Reneé von fastcaranbethrem ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Wann begann meine Geschichte? Mit dem Tag meiner Geburt, in dem kleinen Ort Herblay oder in den trostlosen Jahren meiner Kindheit, als ich bei meiner Tante und ihrem Mann leben musste? An dem Tag, als ich Francois kennenlernte, oder die Nacht wo ich ihn und meine Träume verlor? Ich beginne mit der Nacht, als ich weglief. Rückblickend habe ich das Gefühl, dass hier mein Leben neu begann. Es war eine bitterkalte Nacht. Am Tag war frischer Schnee gefallen. Um Montlucon verlassen zu können, musste ich durch den Wald. Auf der Straße hätten sie mich schnell entdeckt und wieder zurückgebracht. Doch der Wald ist endlos, finster und unheimlich. Hohe Bäume mit dichtem Unterholz. Im Sommer treiben hier Räuber und Raubtiere ihr Unwesen. Der strenge Winter hält sie fern. Ich bin meilenweit das einzig lebendige Wesen, was mich keineswegs beruhigt. Noch nie habe ich mich derart gefürchtet. Jeder Schritt kostete Überwindung noch tiefer in den Wald einzudringen. Doch was ich im Haus meines Onkels zurückgelassen habe, erscheint mir weitaus schlimmer, als hier zu verhungern, oder zu erfrieren. Sie waren erst zufrieden als ich schrie, als mein Gesicht vor Tränen und Schweiß überströmt war. Egal wie ungewiss und gefährlich die Zukunft ist die vor einem liegt, manchmal ist die Alternative einfach zu schrecklich um zu bleiben und dann wachsen kleine Mädchen wie ich, über sich hinaus. Aber eine andere Wahl habe ich ohnehin nicht mehr. Ich finde den Weg nicht zurück! Der Schnee durchdringt die dünnen Sohlen meiner Stiefel. Trotz all meiner Kleidungsschichten friere ich und zittere am ganzen Leib. Die kalte Luft brennt beim Einatmen. Auf tauben Füßen schleppe ich mich vorwärts, den Blick stur geradeaus gerichtet. Ich will die Geister rechts und links nicht sehen. Eine weitere Stunde irre ich durch den Wald. Gut, ich weiß jetzt, dass ich sterben werde. Ich falle ständig hin und bald werde ich nicht mehr die Kraft haben, um mich wieder hochzuziehen und weiterzustolpern. Ich habe sie jetzt schon nicht mehr. Ich werde einfach liegenbleiben und einschlafen, um nie wieder aufzuwachen. So unangenehm ist der Gedanke nicht. Nicht mehr zu leben, heißt auch nicht mehr zu leiden. Kein Kummer, kein Scham, keine Albträume. Ich will sterben, aber sterben heißt, dass sie gewonnen haben. Die Hütte tauchte so unvermittelt vor mir auf, dass ich beinah in sie hineingelaufen wäre. Es ist ein kleines Haus, das Haus eines Bauern. Alles ist dunkel, aber hier leben eindeutig Menschen. Ich kann das Vieh in der Scheune blöken hören. Vor Erleichterung beginne ich zu schluchzen und Tränen steigen in meine Augen. Sie wollen gar nicht mehr aufhören. Ich hämmere gegen die Tür. Wenn mir keiner hilft, ist mein kurzes Leben hier zu Ende. Vielleicht will ich ja doch noch nicht sterben. Die Tür öffnet sich und ein Mann mustert mich misstrauisch. Er erscheint mir uralt, doch er ist erst Mitte vierzig. Er hat ein wettergegerbtes Gesicht, ist ärmlich und einfach gekleidet und seine Schultern sind nach vorn gebeugt, als würde er eine unsichtbare Last durch das Leben tragen. Er will die Tür wieder zuschlagen. Ich wimmere verzweifelt und schiebe trotzig den Fuß dazwischen. So leicht wird er mich nicht los. „Was?“, fragt er barsch und mustert mich von oben bis unten. Ist es nicht offensichtlich? Ich brauche Hilfe. Ein verirrtes Mädchen alleine, in einer eisigen Winternacht. Ich stehe nur da und glotze ihn stumm an. Tränen laufen über mein Gesicht. „Junge, sprich!“, brummt er unwirsch. Der kalte Wind zieht in die Hütte ein. Da fällt es mir wieder ein. Er sieht kein Mädchen. Was er sieht ist ein schlaksiger Junge, der nicht aufhören kann vor Erleichterung zu heulen. Was sieht er in meinem Gesicht?. Früher war es einmal ein hübsches Gesicht. Statt einer Antwort ziehe ich die Tränen und den Schnodder geräuschvoll durch die Nase hoch, was so gar nicht zu meiner Erziehung passt und zittere so stark, dass meine Zähne laut im Mund klappern. Er betrachtet mich eingehend und scheint mit sich selbst zu ringen. Soll er mir helfen, oder nicht. Ich kann nicht erkennen, wie er sich entscheiden wird. Irgendwo im Inneren winselt ein Hund und scharrt mit den Krallen. Das Tier kommt näher und schmiegt sich an mein Bein. Es ist ein riesiger Hund, die Silhouette zottig und wolfsartig. Ich verharre reglos, obwohl ich weglaufen will. Der Mann sieht seinen Hund an. „Gastro, mag die meisten Menschen nicht.“ „Aber mich mag er“, flüstere ich heiser. „Wohl deinem Meister davongelaufen, hä?“ Er tritt beiseite, um mich einzulassen. „Die haben dich ganz schön übel zugerichtet! Komm rein!“ In dieser Nacht bekomme ich den harten, aber warmen Schlafplatz vor dem Kamin. Er ist genauso wortkarg wie ich und immer wieder merke ich, wie er mich beobachtet. Sicher fühle ich mich nicht. Was wenn er entdeckt, dass ich eine Frau bin? Auf dem Kaminsims liegt ein Spiegel, ein merkwürdiger Gegenstand für einen alleinlebenden Mann. Als mein Gastgeber das Zimmer verlässt, nehme ich ihn und werfe einen Blick hinein. Ich sehe ein spitzes Gesicht, mit kurzen fürchterlich schief geschnittenen Haaren, als hätte jemand mit einer Schere blind drauflos geschnippelt. Was meinen Gastgeber verunsichert hat, sind die verblassenden Blutergüsse im Gesicht und die aufgeplatzte Haut auf der linken Augenbraue. Vielleicht sind es auch die Augen, die fast gläsern wirken, mit dem Ausdruck eines gehetzten Tieres, das jederzeit damit rechnet wieder eingefangen und gequält zu werden. Es raschelt und ich lege den Spiegel schnell wieder beiseite. Er bringt mir eine Decke und mustert mich mit dem freudlosen Lächeln eines Menschen, der denkt, sich gerade richtigen Ärger einzuhandeln. Auf dem Boden vor dem Kamin ist es unbequem, aber es rettet mein Leben. Ich blicke hinauf zur Decke und sehe den Schatten der Flammen im Kamin beim Tanzen zu. Meine Finger wandern über die Schwellung am Auge. Hier liege ich nun und denke über meine Zukunft nach. Ich weiß nicht, was mich erwartet. Ich weiß nicht, wie ich aller Welt glaubhaft den Jungen vorspielen und damit durchkommen soll. Ich weiß nicht, ob die Albträume irgendwann aufhören werden, oder der Schmerz in meinem Herzen. Ich weiß nicht, ob ich je wieder das Bedürfnis haben werde zu lachen. Ich weiß nicht, ob ich je wieder andere Menschen unbefangen ansehen werde, ohne Angst verraten, entdeckt, oder gar geschlagen zu werden. Aber immerhin, hier liege ich und lebe noch! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)