? Oder liegt es an etwas anderem?“
 

„Nein, es fehlt das Interesse.“
 

Mit gesenktem Blick drehte ich das Glas in meiner Hand hin und her.

Ich wollte ihren Blick nicht sehen, sie musste mich für verrückt halten!

Normalerweise liebte ich es in die verdutzten Gesichter zu blicken, bei ihr jedoch war es etwas Anderes.

Sie schien mir nicht so oberflächlich, wie der unbedeutende Rest und obwohl sie mir mehr oder minder egal war, gab sie mir das ungewohnt, angenehme Gefühl von Zweisamkeit.

Es war nicht gezwungen, wie bei Szamuel und auch nicht halbherzig, wie im Supermarkt.

Ich kannte sie zwar kaum, aber ich hatte das Gefühl, das ich ihr vertrauen konnte.

Allerdings wollte ich es mir einfach nicht eingestehen.

Es entsprach nicht meiner Norm anderen Menschen zu vertrauen. Und schon gar nicht dann, wenn sie nichts weiter sind als reiner Zeitvertreib.
 

„Hm, du bist ein seltsamer.“
 

Abermals riss sie mich aus den Gedanken. Ich schaute auf.
 

„Es gibt doch nichts schöneres, als Neues zu entdecken, oder sich die raue Seeluft ins Gesicht wehen zu lassen.

Du solltest dich diesbezüglich wirklich mehr öffnen. Ein wenig Urlaub tut jedem gut, man braucht ja nicht gleich um den halben Globus reisen.“
 

Freundlich lächelte sie mich an.

Sie ließ einfach nicht locker, jeder Andere hätte mich als wortkarg und uninteressant abgestempelt und wäre gegangen.

Sie blieb.

Und möglicherweise begann ich genau aus diesem Grund sie zu akzeptieren.

Vielleicht brachte dieser Abend nicht nur die Befreiung aus Szamuels Käfig, sondern auch die Befreiung aller Vorurteile.

Nina hatte Recht, ich sollte mich öffnen, öffnen anderen Menschen gegenüber, anderen Dingen und neuen Erfahrungen.

Und ich versuchte gleich damit zu beginnen.

Sommer

Bugs in my head – Sommer
 

Warme Sonnenstrahlen fielen durch die leicht geöffneten Markisen auf meine Haut, weckten mich sanft aus einem tiefen, angenehmen Schlaf. Allerdings gegen meinem Willen!

Grummelnd drehte ich mich zur Seite um einen Blick auf den Wecker zu werfen.

08:30 Uhr, Sonntagmorgen. Viel zu früh um jetzt schon die Beine aus dem Bett zu schwingen.

Mit einem zufriedenen Lächeln kuschelte mich wieder an den Körper zu meiner linken, genoss die angenehme Wärme und schmunzelte, als ich ein leises Knurren vernahm.
 

„Wie spät ist es?“
 

Ein Murmeln dran an mein Ohr und meine Mundwinkel zogen sich noch ein Stückchen in die Höhe.
 

„Halb Neun.“
 

Wieder ein Knurren, dann ein Rascheln und schon war Nina wieder unter der Bettdecke verschwunden.
 

An dem Tag in der Bar, als wir uns kennen lernten, ging unser Gespräch noch bis tief in die Nacht.

Nach dem dritten Drink wurde auch ich etwas lockerer. Mein Vorhaben, mich anderen Menschen zu öffnen gelang fast wie von selbst und wir wurden uns immer sympathischer.

Im Vertrauen hatte ich ihr von meiner Lage erzählt und sie hatte mir angeboten, die Nacht bei ihr zu verbringen.

Ich war zwar etwas skeptisch, stimmte letzten Endes jedoch zu.
 

Die letzten drei Monate hatten viel verändert. Ich hatte mir mit Ninas Hilfe eine neue Wohngemeinschaft gesucht. Sie kannte da jemanden, der noch ein Zimmer frei hatte.

Anfangs jedoch wollte ich ablehnen, denn ich vermisste Szamuel. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, da ich einfach abgehauen war ohne ihm bescheid zu sagen. Ich wollte mich entschuldigen. Wollte sogar zurück zu ihm. Er hatte immerhin Jahrelang dafür gesorgt, dass ich ein Dach über dem Kopf hatte, er gab mir Liebe die ich von anderen Menschen nie bekommen hatte.

Aber trotz allem entschied ich mich für die neue WG.

Die Angst mir fremden Menschen in Kontakt zu kommen blieb und somit gab mir Nina einige Wochen, um mich mit den Bewohnern bekannt zu machen.

Ich fing an mich wohl zu fühlen. Da ich nichts anderes kannte, als die Umgangsweise von Szamuel, Alex und Ulli war ich positiv überrascht über die Offenheit, Zuversicht und Unterstützung.
 

Meinen Job hatte ich auch gewechselt. Zum einen, weil der Weg dorthin zu lang war, zum anderen um Szamuel nicht noch einmal zu begegnen. Ich hatte mir zwar jeden Tag gewünscht ihn zufällig auf der Straße zu treffen, doch hatte mir Nina davon abgeraten ihn je wieder zu sehen.
 

Nun arbeitete ich in einem kleinen Kiosk, dessen Leitung einer meiner Mitbewohner übernommen hatte. Mir ging es gut.

Die Beziehung die ich zu Nina aufgebaut hatte wurde enger, was letzten Endes dazu führte das wir zusammen kamen.

Ich würde nie sagen, dass ich sie nicht liebte, doch blieb immer noch die Sehnsucht die ich für Szamuel empfand. Ich vermisste nicht die Schläge, oder die ‚Erziehungsmaßnahmen‘, sondern seine gute Seite. Wenn er mich in den Arm nahm, wenn er lächelte, ich vermisste seinen Körper, die Freude, die ich empfand, wenn er nach 3 Stunden Warten nach Hause kam. Ich überlegte oft, wieder zurück zu gehen. Aber ich blieb… Nina zu liebe.
 

Ich schlief bereits die dritte Nacht bei ihr und genoss jede Sekunde.

Schmunzelnd zog ich ihr die Decke vom Kopf, strich sanft mit den Fingerspitzen durch ihr braunes, seidiges Haar. „Lass uns noch einen Augenblick schlafen.“
 

Ich nickte.
 

*+++*
 

Ich war gut gelaunt und angetrunken, als ich in meinem Zimmer der Wohngemeinschaft saß und meine Tasche packte. Es war zwar erst Mittag, doch die drei Bierflaschen auf meinem Nachtschrank waren bereits leer.

Ja, ich hasste Bier, aber es erinnerte mich an Alex und Ulli, es schmeckte einfach nach ‚zu Hause‘ und genau das wollte ich.

Ich wusste, dass ich einen großen Fehler machte, aber trotz dessen fühlte es sich so richtig an.

Die Sehnsucht, die ich jeden Tag verspürte, wurde immer unerträglicher und riss eine riesige Leere in mich. Dieses Loch wusste ich unbedingt füllen, auch wenn ich auf den ‚Käse darum’ verzichten musste.
 

Ich war nun mal wie eine Maschine, alles was ich konnte war funktionieren. Musste ich Dinge tun, die nicht meiner Norm entsprachen, fing ich an mich unwohl zu fühlen. Ich konnte einfach nicht aus freien Stücken handeln und wenn ich mir einredete, dass ich mich nur daran gewöhnen müsste, würde ich mich selbst belügen.

Das war mir endlich klar geworden.

Also schulterte ich meine Tasche und verließ das Zimmer.
 

Es war bereits eine Woche vergangen seit ich das letzte Mal bei Nina war. Wir hatten uns weder gestritten, noch war etwas anderen unangenehmes zwischen uns vorgefallen. Ich fühlte mich einfach unausgefüllt und hatte mich für einige Tage in die Wohngemeinschaft zurückgezogen, bis ich endlich den Grund meiner inneren Leere begriff und mich dazu entschied etwas zu ändern.
 

Nun zog ich die Zimmertür zu und musterte die beiden verwirrt dreinschauenden Gestalten auf dem Sofa. Erst als ich meinen Schlüssel auf den Tisch legte ergriff Renè das Wort: „Wo willst du denn hin?“

Ich kratzte mich verlegen am Hinterkopf, dann setzte ich ein unbeschwertes Lächeln auf. „Heim.“

Abermals verwirrte Gesichtsausdrücke.

„Willst du verreisen, oder was?“, fragte Noel, während er begann die Fernbedienung in seiner Hand unruhig hin und her zu drehen. Sie schienen nicht zu verstehen, aber das war auch gut so.

„Kann man so sagen.“ Ich drehte mich um und ging zur Haustür. „Na dann viel Spaß und… bis später!“
 

Man hörte die Unsicherheit in ihren Stimmen, doch ich ignorierte sie gekonnt. Es war besser, wenn sie nicht wüssten, was ich vor hatte. „Ja, vielleicht sieht man sich wieder.“ Und mit diesen Worten war ich verschwunden, polterte langsam die Treppe hinunter, während mir der Alkohol langsam zusetzte. Ich war keines Wegs betrunken, doch das Gleichgewicht halten viel mir zusehends schwer, als ich in den Linienbus einstieg, der mich zum ’Winkeleck‘ fuhr.
 

Als ich ausstieg fand ich mich vor einem großen Riss in der Erde wieder, bei dem nur ein Brusthohes Geländer vor einem Sturz in die Tiefe schützte. Entspannt ausatmend lehnte ich mich gegen das kühle Metall und starrte in den Abgrund. Die Sonne brannte heiß, aber angenehm auf meine dunklen Haare und im Gras zirpsten fröhlich ein paar Grillen ihre Sommersinfonie.
 

Was würde er wohl sagen, wenn ich so mir nichts, dir nichts vor seiner Tür stehe? Wie wird er reagieren? Wird er mir verzeihen? Langsam schlichen sich Zweifel in mein sonniges Gemüt, die ich jedoch gleich wieder verwarf. Jeder verdiente eine zweite Chance, jeder macht Fehler und wir Menschen waren für Vergebung doch eigentlich relativ offen. Das Beste, aber albernste Beispiel war dieser seltsame Riss. Anstatt ihn mit Sand und Beton aufzugießen, haben wir ihn einfach umzäunt. Der Natur wurde also auch verziehen, wenn man es denn so nennen konnte. Dieser eigenartige Ort hatte ebenfalls seine zweite Chance bekommen und ich bekäme sie auch! Ich war mir sicher, dass Szamuel mich immer noch ‚liebte’!
 

Und mit diesem seltsamen Vergleich, der mir zusätzlichen Mut verlieh drehte ich mich um, um die Straßenseite zu wechseln. Ich ging erst um die eine Ecke, dann um die nächste, bis ich vor einem großen, weißen Haus zum Stehen kam. Der schwarze Sportwagen stand in der Einfahrt, es schien also Jemand zu Hause zu sein. Ich atmete einmal tief durch und betrat dann das Grundstück. Die angenehme Vertrautheit beruhigte mich und es kam mir fast so vor, als käme ich nur von der Arbeit nach Hause. Nur die große Reisetasche in meiner Hand, die mich daran erinnerte, woher ich grade kam zeigte mir, dass dem nicht so war.

Vor der Eingangstür blieb ich stehen, meine Hand wanderte an das Holz der Tür und blieb als Faust geballt einige Sekunden verharrt. Ich zögerte, aber ich würde nicht den Schwanz einziehen. Garantiert nicht.
 

Einen Moment noch blieb ich in meiner Position, dann berührte meine Faust drei Mal das Holz, bis sie wieder sank und ich ungeduldig mit der Schuhspitze auf den Boden klopfte.

Die wenigen Sekunden, bis sich die Tür öffnete kamen mir vor wie Minuten, doch als ich in das mir so vertraute Gesicht blickte, dass so freundlich wie noch nie wirkte, breitete sich in meiner Magengegend ein Gefühl der Erleichterung aus.

Ich wurde über die Türschwelle gezogen, dann glitzerte mich Szamuel an.
 

„Ich wusste, dass du wieder kommst.“
 

Und die Tür wurde laut ins Schloss geworfen.

Before Autumn 0

Bugs in my head – Before Autumn 0
 

Eine aussichtslose Situation ist, wie das Wort schon andeutet, eine Situation aus der es keinen Ausweg gibt, in der man die Hoffnung verliert und der man ausgeliefert ist. Sollte sich diese Situation auf das gesamte Leben ausdehnen, ist es hoffnungslos, wertlos und man ist ihm untergeben. Wem? Das kommt ganz auf die Situation und der Person an, die damit in Verbindung steht.
 

Diese Geschichte… der Anfang dieser Geschichte ist weder Fantasie, noch Horror, sie ist Alltag. Der Alltag vieler verschiedener Menschen, den sie durchleben. Ob positiv, oder negativ, das hängt ganz von der Betrachtungsweise der verschiedenen, eigenen Protagonisten ab.
 

Unser Protagonist, ein Findelkind östlichem Ursprungs, ist bis zum Ende seines Lebens mit seiner Ansicht nicht im reinen, doch wenn es soweit ist, wird auch er, genau wie jeder von ihnen, dieser aussichtslosen Situation ins Auge blicken müssen.
 

+***+
 

„Wieso?! Ich…Ich war das nicht!“
 

„Wieso? Ganz einfach: weil ICH dazu keine Lust habe. Ende. Und jetzt mach den Mist endlich weg!“
 

Der Blonde schaute den kleinen Schwarzhaarigen am Boden finster an. So finster, dass es ihm kalt den Rücken herunterlief und er nicht anders konnte, als den ihm vor die Füße geworfenen Lappen in die Hand zu nehmen und den grade verschütteten Kakao schweigend aufzuwischen.
 

Er war noch nie der stärkste gewesen. Es fehlte ihm an Autorität, alleine schon durch seine Herkunft. Er war nicht wie sie und er würde es nie sein. Womöglich würde dieser Machtkampf ewig so weiter gehen und er würde ihn immer wieder aufs Neue verlieren.
 

„Geht doch.“
 

Ohne jeglichen Ausdruck wischte Hideki weiter die braune Flüssigkeit vom Boden, während sich der Hellhaarige wieder entfernte. Es war Absicht… um ihn zu schikanieren. Aber etwas Neues war es nicht, es gehörte zum Alltag. Es musste immer einen Buhmann geben und in diesem Leben war es er, der das Opfer der anderen Heimkinder spielte.

Tragisch? Nur für ihn selbst. Ein kleines Opfer, wie er fand.
 

Eine zwiegespaltene Person, alleine stark, in Gesellschaft schwach verlor langsam aber sicher sein letztes Fünkchen Hoffnung auf Freiheit. Aber es gab ja noch ‚ihn‘.
 

„Hideki!“
 

„…“
 

„Was hat der Blödmann wieder mit dir gemacht?“
 

„Frag einfach nicht, okay?“
 

„Lass dich nicht von ihm so runterziehen, er ist es nicht wert, dass du ihm Blöße zeigst.“
 

Damian, ein kleiner, schmächtiger Rotschopf aus der Wohngruppe unter ihnen, immer da, wenn es brenzlich wird… oder wenigstens kurz darauf. Jedenfalls war er ein wichtiges Bindeglied zwischen ‚Leben‘ und ‚Hoffnung‘, war die Brücke über dem Abgrund des Selbstverlusts, denn Hideki stand kurz davor… Kurz davor eine leblose, funktionelle Puppe zu werden, die aufnimmt, schluckt und nur noch das tut, was man von ihr verlangt.
 

„Wohl aber Wert genug, um mir das Auge blau zu schlagen, wenn ich mich geweigert hätte.“
 

Der Rothaarige seufzte. Wusste, dass er Recht hatte, denn selbst 10 von seiner Sorte würden gnadenlos in den Boden gestampft werden, käme es zu einer Auseinandersetzung.

Also blieb Hideki, zu seinem Bedauern, leider nichts anderes übrig, als zu tun, was dieser Rotzlöffel von ihm wollte.
 

+***+
 

Man wusste nie, wovon Hidekis spätere sexuelle Vorliebe für das gleiche Geschlecht resultierte.

Eine Annahme war, dass er bis zum Tag seiner Entlassung, und darüber hinaus nie ein gutes Verhältnis zu Mädchen, oder Frauen hatte.

Was in seiner Heimzeit wohl daran lag, dass sie alle auf der Seite des großen Blonden standen, schließlich war er gut aussehend und autoritär. Wer würde sich ihm nicht anschließen wollen?
 

Trotz aller dem gab es da ein Mädchen, dass der junge Schwarzhaarige besonders mochte.

Sie war wirklich hübsch, hatte klare, grüne Augen und ihr braunes Haar, was stets zu zwei langen Zöpfen geflochten war glänzte, wenn die Sonne darauf schien, wie die Wasseroberfläche.

Damals dachte Hideki, sie wäre anders…
 

„Gibt es jemanden, der Hideki beim Geschirrspülen helfen möchte?“
 

Jeden zweiten Sonntag im Monat war der Tag, an dem er mit dem Geschirrdienst dran war.

Er war es gewohnt, seinen Dienst alleine anzutreten, während der Rest der Gruppe immer einen freiwilligen Helfer bekam. Damit das Geschirrwaschen nicht den gesamten Nachmittag in Anspruch nahm und wenigstens ein klein wenig Spaß machte.

Doch heute hob sich, zu seiner Verwunderung, ein schmaler Arm.
 

„Schön, dann bitte ich euch beide in die Küche.“
 

Die Person, dessen Arm sich soeben gehoben hatte machte sich auf den Weg und Hideki folgt ihr.
 

„Wieso hilfst du mir, Pia?“
 

Sie drehte sich um, wobei ihre nach vorn gelegten Zöpfe auf den Rücken schwangen.

Dann lächelte sie warm.
 

„Weil du immer so allein bist. Du hast mir leid getan.“
 

„V-vielen Dank…“,
 

entgegnete er mit gesenkter Stimme. Schließlich war es etwas vollkommen Neues mit dem er sich vorerst noch anfreunden musste. Besonders… weil sie ein Mädchen war.

Aus diesem Grund brachte er es auch nicht übers Herz mit ihr zu reden, als würden sie sich kennen.

Sie schwiegen während ihrer Arbeit, doch es war trotzdem schön jemanden neben sich zu haben, der einem half.
 

„Wenn du Hilfe brauchst, dann bin ich in Zukunft für dich da, Hideki.“,
 

waren ihre letzten Worte, bevor sie, immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen den Raum verließ.

Doch sie gehörte schließlich auch, wie jede andere aus seiner Gruppe, zum Blondschopf. War immer in seiner Nähe, wenn sie gemeinsam spielten.

Dummerweise hieß sein Lieblingsspiel ‚Starke fangen die Schwachen‘. Und so lief es darauf hinaus, dass er am Ende des Tages den wehrlosen Hideki mit Sand und Steinen bewarf…

während Pia stumm daneben stand und die Miesere beobachtete.
 

+***+
 

„Hast du Angst?“
 

Hideki nickte Damian an, mit feuchten Augen und Händen.
 

„Ich auch…“
 

Es kam nicht selten vor, dass ihre Senke von Gewittern heimgesucht wurde.

Schließlich sammelte sich dort all das schlechte Wetter, das in den Tagen davor die umliegenden Dörfer überflogen hatte… und anschließend krachte es gewaltig.

Der schwarzhaarige hatte unheimliche Angst vor Gewitter, besonders vor den starken hier im Heim.

So kam es dazu, dass immer, wenn die schwüle Hitze und die ersten Tropfen das Unglück ankündigten, Damian aus der unteren Gruppe sich nach oben in das Zimmer des Japaners schlich.
 

Sie saßen auf seinem Bett und warteten ab, dass sich doch endlich wieder der Himmel aufklärte und die schrecklich hellen Blitze und das laute Donnern ein Ende hätten.
 

„Meine Mutter hat mir ganz früher immer erzählt, dass der Donnergott wütend ist. Sicher ist er sauer auf den blöden Blondschopf!“
 

Hideki nickte, musste leicht schmunzeln, doch verlor dieser kleine Satz an Wirkung, als der nächste Blitz einschlug. Genau neben das Haus.

Er hatte anfangs gar nicht bemerkt, dass er immer näher an seinen rothaarigen Freund gerutscht ist, bis dieser schützend einen Arm um ihn legte.
 

„Wenn er wirklich sauer auf ihn ist, dann wird er auch nur ihn bestrafen.“
 

+***+
 

Der Tag, an dem Hideki mit jungen 18 Jahren endlich das Heim verlassen durfte, war gar nicht so erfreulich, wie er anfangs gedacht hatte.

Er verdiente mit seiner Ausbildung nun grade so viel Geld, dass er sich ein paar Dörfer weiter, in einem heruntergekommenen Viertel eine Einzimmerwohnung leisten konnte… und natürlich genug Nahrung um nicht zu verhungern, geschweige denn zu verdursten.
 

Er nutzte die Gelegenheit sofort um von den anderen, oder dem Rest, der davon noch übrig geblieben war zu entfernen. Endlich frei zu sein.

Doch musste er auch seinen zwei Jahre jüngeren Freund Damian zurück lassen.

Sie schworen sich, dass sie sich wieder sehen würden, wenn auch dieser endlich das Heim verlassen konnte… Doch niemand von ihnen konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass es dazu nie kommen würde.
 

Mehr war Hideki mit seiner neuen Situation konfrontiert und vor allem überfordert.

Sicher würde es sich nach einiger Zeit wieder geben.

Aber jetzt war es erst mal wichtig, sich darauf zu konzentrieren… sich nicht andauernd zu verlaufen, denn das konnte er anscheint sehr gut.
 

Er blickte sich um, auf der Suche nach jemandem, der ihm den Weg erklären könnte und tatsächlich fand er jemanden.
 

„E-entschuldigen Sie bitte. Ich suche die Kranickstraße.“
 

Der angesprochene drehte sich um und musterte seinen Gegenüber.

Auch Hideki wagte jetzt einen zweiten Blick.

Er hatte gepflegte, glatte, hellblonde Haare und auch seine Haut war unglaublich hell.

Und trotz dieser blassen Farben sah er nicht kränklich aus. Eher wie eine wunderschöne Porzellanpuppe…
 

„Keine Sorge. Ich bringe Sie hin.“



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