Reneé von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 8: Der Kommandant ------------------------- Athos schwang sie sich über die Schulter und schritt zum Lazarett zurück. Aramis Kopf wippte bei jedem seiner Schritte vor und zurück. „Meinem Rücken tust du nicht gut“, warf er ihr vor und ein paar Schritte weiter fügte er hinzu. „Aber jetzt riechst du wieder besser.“ Aramis Zähne klapperten bei jedem Schritt. Er lachte und gab ihr einen Klaps auf den Hintern. „Und das nächste Mal, mein Schätzchen, sehe ich nicht wieder weg.“ Sie grunzte. Er lachte erneut und haute noch einmal zu. Amaury war nur mit seinem Vater aufgewachsen. Simon Montfort war ein sehr engstirniger, ungebildeter und strenger Mann, der als Bauer in einem Dorf im Nirgendwo ein sehr schlichtes Dasein führte und nicht im Mindesten daran interessiert war an diesem Umstand etwas zu ändern. Amaurys Mutter rannte weg. Es hieß sie sei durchgebrannt. Ein Umstand den der wortkarge Mann sowohl der Frau als auch dem Kind übelnahm. Und er ließ auch keine weitere Frau mehr in seinem Leben ein. So wuchs Amaury Montfort arm und mutterlos auf. Ihm hätte das gleiche Schicksal wie seinem Vater geblüht, wenn nicht der Priester des Dorfes die Intelligenz und den Wissensdurst des Jungens entdeckt und gefördert hätte. Sein Wissensdurst war die einzige Möglichkeit, der engen Welt seines Vaters zu entfliehen. Den Viehstall und die Acker hinter sich lassend, schulterte er den Rucksack und tauchte in der aufregenden Welt der Pariser Studenten unter. Nur das seine Welt dort aus Studiensaal und seinen Büchern bestand. Er lebte in einer kleinen staubigen Kammer im Dachgeschoss eines Parisier Fleischschlächters, bei dem er arbeitete, um sich sein Studium zu verdienen. Frauen sah er nur, wie sie grell geschminkt und nach Rum sinkend aus der Spelunke gegenüber taumelten. Er studierte, er lernte, er schlachtete und er machte seinen Abschluss. Aber er war nur der Sohn eines Bauern und seine Bourgeoisie brachte ihm lediglich den Posten eines Armeearztes ein. Amaury war in seinem Leben kaum mit Frauen in Berührung gekommen. Dank der geistigen Finsternis des katholisch geprägten späten Mittelalters, hatte Amaury in seinem gesamten Studium und leider auch bis zu seinem 25. Lebensjahr noch nie eine Frau richtig nackt erblickt. Die Hure, die er sich von seinem mühsam ersparten Studiengeld nahm, hatte lediglich ziemlich gelangweilt im Halbdunkel einer Gasse die Röcke hochgerafft. Danach war ihm die Lust an der Liebe vergangen. Auch wirklich schöne Dinge hatten in Amaurys Leben bisher keinen Platz gehabt. Als er dann, gänzlich unerwartet in einem Feldlazarett mit beiden in Berührung kam, war es um ihn gesehen. Ohne genau zu wissen, was mit ihm geschah. Während Amaury die Wunde eines weiteren Patienten verband und seinen völlig desinteressierten Sanitätern Anweisungen gab, vermied er den Blick in eine bestimmte Richtung und konzentrierte sich beharrlich auf seine Aufgaben. Zu tun gab es genügend. Aber während der ganzen Zeit spürte er die Anwesenheit dieses einen Patienten im Hinterkopf. Nach einem hastig runtergeschlungenen Mittagessen aus geschmacklosem Dörrfleisch und hartem Brot, rührte er in seinem Zelt verschiedene Salben und Mixturen zusammen. Dann schnitt er sich neue Leinenstreifen als Verbände zurecht und verbrannten alle, die zu blutig und zu dreckig waren. Er besuchte einen Offizier mit einem Augenleiden und behandelte einige Soldaten, die sich beim Besuch der Lagerhuren angesteckt hatten und jetzt unter Ausschlag litten. Die Quelle des Ausschlags, die Lagerhuren zu untersuchen und zu behandeln, war ihm verboten worden. Die Damen galten als Zivilpersonen und er unterstand der Armee. Dann kehrte er in das Lazarett zurück. Als sich seine Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten, staunte er nicht schlecht, als er den hinteren Platz leer vorfand. Mit dem Gefühl des Verlustes, sah er auf den leeren Fleck. Es blieb nur die Erinnerung an die kurze Intimität, die er sich in der Nacht gestohlen hatte. Und dabei wusste er noch nicht einmal seinen Namen, noch warum er solch eine Wirkung auf ihn hatte. Ratlos ging er seiner Arbeit nach. Am späten Nachmittag war sein Patient plötzlich wieder da und saß an der Wand gelehnt, glänzend wie ein frisch geputzter Sou. Amaury spürte seinen Magen flattern. Er atmete einmal tief durch und wendete sich seinen Patienten zu, solange bis er es über sich brachte, zu ihm zu gehen. Das Lazarett war wie ein Ofen indem man, nach dem Gestank zu urteilen, zusammen mit einer Portion Erbrochenem und Urin schmorten. Aramis beobachtete mit flauem Magen wie ihr Bettnachbar sich aus dem Delirium in das grausame Bewusstsein der Schmerzen zurückkämpfte. Sein Bein war fast knapp unter der Hüfte amputiert worden und er sah seltsam halb aus. Sie schluckte beklommen und vermied den Blick auf den Beinstummel. Ab und zu blinzelte sie zu ihrem eigenen Bein, nur zur Sicherheit. Nicht das Aramis sehr weichherzig oder zu zartbeseitet war, dass war sie nicht. Sie konnte nur nicht Verschwendung leiden und wenn sie den Blick über die Reihen gleiten ließ, sah sie überall Gliedmaßen die fehlten oder verbunden waren. Der Mann zu ihrer anderen Seite, dessen Oberkörper nackt war, hatte große, eiterdurchtränkte Leinenbinden auf dem Magen. Das Bein des Soldaten ihr gegenüber war einbandagiert, aber die zerquetschten Zehnen lagen offen da. Das war pure Verschwendung. Es hätte im Lazarett leise sein können, da niemand sprach oder gar lachte. Aber es gab da die Schreie und das Stöhne. Ein ständiges Wehklagen hallte wie dumpfes Sirren durch das Lazarett. Der Mann mit der Bauchwunde delirierte und rief nach seiner Mutter. Wer nichts von sich gab, war wahrscheinlich tot. Aramis schluckte schwer. Es war schrecklich die Männer so verletzlich und hilflos zu sehen. Sie hatte sich vorher nie Gedanken darüber gemacht, wie es in einem Lazarett zuging. „Haben wir gewonnen?“, fragte ihr Leidensnachbar mit brüchiger Stimme. Er konnte die Zähne lang gegen den Schmerz zusammenbeißen, um die Frage zu stellen. Sie schüttelte den Kopf mit finsterer Miene. Sie hätten wenigstens den Anstand besitzen können zu gewinnen, dann wäre das Ganze nicht so eine Zeitverschwendung gewesen. Ihr Nachbar sah das anscheint genauso. Er nickte und gab sich seiner Apathie hin. Apathie empörte Aramis. Es gehört auch nicht zu ihrem Wesen Niederlagen hinzunehmen. „He“, rief sie. Er sah auf sein Bein. „Wasser, ich brauche Wasser!“ Seine Hände krampften sich in den dreckigen Strohsack, auf dem er lag. Aramis sah sich suchend um, aber außer blutigen Leinenstreifen am Boden war nichts zu sehen. Wie bei einem fielen auch die anderen Männer in den Ruf nach Wasser ein. Ich weiß nicht, was ich tun soll, dachte Aramis panisch. Die Rufe wurden immer verzweifelter. In diesem Moment hätte Aramis ihre Seele für einen Eimer Wasser gegeben. Am Stalltor stand ein Wasserbottich. Mühevoll und unter höllischen Schmerzen zog sich sie an der Wand hoch. Das verletzte Bein zu knicken war unmöglich. Schweißgebadet stand sie da, aber der Weg entlang der Wand war blockiert, es sei denn sie wäre über die Köpfe der Männer gestiegen, die dort lagen. Sie ließ die Wand los und brach augenblicklich unter dem Gewicht des verletzten Beines zusammen. „Was machen Sie denn da?“ Doktor Montfort kam auf sie zu gerannt. „Verdammt, geben sie ihnen doch Wasser“, rief Aramis verzweifelt. Doktor Montfort nickte und ging sich den nächstbesten Soldaten greifen, um ihn Wasserholen zu schicken. Der Mann ging, wenn auch widerwillig und missmutig brummend. „Warum haben Sie das gemacht. Sie sollten sich doch nicht unnötig bewegen und das Bein belasten“, schimpfte Montfort besorgt. „Was glauben Sie, was mit der Wunde passiert, wenn Ihr Körpergewicht darauf steht. Sie könnten ein wenig sorgsamer mit sich umgehen, nachdem ich mir so viel Mühe mit Ihnen gab! Wissen Sie überhaupt, was die Kugeln mit Ihrem Fleisch angerichtet haben? Das war kein schöner Anblick.“ Aramis zog eine Grimasse und blickte den Arzt an. Es war nicht unbedingt ein überaus schönes Antlitz, mehr das von einem eifrigen Schaf. „Ich kann ohnehin nicht alleine stehen. Ich weiß nicht einmal wie ich pinkeln soll.“ „So wie alle anderen mit einer Verletzung. Sie ziehen sich einen der Töpfe unter ihren Hintern und versuchen das innere zu treffen und nicht Ihre eigene Chemise.“ Ein „Ach“ entwich ihr. „Dafür sind sie da!“ Doktor Montfort sah sie verwundert an. „Wofür dachten Sie?“ „Vorhin hat einer reingekotzt.“ „Ja, dass passiert manchmal.“ „Danke Doktor!“ „Wofür? Das ich Ihnen erklärt habe, wie ein Topf benutzt wird?“ „Einfach Danke.“ Der Doktor wurde rot und sah nun aus wie ein leuchtendes Schaf. Er lächelte verlegen und sein Lächeln ließ den Bernsteinton seiner Augen aufleuchten. Lord Rochfort hatte sich den Ischias eingeklemmt. Und das, nachdem bei einen der ersten Scharmützel mit den Soldaten der kaiserlichen Armee, sein Pferd gescheut und ihn abgeworfen hatte. Er war sehr unglücklich gefallen und hatte sich den Arm gebrochen. Den gebrochenen Knochen stützten enge Bandagen und ein Stock, aber es gab nicht viel, was sein angeschlagenes Selbstbewusstsein aufrechterhalten konnte. Das Bild, wie er im hohen Bogen im Dreck gelandet war, würde all diejenige die ihn nicht mochten und davon gab es eine Menge, ihr Leben lang erheitern. Zur Teilnahme an der alles entscheidenden Schlacht wurde er aufgrund seines gebrochenen Arms suspendiert. Ein Umstand, den der wütende Kardinal seinem Untergebenen zur Last legte, nicht aber dem Pferd. Zähneknirschend und gelbgesichtig erfuhr er, dass Athos zum Leutnant über eine ganze Division befördert worden war. Auch das nahm der Kardinal ihm übel. Und während er noch an diesem Brocken knabberte, ritt Athos nun als Oberleutnant in die Provence, um auf direktem Wunsch des Königs, für Ordnung zu sorgen. Und dann klemmte sich Rochfort den Ischias ein und war der festen Überzeugung eine handfeste Verschwörung sei gegen ihn im Gange. Doch auch Lord Rochfort bekam den Posten des Kommandanten, dank des Kardinals und bevor er seine Truppe inspizierte, richtete er knirschend sein Kreuz. Der Schmerz der sich darauf hin seines Hinterns bemächtigte, veranlasste ihn zwei Oktaven rauf und runter zu jaulen. Nachdem er sich aber gefangen hatte, marschierte er großspurigen Schrittes zur Tür. Die Tür selbst musste ihm ein Gefreiter öffnen, da ihm nur ein gesunder Arm zur Verfügung stand und er selbst der Meinung war, ein Kommandant habe durch eine offene Tür zu marschieren. Rochfort nährte sich an seinem Pessimismus und seinem Größenwahnsinn. Wovon beide Charaktereigenschaften ihm auf seinem Lebensweg permanent ein Bein stellten. Demzufolge spiegelte sein Auftritt das Verlangen seiner Lordschaft nach Anerkennung und Gemeinheit wieder. „Stillgestanden!“ Mehrere Augenpaare richteten sich teils ungläubig, teil vorwurfsvoll und teil scheißegal auf ihn und nur einer brüllte zurück? „Mit welchen Beinen, du Mistkerl?“ Rochfort wäre nicht er selbst gewesen, wenn ihn die Offensichtlichkeit Befehlshaber eines Haufens Invaliden zu sein, zurückgeworfen hätte. Er war immerhin der Befehlshaber von etwas, auch wenn es nicht alle Beine und Arme vollzählig hatte. Und so marschierte er protzig durch das Lazarett, bis sich ihm ein junger Mann in den Weg stellte. „Lord Rochfort?“ „Sie sind also schon unterrichtet worden, guter Mann?““, fragte Lord Rochfort, in der Annahme, dass ihm sein Ruf vorauseile. Der gute Mann blinzelte verwirrt. “Ich bin der neue Oberkommandant dieser Truppe. Also Still-ge-standen!“, schmetterte er ihm entgegen. „Ich bin hier der Arzt, ich muss nicht stillstehen“, sagte Montfort ärgerlich, „und ich erlaube es auch nicht meinen Patienten stillzustehen! Geschweige denn jemanden anderes, sie stillstehen zu lassen.“ „Ich habe hier den Oberbefehl!“, widersprach der einäugige Lord. „Und ich das letzte Wort, Lord Rochfort“, sagte der Arzt und runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, wer auf die schwachsinnige Idee kommt, verletzte Soldaten als Truppe zu betrachten?“ Das gab auch Rochfort zu denken und er füllte sich ein wenig vom Kardinal aufs Abstellgleis geschoben, denn seine eigentliche Aufgabe war es, die Krankentruppe, abhängig von ihrer Transportfähigkeit nach Paris zurückzuführen. Rochfort hätte sich lieber etwas stolzeres, mit mehr exerzieren gewünscht, als eine Haufen Kranker. „Aber Sie sie sind unterrichtet worden? Sie haben von mir gehört?“, versuchte es der Lord erneut. „Ähm nein! Ich habe den Armbruch gerichtet. Man sagte mir, Sie seien vom Pferd gefallen.“ „Wer sagt das?“, schmetterte Rochfort wütend zurück. „Alle!“ sagte eine Stimme gedehnt hinter ihnen. Beide Männer blickten sich um, um den Urheber zu sehen, der niemand anderes als Aramis war, die mit sichtlichem Vergnügen der Auseinandersetzung gefolgt war. Rochfort biss sich vor Schadenfreude fast auf die Zunge, als er Aramis entdeckte. „Na, wen haben wir denn hier“, frohlockte er und musterte sie derart unverschämt, dass Aramis schlecht wurde. „Sieh an, sieh an. Monsieur Aramis, welch Überraschung!“ „Lord Rochfort, es ist mir wie immer ein Vergnügen“, gab Aramis zurück Ich habe jetzt das Kommando hier und damit auch über dich!“, verkündete er triumphal und ganz der Finsterling, der er war. „Wie zauberhaft. Ich weiß, vor Freunde kaum noch ein und aus.“, sagte sie. „Oh und wie du dich freuen wirst, wenn wir erst mehr Zeit miteinander verbracht haben. Und das werden wir, denn während das Heer zusammen in den nächsten Tagen abzieht, werden wir hierbleiben. Solange bis ich euch für reisefähig halte. Und solange wiederum sitzt du hier fest“, säuselte er und weidete sich sichtlich an ihrem entsetzten Gesichtsausdruck. „Athos ist schon weg. Dann folgen der Dicke und der Jungspurn und dann gibt es nur noch uns beide.“ „Wo ist denn die respektvolle Anrede geblieben?“ „Oh, nein, nein, nein“, belehrte sie Rochfort. „Untergebenen gebührt, was Untergebenen gebührt.“ „Wie überaus tiefsinnig“, versetzte sie brummig. Er trat näher an sie heran. „Und wenn du nicht brav meine Befehle befolgst, dann sperre ich dich ein und lass dich auspeitschen. Oder ich lasse dich den ganzen verdammten Weg nach Paris laufen.“ Und damit trat er mit voller Wucht gegen die Fußsohle ihres verletzten Beines. Aramis schrie auf, als der Schmerz wie Feuer ihr Bein hochjagte. Doktor Montfort zog mit einem erschrockenen Knurren Rochfort von ihr weg. „Gehen Sie!“, sagte er, Rochfort mustere sie befriedigt. „Damit du bei jedem Schritt an mich denkst.“ „Gehen Sie!“, wiederholte der Doktor und Rochfort stolzierte belebt von dannen. „Ach, verdammt“, stöhnte Aramis unter Tränen in den Augen. Montfort hatte sich zu ihr niedergekniet. „Was war denn das?“ „Lord Rochfort!“ „War das normal?“ „Nein, das war selbst für Rochfort übel.“ Er tätschelte ihr unbeholfen die Schulter. „Nun, Sie stehen ja hier auch unter meiner Obhut … Aramis, das ist doch ihr Name?“ Sie nickte. Er sah sie an, als erwarte er mehr. „Nur Aramis!“ „Wie seltsam. Haben Sie große Schmerzen?“ fragte er besorgt. „Ich habe wirklich große Schwierigkeiten“, gab sie zurück und Doktor Montfort gab ihr Recht, obwohl er fand, dass er es hätte schlechter treffen können. Beispielsweise mit einem Leutnant d’ Autevielle. Am Abend kamen sie D’Artagnan und Porthos besuchen. So wie Porthos aussah, fühlte sich seine Nase vom Geruch des Lazaretts beleidigt. D’Artagnans Augen wusste nicht, wohin sie bei so viel Verstümmelung blicken sollten. Beim Hereinkommen waren sie in Blut getreten. Es war eng und beklommen hier. Wenigstens war Ruhe eingekehrt, seit einer der Soldaten gestorben war, der die ganze Zeit durchgeschrien hatte. Aramis sah sie müde an. „Porthos, trag mich nach draußen. Ich muss hier raus, nur für eine Weile“, bat sie niedergeschlagen. Ihr großer Freund nickte ernst und hob sie auf seine Arme, um sie nach draußen zu tragen. Dort legte er sie seltsam sanft für die unbändige Kraft die in ihm steckte im Gras ab. Gierig sog sie die frische Luft ein. Das Lager war mit Schreien, lautes Quietschen und Hufschlag erfüllt. Der Lärm einer großen Armee auf dem Rückzug. Verwundert sah ihnen Aramis zu. „Ihr marschiert heute schon ab?“ Porthos nickte. „Sie haben es sehr eilig.“ Eine Kolonne Infanteristen marschierte in einer Staubwolke an ihnen vorbei. Ihre Piken glänzten in der untergehenden Abendsonne. „Wann geht ihr?“ „Mit den letzten Truppenverband, morgen früh.“ „Und ich muss hierbleiben“, sagte sie bitter. „Das wissen wir, erklärte Porthos sanft. „Und Rochfort wurde zu unserem Kommandanten ernannt.“ „Auch das wissen wir.“ „Ja, er erzählt es, stolz wie ein Gockel, überall herum“, warf D’Artagnan ein. Damit war alles geklärt und sie saßen schweigend im Gras. Die französische Armee flutete nach Hause, wie ein unendlicher Tausendfüßler der in Richtung Frankreich kroch. „Wir wären früher zu dir gekommen“, sagte D’Artagnan, „aber sie haben uns keine Zeit dazu gelassen.“ Aramis nickte, den Blick wie hypnotische auf die marschierenden Soldaten gerichtet. „Wir können dich doch einfach auf einem Karren legen und mitnehmen!“, schlug D’Artagnan vor. Porthos nickte. „Niemand kann uns befehlen dich hierzulassen.“ Sie lachte freudlos auf. “Doch, dass können Sie, denn wir sind Musketiere und befolgen Befehle. Und Rochfort wird mich jetzt nicht mehr gehen lassen. Er hat die alten Streitereien zwischen uns nicht vergessen. Und er ist wütend, dass Athos zum Oberleutnant ernannt wurde und in die Provence geritten ist. Ihr wisst, wie nachtragend er ist.“ „Dann bleiben wir auch hier!“, beschied D’Artagnan entschlossen. „Ach sei doch nicht albern“, sagte Aramis müde. „Auch du hast deine Befehle und du heiratest in ein paar Wochen. Constance würde dir das nie verzeihen.“ „Aber ..“ D’Artagnan machte den Mund auf und wieder zu. „Wir können dich doch nicht hier alleine zurücklassen, was wenn jemand ….!“ Aramis sah ihn böse an und er schluckte seine letzte Frage hinunter. Porthos blieb still und sah bewusst in eine andere Richtung. D’Artagnan räusperte sich laut. „Ich würde ja bei dir bleiben, ehrlich Aramis, aber D’Treville braucht mich, jetzt wo Athos weg ist.“ Sie wussten beide, dass Porthos im Kampf tapfer war, aber was Krankheiten betraf stand er hilflos seiner eigenen Feigheit gegenüber. Vielleicht weil Krankheit ein Feind war, der sich nicht mit bloßer Muskelkraft besiegen ließ. „Das denkst du?“. fragte sie, um ihn zu reizen, einfach um ihren Ärger weiterzugeben. Der Koloss hob hilflos die Hände. „Ach, Aramis du bist ein großer Junge. Ich würde für dich durch das Feuer gehen, das weißt du, aber Kranke, das ist nichts für mich! Und die Verpflegung hier ist so miserabel … das könnt ihr so einen verfressenen Kerl wie mir nicht antun. “ D’Artagnan senkte die Stimme. „Mal unter uns, Porthos, ein bisschen weniger Futter würde dir ganz gut tun, meinst du nicht?“ Hinter Porthos Rücken fing Aramis D’Artagnan Blick auf, der sie bat, ihrem großen Freund seine Schwäche zu verzeihen. Porthos hielt sie für einen Mann. Es gab keinen Grund für ihn, sie zu schützen. Porthos schmollte. „Aber, ich könnte dir dafür Rochfort ein wenig zurechtstutzen?“ bot er ihr großzügig an und ließ die mächtigen Fäuste ineinander fahren. Die Vorstellung war irgendwie tröstlich. Sie antwortete mit einem starren Grinsen. „Hau aber so richtig zu, dass er nicht wieder aufsteht!“ Porthos sah sie mit großen Augen an. „Du hast wirklich Angst vor ihm?“ Aramis fühlte sich brüskiert. „Der Mann wollte mich auspeitschen lassen und umbringen.“ „Sicherlich, Rochfort ist etwas nachtragend, aber kein Musketier braucht ihn zu fürchten.“ Porthos verstand es wirklich nicht. „Du bist selbst verletzt mehr Mann als er!“, fügte er im Brustton der Überzeugung hinzu. Zum Glück sah er in diesem Moment D’Artagnans Gesichtsausdruck nicht. Dann erhellte sich sein Gesicht. „Soll ich dir eine der Feldhuren zur Aufheiterung holen?“, schlug er vor. „Ein anderes Mal vielleicht.“ Sie legte den Kopf schräg, „… wenn ich wieder in Vollbesitz meiner Kräfte bin.“ „Wieso“, fragte Porthos gedehnt. „Es ist doch NUR das eine Bein getroffen worden … oder“, er riss erschrocken die Augen auf,„hat es gar noch eine andere Stelle erwischt?“ Aramis zwinkerte und sagte gleichmütig. „Nein, nur eins meiner Beine. Die anderen funktionieren noch, danke der Nachfrage.“ Porthos lächelte breit und sagte. „Na dann ist ja gut!“ D’Artagnans ungeschliffenes Jungengesicht begann rötlich zu leuchten. „Warum wird du denn rot?“, fragte der Koloss verwundert, mit Blick auf seinen jungen Freund. „Vielleicht sollten wir dich zu einen von ihnen schicken.“ D’Artagnan wand sich voll Unbehagen. „Lass ihn! Wahrscheinlich ist er noch zu jung für das Thema“, schlug Aramis vor. Porthos schüttelte voller Unverständnis den Kopf. „Warst du jemals sooo jung, Aramis? Ich war es nie.“ „Wasch dir den Mund aus, Porthos!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)