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Missing Leonardo

Ezio/Leonardo, (Altaïr/Malik)
von

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Prolog

Lucy lehnte sich gegen ihren Schreibtisch und sah ihn besorgt an.

"Es tut uns wirklich sehr leid, Desmond, aber du wirst in den nächsten Tagen mehrere Stunden im Animus bleiben müssen. Shaun sagt, wir müssen voran kommen."

"Noch mehr Stunden?", fragte er ungläubig. Er hatte jetzt schon schreckliche Dauerkopfschmerzen und befürchtete, ihm würde bald der Schädel zerplatzen.

"Ja. Abstergo ist uns auf den Fersen und wir müssen ihnen unbedingt einen Schritt voraus sein, wenn wir den Edensplitter finden wollen. Shaun meint, wir stehen kurz davor, heraus zu finden, wo dein Vorfahre ihn versteckt hat."

Mit einem Stöhnen ließ sich Desmond tiefer in den Sessel sinken. Er warf die Hände über den Kopf.

Shaun sagt, Shaun sagt, Shaun, Shaun, Shaun...

Hatte Shaun denn eine Ahnung, was er hier für Schmerzen ertragen musste?

"Es tut mir wirklich Leid, Des.", sagte sie mit mitfühlender Stimme.

Er sah sie an und konnte in ihren Augen lesen, dass es ihr tatsächlich Leid tat. Doch was nützte das? Davon gingen die Schmerzen auch nicht fort.

"Ich weiß, dass du erledigt bist. Ich kann das verstehen. Und ich würde dir auch nichts lieber gönnen als deine Ruhe, aber es geht im Moment nun mal nicht anders."

Sie kam auf ihn zu und strich ihm sanft über die Wange. In ihm stieg wohlige Wärme auf.

"Kannst du das verstehen?"

Desmond sah ihr in die Augen. Er war machtlos gegen diesen treuen Hundeblick.

Und er nickte.

"Ja. Ich mach's ja.", gab er klein bei.

In dem Moment hörten sie aus dem Flur Stimmen und Lucy ließ ihre Hand von seiner Wange gleiten. Schnell trat sie einen Schritt zurück.

Schon kamen Shaun und Rebecca in das "Labor", der Raum, in dem der Animus stand, in ein Gespräch vertieft.

Erst als Shaun Desmond sah, hielt er aprupt inne.

"Ah, Des! Alles klar bei dir?", fragte Rebecca, in gewohnt fröhlichem Ton, während sie um ihr "Baby" herum ging und sich an ihre Computer setzte.

Desmond nickte nur.

Shaun hatte sich wieder gesammelt.

"Wollen wir es doch mal hoffen. Immer hin hälst du uns schon genug auf."

"Er hat den Extrastunden zugestimmt.", warf Lucy dazwischen, was von Shaun mit einer hochgezogenen Braue quittiert wurde.

"Ist das so? Nun, das ist gut."

Er sah wieder zu Desmond.

"Wann können wir endlich anfangen?"

Kapitel 1 - Rettung

Ezio Auditore da Firenze erwachte spät an diesem Morgen.

Verschlafen drehte er sich auf den Rücken und sanfte Sonnenstrahlen fielen auf sein Gesicht. Er blinzelte. Über ihm an der Decke seines Zimmers in der Auditore Villa konnte er anhand der Schatten ablesen, dass es schon nach Mittag sein musste.

Seufzend stand er auf und reckte seine müden Gliedmaßen, ehe er zur Leiter schritt, die als Aufgang zu seinem Dachzimmer diente, und diese hinabkletterte. Schon eilte ihm eine Dienerin entgegen, die sich um die Unordnung in seinem Zimmer kümmern wollte.

"Buon' giorno", grüßte er sie freundlich, was sie schüchtern erwiderte und mit gesenktem Blick an ihm vorbei ging.

Ezio schaute ihr nach.

Sie trug die typische Kleidung eines Dienstmädchens, doch stand ihr diese wirklich gut. Sie betonte ihre schlanke Figur. Ihre dunklen Haare waren in mehreren Zöpfen hochgesteckt und von hübsch glänzenden Klammern gehalten. Ihr Gesicht strahlte jugendliche Naivität aus, was dem Italiener sehr gefiel.

Grinsend wandte er sich ab, als das arme Mädchen unter seinen Blicken errötete.

Er war schon fast an der Tür, die ihn auf den Flur führen würde, da flüsterte sie leise:

"Euer Onkel sucht Euch. Ihr solltet ihn bei Gelegenheit aufsuchen, signore."

Ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen, antwortete er: "Habt Dank, bella mia."

Schon war er verschwunden und ließ das verlegen drein blickende Mädchen zurück.
 

Er fand seinen Onkel Mario im Kartenraum, wo er vor der Kodex-Wand auf und ab lief. Er schien nervös zu sein und bemerkte seinen Neffen erst gar nicht.

"Ihr wolltet mich sehen, Onkel?", machte dieser sich bemerkbar, als er auf seinen Onkel zutrat.

Endlich blieb Mario stehen und sah Ezio besorgt an.

"Da seid Ihr ja, nipote. Ja, es ist äußerst dringlich. Erinnert Ihr Euch an meinen guten Freund Luigi?"

Ezio überlegte.

Vor wenigen Wochen war ein Mann in der Villa gewesen, der ausgelassen mit Mario herum gealbert hatte. Nie zuvor hatte er seinen Onkel, einem kleinen Jungen gleich, Streiche spielen sehen. Eine Woche lang musste Ezio aus dem Weg gehen, um nicht Opfer eines solchen zu werden. Doch lag, wann immer er Mario sah, ein vergnügtes Leuchten in seines Augen. Dieser Luigi tat ihm offensichtlich gut. Er war genau wie sein Onkel ein Bär von einem Mann, die Wangen unter einem dichten Bart begraben und stechend blaue Augen, die einen aufmerksam musterten, wenn man mit ihm sprach.

"Si. Was ist mit ihm?"

"Er ist den verfluchten Borgia in die Hände gefallen!", seine Stimme überschlug sich und er wedelte wild mit seinen Händen, um den Worte mehr Ausdruck zu verleihen, "Ich hatte ihm angeboten, seine Familie hier in Sicherheit zu bringen, doch auf dem Weg hier her wurden sie überfallen. Ich weiß nicht, wie es um sein Weib und Kind steht. Ezio, du musst ihn da raus holen! Ich würde es ja selbst machen, aber... Ich bin nicht mehr von der nötigen Beweglichkeit, die es für diese Aufgabe erfordert. Ich bitte Euch!"

Der junge Auditore nickte ernst.

"Ich werde ihn befreien, Onkel. Und ich werde seine Familie finden und sicher hier her geleiten."

Mario wirkte ein wenig beruhigter. Er wusste, dass er sich auf seinen Neffen verlassen konnte.

"Ich danke Euch, nipote. Nun geht, und bringt mir meinen guten Luigi zurück! Ihr werdet ihn hier finden...", er zeigte auf einer Karte auf eine kleine, befestigte Anlage, "und hier in der Nähe fand der Überfall statt.", jetzt fuhr er mit dem Finger in einem Kreis über die Karte und steckte somit das in Frage kommende Gebiet ab.

"Va bene. Erwartet mich bei Einbruch der Dunkelheit wieder hier."

Mit diesen Worten wandte Ezio sich um und ging mit raschen Schritten auf sein Zimmer zurück, um Vorbereitungen zu treffen.
 

Nur kurze Zeit später eilte eine weiß gewandte Gestalt durch die Straßen Monteriggionis auf die Ställe außerhalb der Stadtmauern zu. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und die Kodex-Waffen um die Unterarme geschnallt, saß der Assassine auf und preschte los.

Die Nachmittagssonne warf noch immer eine gewaltige Hitze über die Toskana und nach nur wenigen Minuten war Ezios Pferd verschwitzt und hechelte. Doch er trieb es gnadenlos weiter über die unbefestigten Wege. Er traf nur auf eine Hand voll Menschen. Bauern, die ihrer Arbeit nach gingen. Sie schauten ihm verwundert nach und fragten sich gewiss, warum er es so eilig hatte.

Doch er beachtete sie nicht einmal, sondern ritt gerade wegs auf sein Ziel zu. Von der Kuppe einer größeren Anhöhe aus konnte er besagte Anlage erkennen. Er blieb stehen und studierte aus sicherer Entfernung die Straßenverläufe und Anzahl der Wachen.

Es war keine schwer gesicherte Anlage, da man vermutlich nicht annahm, dass einer wie Luigi so mächtige Freunde hatte, die ihn befreien würden. Die Mauern würde er ohne Schwierigkeiten überwinden können und so weit er es sah, waren auf dem hinteren Wehrgang nur zwei Wachen postiert, die er im Handumdrehen ausgeschaltet haben dürfte. Für den Rückweg würde er sich dann den Weg aus dem Haupttor heraus bahnen. Es war ebenfalls nur von vier Männern bewacht, die, von der Hitze dösig, gegen ihre Hellenbarden lehnten. Wahrscheinlich standen auf der Innenseite des Tores auch noch einmal zwei bis vier Wachen, aber auch die sollten kein Problem darstellen.

Der Assassine schwang sich aus seinem Sattel, bereit fürs Gefecht.

Geduckt schlich er in weitem Bogen um die Anlage herum, bis er auf der anderen Seite war. Dort kniete er sich hinter einen Strauch. Er wartete ab, bis beide Wachen auf dem Wehrgang sich gelangweilt abwandten und zu reden begannen. Jetzt sprang er aus seinem Versteck und rannte leise auf die Mauer zu, sprang an ihr hoch und hielt sich fest. Zum Glück war der Stein rau und besaß einigermaßen große Fugen, sodass er problemlos seine Hände und Füße hineinsetzen konnte, um daran hinauf zu klettern.

Schon wenige Augenblicke später hing er direkt unterhalb der Stelle, an der sich die Soldaten befinden mussten. Er lauschte.

"Diese Hitze bringt mich noch um! Warum lässt Cesare uns hier halb verrecken?", maulte der Eine.

"Du weißt doch, wir müssen diesen Bastard bewachen. Nicht, dass er uns weg laufen würde. Aber er ist ein Freund dieser Assassinenbrut. Er hat sich gegen Cesare gewendet und jetzt muss er dafür büßen. Und seine hübsche kleine Familie wird er nie wieder sehen.", erklärte ihm der Andere.

"Ja, ich hoffe, er hat sich gebührend von seinem Weib verabschiedet. Denn die wird bald mir gehören!", lachte der Erste.

Ezio biss die Zähne zusammen.

Der Andere prustete los.

"Du willst sein Weib? Nein, amico mio, ich glaube Cesare hat andere Pläne mit ihr. Und dem Kind."

"Du hast ja recht. Aber lass mir doch meine Träume...", lenkte der Erste ein.

Dann herrschte Schweigen.

Der Assassine nutzte die Gelegenheit und schwang sich elegant über die Brüstung auf den Wehrgang und stand nun zwischen den beiden Wachen, die ihn mit vor Überraschung aufgerissenen Augen anstarrten.

Noch ehe sie auch nur realisiert hatten, was da geschehen war, hatte Ezio ihnen auch schon mit der versteckten Klinge den Hals aufgeschlitzt. Sie waren tot, noch bevor sie auf den Boden aufschlugen.

"Ihr Schweine.", murmelte der Assassine mit gerümpfter Nase, während er wütend seine Klinge an der Uniform des einen säuberte. Blut quoll aus dessen Wunde hervor und Ezio erinnerte sich an die Worte seines Onkels, er solle auch seinen Feinden die letzte Ehre erweisen, selbst wenn diese sie ihm verweigern würden. Denn es war das Einzige, was sie noch bekommen würden.

"Requiescat in pace.", fügte er leise hinzu und versuchte, sein kochendes Blut zu beruhigen.

Dann schaute er vorsichtig über die Mauer hinweg nach unten und sprang. Er landete auf einem etwas niedriger gelegenem Hausdach und lief geduckt weiter in Richtung der Arrestzellen.

Lautlos ging er am Rand des Daches in die Hocke. Unter ihm hielten zwei Soldaten Wache. Er atmete tief durch und ließ sich fallen, die versteckten Klingen ausgefahren. Er stach beiden Wachen die Klinge in den Nacken und sie sackten hilflos in sich zusammen.

Schnell bückte er sich und durch suchte die Toten nach dem Zellenschlüssel, konnte ihn jedoch weder bei dem einen, noch bei dem anderen finden.

Seufzend richtete Ezio sich auf.

"Alles muss man selbst erledigen", dachte er und ließ seine Klinge wieder hervor schnellen. Wie ein Einbrecher steckte er sie in das Zellenschloss und bewegte sie leicht hin und her, bis es klickte und die Tür aufschwang.

Ezio besah sich die Zelle. Bis auf einen Mann war sie leer. Dieser lag zusammen gekauert in einer Ecke und schien nicht mehr ganz bei Bewusstsein.

Tief durch atmend verdrehte Ezio die Augen. Ihm blieb aber auch nichts erspart.

Schnell durchschritt er den kleinen Raum und kniete sich vor Luigi.

Sachte aber bestimmt rüttelte er ihn an der Schulter und schlug ihm leicht auf die Wange.

"Messer Luigi, wacht auf! Ich bringe Euch zu meinem Onkel Mario."

Langsam öffnete der Angesprochene die Augen und richtete sich schwach auf.

"Wer seid Ihr?", brachte er mit brüchiger Stimme hervor.

"Marios Neffe Ezio Auditore. Aber dafür haben wir später noch genug Zeit, jetzt müssen wir Euch erst einmal in Sicherheit bringen!", flüsterte Ezio eindringlich.

Doch Luigi machte keine Anstalten auf zu stehen. Stattdessen sah er ihn mit fragenden Augen an, einen flehenden Blick darin.

"Was ist mit meiner Familie? Anetta? Pietro?"

"Wir werden sie suchen und finden, sobald wir hier draußen sind. Jetzt kommt!"

Damit griff er dem Älteren unter die Arme und half ihm beim Aufstehen. Dann führte er ihn stützend aus der Zelle.

Der Assassine schaute sich unruhig um und suchte die Häuser nach versteckten Feinden ab. Er hatte ein schlechtes Gefühl im Bauch, das ihm riet, so schnell wie möglich zu verschwinden.

"Wir müssen uns beeilen.", sagte er und setzte sich in Bewegung.

Auf dem Weg zum Tor drehte er sich immer wieder nervös um. Er spürte Blicke auf sich ruhen, ihn verfolgen, doch er konnte niemanden sehen.

Endlich kam das Tor in Sicht und er beschleunigte seine Schritte noch einmal, so gut es ging, mit seinem Balast von Luigi.

"Halt! Wo wollt Ihr hin? Wer seid Ihr?", fragte einer der Wachen barsch, der sie entdeckt hatte.

Doch Ezio schwieg nur und trat vor ihn, während Luigi sich gegen eine Hauswand lehnte.

Ezio zog sein Schwert und stellte sich kampfbereit vor die Wachen. Es waren fünf.

Zwar mehr, als er erwartet hatte, aber immer noch kein Problem.

Auch diese zogen nun ihre Waffen und traten ihm entgegen.

Der erste griff an, doch Ezio tänzelte nur einen Schritt zur Seite und der Mann fiel, durch seinen eigenen Schwung, der ins Leere traf, zu Boden. Ezio beendete mit einem gezielten Stoß sein Leben. Noch im gleichen Atemzug wirbelte er herum und warf eines seiner Wurfmesser dem Nächsten mit tödlicher Präzision in den Hals.

Schon wandte er sich den Überbliebenen zu, die verunsichert einen Schritt rückwärts machten.

Fast taten sie ihm schon leid. Aber eben auch nur fast.

Jeden aus den Augenwinkeln beobachtend, stand Ezio in der Mitte zwischen den drei Wachen und wartete darauf, dass sie angriffen. Sein Atem ging ruhig, er fühlte sich nicht in Gefahr.

Endlich führte der links von ihm stehende Mann einen Schlag aus, der jedoch wirkungslos an Ezios Unterarm abglitt, den er zur Parade erhoben hatte, ohne sich sonst auch nur einen Milimeter zu bewegen. Sein metallener Armschutz, den er unter dem Ärmel trug, hatte ihn davor bewahrt, den Arm zu verlieren.

Der Mann sprang verwirrt zurück.

"Meine Klinge kann Euch nichts anhaben?! Ihr seid ein Dämon!", schrie er auf und im nächsten Moment schepperte seine Waffe auf den Boden, während er keuchend die Flucht ergriff. Auch seine beiden Kameraden sahen sich verängstigt an, ehe sie ihm folgten.

"Gut gemacht, Junge!", rief Luigi schwer atmend von seinem Platz an der Wand.

Ezio neigte nur leicht den Kopf und ging zu dem scheinbar Verwundeten.

"Geht es Euch gut?", fragte er und suchte nach Zeichen einer Verletzung, konnte jedoch keines finden.

"Es geht schon. Macht Euch keine Sorgen um mich.", antwortete Luigi, verzog aber im nächsten Moment qualvoll das Gesicht.

Schnell legte Ezio einen Arm um den Mann, um ihn zu stützen.

Zusammen gingen sie zum Tor und Ezio stieß es mit einem kräftigen Tritt auf. Die vier Soldaten wirbelten überrascht herum, nur um eine Klinge in ihrem Hals wieder zu finden.

Noch ehe auch nur einer von ihnen ein Wort heraus brachte, waren sie tot und der Weg war frei.

Ezio führte den Freund seines Onkels die Anhöhe hinauf, von wo aus er die Lage erkundet hatte. Sein Pferd stand ein wenig abseits vom Weg und graste.

"Es ist nicht fort gelaufen", stellte er erleichtert fest. Denn ihm war erst viel zu spät aufgefallen, dass er es nicht festgebunden hatte. Wäre es fort gelaufen oder vor Schreck geflohen, dann hätte Ezio den Mann den ganzen, weiten Weg bis hoch nach Monteriggioni tragen müssen.

"Könnt Ihr reiten?", fragte er, Luigi zugewandt.

Dieser schnaubte verächtlich.

"Natürlich kann ich reiten. Was glaubt Ihr, wer ich bin?"

"Ich meine jetzt, in Eurem Zustand.", gab Ezio ruhig zurück.

Die Miene Luigis hellte sich sofort wieder auf und er machte eine Geste, um sich bei Ezio zu entschuldigen.

"Ja, ich denke schon."

Damit nickte Ezio und half dem Älteren auf sein Pferd. Er selbst nahm sich die Zügel und führte das stolze Tier auf den Weg zurück.

"Reitet ins nächste Dorf und sucht einen dottore auf. Wartet dort auf mich. Ich werde mit Eurer Frau und Eurem Sohn zurück kehren.", wies er dem verletzten Mann an.

In dessen Augen konnte er die Dankbarkeit sehen.

"Ich werde dir deine Hilfe nie vergessen, junger Auditore."

Mit diesen Worten zog er sein Reittier am Zügel herum und ritt in die Richtung, aus der Ezio gekommen war davon.
 

Es dämmerte bereits, doch Ezio hatte noch immer keinen Hinweis auf den jetzigen Aufenthaltsort der Frau und ihrem Kind. Wer wusste schon, ob sie überhaupt noch lebten?

Aber er würde nicht eher aufgeben, als dass er sie gefunden hatte. Lebendig, oder tot.

Er war ja für Ersteres und würde alles daran setzen, sie auch so zu retten. Jedoch benötigte er hierfür erst einmal eine Spur.

An dem Ort, an dem sich laut Mario der Überfall abgespielt haben sollte, waren zwar Kampfesspuren gewesen und jene, die davon zeugten, dass der arme Luigi bewusstlos über den Boden hinter den Soldaten her geschleift worden war, höchst wahrscheinlich bis zu der Anlage hin. Auch Blut war zu finden gewesen, jedoch niemand, zu dem es gehören könnte. Und Mutter und Kind blieben wie vom Erdboden verschluckt.

"Das kann doch nicht sein. Niemand verschwindet einfach ohne Spuren zu hinterlassen.", murmelte der Assassine ungläubig.

Seit einigen Stunden nun schon suchte er nach Hinweisen. Er war sogar ins nächste Dorf geschlichen, auf den Marktplatz und hatte sich umgehört. Aber niemand schien von dem Überfall gehört zu haben, geschweige denn Informationen dazu zu kennen.

So war ihm nichts anderes übrig geblieben, als auf eigene Faust weiter zu suchen.

Jetzt lag er in einem kleinen Wäldchen auf Fährtensuche. Ihm war eine kleine Gruppe Soldaten aufgefallen, die sich wegen eines vermasselten Auftrags stritten und dabei zu Pferd in den Wald eilten.

Unsichtbar wie ein Schatten war er ihnen gefolgt.

Die Erde war viel zu trocken, als dass auf ihr Fußabdrücke zurückbleiben würden. Es war die Toskana! Hier regnete es nur sehr selten.

Doch in dem Strauch neben Ezio hatte sich ein kleiner Streifen Stoff verfangen. Vorsichtig zog er ihn heraus und betrachtete ihn. Er war von blauer Farbe, verziert mit schöner Stickerei in gold. Ohne Zweifel ein Stück eines Frauenkleides. Eines aufwendig gearbeiteten Frauenkleides.

Die arme Frau, zu deren Kleid der Fetzen gehörte, musste auf der Flucht vor etwas oder jemandem gewesen und hier im Strauch hängen geblieben sein. Gut möglich, dass es sich dabei um die von ihm Gesuchte, Anetta, handelte.

"Wo bist du hingelaufen? Wo versteckst du dich?", murmelte er vor sich hin, während er die Gegend mit seinen Augen absuchte.

Der Waldboden war von lauter Wellen durchzogen, wie ein eingefrorenes Meer, aus dem Bäume ragten. Es gab tausende Mulden, in denen man sich verstecken konnte. Es war unmöglich, alles zu überblicken.

Er musste sich beeilen, sie zu finden, bevor es der Reitertrupp tat, der hier immer noch ganz in der Nähe war.

Schnell schlich der Assassine leichtfüßig weiter und warf sich hinter ein Gestrüpp, als er Hufschläge auf sich zu galoppieren hörte. Die Soldaten ritten direkt an ihm vorbei und Ezio hielt den Atem an, bis sie wieder außer Höhrweite waren. Erleichtert atmete er auf.

In dem Moment drang ein leises Wimmern an sein Ohr, fast schon zu leise um es wirklich zu hören. Augenblicklich hielt er inne und horchte, von wo das Geräusch kam. Doch eine Zeit lang hörte er nichts, außer seinen eigenen, pulsierenden Herzschlag.

"Komm schon, wo bist du?", murmelte er erneut vor sich hin.

Und da sah er eine rasche Bewegung am Rande seines Blickfeldes. Nur eine ganz leichte, sie hätte auch vom Wind stammen können, der ein Blatt vom Baum wehte.

Doch er ging aufmerksam in die entsprechende Richtung, bedacht darauf, kein Geräusch zu verursachen. Er beobachtete mit geschärften Sinnen jeden noch so kleinen Grashalm und wartete auf eine Reaktion seines Näherkommens.

Und da! - endlich erblickte er einen braunen Haarschopf hinter der Wurzel eines alten, knotigen Baumes. Zwei dunkle Augen sahen ihn furchtsam an. Er hob langsam die Hände, um dem Kind zu zeigen, dass er ihm nichts tun würde. Dann legte er einen Finger vor die Lippen, damit der Junge nicht unbedacht aufschrie.

Langsam einen Fuß vor den anderen setzend, ging Ezio auf den Kleinen zu. Er mochte höchstens 8 Jahre zählen und zitterte am ganzen Körper.

Als der junge Auditore nur noch wenige Schritte entfernt war, kniete er sich vor dem Kind auf den Waldboden und hob wieder die Hände.

"Ich komme im Auftrag deines Vaters. Ich soll dich und deine Mutter beschützen und zu ihm bringen.", flüsterte er dem Jungen zu, dessen Augen sich weiteten und vor Tränen glänzten.

Der Kleine hauchte ein "Papa", ehe er ohne Vorwarnung zu Ezio rannte und sich an ihn schmiegte, während er seinen Tränen freien Lauf ließ, wenn auch still. Ezio, erst überrumpelt von der plötzlichen Anhänglichkeit des Kleinen, legte schützend seine Arme um ihn und streichelte sanft dessen Rücken.

"Shh-shh", machte er, um ihn zu beruhigen. "Wo ist deine Mutter?"

Der Gefragte zeigte mit dem kleinen Finger hinter den Baum, der ihm als Versteck gedient hatte und nun trat eine verängstigte Frau aus dem Halbschatten vor Ezio.

"Signora Anetta."

Er deutete eine Verbeugung an, sofern dies möglich war mit dem Knaben in seinen Armen. Auf ihr besorgtes Gesicht legte sich ein leichtes Lächeln, wenn dieses auch nicht die Augen erreichte. Ihr blaues Kleid war schmutzig und an vielen Stellen aufgerissen, das blonde Haar lag ihr in einem schweren Zopf über der linken Schulter. In ihren braunen Augen lag Verzweiflung und Angst. Angst um ihren Sohn. Deutlich bildeten sich Sorgenfalten auf ihrer Stirn ab. Sie musste Mitte dreißig sein, doch ließen ihre schlaflosen Nächte sie viel älter wirken. Und dennoch war sie zweifelsohne eine wunderschöne Frau.

"Danke, dass Ihr hier seid. Ich bin mir sicher, dass diese Schergen von Cesare Borgia uns bald gefunden hätten."

"Das kann uns leider noch immer passieren, madonna. So lasst uns schnellst möglich aufbrechen.", drängte Ezio in sanften Ton.

"Wie denn? Sobald wir aus dem Wald draußen sind, werden sie uns sehen!"

Der Assassine grinste.

"Könnt Ihr reiten, Anetta?"

Sie sah ihn nur verständnislos an, doch er war schon aufgesprungen, wobei er den immer noch weinenden Pietro bei seiner Mutter abstellte.

"Wo geht Ihr hin?", wollte diese wissen. Anscheinend dachte sie, er würde sie allein zurück lassen und folgte ihm einige Schritte.

Er kehrte sich zu ihr um und sah ihr in die müden Augen.

"Ich besorge uns ein Pferd.", meinte er grinsend und damit war er hinter dem nächten Baum verschwunden.
 

Es dauerte nicht lang und er fand die Reiter. Sie hatten sich aufgeteilt, was ihm zu Gute kam. Zwei von ihnen waren alleine unterwegs. Er kletterte auf einen Baum und ließ von oben herab seinen Geldbeutel fallen.

"Was war das?", fragte einer der Beiden sofort und hob alamiert den Kopf in Ezios Richtung. Langsam kamen sie auf ihn zu, die Augen nach etwas Ausschau haltend. Sie waren vorsichtig - aber nicht vosichtig genug. Sie schauten nicht nach oben. Was ihnen das Leben kostete. Schon hatte Ezio zwei Wurfmesser aus seinem Gürtel gezogen und mit tödlicher Zielsicherheit geworfen.

Der eine griff sich überrascht an die Brust, aus der wie aus dem Nichts ein Messer steckte, aus seinem Mundwinkel rann ein Tropfen Blut. Dann erlosch der Glanz in seinen Augen und er rutschte vom Pferd und blieb reglos liegen. Sein Gefährte war glücklicher dran: Ihn traf das Messer genau zwischen die Augen. Er war sofort tot, ohne es zu merken.

Ezio ließ sich von seinem Ast herab und hielt die Pferde, die sich for Schreck aufbäumten, an den Zügeln fest und beruhigte sie wieder.

Dann führte er die Reittiere durch die Bäume zurück zu Anetta.

"Wie habt Ihr...?", rief sie sprachlos aus, während sie die schönen Tiere bewunderte.

"Sagen wir, ihre Vorbesitzer brauchen sie nun nicht mehr.", erwiderte der Assassine mit einem leichten Lächeln. "Kommt, ich helfe Euch aufsteigen."

Anetta ließ sich immer noch verwirrt von ihm helfen. Doch als er Pietro zu ihr aufs Pferd heben wollte, sträubte sich dieser.

"Nein, nein! Ich will bei Euch mitreiten!", quängelte er.

Erstaunt ließ er den Jungen los, der sofort zu dem zweiten Pferd eilte. Seine Mutter lachte auf.

"Es scheint mir, junger Mann, dass mein Sohn Gefallen an Euch gefunden hat. Ihr könnt Euch glücklich schätzen, er schließt nur wenige Menschen in sein Herz.", erklärte sie.

Ezio schaute den Kleinen an.

"So? Ist das wahr? Dann fühle ich mich geehrt." Ezio verneigte sich vor dem Jungen, welcher daraufhin freudig kluckste.

Der Florentiner ging gutmütig lächelnd auf ihn zu und hob ihn in den Sattel.

"Jetzt bist du sogar größer als ich", meinte Ezio nur, woraufhin das Kind strahlte. Dann zog auch er sich auf das Pferd und hielt den Jungen sicher vor sich, während er um ihn herum nach vorne griff, um die Zügel aufzunehmen.

"Wollen wir?", sagte er an Anetta gewandt, diese nickte nur und sie ritten los.

"Eines müsst Ihr mir jedoch noch verraten", meinte er schließlich nach einer Weile, in der sie schweigend neben einander her geritten waren. "Wieso vertraut Ihr mir, wenn Ihr noch nicht einmal meinen Namen kennt?"

Sie sah lächelnd zu ihm hinüber.

"Jemandem, der eine solche Frage stellt, kann man vertrauen.", sagte sie keck. Nach einer Weile dann: "Mein Pietro vertraut Euch. Das reicht mir mehr als genug."
 

Die Nacht war inzwischen hereingebrochen. Sie hatten Luigi in dem Dorf abgeholt und ritten nun weiter in Richtung Monteriggioni. Doch aufgrund seiner inneren Verletzungen, wie ihm vom dottore gesagt wurde, und des kleinen Jungen vor Ezio kamen sie nicht schnell voran, sondern waren gezwungen, Schritt zu reiten.

Luigi war außer sich vor Freude gewesen, als er seine Frau und seinen Sohn wohlbehalten wieder in die Arme schließen konnte und dankte Ezio mit Tränen in den Augen aus tiefsten Herzen.

"Wenn es irgendwann einmal etwas geben sollte, wobei Ihr meine Hilfe braucht, so lasst es mich wissen! Ich werde unverzüglich da sein."

Doch seit sie aufgebrochen waren, hatten sie alle kaum ein Wort gewechselt und der kleine Pietro war vor Erschöpfung bei den schaukelnden Bewegungen des Pferdes eingeschlafen. Ezio hielt ihn fest, damit er nicht abrutschte und seine Mutter ritt lächelnd neben ihnen.

Zu ihrer anderen Seite ritt ihr Mann, der ihre Hand hielt.

"Das scheinen sich zwei gesucht und gefunden zu haben.", lächelte Luigi an Anetta gewandt.

Diese nickte zustimmend.

Ezio sah auf den Kleinen vor sich und strich ihm durch die Haare. Er erinnerte ihn an seinen verstorbenen kleinen Bruder Petruccio. Früher hatte er so vor ihm auf dem Pferd gesessen, während sie langsam in den Sonnenuntergang geritten waren und er ihm eine Geschichte erzählen musste. Mutter war immer ganz krank vor Sorge, wenn sie so lange fort blieben und schimpfte ihn gehörig aus, wenn sie dann zurück kamen. Doch das hielt die beiden nicht davon ab, es wieder zu tun. Denn dies waren immer die schönsten Stunden für den Kleinen, da er aufgrund einer Krankheit nur selten das Haus verlassen konnte.

Er seufzte. Nun war sein kleiner Bruder nicht mehr am Leben. Hinweg gefegt von den Templern. Genau wie sein älterer Bruder Federico und sein Vater. Doch Ezio würde sie alle rächen. Bis er den letzten Templer aufspürte und seine Rache vollendet war.

Ein grimmiges Lächeln legte sich auf seine Lippen.

"Seht nur, da sind die Lichter der Stadt!", rief Luigi aus und zeigte einen Hügel hinauf, der gerade hinter der Biegung zur Sicht kam.

Und tatsächlich erhob sich vor ihnen nun Monteriggioni. Sie hatten es fast geschafft.

Auch der kleine Pietro hob seinen Kopf und sah ganz fasziniert zu den hohen Mauern hinauf. Dann drehte er sich im Sattel um und fragte neugierig:

"Wohnst du da?"

Es waren die ersten Worte, die er zu Ezio sprach und er konnte in seiner Stimme die Ehrfurcht erkennen.

Er lächelte den Jungen an und nickte.

"Es wird dir dort gefallen", meinte er, "Es gibt viele verwinkelte Gassen, Treppen und Durchgänge. An der Hauptstraße entlang ist ein Geschäft neben dem anderen und viele Menschen sind dort unterwegs. Alle sind freundlich und fast wie eine Familie. Aber über allem thront die mächtige Villa, die meinem Onkel Mario gehört. Sie ist wirklich riesig, du wirst schon sehen. Man kann sich sogar darin verlaufen. Ich könnte mir keinen besseren Ort als Spielplatz vorstellen. Und ganz neben bei", er zwinkerte dem Jungen zu, "kann man da super Streiche spielen. Meine Schwester Claudia ..."

Luigi lachte und seine Frau fragte mit warmer Stimme:

"Ihr scheint vertraut zu sein mit Kindern. Habt Ihr selbst welche?"

Das ließ Ezio erschrocken aufblicken.

"Oh, nein, nein! Ich habe keine Kinder. Ich habe noch nicht einmal eine Frau. Nein, ich hatte einen kleinen Bruder, an den mich Pietro übrigens sehr erinnert.", sagte er schließlich und verwuschelte dem Kleinen liebevoll mit einer Hand die Haare.

Anetta blickte überrascht auf.

"Ihr hattet? Was ist geschehen?"

"Anetta, amore mio, lass gut sein...", wandte Luigi ein, als er den betroffenen Gesichtsausdruck des jungen Auditore sah.

Für den Rest des Weges schwieg Ezio, in Gedanken versunken.

Kapitel 2 - Gedanken

"Ezio, mein Junge, da seid Ihr ja! Wir dachten schon, es sei etwas schief gegangen, da Ihr nicht zu genannter Stunde hier wart!", rief Mario laut aus und kam mit weit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Schweigend ließ Ezio die bärenhafte Umarmung über sich ergehen. Sein Onkel legte seine riesigen Hände an seine Schultern und sah ihm noch einen Moment lang in die braunen Augen, ehe er sich seinem Freund Luigi und dessen Familie zuwandte.

"Ah, amico mio! Und die wundervolle Anetta! Pietro! Seid Willkommen, kommt herein, herein!", begrüßte er nun den Rest der geschlauchten Truppe, die gerade die Stufen zur Villa Auditore hoch gestiegen waren. "Ich hatte nie daran gezweifelt, dass mein Neffe euch heil hier her bringen würde."

Er zwinkerte Ezio zu.

Doch dieser erwiderte es nur mit einem angedeuteten Lächeln, ehe sein Blick wieder ins Leere abschweifte. Er war gerade nicht in der Stimmung für überschwenglichen Empfang, oder die Feier, die unumgänglich folgen würde.

Luigi warf ihm einen besorgten Blick zu. Nicht lange, aber lange genug, damit auch Mario merkte, dass etwas nicht stimmte.

"Was ist los, nipote? Ist etwas passiert?"

Ezio schüttelte ausdruckslos den Kopf.

"Nein, Onkel. Es ist alles in Ordnung, Ihr müsst Euch nicht sorgen. Es war nur ein anstrengender Tag und ich würde mich ganz gerne ein wenig ausruhen."

Es war nicht seine Stimme, die Mario stutzig machte, nein, sie klang fest und überzeugend. Es waren viel mehr Ezios Augen, die ihm verrieten, dass er nicht die Wahrheit sagte. Doch beließ er es fürs Erste dabei.

"Nun gut, dann geht, aber wir müssen später noch einmal reden.", flüsterte er ihm zu, dann wandte er sich wieder an Luigi und Anetta. "Aber ihr beide leistet mir doch noch Gesellschaft, meine Lieben, nicht wahr?"

Luigi nickte lachend, doch seine Frau sah besorgt zu ihrem Sohn.

"Ich weiß nicht... Pietro müsste schon lange im Bett sein!", führte sie nachdenklich an. Doch ihr Mann legte ihr beruhigend eine Hand auf den Unterarm und entgegnete voller Wärme: "Mia colomba, meinst du nicht auch, dass wir heute eine Ausnahme machen können? Nur dank Ezio hier sind wir überhaupt in der Lage unseren Sohn Schlafen zu schicken. Nicht auszumalen, was passiert wäre, hätte er nicht..."

Er ließ den Satz offen in der Nacht verklingen, um noch mehr Ausdruck hinein zu legen. Seine Frau nickte und ließ den Kopf hängen.

"Ja, du hast ja recht. Es ist nur, sieh ihn dir doch an, seine Augen fallen schon zu."

Ezio sah von Mann und Frau hin und her, dann betrachtete er den kleinen Pietro, dessen Augen wirklich schon halb geschlossen waren.

"Wenn Ihr erlaubt, signora, nehme ich ihn mit zu mir, dort kann er sich ausschlafen und bekommt von der Feier nichts mit. Ich werde selbst verständlich auf ihn aufpassen.", bot er sich an. Irgendwie verspürte er den Drang, den Jungen beschützen zu müssen. Sanft wuschelte er durch dessen dunkles Haar.

Anetta schien kurz zu überlegen.

"Aber Ihr wolltet Euch doch selbst ausruhen.", versetzte sie. Es schien, als suche sie nur nach eine Ausrede, um ebenfalls der Feier zu entkommen. Luigi hingegen sah Ezio zur Hälfte dankbar, zur anderen Hälfte flehend an. Er würde dieses Angebot nur zu gerne annehmen. Innerlich lächelte Ezio. Er verstand den Mann.

"Das ist schon okay, signora. Hauptsache für mich ist, dass es nicht so laut ist. Ich werde mich auch so ausruhen können."

Pietros Mutter dachte fieberhaft nach. Doch als ihr vermutlich keine weiteren Gegenargumente mehr einfielen, willigte sie ein.

"Grazie, Ezio, mein Freund. Wir verdanken Euch heute wirklich sehr viel.", sagte Luigi zum Abschied und umfasste Ezios Handgelenk. Dieser erwiderte den Gruß und ein wissendes Lächeln trat kurz auf seine Lippen. Als er jedoch zu sprechen begann, war es bereits wieder verflogen:

"Nichts zu danken, amico mio. Jeder Zeit wieder."
 

Ezio stieß die Tür zu seinem Zimmer mit einer Hand auf. An der anderen Hand hielt sich Pietro mit vor Erfurcht weit aufgerissenen Augen fest. Noch nie zuvor hatte er einen Fuß über die Türschwelle einer solch beeindruckenden Villa gesetzt. Und nun würde er gleich auch noch in die privaten Gemächer ihres Retters und seines großen Vorbildes sehen!

Ezio schmunzelte über die Naivität des Jungen.

Wie leicht er zu beeindrucken war!

"Na komm, Pietro. Lass uns gehen.", trieb er ihn weiter an. Den ganzen Weg bis hier hin war der Kleine immer wieder fasziniert stehen geblieben und hatte über Dinge gestaunt, die für Ezio alltäglich waren und er so stets daran vorbei ging, ohne ihnen besondere Achtung zukommen zu lassen. Immer wieder hatte Pietro gefragt, was Dies war, was Das war und wofür es gebraucht wurde. So war der eigentlich nicht lange Weg für Ezio schier unendlich geworden und er hatte erleichtert aufgeatmet, als sie seine Tür erreicht hatten.

Sanft schob er ihn durch die Tür und schloss diese hinter sich wieder.

Was hatte er sich nur dabei gedacht? Er wollte doch nur seine Ruhe haben. Und jetzt hatte er einen kleinen Quälgeist am Hals. Eigenverschuldet.

Er seufzte.

Jetzt standen sie vor der Leiter, die hinauf in das eigentliche Zimmer führte, und wieder kam der Kleine nicht aus dem Staunen heraus.

Das konnte ja eine lange Nacht werden!

Seit Anetta eingewilligt hatte, dass Pietro bei Ezio schlafen würde, war dieser urplötzlich hell wach gewesen. Unaufhörlich hatte er vor sich hin gebrabbelt und Ezio von einer bestaunenswerten Merkwürdigkeit, wie einer venezianisch verzierten Kommode aus Teakholz, zur nächsten gezogen.

Endlich war auch Ezio oben angekommen und streckte sich, ausgiebig gähnend.

"Bist du nicht mehr müde, Kleiner?", fragte er und kniete sich vor Pietro. Dieser schüttelte heftig den Kopf und rannte schon wieder los, um das Zimmer genau in Augenschein zu nehmen.

Der Assassine ließ den Kopf hängen. Das war ein Gegner, den er nicht besiegen konnte: Die Ausdauer und Unberechenbarkeit eines Kindes.

Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass es nicht mehr viele Stunden bis zur Morgendämmerung waren.

Erschöpft ließ er sich auf sein Bett sinken und beobachtete das hin und her Huschen seines Besuchers.
 

Es klopfte leise an der Tür und Ezio sah auf.

Wer mochte das wohl sein? Es war bestimmt nur noch eine Stunde, bis der Morgen grauen würde...

Schwerfällig erhob er sich vom Bett, achtete jedoch darauf, so leise wie möglich zu sein. Er wollte den kleinen Pietro nicht wecken, der nun doch endlich schlief. Ezio hatte neben ihm liegen und als Kopfkissen dienen müssen, doch letzten Endes war der Kleine eingeschlafen.

Lautlos schlich sich der Assassine die Leiter hinunter zur Tür zurück. Doch noch bevor er diese öffnete, hörte er das Kichern eines Mädchens.

Ein wenig gereizt atmete er tief durch und zog die Tür auf.

Vor ihm standen drei leichtgekleidete Kurtisanen, die ihn aus verführerischen Augen anblickten und gurrten, nur von gelegentlichem Gekicher unterbrochen. Ezio konnte dich schon denken, wer die drei Mädchen angeheuert haben musste. Sein Onkel!

"Bello mio, dürfen wir reinkommen? Du wirst es nicht bereuen...", hauchte eines der Mädchen. Sofort kicherten die beiden anderen.

Die Erste schlang ihre Arme um Ezios Hals, ohne seine Antwort abzuwarten.

Ezio verstand sich selbst nicht. Normalerweise hätte er diese Gelegenheit mit einem riesigen Grinsen im Gesicht nur all zu gerne wahrgenommen. Er hätte alles stehen und liegen gelassen, um sich ein paar schöne Stunden mit den Mädchen zu machen. Doch heute wollte er es einfach nicht!

Stattdessen wollte er die drei Hübschen nur so schnell wie möglich wieder los werden, um weiter seinen Gedanken nach zu hängen. Während Pietro in seinem Bett schlief, hatte Ezio daneben gesessen und auf ihn aufgepasst.

Es war fast wie damals, als er neben Petruccios Bett gesessen und diesen beruhigt hatte, als dieser aus Furcht vor dem wütenden Gewitter nicht schlafen konnte. Lange hatte er die Hand seines Bruders gehalten und ihm Geschichten erzählt, über die Petruccio lachen konnte. Solange, bis er eingeschlafen war. Meistens war Ezio aber noch eine Weile neben seinem Bruder sitzen geblieben und hatte ihn lächelnd betrachtet.

"Pietro scheint Petruccio in vielen Dingen ähnlich zu sein", dachte der junge Auditore bei sich und lächelte schwach.

"Ah, unser Süßer will unsere Künste also doch selbst beurteilen", gurrte eines der Mädchen in Ezios Armen.

Erschrocken kehrte dieser in die Realität zurück. Er hatte die Kurtisanen vollkommen vergessen.

"Nein. Nein, heute nicht, meine Hübschen. Ich möchte nur noch schlafen", lehnte er freundlich ab.

"Oh, aber das kannst du doch. Lass uns nur machen, es wird dir gut tun!"

"Ihr versteht nicht. Ich möchte allein sein."

Mit diesen jetzt doch schroffen Worten knallte er die Tür zu und schlenderte zurück in sein Zimmer. In Gedanken war er schon wieder bei Petruccio.

Wie wäre es wohl gewesen, wenn er nicht...? Wenn er sein Leben hätte leben dürfen? Wie wäre er aufgewachsen? Was für ein Mann wäre aus ihm geworden?

Fragen über Fragen, auf die Ezio niemals eine Antwort bekommen würde. Eine stille Träne lief ihm über die Wange und sein Herz wurde schwer.

Niemals wieder würde ihm sein kleiner Bruder freudig strahlend entgegen rennen, wenn er nach Hause kam. Nie würde er ihm beibringen, wie man kämpfte. Niemals mehr würde er mit Petruccio sprechen können, würde nie wieder sein hohes Lachen hören, welches selbst Engel schmelzen ließ.

"Warum hat man dich mir genommen? Wieso wurde dein kurzes Leben schon beendet, noch bevor du wirklich leben konntest?", schrie er in seinen verzweifelten Gedanken.

Er hatte nie mit jemandem über den schmerzlichen Verlust seiner Brüder und seines Vaters geredet. Still ertrug er die Pein und ließ seine Gefühle nicht nach außen durch scheinen. Er wollte seiner armen Mutter und seiner Schwester helfen, doch das konnte er nur, wenn er selbst stark war. Niemand sollte ihn weinen sehen.

Doch die fast schon schmerzhafte Ähnlickeit zwischen Petruccio und Pietro ließ seine Verzweiflung und die Hilflosigkeit von damals wieder in ihm aufkommen. Es brachte ihn fast um!

Wie sollte er jemals wieder richtig leben können? Er war nun ein Assassine. Ein normales Leben gab es für ihn nicht mehr. Er musste stark sein für andere. Er musste das Credo erfüllen. Er musste tun, was man von ihm verlangte. Es gab kein richtiges Leben mehr für ihn!

Verzweifelt ließ er sich gegen die Wand sinken und weinte stumm vor sich hin. Zum ersten Mal seit all den Jahren konnte er die Tränen nicht mehr zurück halten. Sie brachen einfach aus ihm heraus.

"Was ist das denn für ein Leben?!", schrie eine Stimme in seinem Kopf.

Er lebte nur noch, um zu töten. Einen anderen Sinn hatte sein Leben nicht mehr. Die Templer trachteten nach seinem Leben, und doch hatten sie es ihm schon damals mit der Erhängung seiner Familie genommen.

Das wurde ihm jetzt umso schmerzlicher bewusst.

Ein Rache bestimmtes Leben war nicht lebenswert. Wieder rann eine heiße Flut von Tränen seine Wangen hinab und er schluchzte leise.

Er sehnte sich nach Liebe! Nicht die, die er kaufen konnte, bei den Frauen. Nein, er sehnte sich nach Wärme, nach Geborgenheit. Nach einem Zuhause, zu dem er gerne zurück kehrte, weil er wusste, dass er erwartet wurde.

Doch all das würde er nie bekommen, da war er sich sicher. Er war ein Assassine, ein Mörder. Es wäre viel zu gefährlich, eine Familie zu gründen. Ganz davon abgesehen, dass er kein guter Vater sein konnte. Niemals würde er jemanden dieser Gefahr aussetzen. Das war auch der Grund, warum er einst Cristina verlassen musste. Nun wusste er sie in der Obhut von ihrem Ehemann, der sie wirklich liebte und gut auf sie aufpasste. Zwar hatte ihm diese Entscheidung das Herz gebrochen, doch es war notwendig gewesen.

Und doch...

Er wünschte sich, es gäbe jemanden an seiner Seite. Seine Familie war zwar stets da, wenn er seelischen Beistand brauchte. Claudia brachte ihn zum Lachen mit ihrer fröhlichen Art und erinnerte ihn daran, dass das Leben weiter ging. Mario unterstützte ihn in jeder Lebenslage und war schon fast zu einem Freund geworden. Selbst seine arme Mutter legte ihm von Zeit zu Zeit die Hand an die Wange und gab ihm neuen Mut.

Doch das alles half Ezio nicht darüber hinweg, dass er sich einsam fühlte.

Mit einem schweren Seufzen erhob sich der Assassine und folgte dem Ruf der Nacht. Wann immer ihn Zweifel oder Trübsal überkamen, schlich sich Ezio auf das Dach der Villa. Die Höhe hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn, welche durch den Mondschein und den sanften Wind unterstützt wurde.

Mit der Hoffnung, die endende Nacht würde ihm auch dieses Mal den Verstand befreien, öffnete er leise das Fenster über dem Schreibtisch und verschwand, mit einem letzten Blick auf Pietro, hinaus in die Dunkelheit.

Zwischenkapitel - Stop!

Vor seinen Augen verschwamm die Umgebung und gleißend helles Licht zwang ihn dazu, sich die Augen mit der Hand abzuschirmen. Was passierte hier mit ihm?

Ezio blinzelte durch seine Finger und versuchte etwas zu erkennen. Doch um ihn herum war alles nur weiß.

Plötzlich lichtete sich der blendende Nebel und neue Strukturen zeichneten sich vor seinen Augen ab. Er war in einem merkwürdigen Raum, alles schien grau in grau und keine rechte Farbe schien hier Halt zu fassen. Über ihm war eine grelle Röhre, die kaltes Licht auf ihn hinab warf.

"Wo bin ich hier?", fragte sich Ezio leicht panisch. "Wie bin ich hier her gekommen?"

"Ganz ruhig, Desmond. Wir machen nur eine kleine Pause."

Ezio erschrak, als er der blonden Frau neben sich gewahr wurde, die irgendetwas an seinem Arm machte. Sie sprach zwar zu ihm, doch verstand er ihre Worte nicht.

Was war das für ein Hexenwerk?!

Er versuchte, vor ihr zu fliehen, doch da merkte er, dass er auf einer Art Stuhl saß und an diesem festgebunden war. Er griff nach seinen Waffen - doch sie mussten ihm abgenommen worden sein.

"Desmond, beruhig dich doch!", redete die Frau wieder auf ihn ein, ohne dass er auch nur ein Wort verstand.

"Ma che cazzo?!", rief Ezio aus und er spürte, wie sein Herz wie wild schlug. Sein Atem ging flach und hektisch und der Assassine suchte nach einem Ausweg. Er musste hier raus! Das war gewiss eine Falle der Templer!

Seine Augen huschten durch den großen Raum und er erblickte zwei weitere Personen, einen Mann und eine Frau. Und erst jetzt fiel ihm die seltsame Kleidung seiner Entführer auf. Doch immerhin trugen sie keine Waffen. Aber - vielleicht waren sie ihm so hoch überlegen, dass sie keine Waffen brauchten, um ihn auszuschalten? Immerhin hatten sie ihn auch gefangen nehmen können, ohne dass er es gemerkt hatte.

Seine Entführer sahen ihn verständnislos an. Anscheinend sprachen sie seine Sprache nicht!

"Desmond, du redest italienisch! Bitte sprich so, dass wir dich verstehen!", sagte die blonde Frau wieder, in ihrer Stimme lag ein betender Ton. Um was hatte sie ihn gebeten?

"Maledetta merda!", fluchte er. Was war hier nur los?!

"Ich glaube, er hält sich noch immer für Ezio.", flüsterte der Mann der Blondhaarigen zu. Ezio hielt inne, als er seinen Namen hörte.

Das wurde von den dreien natürlich registriert.

"Ja, er reagiert auf den Namen! Oh, Gott! Er war viel zu lange drin!", meinte die Blonde.

"Das legt sich schon wieder", entgegnete die andere Frau.

"Ezio, verstehst du mich?", fragte der Mann an ihn gewandt.

Ezio sah ihn misstrauisch an. Wieso beherrschte er seine Sprache?

"Si. Wer seid ihr? Warum bin ich hier? Was wollt ihr?", wollte Ezio wissen. Noch immer war er panisch, doch er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.

Die beiden Frauen sahen sich verdutzt an.

"Shaun, du kannst italienisch? Was sagt er?", fragten sie neugierig.

Doch der Mann winkte ab.

"Du bist hier in der Wirklichkeit. Erinnere dich, du bist Desmond Miles, nicht Ezio Auditore. Das hier ist nicht die Renaissance. Wir sind deine Freunde.", versuchte der Mann vorsichtig in einem freundlichen Ton zu erklären. "Ich bin Shaun."

Irgendetwas in ihm sagte Ezio, dass der Mann die Wahrheit sagte. Er sah an sich herunter - und erschrak erneut, als er auch sich in dieser eigenartigen Kluft sah. Doch langsam übernahm eine leise Stimme in seinem Kopf die Kontrolle und er wurde sich selbst wieder als Desmond bewusst.

"Was ist passiert? Warum hatte ich diese Einbildung?", fragte er, jedoch immer noch auf italienisch.

"Das ist der Sickereffekt. Desmond, schön, dich wieder hier zu wissen. Ich muss mich bei dir entschuldigen. Ich habe dich zu lange dem Animus 2.0 ausgesetzt. Das war unverantwortlich von mir.", entschuldigte sich Shaun, ebenfalls auf italienisch. Dann fügte er auf englisch hinzu: "Er ist wieder er selbst. Er muss nur noch die Sprache differenzieren, dann ist er wieder ganz der Alte."

Lucy und Rebecca atmeten erleichtert auf.

Doch Desmond sah Shaun verwundert an. Noch nie hatte dieser sich bei ihm für irgend etwas entschuldigt und schon gar nicht so direkt und ausführlich. Es schien ihm wohl wirklich Leid zu tun. Auch wenn die anderen die Entschuldigung nicht verstanden hatten, so war es für Desmond ein riesiger Schritt in Richtung einer Freundschaft. Vielleicht würde Shaun ja in Zukunft etwas offener und freundlicher zu ihm sein? Wer wusste das schon?

Er lächelte. Er würde es für sich behalten. Shaun wollte bestimmt nicht, dass die Frauen mitbekamen, dass er auch eine nette Seite zeigen konnte.

"Shaun, versprich mir, dass du ihn nicht mehr so lange drin lässt. Seine Werte haben schon einen kritischen Bereich angenommen.", bat Rebecca nun.

"Keine Sorge, Rebecca. Ich bin ein Assassine, wir sind zäh.", antwortete Desmond für Shaun und zwinkerte sie aufmunternd an.

Überrascht, dass er wieder englisch sprach und dann auch noch Shaun verteidigte, sahen ihn alle drei an. Dann lachten sie und Desmond stimmte freudig in das Lachen mit ein.

"Aber jetzt geh dich erst einmal ausruhen, wir machen morgen weiter.", sagte Lucy schließlich.

Desmond nickte und ging in Richtung seines Zimmers. Auf halben Wege wurde er von Shaun eingeholt.

"Nur noch eine Sache. Das nächste Mal, wenn du rein gehst... Vergiss nicht, wer du wirklich bist. Behalte immer einen klaren Kopf im Animus.", flüsterte er ihm zu und sah ihn eindringlich an. Dann verschwand er wieder hinter seinen Monitoren.

Was hatte diesen plötzlichen Sinneswandel in Shaun ausgelöst? Warum sorgte er sich auf einmal so um Desmond? Oder sorgte er sich einfach nur um das Projekt?

Jedenfalls hatte er eben wahrhaftig tiefe Besorgnis in Shauns Augen gesehen. Bisher war dort immer nur Platz für klatherzige Arbeitswut gewesen, die nur die Zahlen und Erfolge sah, nicht jedoch den Mensch und die Leiden, die dahinter steckten.

Was hatte ihm die Augen geöffnet? Tatsächlich sein kleiner Aussetzer, dank des Sickereffekts?

Kopfschüttelnd betrat er sein Zimmer und ließ sich auf die miefige Matraze sinken. Er legte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, während er die Decke anstarrte.

Und wieso konnte Shaun italienisch? War er jemals in Italien gewesen? Oder hatte er es als Kind gelernt? Doch seine Aussprache war ohne jeglichen Akzent. Es kam ihm so vor, als wäre es seine Muttersprache. Nur wie konnte das sein? Desmond wusste, dass Shaun in England aufgewachsen war. Auch seine Eltern waren, soweit er sagen konnte, nie in Italien gewesen.

Doch auf einmal schlich sich eine andere Frage in seine Gedanken. Warum war der Sickereffekt bei Ezio so stark, dass er sogar italienisch sprach, wenn er wieder aus dem Animus stieg? So weit er sich erinnern konnte, war das bei Altaïr nie so gewesen. Er konnte nicht einmal ein einziges arabisches Wort. Wieso konnte er dann fließend italienisch?

Doch ehe er über eine Antwort nachdenken konnte, hatte die Erschöpfung ihn eingeholt und er war in einen tiefen, traumlosen Schlaf gesunken.

Kapitel 2.2 - Der Held

"Ezio? Ezio, wo bist du?", drang die Stimme des kleinen Pietro aus seinem Zimmer. Er war wohl gerade erwacht. Pünktlich zum ersten Sonnenstrahl. Ezio schmunzelte und ließ sich vom Dach auf seine Fensterbank fallen.

"Ich bin hier. Gut geschlafen, Kleiner?"

"Ich hab dich gesucht, fra'!", rief der Junge schmollend aus. Ezios Atem stockte. "fra'?" Mit diesem einen kleinen Wort schwabbte eine riesige Flutwelle an Erinnerungen in ihm hoch und ein Kloß setzte sich in seinen Hals. Wie oft hatte Petruccio ihn so gerufen?

Eine einzelne Träne stieg Ezio in die Augen und er wischte sie schnell mit dem Handrücken fort.

"Warum nennst du mich so?", fragte er schließlich mit tonloser Stimme. Er konnte dem Kleinen nicht in die Augen sehen, nein, er konnte noch nicht einmal in dessen Richtung schauen. Zu große Angst hatte er vor dem, was er da sehen könnte. Dass es ihn wieder in die bodenlose Tiefe einer Depression werfen würde. Er war sich sicher, dass er das kein zweites Mal überstehen würde. Zwar hatte niemand bemerkt, dass Ezio mehrmals kurz davor war, sich das Leben zu nehmen, doch war es genau das, wohin ihn seine Verzweiflung fast geführt hätte. Nur der Gedanke an seine arme Mutter und Claudia und der Drang nach Rache hatten ihn davon abgehalten, einen Todessprung auszuführen - ohne den lebenswichtigen Heuwagen.

"Weil du genau das für mich bist.", erklärte der Junge mit solcher Überzeugung, dass es Ezio haltlos mitriss. Augenblicklich wurden die negativen Gefühle fort gefegt und ihm wurde warm ums Herz, es fühlte sich an, als wolle es schmelzen. Dabei pochte es so sehr, wie er es selten erlebt hatte. Wieder traten Tränen in seine Augen, doch dieses Mal waren es Freudentränen. Der Assassine konnte sich nicht helfen und spürte, wie seine Mundwinkel sich nach oben zogen, bis er über ebide Ohren strahlte.

"Du für mich auch, Kleiner. Du für mich auch."
 

Auch wenn er wusste, dass sie hier sicher waren, schaute Ezio sich unentwegt wachsam um, hielt die Augen offen nach Auffälligkeiten. Seit einer gefühlten Ewigkeit war Markt in Monteriggioni. Die kleinen, verwinkelten Gassen waren gesäumt mit Ständen und fahrenden Händlern, die lauthals ihre Waren anpriesen. Der schwere Duft von Gewürzen lag in der Luft, dazwischen waberten zahllose Parfums und Duftwässerchen, sowie der köstliche Geruch frisch gebackenen Brotes. Hier und da stand ein Barde oder eine Gruppe von Tänzern, die die Massen unterhielten, dort ein hübsches Blumenmädchen. Die Menschen drängten sich dicht an dicht durch die Straßen und erfreuten sich an den exotischen Kuriositäten, die der Markt zu bieten hatte.

Er hatte Pietro eine Hand auf die Schulter gelegt und lenkte den Kleinen vorsichtig durch die Menschenmenge. Der Junge weckte in ihm starke Beschützergefühle und so versuchte er ihn zu schützen, wenn er auch nicht genau wusste, gegen was. Dennoch war er in der Lage, den Einkaufsbummel zu genießen. Ja, der Kleine gab ihm ein unbeschwertes Gefühl und er hatte tatsächlich Spaß daran, von Stand zu Stand zu schlendern und sich die feil gebotenen Waren zu betrachten. Pietro, die Neugier in Person, zog ihn stets ungeduldig am Ärmel zum nächsten Stand, wenn er etwas entdeckt hatte, was sein Interesse weckte. Ezio lachte und ließ den Jungen gewähren. Die leuchtenden Augen des Kleinen machten ihn unvorstellbar glücklich.

"Woah, Ezio! Schau dir das mal an!", rief er begeistert aus und zerrte ihn schon zu einem Händler, der seine Ware auf einer großen, wollenen Decke auf dem Boden ausgebreitet hatte. Es handelte sich um kleinere Waffen und Rüstungsgegenstände. Alles war, wenn man dem Geschrei des Händlers trauen durfte, aus reinstem Stahl und an einem Stück geschmiedet, was es besonders widerstandsfähig machte. Pietro nahm einen Kampfdolch ehrfürchtig in beide Hände, die Schneide auf seiner linken Handfläche ruhend und bewunderte mit großen Augen die tödliche Klinge.

"Weißt du denn, wie man damit umgeht, Kleiner?", fragte Ezio ihn neckend. Natürlich wusste er es nicht. Seine Mutter hatte ihn bisher mit gutem Erfolg von solcherlei gefährlichen Gegenständen fern gehalten. Pietro sah ihn geknickt an.

"Nein. Leider weiß ich mit keiner Waffe umzugehen.", er legte den Dolch mit einem schwermütigen Seufzen wieder an seinen Platz.

Der Assassine warf dem Jungen einen prüfenden Seitenblick zu. Dieser schien in Gedanken immer noch der Stichwaffe hinterher zu trauern und bemerkte es nicht. Schließlich seufzte Ezio auf und wandte sich an den Händler.

"Wie viel kostet dieser hier?", wollte er wissen und deutete auf den von Pietro auserwählten Dolch. Der Junge schaute augenblicklich auf und sah seinen fra' mit riesigen, glänzenden Augen an.

"180 florini, signore", antwortete dieser in kaufmännischem Ton, jedoch ausgesprochen freundlich.

"Hm. Si. Und diese hier?", er deutete auf zwei Armschützer, die zwar recht leicht aussahen und gewiss nicht allzu viel auftrugen, aber dennoch ziemlich robust aussahen.

"Beide zusammen 300 florini, signore."

"Va bene. Dann nehme ich diese drei.", willigte der Auditore ein und reichte dem Händler, der schon die Hand ausstreckte, sein Geld.

"Fra', du bist der Beste!", quitschte der Junge und drückte sich im Versuche einer Umarmung fest an Ezios Körpermitte. Dieser lächelte und überreichte dem Kind den Dolch.

"Aber sei vorsichtig damit. Lass es in der Scheide, bis wir in der Villa sind. Dann werde ich dir beibringen, damit zu kämpfen", versprach Ezio und wuschelte Pietro durch die Haare, was dieser mit einem freudigen Lachen hinnahm.
 

Zurück in der Villa der Auditore forderte Pietro sofort Ezios Versprechen ein.

"Bitte! Zeig mir, wie ich damit kämpfen kann! Du hast es versprochen, fra'!"

Der Assassine lächelte nur und strich dem Jungen über den Kopf. Dann stand er auf und kniete sich vor seinen kleinen Bruder, der ungeduldig auf der Bank hin und her wippte.

"Immer schön langsam, immer mit der Ruhe. Alles kommt zu seiner Zeit. Als erstes musst du dich in Geduld üben -"

"Ich will mich aber nicht in Geduld üben! Du hast es versprochen, dass du mir zeigst, wie ich damit kämpfe!", unterbrach der Junge ihn und schmollte.

"Ich werde dir auch zeigen, wie du damit kämpfst. Aber bevor du anfangen kannst zu lernen, wie man eine Waffe führt, musst du erst einmal lernen, wie du dich selbst führst. Du kannst nicht erst rennen wollen, bevor du laufen kannst.", erklärte Ezio ihm ruhig. "Du musst erst dich unter Kontrolle haben, ehe du nach der Kontrolle über den Dolch trachtest. Sonst können schlimme Dinge geschehen. Verstehst du das?"

Der Junge nickte und gab klein bei.

"Ich werde tun, was Ihr von mir verlangt, Meister.", damit verbeugte er sich und Ezio hatte einen neuen Lehrling.
 

"Ezio, mein Junge, da seid Ihr ja! Ich habe schon nach Euch gesucht", rief Mario fröhlich aus und kam auf seinen Neffen zu. Dieser steckte gerade mitten im Training mit seinem "kleinen Bruder". Seit sie hier angekommen waren, waren die zwei quasi unzertrennlich gewesen. Es freute Mario für den jungen Auditore, dass er endlich wieder ein wenig hinaus ging und sich amüsierte, selbst wenn es auf andere Weise war, als er es erwartet hätte.

"Was gibt es, Onkel?", fragte Ezio und schnaufte tief durch. Er war außer Atem. Der kleine Junge hatte ihn ganz schön getriezt.

"Geht Euch ein wenig frisch machen und dann zieht Euch die neuen Sachen an, die ich Euch auf Euer Zimmer hab bringen lassen. Heute Abend werdet Ihr nicht darum herum kommen, Euch feiern zu lassen, nipote. Der Ruhm gebührt Euch, ebenso wie mein Dank. Und somit der Dank aller Bürger Monteriggionis."

"Onkel, muss das denn sein?", der Assassine war alles andere als begeistert von dieser Idee. Zwar liebte er Feiern und die Feiergesellschaften, doch hatte er im Moment keine rechte Lust dazu, im Mittelpunkt so vieler Leute zu stehen. Sein früheres Ich hatte stets die Aufmerksamkeit gesucht. Doch mit den Assassinenfähigkeiten erlangte er auch Bescheidenheit. Lieber würde er weiter mit Pietro üben, als für seine "Heldentat", die ihn kaum Mühe gekostet hatte, gerühmt zu werden.

"Ja, es muss sein. Und keine Widerrede mehr, Ihr braucht auch mal wieder feinste Gesellschaft, wenn Ihr versteht, was ich meine.", zwinkerte Mario seinem Neffen zu.

Ezio verstand.
 

Frisch gewaschen und in die feinen Kleider, die sein Onkel ihm geschenkt hatte, gehüllt, trat Ezio auf den Flur hinaus. Schon schlug ihm der Lärm der Feier entgegen, die bereits im Gange war. Er hörte schallendes Gelächter und ausgelassenen Gesang. Offensichtlich war schon eine gute Menge an Alkohol geflossen. Seufzend setzte er sich in Bewegung und schlenderte in die Richtung, aus der der Feierlärm ihm entgegen schwappte.

Noch einmal atmete er tief ein - und betrat die Höhle des Löwen. Der Saal war überflutet von Gestalten in feinen Gewändern, Menschen, die er kannte, ebenso wie solche, die er nicht kannte. Wobei zweitere eindeutig in der Überzahl waren. Etwas verloren stand er im Raum und suchte die Menge nach seinem Onkel ab. Ihm war bei all den Leuten nicht ganz wohl. Er sehnte sich nach der frischen Luft und der Freiheit, die er auf dem Dach des Nachts immer genoß.

Schließlich fand er seinen Onkel und schob sich durch die Massen zu ihm durch.

"Ah, Ezio! Willkommen! Macht es Euch bequem.", begrüßte ihn dieser, als er ihn sah und deutete auf einen großen, weißen Sessel neben ihm. Ezio ließ sich gehorsam hinein fallen und beobachtete die Menschen um ihn herum. Der Weil hatte Mario sich wieder seinem Gespräch mit einer fast schon erschreckend wirkenden Frau zugewandt. Ihr Gesicht verriet keine Regung und ließ sie damit älter aussehen, als sie es wohl in Wirklichkeit war. Steile Falten standen ihr auf der Stirn und ihre Lippen waren geschürzt. Es schien, als hätte die Dame schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gelacht.

Gedankenverloren wandte Ezio den Blick ab und ließ ihn im Raum umher schweifen, während er an dem Glas Wein nippte, welches ihm ein Diener gebracht hatte.

Nie würde er zu einem Weinkenner werden und nie würde er dieses Gesöff so hoch schätzen, wie es sein Onkel tat. Doch der Alkohol darin stieg ihm sofort in den Kopf und er fühlte sich leicht berauscht. Er liebte die Wirkung, wenn auch nicht den Geschmack des roten Saftes.

Plötzlich erblickte er mitten in der Masse ein Gesicht, welches sich sehr von den anderen abhob. Es war ein Mädchen, wohl kaum älter als siebzehn, allerhöchstens neunzehn, mit hellen Haaren und leuchtend blauen Augen. Ihre Gesichtszüge waren zart und weich und von solcher Ebenmäßigkeit, wie sie Ezio noch nie zuvor erschaut hatte.

Er konnte es nicht anders definieren: er war hin und weg von dem Anblick.

Leichtfüßig stand er auf und ging auf sie zu. Noch hatte sie ihn nicht bemerkt. Er schlich sich hinter sie und flüsterte ganz nah bei ihrem Ohr:

"Welch liebreizender Anblick, signorina. Dürfte ich erfahren, wer Ihr seid?"

Sie zuckte leicht zusammen, antwortete dann aber, ohne sich zu ihm umzudrehen:

"Nein, das dürft Ihr nicht. Ich bitte Euch nun, mich in Frieden zu lassen, bevor ich den Gastgeber bitte, Euch entfernen zu lassen."

Ihre Stimme war leise, aber dennoch fest und kühl. Ezio war leicht überrascht. Nicht oft erlebte er es, abgewiesen zu werden. Um ehrlich zu sein, war dies das erste Mal. Doch schon hatte er die Fassung wieder erlangt und grinste, während er sich neben die signorina stellte und in die gleiche Richtung blickte, wie sie.

"Nun, signorina, ich befürchte, Ihr könnt nicht auf den Gastgeber hoffen. Ich werde mich wohl kaum selbst hinaus werfen."

Jetzt sah sie halb überrascht, halb erschrocken zu ihm hinüber und ihre Augen weiteten sich.

"Ser Ezio! Mi dispiace. Ich hielt euch für jemand anderes."

Der Assassine nickte verständnisvoll. Nach einer kleinen Weile fragte er dann:

"Nun? Darf ich erfahren, wer Ihr seid?"

"Oh, natürlich. Wie unhöflich von mir. Mein Name ist Lucia di Vermont. Ich bin höchst erfreut, Euch kennen zu lernen. Ich habe schon viel von Euch gehört", stellte sie sich vor. "Ihr seid ein Retter der Armen und ein Richter der Verdorbenen."

Ezio lachte laut auf.

"Nun, so würde ich es jetzt nicht ausdrücken, aber wie Ihr meint. Lucia. Ein schöner Name."

Er schaute ihr lange und tief in die Augen und bemerkte zu seiner Zufriedenheit, dass Lucia errötete. Ein scheues Lächeln glitt über ihre Lippen und sie senkte leicht den Kopf.

"Grazie. Ich wurde nach meiner Großmutter benannt, zu ihrem Andenken."

Sie wandte sich ab und beobachtete die anderen Gäste. Ezio erkannte dieses überdeutliche Zeichen und wechselte das Thema.

"Was verschlägt Euch auf diese Feier?"

"Euer Onkel Mario gab mir eine persönliche Einladung. Ich wunderte mich auch, da ich mir nicht vorstellen konnte, wie ich zu dieser Ehre kam. Doch er meinte nur, es wäre eine Ehre für ihn, wenn ich erscheinen würde. Nun, hier bin ich."

So war das also. Onkel Mario hatte dafür gesorgt, dass dieses hübsche Mädchen hier auftauchte und Ezio sollte darauf herein fallen. Er lächelte.

Nun, er würde Lucia gewiss nicht von der Bettkante stoßen, würde es soweit kommen. Doch für's Erste sollte eine gepflegte Konversation reichen.
 

Der Wein hatte Ezio bis Weilen den Verstand vernebelt und er nahm seine Umgebung nur noch verschwommen wahr. Doch ganz deutlich spürte er den warmen Körper, der sich in der Dunkelheit seines Zimmers an ihn schmiegte. Lucia. Er spürte ihren heißen Atem an seinen Hals und Verlangen erwachte in ihm.

Er strich mit seinen Fingern die Konturen ihres schlanken Körpers nach, was sie wohlig aufseufzen ließ. Lucia legte ihre Lippen auf die seinen und stahl ihm einen Kuss. Ezio ließ sich darauf ein und erwiderte die zärtliche Berührung, ehe er den Kuss vertiefte, leidenschaftlicher, fordernder wurde. Er knabberte an ihrer Unterlippe und leckte dann kurz darüber, um Einlass zu fordern, welcher ihm auch sofort gewährt wurde.

Er löste den Kuss erst, als ihm schwindelig wurde und er Luft holen musste. Das hübsche Mädchen in seinem Bett lächelte ihn an. Zwar war es zu dunkel, als dass er es tatsächlich hätte sehen können, aber er spürte es ganz deutlich. Er bemerkte, wie sich eine Hand sanft streichelnd an seiner Seite entlang nach unten tastete und ihm lief eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Als Lucia bei seiner Hose angekommen war, ließ sie ihre Hand darin verschwinden und Ezio spürte, wie sie ihm über seine Erregung strich.

Überrascht sah er sie an. So viel Mut hätte er ihr gar nicht zugetraut. Aber es gefiel ihm.

Wieder verwickelte er sie in einen leidenschaftlichen Kuss und stöhnte auf, als sie ihn zu massieren begann.
 

Lucia stöhnte laut auf, als er ein letztes Mal in sie stieß und krallte ihre Finger in seinen Rücken. Auch Ezio stöhnte auf, als die Erleichterung kam.

"Mein Held.", seufzte Lucia, als er sich neben sie in die Kissen sinken ließ. Er lächelte, ehe er erschöpft einschlief.

Zwischenkapitel - Wer bin ich?

Desmond wachte auf. Er brauchte erst ein paar Minuten, ehe ihm bewusst wurde, dass er sich nicht im Animus befand.

Wie war das möglich, dass er außerhalb des Animus die Erinnerungen von Ezio in sich gespürt hatte? War es nur ein Traum gewesen? Doch so real? Wie lange war er weg gewesen?

Es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor.

Langsam setzte er sich auf - und hielt sich den Kopf. Ohne Vorwarnung hatten extreme Schmerzen eingesetzt. Ihm wurde schummrig vor Augen und er musste sich mit den Händen am Bett festhalten, um nicht umzufallen.

Leise schob sich die Tür auf und Lucy steckte den Kopf ins Zimmer.

"Hey, Desmond. Alles klar? Schön, dass du wach bist."

Ihre Stimme war freundlich wie immer. Doch er hörte die Besorgnis darin mehr als deutlich.

"Ja, danke. Mir geht es gut. Nur wieder Kopfschmerzen."

"Oh, okay. Dann sage ich Shaun Bescheid, dass wir heute noch einmal eine Pause für dich einlegen...", sie wollte sich schon zum Gehen wenden, als Desmond sie zurück rief.

"Warte! Es geht schon. Ich weiß, wie wichtig es ist, dass wir weiter kommen."

"Ja, schon, aber es nützt uns nichts, wenn du durch den Animus verrückt wirst, oder noch schlimmeres. Lass es langsam angehen, okay?", ihre Stimme war wirklich besorgt.

Was sie in Sorge um ihn? Oder um das Projekt?

"Ich denke, eine Stunde werde ich mir schon zumuten können. Sag Shaun, ich komme gleich."

Sie zögerte kurz, nickte dann aber und schon war der Kopf wieder verschwunden.

Seine Gedanken kehrten zu seinem "Traum" zurück.

Wie war das möglich? Hatte er tatsächlich einen Weg gefunden, auf Ezios Erinnerungen außerhalb des Animus zurück zu greifen? Oder hatte er einfach nur geträumt, weil ihn das alles so sehr beschäftigte?

"Desmond!"

Das war Shaun. Er würde darüber nachdenken müssen. Jedoch später. Jetzt musste er erst einmal eine weitere Sitzung im Animus abhalten. Und dann würde er ja sehen, ob er das alles nur geträumt hatte, oder ob es wahre Erinnerungen waren.

Vorsichtig erhob er sich von der miefigen Matraze und schlurfte in Richtung des großen Raumes, in dessen Mitte das Monstrum stand.

"Guten Morgen.", begrüßte er die drei Wissenschaftler.

"'Guten Morgen' ist gut! Hast du vielleicht mal auf die Uhr geschaut? Wir können schon bald wieder schlafen gehen!", maulte Shaun mal wieder herum.

Sofort schaltete sich Rebecca dazwischen:

"Hey, Shaun, lass gut sein. Er ist fertig. Sowohl nervlich, wie auch körperlich. Er geht ja schon bis an seine Grenzen."

"Ja, nur leider reichen seine Grenzen eben nicht aus!", zischte Shaun, ehe er sich wieder an seine Monitore wandte.

Ohne ein weiteres Wort stieg Desmond in den Animus.

Mit einem Zwinkern stöpselte Rebecca ihn an und lud das Programm. Ein kleiner, gläserner Bildschirm glitt vor Desmonds Gesicht. Egal, wie oft er das jetzt schon gemacht hatte, ihm wurde jedesmal mulmig dabei. Ihm gefiel das alles ganz und gar nicht. Aber hatte er denn eine Wahl?

Schon verschwamm die Umgebung um ihn herum und er stand in gleißendem Weiß. Geduldig wartete er, dass sich die Gebäude der Renaissance aufbauten, die Menschen initialisiert wurden und Geräusche und Gerüche eingespielt wurden.

Doch es passierte nichts.

"Was ist denn los?", fragte er unsicher.

"Nichts, was wir nicht beheben können", antwortete Rebecca von irgendwo her. "Nur ein kleiner, technischer Fehler..."

"Hier klappt aber auch gar nichts!"

Das war Shaun. Er gab höchst wahrscheinlich wieder Desmond die Schuld für den Deffekt.

"Ich kann die Erinnerung nicht laden, sie scheint durch irgendetwas blockiert zu sein...", berichtete Rebecca.

Plötzlich kam Bewegung in die Map und die virtuelle Welt baute sich rund um Desmond auf. Erst die Grundstruktur, dann immer mehr Details.

Doch schon schnell bemerkte Desmond, dass er nicht in Monteriggioni war. Er war auch nicht in Venedig, oder sonst wo in Italien.

Er war in Masyaf.

"Was ist passiert?", erkundigte sich Lucy.

"Ich habe nichts gemacht!", rief Rebecca aus.

"Na das ist ja ganz toll. Dann mach JETZT etwas!", schrie Shaun sie schon fast an.

"Leute, warum bin ich in Masyaf?", fragte Desmond verwirrt.

Es war ungewohnt, wieder Altaïr zu sein. Jede Bewegung fühlte sich falsch an. Und sein rechter Ringfinger fehlte. Unbeholfen taumelte er einige Schritte in dem fremden Körper vorwärts und sah sich um.

Vor ihm stieg der steile Weg zur Burg von Masyaf auf. Es waren nur wenige Menschen unterwegs. Wie seltsam es war, wieder die alten Gewänder der Araber zu sehen. Der Mond wollte gerade aufgehen, es wurde schon dunkel. Plötzlich hörte Desmond ein leises Pfeifen. Seine Assassinensinne schärften sich instinktiv und nach ein paar weiteren Atemzügen war er wieder voll und ganz Altaïr.

Aufmerksam folgte er dem Pfeifen. Es kam aus einem Busch hinter der letzten Häuserreihe. Dahinter fiel die Schlucht mehrere hundert Fuß steil ab und endete in einem reißenden Fluss, dessen wildes Wasser durch den Wind heute extrem aufgepeitscht war.

Er wusste, wer da hinter dem Busch saß und ihn zu sich lockte.

"Malik."

"Altaïr. Schön, dass du gekommen bist."

"Es ist sinnlos, ich kann nichts dagegen machen. Es ist Desmond selbst, der es steuert!", rief eine fremde, körperlose Stimme irgendwo schräg über Altaïr.

Altaïr lächelte sein kaum wahrnehmbares Lächeln. Malik hatte sich inzwischen daran gewöhnt und registrierte es.

"Freut mich, dich lächeln zu sehen. Es ist ein seltenes Geschenk deinerseits an die Welt."

"Ich lächle nur so wenig, weil nur wenig Dinge im Leben es verdienen."

Jetzt lächelte auch Malik. Er hatte seine Andeutung verstanden.

"So, weshalb hast du mich hergelockt?", fragte Altaïr schließlich und sah in die braunen Augen seines Gegenübers.

"Nur so."

"Das gibt es nicht, 'Nur so'. Du musst einen Grund gehabt haben."

Malik wich seinem Blick aus.

"Ich wollte dich sehen", nuschelte er schließlich in den pfeifenden Wind, sodass Altaïr es fast nicht verstanden hätte. Verlegen schaute Malik zum aufgehenden Mond und versuchte die leichte Röte zu verbergen, die ihm ins Gesicht stieg.

Altaïr trat einen Schritt näher auf den Rafiq zu, verweilte kurz regungslos, ehe er sich dann ins Gras setzte und in die Ferne schaute.

Malik sah ihn kurz an und setzte sich dann neben ihn. Der Assassine seufzte und sagte ruhig:

"Nun, ich bin hier."

Mit diesen Worten lehnte er sich zurück ins weiche Gras, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und betrachtete die Sterne, die einer nach dem anderen langsam erschienen.

Auch der Rafiq legte sich ins Gras, beobachtete jedoch nicht die Sterne, sondern seinen Freund.

"Nur, wie lange wirst du bleiben?", fast gedankenverloren sprach er diese Worte, ohne es selbst zu realisieren.

"So lange du willst.", antwortete Altaïr dennoch auf die Frage. Jetzt schaute auch er zu Malik.

"DESYNCHRONISATION WIRD EINGELEITET", warnte eine blecherne Stimme, irgendwo in Altaïrs Kopf, so laut, dass sie alles übertönte. Dennoch schien Malik nichts davon bemerkt zu haben. Der Assassine schaute sich verwirrt um. Seine Umgebung verlor an Kontrasten und Farbe, alles verschwamm vor seinen Augen, bis es schließlich eine einzige weiße Fläche zu sein schien. Erschrocken sah er auf die Stelle, wo bis eben noch Malik gelegen hatte.

Er war auch verschwunden.

"Was für ein Zauber ist das?!", rief er mit fester Stimme aus. Selbst wenn er innerlich vor Panik bebte, so ließ er sich von außen doch nichts anmerken. Die Templer sollten nicht sehen, dass er von Angst erfüllt war! Er war der Adler Masyafs!

Doch er bekam keine Antwort. Stattdessen drang ihm ein stechender Schmerz in den Kopf und er musste sich, diesen haltend, davon in die Knie zwingen lassen.

Er kniff die Augen zusammen, um den Schmerz erträglicher zu machen. Doch es half nicht viel. Er spürte eine Veränderung des Lichts um ihn herum, an der Kulisse und des Geruches. Doch die stärkste Veränderung nahm er an sich selbst wahr. Seine Hand hatte aufgehört stetig zu pochen und er war überrascht, wieder 10 Finger zu spüren. Dafür hörten die Kopfschmerzen nicht mehr auf. Aber auch sein "Fühlen" hatte sich verändert. Altaïr konnte es nicht beschreiben, aber er fühlte sich nicht mehr wie er selbst.

Als er um sich herum des regen Treibens eines Marktplatzes gewahr wurde, öffnete er langsam die Augen.

Dies war nicht mehr Masyaf. Er war nicht mehr Altaïr.

Mit diesen Gedanken ließen die stechenden Schmerzen in seinem Kopf ein wenig nach, sodass er immerhin wieder klar Denken konnte.

Er war Ezio Auditore. Natürlich war er Ezio. Wer denn auch sonst?

"Okay, Desmond. Wir haben es geschafft. Nun lass uns starten!", rief eine Stimme in seinem maletrieten Kopf. Erschrocken fuhr er zusammen.

Kapitel 3 - Besuch

Ezio sah sich um und versuchte, sich zu orientieren. Er war in Venedig, nicht weit entfernt von dem Künstlerviertel, in dem Leonardo zur Zeit wohnte. Die Sonne stand schon recht tief am Horizont, es war wohl schon nach 17 Uhr. Die Straßen leerten sich allmählich und der Lärm nahm ab. Schnell tastete der Assassine seine Waffen ab, um sich zu vergewissern, dass alle an ihrem Platz waren. Zufrieden lächelte er.

"Was ist los, fra'? Stimmt etwas nicht?", erklang eine besorgte Kinderstimme neben ihm.

Erstaunt sah er hinab. Pietro stand an seiner Seite und die großen Augen sahen ihn an. Er hatte vollkommen vergessen, dass der Junge bei ihm war. Beruhigend lächelte er ihm zu.

"Nein, nein. Keine Sorge. Es ist alles in Ordnung. Wir kommen bald zu einem sehr guten Freund von mir. Du wirst ihn mögen, denke ich."

Augenblicklich heiterte sich die Miene des Kleinen auf. Gespannt schaute er sich um.

"Hier im Künstlerviertel? Dann kennst du einen echten Künstler?", fragte er begeistert. Jetzt hatte Ezio Schwierigkeiten, den Jungen an seiner Seite zu halten. Vorsichtshalber ergriff er dessen Hand, um ihn zurückzuhalten. Ansonsten wäre Pietro wohl vor lauter Neugier fortgelaufen und hätte sich vermutlich verirrt.

"Ja, und sogar einen der berühmtesten", lachte der junge Auditore über den jugendlichen Übermut.

"Wirklich? Wer ist es? Bitte, bitte! Ich möchte es wissen!", quengelte der Junge.

Doch der Assassine lachte nur und ging wortlos auf eine doch etwas unscheinbar wirkende Tür zu. So gut er seinen Freund auch kannte, fand er doch, dass diese langweiligen Bretter nicht zu dem quirligen Mann passten.

Mit innerer Unruhe und einer kindlichen Vorfreude klopfte er an die Tür. Es war schon lange her, dass er einmal nicht als Assassine hier her kam und er keine Kodex-Seite oder kaputte Klinge für Leonardo hatte. Pietro hielt sich dicht hinter Ezio und klammerte sich an dessen Gewänder. Mit erwartungsvoll großen Augen wartete er, wer nun diese Tür öffnen würde.

Einige Augenblicke lang geschag nichts.

Endlich jedoch wurde die Tür aufgezogen und ein gutgekleideter, schlanker Mann stand vor ihnen, mit blonden Haaren, darauf eine Künstlermütze, fein gestutzem Bart und aufgetragenem Duftwasser. Die Miene des Künstlers erstrahlte, als er seinen alten Freund vor sich stehen sah.

"Ezio! Amico mio! Lange, viel zu lange Zeit ist vergangen!", seine Stimme überschlug sich vor Freude förmlich.

"Leonardo."

"Wie geht es Euch? Ich freue mich ja so, Euch zu sehen! Aber wo bleiben meine Manieren? Kommt herein, kommt herein!"

Leonardo hatte sich kein bisschen verändert. Noch immer redete er viel zu viel. Ezio schmunzelte in sich hinein. Da spürte er ein leichtes Ziehen an seinem Ärmel und er nickte.

"Amico mio, darf ich dir vorstellen?", er zog den Jungen vor sich und legte ihm beide Hände auf die Schultern, "Das ist Pietro. Er ist der Sohn des besten Freundes meines Onkels. Und ein wahrer Quelgeist."

Der Junge lief knallrot an und blickte verlegen zu Boden. Doch Ezio lachte nur.

Leonardo ging in die Knie und fing Pietros Blick ein. Er hielt ihm eine Hand entgegen.

"Sehr erfreut, kleiner Pietro. Auch du bist herzlich willkommen! Jeder Freund von Ezio ist auch mein Freund."

"Fra'!", rief er jetzt frech aus und sah Leonardo mit funkelnden Augen an.

"Wie bitte?", fragte dieser verdutzt und schaute zu Ezio auf.

Dieser nickte zustimmend.

"Ja, das stimmt. Er ist mein kleiner fratellino. Und mein Lehrling.", erklärte er.

Jetzt sah der Künstler Pietro wieder in die Augen.

"Na, wenn das so ist, dann bist du ja ein Ehrengast hier in diesem Haus!", rief er lächelnd aus und wuschelte dem Jungen durch die Haare. "Aber nun kommt herein! Ich setze schnell Tee auf!"

Damit war er auch schon aufgestanden und verschwand in seiner Werkstatt. Pietro schaute fragend zu Ezio auf. Der Assassine nickte nur und schob den Kleinen hinter Leonardo her. Doch mitten im Raum blieb er verdutzt stehen. Er erkannte das Atelier nicht wieder. Er war es von dem Künstler gewohnt, dass überall das organisierte Chaos herrschte. Pergamente über Pergamente, Bücher, aufgeschlagen, auf dem Boden, den Tischen, Stühlen, einfach überall. Unzählige kleine Modelle von Dingen, die den Wissenschaftler in Leonardo faszinierten, Flaschen, mit seltsamen, in Flüssigkeit eingelegten Dingen, Pläne, die an Wände gepinnt waren, auf dem Boden oder über Staffeleien lagen. Und natürlich die Gemälde, die meisten noch unvollendet. Das war Leonardo, wie er ihn kannte.

Doch das hatte mit dem jetzigen Atelier wenig gemein. Alles war aufgeräumt, fein säuberlich an seinem Platz, Bücher waren gestapelt und sortiert, alle Utensilien in dafür vorgesehenen Behältnissen. Ezio sah zum ersten Mal freien Platz auf den Tischen und konnte gefahrlos durch den Raum schreiten.

Fassungslos starrte er Leonardo an, der in der Küche stand und einen Teekessel aufsetzte.

"Sagt, amico, was ist hier geschehen?", fragte er kopfschüttelnd.

Klucksend drehte sich der Künstler um und sagte: "Oh, ich hab einen neuen Assistenten."

Das reichte ihm wohl als Erklärung, denn es sah nicht so aus, als ob er noch etwas hinzufügen wollte. Stattdessen hörte Ezio, wie hinter ihm jemand den Raum betrat. Er drehte sich um und erblickte einen wunderschönen Jüngling, mit Haaren, so hell wie Sonnenstrahlen und haselnussfarbene Augen. Er wirkte schüchtern und hielt sich am Türrahmen fest, als er kaum hörbar fragte: "Kann ich euch behilflich sein?"

Ezio stockte. Er war zu fasziniert von dieser Engelserscheinung, um einen vernünftigen Gedanken zu formen.

"Das ist Innocento.", stellte Leonardo den Jungen vor. In dem Moment trat ein zweiter Junge neben den ersten, Innocento. "Ah, und Agniolo kennst du ja bereits."

In der Tat kam der Junge ihm bekannt vor, mit seinen dunklen Locken. Er nickte leicht zum Gruß und wandte sich wieder Leonardo zu.

"Die Geschäfte laufen gut, wie es scheint?"

"Ja, kann man so sagen. Die Leute haben mein Talent schätzen gelernt...", lachte der Künstler und seufzte. Irgendwie wirkte er zugleich glücklich, wie auch unendlich traurig. Es war seltsam.

"Ist etwas nicht in Ordnung, Leonardo?", fragte er besorgt und legte die Stirn in Falten.

Dieser warf einen kurzen Blick auf die drei Kinder im Raum, ehe er den Kopf schüttelte und sagte: "Nein, es ist nichts."

Doch Ezio konnte es seinem Freund ansehen, dass es nicht stimmte.

Ohne den Blick von dem Künstler zu wenden, bat er dessen Assistenten: "Agniolo, Innocento, würdet ihr mir einen Gefallen tun? Mein kleiner Bruder hier, Pietro. Er bewundert Künstler in höchstem Maße. Und ich habe von eurem maestro erfahren, dass ihr beide euch wohl recht gut anstellt. Würde es euch etwas ausmachen, dem Kleinen etwas zu zeigen? Vielleicht könnt ihr ihm ja etwas beibringen?"

Aus den Augenwinkeln sah er, wie beide nickten und sich dem freudig quietschenden Pietro annahmen.

Als sie außer Hörweite waren, sagte er schließlich: "Gehen wir."

"Wohin denn?", fragte Leonardo überrascht.

Aber Ezio war schon auf dem Weg in Leonardos kleines Privatzimmer. Es war nicht das erste Mal, dass er diesen Raum betrat. Vor einiger Zeit, als er noch vorübergehend hier in Venedig gelebt hatte, war er von einer Mission schwer verwundet zurück gekommen und hatte bei Leonardo Zuflucht gesucht. Dieser hatte sich seiner Wunden angenommen und ihn daraufhin zur Genesung in das eigene Bett gesteckt, während er mit der Couch vor dem Kamin Vorlieb genommen hatte. Ezio hatte sich nie richtig dafür bedankt, wie ihm jetzt bewusst wurde.

Seufzend ließ er sich auf die Bettkante sinken und wartete auf seinen Freund, dass er ihm folgen würde. Es dauerte zwar einige Augenblicke, aber dann stand dieser wie gewünscht im Zimmer und schloss unsicher die Tür hinter sich.

"So, und nun erzählt mir, was Euch bedrückt. Ihr könnt mir nicht weiß machen, dass nichts ist. Ich sehe es Euch an!", forderte der Assassine.

Leonardo atmete tief durch und ließ sich resigniert neben seinen Freund fallen.

"Ihr habt ja recht. Nur, wo soll ich anfangen?", gab er zu. "Ich weiß es nicht. Eigentlich sollte ich der glücklichste Mensch auf dieser Erde sein. Mein Geschäft läuft gut, die Aufträge häufen sich auf meinem Schreibtisch. An florini fehlt es mir also nicht. Ich habe zwei ausgesprochen begabte Lehrlinge, die auch noch gehorsam sind und ihren maestro stolz machen. Was will ein Künstler mehr? Auch der Wissenschaftler in mir kommt zu Befriedigung: Der Doge hat Gefallen an meinen Erfindungen gefunden und gestattet mir freien Handelsraum. Er finanziert meine Forschungen und unterstützt meinen Wissensdurst. Ihr erinnert Euch? Ich will wissen, wie die Dinge funktionieren. Dank dem Dogen ist es mir nun möglich, so viel wie möglich herauszufinden. Und er bezieht seinen Nutzen daraus. Ich entwerfe Waffen, Kriegsmaschinen und dergleichen. Und genau hier liegt das Problem. Ich bin mit mir selbst in Zwietracht. Ich verabscheue Blutvergießen und Töten. Und doch bin ich es, der all die Gerätschaften dazu entwirft! Ich fühle mich als Mörder, Ezio!"

Nun hatte der Künstler Tränen in den Augen und sah aus, als würde er jeden Moment zusammen brechen. Ezio legte ihm eine Hand auf die Schulter.

"Nicht doch, mein Freund. Ihr seid kein Mörder. Der bin ich. Ich führe den tödlichen Stoß aus. Ihr verfolgt lediglich euren Forscherdrang. Daran ist nichts Verwerfliches. Ihr könntet niemals jemandem ein Leid zu fügen. Ihr seid viel zu sanftmütig für solche Gräueltaten."

Jetzt rann die erste Träne seine Wange hinab. Er senkte den Kopf und begann am ganzen Körper zu zittern.

"Und doch verhindere ich nicht, dass sie meine Maschinen benutzen. Ich lasse die Unschuldigen sterben!", rief er bitterlich aus. Er sah nun Ezio direkt in die Augen und der Assassine sah den tiefen Schmerz darin. Nie hätte er gedacht, dass jemand so sehr leiden konnte. Sanft zog er den Künstler zu sich heran und umarmte ihn tröstlich. Leonardo ließ es geschehen und schmiegte sich an seine Brust. Ezio strich ihm beruhigend über Kopf und Rücken und murmelte ihm leise Trost spendende Worte zu.
 

"So, nun sagt mir aber, was verschafft mir die Ehre Eures Besuches?", wollte Leonardo wissen. Er hatte sich endlich wieder gefasst und nun war es ihm peinlich, sich Ezio gegenüber so schwach gezeigt zu haben. Wann immer der Assassine in seine Richtung schaute, wandte dieser den Blick schnell anderswo hin. Und ein leichter Rotschimmer lag die gesamte Zeit über auf seinen Wangen.

"Darf ich Euch nicht auch einmal ohne Grund besuchen?", stellte Ezio die Gegenfrage.

"Nun ... schon, aber bisher kamt Ihr nur vorbei, wenn Eure Klinge zerbrochen ist, Ihr eine Kodex-Seite gefunden habt oder Ihr Rat von mir brauchtet. Und ebenso schnell wie Ihr gekommen wart, wart Ihr auch schon wieder fort. Ich konnte Euch nur selten überreden, zu einem Tee zu bleiben."

"Mein Onkel meinte, ich solle mir ein paar Tage Auszeit nehmen, damit ich mich nicht übernehme. Als ob das passieren würde. Aber im Moment müssen wir auf Informationen unserer Späher warten. Und ohne diese Informationen können wir ohnehin nichts ausrichten. Daher dachte ich mir, ich zeige meinem Lehrling mal venezia - und besuche einen alten Freund.", erklärte der junge Auditore.

Ein Lächeln stahl sich auf Leonardos Gesicht. Er freute sich offensichtlich sehr über den unerwarteten Besuch. Und nun war auch das Gespräch von zuvor vergessen.

"Nun, wenn das so ist, dann lasst mich Euch recht herzlich als meinen Gast willkommen heißen. Wie lange gedenkt Ihr zu bleiben?"

"Oh, nicht doch. Pietro und ich werden uns ein Zimmer in einem Gasthaus nehmen..."

"Warum Geld ausgeben, wenn euch hier kostenlos ein Zimmer zur Verfügung steht?", hielt der Künstler dagegen.

"Also am Geld soll es nun wirklich nicht liegen, davon hat unsere Familie auch heute noch genug", lachte Ezio. Aber als er den enttäuschten Blick seines Freundes sah, lenkte er ein. "Aber wenn es Euch so viel bedeutet, bleiben wir hier. Wenn wir uns auch wirklich nicht aufdrängen."

Jetzt war Leonardo wie ein kleines Kind, dass sich über einen Lolli freut.

Ezio fühlte sich geschlagen. Wie konnte er einem solchen Gesicht nur einen Wunsch abschlagen?

"Mit Nichten. Also werde ich den Jungen gleich auftragen, das Gästezimmer für euch herzurichten.", gab er vergnügt zurück und eilte schon in Richtung Tür davon.

Der Assassine schüttelte sprachlos den Kopf. Der Künstler hatte sich wirklich kein bisschen verändert. Noch immer war seine Gastfreundschaft grenzenlos und sein heiteres Gemüt steckte zwangsläufig an.
 

Aufmerksam schaute Ezio sich in dem kleinen Gastzimmer um. Zu beiden Seiten stand jeweils ein Bett an der Wand, dazwischen ein kleines Tischchen. Neben der Tür war eine Kommode aus Eichenholz und eisenbeschlagenen Griffen, die ein wenig wackelig da stand, da ein Bein kürzer war, als die anderen. Darüber hing ein großer, alter Spiegel, der in den Ecken schon langsam erblindete.

An der Stirnseite des Raumes war ein Fenster eingelassen, welches auf den Innenhof führte. Ezio konnte einen großen Baum ausmachen, dessen auslandende Äste bis zu der Hauswand reichten. Sollte er flüchten müssen, wäre dies ein leichtes.

Pietro hielt sich hinter Ezio, klammerte sich an dessen Arm und lugte um ihn herum in das Zimmer.

"Wollten wir nicht in einem Gasthaus übernachten?", fragte er kleinlaut.

"Leonardo ist ein sehr guter Freund von mir und besteht darauf, dass wir bleiben. Das können wir ihm unmöglich ausschlagen. Und du hast dich doch auch schon mit den beiden Jungen angefreundet, oder nicht?", erklärte der Assassine.

Er spürte an seinem Arm, dass der Kleine nickte.

"Na also. Und morgen zeige ich dir dann die Stadt, was hältst du davon?", lächelte er Pietro aufmunternd an.

Jetzt tänzelte der Junge wieder freudig an ihm vorbei ins Zimmer und ließ sich auf das linke Bett fallen. Ezio musste schmunzeln. Diese jugendliche Leichtigkeit!

Pietro schaute sich mit glänzenden Augen in dem kleinen Raum um und man konnte ihm die Ungeduld förmlich ansehen. Er wollte am liebsten gleich mit der Stadttour beginnen. Doch hielt er sich an das, was der Assassine ihm in all den Lehrstunden beigebracht hatte und quengelte nicht.

"Wartest du hier auf mich? Ich muss noch etwas mit Leonardo besprechen."

Der Kleine nickte eifrig und schon war Ezio vergessen. Pietro packte sein Kopfkissen, um dieses Ungeheuer zu bekämpfen.

Schmunzelnd drehte sich der Auditore um und suchte nach Leonardo.

Kapitel 3.2 - Schöne Aussichten und Schlechte Nachrichten

Nach einem, wie Ezio fand, viel zu aufwendigen Abendessen, welches von Leonardo höchstpersönlich zubereitet worden war, hielt der Assassine sein Versprechen ein und führte den kleinen Pietro durch Venedig. Der Junge kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Mit riesigen, glänzenden Augen und weit geöffnetem Mund lief er hinter Ezio her, schaute nach links, nach rechts und ließ sich von jeder Kleinigkeit ablenken. Der Auditore hatte alle Mühe, den Kleinen nicht zu verlieren, da er immer wieder stehen blieb. Inzwischen war Dunkelheit über die Stadt hereingebrochen und die Straßen wurden von dem gelblich schummrigen Licht der Laternen schwach erleuchtet. Die größeren Straßen waren durch die Beleuchtung der Läden und Hauseingänge hell genug, doch die kleineren Seitengassen lagen im düsteren Zwielicht.

Wäre Ezio nicht mit der Diebesgilde dieser Stadt im Bunde, würde er es nicht wagen, diese verwinkelten, leeren Straßen mit dem Jungen zu durchqueren, aus Angst, überfallen zu werden.

„Wenn du venezia so schon für bestaunenswert hältst, dann musst du diese Stadt erst einmal bei carnevale erleben. Alles ist geschmückt, Künstler von nah und fern drängen sich auf jeder Straße, fahrende Händler bieten ihre Waren feil, jeder trägt wunderbar verzierte Masken und es liegt eine allgemein fröhliche Stimmung in der Luft. Der Gestank der Kanäle wird fast vollständig von den verschiedensten Gerüchen aus fernen Ländern überlagert und alle Menschen feiern. Es ist einfach wundervoll zu dieser Zeit hier.", schwärmte Ezio dem Jungen vor.

Staunend drehte dieser sich im Kreis und versuchte sich das Bild jenes Venedigs vorzustellen, welches sein Meister vor seinem inneren Auge hervor gerufen hatte. Dabei stolperte er über einen hervorstehenden Stein der Straße und wäre gestürzt, hätte Ezio ihn nicht abgefangen. Tadelnd sah er seinen kleinen Bruder an.

„Du solltest besser aufpassen. Wenn du deine Umgebung nicht im Auge behältst, wirst du zur leichten Beute deiner Verfolger. Du musst Eins werden mit deiner Umgebung, nutze sie aus!"

Eifrig nickte der Junge, dankbar für die neue Lektion. Er war wirklich ein guter Lehrling. Ezio hoffte nur, dass er seine Ratschläge auch beherzigte und sie nicht alsbald wieder vergaß.

Er führte Pietro um eine Straßenecke herum und grinste, als der Kleine erstaunt ausrief: „Wow, wie schön!"

Lachend ging er um seinen kleinen Bruder herum auf die riesige Brücke zu, breitete die Arme aus und drehte sich beim sprechen um: „Und hier befinden wir uns auf der Rialto Brücke. Von hier aus hat man einen wunderbaren Blick über den canale grande - und zu dieser Zeit auch auf den Mond."

Der Junge, unfähig ein Wort heraus zu bringen, schloss zu Ezio auf und hielt sich wieder an dessen Arm fest, als würde er ohne diese Stütze bald umkippen.

„Und von hier aus ist es auch nicht weit zu meinem Lieblingsplatz. Willst du ihn sehen?", lächelte der Assassine leicht.

Pietro sah ihn mit seinem freudestrahlenden Gesicht an und nickte.

„Ja, bitte, bitte nimm mich mit dahin, fra'!"

„Na gut, dann lass uns gehen!", lachte er und wandte sich zum Gehen.

Er führte den Kleinen über die Brücke und in eine kleine Seitengasse. Hier war es so dunkel, dass man kaum etwas sehen konnte, da die Hauswände so dicht beieinander waren. Doch Ezio brauchte auch nichts sehen. Er hätte den Weg auch blind gefunden. So oft war er schon hier her gekommen. Damals.

„Ich habe bisher noch niemandem von diesem Ort erzählt, geschweige denn ihm diesen gezeigt", flüsterte er an Pietro gewandt.

Sofort konnte er die Ehrfurcht in dessen Augen aufblitzen sehen, aber auch ein kleines bisschen Stolz.

Vor einem unscheinbar wirkenden, kleinen Haus blieb Ezio schließlich stehen. Es war vom Alter gezeichnet. Die Farbe war abgeblättert und die Mauer war von Rissen durchzogen. Perfekt, um leicht daran hinauf zu klettern. Es würde gewiss auch für Pietro leicht werden.

„So, Kleiner. Kannst du klettern?“

Dem Jungen fielen vor Schreck beinahe die Augen aus dem Kopf.

„Du meinst hier hoch?!“

Si. Es ist nicht so schwer. Siehst du hier die Risse, die quer durch die Mauer laufen? Du kannst sie nutzen, um dich daran festzuhalten. Es ist fast so, als würdest du eine Leiter hoch klettern.“

Zweifelnd schaute Pietro die Wand hinauf.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich noch da hin will...“

Ezio kniete sich vor seinen fra' und legte diesem die Hände auf die Schultern.

„Sieh mich an. Du schaffst das, glaub mir. Ich weiß das. Und solltest du doch einmal abrutschen, ich stehe doch hier unten und fange dich auf. Du brauchst keine Angst zu haben. Erinnere dich einfach daran, was ich dir gesagt habe. Achte auf deine Umgebung und nutze sie.“

Der Junge fasste sich wieder und sah nun mit entschlossenem Gesichtsausdruck die Wand an.

Tief durch atmend ging er darauf zu und legte die Hände auf Kopfhöhe an einen Riss.

Noch einmal drehte er sich zu Ezio um. Und als dieser ihm ermutigend zunickte, stemmte er einen Fuß in einen weiteren Riss und zog sich hoch.

Stück für Stück kletterte der Kleine immer höher und Ezio drückte unten im Geheimen die Daumen.

Als Pietro sich letztlich auf das Dach zog, atmete der Assassine erleichtert auf und kletterte schnell hinterher.

„Gut gemacht, Pietro. Ich wusste, dass du es schaffst. Damit hast du einen weiteren wichtigen Schritt auf deinem Weg gemacht.“

Der Junge strahlte vor Glück, aber auch Erleichterung. Sein Atem ging schwer, sodass Ezio ihm eine kleine Verschnaufpause gönnte.

„Wollen wir dann? Es ist nicht mehr weit.“, fragte er nach einer Weile.
 

„Müssen wir wirklich schon wieder nach Hause?“, fragte Pietro quängelnd.

Er hatte sich in Venedig gerade eingelebt und hatte bei Weitem noch nicht alles gesehen. Es war nicht verwunderlich, dass er noch bleiben wollte, zumal ihm Innocento versprochen hatte, ihm in den folgenden Tagen beizubringen, wie man Farbe mischte.

„Genau, müsst ihr wirklich schon abreisen? Ihr seid doch gerade erst angekommen...“, pflichtete Leonardo dem Kleinen bei. Auch der Künstler sah geknickt aus, hatte er doch mit längerem Aufenthalt seines Freundes gerechnet.

Ezio lachte.

Amico mio, Ihr solltet es doch gewohnt sein, dass ich schneller wieder fort bin, als erwartet.“, er wandte sich an seinen Bruder, „Und ja. Wir müssen jetzt schon aufbrechen. Onkel Mario ließ mir eine Nachricht zu kommen, dass wir endlich eine Botschaft erhalten haben.“

Frustriert senkte der Junge den Blick. Langsam ging er in Richtung Tür, um sich von Innocento und Agniolo zu verabschieden.

„Und wann darf ich wieder mit Euch rechnen?“, fragte Leonardo seltsam tonlos.

Als Ezio zu seinem Freund aufsah und in dessen Augen schaute, traf ihn deren trauriger Blick wie ein Schlag. Schnell wandte er sich ab. Er konnte dem Blick nicht standhalten.

„Ich kehre so bald wie möglich wieder zurück. Ihr seid mir noch eine Erklärung schuldig.“

Ohne ein weiteres Wort folgte der Assassine seinem Lehrling aus dem Raum und ließ den fragend drein blickenden Künstler zurück.

Ezio hätte nie gedacht, dass ihm ein Abschied so mitnehmen konnte. Bisher war er immer gegangen, bevor Leonardo am Morgen aufwachte. Es war das erste Mal, dass er sich tatsächlich verabschieden musste. Und das hatte ein bisher nicht gekanntes Gefühl in ihm erweckt, eines, welches er liebend gern nicht kennen gelernt hätte.

Zwischenkapitel - Abschied

Ein blendend weißes Licht verschluckte die Umgebung und die Alltagsgeräusche wichen einem monotonen Summen.

„Willkommen zurück, Des. Geht es dir gut?“

Desmond öffnete die Augen und fand sich in dem Animus wieder. Sein Blick war noch ein wenig verschwommen, aber immerhin hielt er sich nicht für Ezio.

Er schaute zu Rebecca auf, die gerade dabei war, die Kanüle aus seinem Arm zu entfernen.

„Ja, danke. Mir ist nur ein bisschen schwindelig.“

Auf einen Knopfdruck Rebeccas hin ertönte ein leises Surren und der kleine, gläserne Bildschirm verschwand wieder im Kopfteil des Animus 2.0.

Desmond setzte sich auf, was ihm augenblicklich höllische Schmerzen hinter den Schläfen einbrachte. Er verzog das Gesicht und massierte sich leicht die betroffenen Stellen.

„Ist wirklich alles okay?“, fragte Lucy besorgt von ihrem Schreibtisch aus. Sie hatte ihn anscheinend beobachtet.

Er nickte langsam, um seinen Kopf nicht unnötigen Schmerzen auszusetzen.

„Ja. Ich brauche nur ein bisschen Ruhe.“

Der erwartete bissige Kommentar von Shaun blieb jedoch aus. Wieso beschwerte er sich nicht, dass Desmond so schwach war?

Vorsichtig drehte er den Kopf gerade so weit, dass er in die Ecke sehen konnte, in der Shauns Arbeitsbereich untergebracht war. Doch der Stuhl war leer.

„Wo ist Shaun?“, fragte er verwundert.

Es war Rebecca, die antwortete.

„Mach dir um ihn keine Sorgen, Des. Er ist nur eben an die frische Luft gegangen. Wir haben ihm gesagt, dass wir dich jetzt raus holen.“

„Geh dich ruhig ausruhen. Wenn Shaun wieder 'rum meckert, sind wir ja auch noch da.“

Desmond hörte in Lucys Stimme, dass sie ihn wohl aufmunternd anlächelte. Es war eine verlockende Vorstellung, sich in das kleine Zimmer zurück zu ziehen und ein wenig zu schlafen. Er fühlte sich, als habe er zuletzt vor Jahren geschlafen. Jeder einzelne Muskeln seines Körpers meldete sich schmerzhaft und seine Glieder waren schwer.

„Aber was ist mit Abstergo?“, nuschelte er. Sogar seine Zunge war so müde, dass er die Worte kaum verständlich formulieren konnte.

„Desmond. Geh dich ausruhen. Es nützt niemandem, wenn du dich von dem Animus kaputt machen lässt. Erinnere dich, was mit Subjekt 16 passiert ist!“

„Lucy hat Recht. Ruh dich aus, wir machen morgen weiter. Deine Werte sind nicht gerade so, wie man es sich wünschen würde...“

Desmond gab sich geschlagen. Wenn er ehrlich zu sich war, wollte er ja auch gar nicht mehr weiter machen. Also hievte er sich aus dem Animus und schleppte sich in Richtung Tür. Sofort war Lucy an seiner Seite und stützte ihn. Wo war sie so plötzlich her gekommen? Er hatte sie nicht laufen hören. Aber vermutlich war er einfach zu fertig, um noch etwas wahrzunehmen.

Kraftlos ließ er sich von der blonden Frau in sein Zimmer helfen. Dort angekommen, ließ er sich sofort auf die Matratze fallen. Er seufzte erschöpft.

„Okay, also ruh dich aus. Ich wecke dich dann morgen. Wenn etwas ist, du weißt ja, wo wir sind...“, mit diesen Worten trat Lucy schon wieder aus der Tür. Doch dass sie diese hinter sich schloss, bekam Desmond schon gar nicht mehr mit. Schon war er in tiefen Schlaf gehüllt.
 


 

Die Dunkelheit war über das Schloss gekrochen und hüllte auch die letzte Ecke ein. Es war eine mondlose Nacht, nebelverhangen und kalt. Am Tag zuvor hatte es unaufhörlich geregnet. Und nun kündigte sich irgendwo in der Ferne ein Gewitter an. Leises Grollen hallte von den Bergen wider und rief ein dumpfes Gefühl in Altaïrs Bauch hervor.

Der Meisterassassine lag wach auf dem Rücken und starrte die dunkle Decke an. Wie auch schon die letzten Nächte konnte er nicht schlafen. Wann immer Unwetter sich ankündigte, pochte seine rechte Hand unaufhörlich. Seit der Zeremonie damals.

Gedankenverloren strich er mit den Fingern der linken Hand über der Stumpf des rechten Ringfingers.

Manchmal fragte er sich, ob er auch wetterfühlig geworden wäre, wenn die Wunde sich damals nicht entzündet hätte.

Ein kaum wahrnehmbares Klacken holte Altaïr aus seinen Gedanken. Die Tür wurde geöffnet.

Leise Schritte tapsten durch die Dunkelheit. Altaïr brauchte nicht aufzuschauen, um zu wissen, wer es war.

„Altaïr, schläfst du schon?“, flüsterte eine Stimme in der Nacht.

Zur Antwort setzte sich der Assassine auf und starrte in die Richtung, aus der die Stimme kam. Ein Schemen, nur vage erkennbar, bewegte sich unsicher auf ihn zu.

„Ich kann nicht schlafen.“, fuhr die Stimme fort.

„Ich auch nicht.“, antwortete Altaïr. Seine Stimme war rau und er musste schlucken. Die Silhouette seines Gegenübers war unverkennbar: ein Arm fehlte.

Malik setzte sich vorsichtig auf die Bettkante. Dem Assassinen lief ein Schauer über den Rücken. Es war seine Schuld, dass Malik nicht mehr im Außendienst arbeiten konnte. Und noch schlimmer, dass sein Bruder Kadar nicht mehr lebte. Niemals würde Altaïr sich das Verzeihen. Wie hatte er nur so verantwortungslos sein können? Er verdiente es nur zu Recht, wenn Malik ihn nun hasste. Natürlich konnte Altaïr es verstehen, würde er ihm nie verzeihen. Er würde sich nicht verzeihen. Und er rechnete es dem Rafiq hoch an, dass er hier bei ihm war.

Ein weiterer Donner grollte von den Bergen her. Das Gewitter kam näher. Malik starrte aus dem Fenster hinaus in die Dunkelheit der Nacht.

„Erinnerst du dich an den Tag, als wir in die Bruderschaft eingeführt worden sind?“

Altaïr erwiderte nichts, so fuhr Malik nach kurzer Pause fort.

„Wir waren noch fast Kinder! Und ich war so nervös. Ich wollte schon fortlaufen. Doch du hast mich fest gehalten und mir Mut gemacht. Du hast mir immer Mut und Halt gegeben.“

Verwirrt schaute Altaïr seinen Freund an. Er wusste nicht so recht, was Malik von ihm wollte. Wieso erzählte er das alles?

„Ja, ich erinnere mich an den Tag.“

Doch Altaïr erinnerte sich nicht gerne zurück. Auch wenn er es nie zugegeben hätte, so war er doch mindestens genau so nervös gewesen wie Malik. Er wusste noch zu gut, wie seine Hände gezittert hatten. Als Kind hatte er damals den Eid der Bruderschaft geschworen und bis zum heutigen Tage auch nicht gebrochen. Man hatte sie Disziplin gelehrt und mit Schmerzen bestraft, sollte man ungehorsam gewesen sein. Dafür hatten sie gelernt, mit Waffen um zu gehen und wurden in die Künste der tausend Tode eingeweiht. Altaïr war stets einer der besten Schüler gewesen, was ihn heute zum Adler von Masyaf gemacht hatte. Und doch …

Altaïr konnte sich nicht helfen. Er wünschte sich immer öfter ein normales Leben geführt zu haben. Er wollte nicht der einsame Bote des Todes sein. Hätte er doch damals Malik nicht zurück gehalten, sondern wäre mit ihm fort gelaufen!

Wie anders, wie friedlich wäre sein Leben verlaufen …

„Ich danke dir dafür.“

Überrascht sah der Assassine zu seinem Gegenüber auf. Er hatte vollkommen den Faden verloren.

„Wofür?“

Jetzt schaute Malik Altaïr an, fixierte dessen Augen und es schien, als blicke er direkt in seine Seele. Altaïr stockte der Atem. Selbst wenn er durch die Dunkelheit nur schwerlich Maliks Gesichtsausdruck erkennen konnte, so funkelten dessen Augen doch so stechend, dass es ihn direkt ins Herz traf. Doch so sehr er auch wollte, er konnte den Blick nicht abwenden.

„Dafür, dass du immer bei mir warst.“

Ein schrecklicher Gedanke huschte durch Altaïrs Kopf.

„Malik, das klingt wie ein Abschied! Sag mir bitte nicht, dass du gehen willst!“

Doch der Rafiq schwieg. Er sah ihn nur immer weiter mit diesen stechenden Augen an, als würde dies alles sagen, was zu sagen war.

Eine ungewisse Hilflosigkeit keimte in Altaïr auf. Er hatte seinen Freund schon einmal verloren. Dies wollte er auf keinen Fall ein zweites Mal!

„Nein. Ich lasse das nicht zu, Malik. Wo willst du denn hin?!“

Langsam schüttelte der Jüngere den Kopf, mit einem sanften Lächeln auf den Lippen.

„Altaïr.“

Doch dieser wollte sich nicht geschlagen geben. Seine Miene verfinsterte sich, wenn sich auch sein Herz schmerzhaft zusammen zog.

„Wann?“

„Nicht heute.“

Maliks Antwort war nur gehaucht, doch es reichte, um Altaïr eine Gänsehaut zu verpassen und sein Herz aussetzen zu lassen. Wie lange hatte er noch Zeit mit Malik? In ihm stiegen die Tränen hoch. Mit größter Mühe hielt er sie jedoch zurück. Er wollte nicht vor Malik weinen. Er wollte nicht schwach sein!

„A-aber...“, er musste schlucken, so sehr schnürte ihm der bevor stehende Abschied den Hals zu, „Ich brauche dich … Malik!“

Er spürte, wie ihm ungewollt nun doch die ersten, heißen Tränen die Wange hinab rannen. Schnell wandte er das Gesicht ab, doch es war schon zu spät. Malik hatte es bemerkt. Traurig lächelnd hob er die verbliebene Hand an Altaïrs Wange und strich sanft die salzigen Tränen fort. Langsam beugte er sich näher zu dem Assassinen und sah ihm tief in die Augen.

„Noch bin ich hier!“, flüsterte der Rafiq und Altaïr konnte seinen warmen Atem auf seinen Lippen spüren. Nur einen Herzschlag lang zögerte Malik noch, während er in Altaïrs Augen ein Zeichen suchte, dann schloss er die Augen und legte seine Lippen zärtlich auf ihr Gegenstück.

Zunächst überrascht erwiderte der Assassine dann den Kuss voller Leidenschaft. Auch er schloss die Augen und verdrängte für einen Moment, dass dies wohl die letzten Minuten mit seinem Freund waren. Er wünschte sich, die Zeit würde für sie stehen bleiben.

Doch nach einigen Herzschlägen schon löste Malik sich von ihm und sah ihm wieder in die Augen.

„Geh nicht. Bitte, geh nicht!“

Altaïr legte all seine Verzweiflung in seine Worte, in der Hoffnung, seinen Freund noch umstimmen zu können. Doch dieser lächelte ihn wieder nur sanft und traurig an, ohne dass das Lächeln die Augen erreichte.

„Ich muss gehen.“

„Warum?“

Altaïr wollte es nicht einsehen. Welchen Grund gab es, dass Malik so überstürzt aufbrechen musste?

„Ich muss. Bitte verzeih mir.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, umarmte der Rafiq Altaïr. Der Assassine konnte das Herz seines Freundes schlagen hören.

„Ich liebe dich, habibi.“

Noch einmal drückte er ihn fest an sich, dann war er in der Dunkelheit verschwunden. Zurück blieb ein hilfloser Altaïr, der verwirrt in die Nacht starrte und nicht wusste, was er nun machen sollte. Warum? Er war allein. Eins war sicher: Diese Nacht würde er sicher keinen Schlaf mehr finden...

Kapitel 4 - Entscheidung

Starke Kopfschmerzen rissen ihn aus seinem Schlaf. Vorsichtig tastete er seine Schläfen mit kalten Fingern ab. Er stöhnte auf, als ein heftiges Stechen durch seinen Kopf fuhr.

„Als hätte ich einen Kater...“, brummte Desmond ungehalten mit schmerzverzerrtem Gesicht. Langsam setzte er sich auf und sah sich um. Es war noch immer dunkel in dem kleinen Raum. Auch vom Flur her waren keine Geräusche zu hören.

„Seltsam … die anderen arbeiten doch normalerweise in Schichten durch ...“

Desmond wollte aufstehen, um nachzusehen, warum es so still war. Doch schon nach der kleinsten Vorwärtsbewegung gab er es auf, da ihn die Schmerzen wieder zurück zwangen.

„Uff, wo kommen nur immer diese schrecklichen Schmerzen her? Das ist doch nicht normal... kann das wirklich vom Sickereffekt stammen?“

Das erinnerte ihn wieder an seinen Traum. Er war wieder Altaïr gewesen. Konnte das tatsächlich wahr sein? Konnte Desmond wirklich außerhalb des Animus auf vergangene Erinnerungen zurückgreifen? Und wenn ja, wie war das möglich?

Soweit er das Prinzip des Animus verstanden hatte, waren die Erinnerungen von Altaïr und Ezio in seiner DNA gespeichert und mit Hilfe dieser beeindruckenden, aber auch beängstigenden Technologie waren sie in der Lage, Desmond in die Erinnerungen seiner Vorfahren zu versetzen.

Wie konnte er also ohne eben diese Maschine im Traum darauf zurück greifen? Konnte er es auch, wenn er nicht schlief?

Und dann war da noch sein Aussetzer das letzte Mal …

Warum war der Sickereffekt bei Ezio so stark, dass er bis in die Realität reichte? Das war doch bei Altaïr nie so gewesen. Warum also nur bei dem Italiener?

Lag es an den Überstunden, die er auferlegt bekommen hatte?

Er musste bei Gelegenheit die anderen mal danach fragen.

Ein plötzlich aufflackernder Schmerz ließ ihn aufstöhnen. Sein Kopf brannte wie Feuer und er warf sich zurück in die Kissen. Vor seinen Augen flimmerten Farben, konturlos, und verschlangen den kleinen Raum in dem er lag. Gequält warf er sich hin und her, doch der Schmerz wollte nicht verebben. Er schrie.

Die Farben vor seinen Augen nahmen ein nasses Rot an, tropften in alle Richtungen. Er meinte Blut an den Wänden zu sehen, wie es zur Decke hinauf floss, sich dort sammelte und in der Mitte wieder hinab tropfte. Ein stetes Summen wurde dabei immer lauter, bis es sich zu einem schmerzhaft tosendem Rauschen entwickelte. Desmond griff sich an den Kopf und hielt sich die Ohren zu, drückte, so fest er konnte. Doch es wollte nicht aufhören. Wieder wandte er sich auf den inzwischen nassgeschwitzten Laken und schrie um Hilfe. Warum kam denn keiner? Was war hier los? Hörte ihn denn niemand?

Plötzlich ordneten sich die Farben neu, formten eine vertraute Umgebung – und die Schmerzen verklangen mit einem Schlag. Vorsichtig löste Desmond die Hände vom Kopf und schaute sich erstaunt um.
 


 

Die Villa Monteriggioni ragte schon bald über den Dächern der Stadt auf. Ezio rannte die Straße entlang und stieß gelegentlich vorbei eilende Bürger zur Seite, die ihm empört hinterher riefen. Doch der Assassine kümmerte sich nicht darum. Er musste schnellst möglich mit Mario reden!

Pietro war bereits am Stadttor von seiner Mutter erwartet worden, was Ezio nur Recht war. So kam er immerhin schneller voran. Schon kam die große Treppe zur Villa in Sicht.

Stets zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte Ezio die Stufen hinauf.

„Ezio, mein Junge! Gut, dass du da bist.“

Der Assassine kam schwer atmend zum Stehen.

„Onkel. Ich bin sofort aufgebrochen, als ich von der Botschaft erfuhr. Was ist passiert?“

Marios Miene verdüsterte sich. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Schatten ab; irgendetwas schien ihm große Sorgen und schlaflose Nächte zu bereiten.

„Lass uns erst einmal hinein gehen. Solch brisante Themen sollten wir nicht an einem ungeschützten Ort wie diesem hier besprechen.“

Und ehe er widersprechen konnte, führte ihn sein Onkel in die Villa. Die bedrückende Stimmung war auch hier deutlich zu spüren. Wem auch immer Ezio begegnete, er senkte den Blick und eilte schnell weiter. In der großen Halle sah der Auditore Claudia oben an der Treppe stehen. Sie wirkte unendlich traurig; auch sie hatte tiefe Ringe unter den Augen.

„Geh schon einmal vor in mein Büro, wir treffen uns dort. Ich hole noch jemanden dazu.“

In seiner Stimme konnte Ezio die Angespanntheit der letzten Tage erkennen. Immer größer wurde der Drang, zu erfahren, was denn nun passiert war.

Doch Mario eilte schon weiter und so blieb dem jungen Assassinen nichts anderes übrig, als zu tun, wie ihm geheißen.

In seines Onkels Büro schritt er auf und ab, ungeduldig wartend. Wieder und wieder starrte er die Tür an, die sich einfach nicht öffnen wollte. Der gewaltige Schreibtisch zog Ezios Aufmerksamkeit auf sich. Genauer gesagt, dass, was darauf lag. Ein halbes Dutzend Schriftrollen, sorgfältig verschlossen mit einem roten Band, das Siegel war schon gebrochen worden. Waren dies die Rollen, die die schlechten Neuigkeiten überbracht hatten?

Gerade, als er nach einer dieser Rollen greifen wollte, wurde die Tür aufgestoßen und Mario stürmte herein, gefolgt von einem schlaksigen, kleinen Mann, der sich unruhig umschaute, als fürchte er, beobachtet zu werden.

„Dies ist Tonio, unser Späher. Er hat uns die Nachrichten über die Borgia überbracht.“

Mario nickte dem wachsamen Mann zu, worauf hin dieser für Ezio die Botschaft wiederholte.

„Es scheint, als hätten sich die Borgia von dem letzten Schlag erholt. Sie bereiten einen Plan vor, der die Assassinen schwer treffen wird. Alle Verbündete und Freunde der Familie Auditore werden mit schweren Folgen rechnen müssen, sollten sie dieser weiterhin treu ergeben sein. Sie werden hingerichtet … oder schlimmeres.“

„Das bedeutet, alle unsere Freunde und Helfer sind in Gefahr!“, rief Ezio fassungslos aus.

„Nun ja, am schwersten sind die Einflussreichsten betroffen, da von ihnen größere Gefahr für das Borgiapack ausgeht. Zudem vermuten wir, dass sie unsere Schwachstellen aufspüren werden, um uns dort zu treffen. Viele unserer Verbündeten haben sich schon von uns abgesagt, aus Angst um ihre Familien.“

„Demnach geht der Plan auf.“, schlussfolgerte der Assassine.

Mario warf die Arme in die Luft und ließ seinem Ärger freien Lauf.

„Allem Anschein nach ja. Wir wissen nicht, wie wir dagegen vor gehen sollen. Schließlich können wir unsere Verbündeten nicht dazu zwingen, uns treu zu bleiben und dafür ihre Familien zu opfern...“

Ezio blieb angesichts der plötzlichen Lautstärke aufgrund des Wutanfalls ungerührt und dachte angespannt nach. Auf einmal fiel ihm wieder Leonardo ein, wie er weinend davon berichtete, Kriegsmaschinen für die Borgia zu entwerfen. Wenn sie herausfänden, dass der Künstler ein Verbündeter der Assassinen war, würden sie ihm etwas antun? Ganz gewiss! Das konnte er nicht zu lassen! Schon allein die Vorstellung daran jagte ihm einen Stich ins Herz.

„Onkel, wir können nicht zu lassen, dass auch nur einem unserer Freunde etwas zustößt. Wir müssen handeln!“

Schnaubend wandte sich der Herr Monteriggionis seinem Neffen zu.

„Und was? Es ist ja nicht so, als dass wir nichts unternehmen wollten, nipote. Uns fehlen ganz einfach die Mittel! Oder hast du etwa einen Plan?“, er spie die Worte förmlich aus.

Tonio wich eingeschüchtert einen Schritt zurück, doch Ezio hielt dem Blick seines Onkels stand.

Si, den habe ich.“, damit wandte er sich an den Späher, „Geht und sendet Boten an all unsere verbliebenen Verbündete. Sie sollen gewarnt werden, was ihnen bevorsteht und gleichzeitig versichert ihnen, dass von unserer Seite aus keinerlei Pflicht zur Loyalität besteht. Beeilt Euch!“

Der Späher verneigte sich knapp und war schon zur Tür hinaus, sichtlich erleichtert, nicht mehr Marios Zorn ausgeliefert zu sein.

An Mario gewandt fügte Ezio hinzu: „Und ihr sendet eure Leute zur Verstärkung und zum Schutz zu all jenen, die uns weiterhin treu bleiben. Ich persönlich werde zurück nach Venedig reisen. Leonardo ist mein Freund, ich werde ihm meinen Schutz anbieten.“

Doch sein Onkel winkte ärgerlich ab.

„Das ist zu gefährlich. Wir kennen die genauen Absichten unserer Feinde nicht. Es könnte genau so gut auch eine Falle sein!“

„Warum sollten sie so ein Tara auf sich nehmen, nur um uns eine Falle zu stellen? So gerissen sind die Templer nicht!“

Mario seufzte.

„Du darfst die Templer nicht unterschätzen! Sie wollen dich! Du bist im Moment ihre größte Bedrohung. Und daher bist du auch unsere größte Hoffnung! Sie haben Angst vor dir. Doch Angst macht unberechenbar, und damit macht sie die Templer wieder gefährlich für uns.“

„Wenn sie tatsächlich hinter mir her sind, so wie du es sagst, dann kann ich es nicht verantworten, dass all unsere Freunde einer solchen Bedrohung ausgesetzt sind! Und ganz besonders Leonardo. Er kann sich nicht verteidigen! Er wird nur zur Zielscheibe, weil er mit mir befreundet ist! Das würde ich mir nie verzeihen! - Onkel, ich muss ihn beschützen!“

Uneinsichtig schüttelte Mario seinen bärenhaften Kopf.

„Was nützt es der Bruderschaft, wenn du dabei umkommst? Die Templer werden nicht zögern dich auszuschalten, sobald sie die Möglichkeit dazu haben!“

Ezio atmete tief durch und schloss die Augen. Er musste ruhig bleiben!

„Ist es nicht unsere Pflicht als Assassinen die Unschuldigen vor den Templern zu beschützen? Haben wir nicht in unserem Credo geschworen unser Leben dafür zu geben?“

„Aber dein Leben ist um so vieles wichtiger! Versteh das doch! Jeder von uns würde sein Leben für das Credo geben, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch dich zu beschützen, steht momentan an erster Stelle! Du musst am Leben bleiben, damit die Hoffnung nicht stirbt!“

Es war sinnlos! Mit diesem alten Sturkopf konnte man einfach nicht vernünftig reden!

Ohne ein weiteres Worte rauschte er mit wehendem Umhang zur Tür. Auf der Schwelle jedoch hielt er noch einmal inne und sagte mit ruhiger, leiser Stimme: „Ich werde nicht sterben.“

Schon stürmte er aus der Villa, ohne die verdutzten Gesichter der Bediensteten zu beachten, und ließ seinen aufgebrachten Onkel einfach stehen. Vermutlich würde er später dafür die Konsequenzen tragen müssen, doch nun war ihm Leonardos Leben erst einmal wichtiger!
 


 

Ein Schlag ins Gesicht rief Desmond in die Realität zurück. Benommen versuchte er sich zu erinnern, wo er war. Wer er war.

Etwas verschwommen trat ein Blondschopf in sein Blickfeld.

„Desmond, ist alles in Ordnung? Was ist passiert?“, fragte die besorgte Stimme Lucys.

Verwirrt schaute Desmond sich um. Langsam fokussierten seine Augen wieder und er sah einen ebenso besorgten Shaun über sich gebeugt, während Rebecca kreidebleich in der Tür stand.

„I-ich … ich weiß es nicht...“

Sich die Schläfen massierend versuchte er sich zu erinnern, was geschehen war. Der Sickereffekt hatte ihm wieder zu schaffen gemacht – und dann?

Zwischenkapitel - Linderung

„Kannst du dich denn an gar nichts mehr erinnern?“, fragte Lucy mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn. Desmond versuchte sich ein wenig auf zu setzen, wobei sein Kopf heftiger anfing, zu pochen. Er hatte Halluzinationen gehabt, da war er sich sicher. Wurde er vielleicht schon verrückt? Würde mit ihm bald das selbe passieren, wie mit Subjekt 16?

Er musste mit Lucy darüber reden, vielleicht wusste sie eine Lösung. Vorsichtig beugte er sich ein Stück weit vor, damit die Anderen ihn nicht hören würden.

„Lucy, ich glaube, der Sickereffekt wird stärker.“

Er musste husten. Sein Hals war so ausgetrocknet! Sofort reichte die blonde Frau ihm ein Glas Wasser.

„Hier, trink!“

Dankbar nahm er das kühle Getränk entgegen und leerte das Glas in einigen wenigen Zügen. Es tat so gut, wie das Wasser ihm die Kehle hinab rann! Doch leider war es all zu schnell leer.

Desmond leckte sich noch einmal kurz über die spröden Lippen, ehe er fortfuhr.

„Ich hatte Halluzinationen, verbunden mit höllischen Kopfschmerzen. Ich habe überall Blut gesehen! Und dann war ich plötzlich Ezio und bin durch Monteriggioni gerannt. Lucy, das war kein Traum! Es war alles so real! Nicht, wie im Animus. Es war wirklich! Doch wie kann das sein?“

Mit jedem weiteren Wort von ihm war die Frau zusehends blasser geworden. Nun war sie kreidebleich und musterte ihn schockiert. Jedoch verlor sie kein einziges Wort.

Schließlich stand sie auf und ging ohne jegliche Erklärung aus dem Raum, nur, um wenige Augenblicke später mit einer Schale kalten Wassers und einem Tuch wieder herein zu kommen.

Noch immer wortlos tränkte sie das Tuch in das kalte Wasser, wrang es aus und betupfte damit seine Stirn, Hals und Arme. Er ließ sie gewähren. Diese Prozedur wiederholte sie einige Male, ehe sie ihm das Tuch gänzlich auf die Stirn legte. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Lucys Sorge um ihn sprach genug für den Moment.

Besorgt beugte sie sich über ihn und küsste ihn sanft auf die benetzte Stirn.

„Schlaf jetzt. Du musst erschöpft sein.“

Mit diesen Worten stand sie auf und verließ den Raum, noch ehe er ihr widersprechen konnte. Er schaute ihr mit offenem Mund hinterher. Warum hatte sie ihm keine Antwort gegeben? Stand es wirklich so schlecht um ihn? Oder wusste sie einfach nur nicht, was sie ihm darauf hätte erwidern sollen?

Das Tuch auf seiner Stirn schenkte ihm eine wohltuende Kühle und langsam ließen die Schmerzen nach.

„Sie ist wirklich besorgt um mich.“, stellte Desmond halb beängstigt, halb gerührt fest.

Was sollte nur aus ihm werden? Er hoffte, dass er die Kontrolle über sich und seinen Geist behalten würde und nicht durchdrehte.

„Hoffentlich wissen die Anderen was sie -“, er musste herzhaft gähnen, „tun...“

Da nun die Schmerzen einigermaßen gelindert wurden, ergriff allmählich eine betäubende Müdigkeit Besitz von ihm.

„Ich muss … unbedingt … mit Shaun … reden...“

Das Denken fiel ihm zunehmend schwerer und er schloss die Augen, um Lucys Rat zu folgen. Es dauerte auch nicht lange, da war Desmond friedlich ins Reich der Träume geglitten.

Kapitel 4.2 - Eine lange Reise

Graue Wolken zogen über den Himmel und drohten am Horizont mit den hohen Bergen zu kollidieren. Ein starker Wind fegte frisch über die Felder und trug den salzigen Geruch vom Meer mit sich. Für Hochsommer war es ein recht kalter Tag. Ezio zog seinen Umhang enger zusammen und überblickte mit zusammengekniffenen Augen die vor ihm liegende Ebene.

Ein leicht metallischer Geruch mischte sich unter die Meeresbrise. Irgendwo in der Nähe musste Blut vergossen worden sein.

„Doch eigentlich habe ich keine Zeit dafür. Ich muss schnellst möglich zurück nach Venedig! Und es ist noch immer ein 3-Tagesritt...“

Der nächste Windstoß brachte eine erneute Welle des Blutgeruchs mit sich und Ezios Schimmelstute wieherte unruhig auf, während sie ungeduldig auf der Stelle tänzelte. Harsch zügelte er sie.

„Auf der anderen Seite gebietet es mir meine Ehre zumindest nachzusehen, was dort geschehen ist. Immerhin könnte es ein Werk der Templer sein...“

Der Assassine seufzte tief und gab seiner Stute die Sporen. Diese preschte unter erneutem Aufwiehern vorwärts Richtung Blutgeruch. Der Wind peitschte Ezio ins Gesicht und sein Umhang flatterte hinter ihm her.

Keine zwei Minuten später entdeckte er schon den Ursprung des Blutes.

Es hatte wohl einen Kampf gegeben. Der Weg und die umliegenden Felder waren übersät von Leichen. Eine umgestürzte Kutsche lag halb zerstört am Wegesrand, gezeichnet von unzähligen Schwertspuren. Hie und da lag ein Karren, den Inhalt weit über den Staub verteilt. Überall kullerten Äpfel, Salatköpfe, Brotlaibe und Körbe und Krüge. Der Boden war getränkt von eben jener dickflüssigen Flüssigkeit, die den metallischen Geruch verströmte, der ihn hergeführt hatte.

Was war hier nur geschehen?

Ezio saß ab und schaute sich genauer um. Vorsichtig und aufmerksam bewegte er sich durch die Reihen der Gefallenen – und er keuchte.

Dies war kein Kampf gewesen. Es war das reinste Massaker!

Die Toten waren ausschließlich Bauernleute: Frauen, Kinder und die Alten. Keiner war bewaffnet gewesen. Vermutlich waren sie auf dem Weg zum Markt gewesen. Einfache Leute!

Wehrlos.

Wer tat so etwas? Wer konnte zu einer solchen Gräueltat fähig sein? Banditen? Wegelagerer?

Nein. Wer auch immer das getan hatte, war nicht auf Wertgegenstände aus gewesen. Viele der gefallenen Frauen trugen Geschmeide, wenn auch nicht von großem Wert.

Doch was war es dann, was jemanden dazu antrieb, wehrlose Leute niederzumetzeln?

Und sogar die Kinder...

Ezio musste schlucken. Tränen stiegen in ihm auf. Auch wenn er diese armen Seelen nicht gekannt hatte, so erfüllte es ihn mit tiefer Trauer, welch schreckliches Schicksal sie ereilt hatte.

Ein schwaches Keuchen erregte seine Aufmerksamkeit. Suchend blickte er über die leblosen Körper. An der Kutsche lehnte ein alter Mann. Sein Brustkorb hob und senkte sich sehr schwach und unregelmäßig. Doch er lebte!

Mit nur wenigen Schritten war er bei dem Mann. Sein Assassinenherz schlug ihm heftig bis zum Hals. Wen er auch sonst den Tod zu seinen Opfern brachte, so hoffte er doch inständig, dieses eine Mal das Leben halten zu können.

Als der Alte Ezio sah, hob er, sichtbar unter Schmerzen, abwehrend die Arme und wimmerte leise vor sich hin. Aus seinem Mund quoll Blut.

„Ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung. Ich tue Euch nichts.“, beruhigte Ezio den Verletzten. „Sprecht, wer hat Euch das angetan?“

Langsam trat er auf den Alten zu und kniete sich vor ihn.

„Lasst mich mal sehen. Vielleicht kann ich Euch helfen.“

Doch der alte Mann schüttelte nur den Kopf. Unter Aufbringung seiner letzten Kräfte deutete er mit zitternder Hand erst auf Ezio, dann auf eine Frau in ihrer Nähe.

„E-es ist zu spät...“, krächzte der Alte kaum hörbar. „Es ist zu spät...“

„Sagt mir, wer das war!“

Die Augen des Mannes fingen an, ihren Glanz zu verlieren. Mit jedem Atemzug hauchte er das Leben aus ihm heraus.

„Bitte … rächt … meine Frau … Familie … mich ...“

Sein Kopf knickte zur Seite.

„Bleibt bei Euch! Bitte, sagt mir, wer Euch das angetan hat!“, rief der Assassine nun verzweifelt.

Doch der Alte machte nur noch Anstalten, die Hand zu heben, ehe sie kraftlos wieder zu Boden sackte. Das letzte bisschen Leben war aus seinen Lungen entwischen.

Ezio schloss die Augen und unterdrückte die aufsteigenden Tränen. Er atmete tief durch. Er würde seinem letzten Wunsch nachkommen.

Requiescat in pace.“

Gerade, als er dem Alten die letzte Ehre erweisen und ihm die Augen schließen wollte, fiel sein Blick auf die noch immer halb ausgestreckte Hand.

Sie umklammerte einen Fetzen Stoff.

Vorsichtig löste er die blutbesudelten Finger von dem Stück.

Es war ein Wappenbanner. Es zeigte einen schwarzen Fünfstern aus einer einzigen Linie, der sich selbst immer wieder kreuzte, auf weißem Hintergrund. An den Kreuzstellen war die Linie jeweils unterbrochen.

Was war das für ein Symbol? Was hatte das zu bedeuten?

„Was wollte der Alte mir damit nur sagen?“, grübelte der Assassine mit in Falten gelegter Stirn.

Er hatte dieses Zeichen schon einmal irgendwo gesehen. Doch nur wo?

Nachdenklich erhob Ezio sich und pfiff sein Pferd zu sich. Auch wenn dieses Massaker noch so schrecklich war, so konnte er sich dennoch jetzt nicht damit aufhalten. Er musste schnellst möglich zu seinem Freund …

Leonardo!

Natürlich! Bei dem wissensdurstigen Künstler und Wissenschaftler hatte Ezio dieses Zeichen einst in einem der vielen Bücher entdeckt, als er auf die Fertigstellung seiner mal wieder zerbrochenen versteckten Klinge wartete. Der Künstler konnte ihm gewiss sagen, was es mit dem Stern auf sich hatte!

Dieser Gedanke spornte ihn nun nur noch mehr an, zurück nach Venedig zu kommen. Noch einmal sprach er für die armen Seelen, dann wandte er sich ab und saß auf. Erbarmungslos trieb er seine Stute vorwärts, bis ihm der Wind ins Gesicht peitschte und die Kapuze vom Kopf wehte.

Hoffentlich war seinem Freund noch nichts passiert!

„Halte aus, amico mio. Ich bin auf dem Weg!“
 

Bis zum Abend war er durchgeritten, hatte auch nicht angehalten, als der Regen losgebrochen war und den Blutgeruch aus der Luft gewaschen hatte. Auch wenn seine Kleidung bis auf die Haut nass gewesen war und die Zähne vor Kälte geklappert hatten, war er unentwegt weiter geritten.

Doch nun war es schon fast so dunkel, dass er die eigene Hand vor Augen kaum erkannte. Verärgert zügelte er seine Stute. Er musste eine Bleibe für die Nacht finden und aus den nassen Gewändern heraus. Sonst fing er sich womöglich noch eine Erkältung ein.

Wachsam ließ er seine Augen über die in Dunkelheit liegende Umgebung wandern. In einiger Entfernung kamen hinter dem Ausläufer eines Berges einige schummrige Lichter in Sicht.

Ein Bauerndorf.

Erleichtert lenkte er sein Pferd einen schmalen, gewundenen Pfad entlang in Richtung der Lichter.
 

Es dauerte nicht lange, da hatte er das kleine Dorf erreicht. Es war nicht groß, es bestand nur aus sechs, sieben Häuschen und einer großen Hütte, in der vermutlich die Vorräte gelagert wurden. Die Häuser waren in einem groben Kreis angeordnet, in dessen Mitte ein freier Platz mit Brunnen war. Nur ein Haus stand etwas abseits. Die Straßen waren menschenleer und nur das monotone Trommeln des Regens war zu hören. Allein die Lichter verrieten, dass dieses Dorf noch bewohnt war.

Ezio saß ab und seine Stiefel gruben sich tief in den vom Regen aufgeweichten, schlammigen Boden. Er nahm seine Stute bei den Zügeln und führte sie vor ein Haus, welches wohl eine Gaststätte war. Von Innen drangen Musik und Gelächter zu ihm hinaus. Er hoffte, hier ein Lager für die Nacht zu finden. So band er sein Pferd an einem Pfosten fest und betrat die zwielichtige Spelunke. Sie wirkte ziemlich herunter gekommen. Doch angesichts der Zeiten und der wirtschaftlichen Lage war dies nichts Außergewöhnliches.

Sofort wandten sich alle Augenpaare auf den eintretenden Fremden.

Ezio zählte vielleicht fünfzehn betrunkene Männer, die ihn teils neugierig, teils angriffslustig anstarrten. Keiner sagte mehr ein Wort, auch die Musik hatte aufgehört zu spielen. Scheinbar war man hier Fremden gegenüber sehr misstrauisch.

Ohne den rauen Empfang zu beachten, trat der Assassine auf den Tresen zu. Jeder seiner Schritte war laut und dumpf zu hören. Die Augenpaare folgten ihm.

„Habt Ihr eine Unterkunft für die Nacht?“, fragte er den Wirt mit fester Stimme.

Dieser war ein kugeliger, untersetzter Mann in den besten Jahren, mit dicken Backen, die von der Gischt gezeichnet waren. Auf seinem Kopf trug er ein schmutziges, weißes Tuch, welches wohl seine Glatze verbergen sollte. Mit grimmigen Gesicht polierte er seine Gläser und starrte ihn nur misstrauisch an.

„Fremde, die mit der Kapuze im Gesicht mitten in der Nacht umher streunen, haben etwas zu verbergen. Habt Ihr etwas zu verbergen?“

„Nein. Ich bin nur auf der Durchreise.“, entgegnete Ezio freundlich.

„Das sind Diebe auch. Seid Ihr ein Dieb? Für Diebe haben wir hier keine Bleibe!“, blaffte der runde Mann.

„Nicht doch. Ich bin nur auf dem Weg zu einem guten Freund in Venedig. Doch wenn ich hier nicht erwünscht bin, werde ich natürlich sofort weiter reisen.“

Va bene. Ich glaube Euch. Es ist nur so, dass Euer Gewand Euch nicht gerade vertrauenswürdig aussehen lässt. Viele Wanderer kommen durch dieses kleine Dorf und versuchen uns auszunehmen, nur, weil sie denken, dass wir wehrlos sind. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was für Gestalten schon den Mumm hatten, hierher zu kommen und zu meinen, uns überfallen zu müssen! Wisst Ihr, einst war unser Dorf für seine Gastfreundschaft bekannt. Doch dann kamen diese Wanderräuber und nutzten unsere Gutgläubigkeit aus...“

Auf einmal war der bis eben noch misstrauische Wirt sehr geschwätzig und seine Miene hatte einen fröhlich freundschaftlichen Ausdruck angenommen. Welch kurioser Gegensatz!

Auch die Saufkumpanen hatten sich wieder ihren Gesprächen und Getränken zugewandt. Scheinbar war Ezio nicht mehr interessant für sie, sobald der Wirt ihn als keinen schlechten Menschen eingestuft hatte.

„Nun, messer. Was kann ich für Euch tun?“, fragte dieser gerade.

„Ich benötige ein Lager für die Nacht und etwas Essen. Morgen ziehe ich weiter. Des Weiteren wäre ich Euch sehr verbunden, wenn Ihr Euch meines Pferdes annehmen könntet. Ich habe es draußen an einen Pfosten gebunden.“

Si, si. In Ordnung. Multo grazie, signore. Meine Tochter wird Ihnen gleich Euer Zimmer zeigen. Doch lasst Euch nicht von ihr verunsichern. Bitte fühlt Euch bei uns wie zu Hause und zögert nicht, solltet Ihr eine Bitte an uns haben.“

Der Assassine war verwirrt. Hier sickerte wohl die Gastfreundschaft durch, die der Wirt erwähnt hatte. Kopfschüttelnd sah er dem kauzigen Mann hinterher.

„Maria! Maria! Wo steckst du schon wieder?! Wir haben einen Gast!“, rief dieser, schon außer Sichtweite, durch das gesamte Dorf. 'Gebrüllt' traf es eher. Wenn Ezio gefragt würde, er hätte geschworen, dass der Wirt auch noch in Neapel zu hören war.

Nur einen Augenblick später tänzelte ein hübsches Mädchen in den Raum. Sie mochte vielleicht siebzehn Jahre zählen und hatte ein freudestrahlendes Gesicht. Ihre langen, blonden Haare waren in einem schweren Zopf geflochten. Sie trug ein einfaches Bauernkleid, doch minderte es ihre Schönheit nicht. Sie strahlte wie eine Prinzessin. Lächelnd trat sie auf Ezio zu.

„Ihr müsst unser Gast sein. Wie erfreut! Folgt mir bitte, ich zeige Euch Euer Zimmer.“

Und schon tänzelte sie wieder in den Flur zurück, aus dem sie gekommen war. Sie führte ihn eine alte Holztreppe hinauf.

„Ihr seid nicht aus dieser Gegend, oder?“

„Nun, nicht direkt, nein. Warum fragt Ihr?“

„Ich merke es Euch an. Und“, sie wandte sich im Gehen zu ihm um und lächelte ihn keck entgegen, „so hübsche Männer wie Euch gibt es hier nicht.“

Verwundert über die gnadenlose Direktheit dieses Mädchens blieb der Assassine stehen.

„Ihr nehmt kein Blatt vor den Mund.“

„So ist es. Ich sage, wie es ist. Verurteilt mich dafür, wenn Ihr mögt, doch ich finde, es macht so vieles leichter.“

Innerlich stimmte er ihr zu. Redete man zu viel um den heißen Brei, verschwamm die Aussage undeutlich, bis hin zu Missverständnissen.

„Ich verurteile Euch doch nicht. Nein, ich mag das. Das ist gut.“

„Ich bin Maria. Wenn Ihr mich mögt, ich könnte die Nacht bei Euch verbringen.“

Ezio schüttelte grinsend den Kopf. Maria war ein Mädchen nach seinem Geschmack. Keck und sie wusste, was sie wollte.

„Nun, wie soll ich da nur Nein sagen?“
 

Die ersten Sonnenstrahlen des nächsten Tages kitzelten Ezio auf der Nase. Verschlafen öffnete er die Augen. In seinem Armen schlief immer noch das Mädchen, Maria. Er lächelte.

Auch wenn er schon viel erlebt hatte, so leicht hatte es ihm bisher noch kein Mädchen gemacht.

Langsam erwachte Maria und sah zu ihm auf.

Buon' giorno, Maria.“

Überraschung legte sich in ihre Augen.

„Was ist los? Überrascht, wo anders aufgewacht zu sein, als erwartet?“, er grinste.

„Nein. Doch Ihr habt Euch meinen Namen behalten.“

Jetzt strahlte sie wieder übers ganze Gesicht.

„Nun, das gebietet doch der Anstand, nicht wahr?“

„Scheint wohl so. Va bene, jetzt können wir heiraten.“

„Hei-heiraten?!“, stieß Ezio entsetzt aus.

Si.“

Schon war Maria aus dem Bett gestiegen, griff sich ihre Kleider und tänzelte summend aus dem Raum. Zurück blieb ein fassungsloser Ezio.

Zwischenkapitel - Störung durch Warten

„Desmond … Desmond … Des! … Desmond!“

Nur ganz langsam nahm Desmond die Stimme wahr, die versuchte, in seinen Kopf einzudringen. Sie war undeutlich und irgendwie schwammig, sodass er erst nur ein sonores Murmeln hörte. Sein ganzer Körper sträubte sich dagegen, aufzuwachen, doch allmählich holte ihn die Stimme zurück in die Gegenwart.

Vorsichtig öffnete er die Augen und blickte in das erschöpfte Gesicht von Lucy.

„Guten Morgen, Desmond. Wie geht es dir heute?“, fragte sie ihn mit belegter Stimme.

Mit einem plötzlichen Schmerz rechnend, setzte Desmond sich langsam auf – doch nichts geschah. Die Schmerzen blieben aus.

„Erstaunlich gut! Ich habe keine Schmerzen. Und ich bin auch endlich mal nicht mehr müde“, stellte er fest.

Prüfend schwang er seine Beine aus dem Bett und versuchte aufzustehen. Auch das gelang ihm ohne Schmerzen. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Er schaute zu Lucy.

„Das ist gut. Wirklich! … Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht, Desmond. Du hast jetzt drei Tage lang geschlafen!“

„Was? Ganze drei Tage?!“, rief Desmond ungläubig aus.

„Ja. Shaun ist ganz schön sauer deshalb, aber ich habe ihm verboten, dich vorher zu wecken, um dich wieder in den Animus zu stecken. Du hast deinen Schlaf gebraucht.“

„Danke, Lucy. Aber du siehst auch so aus, als bräuchtest du mal dringend Schlaf...“

Die Blonde lächelte müde.

„Das denke ich auch. Ich konnte nicht schlafen. Ich habe die ganze Zeit über dich gewacht und darauf geachtet, dass du nicht … dass es dir nicht schlimmer geht.“

Desmond war gerührt. Sie hatte auf ihn aufgepasst. Er lächelte sie dankbar an.

„Du kannst ja jetzt schlafen. Ich werde mich Shaun stellen, der wartet bestimmt schon auf die nächste Sitzung.“

„Meinst du, du schaffst das?“

In ihrer Stimme klang große Besorgnis mit. Er zwinkerte ihr aufmunternd zu und verließ den Raum. Er hatte sich noch nie so gut gefühlt!

Tief durch atmend betrat er das Labor und machte sich auf die bevorstehende Reise in seine Erinnerungen bereit.

Überrascht schaute Shaun von seinen Monitoren auf und sah ihn skeptisch an.

„Na, Dornröschen? Auch endlich mal erwacht?“

Desmond überging diesen verbalen Angriff und nickte zum Gruß. Auch Rebecca hatte nun aufgesehen und grinste Desmond überglücklich an.

„Sieh einer an! Er lebt!“, rief sie aus, stand auf und kam auf ihn zu. Ehe er sich versah, schloss sie ihn in eine warme Umarmung und er atmete ihren süßlichen Duft ein. Nach wenigen Sekunden löste sie sich von ihm und sah ihn an.

„Es ist schön, dich wieder unter uns zu wissen, Des.“

Noch ehe er sich wehren konnte, zog sie ihn hinter sich her zu dem Animus. Schon war sie wieder hinter ihren Bildschirmen verschwunden.

„Wie wär's mit einer Fahrt ins 15. Jahrhundert?“, fragte sie verschwörerisch, als wäre dies das erste Mal.

Desmond nickte und ließ sich auf der Liege nieder.

„Lass uns eine kleine Reise machen.“

Rebecca schloss ihn wie gewöhnlich am Animus an. In seinen Augenwinkeln bemerkte Desmond eine Bewegung und er wandte sich nach rechts.

„Ehm... Desmond, ich wollte dir sagen, dass es mir Leid tut, wie ich dich in letzter Zeit behandelt habe. Ich habe jetzt eingesehen, dass ich zu viel von dir verlangt habe – und das wäre beinahe schief gegangen. Ich bitte dich um Entschuldigung dafür, dass ich dich dem Sickereffekt ausgesetzt habe.“

Desmond traute seinen Ohren nicht. Da stand Shaun vor ihm und entschuldigte sich in aller Öffentlichkeit bei ihm. Was war hier geschehen, während er geschlafen hatte?

„Ist schon okay, Shaun. Ich verstehe ja, dass wir voran kommen müssen.“

Ein betretenes Schweigen trat ein.

Schließlich brach Rebecca die Stille.

„So, wollen wir dann?“

Ohne eine Antwort abzuwarten aktivierte sie den kleinen Bildschirm in der Kopflehne des Animus, worauf hin dieser surrend ausfuhr. Sofort verschwamm die Umgebung vor Desmonds Augen und verblasste langsam, bis nur noch weiß übrig war.

Desmond wartete auf die Synchronisation seiner Erinnerungen. Vor ihm würde sich gleich in Sekundenschnelle das Italien des 15. Jahrhunderts aufbauen. Er würde gleich wieder Ezio sein und würde nun endlich wissen, ob seine Träume wirklich auf den Erinnerungen seiner Vorfahren basieren oder nur seiner Fantasie entsprungen waren.

Doch es passierte nichts.

Was ist denn da los?“, fragte Shaun von irgendwo her.

Ich weiß nicht. Desmonds Erinnerungen sind blockiert. Wir müssen eine andere Datei laden, um die Blockade zu umgehen.“, antwortete Rebecca.

Endlich passierte etwas.

Das Weiß färbte sich nach und nach mit bunten Klecksen, die sich zu einer Landschaft zusammen fügten. Nun wurden auch Gerüche und Geräusche initialisiert.
 

Eine leichte Brise zog über das Gras hinweg. Irgendwo sangen Vögel ihre Lieder, darunter mischte sich das leise Rauschen des Flusses in der Nähe. Altaïr saß an einen starken Baum gelehnt und mit geschlossenen Augen im Gras und lauschte der Natur. Hier war er ungestört. Nur er und Malik kannten diesen Platz der vollkommenen Harmonie und sie hatten ihn zu ihrem geheimen Rückzugsort erklärt.

„Warum ist er gegangen? Warum nur? Warum ausgerechnet jetzt?“

Seit Malik so unvorhergesehen vor drei Wochen verschwunden war, kam Altaïr fast täglich hier her und genoss die Ruhe. In der Burg und auch in ganz Masyaf suchte man ihn schon. Al Mualim hatte wirklich jeden Assassinen dazu angehalten, nach ihm zu suchen und zurück in die Burg zu bringen.

Doch Altaïr wollte keine Aufträge mehr ausführen. Er wollte kein Werkzeug mehr sein. Er wollte nicht so tun, als wäre alles so, wie es sein sollte. Als hätte man ihm nichts das Wichtigste im Leben gestohlen.

Nein. Die anderen sollten ihn ruhig weiter hin suchen. Bisher war es noch nie jemandem gelungen, ihn zu finden, wenn er nicht gefunden werden wollte.

Er öffnete die Augen und blickte hinauf in den strahlend blauen Himmel. Ein paar einzelne weiße Wölkchen zogen darüber hinweg.

„Was er wohl gerade macht? Wo ist er jetzt?“

Altaïr war es egal, dass Al Mualim langsam die Geduld mit ihm verlor. Er würde sich nicht zeigen. Nein, er würde warten.

Desmond! Wer will schon wissen, warum Altaïr gewartet hat?“, ertönte eine Stimme in Altaïrs Kopf.

Er würde so lange hier warten, hier, an ihrem Platz, bis Malik wieder zu ihm zurück kam.

DESYNCHRONISATION WIRD EINGELEITET!“, ertönte eine blecherne Stimme und vor Altaïrs Augen wurde alles neblig.

So, wir haben es geschafft! Wir haben die Blockade umgangen. Jetzt können wir die richtige Erinnerung laden...

Kapitel 4.3 - Vom Regen in die Traufe - oder ins Feuer?

Etwas betröppelt lies sich Ezio am Stammtisch der Gaststätte nieder. Er fühlte sich hier so fehl am Platz wie noch nie in seinem Leben. Wie hatte er nur in eine solche Situation geraten können? Wie konnte er daraus jetzt am geschicktesten wieder entkommen?

Ihm gegenüber saß der Wirt, ein freundliches Lächeln aufgesetzt.

Buon' giorno, habt Ihr gut geschlafen?“, begrüßte er den noch immer fassungslosen Assassinen.

Der sonst so wortgewandte Auditore wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Was wusste der Wirt? Was erwartete er von ihm?

„Nun … ehm. Die Nacht war … angenehm...“, konnte er das so sagen?, „Nur der Morgen hielt einen … Schrecken … für mich bereit.“

Amüsiert lachte der kugelige Mann auf.

„Wieso denn das? Was ist passiert?“

Unsicher berichtete Ezio, was in der vergangenen Nacht geschehen war. Dabei leckte er sich immer wieder nervös über die trockenen Lippen.

„Seht Ihr, Eure … liebreizende Tochter hat … die Nacht mit mir verbracht. Bitte seid nicht erzürnt! Sie tat dies aus eigenem Willen heraus.“, die beiden letzten Sätze fügte er schnell hinzu, als könne er damit alle Schuld von sich weisen. Etwas besorgt wartete er die Reaktion des Wirtes ab, die jedoch nur in einem auffordernden Kopfnicken bestand. Er wollte wissen, was als nächstes geschehen war und lauschte aufmerksam. Ezio konnte seine Mimik nicht deuten. So fuhr er mit staubtrockener Kehle fort:

„A-als wir dann im Morgen erwachten, nannte ich sie bei ihrem Namen, worauf hin sie meinte ...“

Er stockte. Noch immer saß der Schock tief. Verunsichert sah er wieder den Wirt an.

„Was meinte meine Tochter?“

„Sie meinte, wir … sie meinte, wir könnten nun hei...raten...“, brachte der Auditore mühsam hervor.

Einen Herzschlag lang musterte der Wirt ihn eingehend, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Er warf den Kopf in den Nacken und brüllte förmlich vor Lachen.

Ezio verstand die Welt nicht mehr. Als Vater müsste er doch normalerweise tierisch wütend auf ihn sein, da er die Nacht mit seiner Tochter verbracht hatte, ohne sie überhaupt zu kennen. Er sollte ihn eigentlich verprügeln und zur Heirat zwingen, oder vom Hof verjagen.

Doch er tat nichts dergleichen. Er saß ihm einfach nur gegenüber, schnappte inzwischen schon nach Luft vor lauter Lachen, japste dann vergnügt auf und war offensichtlich über diese Geschichte amüsiert. Ab und an schüttelte er seinen kahlen Kopf, während er sich den runden Bauch hielt. Doch er antwortete nicht, was Ezio nur umso nervöser machte.

Schließlich schlug er ihm fast schon väterlich mit seiner Pranke auf den Unterarm, einem Tätscheln gleich. In seinen Augenwinkeln standen schon Lachtränen und er keuchte, als er sich endlich wieder fasste.

„Oh, Junge, das tut mir wirklich Leid, dass meine Tochter dir einen solchen Schrecken eingejagt hat!“, durch diese Geschichte schien er sich auf seltsame Weise mit Ezio verbunden zu fühlen, sodass er zum Du wechselte. Ezio hatte das Gefühl, der Wirt betrachte ihn nun als eine Art Sohn, den es zu beschützen galt. „Weißt du, bei jedem zweiten Gast auf Durchreise versucht sie auf diese Weise einen Lebenspartner zu finden und schnell an sich zu binden. Weißt du, hier im Dorf ist sie für ihre … nun ja, wie soll ich sagen, Eigenart … bekannt. Deshalb meiden sie die jungen Männer hier. Daher bleiben nur die Gäste, die zu uns kommen. Doch da diese meist schnell wieder fort sind, versucht sie es mit dem schlechten Gewissen, was nur eine Frau einem Mann einreden kann. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Gib nicht zu viel auf das, was meine Tochter sagt. Ich hatte gedacht, ich hätte dich vor ihr gewarnt … scheinbar hat es nicht gereicht!“, er lachte ein grollendes Lachen, tief aus dem Bauch heraus.

Und Ezio starrte ihn schwer gläubig an. So eine Reaktion hätte er sich in all seinen Träumen nicht ausdenken können. Hieß das, er war außer Gefahr?

Er war sich noch nicht ganz sicher und wartete deshalb lieber, Erleichterung zu empfinden.

„Bitte, signore, nicht, dass Ihr mich falsch versteht. Ich mag Eure Tochter wirklich gut leiden, doch ich kann sie bedauerlicher Weise nicht heiraten.“

Jetzt gluckste der Wirt und mit, wie Ezio vermutete, gespielt ernster Stimme fragte er zurück: „Bedauerlicher Weise, hm? Und wieso kannst du sie bedauerlicher Weise nicht heiraten, mein Sohn?“

Der Assassine öffnete den Mund, um zu einer Antwort anzusetzen, doch es kamen ihm keine Worte über die Lippen. Was sollte er nur sagen? Er fühlte sich momentan nicht wie der große Assassine, der er war, der Befehle erteilte, statt sie zu befolgen. Nein, er fühlte sich wie ein kleiner Junge, unsicher und mit geringem Selbstbewusstsein. Sein Herz begann schneller zu schlagen, als er sich wie in die Enge getrieben fühlte.

„Nun, ehm … wisst Ihr … ich kann sie nicht heiraten, weil … weil … weil mein Herz schon jemandem gehört.“

Ein gutmütiger, väterlicher Ausdruck trat in den Blick des rundlichen Mannes. Verständnisvoll nickte er.

„Ich verstehe. Nun, wie gesagt, mach dir wegen meiner Tochter keine Sorgen. Sie ist zwar liebreizend und unheimlich nett, doch selbst als ihr Vater muss ich sagen, dass sie nicht mehr ganz zurechnungsfähig ist...“

Erleichtert atmete Ezio auf. Wie es schien, kam er nochmal mit einem blauen Auge davon.

„Du solltest aber bald aufbrechen, bevor meine Tochter davon erfährt...“, riet der Wirt.

Zustimmend stand Ezio auf und ging schnellen Schrittes zur Tür. Davor drehte er sich noch einmal um, lächelte den Mann dankbar zu und erhob die Hand zum Gruß. Der Wirt erwiderte den Gruß. Als Ezio sich wieder zum Gehen wandte, rief er zum Abschied: „Habt Dank für alles!“

In diesem Moment öffnete sich die Tür und eine zornige Maria stand vor ihm. Ehe der Assassine auf die veränderte Situation reagieren konnte, spürte er einen stechenden Schmerz am Kopf und ihm wurde schwindelig. Er taumelte einige Schritte rückwärts, ehe er mit dem Rücken gegen eine Wand stieß und sich an ihr hinab gleiten ließ.

Maria kam auf ihn zu. In ihrem Gesicht konnte Ezio ihre Wut ablesen. Erst jetzt erkannte er, dass sie eine Bratpfanne in der Hand hielt. Damit musste sie ihn geschlagen haben!

„Ezio Auditore! Wo willst du hin?! Was heißt hier bitte 'Danke für alles'?! Hast du etwa vergessen, dass du mich heiraten willst?“

Hilfesuchend sah der geschlagene Assassine zu dem Wirt hinüber. Dieser verstand sofort und kam mit diplomatisch erhobenen Händen auf seine Tochter zu.

„Maria, Liebes, Ezio wollte gerade in die nächste Stadt aufbrechen, um für eure Hochzeit alles vorzubereiten...“

Augenblicklich hellte sich Marias Miene auf, es war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Hatte sie ihm eben noch Angst eingeflößt, so war sie nun wieder das unbeschwert herum tänzelnde, naive Mädchen der vergangenen Nacht.

„Ist das wahr? Oh, Ezio, es tut mir so leid! Wenn ich das gewusst hätte!“

Ezio war nicht wohl bei dem Gedanken, das arme Mädchen dermaßen anzulügen. Er war erstaunt, dass eine eben solche Lüge vom Vater höchstpersönlich kam. Doch er konnte dabei nicht mitspielen.

Demütig senkte er den Blick. Er konnte dem armen Mädchen nicht in die Augen sehen.

„Nein, Maria. Das stimmt so nicht. Die Wahrheit ist, ich habe mein Herz bereits an jemand anderes verloren. Aus diesem Grund kann ich dich nicht heiraten.“

Erneut tauschte Maria ihr Gesicht, doch entgegen Ezios Erwartung war sie nicht wütend, sondern ein trauriger Ausdruck lag in ihren Zügen. Mit verständnisvollen Augen sah sie ihn an.

Si. Das ist etwas anderes. Du liebst bereits eine Andere. Da kann ich natürlich nichts machen. Gegen die Liebe bin ich machtlos. Va bene, dann hoffe ich für euch beide, dass ihr glücklich miteinander werdet... a presto, amore mio.“

Schon tänzelte sie mit ihrer Bratpfanne von dannen und ließ ein zweites mal an diesem Morgen einen verwirrten Ezio zurück.

Nachdem er verstanden hatte, was hier gerade passiert war, wandte er sich ungläubig an den Wirt, der ihn anerkennend anlächelte.

„Du hast es geschafft, mein Sohn, du bist frei! Nun geh zu deiner Herzensdame und richte ihr schöne Grüße aus!“

Lächelnd stand Ezio, der noch immer an der Wand lehnte, auf und ging erneut zur Tür. Dann fiel ihm noch eine Frage ein.

„Was hat Maria eigentlich draußen gemacht?“

„Sie hat sich um dein Pferd gekümmert.“

„Und wozu brauchte sie da eine Bratpfanne?“

Jetzt schmunzelte der Wirt.

„Die trägt sie in solchen Fällen immer mit sich herum, falls ihr 'Opfer' auf die Idee kommt und fliehen will...“
 

Unbarmherzig trieb Ezio seine Stute vorwärts. Er wollte so schnell wie möglich viele, viele Meilen zwischen sich und dieses kleine Dorf bringen. Noch immer war er verwirrt und nicht ganz bei sich. Was war nur mit diesem Mädchen?

„Hunderte Wachen können mich nicht in die Knie zwingen, doch eine einzige Frau schafft es innerhalb weniger Sekunden...!“

Es war eine peinliche Erfahrung für den Assassinen. Sein Onkel würde jetzt gewiss sagen, es sei ebenso eine lehrreiche Erfahrung und er sollte daraus Nutzen für sich ziehen, doch für Ezio war es schlicht weg nur beschämend. Und die Tatsache, dass er erleichtert war, dieser Frau entkommen zu sein, trug nicht gerade zu einem besseren Selbstwertgefühl bei. Er war geflohen, hilflos, vor einer Frau!

Zähne knirschend trieb er sein Pferd noch mehr an. Das arme Tier war schon am Äußersten, doch das bemerkte er gar nicht. Ebenso wenig nahm er Notiz von den Schlammspritzern, die das Fell seiner Schimmelstute beschmutzten, bis kaum mehr weiß zu sehen war. Auch Ezios Kluft war besudelt von dem regennassen Matsch. Noch immer hingen schwere Wolken am Himmel und drohten mit einem weiteren Wolkenbruch. Doch sie drohten nur.

Nie wieder würde er in dieses kleine Dorf zurück kehren. Er konnte heil froh sein, dieses Mal noch entkommen zu sein. Zum Glück hatte er die richtigen Worte gefunden, damit Maria ihn gehen lassen musste.

„Und ich habe noch nicht einmal gelogen! … Ich habe gespürt, dass es die Wahrheit ist … mein Herz hat es mir gesagt!“

Tief in Gedanken versunken preschte der Assassine die schlammige Straße entlang. Er hatte schon viel zu viel Zeit verloren! Wenn Leonardo irgendetwas zu stoßen sollte, könnte er sich das niemals verzeihen.

Er sah den quirligen Künstler vor sich, wie er übereifrig in seinem Chaos hin und her eilte, dies holte, das machte und mit tausend Dingen zugleich beschäftigt schien. Dabei versprühte er stets tiefste Euphorie und murmelte Sachen vor sich her, von denen Ezio nichts verstand.

Bei dem Gedanken an seinen besten Freund musste der Assassine schmunzeln. Er war ein kleiner Sonnenschein in Ezios Leben und schaffte es stets mit seiner bloßen Anwesenheit, dass der Assassine sich besser fühlte. Leonardo war nicht nur ein begnadeter Künstler und Wissenschaftler, sondern auch ein ausgesprochen guter Freund.

Wie oft hatte er ihm schon geholfen? Wie oft hatte er ihn oder seine zerbrochene Ausrüstung wieder zusammengeflickt?

Und wie oft hatte Ezio ihm dafür gedankt?

Wenn er so darüber nachdachte, wurde ihm schwer ums Herz und er wurde sich bewusst, dass er einen solchen Freund wie Leonardo, der nur gab und niemals etwas dafür verlangte, einfach nicht verdient hatte.

Er schwor sich, Leonardo für alle Unannehmlichkeiten um Entschuldigung zu bitten, sobald er bei ihm ankam.

Dieser Gedanke trieb ihn wieder schneller vorwärts. Er wollte den Rest des Weges nun so bald als möglich hinter sich bringen.

Doch wie das Schicksal nun mal spielt, wurde der junge Auditore erneut auf seiner Reise aufgehalten:

Sein Weg führte über eine steil abfallende, tiefe Schlucht, deren einziger Übergang für 20 Meilen in beide Richtungen eine hölzerne Brücke war. Jedoch brannte diese lichterloh, als der Assassine sie erreichte.

Seine Stute stieg und warf ihn beinahe ab. Nur mit Mühe konnte er sich im Sattel halten. Er riss die Zügel herum, damit sein Pferd das Feuer nicht mehr sehen konnte und sich somit langsam wieder beruhigte. Schließlich sprang er aus dem Sattel und wagte sich vorsichtig näher an die brennende Brücke.

Merda! Was ist hier denn passiert?“

Zähne knirchend stellte er fest, dass der mittlere Teil der Brücke bereits durchgebrochen war. Über diese Bretter sollte sich besser keiner mehr wagen, und sei er ein noch so begabter Kletterer.

Fluchend ging er zu seiner Stute zurück und stieg auf. Der Umweg um die Schlucht herum würde ihn einen weiteren halben Tag kosten.

Plötzlich flackerten die Bäume, an denen er vorbei ritt. Verwirrt zügelte er seine Stute und starrte die Bäume an. Das Flackern breitete sich schnell aus, den Stamm hinab, über das Gras, an den Steinen entlang, bis hin zum fernen Horizont. Bald flackerte alles um Ezio herum. Vom zu Sehen bekam er schreckliche Kopfschmerzen.

Ma che...?“

Erst das Feuer und dann hier das? Was war hier los? Wer hatte sich gegen ihn verschworen?

Ezio kniff die Augen zusammen, um dem Flackern zu entgehen. Doch es nutzte nichts. Vor seinen Augen flackerte es ebenfalls. Ihm wurde heiß, Schweiß trat auf seine Stirn. Sein Körper schien in Flammen zu stehen. Alles schmerzte ihm.

Mit einem heißerem Schmerzensschrei riss er die Augen auf.

Kapitel 5 - Hitzige Informationen

Sengende Hitze hatte sich über Masyaf gelegt. Seit Tagen konnte man sich kaum bewegen. Die Luft war so trocken, dass das Atmen schwer fiel. Selbst die Fliegen hingen matt an den Wänden und suchten den Schatten. Die Straßen waren wie leer gefegt, selbst der Basar fand nicht statt. Die Händler hatten nicht einmal ihre Läden aufgebaut.

Nur ein Schatten huschte über die Dächer der Stadt, in Richtung Burg. Seine weißen Gewänder flatterten hinter ihm her, so schnell rannte er. Altaïr musste zu Al Mualim.

Er hielt das Warten nicht mehr länger aus.

Wie viele Wochen waren jetzt vergangen, seitdem Malik gegangen war?

Zu viele.

War dies etwa ein Abschied für immer gewesen? Altaïr wusste nicht, was er tun würde, wenn die Antwort auf diese Frage Ja gewesen wäre. Warum war Malik gegangen? Er hatte nichts gesagt, keinen Grund genannt.

Er hatte nur gesagt, dass er gehen müsste.

Was ist denn nun schon wieder los?“, fragte eine aufgebrachte, körperlose Stimme schräg über Altaïr.

Hatte Al Mualim ihn auf eine Mission geschickt? Alleine?

Aber Malik war doch nicht mehr im Außendienst tätig! Welche Mission gäbe es für ihn, von der Malik ihm nichts erzählen würde?

Ich war das nicht. Die Erinnerungen gehen ineinander über. Vielleicht warten wir einfach, bis die Sequenz vorbei ist...“, ertönte eine zweite Stimme.

Alles Grübeln half ihm nicht weiter. Altaïr musste ihren Meister danach fragen. Nur er allein würde ihm sagen können, wo Malik sich derzeit aufhielt.

Na gut. Hoffen wir, dass es schnell geht...“, erwiderte die erste Stimme.

Vor dem Assassinen schlängelte sich der steile Pfad zur Burg hinauf. Die beiden Assassinen, die hier am Tor Wache hielten, sahen ihn verdutzt und verwundert an.

„Altaïr, Großmeister, wo seid Ihr gewesen? Man hat Euch in ganz Masyaf gesucht!“, rief der eine mit weit aufgerissenen Augen aus, als könne er nicht glauben, was er sah.

Doch Altaïr überging die Frage des jungen Assassinen. Er hatte gewiss noch nicht einmal seine Ausbildung beendet und wurde bereits als Wache am Haupttor eingesetzt. Al Mualim musste sich wirklich sicher fühlen in seiner Burg.

„Ich muss mit dem Meister sprechen. Lasst mich durch.“, wie gewohnt war seine Stimme distanziert und unnahbar. Dies und seine Fähigkeiten natürlich hatten ihm den Titel Adler von Masyaf eingebracht. Altaïr wusste, dass man ihn unter den Assassinen sowohl verehrte als auch fürchtete. Niemand hatte es je gewagt, ihn zu verärgern. Niemand, außer Malik, der ihn besser kannte, als irgendwer sonst.

Malik war der Einzige, der hinter die Fassade des unnahbaren Assassinen blicken konnte. Und auch nur bei ihm ließ Altaïr es zu. Nur Malik durfte mit ihm reden, wie er wollte.

Und nun war er fort...

Der junge Assassine trat nervös von einem Bein auf das andere und sah hilfesuchend zu seinem älteren Kumpanen hinüber.

„Tut uns Leid, Meister Altaïr. Doch wir haben den Befehl von Al Mualim, Euch nicht passieren zu lassen, falls Ihr darum ersucht.“, nuschelte dieser kleinlaut.

Altaïr verdrehte die Augen. Für eine solch lästige Prüfung hatte er nun wirklich keine Zeit!

„Wisst Ihr nicht, wer ich bin?“, sagte er gefährlich leise.

Instinktiv traten beide Wachen einen Schritt zurück. Auch sie fürchteten ihn.

„D-doch, natürlich wissen wir, wer Ihr seid!“, beteuerte der Junge.

Der Ältere nickte beipflichtend.

„Dann wisst ihr auch, dass man sich mir nicht in den Weg stellt?“, fuhr Altaïr zischend fort.

Der junge Assassine war nun kreidebleich und schaute unsicher wieder zu seinem älteren Mitwächter. Dieser sah genau so verunsichert zu ihm zurück, nickte dann knapp und beide traten zurück um Altaïr passieren zu lassen.

„Und nächstes Mal bitte gleich so. Ach ja, und das war nur ein Test von Al Mualim. Ihr seid beide durchgefallen. Doch keine Sorge. Dieser Test war von Anfang an zum scheitern verurteilt. Es hat noch nie jemand geschafft, mich am Tor abzuweisen.“, während er sprach, ging er in aller Ruhe durch das Tor und beachtete die beiden jetzt schockiert drein blickenden Wächterassassinen nicht weiter.

Im Hof wurde selbst bei dieser erdrückenden Hitze das tägliche Training vollführt und wie üblich kam der Trainingsmeister sofort freudestrahlend auf Altaïr zu und begrüßte ihn.

Salam, Altaïr! Wollt Ihr unseren nichtsnutzigen Novizen nicht einmal zeigen, wie ein wahrer Assassine kämpft?“

Salam, Hakif. Heute nicht, tut mir leid.“

Der Assassine wirkte ein wenig geknickt, behielt dennoch sein Lächeln auf den Lippen.

„Verstehe. Ihr seid beschäftigt. Nun, dann ein anderes Mal!“

Mit einem letzten Gruß wandte er sich wieder seiner Horde an Schülern zu. Erleichtert, Hakif dieses Mal entkommen zu sein, machte sich Altaïr wieder auf die Suche nach Al Mualim.

Wie erwartet saß der Meister in seinem Stuhl vor einem riesigen Holztisch aus feinstem Mahagoni, auf dem hunderte Schriftrollen und Pergamente ausgebreitet waren. Manche zeigten Karten der verschiedensten Städte, in denen gerade Aufträge zu erledigen waren, andere waren Briefe von Auftraggebern oder Spionen. Auch eine Hand voll Bücher lagen aufgeschlagen zwischen den Pergamenten und in einem davon las Al Mualim gerade.

Als er Altaïr vor ihn treten sah, schaute er auf und legte das Buch beiseite.

„Altaïr! Mein verlorenes Vögelchen. Ich habe nach Euch suchen lassen, doch wie ich mir schon dachte, blieb jegliche Suche ohne Erfolg. Ihr seid nicht umsonst mein bester Lehrling.“

Unbeeindruckt von den großen Worten trat Altaïr näher. Er wusste, wie schnell sich Al Mualims Meinung über einen seiner Schüler ändern konnte. Auch der versteckte Seitenhieb mit dem Vögelchen blieb ihm nicht verborgen.

„Ihr habt nach mir suchen lassen, doch habt der Wache gesagt, sie solle mich nicht passieren lassen.“

Seine Stimme war kühl. Selbst wenn vor ihm sein Meister stand, so hatte das Altaïr noch nie davon abgehalten, auch hier seine Distanziertheit zu zeigen.

Al Mualim lachte. Es war kein richtiges Lachen, es war eher aufgesetzt. Doch es war das meiste, was man von dem alten Mann erwarten konnte.

„Ja, da habt Ihr recht. Ich habe die Wache einem kleinen Test unterzogen, in dem sie ja nun gänzlich versagt haben. Ich wusste doch, dass Ihr Euch von diesen zwei Novizen nicht aufhalten lasst.“

Genau so, wie Altaïr es vorausgesagt hatte.

„Nun, mein Kind, was führt Euch zu mir? Ihr seid doch nicht etwa hier, weil ich Euch habe rufen lassen?“

„Nein. Ich habe eine Bitte an Euch.“

Der alte Mann sah ihn überrascht an.

„Eine Bitte? Nun denn, ich höre zu.“

„Vor einigen Wochen kam Malik Al Sayf zu mir, um sich zu verabschieden. Er sagte mir nicht, wohin er aufbrach, oder wieso. Doch allmählich mache ich mir Sorgen. Ich bitte Euch, könnt Ihr mir sagen, wohin er aufgebrochen ist? Und wozu?“

Al Mualim hatte aufmerksam zugehört und runzelte nun leicht die faltige Stirn. Doch mit seiner Antwort ließ er sich Zeit.

„Nun, Altaïr, ich fürchte, ich kann dir keine Auskünfte über den Verbleib unseres Bruders Malik geben.“

Altaïr hatte schon mit einer solchen Antwort gerechnet.

„Meister, Ihr versteht nicht. Es ist wirklich sehr wichtig! Bitte erlaubt mir, ihn zu suchen, oder ihn auf seiner Mission zu unterstützen.“

Der Meister verzog das Gesicht zu einer Grimasse, was wahrscheinlich ein gutmütiges Lächeln darstellen sollte.

„Altaïr, so versteht doch. Selbst wenn ich es wollte, ich könnte Euch keine Informationen geben. Malik ist in eigenem Ermessen aufgebrochen und in eigener Sache unterwegs. Ich besitze keinerlei Informationen, außer jene, die auch Ihr bereits habt: Malik ist gegangen.“

Altaïr stockte. Für diese Wendung des Gesprächs hatte er keine Antwort parat. Er hatte fest damit gerechnet, dass Al Mualim wusste, wohin Malik gegangen war. Doch nun?

„Habt Ihr eine Ahnung, wo er sein könnte?“

„Bedauerlicher Weise nein. Doch es gibt jemanden, der es vielleicht wissen könnte. Am Brunnen unten in Masyaf sitzt bei Zeiten gelegentlich ein kleiner Junge. Niemand kennt ihn, oder weiß, woher er kommt. Er ist einfach auf einmal da. Malik ist einer von nur wenigen, mit denen dieser Junge spricht. Wenn Ihr sein Vertrauen gewinnen könnt, erfahrt Ihr womöglich, was Malik vor hat.“

Dankbar für diesen Anhaltspunkt verneigte Altaïr sich leicht und wandte sich dann zum Gehen.

Er würde Malik finden.

Zwischenkapitel - Wer hat die Kontrolle?!

Desmond zuckte unkontrolliert. Die sengende Hitze verbrannte ihn innerlich förmlich. Vor seinen Augen zerriss das Bild und eine laute Stimme dröhnte in seinem Kopf:

“WARNUNG! DESYNCHRONISATION WIRD EINGELEITET!”

Schmerzerfüllt verzerrte er das Gesicht, schlug sich die imaginären Hände vor die Augen, doch das gleißende Licht wollte nicht nachlassen.

“Was ist da los?!”, hörte er eine aufgebrachte Stimme wie aus weiter Ferne. Es war Shaun.

“Seine Werte sind im kritischen Bereich!”, schrie Rebecca alarmiert, “Er kollabiert!”

Desmond hatte das Gefühl, als stünde sein ganzer Körper in Flammen. Er wand sich gequält hin und her, versuchte verzweifelt etwas zu erkennen, einen Punkt zu fixieren, an den er sich halten konnte. Doch um ihn herum war nur diese entsetzliche, brennende Leere.

“Hol ihn da raus! Sofort!”, kreischte Lucy irgendwo. Doch er konnte sich nicht auf die Stimmen konzentrieren.

“Ich versuch’s ja!”, kam die panische Antwort, “Aber es geht nicht! Es ist, als wäre sein Geist mit dem Animus verschmolzen!”

“Wir müssen doch irgendetwas tun!”

Er sank wimmernd auf die Knie, krallte seine Finger in seinen Kopf und schrie vor Schmerzen. Plötzlich und ohne Vorwarnung verebbte das Feuer, das ihn zu verschlingen drohte.

“Wartet… seine Werte stabilisieren sich! Es… es scheint, als würde er… es kontrollieren!”

Verunsichert öffnete Desmond vorsichtig die Augen, darauf gefasst, gleich wieder von einem höllischen Schmerz erfasst zu werden. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen sah er zu, wie sich nach und nach wieder eine Landschaft vor ihm aufbaute. Sein Kopf pochte noch leicht, doch mit jeder Sekunde, in der sich das Küstengebiet vor ihm mit mehr Details füllte und er sich wieder als Ezio Auditore gewahr wurde, klang es immer weiter ab.

“Wie… wie hat er das gemacht?!”, rief eine verwunderte Stimme von schräg über ihm.

Der raue Wind bließ ihm entgegen, zerrte an seiner Kapuze und der junge Assassine musste sie rasch tiefer ins Gesicht ziehen. Kurz leckte er sich über die salzigen Lippen und ließ seinen Blick über die Küste streifen.

“Ich hab keine Ahnung! Des? Kannst du uns hören?”

Er stand mit seinem Pferd am Rande einer steil abfallenden Klippe. Unten hörte er die tobenden Wellen branden. Noch immer hingen schwere Wolken am Himmel und verdunkelten den Tag. Es würde bald ein Sturm aufziehen, da war er sich sicher.

“Okay, wir brechen ab! Hol ihn da raus, verdammt!”

“Kann ich nicht! Er hat immer noch die Kontrolle!”

Kapitel 6 - Heimkehr der Gefühle

Unbarmherzig hatte er seine Stute vorwärts getrieben, um jeden Preis hatte er die verlorene Zeit wieder aufholen wollen. Leonardo… er hatte an nichts anderes mehr denken können. Er musste zu seinem Freund!

Sein Blick glitt die gewundene Küstenstraße entlang. ‘Straße’ war eindeutig nicht das richtige Wort für diesen mit losen Steinen bedeckten Trampelpfad, der so nah an der Klippe entlang führte, dass er schon teilweise eingebrochen war. Kein Mensch mit gesundem Menschenverstand würde sich freiwillig in eine solche Gefahr begeben. Der Pfad konnte jederzeit unter den Füßen wegbrechen und einen mit in bodenlose Tiefe reißen, wo man dann auf den scharfkantigen Felsen aufschlagen würde. Ezio konnte sich beileibe angenehmere Tode vorstellen.

Und dennoch hatte er keine andere Wahl. Er musste zu Leonardo! Und der kürzeste Weg nach Venedig führte nunmal über diese todbringende Küstenstraße.

Noch einmal ließ er seinen Blick in die Ferne schweifen. Hinter diesen Hügeln lag die schwimmende Stadt, dort war Leonardo!

Er atmete tief durch und führte seine Stute vorsichtig auf den Pfad. Kaum hatten sie ein paar Meter an der steilen Klippe hinter sich gebracht, bröckelten einige Steinchen unter den Hufen der Stute weg und das Pferd geriet ins Rutschen. Mehr instinktiv als alles andere gab ihr Ezio die Sporen und sie machte einen Satz nach vorne.

Mit wild schlagendem Herz zog der Assassine an den Zügeln und brachte seine Stute mit einem atemlosen ‘Hoh’ zum stehen. Nervös tänzelte sie noch ein paar Schritte, ehe sie sich beruhigte und erleichtert schnaubte.

Ezio stieß die angehaltene Luft lautstark aus und schaute in den Abgrund.

“Das war knapp..”, murmelte er bei sich. Er stieg ab und tätschelte seiner Stute den Hals.

“Ist wohl besser, ich gehe vor..”

Während er weiterhin beruhigend über das Fell des Pferdes strich, versuchte er auch sein eigenes Herz zu beruhigen. Er war noch immer voll gepumpt mit Adrenalin.

Nach einem weiteren tiefen Luftholen setzte er sich dann schließlich wieder in Bewegung.

Es half ja alles nichts, er musste weiter!

Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend bahnte er ihnen beiden einen Weg über den losen, brüchigen Pfad.
 

Eine gefühlte Ewigkeit verging, bis sie endlich die Klippen hinter sich gelassen hatten. Vor Ezio breiteten sich weite Felder aus, die sich bis zum Strand hin zogen. Erleichtert seufzte er auf. Sie hatten es geschafft! Er tätschelte noch einmal seine treue Stute, ehe er wieder in den Sattel stieg und ihr das Zeichen gab, loszubreschen.

Ein süßlicher Duft umfing ihn, mischte sich in die salzige Meeresluft, als er durch die Felder ritt. Dieser Duft erinnerte ihn an Leonardo, den ein ebensolcher immer zu umgeben schien.

Der Assassine erlaubte sich kurz, die Augen zu schließen und sich der Erinnerung an seinen Freund hinzugeben.

Wenn er ihn umarmte und sich dieser zarte Geruch auch um Ezio schloss..

Ein schmerzliches Ziehen fuhr durch seine Brust.

Augenblicklich riss er die Augen wieder auf und betrachtete verwundert seine Hände, die sich fest um die Zügel klammerten.

Er versuchte sich dem Gefühl zu entziehen, doch es setzte sich tief in seinem Herzen fest und wollte auch nicht mehr dort weg.

Ezio versuchte zu entwirren, welche Gefühle gerade in ihm tobten. Da war ganz klar die Sorge um seinen Freund, die ihn auch immer schneller weiter eilen ließ. Und auch die Freude, Leonardo bald wieder zu sehen ließ sich leicht herausfiltern. Auch wenn diese ein wenig getrübt war durch sein schlechtes Gewissen dem Künstler gegenüber. Er war in der letzten Zeit kein guter Freund für ihn gewesen, und dafür musste er angemessen um Verzeihung bitten. Doch da war noch etwas, was für Ezio nicht so leicht zu entwirren war. Er verspürte tiefe Zuneigung, wenn er an den quirligen Mann dachte, die er nicht ganz einzuordnen wusste.

Zu Maria hatte er gesagt, er habe sein Herz bereits an jemand anderen verloren.

Bei dem Gedanken wurde ihm wieder warm und er spürte, wie seine Wangen zu glühen begannen. Seit wann hegte er denn solche Gefühle für seinen Freund?

Leicht verunsichert schob er die Gedanken beiseite, als er die Brücke erkannte, die vor ihm in Sicht kam. Venedig!

“Halte aus, amico mio, ich bin fast da!”



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Kommentare zu dieser Fanfic (17)
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Von: abgemeldet
2017-10-03T08:43:32+00:00 03.10.2017 10:43
es freut mich das es weiter geht
Von:  Mondfalter
2012-07-13T15:18:23+00:00 13.07.2012 17:18
Ich hab jetzt bis hier hin alles in einem Rutsch gelesen :3

Ich liebe das FF! Sie Story ist super und hat viele tolle Detais! Auch die Charaktere wurde sehr gut getroffen oder eingefügt! Besonders gefallen haben mir die Stellen mit Pietro und Maria. Das du auf den Beginn von Ezios Geschichte eingehst finde ich toll. Auch stellst du ihn nicht als den "ultimativen Alleskönner" dar, sondern beschreibst auch seine Gefühle.

Auch Altair (zu faul für Sonderzeichen)hast du gut getroffen. Seine Hochnäsige Art und seine Verbundenheit zu Malik :3

Ich bin schon gespannt wie es weiter geht!
Von:  Nara-san
2012-04-09T18:00:36+00:00 09.04.2012 20:00
Da bin ich mal gespannt was der Junge so erzählen wird, oder ob er überhaupt was sagen wird! ^^
Schön das es hier wieder ein neues Kapi gibt!
Freue mich schon auf das Nächste! Will schließlich wissen wie es mit allen weitergeht! x3
Von:  Card-Master
2012-04-08T12:21:08+00:00 08.04.2012 14:21
Oh mannomann, ich liebe deine Fanfiction so abgöttisch, dass ich jedes neu hochgeladene Kapitel sofort verschlinge. Leider komme ich erst jetzt dazu, einen Kommentar zu hinterlassen, was du mir hoffentlich nicht übel nimmst.
Ich liebe die Art, wie du die Gefühle rüber bringen kannst, sodass man sich gut in die Charaktere hinein versetzen kann. Auch die Beschreibungen der Orte und Situationen liebe ich bei dir. Die vielen kleinen Details, die man in anderen Fanfictions oft nicht findet. ♥
Außerdem bin ich ein riesiger Fan von Malik und Altaïr, weshalb ich mich jedesmal besonders freue, wenn du die Zwei mit einbaust (wobei ich von den Beiden nie genug bekommen könnte). Leonardo und Ezio sind schon toll und so, aber Malik und Altaïr sind bei mir doch ein klein wenig beliebter xD
Ich freue mich schon auf ein neues Kapitel und drücke dir die Daumen, dass es genauso gut wird, wie die vorherigen (◕‿‿◕)
Von:  Nara-san
2012-02-28T12:29:52+00:00 28.02.2012 13:29
Tja, irgendwann musste es doch so kommen, dass eine seiner One-Night-Stands zum Altar mit ihm möchte xD
Amüsant!
Freu mich aufs nächste! ^^
Von:  Nara-san
2012-02-25T14:09:07+00:00 25.02.2012 15:09
Desmond ist schon arm dran mit dem Sickereffekt!

Freu mich aufs nächste kapi! ^^
Von:  Nara-san
2012-02-03T15:29:20+00:00 03.02.2012 16:29
wah! toll =^-^=
aber armes desomond! so bööse kopfschmerzen!
Und ein ezio beschützt Leonardo! ^^ hihi
das verspricht ja toll zu werden!
Von:  Card-Master
2012-01-20T16:54:30+00:00 20.01.2012 17:54
Argh~ da habe ich mich endlich eingelesen und warte die ganze Zeit darauf, dass es endlich mit Malik weiter geht und dann kommt sowas ;__;
*theatralisch seufz*
Drama, Baby~
Aber echt gut geschrieben. Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel
Von:  MalikAlSayf
2012-01-19T23:36:31+00:00 20.01.2012 00:36
Malik darf nciht gehn! ;__;
Bin echt gespannt wie es weiter geht! T_T
Von:  Nara-san
2012-01-19T19:16:35+00:00 19.01.2012 20:16
Nooooooooin! Malik soll nicht weggehen! T.T
Warum macht er sowas auch!
Schreib schnell weiter! *wissen will*


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