Reneé von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 5: Das Feldlazarett --------------------------- Amaury Montfort hatte vor kurzem sein Studium zum Medikus abgeschlossen. Der Beruf des Arztes hatte keinen sehr guten Status, der des medizinischen Studenten einen noch viel geringeren. Dabei waren die leichtsinnigen und übermütigen Studenten und die blutschröpfenden und geldgierigen Ärzte selbst schuld an ihrem miesen Ruf. Amaury war noch nie in seinem Leben ausgelassen und übermütig gewesen. Er hatte seine Studien ernsthaft betrieben, sich über etliche Handlangerarbeiten das Studium mühsam finanziert, über Bücher bis in die Morgenstunden gebrütet und bis jetzt kaum genug verdient, um leben zu können. Und nun stand er hier, blutbespritzt und schweißnass von der anstrengenden Arbeit und vergessen waren all seine mühevoll erworbenen medizinischen Kenntnisse und Fertigkeiten. Statt einem Skalpell schwang er die Knochensäge und trennte Gliedmaßen ab, wie ein Holzfäller den Baum vom Stumpf. Und wie unbrauchbare Äste, wurden abgeschnittenen Gliedmaßen achtlos auf einen Haufen geworfen, der wuchs und wuchs. Amaury seufzte. Das war der Krieg. Für andere Gloria und Sieg, für ihn war es das, was auf seinem Operationstisch landete. Seit heute Morgen wütete die Schlacht. Er wusste nicht genau wie spät es war, aber die Mittagsstunden lagen jetzt hinter ihnen. Ein neuer Soldat, ein neuer Verwundeter landete auf seinem Tisch. Amaury hatte ohne Unterlass gearbeitet. Geschnitten, zerteilt, zersägt, entfernt, weggeworfen und zugenäht. Der Soldat war am Oberschenkel verwundet worden. Das Schrotgeschoss einer Muskete hatte mehrfach das Fleisch des Schenkels zerstört. Muskeln, Sehnen waren zerfleischt, Teile vom Knochen gesplittert. Amaury sah auf seinen Patienten nieder. Er seufzte, das Bein war nicht mehr zu retten. Es war so schade, den Körper eines jungen gesunden Menschen so nachhaltig zu zerstören, auch wenn es sein Leben rettete. Er nickte seinen Helfern zu und die beiden Männer hielten seinen Patienten fest. Der bäumte sich auf, als er das Messer in der Hand des Arztes sah, doch gegen die vereinten Kräfte der Sanitäter kam er nicht an. Amaury setzte eine Handbreit über der Schießwunde am gesunden Bein an. Beim ersten Schnitt von Amaurys Klinge begann sein Patient zu schreien. Amaury blendete die immer schriller werdenden Schreie aus und konzentrierte sich auf die Amputation. Er arbeitete mit grimmiger Entschlossenheit, ohne auf das Blut zu achten, dass ihn bespritzte, noch auf die markerschütternden Schreie, noch auf das grausige Geräusch, wenn die Knochenzange durch den Knochen fuhr. Als er das abgetrennte Glied in den Händen hielt, wimmerte sein Patient nur noch. Amaury hielt kurz inne, um sich den Schweiß aus den Augen zu wischen. Fünf Jahre mühevolles Studium und wohin hatte es ihn gebracht? In dieses stickig stinkende Feldlazarett, dass vor einer Woche noch ein Stallgebäude gewesen war. Er hasste den Krieg, mit seiner Sinnlosigkeit und seinem gewaltigen Verschleiß an menschlichen Körpern. Der Schmutz und die Brutalität stießen ihn ab. Auf einer Barre kam ein neuer Verwundeter herein. Der Mann wendete ihm sein Gesicht zu. Amaury erinnerte sich an ihn. Er hatte ihn vor ein paar Tagen das erste Mal gesehen. Der Mann war Hauptmann und hatte einen seiner verletzten Männer besucht und sich nach dessen Befinden erkundet. Er war von ihm fasziniert gewesen und seitdem ließ es ihm keine Ruhe mehr. Amaury nickte ihnen schnell zu, dass er diesen Verwundeten übernahm und schickte sie ans Ende des Stallgebäudes. Sein Patient war bei Bewusstsein, auch wenn seine Augen fast gläsern vor Schmerzen wirkten und das Gesicht so weiß wie eine Wand unter der Schmutzschicht auf seiner Haut. „Ich bin Doktor Montfort.“ Sein Patient nickte und stöhnte. „Mein rechter Oberschenkel, hinten!“, flüsterte er schmerzerfüllt und sah ihn mit angstgeweiteten Augen an. Als Montfort die Hand ausstreckte zuckte er zurück, als fürchte er sich vor dessen Berührung. Doch jeder Soldat hatte vor der Klinge der Ärzte mehr Angst, als vor dem Tod. „Keine Angst, ich will Sie nur umdrehen, um das Bein anzusehen.“ Zusammen mit seinen Helfern, drehten sie ihn auf den Bauch. Einer der Sanitäter zog ihm den Stiefel aus. Das Hosenbein war hinten blutdurchtränkt. Vorsichtig zerschnitt Amaury den Stoff, um die Wunde freizulegen. Er hielt den Atem an, aus Angst, dass das was er sah, ihn zur Amputation zwang. Musketenkugeln hatten den unteren Teil des rechten Oberschenkels getroffen. „Amputieren Sie!“ Amaury schrak zusammen, als Doktor Jakstat plötzlich neben ihm stand. In der Hand ein blutgetränktes Tuch mit dem er sich die Hände abwischte. Sein Patient keuchte auf. „Das Bein ist glatt, wie ein Mädchenhintern. Wie alt ist der Junge denn?“ Er blies ihm seinen schwülen Atem in die Ohren, als er versuchte über Amaurys Schultern zu blicken. Sein Patient zitterte jetzt wie Espenlaub. „Nein, ich werde die Kugeln einzeln aus dem Fleisch ziehen!“, erwiderte Amaury. „Blödsinn, dazu ist zu viel von dem Schrot ins Fleisch eingedrungen“, schnorrte der alte Arzt. „Irgendwas bleibt immer zurück und dann gibt’s eine Blutvergiftung und der arme Junge stirbt an Wundbrand. Bein ab und ein anständiger Stumpf, damit halten Sie ihn am Leben.“ Amaury schüttelte den Kopf. „Nein!“, sagte er und drückte sanft den Oberkörper seines Patienten, der vor Schreck aufgefahren war, auf die Pritsche nieder. „Ich werde versuchen das Bein zu retten.“ Ein seltsames Kribbeln ging durch seine Hand und er beließ sie vorerst dort. „Kaum runter von der Universität und noch grün hinter den Ohren, aber alles besser wissen wollen, hä?“, knurrte der Alte. „Ich habe den größten Respekt vor Ihrem Wissen, Doktor Lakstat“, erwiderte Amaury bestimmt. „Doch ich denke, eine Amputation ist nicht nötig.“ „Pä“, stritt sein Kollege. „Dann prophezeie ich Ihnen, dass der Junge stirbt. Sie haben ja noch nicht einmal etwas, um ihn zu betäuben. Er wird Wundstarrkrampf bekommen und das ist kein schönes Sterben. Das ist elendiges Krepieren.“ „Die Gefahr für Wundstarrkrampf ist genauso groß bei einer Amputation. Sie können nicht wissen, wie es ausgeht.“ „Was Sie machen, kostet Zeit und die haben wir nicht.“ „Dann lassen Sie mich jetzt meine Arbeit machen!“ Das kam bissiger, als es Amaury beabsichtigt hatte. Der Alte entfernte sich zeternd, um das eine oder andere Bein abzusägen. Amaury seufzte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Doktor Jakstat hatte Recht. Wofür gab er sich die Mühe und warum legte er sich mit seinem Kollegen an? Schon gar nicht mit einem älteren Kollegen. Üblicherweise war Amaury zu schüchtern dazu. Er sah auf das Bein nieder, was so viel Ungemach bereitete. Weiß und blutverschmiert. Irgendwie erschien es ihn wie Blasphemie, einen Teil von diesem jungen Mann zu entfernen. „Sie müssen sich zwingen, sich nicht zu bewegen, egal wie schlimm die Schmerzen sind“, beschwor er ihn. „Bei dem kleinsten Zucken könnte es sein, dass Teile der Kugel tiefer ins Fleisch eindringen!“ Sein Patient nickte und seine Helfer griffen zu. Amaury fuhr mit dem Finger entlang der Wundränder über die bloße Haut am Oberschenkel. Nein, keine Amputation entschied er. Es wäre zu schade, um dieses wohlgeformte Bein. Er befahl neues Wasser für seine Hände und das Skalpell zu bringen. Er atmete noch einmal tief durch, dann senkte er die Klinge ins Fleisch, um an die erste Kugel zu kommen. Sein Patient schrie grell, dann fiel er in Ohnmacht. Als Aramis erwachte bestand ihre Welt aus Schmerzen. Sie war nur kurz weggetreten, doch der Schmerz hatte sie unvermittelt zurückgeholt. Es war das Eine angeschossen oder mit dem Schwert verletzt zu werden, doch zu fühlen, wie in ihrem Fleisch gebohrt und geschnitten wurde, ging über jedes annehmbare Schmerzempfinden hinaus. Aramis Körper erreichte eine Schmerzintensitiät, dass sie glaubte, ihr Verstand würde daran zerbrechen. Aramis fiel erneut in Ohnmacht. Sie erwachte mit Übelkeit und schummriger Benommenheit. Ihr Verstand und ihr Bein waren ihr wohl vorerst erhalten geblieben, denn sie registrierte mit plötzlicher Schärfe, wie die Hand des Arztes ihren Oberschenkel einbandagierte und dem Bereich zwischen ihren Schenkel gefährlich nahe kam, wo etwas sein sollte, was nicht da war. Unwillkürlich zuckte sie zusammen und richtete sich auf. Die Hand des Arztes drückte sanft ihren Oberkörper auf die Pritsche zurück. „Ich bin gleich fertig. Sie müssen still halten!“, sagte er und arbeitete weiter an ihrem Bein. Aramis wartete angespannt wohin die Hand wanderte und war froh, ihr Gesicht in der Pritsche verbergen zu können. In ihrem Bein wütete der Schmerz wie Feuer. Aber es war noch dran. Und noch nie war sie so dankbar gewesen zwei Beine zu haben. Wie knapp war sie davon gekommen, eines davon zu verlieren? Was wäre gewesen, wenn man es ihr abgenommen hätte? Eine verkrüppelte Frau vollkommen mittellos und allein auf dieser Welt. Was wäre gewesen, wenn man ihr die Hose ausgezogen hätte? Zu viele Gedanken für ihren müden schweren Kopf. Zu viel Schmerz für einen einzigen Körper „So, geschafft!“ Doktor Montfort und ein Sanitäter rollten sie vorsichtig von der Pritsche, um sie auf einen der Decken am Boden zu legen. Sein vorheriger Bewohner machte ihr neuen Platz, indem sein lebloser Körper teilnahmslos nach draußen gewuchtet wurde. Es war nur ein kurzer Abstand von der Pritsche zum Boden und dennoch wimmerte Aramis vor Schmerzen und drohte erneut ohnmächtig zu werden. Als sie endlich lag, war sie schweißgebadet und vor ihren Augen tanzten Schliere. Unter ihrer Kniekehle wurde eine zusammengerollte Decke als Stütze gelegt. Der Boden war hart und dreckig. Sie sah ihren Arzt an. Er war jung. Vielleicht so alt wie sie. Auf dem ersten Blick unscheinbar und viel zu ernst. Das vertrauensvolle Gesicht von einem schüchternen Menschen, dem man zu schnell wieder vergaß. Er hat müde Augen, dachte sie. Für einen jungen Menschen sieht er zu abgekämpft aus. „Vielen Dank“, flüsterte sie heiser, mit zugeschnürter Kehle und erneuten Tränen in den Augen. „Ich habe nur meine Arbeit getan“, sagte er und lächelte. Das Lächeln erhellte sein Gesicht und machte es schön. „Doch die Gefahr ist keineswegs vorüber. Es können immer noch Komplikationen auftreten. Es könnte noch etwas in der Wunde sein oder sie kann sich entzünden und Wundstarrkrampf auftreten.“ Aramis nickte schwach und schloss ihre brennenden Augen. Sie war so müde, so unendlich müde, aber alles tat so weh. Ein greller Schrei durchbrach das allgemeine Geräuschkonzert aus Wimmern und Stöhnen. Erschrocken riss sie die Augen auf und sah wie er sie anstarrte. Er sah schnell weg. Sie kannte diese Neugier im Blick mancher Menschen, wenn sie die Frau in ihr sahen ohne sie als solche zu erkennen. Sie fürchtete diesen Blick. „Es kann noch so viel schief gehen“, murmelte er, ohne sie direkt anzusehen, stattdessen starrte er auf ihr nacktes Bein und wusste plötzlich abermals nicht wohin mit seinem Blick. Er räusperte sich. „Brauchen Sie irgendetwas?“ „Wasser?“, krächzte sie. Er nickte und verschwand. Wie lange konnte sie ihr Geschlecht unter den wachsamen Augen eines Arztes verbergen? Aber sie war zu müde und krank, um etwas dagegen tun zu können. Montfort war mit einem Becher Wasser zurückgekommen. Er schob eine Hand unter ihren Kopf, um ihr zu helfen und hielt den Becher an ihre Lippen. Ein wenig Wasser rann in ihren Mund und viel daneben. Fast ruckartig zog er seine Hand unter ihrem Kopf hervor, erhob sich und verschwand. Aramis hatte zu zittern begonnen. Sie wusste, dass sie sich nicht wie ein Mann, wie ein Soldat benahm, sondern genauso war wie sie sich fühlte – schwach und hilflos. Wenn sie doch nur schlafen könnte, dachte sie. Doch wer konnte das bei diesen Schmerzen und dem ewigen Schreien? Und mit diesem Gedanken dämmerte sie weg. Amaury war noch einmal zurückgekommen und sah auf seinen schlafenden Patienten nieder, nahm sich einen gestohlenen Moment, um ihn näher zu betrachten. Dann ging er, um seine Schlacht zu kämpfen, gegen Verwundung und Tod. Doch ab und zu wanderte sein Blick zum hinteren Teil des langen Stallgebäudes, das jetzt das Feldlazarett war und war beruhigt, dass sein neues Studienobjekt vorerst in seiner Nähe bleiben musste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)