Scheidewege von bumble ================================================================================ Kapitel 8: Verlust ------------------ So meine Lieben, weiter gehts. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und hoffe, es gefällt. *Kaffee und Kuchen verteil* allerliebste Grüße, bumble^^ __________________________________ Es war eine Lüge. Es musste einfach eine sein. Es war nicht passiert. Weil es nicht passiert sein konnte. Weil Hogwarts sicher war. Eine Festung. Aber noch viel wichtiger: weil er nicht wusste, wie er damit leben sollte… Man könnte vielleicht behaupten, er wäre Verluste gewohnt, doch…er kam eindeutig ganz und gar nicht mit diesem zurecht. Deshalb war es einfach nicht wahr. Weil es nicht wahr sein durfte… Bitter lächelnd schüttelte Harry den Kopf. Über seine Gedanken. Seine Sturheit. Schlicht über sich selbst. Denn es war geschehen. Und er sah noch immer das bleiche, leblose Gesicht mit den starren Augen vor sich, umrahmt von glänzenden Fäden weißblonden Haares. Jede Nacht in seinen Träumen konnte er ihn sterben sehen, wobei jeder Traum eine Nuance veränderte, da er nicht beobachtet hatte, wie es tatsächlich geschehen war. Doch es fühlte sich nicht weniger real an. Weil er tot war. Draco Malfoy war tot. Und Harry hatte es nicht verhindern können… Er fühlte sich, als wäre er in einem Alptraum gefangen. Noch vor einer Woche saßen sie gemeinsam im Raum der Wünsche und… waren zufrieden. Jedenfalls so zufrieden, wie man angesichts der allgemeinen, verqueren Situation eben sein konnte. Aber Harry war wirklich froh gewesen, erleichtert und…dankbar. Für Dracos Wandel. Dafür, ihn wirklich kennenlernen zu können. Sich in diesem bevorstehenden Krieg weniger allein zu fühlen. Doch auf einmal war dies alles fort, einfach unter seinen Füßen weggerissen. Und er glaubte zu fallen. Seit Tagen schon. Und er wusste, da war nirgendwo ein Netz, nichts, was ihn fangen konnte. Seine Freunde versuchten es, immer wieder, doch er ertrug es einfach nicht. Ihm war klar, dass er sich ungerecht verhielt, egoistisch, aber immer wenn er sie anblickte, dann erinnerte er sich. Daran, wie Draco und Ron stundenlang Schach gespielt, wie der Slytherin mit Hermine über Literatur oder Zaubertränke oder was auch immer diskutiert hatte. Und er erinnerte sich an diesen letzten Abend, an dem er den anderen noch soviel hatte fragen wollen. Doch all das würde nun für immer unbeantwortet bleiben. Denn Draco Malfoy war nicht mehr am Leben. Am Anfang hatte er es nicht geglaubt, nicht glauben wollen, es für einen wirklich richtig schlechten Scherz gehalten. Und er hatte noch gehofft, irgendetwas machen zu können. Doch die Hoffnung war vor zwei Tagen regelrecht pulverisiert worden, als Albus Dumbledore das Schuljahr mit einer Trauerrede beendete. Und auch wenn Harry sonst nicht wirklich zuhörte, wenn der Professor seine Reden hielt, so war dieses Mal jedes Wort so fest in sein Gedächtnis eingebrannt, als würde er immer noch dort im großen Saal sitzen und den Worten des weisen Mannes lauschen… Eben dieser Mann mit den klugen, blauen Augen hatte von Verlust gesprochen. Und davon, dass die Menschen nicht immer das waren, was sie zu sein schienen. Dass man sich manchmal die Mühe machen musste, hinter die Fassade zu blicken. Und er erzählte von Draco Malfoy. Einem Draco Malfoy, der eine mutige Entscheidung getroffen, der sich in die Schlangengrube begeben, dem dunklen Lord erheblich geschadet und dadurch seinen Zorn auf sich gezogen hatte. Einem Draco Malfoy, der mehr war, als man ihm zutraute. Und der für seine neu gewonnene Überzeugung schließlich starb. Als jemand, den man wohl als Helden bezeichnen konnte… Die Stille im Saal hatte die Luft beinahe greifbar vor Spannung gemacht. Alle, die bis zu diesem Zeitpunkt noch der Meinung gewesen waren, Draco Malfoy wäre ein Mistkerl und ein Anhänger Voldemorts, wirkten nun überrascht und bestürzt zugleich, was wohl auf den größten Teil der Schülerschaft zutraf. Nur einige Slytherins setzten steinerne Mienen auf. Doch all das fiel Harry nur den Bruchteil einer Sekunde auf, denn seine Aufmerksamkeit lag gezielt auf einer einzigen Person. Einer Person, die kurz nach dem Professor an der Stelle eingetroffen war, an der Draco starb. Die ohne jegliche emotionale Regung den Tod offiziell festgestellt und den Leichnam fortgebracht hatte. Bei der Harry sich einfach sicher war, dass er der Täter sein musste. Snape… Es musste Snape gewesen sein… Er erinnerte sich noch, wie er einen Umhang um eine Ecke verschwinden hatte sehen, als sie Draco fanden. Und er wusste, dass kaum ein Schüler, auch keiner aus Slytherin, so ohne weiteres den Todesfluch anwenden konnte. Und es gab einfach niemand anderen, dem gegenüber Draco so unvorsichtig gewesen wäre, seinen Zauberstab nicht zu ergreifen. Harry hatte ihn die letzten Wochen über und auch schon die Jahre zuvor lange genug beobachtet, um zu wissen, dass der Slytherin seinen Mitmenschen gegenüber eher misstrauisch und vorsichtig war und gerade in letzter Zeit seinen Zauberstab ausnahmslos immer griffbereit getragen hatte. Und diese Tatsache machte ihn nur noch wütender. Draco hatte seinem Paten vertraut. Und auf dessen Wunsch hin hatte auch Harry versucht, Severus Snape mehr Vertrauen entgegenzubringen. Und nun war der Slytherin tot und sein ehemaliger Zaubertränkelehrer hatte mit unbewegter Miene und dem verborgenen dunklen Mal auf dem Arm vorn neben dem Schulleiter gestanden. Lebendig. In Harry brannte der blanke Hass, den er selbst in seinen Fingerspitzen zu spüren glaubte. Seufzend schloss er die Augen und ermahnte sich innerlich zur Ruhe. Dass er zu solchem Hass, der wild durch seine Venen strömte, von ihm, seinen Gedanken Besitz ergriff, fähig war, versetzte ihn manchmal in Angst. Er war ein Ergebnis seiner Verbindung mit Voldemort und doch auch ein Teil von ihm selbst. Und gelegentlich hatte Harry ihn einfach nicht unter Kontrolle. Dann wusste er nicht mehr, ob er ihm standhalten könnte oder irgendwann erliegen würde. Und in Dracos Gesellschaft hatte er zum ersten Mal das Gefühl gehabt, jemanden gefunden zu haben, der das verstand. Der in der Lage war, nachzuvollziehen, dass es nicht nur schwarz und weiß gab, sondern Unmengen an Grautönen. Manchmal erdrückte es Harry regelrecht, was die Menschen um ihn herum von ihm erwarteten. Er, derjenige, der Voldemort besiegen sollte. Musste. Konnte. Der Goldjunge. Der Vorzeige-Griffindor. Der Junge, der überlebt hat. Alles Titel für ihn. Titel, die nur einen Farbton zuließen: strahlendes Weiß. Sie setzten ihre Hoffnungen in ihn, schenkten ihm ihr Vertrauen, doch niemand versuchte, den echten Harry Potter hinter all den Namen zu erkennen. Und auch wenn er wusste, dass seine Freunde ihn mit seinen Facetten und Farbtönen kannten, so war Draco doch der Erste gewesen, der es zudem zu verstehen schien. Weil er selbst weder weiß noch schwarz war… Doch all das spielte nun keine Rolle mehr. Sie hatten ihn verloren, bevor sie ihn überhaupt richtig finden konnten. Den echten Draco Malfoy. Fest presste Harry seine Lippen aufeinander und die Augen zusammen, um die aufkommenden Tränen zurückzuhalten, während seine Finger sich an der Stelle in sein Shirt krallten, unter der sein Herz lag. Es tat weh. Es tat einfach so verdammt weh. Warum nur? Warum fühlte es sich nur so an? So, als wäre ein Teil von ihm selbst ebenfalls gestorben… Sie hatten sich kaum gekannt, wenn man die vielen Jahre des Hasses einmal unbeachtet ließ. Und im Prinzip war Harry sich im Klaren darüber, dass ihm auch die wenigen Wochen, in denen sie einander näher gekommen waren als je zuvor, keinen wirklichen Einblick in Dracos Seele gewährt hatten. Da er noch immer nicht in der Lage war, den anderen auch nur ansatzweise zu lesen. Zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Durch das Dickicht an gekünstelten Gesichtsausdrücken zu blicken. Den grauen Nebel der undurchschaubaren Iriden zu durchdringen. Also warum? Warum schmerzte es so unsagbar? Seufzend vergrub er sein Gesicht in den Händen. Draco Malfoy war und blieb ein Rätsel. Eines, das Harry gern irgendwann gelöst hätte. Und er verfluchte sich selbst für seinen verdammten Stolz, der ihn all die Jahre davon abgehalten hatte, klein bei zu geben. Auf den anderen zuzugehen. Ihm seine beschissene Hand entgegenzustrecken und verdammt noch mal endlich Frieden zu schließen. Und manchmal bereute er es, Dracos Hand damals, an seinem ersten Tag auf Hogwarts, nicht einfach angenommen zu haben. Denn vielleicht hätten sie einander helfen, von dem jeweils anderen lernen können. Vielleicht wäre dann jetzt alles anders. Vielleicht würden sie… Ja…vielleicht… Alles war nur ein großes Vielleicht… Vielleicht schmerzte es deshalb so sehr. Weil er die Chance hatte verstreichen lassen. Nicht nur eine… Und weil er nicht wusste, ob er sich das je würde verzeihen können. Doch was am meisten wehtat, war die späte Erkenntnis, dass er ihn brauchte. Ein wirklich verdammt egoistischer Grund. Und der vermaleite Slytherin hatte erst sterben müssen, damit Harry dies erkannte. Das war verflucht schlechtes Timing. Das war immer etwas gewesen, was sie gemeinsam hatten. So richtig schlechtes Timing. Gepaart mit einer ungesunden Menge Stolz. Eine plötzliche Hand an seiner Schulter ließ Harry zusammenzucken und brachte seine Glieder in Alarmbereitschaft, wodurch ihm erst auffiel, wie tief er in Gedanken versunken gewesen sein musste. Als er aufblickte und in Hermines besorgte Iriden sah, entspannten sich seine Schultern augenblicklich. „Du warst nicht beim Essen, Harry…“ War alles, was sie sagte. „Ich…hatte keinen Hunger…“, murmelte der Griffindor, während er sich nach hinten in den Sessel lehnte. Ihre Augen wirkten…entkräftet. „Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen? Gestern? Vorgestern? Das ist nicht gesund, Harry…“ Sie klang beunruhigt. Eine Weile blickte er sie schweigend an, dann seufzte er. „Weißt du, Herm, das ist mir echt egal…“ Seine Freundin nickte langsam, dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Doch er konnte noch nicht mit Bestimmtheit sagen in welche Richtung. „Du isst nichts, du sprichst kaum noch mit jemandem, verkriechst dich in irgendwelchen Ecken des Schlosses, sodass keiner weiß, wo du bist… Ich verstehe, dass du trauerst, aber…du scheinst zu vergessen, dass du nicht der Einzige bist. Auch wir haben ihn verloren, weißt du?“ Jetzt konnte er es spüren. In ihrer Stimme lag Wut. „Ja, ich weiß…“, antwortete er daher leicht verlegen. „Nein, weißt du nicht.“, entgegnete sie unwirsch, was Harry überrascht die Augen aufreißen ließ. „Woher solltest du das auch wissen? Du hast dich in dein Schneckenhaus zurückgezogen und beschlossen, still vor dich hin zu leiden. Und dabei blendest du einfach alles und jeden aus. Ich kann es verstehen, aber…es macht mich auch so unsagbar wütend. Weil du uns ausschließt. Und weil du nicht einmal bemerkst, wie wir uns fühlen. Ich meine, hast du auch nur einmal mit Ginny gesprochen? Aber noch viel wichtiger: Ist dir überhaupt aufgefallen, dass dein bester Freund seit diesem einen Tag kein Wort mehr gesagt hat?“ „Was…Ron?“, fragte Harry ungläubig. „Ja, Ron… Der Typ, der sonst keine zwei Minuten seine Klappe halten kann. Der nie nachdenkt, bevor er spricht. Er hat seit fünf Tagen kein einziges Wort mehr gesagt, Harry… Und du hast es nicht einmal mitbekommen…“ Er spürte, wie der Vorwurf in ihrer Stimme unter seine Haut kroch und ein unangenehmes Kribbeln zurückließ. „Und…warum?“, fragte er nun schuldbewusst. Seine Freundin seufzte. „Ich weiß es nicht, Harry. Er spricht nicht. Und schon gar nicht mit mir. Ich habe stundenlang neben ihm gesessen, seine Hand gehalten, mit ihm geredet, doch alles, was ich als Antwort bekam, war ein leerer Blick. Er weint nicht, er sagt nichts, er ist nicht wütend. Er ist wie erstarrt.“ Harry hörte die Sorge in ihrer Stimme, gepaart mit Schmerz, und ihm wurde klar, dass er kein besonders guter Freund war. Entschuldigend ergriff er ihre Hand. „Tut mir Leid, Herm. Ich…hab nicht nachgedacht. Ich war so mit mir selbst beschäftigt, dass ich…ich…sorry…“ Seine Stimme brach. Hermine lächelte ihn sanft an, während sie seine Hand leicht drückte. „Schon gut, Harry…“ Es waren nur drei kleine Worte, doch sie schickten eine Welle der Erleichterung durch seinen Körper, dass der Griffindor nicht anders konnte und ihr Lächeln dankbar erwiderte. „Ich geh und rede mit ihm…“, versprach er anschließend. Auf ihr Nicken hin erhob er sich und machte sich auf den Weg zu Ron, hielt allerdings nochmals inne und drehte sich mit fragendem Blick um. „Sag mal, wo ist er eigentlich?“ Das Mädchen seufzte, ehe es antwortete. „Ich denke, im Raum der Wünsche…“ Er sah sie noch einen Moment an, spürte die Sorge in ihren Augen, die Trauer, den Schmerz. Er war wirklich blind gewesen. Und er wusste, auch wenn er keine Ahnung hatte woher, aber er wusste einfach, wäre jemand anderes gestorben und Draco noch am Leben, hätte der Slytherin ihm schon längst einen Arschtritt verpasst und den sprichwörtlichen Spiegel vorgehalten. Und mit einem wehmütigen Gesichtsausdruck verließ er den Gemeinschaftsraum… … Als Harry kurz darauf vor der entsprechenden Wand auf und ab zu laufen begann, manifestierte sich in ihm nur der Gedanke, dass er Ron sehen wollte. Doch als die Tür erschien und er bereits die Hand auf der Klinke hatte, hielt er inne. Was wollte er ihm eigentlich sagen? Was konnte er denn sagen? Er kam ja kaum mit seinem eigenen Kummer zurecht. Wie sollte er da jemandem Trost spenden? Außerdem plagte ihn ein wirklich schlechtes Gewissen, denn Hermine hatte den Nagel auf den Kopf getroffen mit ihren Worten. Er hatte es nicht mitbekommen. Seine eigene Trauer war ihm um so vieles wichtiger gewesen, um so vieles wichtiger vorgekommen. Und obwohl er Ron als seinen besten Freund bezeichnete, konnte er nicht erklären, wie dieser sich jetzt fühlte. Er wusste es schlicht nicht, hatte nicht darauf geachtet. Seufzend strichen seine Finger über den metallenen Griff. Egal wie lange er darüber nachdachte, es würde nichts ändern. Denn derjenige, dem er dies sagen müsste, befand sich auf der anderen Seite der Tür. Langsam die Klinke herunter drückend, stieß er schließlich das massive Holz auf und trat in den Raum. Während die Tür langsam mit der Wand hinter ihm verschmolz, blickte sich Harry überrascht in dem Zimmer um. Seine Augen glitten über deckenhohe, prall gefüllte Bücherregale, große Rundbogenfenster und eine mit Kissen überflutete, riesige Couch, auf der sein Freund lag und ins Leere starrte. Es war genau der gleiche Raum, in dem sie vor einer Woche noch mit Draco saßen, der Raum, den der Slytherin erschaffen hatte. Harry fühlte, wie sein Herz sich zusammenzog. Vorsichtig ging er näher an das Sofa heran. „Hey…“ Er wusste, dass dieses eine Wort nicht besonders viel aussagte, doch es wollte ihm auch nichts Besseres einfallen. Dass er keine Antwort erhielt, überraschte ihn nach dem, was Hermine erzählt hatte, nicht sonderlich. Sein Blick glitt über das Bild seines Freundes, dessen Augen weiterhin ausdruckslos an die Decke gerichtet waren und der in den Händen, die auf seinem Bauch lagen, ein unscheinbares Buch hielt. Langsam ließ Harry sich neben Ron auf die Couch sinken, zog die Beine zum Schneidersitz und betrachtete den anderen eine Weile stumm, ehe er sich räusperte. „Ron?“ Keine Reaktion. Nicht einmal ein Zucken oder ein anderes Zeichen dafür, dass er ihn überhaupt gehört hatte. Harry seufzte. Was hatte er erwartet? Dass ein Wort reichen würde, um den anderen zum Reden zu bewegen, wenn er schon seit Tagen schwieg? Doch was musste, was konnte er sagen? Welche Worte würden die richtigen sein? Und gab es sie überhaupt? Er wusste es nicht. Aber vielleicht war das auch nicht wichtig… „Weißt du, ich hab keine Ahnung, was ich sagen soll…“ Die Wahrheit war das Einzige, was ihm einfiel. Deshalb würde er es einfach damit versuchen. Auch wenn jedes einzelne Wort ihm selbst einen Stich versetzte. „Als er…Draco…als er…dort lag, da…hab ich es nicht geglaubt. Ich konnte das einfach nicht glauben. Nur wenige Minuten zuvor hatten wir noch hier in diesem Raum gesessen und dann… Seitdem sehe ich sein Gesicht, eigentlich immer…wie er dort liegt…seine Augen waren so…tot. Ich kann nicht aufhören, daran zu denken. Ich habe seit Tagen an nichts anderes gedacht. Auch nicht an…euch…an dich…an Herm…Ginny…es…tut mir leid…“ Harry musterte seinen Freund, der seine Lider geschlossen hatte und völlig teilnahmslos wirkte, doch die zusammengepressten Lippen verrieten ihm, dass der andere ihm durchaus zuhörte. Daher fuhr er einfach fort. „Weißt du, ich konnte…kann…ich kann es nicht ertragen. Und dieses Gefühl…es ist so übermächtig, dass…ich habe schlichtweg alles ausgeblendet… Vorhin…Hermine hat mir…na ja…sie war wirklich wütend. Auf mich. Und sie hat mir erzählt, du hättest aufgehört zu…reden… Ich hab es nicht einmal gemerkt, Kumpel…“ Er ergriff den Unterarm des anderen und drückte ihn leicht, nur, um…er konnte nicht genau sagen warum. Vielleicht um sich zu vergewissern, dass er tatsächlich da war? „…ich weiß nicht einmal, warum du nichts sagst. Oder warum dich sein Tod so…mitnimmt. Ich meine, auch wenn es besser zwischen euch lief…ich dachte nicht, dass…ich…es tut mir leid, Ron…du…“ Seine Stimme mitsamt seinem Gestammel versagte, als er Ron seufzen hörte und im nächsten Moment das erste Mal seit Tagen, wie ihm soeben auffiel, in die blauen Iriden seines Freundes blickte. „Es ist okay, Harry. Du warst schon immer so. Ich bin nicht sauer…“ Der Klang seiner Stimme war unnatürlich…ruhig, wie Harry auffiel. Aber er sprach, weshalb ihm ein erleichtertes Seufzen entrann. Dann runzelte er die Stirn. „Ich…wie meinst du das? Ich war schon immer so?“ „Na ja…nach den Begegnungen mit Voldemort…den Visionen…nachdem Sirius…starb… Wenn dir irgendwas zuviel wird, dann ziehst du dich zurück…“, antwortete Ron mit einem zugleich sanften und traurigen Lächeln, während er sich aufsetzte. Harry blickte in die blauen Augen und nickte langsam, als er über die Worte nachdachte. „Du…kennst mich ziemlich gut…“ „Ja…du bist mein bester Freund, Harry…“ Und immer noch war seine Stimme so unnatürlich ruhig. „Immer noch? Obwohl ich echt ein mieser bester Freund war in letzter Zeit?“, antwortete er mit einem bitteren Lächeln. „Wir sind eben, wie wir sind, Harry. Herm ist manchmal nervtötend besserwisserisch, ich habe mein Temperament nicht unter Kontrolle und bin zugegeben ab und an auch etwas, na ja, schwer von Begriff, und du…gelegentlich ziemlich selbstbezogen. Aber eben auch der verdammte, künftige Retter der Welt. Du kannst dir etwas Egoismus leisten, glaub mir. Das ändert nichts daran, dass du mein bester Freund bist. Nichts kann das ändern.“ Harry spürte, wie die Worte des anderen für einen Moment ein seltenes Glücksgefühl durch seine Glieder schickten, das ihm eine Sicherheit und Stärke gab, die niemand sonst ihm zu schenken vermochte. „Danke…und…trotzdem…es tut mir leid…“ „Ich weiß…“ Wieder diese merkwürdige Ruhe. „Ron, was ist los mit dir? Warum…hast du tagelang geschwiegen? Und warum bist du so…ruhig?“, fragte Harry nun mit einer Sorge, die er nicht verbergen konnte. Wie angenehm ihm die Worte des anderen auch waren, so spürte er doch, dass irgendetwas sich verändert hatte. Von dem unkontrollierten Temperament, über das Ron vorher noch gesprochenen hatte, konnte man nun gar nichts wahrnehmen. „Es…er fehlt mir…“ Harry beobachtete, wie die Finger seines Freundes sanft über den Einband des Buches in seinen Händen fuhren, während er das sagte. „Das ist doch völlig absurd, oder? Dass er ausgerechnet mir so fehlt? Ich meine, ich vermisse ihn. Ich! Ihn!“ Seine Stimme hob sich einen Moment lang und ließ Harry das alte Temperament spüren, das ihm irgendwie eine gewisse Sicherheit verschaffte, dann wurde Ron wieder ruhig. „Vor einiger Zeit, da…hat er mich gefragt, ob er sich mein Vertrauen verdienen dürfe. Draco Malfoy bat mich um mein Vertrauen. Verstehst du das? Ich jedenfalls nicht… Und er hat mir geholfen…bei dem Aufsatz…einfach so…ohne Gegenleistung. Wobei er verdammt geduldig mit mir war, denn ich hatte wie immer nicht besonders viel Ahnung von dem Zeug, über das ich da schreiben sollte.“ Die blauen Augen seines Freundes suchten seinen Blick. „Wir haben über so viele Dinge gesprochen, Harry, und ich glaube, dass er wirklich ehrlich war. Ich kann es natürlich nicht mit Sicherheit sagen, aber…“ Er seufzte. „Und er gab mir das…“ Kurz hob er das Buch in seinen Händen, um anzudeuten, was er meinte, dann fuhren seine Finger wieder sanft über den Einband. „Was ist das?“, fragte Harry neugierig. „Ein Buch…“ „Ach, wirklich? Faszinierend. Da wäre ich jetzt nicht drauf gekommen…“, murmelte Harry aufgrund dieser Antwort seufzend. Und Ron konnte nichts anderes tun, als zu lächeln. Denn es erinnerte ihn an den Moment, in dem Draco ihm diese ungewöhnliche Bitte nahe brachte. „Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, was es ist. Er bat mich nur, darauf aufzupassen.“ „Und…willst du es nicht öffnen und…nachschauen?“ Die blauen Augen sahen ihn eine Moment lang forschend an, dann schüttelte sein bester Freund langsam den Kopf. „Ich habe es…versprochen…“ „Aber…er wird es nicht…er wird nicht…kommen und…es zurückverlangen…“, brachte Harry, dem die Worte sichtlich schwer fielen, über die Lippen. „Ich weiß…aber…ich habe ihm versprochen, es nicht zu öffnen. Egal unter welchen Umständen…“ Die letzten Worte waren lediglich ein Flüstern. „Was würdest du tun?“ Harry überlegte einen Moment, ehe er antwortete. „Ich denke, ich würde…es mir ansehen…“ Ron nickte leicht, dann lächelte er. „Er hat gesagt, dass du das tun würdest.“ „Wer?“ „Malfoy… Er sagte, deine Neugierde wäre größer…“ Ron lächelte noch immer. „Dann…kennt…kannte er uns wohl ziemlich gut, was?“, entgegnete Harry mit einem abwesenden Nicken. „Im Gegensatz zu uns. Ich habe jedenfalls das Gefühl, nichts über ihn zu wissen…“ „Ich weiß, was du meinst…“, drang das nachdenkliche Flüstern des anderen an sein Ohr. Und dann fiel Harry wieder ein, was seine beste Freundin ihm erzählt hatte. „Warum hast du eigentlich so lange geschwiegen? Herm meinte, du hättest nicht mit ihr geredet…“ Ron ließ sich seufzend nach hinten aufs Sofa sinken und schloss kurz die Augen, ehe er sie wieder öffnete und Harry anblickte. „Ich weiß nicht. Ich konnte einfach nicht mit ihr darüber sprechen. Und ich wollte es auch nicht. Mit niemandem. Und du hast doch schließlich auch mit keinem darüber gesprochen, nicht einmal mit Ginny, oder?“ Harry schüttelte bestätigend den Kopf, ehe Ron leise fortfuhr. „Außerdem…es laut zu sagen macht es…real…“ „Aber du redest jetzt…mit mir…“, warf Harry zweifelnd ein. „Ja…du bist mein bester Freund…schon vergessen?“ Seine Stimme klang wieder so sanft…beinahe gelassen… „Wie kannst du so ruhig bleiben? Warum bist zu gar nicht wütend?“, fragte Harry schließlich mit melancholischem Unterton. Er selbst war nicht in der Lage, die Trauer oder den Zorn oder beides zusammen auch nur einen Moment lang zu unterdrücken. Seine Worte trugen stets etwas davon mit nach außen. „Oh, glaub mir, ich bin wütend, Harry. Eigentlich auf alle. Auf dich, auf mich, Malfoy, Dumbledore… Aber all meine Wut…ändert nichts…sie kann ihn nicht zurückbringen…“ Das sagte er, und seine Stimme blieb weiterhin beherrscht. „Derjenige, auf den du wütend sein solltest, ist Snape.“, spie Harry nun seine Vermutung mit aller Verachtung aus. „Er hat ihn getötet. Ich weiß es einfach.“ „Draco hat ihm vertraut…“ Es war nicht mehr als eine Feststellung, die Ron da äußerte, doch sie ließ nun Harry seinen Freund sanft anlächeln, woraufhin dieser fragend seine Stirn in Falten legte. „Was ist?“ „Du hast ihn Draco genannt…das erste Mal…“ „Ja…und ich werde es ihm nie ins Gesicht sagen können…“, erwiderte Ron mit bitterer Miene, woraufhin das Lächeln des Goldjungen ebenfalls erstarb. „Warum glaubst du, dass es Snape war?“ Harry überlegte einen Moment, dann erzählte er seinem Freund von dem, was er gesehen hatte, von dem, was er vermutete. „Und was willst du nun? Rache?“, fragte Ron vorsichtig, woraufhin er lediglich ein Nicken erntete. „Glaubst du wirklich, das ist der richtige Weg? Ich meine, wir können nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, dass Snape ihn getötet hat. Was ist, wenn du falsch liegst?“, brachte der Rotschopf seine Bedenken zum Ausdruck. „Dann müssen wir es beweisen. Mit Veritaserum oder so…“ Ron spürte, dass er seinen Freund wohl nur schwer von diesem Vorhaben abbringen können würde. Wenn sich Harry Potter einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte… „Okay…“, seufzte er daher ergeben. „Aber für so was werden wir Hilfe brauchen. Und ich schätze mal, die einzige Person, der dazu ein Plan einfallen würde, ist…“ „…Hermine…ja, ich weiß…“, seufzte nun auch Harry. „Sie wird es dir ausreden wollen, das ist dir klar, oder?“, erwiderte Ron vorsichtig. „Ja, ist mir klar…“ Dem Goldjungen entwich erneut ein Seufzer, während er sich langsam erhob. Wenn er das nicht gleich hinter sich brachte, würde er wohl ewig damit zaudern. Hermine um so etwas zu bitten, das würde ein Kraftakt werden. Er nahm aus den Augenwinkeln wahr, wie auch Ron sich langsam erhob, während seine Gedanken bereits versuchten die passenden Worte zu finden, die Hermine überzeugen konnten. Als er schon die Klinke in der Hand hatte und sein Freund neben ihm stand, hielt er allerdings inne, blickte sich abermals im Zimmer um und musterte Ron. „Warum dieser Raum?“ Nun sah sich auch der Rotschopf einen Moment lang schweigend um, ehe er mit einem weichen Lächeln antwortete. „Ich weiß nicht… Hier ist es, als wäre ein Teil von ihm noch da… Jedenfalls fühlt es sich so an…“ Er sagte nicht, dass es noch viel mehr für ihn war. Dass er Draco in diesem Zimmer zu spüren glaubte. Dass er noch nicht bereit war, diese brüchige Verbindung aufzugeben, die sie in den zurückliegenden Wochen zu knüpfen begannen. Dass es ihm Halt gab. Dass er in den letzten Tagen eigentlich jede freie Minute hier verbracht hatte… Als er den Blick von den Bücherregalen abwandte und in das intensive Grün seines Freundes schaute, konnte er allerdings sehen, dass ihr Schmerz einander sehr ähnlich war. Und das erste Mal in seinem Leben wusste er nicht, ob er Harry aufhalten würde, sollte dieser die Grenze überschreiten und sich zur endgültigen Rache entscheiden. Mit diesem Gedanken verließ er schließlich den Raum der Wünsche, gefolgt von seinem Freund, dessen Ausdruck beängstigend zwischen Hass, Wut und Trauer schwankte. Keine gute Kombination, wie Ron bereits ahnte. Eine Kombination, die Schwierigkeiten regelrecht prophezeite. Doch einen weiteren Verlust würde er nicht akzeptieren. Koste es, was es wolle… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)