Invisible von sissyphos (Wenn man die Geschichte neu schreiben könnte.) ================================================================================ Kapitel 1: SORROW ----------------- Es gibt Momente, in denen man das Gefühl hat, als habe man mit seinem Tun etwas Entscheidendes verhindert. Als habe man sozusagen ein Unheil abgewehrt, das noch bevor stand. In diesem Augenblick, als ich den Kampf im Tal des Endes für mich entschied und Sasuke zu meinen Füßen liegen sah, hatte ich genau dieses Gefühl. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich, als habe ich bereits die Zukunft durchlebt. Allein der Gedanke daran erleichterte mich. Aber auch die Erkenntnis, dass ich mein Versprechen an Sakura, schneller einhalten konnte als gedacht, nahm mir eine gewaltige Bürde von den Schultern. Trotz meiner Erleichterung durchzog mich eine ungewohnte Kälte. Dabei war der Regen an jenem Tag so viel wärmer als gewöhnlich. Nahezu angenehm. Er war so warm wie das Blut, das meinen ganzen Körper hinablief. Daran erinnere ich mich noch heute. Knapp zehn Jahre später. Wieder einmal liege ich noch lange nach dem Aufwachen in meinem Bett und starre wortlos die Decke an, die mir auch dann keine Antworten auf meine Fragen gibt, wenn ich ihr noch so oft entgegenblinzle. Neben mir ist der Platz bereits geräumt. Das Laken ist noch warm, wie ich mit einer kurzen Berührung feststelle. Diese unbedeutende, banale Parallele lässt mich wieder an die Vergangenheit denken. Tief atme ich ein und wieder aus. Die Luft ist kühl und ich weiß, dass Hinata das Fenster wie jeden Morgen geöffnet hat. Ansonsten stehe ich überhaupt nicht auf. Das weiß sie einfach aus Erfahrung. Während ich daliege und meine Zehenspitzen gemütlich in die Bettdecke schmiege, denke ich darüber nach, wie das alles so kommen konnte. Mein Leben, meine ich. Heute ist alles ganz genau so, wie ich es mir immer erträumt habe. Und trotzdem habe ich dieses komische, zwickende Gefühl, als würde irgendetwas Bestimmtes fehlen. Zuallererst bin ich, Naruto Uzumaki, wahrhaftig kurz nach dem Kampf gegen Madara Uchiha Hokage geworden und damit in die Fußstapfen meines Vaters getreten. Außerdem bin ich mir auch meiner Gefühle für Hinata bewusst geworden und habe eingesehen, dass meine Liebe zu Sakura nur so lange blühte, weil sie genauso unerreichbar schien, wie der Weg zum Hokage oder auch zur Ebenbürtigkeit mit Sasuke. Das war letzten Endes wohl alles, was mich daran faszinierte. Schlussendlich ist es mir heute auch egal, wie es dazu kam. Schließlich sind Hinata und ich sehr glücklich miteinander. Aus diesem Grund habe ich schon vor einiger Zeit beschlossen, die Vergangenheit insgesamt ruhen zu lassen. Ganz gleich, ob es nun den Krieg oder Sasukes Verrat an unserem Dorf betrifft, als er sich zu Orochimaru davonstehlen wollte. Ich ertappe mich selbst gerade noch rechtzeitig dabei, wie meine Gedanken unweigerlich weiter abschweifen. Deshalb schüttle ich den Kopf, streife meine Decke zurück und steige schwungvoll aus dem Bett, um in das angrenzende Badezimmer zu treten. Hier liegen jeden Morgen zwei saubere Handtücher für mich bereit. Jeden Morgen entlockt mir diese Geste ein leichtes Lächeln. Alles ist wunderschön. Um ehrlich zu sein weiß ich heute gar nicht mehr, womit ich das überhaupt verdient habe. Eine Weile später sitze ich also geduscht und gekämmt am Frühstückstisch, wo mir Hinata davon berichtet, was heute auf dem Plan steht. Das ist natürlich nicht sonderlich wenig. Immerhin beginnt heute das wohlverdiente Wochenende. Sie erzählt wirklich viel. Im Gegensatz zu damals jedenfalls. Genau höre ich ihr dabei gar nicht zu, sondern esse stillschweigend meine Nudeln und trinke meine Milch, die heute zumindest immer frisch und nicht verdorben ist. Ganz einfach aus dem Grund, weil ich mich um die Lebensmittel nicht mehr selbst zu kümmern brauche. Erst, als dieses eine, ganz bestimmte Wort fällt, schenke ich ihr meine Aufmerksamkeit. Ich bin ein schlechter Lebensgefährte. „Heute Abend hatten Sakura und ich geplant, dass wir uns mal wieder treffen könnten. Sasuke war ja nun auch längere Zeit auf einer Mission, von daher habt ihr euch sicherlich viel zu erzählen“, schlägt sie lächelnd vor und rührt dabei in ihrem Tee herum. Ich lächle widerspruchslos zurück. Anstatt etwas Sinnvolles oder Bestärkendes zu erwidern, denke ich lieber darüber nach, wie schnell doch die Zeit vergangen ist. Erst jetzt fällt mir auf, dass sich Sasuke vor über zwei Monaten einer Mission angeschlossen hat. Und obwohl er inzwischen der Anbu-Einheit angehört und ich als Hokage über seinen Verbleib Bescheid wissen sollte, will mir ums Verrecken nicht mehr das Ziel der Mission einfallen. Angestrengt sitze ich bloß da und halte sogar mit dem Essen inne. Mitten in der Bewegung, als meine Stäbchen gerade die Lippen berühren und jene aufzuwärmen beginnen, ziehe ich die Augenbrauen zusammen und starre tonlos auf die dampfende Schüssel unter mir. „Naruto?“, fragt Hinata völlig zu Recht mit einem leicht irritierten Unterton und ihre Stimme bringt mich plötzlich ganz aus dem Konzept. Schnell sauge ich die Nudeln in meinen Mund, schlucke sie einfach herunter und nötige mich selbst zum Husten. Meine schwarzhaarige Freundin zieht darauffolgend die Augenbrauen nach oben und ist schon fast zum Aufspringen geneigt, um mir im Ernstfall Erste Hilfe zu leisten. Hinata war schon immer überbesorgt. Das lässt mich wiederum lächeln. „Die Idee ist klasse“, pflichte ich ihr bei und sie scheint sich ganz offensichtlich zu entspannen, denn postwendend sinkt sie leicht in ihrem Stuhl ein und mustert mich auf verträumte Weise aus ihren schönen hellen Augen. „Freut mich. Dann schau, dass du mit deiner Arbeit pünktlich fertig wirst. Wir wollten uns heute Abend so gegen Acht bei Ichiraku treffen.“ Stunden später verrät mir ein knapper Blick auf die Uhr, dass wir uns bereits in einer halben Stunde mit den anderen treffen wollen. Ein weiterer auf meinen Schreibtisch bestätigt mir wiederum, dass ich vermutlich selbst in drei Stunden noch nicht mit meiner Arbeit fertig sein werde. Genervt von diesem Papierhaufen sitze ich dort und tippe kontinuierlich mit meinem Stift auf die Kante des Holztisches. Dabei ertönt ein Klang, der mich leicht an das Ticken der Uhr erinnert. Ein paar Minuten sitze ich einfach nur da, lasse das Tippen schneller werden und starre diese Blattansammlung an, die selbst dann nicht kleiner werden will, wenn mein Blick noch so ernst und bösartig wird. „Scheiß drauf“, seufze ich, lasse den Stift dabei fallen und lehne mich erschöpft in meinem Stuhl zurück. Die Arme verschränke ich genervt hinter dem Kopf. Weiterhin ertönt das Geräusch der Zeiger. In meinen Gedanken erscheint ein Bild von Sasuke und Sakura. Seit, ich weiß auch nicht mehr wie lange, sind sie nun schon ein Paar. Anscheinend auch ein recht glückliches, denn Sasuke hat das Lachen und Lächeln mit der Zeit für sich entdeckt. Etwas, das anfangs mehr als schockierend war, hat sich im Laufe der Jahre zur regelrechten Norm entwickelt. Eine Norm, die wohl nur mir allein heute noch zu schaffen macht. Sasuke und lächeln, das sind für mich zwei Dinge, die einfach nicht zusammen passen. Leicht schaukle ich auf meinem – für den Sitz eines Bosses – ungemütlichen Stuhl hin und her und denke an Sakura. Blinzelnd fällt mir ein, dass ich auch sie seit geschätzten Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe. Bestimmt sogar noch eine Weile länger nicht, als Sasuke. Streckend erhebe ich mich von meiner Sitzgelegenheit und lasse meine Augen zuerst über das Foto von Hinata wandern, das meinen Schreibtisch ziert. Anschließend begutachte ich jenes Bild von Team 7, welches ich schon seit beinahe zehn Jahren besitze. Kurz lächle ich besorgt. Wieder drohe ich in Erinnerungen zu schwelgen. Ich wende mich ab, stemme die Hände in die Hüfte und beschließe, Sasuke so wie immer zu begegnen: Erhaben. Jedes Mal, wenn wir uns begegnen, kann ich ihm meine Überlegenheit ganz leicht unter die Nase reiben, indem ich einfach meine Hokagentracht anbehalte, anstatt mich „gewöhnlich“ zu kleiden. So ist es jedenfalls gewährleistet, dass er meine höhergestellte Position auch ja nicht vergisst. Vor guter Laune summend, da ich mich auf sein blödes, angenervtes Gesicht freue, das ich nun ebenfalls seit knapp sieben Jahren nicht mehr gesehen habe, verlasse ich meinen Arbeitsplatz, der aussieht, als habe dort eine Bombe eingeschlagen. Auf meinem Weg versuche ich Tsunades bevorstehende Standpauke, dass ich meine wichtige Aufgabe zur sehr auf die leichte Schulter nehme, vorerst aus meinen Gedanken zu verdrängen. Für heute Abend ist ein beherztes Wiedersehen angesagt. Da sollte man Arbeit einfach mal Arbeit sein lassen. Es gibt Wichtigeres im Leben. Viel Wichtigeres. „Was für ein Glück!“, fällt mir Hinata um den Hals, als ich doch noch rechtzeitig am vereinbarten Treffpunkt erscheine. „Ich dachte schon, du würdest es nicht schaffen“, seufzt sie und drückt sich leicht an meine Schulter, wobei meine Lippen ein Lächeln ziert. Gleichzeitig suche ich die Umgebung nach unseren Freunden ab. „Dachte ich zuerst auch“, murmle ich abwesend und betrachte die vielen dunklen Gassen, die lediglich von dem Schein, der von Ichirakus Lichtern ausgeht, erhellt werden. Niemand ist dort zu sehen. Alles ist wie leergefegt. „Sakura und Sasuke dürften auch demnächst auftauchen. Ich habe schon mal etwas für uns bestellt, damit wir direkt loslegen können. Übrigens erwartet uns noch eine Überraschung. Erzählte Sakura zumindest. Ich bin schon ganz aufgeregt“, plappert Hinata freudig und in einem zügigen Tempo, wobei mir direkt wieder auffällt, wie viel sie im Verhältnis zu früher doch erzählt. Ihre Lippen scheinen gar nicht mehr still zu stehen. Als müssten sie unentwegt in Bewegung bleiben, damit kein Unglück geschieht. Ich will nicht sagen, dass es mich nervt. Es ist nur ganz einfach so, dass ich ihre ruhige und stille Art immer sehr gemocht habe. Deshalb sind wir letzten Endes auch ein Liebespaar geworden. Wenn ich jetzt zurückdenke, weiß ich gar nicht mehr, wann sie sich so stark verändert hat. Vielleicht war sie auch schon immer so? Ich weiß es nicht. Und es bereitet mir Kopfschmerzen weiterhin darüber nachzudenken. Doch dazu kommt es ohnehin nicht mehr, denn mit einem Ruck löst sich meine Freundin von mir und stürmt auf eine der dunklen Gassen zu, in der ich beim Umdrehen die Umrisse von zwei Personen ausmachen kann. Während ich noch an Ort und Stelle verharre, ist Hinata binnen weniger Sekunden bei den beiden angekommen und begrüßt sie sogleich herzlich. Für mich ist es ein Moment voller Nostalgie, als Sasuke und Sakura mit einem Mal sichtbar werden. Es läuft mir eiskalt den Rücken hinab, als ich die Gesichter der beiden erkennen kann und feststelle, wie erwachsen sie geworden sind. Wie erwachsen wir alle geworden sind. Vor allem Sasukes ernster Blick und seine starren Züge werfen mich wieder in eine Zeit zurück, die ich manchmal so stark vermisse, dass sich mir die Eingeweide zusammenziehen. Mir entfährt bei diesem Anblick ein schweres Seufzen. Doch kurz darauf habe ich mich auch schon wieder gefangen, betrachte dieses Wiedersehen offenkundig als Geschenk und nehme die Beine in die Hand. Meine Augen fixieren ausschließlich Sakura und für einen Wimpernschlag entflammt diese längst vergangene Jugendliebe erneut in mir. Fest will ich sie, die bereits in ein Gespräch mit Hinata vertieft ist, in meine Arme schließen, um einfach nur zu wissen, dass sie da ist und dass ich sie nicht verloren habe, da trifft mich auch schon ihre geballte Faust mitten im Gesicht und zeigt mir damit klar und deutlich, dass es Dinge gibt, die sich wohl niemals ändern werden. Hokage hin, Hokage her. „Naruto“, grummelt sie, als ich mich wieder aufraffe. In ihrem Gesicht steht die blanke Wut geschrieben. Hinata blinzelt verwundert. Ich selbst realisiere, dass ihr fester und mein bester Freund daneben steht, der die ganze Situation natürlich beobachtet. Mental stelle ich mich bereits auf einen weiteren Faustschlag ein. Der bleibt allerdings aus. Stattdessen vernehme ich neben mir ein helleres Lachen, als man vielleicht denken möchte. Es dauert einige Sekunden, bis ich dieses Lachen Sasukes Stimme zuordnen kann. Niemals werde ich damit warm werden, dass er sich so sehr gewandelt hat. Als täte er gerade etwas Verbotenes, drehe ich meinen Kopf also langsam in seine Richtung und starre ihn an. Starre ihn einfach nur vorwurfsvoll an. Ihn, mit seinen geschlossenen Augen und den gehobenen Mundwinkeln, während er hervordrückt: „Das habe ich vermisst, Usuratonkachi.“ In den darauffolgenden Sekunden versucht Sasuke sich wieder zu beruhigen. Doch seine Freundin stöhnt nur hervor: „Also ich habe das ganz sicher nicht vermisst.“ Spätestens in diesem Moment weiß ich wieder ganz genau, warum meine Liebe zu Sakura nicht mehr als eine Phase war. Schließlich bin ich nicht Sasuke, den sie immer so angehimmelt hat. Nur ein einziges Mal und zwar an dem Tag, als ich ihr ihren Liebsten zurückbrachte, da hat sie mir gedankt. Mit einem derartigen Lächeln und freudigen Tränen in den Augen, dass ich es mein Lebtag nicht mehr vergessen werde. Mein Blick wandert bei diesen Gedanken unweigerlich über Sakuras Anblick und mit einem geschockten Aufruf stelle ich folgendes fest: „Du bist ja fett geworden, Sakura-chan!!!“ Sasuke kann sich aufgrund eines abrupten Lachanfalls nicht mehr halten, während ich Sakuras Faust abermals ins Gesicht bekomme. Jetzt muss selbst Hinata glucksen. „So etwas kann wirklich nur von einem ignoranten Vollidioten wie dir kommen, Naruto. Ein Wunder, wie du Hokage werden konntest. Wirklich, du wirst uns noch alle ins Unglück stürzen!“, zischt sie aufgebracht, aber auch ein Stück weit gekränkt und mustert mich aus ihren grünen Augen. Ratlos erwidere ich ihren Blick und merke, wie ihre Gesichtsfarbe innerhalb der verstreichenden Sekunden zunehmend dunkler wird. Ich bin ratlos. „Ich bin schwanger, du Depp!“, schreit sie mich an, sodass es auch die Nachbarn zwei Straßen weiter noch hören und ich hätte schwören können, dass Sasuke in diesem Moment noch lauter lachte als ohnehin schon. Es ist wirklich beängstigend. Und zwar nicht nur die Tatsache, dass sie schwanger ist. Wie zur Rettung legt Sasuke einen Arm um meine Schulter, dreht mich um und geht mit mir ohne Verabschiedung zur Theke. „Komm, mein ignoranter Freund. Das werden jetzt sowieso Frauengespräche“, murmelt er dabei grinsend und drückt mich auf einen freien Stuhl nieder, klopft mir noch einmal auf die Schulter und lässt sich neben mir auf einen freien Platz sinken. Prüfend mustere ich ihn und stelle aufgrund seiner zahlreichen Aktionen fest, dass das hier nicht Sasuke ist. Das ist nicht der Sasuke, den ich einmal kennengelernt habe. „Herzlichen Glückwunsch“, gratuliere ich nun mit fragendem Unterton, da ich mir nicht ganz sicher bin, ob es in diesem Fall wirklich ein Grund zur Freude ist. Doch Sasuke winkt bloß ab. Als wolle er sagen: „Lass uns nicht weiter darüber sprechen.“ Mir ist das Ganze einerlei, weshalb ich einfach meine Schüssel Ramen zu mir ziehe, die mir in diesem Moment serviert wird und wortlos zu essen beginne. Ein paar Löffel kann ich in dieser Stille, an die ich mich durchaus gewöhnen könnte, unbesorgt zu mir nehmen, ehe ich wieder die Ohren spitzen muss. „Wie geht’s dir denn so?“, beginnt Sasuke ein Gespräch, während sein Essen vor ihm dampft, aber dennoch nicht von ihm angerührt wird. Es ist eine einzige Verschwendung. Kurz zucke ich mit den Schultern, füge dann aber hinzu: „Wie es einem Hokage eben so geht. Ich bin sehr beschäftigt.“ Ich hasse dieses geheuchelte Interesse. „Das war doch immer dein Traum“, stellt Sasuke für sich fest und ein Blick in seine Richtung zeigt mir, dass er mich interessiert mustert. Als warte er darauf von mir zu hören, dass ich es mir anders vorgestellt habe. Aber den Gefallen werde ich ihm mit Sicherheit nicht tun. Stattdessen betrachte ich ihn lieber und stelle nebenbei fest, dass er einen schwarzen Overall und eine genauso schwarze Hose trägt. Unsere Freundinnen nehmen jetzt ein paar Sitze neben uns Platz. Nahezu so, als wollen sie uns nicht stören oder nicht mit uns zusammen gesehen werden. Das kann man betrachten, wie man möchte. Nur kurz lausche ich ihrem Gespräch, das sich um Hochzeit und die Geburt, sowie den Namen des Kindes dreht, dann höre ich nicht mehr hin. Es interessiert mich einen feuchten Dreck. Nicht mehr und nicht weniger. „Wie war deine Mission?“, lenke ich vom Thema ab und täusche ein wenig Interesse vor. Eigentlich kümmert mich auch dies nicht mehr, als die Gespräche zwischen Hinata und Sakura. Dennoch möchte ich lieber ihn das Gespräch – zu dem ich wohl verdammt bin – führen lassen, anstatt andersherum. „Gut. Es gab soweit keine Komplikationen“, erklärt er knapp und lässt dann ein wenig Ruhe zwischen uns einkehren. Auf mich macht er den Eindruck, als habe er eine andere Frage erwartet. Da ich aber nicht weiß, welche, versuche ich allgemeiner zu fragen: „Und sonst so?“ Plötzlich habe ich das Gefühl, als würde Sasuke mir näher kommen. Er versucht zu verhindern, dass andere uns belauschen könnten, so wie ich es soeben bei unseren Freundinnen getan habe. „Heute ist Itachi genau sieben Jahre tot“, erleichtert er mir das Ganze, sorgt mit seiner Aussage aber dafür, dass sich ein dicker Kloß in meinem Hals bildet. Ich erinnere mich noch an den Tag, als Sasuke und ich seinen Bruder gemeinsam zur Strecke brachten. Sasuke hatte ihn zur Rede stellen wollen, doch jener Versuch war kläglich gescheitert. Irgendwann hatte der Kampf nur noch aus Wut und Hass bestanden. „Mein Beileid“, murmle ich mit leicht geneigtem Kopf. Ein kurzes Lachen aus seiner Richtung ertönt – von Hinata. Für einen Moment dachte ich, es sei Sasukes Lachen gewesen. „Warum Beileid? Es war doch mein Wunsch, dass er stirbt“, höre ich seine feste Stimme, die trotzdem mitgenommen klingt, auch wenn er es mit seinem entspannten Gesichtsausdruck zu verbergen versucht. „Nur, tja, weißt du...Das Einzige, was mich beschäftigt, sind Madaras Worte, die mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Er hat damals, in seinen letzten Atemzügen doch zu mir gesagt, dass er mich bemitleiden würde. Weil ich die Wahrheit über meinen Bruder nicht kenne und niemals mehr erfahren würde.“ Während Sasuke erzählt, schlürfe ich ein paar meiner Nudeln und betrachte die Insekten, die sich um die Lampen herum versammeln. Ich betrachte dieses Bild, das sich mir bietet und frage mich, warum er gerade heute mit mir darüber sprechen möchte. Vorher war das alles noch nie Thema gewesen. Erst heute – sieben Jahre später. Doch ich komme ohnehin nicht dazu etwas zu erwidern, denn Sasuke fährt ungebremst fort: „Weißt du, ich hätte mir gewünscht, dass du mich zu dem Zeitpunkt als mein Bruder starb, einfach einmal ganz fest umarmt hättest. Aber daran hast du vermutlich nicht einmal gedacht. Stimmt's, Naruto?“ Schon in dem Moment, als er das Wort „umarmen“ in Bezug auf mich in den Mund nimmt, spucke ich vor lauter Schock meine Suppe wieder aus und verschlucke mich beinah daran. Kurz ist es neben mir still, Hinata murmelt ein paar Worte, die ich nicht verstehe, doch aus irgendeinem Grund springt sie nicht auf, um mir zur Hilfe zu eilen, sondern verfällt wieder ihrem Gespräch mit Sakura. „Schön, du hörst mir also doch zu. Hat eben nicht so den Anschein gemacht“, grinst er, wie ich erkenne, als ich mir mit dem Handrücken den Mund abwische und denke in jenem Moment nur eins: Arschloch. „Guter Witz, Sasuke“, grummle ich hervor und gucke mir das Elend meiner halb verschütteten Suppe an. „Darf ich noch einen machen?“, fragt er und innerlich brodle ich bereits, ziehe meine Ramen sogar ein Stück aus seiner Reichweite, nur um sie in Sicherheit zu bringen. Einen Moment lang ist es so still, dass ich fast dazu verleitet bin zu glauben, dass der angekündigte Scherz nicht mehr folgen würde. Doch dann höre ich, wie er einmal tief Luft holt und bin mir sicher, dass er sich lediglich die Worte zurecht legen muss. „Würdest du mit mir weggehen? Irgendwohin, Hauptsache weg aus Konoha? Noch heute Nacht?“, fragt er so leise, dass es wirklich nur für meine Ohren bestimmt ist und für einen Moment weiten sich überrascht meine Augen. Wie aus heiterem Himmel entfährt mir ein lautes, endloses Lachen, das erst Ewigkeiten später langsam verebbt. „Willst du deine Frau etwa jetzt schon mit Kind und Kegel allein lassen? Das sieht dir ja gar nicht ähnlich, Sasuke“, pruste ich ironisch heraus. Schließlich wollte er schon damals einfach abhauen. Mir entgeht nicht, dass auch er lacht. Nur habe ich keinen blassen Schimmer, warum er lacht. Ich sehe nur, dass er es von ganzem Herzen tut. Sasukes Witze waren schon immer schlecht. „Gehst du mit mir zu Itachis Grab?“, fragt er ganz ernst zwischen unseren vielen Lachern und neigt leicht den Blick auf sein Essen, das er bislang noch immer nicht angerührt hat. Mit Sicherheit wird er es auch weiterhin unangetastet lassen. Nicht aus dem Grund, weil es ihm nicht schmeckt. Das ist ein Gefallen, den ich ihm nicht abschlagen kann. „Klar“, erwidere ich deshalb gedämpft und erhebe mich von meinem Platz, damit wir sofort aufbrechen können. Schließlich hatte ich für diese Nacht noch anderes geplant, als mit meinem Kumpel durch die Gegend zu streifen. „Sasuke und ich machen einen Spaziergang“, rufe ich unseren Mädels zu, die mir daraufhin nur zunicken und sich sogleich wieder zueinander beugen. Anscheinend gibt es wichtige Dinge, die es zu besprechen gilt. Seit einer ganzen Weile sind wir unterwegs und ich bemerke selbst, dass diese Nacht kälter ist, als alle bisherigen. Unser Weg erstreckt sich durch mehrere Waldgebiete und ich frage mich ernsthaft, wer Itachi so weit entfernt begraben lassen wollte. Ich sehe aber selbst ein, dass diese Frage momentan denkbar unpassend wäre. „Ich war schon lange nicht mehr hier“, ist der einzige Satz, der auf dem ganzen Weg fällt. Ich antworte nur deshalb nichts darauf, weil es sonst mit Sicherheit eine spöttische Anspielung auf den abgelegenen Ort des Begräbnisses geworden wäre. Nach gut einer Stunde Wanderung stehen wir auf dem Gipfel eines Hügels und starren gemeinsam auf das Holzkreuz hinab, auf dem der Name von Sasukes Bruder geschrieben steht. Eine gute Ewigkeit herrscht eisiges Schweigen vor, wobei auch der Wind keine Wärme transportiert und mich stattdessen erzittern lässt. Dennoch frage ich mich, worüber Sasuke in diesen Minuten nachdenkt. Es gab mit Sicherheit einen Beweggrund, warum er heute hier sein möchte. Schließlich war er in den vergangenen Jahren meines Wissens nach nicht an Itachis Todestag hier. Soweit ich weiß, mied er diesen Ort sogar regelrecht. Etwa ein plötzlicher Anflug von Reue oder gar Sehnsucht? Was es auch sein mag, ich habe nicht das Recht ihn danach zu fragen. Sasuke scheint glücklich zu sein, also will ich nicht in Wunden graben, die zu verheilen scheinen. Schließlich will ich, auch wenn es oft nicht den Anschein macht, auch nur das Beste für ihn. Wie aus dem Nichts und ganz urplötzlich passiert etwas, mit dem ich mein Lebtag nicht gerechnet hätte: Neben all der Kälte, die ich an diesem Ort erfahre, spüre ich mit einem Mal einen ebenso kühlen Körper, der mich derart fest umarmt, dass es mehr einer Umklammerung gleicht. Fest genug, um mir beinah die Luft abzuschnüren. In diesem Moment bin ich wie gelähmt, starre einfach nur in weite Leere und verpasse den Moment, in dem ich die Umarmung hätte erwidern können. Denn schneller als gedacht, hat sich Sasuke auch schon wieder von mir gelöst, legt eine Hand in meinen Nacken und sieht mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten kann. Vielleicht wartet er auf eine Reaktion. „Sieh es einfach als Abschiedsgeschenk“, lächelt er und sieht mich noch einen weiteren Moment an. Er wartet noch immer. Ich weiß nicht worauf. Und es irritiert mich so sehr, dass ich letztendlich überhaupt nicht reagiere. Erst als er sich von mir abwendet und ganz plötzlich davonstürmt, seine Gestalt von der nächtlichen Schwärze Stück für Stück verschluckt wird, realisiere ich, dass alle vorangegangenen Fragen keine bloßen Scherze gewesen sein können. Dahinter verbarg sich viel mehr, als ich auf den ersten Blick erkennen wollte. Mit dem starren Blick auf eine Wand aus Bäumen wird mir schlagartig bewusst, dass er tatsächlich geht. Und mir wird bewusst, was er zurücklässt. Dass er eine Familie zurücklässt, die er gerade erst gegründet hat. „SASUKE!“, brülle ich in die Nacht hinaus. Wie erwartet folgt keine Resonanz. Meine Mundwinkel verspannen sich, während ich zwei Fäuste balle und seinen Namen wieder und wieder schreie. Ich schreie solange, bis ich heiser bin. Solange schreie ich. Vergebens. Ich weiß nicht, wie lange ich nun genau an Itachis Grab stehe und den Namen seines jüngeren Bruders schreie. Ich weiß nur, dass es sich anfühlt, wie eine Ewigkeit. Plötzlich wende ich mich im Stand herum, bemerke, dass der Schweiß auf meiner Stirn abzukühlen beginnt und bin mir sicher, dass Sakura in Tränen ausbrechen würde, sollte ich ohne Sasuke zurückkehren. Für mich hat sich das Versprechen nicht aufgelöst. Es ist noch immer gültig. Sasuke muss in Konoha bleiben. Das habe ich ihr damals versprochen. Das habe ich mir versprochen. Meine Beine tragen mich schneller und schneller durch den Wald. Zeit meines Amtes bin ich so schnell nicht mehr gelaufen. Immer hatte ich andere, die meine Arbeit erledigten. Arbeit, die der Hokage nicht erledigen sollte. Das, was mich anfangs ärgerte, wurde für mich zur Gewohnheit. Jetzt hole ich dagegen alles aus meinem Körper heraus, den ich früher so hart trainierte. Immer, um mit Sasuke konkurrieren zu können. „Du darfst nicht gehen. Du darfst nicht gehen!“ Das ist alles, was immer wieder durch meine Gedanken schallt. Nein, er darf nicht gehen. Er darf nicht zulassen, dass sich alles wiederholt. Voller Anstrengung denke ich über einen Ort nach, den Sasuke jetzt noch aufsuchen könnte. Mir fällt nur ein einziger ein. Sofort schlage ich um und komme kurze Zeit später wieder in Konoha an. Dem Konoha, mit den wenig beleuchteten Straßen und vielen dunklen Gassen. Aber es ist nun einmal meine Heimat. Und es ist auch seine. Es ist auch Sasukes Heimat. Mit schnellen Schritten stürme ich in den Teil von Konoha, den ich seit Jahren nicht mehr besuchte. Meine Beine tragen mich weiter und weiter. Hier ist alles finster. Hier gibt es keinen Strom mehr. Hier gibt es nichts, außer Erinnerungen. Und auch das sind nicht die Besten. Schneller als gedacht stehe ich vor dem Uchihaanwesen und kann mich mit einem Mal nicht mehr regen. Meine Glieder, die in der Zeit des Laufens erst richtig warm wurden, sind plötzlich wie versteift. Lediglich diese kleine Wolke aus warmem Atem, die inmitten der kühlen Luft aufsteigt, erinnert mich daran, dass ich noch lebe. Denn für einen Moment, ehe ich den Puls, der in meinen Ohren widerhallt, vernehme, steht alles still. Für ein paar Sekunden verschwimmt sogar mein Sichtfeld und alles scheint so surreal. Als würde ich im nächsten Moment das Bewusstsein verlieren. Doch ich zwinge mich selbst dazu weiterzugehen. Sasuke braucht mich jetzt. Es sind mühsame Schritte, bis ich schließlich die Tür erreiche, die vom Verfall gezeichnet ist. Seit knapp fünfzehn Jahren lebt hier keine Menschenseele mehr. Eine lange Zeit. Weder die Inneneinrichtung, noch das Gemäuer an sich sind davon verschont geblieben. Im Flur riecht es bereits nach Fäulnis und ich beginne daran zu zweifeln, dass Sasuke sich hier tatsächlich aufhalten könnte. Dennoch bin ich gewillt auf Nummer sicher zu gehen und steige tastend die knarrenden Treppenstufen hinauf. Allzeit rechne ich damit, dass jeden Moment alles unter mir zusammenbrechen und mich unter den Trümmern begraben könnte. In den ganzen Jahren war ich nur ein- oder zweimal hier. Genau erinnere ich mich nicht mehr. Doch den Weg zu Sasukes Zimmer finde ich ohne großartige Probleme. Ich schiebe die Tür zur Seite und finde nichts weiter, als ein leeres Zimmer. Ein Zimmer, das auch heute noch nicht daran erinnert, dass hier einmal ein Kind gewohnt hat. Heute wirkt Sasuke kindlicher, als damals. Eine Erkenntnis, die mich hart schlucken lässt. Blinzelnd wende ich mich herum, bin aus irgendeinem Grund erleichtert, ihn nicht gefunden zu haben und halte gerade noch in dem Moment inne, als ich die Treppenstufen hinuntersteigen will. Mir fällt wieder der Anlass für all das ein: Itachis Tod vor genau sieben Jahren. Wie in Zeitlupe drehe ich mich herum, erkenne am Ende des Flurs bereits das Zimmer des Toten, wo die Tür bereits zur Seite geschoben wurde. Mit langsamen Schritten steuere ich auf die düstere Öffnung zu. Mir schlägt mein Herz bis zum Hals hoch. Die nächsten Sekunden vergehen wie Stunden. Ich weiß nicht, was mich jetzt erwartet. Vermutlich noch ein leeres Zimmer. Ein Zimmer, das von Verfall gezeichnet ist, so wie der Rest auch. Ein Zimmer, das genauso wenig kindlich erscheint, wie auch Sasukes Zimmer. Ein ganz gewöhnliches Zimmer eben. Aber irgendetwas in mir bewegt mich dazu zu glauben, dass dem nicht so ist. Vor Ungeduld und letztendlich auch vor Angst vor der Wahrheit, beginnen meine Hände zu zittern. Noch zwei Schritte, dann erreiche ich die offenstehende Tür, sehe das Unfassbare und mit einem Mal steht die Zeit wahrhaftig still. Alles wirkt wie etwas, das nicht sein kann und in diesem Moment kann ich mich nicht mehr dagegen wehren, mich an ein bestimmtes Ereignis aus der Vergangenheit zu erinnern. „Usuratonkachi!“, zischt Sasuke hervor, als ich ihn tatsächlich mit dem Kunai erwische. Mir entlockt jener blöde, entsetzte Gesichtsausdruck bloß ein hämisches Grinsen. Natürlich ist Sakuras Reaktion wiedermal nicht die, die ich mir erhoffe. Anstatt mich zu loben, ist sie bloß sauer, dass ich ihrem ach so tollen Sasuke einmal das Wasser reichen konnte. Kakashi dagegen ist sichtlich zufrieden, auch wenn er nicht zu verstehen scheint, warum wir uns mit so einer Hartnäckigkeit bekämpfen. „Tja, Sasuke! Pass gut auf, sonst könnte es irgendwann mehr werden, als eine bloße Schramme, dattebayo!“, rufe ich dennoch triumphierend und stecke mein Kunai schwungvoll zurück in die Tasche. Doch Sasuke schnauft wie immer nur herablassend und wischt sich gleichzeitig das Blut von der Wange. Unsere Blicke treffen aufeinander und ich weiß bereits in jenem Augenblick, dass darauf noch ein Gespräch folgen wird. Zwei Stunden später sitzen wir, Team 7, zum Mittagessen im Wald und vertilgen gemeinsam unsere Mitbringsel. Sakura versucht, Sasuke ihr Essen anzudrehen. Dieser Trottel lehnt es mehrmals ab. Er mag sie nicht. Nicht auf diese Weise jedenfalls und deshalb ist sie ihm lästig. Das weiß ich. Man erkennt es an jeder einzelnen Reaktion. „Nah, Sasuke. Hattest du eben Angst zu sterben?“, grinse ich ihm entgegen und stupse ihn schelmisch von der Seite an, um ihm seine Niederlage ins Gedächtnis zu rufen. „Ich glaube kaum, Naruto“, erwidert er wenig beeindruckt und betrachtet dabei sein Essen. Nebenbei bemerke ich, dass Kakashi gerade in ein Gespräch mit Sakura vertieft ist. Sie wird uns wohl kaum unterbrechen. „Hast du keine Angst vor dem Tod?“, frage ich rein Interesse halber nach und rühre in meinen kalten Instant-Ramen herum. Sasuke zuckt daraufhin bloß mit den Schultern und sieht mich an diesem Tag zum ersten Mal richtig an. „Ich muss nur solange leben, bis ich diese Person zur Strecke gebracht habe. Aber danach...Na ja, ich werde ganz einfach wie ein Ninja sterben. Niemals aufgeben und irgendwann ehrenvoll in einem Kampf das Zeitliche segnen“, erklärt er seine Meinung, die sich später noch einige Male wandeln sollte. Aber letztendlich hielt er an diesem Gedanken des „ehrenvollen“ Todes doch fest. „Und du? Hast du Angst, Usuratonkachi?“, fragt er mit einem leicht schelmischen Grinsen, als kenne er die Antwort bereits. „Natürlich nicht, dattebayo. Blöde Frage!“, erwidere ich angesäuert und damit ist das kurze Gespräch zwischen uns wieder beendet. Ich hatte tatsächlich keine Angst. Zumindest nicht vor meinem eigenen Tod. Schwer atmend und kreidebleich, stehe ich nun dort, klammere mich mit aller Kraft an der halb verrotteten Tür fest und versuche, die Bilder zu verarbeiten, die sich mir bieten. Mein ganzer Körper zittert, während ich Sasukes mit unruhigen Blicken beobachte. Sein schwarzhaariger Kopf, der völlig reglos geneigt ist, seine Füße, die gut einen Meter über der Erde schweben und seine Hand, die nur eines fest umklammert hält: Sein demoliertes Stirnband mit dem Konohazeichen. Obwohl mich tausend Gefühle durchziehen, bin ich unfähig zu weinen. Ich stehe nur dort und starre. Starre das an, was ich nicht glauben kann. Was ich nicht glauben will. Sasuke Uchiha, mein Freund, der Lebensgefährte einer guten Freundin und Vater eines ungeborenen Kindes ist tot. An diesem Tag, am Tag des siebten Todestages seines Bruders in dessen Zimmer erhängt. Der Mann, der immer von einem ehrenvollen Tod sprach, hat sich erhängt. Ich kann es nicht fassen. Und auf einmal fügt sich für mich das Puzzle zusammen. Die Frage, die sich durch meine Gedankengänge zieht, ist folgende: Warum hat er nichts gesagt? Nein, falsche Frage. Warum habe ich nichts bemerkt? Warum habe ich nicht bemerkt, wie es um ihn steht? Nein, nein, nein. Auch wieder falsch. Warum habe ich es nicht bemerken wollen? Diese ganzen Gesten, diese Blicke, sie alle waren nichts anderes als Hilfeschreie. Stumme Schreie, dass ihm jemand helfen solle. Mein Atem geht schwer. Ich glaube, in den nächsten Sekunden das Bewusstsein zu verlieren. Ich bin schuld. Er kam zu mir, wollte meine Hilfe – dieser Blick. Dieser Blick. Diese Umarmung. Ich falle auf meine Knie. Auf einmal schreie ich. Ich weine nicht. Ich schreie. So laut und kraftvoll wie ich kann. Ich schreie. Ich schreie. Und schreie immer weiter. Auf einmal schrecke ich hoch, ringe intuitiv nach Luft und spüre die pochende Hitze in meinem Gesicht. Sofort bemerke ich, dass ich das Bewusstsein verloren haben muss. Mein Atem geht noch immer schwer, mein Mund ist wie ausgetrocknet. Ich muss die Tränen aus meinen Augen blinzeln. Innerhalb der Wände, die mir fremd erscheinen, hallt meine Stimme noch immer wider. Schrill und fiebrig. Hektisch reiße ich meinen Kopf hin und her: Auf der Suche nach Sasukes Leichnam, der bedrohlich und angsteinflößend von der Decke herunterbaumelt. Ich finde nichts. Das Zimmer ist leer. So leer wie die Gassen in Konoha. So leer, wie Sasukes Zimmer. So leer, wie mein Zimmer. Langsam, ganz langsam sickert die Erkenntnis durch meine Gedanken, dass es jener schlechte Traum war, der mich seit einigen Wochen Nacht für Nacht begleitet. Mir wird allmählich klar, dass nichts davon wahr ist. Denn ich konnte Sasuke nicht zurückholen. Er ist zu Orochimaru gegangen und genauso hat er seinen Bruder alleine zur Strecke gebracht. Vermutlich kennt er auch die Wahrheit, nach der er sucht. Ich weiß es nicht. Ich weiß bloß, dass er nicht hier ist. Dass er nicht mit Sakura ein Kind bekommt, das ohne Vater aufwachsen muss und ich nicht mit der Schuld leben muss, ihn getötet zu haben. Und in diesem Moment bin ich froh, dass er gegangen ist. Ich bin froh, dass er die Chance hat, die Wahrheit über alles zu erfahren. Ich bin froh, dass er noch lebt. Weil wer könnte mir schon garantieren, dass es nicht so wie in meinem Traum gekommen wäre? Heute kann ich ihn nicht mehr stoppen. Er ist wahnsinnig und vielleicht werde ich ihn deshalb auch eines Tages töten müssen. Aber ich werde ihn nicht zu einem Selbstmord verleiten, den er in Einsamkeit verbringt, sondern ihm und mir einen ehrenvollen Tod im Kampf ermöglichen, sollte es keine andere Möglichkeit geben, ihn zu stoppen. Deshalb bin ich froh, dass es ist, wie es ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)