Ein Schelm, wer Böses dabei denkt von Ange_de_la_Mort (LoL - Lots of Loki) ================================================================================ Traumfänger ----------- Manchmal träumte er. Nicht mehr so häufig, seit er erwachsen geworden war, nicht mehr so farbenfroh und phantasiereich, nicht mehr so positiv. Aber das gehörte wohl zum Erwachsenwerden dazu. Manchmal träumte er von früher, von der Vergangenheit, von seiner Jugend, als alles noch in Ordnung war. Dann sah er sich selbst als kleinen Jungen, der sich mit seinem älteren Bruder raufte, wie es Jungen eben so taten. Er sah sich selbst nachts heimlich in die großen Bibliotheken schleichen und die Nase in Bücher stecken, die für sein Alter und seine Vorhaben alles andere als angemessen waren. Er sah sich selbst und spürte das Erstaunen und die allumfassende Freude, als er das erste Mal seine Magie gewirkt und sie irgendwann auch perfektioniert hatte. Manchmal waren seine Träume reine Wunschbilder; Dinge, die niemals geschehen waren und von denen er selbst wusste, dass er nicht einmal zu hoffen wagen sollte, dass sie sich auch nur im Entferntesten wie in seiner Phantasie abspielen würden. Dann sah er seinen Vater, der ihn lobte. Sah sich selbst auf ein Knie sinken und Bescheidenheit heucheln, obgleich alles in seinem Innersten sich danach verzehrte, seine Freude in die Welten hinauszuschreien. Er sah seinen Bruder, der ihn anlächelte und ihm anerkennende Blicke schenkte, weil er endlich verstand, dass die Magie der bloßen Körperkraft durchaus gleichzusetzen war. Manchmal sah er sich und seinen Bruder auch in anderen Situationen; Situationen, an die er nicht einmal denken wollte, die ihn selbst verwunderten und ihn anekelten, obwohl er sich gleichzeitig danach sehnte, seine Vorstellungen in die Tat umzusetzen, seinen Bruder am Handgelenk zu packen und sich zu ihm zu neigen, zu seinem Gesicht, zu seinen Lippen, zu ... Viel zu häufig kamen die Alpträume, die Zerrbilder seiner Erinnerung und seiner Vorstellungskraft. Dann wurde das Lob seines Vaters plötzlich Spott und Hohn, dann wurde das Lächeln seines Bruders zu einer Grimasse und einem lauten Lachen, das ihm zeigte, was für ein Dummkopf er doch war, wenn er glaubte - wenn er hoffte -, Anerkennung zu verdienen. Dann sah er seinen Bruder, der nicht mehr sein Bruder war, sah sich selbst, sah das Monster, das er geworden war ... nein ... das Monster, das er immer gewesen war. Immer erwachte er in diesen Nächten schweißgebadet in der Dunkelheit des Raumes, den er jetzt wohl als sein Gemach ansehen musste. Mit geschlossenen Augen und leicht geöffneten Lippen, mit zitternden Fingern. Zu verängstigt, um die Augen aufzuschlagen oder für Helligkeit zu sorgen, aus Furcht, dass das, was er geträumt hatte, wahr geworden sein könnte. In jenen Augenblicken war es immer besonders verlockend, einfach liegen zu bleiben und darauf zu warten, dass die Sonne über Midgard aufging und durch das Fenster schien. Darauf, dass der neue Tag die Nacht und die Alpträume verjagte. Doch wusste er selbst, dass es nicht so leicht sein, dass das Schicksal so gnädig nicht zu ihm sein würde. Jedes Mal aufs Neue nahm er sich vor, einfach nicht mehr zu schlafen. Wer nicht schlief, der träumte auch nicht. Aber auch dieser Vorsatz wurde immer wieder zunichte gemacht, wenn die Erschöpfung ihn übermannte und er die Augen nicht mehr offen halten konnte, wenn die weichen Laken einfach zu verführerisch waren, um ihnen zu widerstehen. Sein Herz klopfte, pochte so laut, dass er es selbst hören konnte, als er langsam aufstand und sich an der nackten Wand entlang tastete, bis er den Schalter fand, der den gesamten Raum mit Licht flutete; so hell, dass es sich durch seine geschlossenen Lider brannte. Einerseits beruhigte ihn das Licht, andererseits verwunderte ihn die Technologie noch immer - und das, obwohl er gerne von sich behauptete, sich gut in Midgard eingelebt zu haben. Zumindest besser als sein Dummkopf von Bruder. Mit einem Seufzen betrat er das Badezimmer und sah in den Spiegel, sah die dunklen Schatten unter seinen Augen. Seine Finger zitterten, als sie das Waschbecken umklammerten. Es hatte sich so viel verändert ... nichts davon zum Guten. Er vermisste seinen Vater, seinen Bruder, die Freunde, die offensichtlich nie seine Freunde waren, sonst hätten sie ihm seine fünf Minuten im Glanz der Königswürde gegönnt. Er vermisste sie und hasste sie gleichermaßen, wollte sich an ihnen allen rächen, ihnen zeigen, was sie davon hatten, wenn sie ihn verspotteten und sich gegen ihn stellten. Doch sie waren in Asgard und er war hier gefangen und seine Kräfte reichten nicht mehr, um die geheimen Pfade zu öffnen. Aber es gab ja auch in Midgard noch jene, die seine Rache verdienten. Er betrachtete sein Spiegelbild und sah dabei zu, wie sich seine spröden Lippen zu einem breiten Grinsen verzogen. Es gab so viel zu tun. Er sollte sich um ein Problem nach dem anderen kümmern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)