Heaven is the Kingdom where nobody dies von kuren-ai (Tenjōkai ohne Zurück) ================================================================================ Kapitel 3: Erste Schritte ------------------------- Soundtrack: http://www.youtube.com/watch?v=CVt6iR9JugM (Der Text passte so gut dazu...) _________________________________________________________________ Ich wurde unsanft aus meinem Nickerchen an Kizukis Schulter gerissen. Besagter hatte mich an den Schultern gepackt und war in den letzten Minuten damit beschäftigt gewesen, mich aus meinem bewusstlos anmutenden Zustand wieder in die Realität zurück zu prügeln. "Was'n looos?", presste ich genervt hervor. "Die Luft ist rein", meinte er nur knapp ohne das ich den geringsten Sinn in seinen Worten erahnte. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass ich wirklich wach war, packte er meine rechte Hand und zerrte mich ohne Vorwarnung nach oben. "Mein Gott, wenn wir jetzt schon Händchen halten, dann können wir auch das Gesieze sein lassen", nuschelte ich undeutlich in meinen nicht vorhandenen Bart. Kizuki, der noch immer meine Hand gepackt hielt, stand von mir abgewandt und starrte grübelnd auf das schwarze Eisentor vor uns. Nebenbei nickte er abwesend, was ich als Zustimmung deutete. "Dann bin ich für dich einfach nur Kizuki", fügte er der Erklärung halber hinzu. "hide. Angenehm." Ich hatte keine Ahnung, woraus dieser Typ nun schon wieder ein Mysterium schmiedete. "Hör zu, hide", begann er nach endlosen Sekunden. "Ich werde dich hier durchschleusen. Schließlich ist dieses Missgeschick mit dem Passierschein nicht deine Schuld." Ich verstand, dass Kizuki wohl gerade einen inneren Kampf ausgefochten haben musste. Schließlich war es illegal, jemanden ohne den nötigen Schein passieren zu lassen, soviel hatte ich schon kapiert ohne dieses sogenannte Himmelreich von Nahem gesehen zu haben. "Keine Sorge, kommt alles auf mich zurück, falls es irgendwelche Beschwerden geben sollte." Er grinste schief. Ich tat es ihm gleich. "Das heißt also, du willst verbotene Dinge mit mir anstellen?" Kizuki lachte. Sehr laut. Reintheoretisch hätte man meine Ankunft schon längst mitbekommen können, er tat mit seinem Gelächter nur sein Übriges. "Weißt du, hide... Natürlich ist das verboten. Es ist sogar so verdammt verboten, dass es schon wieder lächerlich wirkt und damit nach Legalität nur so schreit." Daraufhin kramte er aus der eingenähten Tasche seines Yukatas einen Schlüsselbund hervor und begann an dem mächtigen Torschloss herumzufurwerken. "Kizuki...", setzte ich an, aber meine Stimme brach ab. Wie sollte ich ihm erklären, dass mich die Welt hinter diesem nostalgischen Tor die Bohne interessierte? Nein, das brauchte ich gar nicht erst zu versuchen. Er kannte mein bisheriges Leben überhaupt nicht. Und auch wenn ich ihm klarzumachen versuchte, dass hier etwas gewaltig schieflief, dann stand ich mit diesem Gefühl allein da. Der Tod schien in Kizukis Augen die normalste Sache der Welt zu sein und rückblickend betrachtet war es wahrscheinlich jene Unverfrorenheit, die mir von Anfang an den nötigen Mut zum Vorangehen ermöglichte. "Ja?", ging er nebenbei auf meinen nicht zuende gebrachten Satz ein. Kizuki hatte es mittlerweile geschafft, dass Schloss zu öffnen und drückte nun sein ganzes Fliegengewicht gegen den rechten Flügel des Eisentores. Ich konnte jenseits dieser Gitterstäbe weder einen Gott noch einen rosigen Wolkenbausch ausmachen. "Alles in Ordnung?", hakte er nach. "Ich meinte nur... Bist du sicher, dass wir hier im Himmel sind?" Er gluckste. Ich musste ziemlich naiv gewirkt haben, aber wenn er in seinem Alter noch zum jungen Gemüse gehörte, war ich wahrscheinlich in der Seelenkategorie Vorschüler einzuordnen. "Sieh doch einfach selbst", mit einer ausladenden Geste bedeutete er mir, durch das Tor zu treten. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen. Als ich gerade unter dem Torbogen angekommen war, schlich wieder dieses unbehagliche Gefühl meinen Rücken herauf. Kein Engelschor und kein Gott hießen mich willkommen. Stattdessen stand ein dauergrinsender Kizuki an den Torflügel gelehnt und genoss meinen offensichtlich dauerverwirrten Gesichtsausdruck: "hide, willkommen in Tenjoukai-Ni." Gleisendes Sonnenlicht traf meine Augen und ich kniff sie reflexartig zusammen. Die Kälte legte sich und wich einer angenehmen Wärme. Als ich wieder sehen konnte, glaubte ich in einem alternativen Vorort von Tokyo gelandet zu sein. Vor mir breitete sich ein sanftes Tal aus, in dem sich eine weitläufige Stadt erstreckte. Über mir spannte sich eine hohe weißliche Wolkendecke; ich nahm an, dies sei die nächste Schicht, in der die jüngeren Seelen lebten. Die Stadt war geradezu malerisch. Ich konnte weder Hochhäuser noch blinkende Reklametafeln ausmachen. Wohnhäuser waren scheinbar ungeordnet platziert worden, quer, bunt, mit Gärten, ohne Gärten, eckig, geschwungen, ungeachtet des Gesamtbildes. Trotz aller Eigenheit und Fantasie, stand im Zentrum ein mächtiger Tempel, ein Schrein, der Mittelpunkt der Stadt, ein ruhiger Ort der Zusammenkunft. In diesen wenigen Augenblicken sog ich die Atmosphäre in mich auf, mir wurde bewusst, dass dies hier keineswegs der falsche Ort war, lediglich der falsche Zeitpunkt. Ich fühlte die pulsierende Ader dieses Fleckchens Himmel und verspürte den unbändigen Drang, ihr zu folgen und meinen Platz zu finden. Denn was war schlimmer, als auf der ganzen Welt keinen Ort mehr zu kennen mit dem man sich sowohl mental als auch körperlich verbunden fühlte? Ich musste zumindest herausfinden, was es mit diesem Ort hier auf sich hatte, ich glaubte nicht an Sinnlosigkeit, andernfalls wäre ich wohl in ein bodenloses unendlich tiefes Loch gefallen. Aber nein, noch existierte ich, noch war mein Geist lebendig und meine Neugier hellwach. Vor kurzem hatte ich in einem Interview gesagt, mein Lebensziel sei es, eines Tages zu verschwinden ohne eine einzige Spur zu hinterlassen. Das war natürlich ein Scherz. Betritt man einmal eine Welt, kann man sie nie, niemals verlassen ohne etwas bewirkt zu haben, sei es gut oder schlecht, sinnlos oder sinnvoll, nur ein schwacher Windhauch oder gar eine große Welle. Ich bin und war ein Teil von allen denen ich begegne. Es spielte keine Rolle, in welcher Sphäre ich weilte, ich musste voranschreiten... Verdammt, warum war das nur so schwer? Als ich sagte, ich wolle keine Spur hinterlassen, schwang darin doch der unmögliche Wunsch, keinem Menschen der Welt weh tun zu müssen. Wie sollte ich das nun verantworten? Nein, nein. Nur nicht nachdenken! Das wirkt kontraproduktiv und endet im Selbstmitleid. Nein, nein. Ich wollte kein Mitleid. Um keinen Preis! Weder von irgendjemandem noch von allen anderen oder gar mir selbst. Mitleid war schon immer etwas für Versager, so hatte ich das von früh an gelernt. Ich wollte mich auf keinen Fall als Versager fühlen, das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Insgeheim dankte ich Kizuki dafür, dass er einfach nur neben mir stand und keinen Ton von sich gab. Er machte seinen Job eben perfekt. Ich musste weitermachen, auf keinen Fall stehenbleiben. Und wenn der einzige Sinn noch darin bestand, mir selbst zu beweisen, dass ich nicht versagt hatte, dann würde ich das tun. Das war das Ziel. Wenn ich todtraurig bin, dann dreht sich die Welt genauso weiter wie vorher, dachte ich. Das ist ein Gesetz, dass für alle Wesen gilt. Die Wolken ziehen ihre unbekümmerten Wege in der Atmosphäre und ich mit ihnen. Auch wenn ich bereits tot bin, ist die Traurigkeit keine andere. Wenn wir traurig sind, dann heißt das doch lediglich, dass wir emotional lebendig sind. Ich aber wäre gern die Leere gewesen, gern in jenen Herzen, die ich mit meinem Gehen zerrissen habe. Mir war bewusst, dass ich diese Leere, solange ich an einem festen Ort existierte von dem kein Erdenwesen eine Kennung hatte, nicht füllen konnte. Ich musste darauf vertrauen, dass mich niemand vergaß, so wie ich nichts vergessen hatte und nun Kraft der Erinnerung voranschritt. In eine Welt von der ich euch berichten werde. Ich konnte nicht sagen, was genau mich erwartete, aber ich wusste, es würde mir nie langweilig werden. Und so begann mein Leben an diesem grotesken Ort. Ich hatte das Gefühl, auf eine gewisse Weise hierher zu passen. Ich war etwas früh dran, aber sicherlich nicht ungeplant hereingeplatzt. Doofer, eingebildeter Shinigami! Ich will jetzt meinen Passierschein und zwar pronto! "Hee, Tsuki, ich hab Hunger", versuchte ich die andächtige Stille zu durchbrechen. Kizuki machte den Eindruck, als hätte er in den letzten Minuten mit offenen Augen geschlafen und tatsächlich alle Zeit der Welt zum Nichtstun und Warten-bis-hide-aus-seiner-Erstarrung-erwacht. Jetzt räusperte er sich und ging mit einem kurzen Nicken voran. Wir wählten einen nahegelegenen schmalen Pfad und begannen unseren Weg talwärts anzutreten. Schon bald drehte sich die Landschaft vor meinen Augen und ich ließ mich müde auf den nächstbesten Felsvorsprung fallen. "Hee, Tsuki, ich kann nicht mehr. Ich hab seit Stunden nichts gegessen und einen unglaublichen Schädel", erklärte ich ihm und deutete ungelenk auf zweitwichtigstes Körperteil. Im Moment war ich einfach ausgelaugt und meine tiefgründigen Gedanken von vorhin hatten ihren zusätzlichen Tribut gefordert. Kizuki seufzte absichtlich genervt und drehte sich mit einem Grinsen zu mir um. Kurzerhand hievte er mich wieder hoch und bedeutete mir, dass er mich huckepack tragen wolle. Praktisch dieser Typ. Es hätte mich wirklich ernster treffen können. Ein Hoch auf den lieben nicht vorhandenen Gott. Kizuki setzte ebenso federleichten Schrittes wie zuvor den Abstieg fort. Hier schien tatsächlich einiges leichter zu sein, vor allem das Gehen, wenn man denn ordentlich gefrühstückt hatte. "Tsuki?" "Ja?" "Ich muss mal." "Aber nicht, solange du auf mir hockst!" "Tsuki?" "Was denn?!" "Bin ich schwer?" "Das interessiert dich doch im Moment nicht ernsthaft, oder?" "Hm. Hat Yoshiki auch immer gesagt." "Jetzt hab ich den Sympathietest vollkommen bestanden, wie? ... Ehm, hide... Du machst gerade meine Schulter nass." "Sorry." Kizuki setzte mich ab. Ich nahm an, wir waren angekommen. Er packte mich an beiden Schultern und bewahrte mich vor dem Umkippen. Ich konnte den Kopf nicht heben. Ich wollte nicht weinen, das erschien mir absolut unpassend. Stattdessen versuchte ich abzulenken und zog ihn in eine Umarmung. "Danke", flüsterte ich gepresst. Kizuki überging mein Manöver und zog mich mit sich in das nächstbeste Udonlokal. Nach der Toilette fühlte ich mich gleich um einige Kilo leichter und bestellte eine ordentliche Schüssel mit frischen Udon. Kizuki saß während ich in nullkommanichts meine Portion aufaß schweigend daneben. "Sag mal", setzte ich an, "warum schmeckt das Essen hier genauso wie auf der Erde?" "Weil es dasselbe Essen ist, du Superhirn", neckte mich der Schwarzhaarige. "Hm. Trotzdem gewöhnungsbedürftig", meinte ich zwischen zwei geräuschvollen Schlürfern. "Heißt das, hier kann man alles kaufen, was es auf der Erde auch gibt?" "Theoretisch schon. Aber wir kaufen hier nichts. Wir tauschen. In diesem Lokal zum Beipiel bekommst du eine Portion Udon gegen zwei Flaschen Quellwasser vom Brunnen im Stadtzentrum. Diese Bedingung ist allen Bewohnern hier bekannt, deshalb geht man vor einem guten Essen immer Wasser schöpfen. Das entlastet die Köche, die ihr Wasser von den Gästen bekommen und ist ein guter Dienst das gemeinschaftliche Miteinander." Ich war ehrlich erstaunt. "Das ist ja gelebte Utopie, oder?" "Ja, wenn ich von den ganzen anderen Problemen absehe, die hier vor sich gehen, dann schon. Schade nur, dass man dafür erst sterben muss", meinte Kizuki und behielt mich im Auge. "Keine Wasserleitungen zu verlegen hat durchaus auch seine positiven Seiten", fügte er hinzu. "Aber keine Sorge. Was mittelalterlich wirkt, wird mit jeder Menge Sinn für Humor betrieben und ist überhaupt nicht unmodern. Im Gegenteil. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Menschen auf der Erde heutzutage dümmer sind als noch 1641 beispielsweise. Blenden wir den technischen Fortschritt aus, hat sich emotional gesehen doch niemand wirklich weiterentwickelt. Menschen sind immer gierig, ungerecht und egoistisch, besonders wenn sie sich nicht sicher sein können, ob sie noch ein zweites Leben bekommen oder nicht. Aber wir hier wissen das ja mittlerweile besser", grinste Kizuki. "Viele Seelen sind so dankbar für das himmlische Leben, dass sie verträglicher werden. Aber das zügelt nicht die Machtgier einzelner, deren Charakter hauptsächlich auf Konkurrenzdenken basiert." Kizuki seufzte. "Ich glaube, solange menschliche Seelen zusammenleben, wird es immer Konflikte geben. Und trotzdem brauchen wir die, ansonsten würde niemals der Wunsch nach etwas Besserem entstehen, ansonsten könnte sich weder die Gemeinschaft noch der Einzelne wirklich weiterentwickeln", fügte ich nachdenklich hinzu. "Hmhm. Das hast du gut gesagt. Ich sehe, wir verstehen uns", meinte Kizuki zwinkernd, während ich mittlerweile meine Udon aufgegessen hatte. Mein treuer Begleiter zog aus der unerschöpflich aussehenden eingenähten Tasche seines Yukatas zwei Flaschen hervor, stand kommentarlos auf, schritt quer durch den Raum und reichte sie dem Lokalbesitzer mit einer angedeuteten Verbeugung über die Theke. Auf seinem Rückweg sammelte er mich auf und wir verließen das kleine Gasthaus. Anschließend schlenderten wir den weiteren Verlauf der Straße entlang. Vielmehr war diese vermeintliche "Hauptstraße", wie Kizuki sie nannte, ein ausgetretener, breiter Pfad. Autos schien es keine zu geben, aber die hätten mit ihren Abgasen höchstwahrscheinlich für jede Menge graue Smogwolken gesorgt. Also musste ich mich an diesen neuen nicht vorhandenen Standard erst einmal gewöhnen. Nach Tenjoukai selbst fuhr man mit dem Zug, aber innerhalb des Himmels? Keine Ahnung. Es lief wohl darauf hinaus, dass ich so schnell hier nicht mehr wegkommen würde. Ich seufzte. "Alles in Ordnung?", hakte Kizuki nach. Dann fuhr er ohne eine Antwort abzuwarten mit der historischen Einordnung der verschiedenen Plätze und Häuser fort, an denen wir vorbeikamen. Ich scherte mich gerade herzlich wenig um solche Details. Die Straße schien nicht enden zu wollen. Kurzerhand beschloss ich, in irgendeine Nebengasse abzubiegen, ich wurde gerade von einer Meute Hausfrauen auf der anderen Straßenseite ziemlich angeekelt gemustert. Ohne Vorwarnung lief ich nach links und ließ meinen verwunderten Begleiter stehen. Doch auch hier wurde es nicht besser. Mir kamen unzählige Menschen entgegen, die entweder völlig abwesend wirkten oder mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrten. Ich zog meine Mütze etwas tiefer ins Gesicht und achtete nicht auf die entgegenkommende Masse. Als ich unter meinen Füßen plötzlich weichen Rasen spürte, sah ich mich um. Ich war von der Straße abgekommen. Vor mir breiteten sich weiße Wattebausche aus, hinter mir lag die Stadt. Etwas abseits am Rande dieser entdeckte ich einen Laden, der meine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich zog. Dort musste ich unbedingt hin. _________________________________________________________________ To be continued... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)