Die Archivarin von Momotaro ================================================================================ Kapitel 5: Im Schlaf -------------------- Das Licht pulsierte. Dunkelrotes, schmutziges Licht. Hässlich unstetes, zuckendes Licht. Der ganze Raum war voll mit dem Licht. Ein ebenso breiter wie hoher wie langer Raum, auf den ersten Blick perfekt kubisch. Doch etwas war falsch an ihm. Oder war es das Licht, das ihn falsch erscheinen ließ... Weil nie alle Wände gleichzeitig sichtbar waren. Jenseits des Lichts, im Flackern und den Verunreinigungen wohnte Schwärze. Die drängte. Als ob sie den ganzen Raum verbergen wollte, schien die Schwärze gegen das Licht anzukämpfen, stieß vor, wo der rötliche Schein schwächer wurde, und wich nur träge zurück, wenn das Rot zurückkehren wollte. Manchmal war eine Gestalt sichtbar. Meistens nicht. Dem Geist fiel sie erst nach langer Betrachtung auf. Doch, da war jemand. Eine humanoide Form. Ganz in Schwarz gekleidet, darum tat sich die Finsternis so leicht dabei, sie zu verschlucken. Manchmal würgte sie die Form hervor, überließ sie dem roten Glühen, hielt nur an einzelnen Stellen Kontakt. Da, wo sie ihre Schatten warf. Der Geist wagte sich näher. Die Gestalt meinte: „Noch nicht.“ Der Geist fragte: „Wer bist du?“, doch die Gestalt beharrte: „Jetzt noch nicht. Ich fühle es noch nicht.“ Als Anju die Augen aufschlug, nur mühsam, mit aller Gewalt gegen das Blei ankämpfend, das jemand in ihre Lider gefüllt hat, war ihr erster visueller Eindruck ein Datenpad. Mit Ordnungscode. Auditiv begleitet von Meisterin Jocasta Nus alter, trockener, entschlossener Stimme: „Das hattest du falsch eingeordnet.“ Anju wollte lächeln. Höflich sein und sagen: „Das tut mir leid.“ Doch ihre Gesichtsmuskeln fühlten sich taub und geschwollen an und ihre Zunge wollte auch nicht richtig funktionieren. Meisterin Nu winkte ab. „Schon gut, mein Kind, ich dachte nur, vielleicht brauchst du Lesestoff. Ich wollte ja Blumen mitbringen, aber Meisterin Ashkenay hat das nicht gutgeheißen.“ „Blumen von Coruscant sind voller Keime und Ungeziefer!“, kam die Zusatzinformation von irgendwo weiter weg, vermutlich einem anderen Zimmer. Anjus Augen fielen wieder zu, gegen ihren Willen. „Ist dir schonmal aufgefallen, wie sehr Ashkenay wie Arschgeweih klingt?“, hörte Anju ihre Meisterin leise anmerken. Wie bitte, was hatte diese alte, ehrenwerte Frau eben gesagt? Schlagartig öffneten sich Anjus Augen wieder. Sie musterte die Archivarin und wirkte dabei wohl irgendwie ermahnend – sie fühlte sich bloß entgeistert – denn Nu setzte ein unschuldiges Lächeln auf. „Was? Ich wollt es nur erwähnt haben. Es ist schön, wenn einem so kleine Details auffallen, beweist, dass der Verstand in der Gegenwart ruht.“ „Hat sie gerade bemerkt, dass mein Name wie Arschgeweih klingt?“, mischte sich die Stimme von weiter weg erneut ein, diesmal deutlich näher: „Dieses Bonmont bringt sich seit rund zehn Jahren. Ihr angeblicher Verstand ruht, aber nicht in der Gegenwart...“ Eine im Vergleich zu Nu nur unbedeutend jünger wirkende Frau trat in Anjus Gesichtsfeld, vermutlich Meisterin Ashkenay. Anju selbst kannte sie nur als die Heilerin. Einen Namen hatte sie noch nie zu ihr gehört. Das Mädchen. Anju wollte den Kopf drehen, um sich umzusehen, doch er bewegte sich nicht richtig. Schwankte nur etwas hin und her. Meisterin Ashkenay deutete den Versuch richtig. Besänftigend legte sie eine rauhe, warme Hand auf Anjus Unterarm. „Alles gut. Dem Kind geht es gut und dir geht es auch gut.“ „So gut es einem gehen kann...“, fügte Meisterin Nu hinzu: „...wenn einen eine Großmeisterin geistiger Gewalt ausknockt.“ „Sie war sehr aufgeregt.“, rechtfertigte die Heilerin sich, dem Ton nach zum wiederholten Mal in kurzer Zeit. Sie klang müde. Meisterin Nu lachte trocken auf. „Ha. Eine Ohrfeige und ein Schlückchen Schnaps wär wohl keine Option gewesen?“ „Nicht jeder hier versucht alles mit Alkohol zu lösen.“ Ob sich die beiden Frauen schon lang anfeindeten? Sie wirkten erstaunlich routiniert dabei. Doch Anju fühlte keine Abscheu in ihnen. In keiner von beiden. Sie amüsierten sich. Erstaunt bemerkte Anju, das Wortgefecht machte den alten Jedi-Meisterinnen diebisch Freude. Sie sah einen friedlichen, sonnengelben Fluss zwischen den beiden. Das Band zwischen ihnen. Nur für einen kurzen Moment, dann war es wieder weg. Doch Anju hatte es bereits registriert. Die Dicke und Wärme des Bandes brachte sie zum Lächeln. Endlich waren auch ihre Gesichtsmuskeln wieder aufgewacht. Meisterin Nu bemerkte: „Wir scheinen das Kind zu belustigen.“ „Ein Glück.“, meinte Ashkenay: „Ich begann zu befürchten, wir strengen uns hier ganz umsonst an.“ „Sie lächelt generell nicht viel.“, erklärte Nu. Seltsame Aussage. Anju lächelte so gut wie immer, wenn Nu sie ansah. „Ein Griesgram also.“, stellte Ashkenay fest. „Eher Melancholiker.“, berichtigte Nu, und an Anju: „Darum hab ich dir auch ein besonders heiteres Werk mitgebracht. Es heißt: Freedon Nadds Fall.“ „Also, wenn das nicht heiter klingt... Aber Moment, das hast doch du geschrieben.“ „Ich hab einiges geschrieben, und in aller Bescheidenheit auch dieses Kleinod geballten Wissens.“ „Findest du keine freiwilligen Leser mehr, dass du es einem kranken Kind bringst, das nicht weglaufen kann?“ „Korrekt.“ Beide Frauen lachten. „Eine kurze Zwischenfrage.“, unterbrach Meister Windu sie, als Anju in ihrer ausführlichen Erzählung zu der Stelle mit dem Holocron gekommen war: „Wurde keine Gestalt von dem Würfel ausgestrahlt?“ Nun, da es der Meister ansprach, fiel auch Anju auf, wodurch sich die Situation von allen ihren Vorstellungen eines solchen Geschehens abhob. Anju kannte es natürlich nur von Bildern, schließlich hatte niemand unter dem Rang eines Meisters Zugang zu diesen Speichermedien. Doch scheinbar baute ein Holocron, sobald man ihn aktivierte, das holografische Pendant zu jener Person auf, dessen Wissen in ihm gespeichert ist. Dieses Abbild sprach mit einem, nicht der Würfel selbst. Doch nachts, in der Übungshalle, war da keine holografische Projektion gewesen. Oder hatte sie etwas verborgen, hatte Anju sie bloß nicht sehen können? Anju antwortete: „Nein, da war keine Gestalt. Die Box hat nur geglüht.“ Meister Windu rieb sich nachdenklich das Kinn. Doch sagte: „Gut, fahr fort.“ Anju stand exakt in der Mitte des Ratsaals, da, wo das Blumenornament am Boden seinen Blütenstaub hatte. Vier der zwölf amtierenden Jedi-Meister des hohen Rats waren anwesend. Mace Windu, Shaak Ti, Adi Gallia und Saesee Tiin. Alle Augen waren aufmerksam und forschend auf Anju gerichtet. Ob ihr das unangenehm auffiel? Sie konnte nicht umhin, nervös zwischen den lebenden Legenden um sich hin- und herzusehen. Obwohl ihr Meister Tiin bereits eingangs versichert hatte, sie brauche keine Angst zu haben. Doch er, in ihrem Alter und ihrem Zustand in so erlauchter Gesellschaft, wäre sicher auch unruhig gewesen. Anju schämte sich nicht wegen ihrer Unsicherheit. Unter vielen Ähms und Ähs und längeren Pausen erzählte sie auch den Rest der Vorkommnisse. „Der Jüngling heißt Ada Har-Leki.“, informierte Meisterin Shaak Ti die anderen, nachdem Anjus stockender Vortrag endlich zu Ende war: „Ein Mensch von Coruscant, sie ist hier geboren worden. Mit drei hat Meister Ordoon sie in den Tempel gebracht. Nun ist sie sieben. Ihre Lehrer sind alle sehr zufrieden mit ihr, keiner hat von auffälligem Verhalten während der letzten Zeit berichtet.“ Wie respektvoll von den Meistern, Anju nicht gleich nach ihrer Erzählung wieder hinausgeschickt zu haben. Scheinbar waren sie bereit dazu, die Padawan an den bisherigen Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Doch Anjus Beine waren noch schwach. Also setzte Anju sich, mitten in die dottergelbe Scheibe am Boden. Mit einem leichten Nicken in ihre Richtung signalisierte ihr Ti, dass die sonst inakzeptable Geste ausnahmsweise toleriert wurde. Sie fuhr fort: „Ada liegt noch immer in tiefem Schlaf, alle konsultierten Heiler bestätigen, dass man nicht sagen kann, wann und ob sie überhaupt wieder aufwachen wird. Eine Möglichkeit, an die in ihrem Kopf gespeicherten Erinnerungen zu kommen, sehe ich derzeit noch nicht, doch ich denke weiter darüber nach.“ Windu dankte ihr für den Bericht und wandte sich danach an Gallia. Die junge Corellianerin nahm den Ball auf und begann: „Auch nach gründlicher Durchsuchung des Übungssaals wurde nichts Ungewöhnliches entdeckt. Der Holocron, von dem Padawan Anju eben berichtet hat, muss also als verschwunden angesehen werden. Die Gefahr, die von ihm ausgeht, ist unabsehbar. Ich werde die Suche schrittweise ausweiten, dazu brauche ich zusätzliche Hilfskräfte.“ Windu nickte zustimmend. Gallia sprach weiter: „Wer das Programm in der Nacht gestartet hat, ist nicht verzeichnet. Es wurde um 2 Uhr 34 Standardzeit aktiviert und lief bis exakt 3 Uhr. Das Videomaterial um dieses Zeitfenster wird eben gesichtet und ausgewertet. Bisher sieht man nur Ada auf dem Weg von ihrem Quartier zum Übungssaal. Sie trägt dabei nichts bei sich, keinen Holocron, kein Lichtschwert.“ „Interessant.“, stellte Windu fest. „Dafür sieht man die anwesende Padawan Anju, rund drei Stunden vor Start des Programms, mit allen genannten Gegenständen von ihrem Quartier aus zur Übungshalle gehen und diese betreten.“, endete Gallia. Keinen in dem Saal schien die Nachricht zu schockieren. Selbst Anju fühlte sich eigentümlich ruhig, als sie es hörte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)