Verzeih mir, mein Bruder... von Yvana (Aber ich bin gefallen.) ================================================================================ Prolog: Verstehen. ------------------ Es war Abend. Draußen war alles dunkel und leise hörte man den Wind in den Blättern flüstern. Gilbert seufzte. Der Albino lag gelangweilt auf dem Rücken in seinem großen Bett. Die Stereoanlage neben ihm brüllte laut und er fragte sich, wann sich der Erste beschweren würde, obwohl es ihm eigentlich egal war. Denn ändern würde er daran sicher nichts. Leise sang Gilbert mit, obwohl er den Text kaum kannte. Um was ging es in dem Lied? But if I die, please I want you to survive. Von unten hörte er einige schreiende Stimmen. Eine gehörte Ludwig, das erkannte er sofort. Doch die anderen… Feliciano? Vash? Roderich? Hm. Er konnte sie einfach nicht zuordnen, und ehrlich gesagt wollte er das auch gar nicht. Hauptsache sie waren endlich weg und er hatte seinen kleinen Bruder für sich allein. Wenigstens er erinnerte sich noch daran, welche Geschichte er besaß. Langsam streckte er seinen Arm aus und schlug auf die Anlage. Die Musik wurde leiser, er hatte also getroffen, was der junge Mann treffen wollte. „Haaaach…“, Gilbert erhob sich, „Dann gehen wir mal los, nä?“ murmelte er und streichelte sanft das gelbe Vögelchen auf seinem Kissen. Dieses piepste nur, flog einige Male um seinen Kopf und machte es sich dann in dessen kurzen, weißen Haare gemütlich. „Hm?“, neugierig streckte er seinen Kopf aus dem Fenster. Der Besuch war gegangen, nur noch Roderich war zu sehen. Sofort hellte sich seine Laune sichtlich auf und er hastete zur Treppe. „West!?“, rief der Albino leise durch seine Etage und wartete kurz. Aber allem Anschein war sein Bruder noch unten im Wohnzimmer. Kurz überlegte Gilbert, dann rannte er auch schon die lange, dunkle Treppe runter. Unten angekommen blieb er kurz stehen und holte tief Luft, dann ging er langsam auf die Tür des Wohnzimmers zu. Im ganzen Haus war es dunkel, er erkannte nicht viel und orientierte sich an dem schmalen Lichtstreifen, der unter der Tür durchfiel und leicht die gegenüberliegende Wand beschien. „Nein…Lu- ahh~…“ Der Silberhaarige stockte. Gehörte diese gedämpfte Stimme nicht Feliciano? Langsam spürte er die Eifersucht in sich hochkriechen. Er wollte Ludwig nicht teilen müssen. Doch dann umflatterte sein Vögelchen einige Male seinen Kopf und flog schließlich zur Tür, wo es sich auf die Klinke setzte. Der Preuße musste gegen seinen Willen lächeln. „Stimmt, mein Kleiner. Ich sollte hier nicht einfach rumstehen…“ Vorsichtig und bemüht leise zu sein, setzte er einen Fuß vor den Anderen, bis er schließlich vor der Tür stand. Gilbert schluckte noch einmal, klopfte dann kurz und hielt wieder inne. In seinem eigenen Haus anzuklopfen… Wie irrational. Die Geräusche im Zimmer verstummten und er vernahm ein verwirrtes „Huh?“ von seinem Bruder. In diesem Moment hätte es ihn nicht verwundert, wenn er vergessen worden wäre. Der junge Albino biss sich auf seine Unterlippe, verkrampfte die Hand zu einer Faust und kniff die blutroten Augen zusammen. Er durfte jetzt bloß nicht schwach werden. „…Wer ist da!?“, rief Deutschland verwirrt und gleichzeitig bedrohlich. Gespielt fröhlich riss Preußen die Tür auf. „Heey, West! Erinnerst du dich nichma‘ mehr an deinen awesome-großen Bruder!?“, grinsend lehnte er im Türrahmen. Ja. Ein guter Schauspieler war er schon immer gewesen. Dort, auf Ludwigs Schoß, mit offenem Hemd und verwühlten, unordentlichen Haaren, saß Italien. Am liebsten wäre Gilbert sofort wieder weggerannt, obwohl das so gar nicht seine Art war. „Ach…Gilbert. Du bist es nur…Was machst du denn hier?“ –Ich war einsam, du Idiot. „Ähm, ich wohne hier!?“ „Ja, mir schon klar. Ich dachte, du wärst nicht da.“, erwiderte sein blonder Bruder ausdruckslos und legte seinen Kopf auf Felicianos Schulter ab. Jener sah allerdings nur verängstigt in Preußens Richtung. Er dachte, ich wäre nicht da? …Kann man mich so leicht übersehen? Im Kopf schon einige Mordtheorien durchgehend, beobachtete der Ältere Ludwig mit leerem und traurigem Blick. Ihm war zum Heulen zumute, Durfte er denn kein Glück haben? Zuerst fiel er als Nation. Dann wurde er von Deutschland getrennt. Und nun hatte selbst sein Bruder keine Zeit mehr für ihn. Die Anderen sahen ihn auch immer nur abschätzig an. Und mittlerweile geriet er in Vergessenheit. Niemand erinnerte sich mehr an seine glorreiche Zeit. Warum nur…? „-der? GILBERT!“ „Preußen-san?“, meldete sich nun auch der kleine Italiener zu Wort. Sie rissen den silberhaarigen aus seinen Gedanken und erschrocken bemerkte dieser, das etwas Warmes, Nasses seine Wangen hinunterlief. Ja. Sie bestätigten ihm nur seine Vermutung nicht mehr wichtig, nicht mehr am Leben zu sein. So stand Gilbert erst einmal eine Minute dort, bis er realisierte, was dies bedeutete. „Ähm.. Also, ja… A-also, ich glaube, ich…ich störe.“, brachte Gilbert stotternd, mit zittriger Stimme hervor, drehte sich um und rannte ohne nachzudenken aus dem Haus, direkt in den Regen hinein. Das hastige „Warte! Gilbert, bleib hier!“ hörte er schon gar nicht mehr. Erschöpft ließ der Preuße sich in einer Seitengasse auf den Boden fallen. Er wusste weder, wie lange er gerannt war, oder wo er sich jetzt befand. Es wehte ein kühler Wind, sein Vogel war auch nicht mehr da. Leer blickte Gilbert sein linkes Bein an. An irgendeiner Ecke musste er hängen geblieben sein, denn die schwarze Jeans war vom Oberschenkel bis zu dem Knie aufgerissen und langsam sickerte rote Flüssigkeit hinaus, auf die kalten Steine. Den Schmerz spürte er allerdings nicht und so hob er den Kopf gen Himmel und kümmerte sich nicht weiter darum. Seinen Körper zierten so viele Narben, da machte eine mehr oder weniger auch nichts aus. „Regen. Wie passend…“, flüsterte er leise und brach in Tränen aus, die keiner sah. „Pru-chan?“ Gilbert sah auf. War er eingenickt? Um sein Bein herum hatte sich bereits eine kleine, rote Lache gebildet, die von dem Regen weggespült wurde, sodass es fast nach einem Massaker aussah. „Fuhuhu… Bist du eingeschlafen? Wie untypisch für dich~“ „Ach, halts Maul. Ich bin jetzt nicht in der richtigen Stimmung, Russland.“ Gilbert hatte Kopfschmerzen. Genau genommen, wollte er nur noch nach Hause, bis ihm einfiel, dass er dort nicht hin konnte. „Ich wollte dir eigentlich nur einen Schirm geben…Es regnet noch immer, weißt du?“ Wieder dieses verhasste Lächeln. Vielleicht sollte er mal einen Krieg anfangen, dachte er sich. Doch dann bemerkte er, dass er das ja gar nicht mehr machen konnte. Ohne Truppen…Ohne Land…Ohne Stolz. Vollkommen durchnässt sprang der junge Albino auf und zuckte kurz zusammen. Einige Tropfen fielen auf sein strohblondes Gegenüber und violette Augen sahen ihn verärgert und gleichzeitig verwundert an. „Wo gehöre ich überhaupt hin!?“, mehr als ein heiseres Flüstern drang nicht aus Gilberts Mund. „Hmm…Gute Frage, kleines Pru-chan. Zu Deutschland wohl nicht. Zum kleinen Polen auch nicht. Zu mir auch nicht mehr… Wäre es denn nicht einfach besser, wenn du verschwinden würdest? ~“ Ivan grinste. Er hatte den jungen Preußen noch nie so hilflos gesehen. Selbst als er einmal am Ende war, von seinem Bruder getrennt wurde und alles verloren hatte, selbst da versuchte er seinen Stolz aufrecht zu erhalten. Diese Schwäche auszunutzen genoss der großgewachsene Russe deswegen umso mehr. „Verschwinden…?“ Gilberts rote Augen durchbohrten ihn unsicher und vollkommen durcheinander machte sein Gegenüber einen Schritt zurück, stieß gegen eine Mauer und wirbelte herum. Fast als erwartete er dort einen Feind vor sich. Er hob die Arme und strich ungläubig über den kalten Stein. Die schmalen Schultern zitterten leicht, die Hände verkrampften sich und langsam sackte die einst so stolze Nation in sich zusammen. „Verschwinden…“, wiederholte er ungläubig, mit gebrochener Stimme. „Yep~“ „…Wieso!?“, leise redete der Albino mit der Wand. „Ich existiere doch noch… Oder?“ „Existieren? Wo ist dein stolzer Adler abgeblieben? Wo sind deine Leute hin? Wo ist dein Gebiet? Sag es mir, kleines Preußen.“ Mit großen Schritten überbrückte Russland die letzten Meter Abstand zwischen ihnen, bis er hinter ihm stand und vernahm wie er leise schluchzte. Dann kniete er sich vorsichtig hinter den Albino und legte schützend die Arme um ihn. „Du weißt es nicht, nicht wahr?“, sagte Ivan leise. Es klingelte. Sofort sprang Deutschland auf, stolperte, rannte zur Tür und riss sie auf. Dann erstarrte er. Sprachlos starrte er zuerst in Russlands lächelndes Gesicht und dann auf das zusammengekauerte Bündel in seinen Armen. „Wa…“, mehr brachte er nicht raus. „Ich habe deinen Bruder in einer Seitengasse aufgelesen. Und da ich sowieso in der Gegend war, dachte ich mir, dass ich ihn zurück bringe~“ Er grinste breit, hielt Ludwig seinen nassen, schlafenden Bruder hin und wartete. „Nyaaa, ich geh dann mal wieder~“, er ging einige Schritte zurück, drehte sich dann noch einmal dämonisch grinsend um und meinte: „Achja. Ich an deiner Stelle würde gut auf ihn aufpassen.“ Ludwig schloss leise die Tür, blieb dann allerdings noch ratlos stehen und sah seinen Bruder an. Wie leicht er doch war. „Feliciano! Ich bräuchte die Couch. Machst du sie bitte frei?“, rief der Deutsche ins Wohnzimmer, ging selber aber durch den langen, kalten Flur ins Bad. Wie alles andere auch in diesem Haus war es hier sehr sauber, nur in den Ecken lag heimlich Staub. Vorsichtig bewegte Ludwig sich eher schleichend über die Holzdielen, er wollte seinen Bruder nicht wecken. Dieser gab jedoch erst ein undefinierbares Geräusch von sich, kuschelte sich an seinen jüngeren Bruder und krallte sich schmerzhaft, mit der linken Hand in das schwarze Shirt des großgewachsenen Deutschen. Es stockte ihm der Atem, sosehr dass er für einen kurzen Moment fast den Halt und Gilbert aus seinen Armen verlor. Erschrocken blieb er stehen. Er sah ihn an, wohl wissend, dass er die geheimste Wahrheit über sich selbst in den Händen trug. „Bruder?“, fragte er vorsichtig und strich ihm die verschwitzten, weißen Haare aus der Stirn. Ganz vorsichtig drückte er ihn näher an sich und strich mit den Fingern drüber. Wie er dort in Ludwigs Armen lag, wirkte er so leicht zerbrechlich. Erschrocken drehte Gilbert den Kopf. Er starrte ihn an - und für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als sei da eine Regung in seinen Augen. Ein Schimmern von Entsetzen. Ein Schimmern von Angst. Eine kurze Zeit beobachteten sie sich gegenseitig. Der Albino sah seinen jüngeren Bruder an wie eine verletzte Katze, die jederzeit dazu bereit war, zu flüchten, oder sich zu verteidigen. „Lass mich bitte runter…Deutschland.“ Perplex kam dieser der Bitte nach, wohl bedacht, sein Bein nirgends anstoßen zu lassen. „Was sollte das?“, kam auch sogleich die etwas gereizte Frage des weißhaarigen. „Bruder… Ich wollte dir helfen…Was war überhaupt los!?“, besorgt durchbohrte er sein Gegenüber mit den hellen, blauen Augen, nur um leicht verzweifelt feststellen zu müssen, dass Gilbert einige weitere Schritte zurück wich. Erst sah der Preuße mit geschlossenen Augen auf den dunklen Holzboden, bis er sich wieder fing und mit gewohntem Grinsen den Jüngeren anstrahlte. „Mach dir keine Sorgen. Es ist alles in Ordnung, Lud~“ „Aber…“ „Kein Aber!“, grinsend beugte er sich ein wenig nach vorne, sein Bein entlastend. Ja, so kannte man ihn. Und trotzdem konnte Ludwig einfach nicht diesen leeren Schimmer in den roten Augen seines Bruders ignorieren, die doch eigentlich fröhlich zu ihm hinüber blitzen sollten. Irgendetwas fehlte. Und das schon lange Zeit. Der Blonde hob den Arm, streckte die Hand aus, wollte Gilbert trösten – obwohl er nicht wusste, warum. Doch zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass dieser, immer noch mit dem gleichen Ausdruck, weiter zurück wich. „Naja. Ich geh mal schlafen, bin müde.“, fast beiläufig schielten seine roten Augen über Ludwigs Schultern, denn er entdeckte dort den kleinen braunhaarigen Italiener. Hastig stolperte er daraufhin zwei Schritte nach vorn, fing sich an der Wand ab und keuchte leise. Doch als sein kleiner Bruder ihn stützen wollte, sahen ihn rote Augen wütend an und er riss sich los. „Ich brauche keine Hilfe.“, fauchte er, fügte dann aber noch leise hinzu „Nicht von jemandem, dem ich egal geworden bin.“ Damit verschwand er so lautlos wie immer in sein oberes Stockwerk. Zurück blieb ein völlig verstörter Ludwig, der sich mit der Hand durch die hellen, blonden Haare wühlte. Was war nur geschehen, was er nicht mitbekommen hatte? Welches Detail hatte er übersehen!? Hinter ihm ertönten leise Trippelschritte und zaghaft legte ihm Feliciano eine Hand auf den Rücken. „Feliciano…?“, er sprach mit leiser, zittriger Stimme. „Hm?“, kam auch gleich die vorsichtige Antwort. „Er…Hat mich Deutschland genannt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)