Reneé von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 14: Gottes vergessenes Land ----------------------------------- Die Männer kamen näher. Sie waren nicht bewaffnet und sie bewegten sich nicht übermäßig schnell, aber in ihren seelenlosen Augen stand ein so blutrünstiger Ausdruck, der sie gefährlich machte. Und sie blieben nicht ihr einziges Problem. Ausgehungert wie sie waren, hätten Aramis und Rochefort sie auf ihren Pferden ohne weiteres abhängen können, doch Amaury stand noch immer wie festgewachsen bei der Leiche des Fuhrmannes und kam keinen Schritt näher auf sie zu. Unschlüssig blieben sie stehen und ließen wertvolle Zeit verstreichen. Aramis wendete ihr Tier, um dem jungen Arzt entgegenzureiten, als plötzlich weitere zerlumpte Männer aus dem Dickicht brachen. Die Männer waren wesentlich schneller und hatten sie bald umringt. Gierige Hände versuchten nach ihnen und den Zügeln ihrer Pferde zu greifen. Ein wilder Kampf entbrannte. Rochefort schwang seinen Degen wie einen Schlagstock. Die Tiere tänzelten nervös auf ihren Hinterbeinen und versuchten ihrerseits mit den Vorderhufen nach den Angreifern auszuschlagen. Aramis hatte ihren Dolch gezückt und stach zu. Blut floss, doch das menschliche Gesindel prügelte von allen Seiten auf sie ein. Es waren einfach zu viele und in den Gesichtern ihrer Gegner stand nichts Menschliches mehr. Vielleicht hätten sie und Rochefort es dennoch geschafft davon zu galoppieren, wenn nicht Amaury außerhalb ihrer Reichweite gewesen wäre. Ihre Flucht hätte bedeutete, dass er zurückbleiben musste und zweifelsohne unter den erbarmungslosen Händen der Männer sterben würde. Aramis fluchte. Sie zog ihren Dolch zurück und wurde wie eine Puppe von ihrem Pferd gezogen, die Arme eng an den Oberkörper gepresst, um ihr Geheimnis zu bewahren. Sie landete im Schlamm, in der Erwartung, dass sie über sie herfallen würden. Ihr Herz raste. Sie hatte Todesangst. Doch das rasende Gesindel beachteten sie nicht, sondern fiel über ihr armes Pferd her und schnitt dem sich wild aufbäumenden Tier die Kehle durch. Ihr Reittier wieherte schrill und warmes Blut spritzte über Aramis. Sie hörte das tolle Keuchen und Schmatze aus den Kehlen der Wilden. Aramis nahm die Beine in die Hand und kroch auf allen Vieren Amaury entgegen. „Sie wollen das Pferd“, schrie sie über die Schulter Rochefort zu, während sie in Amaurys Richtung rannte. „Gib es ihnen!“ Sie sah nicht zurück, ob er sie gehört hatte oder tat was sie sagte. Amaury und der Wald rückten immer näher. Plötzlich knickte ihr verletztes Bein weg und sie fiel hin. Sie wollte aufstehen, doch eine Hand griff nach ihrem Fuß und hielt ihn fest. Sie trat nach ihrem Angreifer, dennoch zog dieser sie rückwärts auf sich zu, dann warf er sich auf sie. Aramis ächzte unter seiner Last. Sie glaubte entzwei zu brechen und zu ersticken. Das stinkende Tier drückte sie mit groben Grunzlauten brutal zu Boden. Ihre Nase wurde in den Schlamm gedrückt und ihr Mund füllte sich mit Erde. Panisch wühlten sich ihre Hände durch den Schlamm. Sie bekam einen Stein zu fassen, aber sie konnte ihren Arm nicht drehen, weil er ihren gesamten Oberkörper auf den Boden drückte. Als sie schon glaubte endgültig zu ersticken, wich plötzlich die Last von ihrem Rücken und sie kam ein wenig frei. Amaury war ihr zu Hilfe geeilt und hieb mit seiner schweren, sperrigen Arzttasche auf ihren Gegner ein. Die Gegenstände in der Tasche schepperten. Der Mann wich grunzend zurück und Aramis konnte sich hervorwinden und ihren Stein gegen die Stirn ihres Angreifers schmettern. Wieder und immer wieder, mit hässlich knirschendem Geräusch. Der Mann kippte mit zerschmettertem Schädel um. Aramis wartete nicht lange. Sie griff sich Amaury und zerrte ihn in das Dickicht. Auch Rochefort hatte sein Pferd der Meute überlassen und rannte seinen Gefährten nach. Sie verschwanden im Wald. Zweige schlugen in ihre Gesichter, Dornen zerrten an ihnen, Wurzel brachten sie zu Fall. Wilde Hacken schlagend, flohen sie wie die Hasen auf der Flucht, ihr eigenes mageres Leben zuliebe. Irgendwann war die Erschöpfung stärker als die Furcht. Aramis stolperte und kam nicht mehr hoch. Sie blieb mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen. „Du hast dich überanstrengt“, stellte Amaury fest. „Kommt, Lord Rochefort, helft mir!“ Und Rochefort nickte und tat etwas anstandslos, von dem Aramis angenommen hatte, dass sie so etwas bei ihm nie erleben würde. Zusammen zogen sie Aramis hoch und gaben ihr Stützhilfe. Schwach protestierend stützte sie sich auf beide Schultern und humpelte vorwärts. Sie kämpften sich weiter waldeinwärts, aber sie kamen nur schleichend voran. Als sie sich später im Wald schlafen legten, waren sie unfähig vor Angst Schlaf zu finden. Am nächsten Tag setzten sie ihren Weg fort, nachdem sie an einen der armen Waldbewohner ihren Hunger und an einem Bach ihren Durst gestillt hatten. Der Tag zog sich recht idyllisch und der Wald schier endlos dahin. Wieder wussten sie nicht, in welche Richtung sie gingen. Irgendwann lichteten sich die Bäume und sie traten aus dem Wald heraus. Die Ebene sandte ihnen Sonnenschein und eine Heerschar von Stechmücken als Begrüßung entgegen. Es war sehr schwül und die Kleidung klebte auf der Haut. Im Tal, von der Sonne beschienen, lag an einem Weiher, ein kleines Dorf, aus vereinzelt stehenden Hütten und Gattern. Das Bild war ruhig und friedlich. Zu ruhig, denn die Ruhe wirkte verstörend, ihnen war nur nicht klar woher das ungute Gefühl kam. Vielleicht war es der Argwohn nachdem gerade Erlebten. Es war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Vorsichtig näherten sie sich dem Dorf. Aramis blieb abrupt stehen, als ihr klar wurde, was sie an der Ruhe störte. Jegliches Geräusch fehlte, auch die Natürlichen, wie Vogelstimmen und Insektenzirpen. Keine Stimmen, kein Kinderlachen oder Tierblöcken drang zu ihnen hinauf. Nervös sah sie sich um. Alles kam ihr plötzlich fremd und unwirklich vor. Sie beeilte sich zu den anderen beiden aufzuschließen. Durst quälte sie, während der Schweiß die Brust hinabrann. Bevor sie das erste Haus erreichten, kam sie an einen großen Haufen schwarzer Zweige vorbei. Als sie die Äste mit der Schuhspitze anstieß, stieg ihr der beißende Geruch von verkohltem Holz in die Nase. Es waren die Überreste eines Scheiterhaufens. Trotz der Hitze, lief ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken. Die drei kamen an einer Hütte vorbei. Das Haus dahinter war niedergebrannt. Eine primitive Stoffpuppe lag vergessen im Gras, daneben ein Holzschuh. Wie in Trance, setzten sie einen Fuß vor den Anderen und näherten sich der nächsten Hütte. Aramis eigener Atem erschien ihr plötzlich zu laut. Rochefort stieß die Tür zu der Hütte auf, die anderen beiden folgten ihm. Die Augen brauchten einen Moment, um sich an das diffuse Halbdunkel in der Hütte zu gewöhnen. Die Hütte bestand wie die meisten Bauernhäuser aus nur einem Raum. Stühle und Tisch waren umgekippt, sämtliche Gegenstände lagen wild verstreut und zerstört auf dem Boden herum. Auf dem Bett lag eine tote Frau. Die Beine waren weit gespreizt und sie sahen direkt in das zerfetzte Überbleibsel dessen was man ihr angetan hatte. Ihr Kleid war zerrissen, Haut und Stoff blutbesudelt. Ihr dunkles Haar lag anmutig wie ein Schleier auf den Kissen ausgebreitet, der Kopf war unnatürlich nach hinten geneigt und die bloße Kehle durchschnitten. Ihre Augen starrten blicklos die Decke an. Fliegen umschwirrten die Tote. Aramis drehte sich um und humpelte würgend nach draußen, um sich zu übergeben. Sie dankte Gott und allen Heiligen, für die Männerkleider die sie trug. Sie sah sich ängstlich um. Wo waren die, dessen Werk das war? Wohin sie auch blickte, sah sie das Angesicht des Todes. Verbrannte Hütten, zerstörtes Hab und Gut. Das Wasser des Weihers war mit blutgetränkten Leichnamen verunreinigt, an einem seiner Bäume hingen weitere Leichen. Speisereste waren verschimmelt und Vieh gab es nicht. So schnell sie ihre Füße tragen konnten, verließen sie den Ort, über den der Tot wie eine lastende, atemlose Stille lag, die nie mehr ein lautes Wort, ein Lachen oder das fröhliche Geschrei eines Kindes durchbrechen würde. Sie liefen so schnell sie konnten, doch der Albtraum war ihnen schon längst vorausgeeilt. Das Dorf war nur der Vorgeschmack dessen, was sie noch erwartete. Die Franzosen hatten vom Dreißigjährigen Krieg, der seit nun neunzehn Jahren das Deutsche Reich verwüstete, kaum etwas mitbekommen. Richelieus Außenpolitik bestand bislang aus geschickter Diplomatie, fadenscheinigen Zugeständnissen und falschen Versprechungen. Vor allem Dingen war Geld geflossen. Die zusätzlichen Steuern belasteten das französische Volk zwar, aber es beraubte sie nicht ihrer Söhne und Töchter. Aramis, Amaury und Rochefort bekamen nun das wahre Gesicht des Krieges zu sehen, indem sie sich in die falsche Richtung und damit über die Grenze in das Deutsche Reich verirrt hatten. Sie waren auf Wanderschaft in einem Land, das im Jahr 1636 wie ein einziges Totenreich wirkte. Die zahlreichen Heere wurden teils von unfähigen, teils von intriganten Generälen an zahlreichen nicht überschaubaren Fronten geführt. Durch das Land zogen Söldnertruppen und Räuberbanden aus desertierten Soldaten, verarmten Bauern und heimatlosen Flüchtlingen und wo sie gewesen waren, hinterließen sie Verwüstung. Gehöfte und Dörfer gingen in Flammen auf, die Bewohner wurden gefoltert und ermordet, Reisende geplündert und an Ort und Stelle erhängt. Überall herrschte Hungersnot und Seuchen. Ihr Weg führte über kahle Äcker, niedergetrampelte Felder, abgebrannte Dörfer, vorbei an verendeten Viehherden und entstellten Leichen. Für die drei Franzosen begann ein zäher Kampf ums Überleben. Sie lernten miteinander umzugehen und sich notgedrungen zu akzeptieren. Wortlos verständigten sie sich, wenn es darum ging, sich schnell zu verstecken oder etwas Essbares zu stehlen. Einst wurde Aramis in ihren Träumen von einem riesigen Schlachtfeld verfolgt, über dem dicker Pulverrauch schwebte und auf dessen Wiesen Hunderttausende von verwundeten und toten Soldaten lagen, dazwischen verletzte Pferde und schwarze Kanonen. Doch die Erinnerung verblasste, angesichts dessen, was der Krieg diesem Land und seinen wehrlosen Frauen und Kindern angetan hatte. Sie hatte das Gefühl, wie betäubt durch dieses von Gott vergessene Land zu taumeln und stellte sich die immer gleiche Frage: Wie sich Menschen gegenseitig so etwas antun konnten. Aramis wurde auf ihrer Reise immer hagerer. Die Sonne und der Schmutz verliehen ihrem Gesicht eine dunkle Tönung. Ihre Wangenknochen stachen scharf hervor. Das Haar war verfilzte und fahl. Ihre Augen entzündet, ihre Lippen rissig. Der Dreck grub sich in die trockenen Rillen ihrer Haut und die Fingernägel brachen. Die monatliche Blutung war erneut ausgeblieben. Ihr Körper hatte nicht die Kraft zusätzliche Flüssigkeit auszuscheiden. Aramis fuhr die kantigen Züge ihres Gesichtes nach und seufzte. Sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, wie sie aussah. Sie verwilderte, war nur noch eine wandelnde Vogelscheuche und doch bot ihr verwahrlostes Äußeres ihr den nötigen Schutz. Sie glaubte nicht, dass einer der beiden Männer die Frau in ihr sah. Sie selbst fühlte sich schon nicht mehr als Frau, nur noch als geschlechtsloses Wessen, dessen einzigster Zweck in der Suche nach etwas zu Essen und rascher Flucht bestand. Der tägliche Kampf um das Überleben war zu anstrengend, um sich Sorgen über ihr Geschlecht zu machen. Am Leben zu bleiben und vorwärts zu kommen, war wichtiger. Die Männer schien es auch nicht zu interessieren, wenn sie für ihre Notdurft in den Büschen verschwand und sich nie auszog. Doch Aramis irrte sich. Wenn sie des Nachts schlief und Amaruy für den Wachdienst eingeteilt war, verbrachte er die nächtlichen Stunden damit, sie zu betrachtete, wenn sie sich den Luxus eines Lagerfeuers gönnten. Er war vollkommen gefangen in seinen widersprüchlichen Gefühlen für sie. Er bewunderte Aramis, für seine Zähigkeit, für seinen Mut, für das Geheimnis was ihn umgab und für seine Sanftheit, für die Zartheit seiner Gesichtszüge, die unter einer dicken Schicht Dreck verborgen lagen. Die Widersprüchlichkeit von Aramis Wesen zog ihn unwiderstehlich an. Berührte Aramis Amaury, dann löste es bei ihm diese eigenartige Empfindung aus, die von seinen Lenden ausging und in seinen Kopf stieg, was dazu führte, dass er zu schwitzen begann. Rochefort, dessen ganzes Bedürfnis nach Frauen einzig und allein immer auf die sexuelle Befriedigung seiner Bedürfnisse beruht hatte, wäre nie auf den Gedanken gekommen, sich Tag und Nacht in Gesellschaft einer davon zu befinden. Zu abwegig war die Verbindung zwischen den gepuderten, hübsch eingepackten Geschöpfen seiner Wahl, nach denen er Lust verspürte und einer Aramis. Bislang hatte er nur eine Frau als mögliche Bettgelegenheit ausgeschlossen, - Milady, nicht weil diese hässlich war, sondern gefährlich, wie eine schwarze Witwe. Sie hätte ihn verschlungen. Dachte er nicht über Sex an eine Frau, gab es sie schlichtweg nicht für ihn. Doch Rochefort hatte mit Befremden beobachtet, wie Amaury Aramis anstarrte, wenn dieser sich unbeobachtet glaubte und nun begann er sich selbst Gedanken zu machen. Merkwürdig war dieser dritte Musketier in seinen Augen schon immer gewesen. Rochefort hatte das Kinn in die Hand gestützt und starrte in die tanzenden Flammen des Lagerfeuers. „Und schon wieder ist Aramis verschwunden.“, stellte er nicht unfreundlich fest. Amaury zuckte die Schultern. „Er sucht eben die Einsamkeit!“ Nachdenklich strich sich Rochefort über das Kinn, dann sagte er bedächtig. „Das sollte er nicht tun. Es ist gefährlich.“ „Darauf habe ich ihn auch schon hingewiesen und er hat sehr ungehalten reagiert.“ „Bist du ihm einmal heimlich gefolgt?“ „Nein, ich akzeptiere seinen Wunsch.“ Rochefort hob eine Augenbraue. „Ach so?“ Amaury lächelte schief. „Nun gut, ich bin sehr schlecht im Anschleichen. Er hat mich erwischt und mir gedroht, beim nächsten Mal mir ernsthaft weh zu tun. Ich denke, er weiß was er tut. Immerhin ist er Musketier.“ „Das ist wohl wahr“, erwiderte ein geläuterter Lord Rochefort und überraschte sich selber. Er verfiel wieder ins Nachdenken. „Ihm wächst kein Bart“, stellte er fest. „Es gibt Männer, die unter sehr spärlichem Bartwuchs leiden“, erklärte Amaury vorsichtig. „Zudem kann man das bei dem ganzen Dreck nicht so genau sagen.“ Rochefort nickte tiefsinnig und setzte seine Grübelei fort. „Er lag doch im Lazarett und du warst sein Arzt. Hast du ihn je entkleidet gesehen.“ Amaruy grinste, das das Weiß seiner Zähne im dunklen Gesicht aufblitzte. „Er ist am Bein verletzt, Lord Rochefort. Dazu muss er nicht mehr, als die Beinkleider ausziehen! So viel habe ich entkleidet gesehen und was soll ich sagen … „, er legte eine kurze Pause ein. „er verfügt über zwei Beine.“ „Nun, vielleicht wären wir überrascht, wenn wir ihn nackt sehen würden.“ „Wir wären überrascht?“, wiederholte Amaury verwundert. „Vielleicht sogar sehr angenehm überrascht.“ „Ihr meint, dass unser Musketier muskulöser ist, als seine Gestalt vermutet?“ „Ja“, erwiderte Rochefort gedehnt, „genau das meinte ich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)