Forever von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Kapitel 6 Als ich am nächsten Morgen aufwache, weiß ich nicht mehr, wie ich ins Bett gekommen bin. Doch das erste Mal seit Wochen fühle ich mich ausgeruht und irgendwie glücklich, obwohl mein Verstand erst noch begreifen muss, was letzte Nacht passiert ist. Ein Lächeln schleicht sich unwiderruflich auf meine Lippen, ohne dass ich etwas dagegen tun kann oder auch möchte. Der Sonne nach zu urteilen, die nur wenig durch die Fenster im Schlafzimmer dringt, ist es bereits lange nach Mittag, aber das ist unbedeutend. Einige Minuten bleibe ich still unter den Laken liegen und genieße die Ruhe. Ich wage es einfach nicht, meinen Blick zur Seite zu wenden, habe Angst eine leere Bettseite vor mir zu finden. Insgeheim weiß ich bereits, dass er nicht hier sein wird, doch die Aktivitäten der letzten Nacht haben nicht nur auf meinem Körper eindeutige Spuren hinterlassen. Die Laken sind zerwühlt, meine Muskeln fühlen sich geschunden an, als hätten sie innerhalb von Stunden eine ganze Tour durchgemacht. Es kann also keine Einbildung sein. Das heißt, ich bin nicht verrückt geworden. Bist du dir da sicher? Mit einem Mal sitze ich doch aufrecht im Bett. Wo kam diese Stimme her? „hide?“, frage ich unsicher, meine Stimme zittert, ist aber mit Sicherheit hörbar. Er ist nicht hier und trotzdem irgendwie da. Mein Verstand scheint mir schon wieder Streiche zu spielen. Es kommt keine Antwort, doch ich weiß nicht wirklich, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist. Nach einigen Minuten in der Stille entscheide ich mich, dass es besser ist aufzustehen. Ein starker Kaffee verscheucht vielleicht die Dämonen der Nacht und bringt meine Gedanken wieder auf den rechten Weg. Die Schritte hinunter in die Küche mache ich nur langsam, meine Beine sind steif, mein Körper wund. Ein Blick in den Spiegel im Flur zeigt mir meinen malträtierten Hals, der von dunkelvioletten Malen geziert ist. Nein, definitiv alles real, schließlich kann sich kein Mensch selbst soetwas zufügen. Langsam schüttele ich den Kopf um irgendwie meine Gedanken wieder in richtige Bahnen zu lenken, was jedoch nur mäßig erfolgreich zu sein scheint. Obwohl das Haus nun bereits seit einigen Jahren in meinem Besitz ist, sieht die Küche noch immer aus wie neu, frisch aus dem Katalog. Der Traum einer jeden amerikanischen Hausfrau, nur völlig ungeeignet für einen Workaholic wie mich. Das einzige Gerät in diesem Raum, dass mehr als regelmäßig in Verwendung ist, ist die Kaffeemaschine, die mitten auf der hellen Marmorarbeitsplatte ihren Platz gefunden hat. Nur heute ist etwas anders: auf der Insel in Mitten des viel zu großen Raumes liegt ein kleiner, unscheinbarer rosa Zettel. Ein erleichtertes Seufzen dringt über meine Lippen. Es scheint alles in bester Ordnung zu sein, diese Nachricht kann nur von einem stammen. Ich setze mich auf einen der Barhocker und nehme den kleinen Zettel zwischen die Finger. Doch die Zeichen darauf stammen nicht aus seiner Hand, da bin ich mir sicher. Sorry, musste dringend weg. Wir sehen uns bald wieder. Mehr steht nicht auf dem Papier und die Worte tragen nicht sonderlich zu Klärung meiner Verwirrung bei. Aber wenn nicht mit ihm, mit wem habe ich dann die letzte Nacht verbracht? Wer hat die Nachricht hier hinterlassen und was passiert nur in meinem Kopf? Das alles kann doch nicht wahr sein... Langsam beginne ich, Angst vor mir selbst zu bekommen. Es ist kaum zu glauben: ich habe eine beginnende Beziehung mit einem Toten, habe Halluzinationen und verbringe die Nacht mit einem Fremden, ohne mit daran zu erinnern. Zwar habe ich in der Vergangenheit viele Dinge erlebt, schwere Zeiten durchgemacht, aber das hier ist einmalig. Und auch, wenn alles in mir sich dagegen sträubt, fällt mir nur eine Person auf dieser Welt ein, die meine Verwirrung, meinen Schmerz vielleicht teilt, diese Gefühle zumindest nachvollziehen kann. Die Nummer kenne ich auch nach all diesen Monaten, die ich sie nicht gewählt habe, auswendig. Meine Hände beginnen zu zittern, als ich die Tasten drücke und jede Sekunde mehr hoffe, dass er und nicht sie ans Telefon gehen wird. Aber mir hätte klar sein sollen, dass das Universum gerade nicht auf meiner Seite ist und so geht mit einer übertrieben freundlichen, hohen Stimme seine Frau an den Apparat. „Deyama, hallo, was kann ich für sie tun?“ Ich habe ganz vergessen, dass sie auch die Geschäfte ihres Mannes übernommen hat. Der geschäftliche Ton bringt mich beinahe dazu, den Hörer sofort wieder aufzulegen. Unsicher räuspere ich mich. „Ja, hallo, hier ist Yoshiki Hayashi... ich würde gerne mit Toshi sprechen.“ Meine eigene Stimme scheint mir fremd und viel zu schwach. Sie bittet mich sofort zu warten, doch trotz ihrer gespielten Freundlichkeit, weiß ich ganz genau, dass ihr mein Anruf nicht gerade gelegen kommt. Wie konnte solch eine Frau nur dafür sorgen, dass wir uns so fern werden? Wahrscheinlich sollte ich aber nicht ihr einen Vorwurf machen, denn schließlich ist Toshi erwachsen und sollte seine Entscheidungen selbst treffen. Es ist nicht ihre Schuld sondern seine, dass alles so gekommen ist, wie es ist. „Yoshiki? Bist du noch dran?“ Toshis Stimme ist etwas außer Atem, als er endlich ans Telefon geht. Ich höre das Lächeln in seiner Stimme, die Überraschung und die Freude, aber ich kann sie ihm nicht nachfühlen. Irgendwie ist es zwischen uns nicht mehr das selbe auch wenn uns ein ganzes Leben der gemeinsamen Erfahrungen verbindet. Aber obwohl unsere Freundschaft Vergangenheit zu sein scheint, weiß ich, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Es ist ein gutes Gefühl, obwohl es von der Bitterkeit vergangener Ereignisse stark getrübt ist. „Ja... wie geht es dir?“, zwinge ich mich zu fragen, obwohl ich lieber gleich auf den Punkt kommen würde. Im Hintergrund steht sicherlich noch immer seine Frau und hört jedes Wort mit. Ein Rascheln am anderen Ende der Leitung verrät mir, dass er sich wohl hingesetzt hat. „Naja, die letzten Wochen waren nicht leicht. Aber wie soll ich sagen? Man schlägt sich eben so durch. Ich habe viele Songs geschrieben, war im Studio und werde demnächst auf Tour gehen. Das Leben geht weiter, nicht wahr? Wie geht es dir? Was hast du so gemacht?“ Natürlich, nicht jeder verkriecht sich so in sein Schneckenhaus, wie ich. Trotzdem verletzt es mich zu hören, dass Toshi sein Leben scheinbar ohne weitere Einschränkungen fortführt. Als wäre nichts passiert, als wäre nicht alles anders, als es einmal war, anders, als es sein sollte. Ich versuche mich zusammen zu reißen. Das Telefon ist nicht das richtige Medium um solche Dinge zu besprechen und ich will nicht vor seiner Frau dastehen wie ein Schwächling. „Gut, soweit.“ Mehr bringe ich nicht über die Lippen, er würde die Lüge ohnehin durchschauen. Ein Leben lang der Freundschaft lehrt einen so einiges über den anderen. „Können wir uns treffen? Ich weiß, du bist beschäftigt, aber...“ Erst jetzt kommt mir in den Sinn, dass das mit dem Treffen gar nicht so einfach ist, wie es sich anhört. Milliarden Kubikmeter Wasser trennen uns, wir leben schließlich auf unterschiedlichen Kontinenten. Der Gedanke ist seltsam, haben wir doch die Jahre zuvor kaum getrennt voneinander verbracht. „... ich komme nach Japan, in Ordnung? Können wir uns irgendwo treffen?“ Frage ich erneut und hoffe auf eine positive Antwort. Er denkt einen Moment nach, bevor er antwortet. „Klar. Ich bin nächste Woche sowieso in Tokyo für Studioarbeiten. Dann fahre ich einfach früher los...“ Ein Moment der Stille folgt, bevor er leise hinzufügt: „Ich freue mich, Yoshiki, wirklich!“ Und dies sind vielleicht die ersten ehrlich gemeinten Worten, die ich seit langem von ihm gehört habe. Einige Tage später... Es ist ein unangenehmes Gefühl wieder in einem Flieger Richtung Japan zu sitzen, das letzte Mal ist mit genügend schlechten Erinnerungen verbunden. Zum Glück vergeht die Zeit schnell, ich spüre kaum wie wir starten und landen, so sehr bin ich in meine Gedanken versunken. Die letzten beiden Tage habe ich alleine verbracht, wirklich alleine. Keine Halluzinationen mehr, kein Hinweis auf den Verfasser der Nachricht in meiner Küche. Ich habe seit dem Telefonat mit Toshi mit keiner Menschenseele mehr geredet, habe viel zu viel Angst davor etwas falsches zu sagen und irgendwie die Verbindung zur Realität zu verlieren. Beinahe fühle ich mich, als würde ich zwischen den Welten existieren, weder richtig lebendig noch tot. In Narita angekommen bin ich froh endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Mein Magen rebelliert, vielleicht auch, weil ich seit gefühlten Wochen nichts anständiges mehr gegessen habe. Kaffee und Zigaretten müssen zum Überleben reichen, etwas anderes bekomme ich bei aller Liebe nicht herunter. Das plötzliche Fehlen meiner Einbildungen lässt mich an meinem Entschluss zweifeln Toshi einzuweihen. Vielleicht war das eine ganz normale Phase der Trauer, vielleicht ist es jetzt vorbei und ich hatte nur einige sehr realistische Träume. Wer weiß... Da wir uns erst am späten Abend treffen werden, mache ich mich geradewegs auf den Weg ins Hotel. Die Sonnenbrille auf der Nase und die Schultern hochgezogen, hoffe ich, von niemandem erkannt zu werden und schaffe es durch den chaotischen Feierabendverkehr heil bis ins Zentrum. Alles in dieser Stadt, an diesem Land, erinnert mich an ihn und an all die Dinge, die wir miteinander erlebt haben. Schon jetzt freue ich mich auf den Moment, wenn ich wieder zurückfliege, zurück in die Stadt der Engel in der uns nichts mehr verbindet. Wir treffen uns in einer kleinen Jazz-Bar, ein gemütlicher Ort, an dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und die Atmosphäre vergangener Tage zu spüren ist. Die Musik ist angenehm und laut genug um vertrauliche Gespräche zu übertönen, der Alkohol ist billig. In den kleinen Nischen, die überall in den Räumlichkeiten verteilt sind, kann man ohne Probleme eine gewisse Privatssphäre genießen, keiner interessiert sich für einen, keine schiefen Blicke von Fremden. Ich bin lange vor der vereinbarten Uhrzeit an diesem Ort, bestelle ein Glas Rotwein und lausche den Klängen von Frank Sinatra. Es ist werktags, kaum etwas los, die Studenten kommen erst später, die meisten Berufstätigen sind noch im Büro und warten darauf, dass ihre Vorgesetzten Feierabend machen. Außer mir sind nur eine handvoll älterer Männer im Lokal und genießen ihr Bier an der Bar. Von meinem Platz aus kann ich fast den ganzen Raum sehen und habe den Eingang im Blick um Toshi zu sehen, sobald er hereinkommt. Mein Herz schlägt unregelmäßig, ich bin nervös. Während der Abend voranschreitet leere ich eine halbe Weinflasche im Alleingang. Als Toshi endlich kommt, erkenne ich ihn erst kaum. Sein Gesicht schein entspannt, er trägt die Haare kurz, doch entgegen seinem sonstigen Stil hat er sich heute in einen weißen Leinenanzug gehüllt, helle Schuhe runden das seltsame Bild ab. Er passt in diese Bar, aber nicht in unser beider Leben. Er sieht nicht mehr aus wie der Rockstar, den ich einmal kannte, wahrscheinlich leben wir mittlerweile einfach in völlig verschiedenen Welten. Mit langsamen Schritten kommt er zu mir herüber und lächelt erfreut sobald er an den Tisch kommt. Ist er wirklich der Freund, den ich schon seit Kindheitstagen kenne? Wortlos setzt er sich. Als die Bedienung an den Tisch kommt bestellt er ein Glas Wasser und wartet geduldig bis seine Bestellung gebracht wird. Wir wechseln kein Wort, ich weiß auch gar nicht, was ich sagen soll. Meine Gedanken sind langsamer als sonst, mein Verstand bereits getrübt vom Alkohol. Vielleicht hilft das, um den Mut zu finden, das Thema anzuschneiden, wegen dem ich überhaupt hier bin. Vielleicht auch nicht. Um Toshi nicht die ganze Zeit anzustarren, lasse ich meinen Blick durch den Raum gleiten. Irgendwie habe ich das komische Gefühl beobachtet zu werden. „Wie geht es dir, Yo?“ Toshis Stimme ist sanft und leise. Beinahe überhöre ich seine Worte, so sehr fügen sie sich in die langsamen Klänge der Musik ein. Ich habe keine Lust auf Smalltalk, am liebsten würde ich das ganze Treffen einfach abblasen und den nächsten Flug nach Hause nehmen. Nach Hause... ist hier nicht mein Zuhause? Ich bin mir nicht mehr sicher. Ich überwinde mich, Toshi anzusehen. Sein Gesicht ist mir vertrauter als mein eigenes. Die Jahre haben uns zusammengeschweißt. „Nicht...“ Mir bleibt plötzlich der Atem weg und ich muss tief durchatmen, bevor ich mich dazu zwinge, ihm zu antworten. „...nicht so besonders.“ Wieder sehe ich mich um und kann noch immer nicht genau ausmachen, wer mich beobachtet. Keiner sieht zu uns herüber, alle sind mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Nicht einmal die Kellnerin scheint uns Beachtung zu schenken. „Der Flug war anstrengend, ich hab die letzten Tage kaum geschlafen.“ Als wäre das mein größtes Problem. Er nickt und das erste Mal habe ich das Gefühl den wahren Toshi vor mir sitzen zu sehen. Die gespielt fröhliche Fassade beginnt zu bröckeln und er seufzt leise. „Ich weiß. Es ist irgendwie... etwas fehlt. hide fehlt einfach, nicht wahr?“ Ich könnte fast vergessen wie sehr er sich verändert hat in diesem Moment. Aber mit einem Mal ist das Gefühl beobachtet zu werden stärker denn je, als würde sich ein Blick durch meinen Körper bohren, brennend und irgendwie zerstörerisch. Auf der anderen Seite des Raums finde ich endlich die Quelle dieses beunruhigenden Gefühls. Er ist wieder da. Nach all den Tagen, die ich beinahe zu denken begann, dass all das nur Einbildung ist, ist er wieder hier. Er lächelt, streift sich mit den Fingern durch das gefärbte Haar und winkt mir fröhlich zu. Vor ihm auf dem Tisch steht eine Flasche Bier. Ob ich mir die auch einbilde? Alles in mir schreit danach einfach aufzustehen und hinüberzugehen, mich dort an den Tisch zu setzen und einfach nur seinen Anblick zu genießen. „Ich glaube, ich werde verrückt, Toshi...“ Die Worte verlassen meinen Mund bevor ich weiter darüber nachdenken kann. Es ist das, was ich die ganze Zeit sagen wollte, weswegen ich gekommen bin. In der Hoffnung, dass er mir helfen kann, mich irgendwie beruhigt und sagt, dass es ihm genauso geht. „Ich sehe ihn immer wieder, Toshi, er kommt immer wieder und er redet mit mir und lächelt und manchmal glaube ich, dass er garnicht tot ist...“ Hosted by Animexx e.V. 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