Zum Inhalt der Seite

Kampf um die Existenz

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Krachend schlug die blaue Energiekugel des Rüstorpanzers dort ein, wo Anvar vor ein paar Sekunden noch gestanden hatte.

Das war knapp.

Er schaute gleich zu Silver, der schwankend wieder auf die Beine kam. Der Rumpf sammelte unterdessen Energie für einen zweiten Schlag. „Hinter dir!“, schrie sein Freund. Anvar drehte sich schnell um und ließ den Fuß des Herzlosen in sein Katana laufen. Die Wucht der Attacke ließ beide auf den Boden aufschlagen. Erfolglos versuchte Anvar das Gewicht von seinem Körper zu schieben. Verkehrt herum sah er, wie Silver auf Anvar zugerannt kam, die letzte Gliedmaße als Absprunghilfe benutzte und seinen Speer in den Körper des Gegners schleuderte. Die Waffe traf und verfehlte ihre Wirkung nicht. Gleißendes Licht strömte aus der Stelle, wo der Speer steckte, dann erhob sich das leuchtende Herz in die Lüfte. Silver streckte die Hand aus und das Herz flog in den kleinen, zylinderförmigen Behälter, den er in der Hand hielt. Endlich löste sich der Rüstorpanzer auf. Anvar, befreit von dem Gewicht, richtete sich langsam auf und sah sich nach Silver um. „Alles ok?“, fragte er seinen Partner besorgt. „Ja“, antwortete Silver. „Mir tut bloß mein Kopf etwas weh, doch die Schmerzen haben sich gelohnt. Wir haben ein weiteres Herz.“ „Somit sind wir wieder einen Schritt vorangekommen. Dann lass uns schnell zum Hauptquartier zurückkehren und es Kingdom Hearts geben.“ Silver nickte und Anvar erschuf ein Portal aus Licht, durch das sie beide verschwanden.

Anvar und Silver gehörten der Organisation des Lichts an. Ihre selbst ernannte Aufgabe war es, die Bewohner der Welten mit Hilfe des Lichts vor der Organisation der Dunkelheit zu beschützen. Die andere Organisation schickte Herzlose los, um die Herzen der Bevölkerung zu sammeln und dadurch ihr Kingdom Hearts zu vervollständigen. Die Strahlenden, wie man die Organisation des Lichts außerdem noch nannte, brachten ihrem Kingdom Hearts den Herzen der Herzlosen. Auch wenn beide Organisationen sich gegensätzlichen Mächten verschrieben haben, verfolgten sie beide dasselbe Ziel: Vollkommenheit.
 

Privem, der Anführer der Strahlenden, begrüßte Anvar und Silver, als beide im Versammlungsraum auf ihren Stühlen auftauchten. „Ich sehe, dass ihr beide wohlbehalten zurückgekehrt seid. Wie verlief die Mission?“ „Uns begegneten nur ein paar Klappersoldaten und ein schwacher Rüstorpanzer. Die Bewohner hatten sich zum Glück rechtzeitig zurückgezogen.“, antwortete Silver müde. Basav, der rechts von Anvar saß, fragte ihn: War euch ein Dunkler begegnet?“ Mit Dunkler bezeichneten sie die Mitglieder der feindlichen Organisation. Anvar schüttelte den Kopf. „Seitdem wir Xaver vernichtet haben, zeigen sie sich nicht mehr so oft“, stellte Victory selbstsicher fest. „Das heißt nicht, dass sie ihren Plan aufgegeben haben.“, entgegnete Pulvis tadelnd. „Und wir werden auch nicht aufgeben!“ Privem sah Anvar und Silver an. „Ihr seht erschöpft aus. Ruht euch aus.“

Das Zeugnis der Existenz war der Ort, wo die Steine der Mitglieder, egal ob lebend oder verstorben, standen. Vor jedem Stein war eine Platte mit Namen und Bild des Mitglieds im Boden eingelassen. Die Steine waren etwa ein Meter groß und hatten ein großes Schlüsselloch in der Mitte, worin ein helles Licht erstrahlte. Wenn dieses Licht jedoch erloschen war, bedeutete das, dass das Mitglied verstorben war.

Anvar kniete vor dem Stein seines verstorbenen Freundes Nova. Vor seinem geistigen Auge tauchten die Bilder der Erinnerung auf, wie Nova damals gestorben war. Wie Brave mit halb zerrissener, weißer Kutte im Versammlungsraum gestanden und vom Kampf mit Xiwo berichtet hatte. Als Brave erzählte, dass Nova sich geopfert hatte, war Anvar von seinem Stuhl gesprungen, und zu Brave hingelaufen. Anvars hellgraue Augen hatten in Braves meerblaue Augen gestarrt. „Nein! Du lügst! Nova lebt noch! Er kann …“, hatte er Brave in seiner Verzweiflung und Trauer angeschrieen. Daraufhin hatte ihm Brave das Katana, was eigentlich Nova immer führte, übergeben. Mit Nova hatte Anvar einen Kameraden und wertvollen Freund verloren.

Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du uns verlassen hast.

Ob die Gefühle, die er damals empfand, echt waren oder bloß Illusionen und Einbildung? Verhielt es sich nicht mit allen Gefühlen so? Auch wenn sie nicht echt waren, so würde er sie richtig fühlen, wenn Kingdom Hearts vollständig ist.
 

Der Junge kehrte langsam in sein Zimmer zurück. Nachdem er sich geduscht hatte, pflegte er seine Waffe, wie gewohnt nach jedem Auftrag. Das Katana pflegte er, weil er es Nova versprochen hatte – so wie er sich immer um Anvar gekümmert hatte, so kümmerte er sich nun um sein Schwert.

Man sah der Waffe an, dass sie schon recht häufiger zum Einsatz kam. Mit dem Finger fuhr der weißhaarige Niemand die silberne Klinge entlang, die schon einige Kratzer aufwies. Wo Nova noch das Katana geführt hatte, war seine Waffe einmal zerbrochen, doch die schmiedebegabten Mogrys in Traverse hatten die zwei Teile wieder zusammengesetzt. Der Griff war mit einem weißen Band umwickelte, welches nur durch die silbernen Rauten unterbrochen wurde. Die Parierscheibe hatte das Aussehen eines weißen, achteckigen Sterns, der für Nova und Anvar ein Symbol für das Licht darstellte.

Aus seinem Nachttisch holte er ein kleines Kästchen hervor. Zuerst entfernte er das alte Öl und den Schmutz mit einem Tuch, dann verteilte er gleichmäßig Puder auf der Klinge. Wieder polierte er solange, bis keine Flecken mehr zu sehen waren und das Schwert glänzte. Zum Schluss trug er einige Tropfen Öl auf und verteilte es. Fertig! Zufrieden mit seinem Ergebnis, ließ er das Schwert verschwinden.

Er räumte gerade das Reinigungsset in die Schublade zurück, als Victory bei ihm im Zimmer auftauchte. „Oh. Störe ich gerade?“, fragte das Mädchen überrascht und betrachtete Anvar. „Nein, nein!“, sagte Anvar schnell „Was gibt es denn?“

„Sanavi hat mich gebeten, noch Potions für ihn zu besorgen. Ich dachte ich frage dich, aber wenn du dich lieber noch ausruhen willst …“ Sanavi war der Arzt der Organisation, der seinen Job immer sehr ernst nahm. „Ist schon in Ordnung. So anstrengend war der Kampf nicht.“, lächelte der Junge.
 

„Wie friedlich es hier ist.“, meinte Anvar. „Ja.“, entgegnete Victory, die gedankenverloren ein Liebespärchen in einem Café beobachtete. Der junge Mann hielt die Hand des jungen Mädchens, das ihm lächelnd in die Augen schaute. Anvars Griff um den Beutel mit den Potions wurde etwas fester. Der Anblick von den beiden Liebenden löste in Anvar eine Sehnsucht aus, eine Sehnsucht nach Gefühlen … „Obwohl ich weiß, dass das Gefühl nicht echt ist, beneide ich die Menschen manchmal. Sie müssen nicht kämpfen, um irgendwann richtig zu fühlen. Sie müssen nicht miterleben, wie Freunde aus dem Leben scheiden. Wenn man das überhaupt Leben nennen kann. Ich denke, wenn man lebt, dann empfindet man Gefühle.“, sagte Victory ernst. In ihren hellvioletten Augen lag eine gewisse Traurigkeit und Anvar versuchte ihr Mut zu machen. „Keine Sorge! Bald werden wir ein Leben haben, mit echten Gefühlen. Sag mal, welches Gefühl magst du am liebsten?“ „Ich mag am liebsten das Gefühl Liebe. Die Menschen sagen, wenn man verliebt ist, spürt man ein Kribbeln im Bauch. Man fühlt sich glücklich, schwebt auf Wolke 7.“ Sie lächelte. Ihre Traurigkeit war verflogen. „Es muss wunderbar sein, verliebt zu sein. Wir werden es, wenn wir ein Herz haben, am eigenem Leib erfahren.“ Die Glocke von Traverse läutete. „Beeilen wir uns lieber, unserem Arzt aus Leidenschaft, seine Bestellung zu überbringen.“, wechselte das Mädchen schnell das Thema.
 

Mit besorgter Miene kam er auf ihn zu. Er machte einen erschöpften Eindruck. „Anvar! Ist etwas passiert? Wo wart ihr so lange?“ Anvar schmunzelte.

Victory hatte recht - ein Arzt aus Leidenschaft.

Sanavi war der Heilkundige der Organisation, der Weißmagie zur Heilung seiner Kameraden benutzte. Nichts ließ er unversucht, um den anderen Mitgliedern zu helfen. „Nein, es ist nichts vorgefallen. Wir haben die Potions besorgt und sind bloß noch ein bisschen durch die Stadt gegangen.“, konnte Anvar ihn schnell beruhigen. Sanavi nahm den Beutel dankend entgegen. „Da bin ich ja beruhigt.“, sagte Sanavi erleichtert. Seine Gesichtszüge entspannten sich wieder und Anvar krampfte sich zusammen und sagte mit gespielter Übertreibung: „Obwohl, mir tut doch was weh … Mein Magen! Autsch …“ Leider fand der andere Niemand das nicht lustig. „Man macht über Schmerzen und Verletzungen keine Witze.“ „Tut mir leid. Entschuldige.“ Die Erinnerungen an Novas Tod kamen wieder.

Schnell wechselte er das Thema. „Sag mal, wie geht es eigentlich Pulvis?“ „Seine Wunden heilen langsam. Es wird noch eine Weile dauern, bis er wieder Kämpfen kann. Wenn du mich bitte entschuldigst, ich möchte mich nun auch ausruhen.“

Anvar entschied sich, dass er sich auch etwas Ruhe in der Bibliothek des Schlosses gönnte. Genau wie der Rest des Schlosses, war die Bibliothek in hellgrauen Farben gehalten. Sogar die Bücher hatten den gleichen Farbton, bloß die schwarze Schrift auf den Bücherrücken verriet den Inhalt. Der junge Niemand ging an Regalen mit Astronomiebüchern vorbei, auch den historischen Romanen zeigte er keine Beachtung. Mit zwei Fingern glitt er die Bücherrücken entlang. Sein Ziel war ein dickes Buch. Nachdem er fündig wurde nahm er es aus dem Regal und machte es sich in dem Sessel, der an der Wand zwischen den Regalen stand, bequem. Wenn Anvar laß, vergaß er schnell, was um ihn herum geschah. So bemerkte er nicht, dass sich ihm leise Schritte näherten. „War ja klar, dass du dich hier aufhältst.“ Erschrocken blickte Anvar auf. Silver stand vor ihm. „Ja, ich wollte mich ein wenig entspannen.“, antwortete Anvar seinem Freund. Dieser schnappte sich das Buch und blätterte darin herum. „Warum liest du ausgerechnet Märchen?“, fragte Silver, während er auf den Buchtitel blickte. „Na ja, Märchen gehen immer gut aus und …“ Doch Silver unterbrach ihn.

Gehen immer gut aus … Wenn du dich weiterhin in eine Traumwelt denkst, wirst du bald nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden können.“ Seine Stimme war leicht wütend und traurig. Anvars blondhaariger Freund stützte beide Hände auf den Sessellehnen ab und schaute Anvar in die Augen. In Silvers honigfarbenen Augen lag etwas Ernstes. „Denkst du, dass wir uns in einem Märchen befinden?! Mensch, Anvar! Es sterben Menschen! Es sterben welche von uns! Nova ist tot! Das ist die Realität!“ Anvar schwieg dazu. Plötzlich meinte Silver: „Tut mir leid …“ Er drehte sich um und ging.

Ich kann dich verstehen, Silver. Du willst mich bloß beschützen.

Die Bewohner des kleinen Dorfes im Land der Drachen rannten panisch an Anvar vorbei. „Schnell! Alle in die Höhle!“, schrie Recovor, der ein kleines verängstigtes Mädchen auf dem Arm trug. Anvar und Corvus halfen währenddessen einer alten Frau in die Höhle. Vom Gipfel her konnte man das näher kommende Geräusch von Propellern hören.

Als alle in der sicheren Höhle waren, sprach Corvus beruhigend: „Habt keine Angst. Die Lichtbarriere wird euch schützen. Die Herzlosen können sie nicht durchdringen.“ Die drei Niemande streckten die Hände aus. Goldenes Licht leuchtete zwischen ihren Händen, verteilte sich bis es den ganzen Höhleneingang eingenommen hatte. Anvar, Recovor und Corvus beschworen ihre Waffen. Recovor führte eine Zikadenzwillingsklinge. Diese bestand aus einer 2 Meter langen Eisenstange mit einer kurzen, einseitig-geschliffenen Klinge an jedem Ende. Zudem schützten zwei scharfe sichelförmige Klingen die Hände von Recovor vor Verletzungen.

Corvus nutzte zwei halbmondförmige Klingen, die ineinander griffen. Der Niemand setzte sie immer paarweise ein.

Das Geräusch war nun näher und Sekunden später rollte eine Lawine aus Propellerdrohnen über sie hinweg. Das Gefährliche an diesen Herzlosen war, dass sie in Schwärmen auftraten. Doch gegen drei erfahrene Niemande konnte auch ein Schwarm nichts ausrichten. So waren es nur noch wenige Herzlose, als Anvar ein komisches Geräusch vom Hochlandpass her hörte. „Hört ihr das?“, fragte Anvar besorgt die Anderen. „Ja. Das sind … Zimbeln?!“, antwortete Corvus ungläubig. Anvar schaute in die Richtung aus der das Geräusch kam.

Da erschien er!

Der Sturmreiter flog über das Dorf und seine Bomben verwandelten es in eine Ruine.

Anvar und die zwei anderen warfen sich in den Schnee, als der riesige Herzlose tief über ihre Köpfe hinweg fegte und dabei die übrigen Propellerdrohnen vernichtete.

Der Sturmreiter war ein großer blauer Drache mit einem langen Schwanz, dessen Ende sich kringelte. Gelbe, gedrehte Spitzen liefen in zwei Reihen seinen Rücken entlang. Seine Flügel erinnerten an lange, fünffingerige Hände, zwischen denen das Gewebe kunstvoll in Schnörkeln verlief. Am Bauch befanden sich, anstelle von sechs Füßen, goldene Zimbeln. Während der Oberkiefer wie der Rest des Körpers blau war, wies der zackige, große Unterkiefer eine gelbe Farbe auf, auf dem das Herzlosensymbol zu sehen war. Weißes Haar umrahmte die gelb-glühenden Augen mit den blau-grünen Augenbrauen und bildete an den Seiten des Mundes spitze Stoßzähne. Auf seinem Kopf ragten zwei große, rote Hörner empor.

Gerade noch rechtzeitig sah Anvar, wie Energiegeschosse auf ihn zu rasten.

Durch den Zauber „Reflek“ ließ er um sich ein Schutzschild entstehen. Die Geschosse prallten an ihm ab und wurden zurück zum Angreifer geschickt, wo sie wirkungslos verpufften.

„Die Hörner“, informierte Recovor seine Kameraden, „sie sind seine Schwachstelle.“ Anvar kam wieder auf die Beine. Die Drei rannten auf ihren drachenähnlichen Gegner zu, der wieder seine Füße in Form von Zimbeln gegeneinander schlug. Ehe die Bomben sie treffen konnten, sprangen die Strahlenden zur Seite. Eine Hitzewelle rollte über Anvar hinweg. In seinen Ohren klingelte es. Er schaute sich um, konnte aber nur schwarzen Rauch sehen. Der Junge öffnete den Mund, um nach den anderen zu rufen- rollte sich weg, da er über sich das vertraute knisternde Geräusch eines Blitz-Zaubers hörte. Aus der Richtung des Berges kam ein heftiger Windstoß. Der Rauch verschwand. Endlich konnte Anvar wieder etwas sehen. Recovor lag mit dem Gesicht nach unten im Schnee. Corvus kniete am Boden. Als seine zwei Kameraden Recovor zur Hilfe eilen wollten, erschien eine Barriere, die Anvar und Corvus von ihrem Partner trennte. Hinter ihnen erschien ebenfalls eine Barriere.

Gefangen! Der Sturmreiter brüllte und ließ sich vor den beiden an einem Ende des „Ganges“ nieder. Anvar wusste was das bedeutete. Anvar spannte sich an. Gleich würde der Herzlose einen mächtigen Blitzstrahl abfeuern, vor dem es kein Entrinnen gab.

Nur eine Chance!

Ihr Gegner bildete bereits eine knisternde Kugel vor seinem Maul, die schnell an Größe gewann. Corvus schaute ihn an. Anvar nickte wissend. Sie rannten auf ihren riesigen Gegner zu. Gerade mal die Hälfte des Weges hatten die Kameraden zurückgelegt, als der Blitzstrahl abgefeuert wurde. Doch bevor der tödliche Strahl sie treffen konnte, sprangen beide Niemande in die Luft.

„Magnera!“, schrie Corvus. Ruckartig wurden er und Anvar wie von Geisterhand auf den Kopf des Ungetüms gezogen.

Es war wie beim Rodeo, als Anvar sich mit der einen Hand am Kopf des Ungetüms festhielt und mit der anderen bewaffneten Hand wie wild auf das Horn eindrosch. Natürlich ließ sich der Sturmreiter ganz und gar nicht gefallen. Dieser versuchte durch Hin- und Herschütteln des Kopfes die unliebsamen „Reiter“ abzuwerfen.

Vergebens. Die Hörner brachen. Ein letztes Mal brüllte der Sturmreiter, ehe das Herz aus dem Körper trat. Corvus sammelte das Herz ein. Dann liefen sie zu dem immer noch bewusstlosen Recovor hin. Vorsichtig drehte Corvus seinen Kameraden auf den Rücken. „Recovor.“, flüsterte er und schüttelte ihn leicht. Der Blick von Anvar löste sich von Recovor und glitt zu dem zerstörten Dorf. Von der äußeren Steinmauer waren nur noch wenige Teile übrig. Fast die ganzen Häuser waren dem Erdboden gleich gemacht geworden. Immer noch stiegen hier und da kleine Rauchwolken gen Himmel. „Zum Glück sind die Dorfbewohner in Sicherheit.“, meinte Anvar. Ein Stöhnen kam von dem bewusstlosen Niemand. „Es hätte aber noch schlimmer kommen können…“, meinte Corvus.

„Bitte sprich lauter. Ich hör nicht mehr richtig und in meinen Ohren klingelt es.“, sagte Anvar und stocherte mit seinem kleinen Finger in seinem Ohr rum.

Sein Partner wiederholte seine Worte, fügte aber hinzu: „Das sollte sich Sanavi lieber mal ansehen.“

Er stand auf und legte sich einen Arm von Recovor um die Schulter.

Stimmt. Das wäre ein Massaker geworden, hätten sich die Bewohner noch im Dorf befunden.

Trotzdem war es nicht schön, dass das Dorf zerstört war, aber Menschenleben kann man nicht wieder herstellen.

„Befrei die Dorfbewohner.“, bat Corvus diesmal etwas lauter.

Entsetzen und Fassungslosigkeit standen in den Gesichtern der Menschen. Einige Frauen fielen weinend zu Boden. „U-unser Dorf…“, stammelte ein junger Mann. „Was sollen wir jetzt tun?“, fragte eine Frau traurig. „Es wird sicher mehrere Monate dauern, bis wir das Dorf wieder aufgebaut haben.“, stellte resignierend ein alter Mann fest.

„Corvus! Wir müssen ihnen helfen.“, meinte Anvar.

„Du hast recht.“, pflichtete Corvus bei.

Anvar hob die Hände und bittete um Ruhe. „Hört mir bitte zu! Wir, von der Organisation, werden Euch beim Wiederaufbau unterstützen. Auch werden wir sehen, wo ihr derweil…“

Der Blitz, der ihn in den Rücken traf, ließ in nach vorne taumeln.

„Warum ein Dorf wiederaufbauen, wenn es sowieso bald keine Dorfbewohner geben wird?“

Anvar drehte sich schnell um. Corvus ließ Recovor vorsichtig zu Boden gleiten. Seine Doppelklingen erschienen wieder genauso wie Anvar’s Katana.

„Oxandros!“, nannte Corvus den in eine schwarze Kutte gehüllten Mann. In der rechten Hand hielt Oxandros einen Luzernen Hammer. Dieser hatte einen langen Schaft, an dessen Ende ein Hammerkopf mit scharfen Kanten saß. Auf dessen gegenüberliegender Seite befand sich ein scharfer Haken. Eine flache Stoßspitze saß auf dem Ende, wo auch Hammerkopf und Haken zusammen liefen. „Zurück in die Höhle!“, schrie Corvus. Abermals rannten die Bewohner in die sichere Höhle. Die beiden Strahlenden deckten den Rückzug. „Nutzlos!“, kommentierte der Dunklere und stieß das Ende seiner Waffe einmal in den Schnee.

Über manchem Mensch erschien eine gelbe Kugel. Anvars Partner reagierte gerade noch rechtzeitig.

Mithilfe des Zaubers „Protes“ konnte er einige Dörfler durch Schutzschilde, die sich um sie bildeten, retten. Aber nicht alle. Sie fielen bewusstlos um. Anvar konnte sich durch die erste Attacke nicht bewegen. Sprichwörtlich wie gelähmt stand Anvar da.

Der Hammer war seitlich von sich gestreckt, als Oxandros auf Corvus zu rannte. Schwungvoll holte ihr Gegner über dem Kopf aus, nur um ihn dann auf Corvus niedersausen zu lassen. Endlich verschwand die Starre und Anvar konnte sich wieder bewegen. Anvar eilte seinen Partner zur Hilfe, wollte Oxandros in den Rücken fallen. Corvus’ Doppelklingen fingen die Waffe ab, der Oberkörper von Oxandros war ungeschützt. Der Tritt, den Corvus dem Dunklen verpassen wollte, schlug fehl. Oxandros harkte den Schlagdorn in den weißen Stiefel ein, drehte sich und schleuderte sein Opfer gegen Anvar.

Beide Niemande stürzten zu Boden. Der Dunkle lief auf die Beiden zu. Die Spitze schnellte nach vorne. Ihr Ziel war die Brust von Corvus. Geschickt fing Corvus die Waffe noch ab. Mit seinen Füßen klemmte er die Spitze zwischen ihnen ein. Anvar sah seine Gelegenheit. Er wollte Oxandros’ Oberarm angreifen. Bloß hatte Oxandros seine Waffe schneller befreit als es den beiden anderen lieb war. Der Dunkle hatte gerade den Hammer erst befreit, als wiedermal die Spitze, einer Schlange gleich, vorschnellte und das Bein von Corvus aufschlitzte. Er sah, dass Anvar auf ihn zu rannte. Er blockte Anvars Angriff, indem er die Schwertklinge nach außen, weg von seinem Körper, drückte. Dann machte er drei Schritte vorwärts und drehte sich, sodass er den Rücken angreifen konnte.

Ein kurzes Stöhnen entfuhr Anvar, als sein Hinterkopf Bekanntschaft mit dem eckigen Hammerkopf machte. Anvar kippte nach vorne. Oxandros ging um Anvar herum, bis er vor ihm stand. „War das schon alles?“, fragte dieser tonlos. Die Augen des in schwarz-gekleideten Niemands suchten eine passende Stelle. Der Schlag auf den Hinterkopf war nicht mit voller Wucht ausgeführt worden, sonst wäre Anvar nicht mehr bei Bewusstsein gewesen – und er hätte auch nicht gemerkt, wie sich der Haken in sein Schulterblatt bohrte. Ein schmerzerfüllter Schrei kam als Antwort.

Anstatt den Haken rauszuziehen, zog Oxandros den Schaft des Hammers näher zu sich heran. Das hatte zur Folge, dass der Haken unter das Schulterblatt kam und dieses schmerzhaft nach oben drückte. Gleichzeitig merkte Anvar auch die Speerspitze. Anvar blickte zu ihm auf. Er hob sein Schwert etwas an. Oxandros’ gelbe Augen verengten sich. Er drückte Anvars Hand mit seinen Stiefelabsatz brutal in den Schnee. „Jämmerlich!“, kommentierte Oxandros ernst. „Um euch werde ich mich kümmern, wenn ich meine eigentliche Mission abgeschlossen habe.“ Nicht gerade gefühlvoll befreite er seine Waffe aus Anvars Körper. Der Dunkle wandte sich von Anvar ab und ging ohne Eile zu den bewusstlosen Dorfbewohnern hinüber. „Nein!“, stöhnte Anvar unter Schmerzen. Seine Finger umklammerten das Katana ohne wirklichen Halt. Sein Versuch, sich in die Höhe zu stemmen, scheiterte. Mit schmerzender Schulter sackte der Niemand wieder auf den Boden. Obwohl es in dieser Welt eiskalt war, brannte seine Schulter, als ob sie in Flammen stünde. Noch immer konnte er sehr wenig hören. Anvar musste ein paar Mal blinzeln, um Corvus zu erkennen, der ebenfalls im Schnee lag und sich das blutende Bein hielt. Ein roter Fleck breitete sich unter ihm, im makellosen Weiß, aus. Beide schauten sich an. Ohne fremde Hilfe konnte auch sein Partner nicht aufstehen, geschweige denn gehen.

Sie wussten, dass die Dorfbewohner schutzlos dem Dunklen ausgeliefert waren.

Aussichtslos! Recovor ist bewusstlos und bei uns anderen beiden sieht es nicht besser aus.

Fassungslos sahen beide, wie Oxandros einen Dorfbewohner nach dem anderen in die Brust stach. Aus ihren Körpern traten ihre Herzen, die im blauen Himmel verschwanden. Den Angehörigen der Dörfler blieb nicht mal der Körper ihrer geliebten Freunde oder Familien, den auch dieser löste sich auf. Anvar zweifelte nicht im Geringsten, dass, wenn Oxandros die Herzen der Bewohner vor der Höhle befreite, er sich dann die Menschen in der Höhle vornahm.

„Ragnarök!“

Völlig überrascht trafen die Lichtkugeln Oxandros und ließen ihn zu Boden stürzen. Anvars Sicht verschwamm leicht, als er auf die Gestalt blickte, die Ragnarök abgefeuert hatte.

„Warum nimmst du es nicht mit mir auf, anstatt auf wehrlose Dorfbewohner loszugehen?“

Es war Recovor.

„Du wirst genauso verrecken wie sie und deine kleinen Freunde.“ Mit diesem Satz schwang er seinen Hammer von links nach rechts. Eine Blitzsichel schoss auf Recovor zu. Erfolgreich konnte der Strahlende sie blocken. Eine weitere Sichel folgte. Diesmal wich der Niemand aus. Kurz schauten sie sich an, dann stürmten beide aufeinander zu. Der Hammerkopf von Oxandros‘ Waffe zielte auf den Kopf von Recovor. Dieser duckte sich. Eine Klinge seiner Waffe schlitzte die Seite von Oxandros auf. Er kümmerte sich nicht weiter um die Verletzung, sondern versuchte mit der Speerspitze Recovor im Gesicht zu treffen. Dieser fing den Stoß ab. Nachdem sich der Strahlende zur Seite gedreht hatte, versetzte er dem anderen Niemand einen Stich in den Rücken. Beide gingen auf Distanz.

Aus den Augenwinkeln heraus sah Anvar eine Bewegung. Er zuckte zusammen, als sich die Hand von Brave sanft auf seine Schulter legte. „Wir holen euch hier heraus“, meinte dieser leise. Vorsichtig half er Anvar auf die Beine und legte sich einen Arm von Anvar um die Schulter.

„Aber Recovor …“, fragte Anvar besorgt

Jetzt hatte Oxandros auch die beiden neuen Niemande entdeckt. Zornig schoss er zwei Blitzkugeln auf sie. Zu spät! Brave und Anvar, sowie Basav und Corvus, hatten sich in Licht aufgelöst.

„Natürlich werden wir den Dorfbewohnern helfen“, stimmte Privem ihnen zu. Alle sich im Schloss befundenen Mitglieder hatten sich in das große Zweibettzimmer auf der Krankenstation versammelt, um den Bericht von Corvus, Anvar und Recovor zu lauschen. Außer Recovor, der im Kampf gegen Oxandros nur eine kleine Narbe auf der Wange davon trug, hatte es die anderen Beiden schlimmer erwischt. Corvus’ Fuß und sein Bein waren verletzt. Anvar hatte eine tiefe Wunde unterhalb des Schulterplattes, sowie ein Explosionstrauma aufgrund der Bomben des Sturmreiters.

„Dabei dürfen wir aber nicht die Bewohner der anderen Welten vergessen. Wenn wir alle das Dorf aufbauen, wer soll sie dann beschützen?“, gab Pulvis zu Bedenken.

Victory hatte eine Idee: „Wieso teilen wir uns nicht einfach in zwei Gruppen auf? Die eine hilft beim Wiederaufbau und die Andere kümmert sich um die anderen Welten.“

„Kein so schlechter Vorschlag, Vic“, meinte Silver.

„Stimmen wir ab“, sagte Privem. „Wer dafür ist, Hand hoch.“

Alle Strahlenden hoben ihre Hand.

„Gut. Vorschlag angenommen“, stellte der Anführer fest. „Wer den Dörflern helfen will, geht zu Anvars Bett und wer die anderen Bewohner beschützen will, zu Corvus’ Bett hinüber.“

Nach wenigen Minuten waren an beiden Betten fast gleich viele Mitglieder verteilt.

„Eine Frage noch. Wo sollen die Dörfler während des Wiederaufbaus unterkommen? In der Höhle wohl kaum“, warf Evarion ein.

„Könnten wir sie nicht hier im Schloss unterbringen?“, fragte Anvar.

„Leider nicht. Würde die Organisation der Dunkelheit hierher finden und die Dörfler wären hier, wäre der Wiederaufbau völlig umsonst. Außerdem haben wir nicht genügend Platz“, entgegnete Privem kopfschüttelnd, „Doch werde ich mit dem Kaiser reden. Vielleicht kann er sie unterbringen. Am besten sofort.“

Silver fragte ihn: „Sollen wir anfangen, nachdem du wieder da bist?“

Privem nickte. „Ja.“ Dann sah er Anvar und Corvus an. „Und ihr zwei lasst euch bitte Zeit mit euer Genesung.“ Ihr Anführer verschwand.

Sanavi klatschte in die Hände. „Bitte geht jetzt auch. Corvus und Anvar brauchen Ruhe.“

Sein Freund Silver schaute Anvar an und sprach: „Ich werde dir jeden Tag berichten.“

„Einverstanden“, lächelte Anvar.
 

Anvar spürte die Wärme, welche von Sanavis Hand ausging. Jeden Tag kam der Heilkundige, um Anvar und Corvus mit dem Zauber ‚Vitra‘ schrittweise zu heilen. Zwar sah die Wunde von ihm besser aus als eine Woche zuvor, doch ging es Anvar immer noch zu langsam. Er wollte auch helfen und nicht nur nutzlos herumliegen.

„War Silver schon da?“, wollte Sanavi wissen.

„Ja“, bestätigte Anvar. „Der Wiederaufbau kommt voran. Silver meinte, laut Privem wird das Dorf schätzungsweise wieder in vier bis fünf Monaten in seinem alten Zustand sein.“

„Hoffen wir, dass nichts dazwischen kommt.“

Sanavi zog die Hand weg und nahm vom Nachttisch einen frischen Verband. Das eine Ende legte er auf Anvars Brust.

„Wie lange noch, bis meine Wunde ganz geheilt ist, Sanavi?“, fragte Anvar.

„Bitte festhalten“, befahl Sanavi freundlich. Während er den Verband um Anvar wickelte, sprach er: „Schwer zu sagen. Vielleicht noch einen Monat. Aber was ich dir sagen kann ist: Nur noch drei Tage dann bist du die Infusion los.“ Anvar erhielt eine Infusion mit durchblutungsfördernden Mitteln und Cortison gegen das Explosionstrauma.

Wenigstens etwas Gutes…

Der Arzt tauschte die leere Infusionsflasche gegen eine Neue. „So, das war’s dann für heute. Wenn ihr irgendetwas braucht, ruft mich“, schloss Sanavi den Krankenbesuch ab.

Nachdem der Niemand verschwunden war, fragte Anvar Corvus: „Sag mal, Corvus, erinnerst du dich noch wie du zur Organisation gekommen bist?“ Der Gefragte musste nicht lange überlegen. „Es ist schon eine Weile her. Ich kann mich nicht erinnern. Weißt du es noch?“

„Ja, ich weiß es noch“, antwortete Anvar.

Als wäre es gestern gewesen…

Es war zwar ein kalter doch schöner Herbsttag gewesen, wo Anvar in einem verlassenen Hinterhof aufwachte, ohne Ahnung wo er sich befand. Die Erinnerungen des Gestankes, von dem dort abgeladenen Müll, kamen ihm wieder in den Sinn. Damals dachte er, es gäbe bestimmt Hinweise, wie er dort hingekommen war. Jedoch gab es nichts, was ihn hätte helfen können. Bald war er irgendwann ziellos und ohne Orientierung durch die Stadt umhergeirrt. Zuerst gegangen, dann gerannt. So lange, bis er hinter sich ein „Warte!“ gehört hatte. Anvar war stehengeblieben und hatte sich umgedreht. Mit der Hoffnung, dass vielleicht diese Person ihm hätte helfen können. Ein junger Mann in einer weißen Kutte stand vor ihm. Seine hellgrünen Augen hatten einen freundlichen Ausdruck und sein Mund zeigte ein ebenso freundliches Lächeln.

„Du suchst Antworten? Auf die Frage, was du bist“, vermutete der Mann.

„Woher wissen Sie das?“, fragte Anvar ungläubig, „Können Sie mir helfen?“

„Weil du und ich so genannte Niemande sind. Ja, ich kann und werde dir helfen. Übrigens, ich bin Nova.“

Während beide durch die Stadt schlenderten, hörte Anvar dem Fremden aufmerksam zu. Nova hatte ihm erklärt, dass Niemande keine Gefühle haben. Auch hatte Anvar von den zwei Organisationen, die des Lichts und die der Dunkelheit, und ihren unterschiedlichen Arten ihr Ziel, ein Herz zu besitzen, erfahren. Durch seinen späteren Freund war in ihm der Wunsch entfacht worden, ein Herz zu besitzen. Daraufhin hatte Nova ihm mit zum Schloss, dass in der Welt, die niemals war, mitgenommen. So kam Anvar zur Organisation des Lichts.
 

Hätte sich Anvar in den sechs Wochen, die er noch ans Bett gefesselt war, nicht durch Bücher lesen und durch die Berichterstattung Silvers abgelenkt, wäre er bestimmt vor Langeweile gestorben.

Anvar griff neben sich in die Tüte, die zwischen ihm und Silver lag. Eine schwarze Lakritzschnecke kam zum Vorschein. Das eine Ende der Schnecke nahm Anvar zwischen die Zähne und rollte die Nascherei auseinander. Von oben ließ er sie dann genüsslich in seinen Mund gleiten.

„Wie kannst du bloß Lakritz mögen?“, fragte Silver mit verzogenem Gesicht.

„Ist doch lecker“, antwortete Anvar kauend und wedelte mit dem letzten Rest Lakritze vor Silvers Gesicht herum, was bei Silver nur noch mehr Ekel erregte. „Lass das!“, meinte Silver. Ohne Kommentar verschwand die Süßigkeit in Anvars Mund.

„Mit Lakritz kannst du mich nicht ködern. Dann eher schon mit sauren Sachen.“

„Oh ja. Das stimmt“, grinste Anvar Silver entgegen. Anvar nahm ein paar saure Bohnen aus der Tüte, meinte: „Mund auf!“ und versuchte die Bohnen in den Mund seines Freundes zu werfen. Fünf Versuche – drei Treffer. Beide lachten.

Die beiden Freunde saßen auf der niedrigen Anhöhe beim Abendrothügel und genossen die letzten Sonnenstrahlen. Sie saßen immer, wenn es möglich war, hier und unterhielten sich. Leider war es in dem letzten Monat nicht möglich gewesen, weil Anvar sich erholen musste. „Schade, dass wir solche Momente in den nächsten Monaten nicht mehr so oft machen können“, fand Silver. Der weißhaarige Niemand stimmte zu: „Ja, schade. Wie läuft es denn mit dem Dorf?“ Anvar hatte sich der Gruppe angeschlossen, die die anderen Welten beschützten. „Klappt gut. Die Steinmauer ist fast wieder komplett. Alle packen mit an. Sogar kaiserliche Wachen beteiligen sich“, informierte ihn Silver.

„Das ist schön zu hören“, meinte Anvar zustimmend.

Eine kurze Weile trat Schweigen zwischen die Freunde, in der sie der Sonne zusahen, wie sie am Horizont versank und die Wolken in ein wunderschönes Rot tauchte.

„Sag mal, Anvar“, durchbrach Silver die Mauer des Schweigens, „Was ist das Erste, was du tust, wenn du ein Herz hast?“

Anvar fiel die Antwort sofort ein. „Mit dir so richtig aus tiefstem Herzen lachen. Und Du?“

„Ich glaube, dass erste was ich tue, ist mir an die Brust zu fassen und den Herzschlag zu spüren“, meinte der blondhaarige Niemand und sprach weiter: „Dann wird es vorbei sein mit den Illusionen, die uns wie Gefühle vorkommen.“

Mit einem Nicken stimmte Anvar zu: „Stimmt. Wir werden die ganzen Gefühle echt erleben. Freude, Glück, Heiterkeit, Liebe.“

„Aber auch Traurigkeit, Mutlosigkeit und Trauer“, ergänzte Silver. „Leider.“

„Trotzdem gehören die negativen Gefühle genauso zum Leben dazu wie die Positiven“, meinte Anvar. Er ließ sich nach hinten fallen und schloss die Augen. „Da hast du recht“, antwortete Silver und tat es Anvar gleich. Beide genossen die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Eine sanfte Brise trieb in den Geruch von Bachwaren in Anvars Nase. Er konnte das heitere, ausgelassene Lachen von Kindern hören. Geräuschvoll fuhr ein Zug in den Bahnhof des Abendrot-Viertels ein.

Kann dieser Augenblick nicht für immer sein…

Wieder legte sich ein Mantel des Schweigens über sie.

Da war etwas Warmes auf seiner Brust. Anvar blinzelte. Die Sonne war längst untergegangen. Er dachte, er hätte es sich eingebildet, als ihm bewusst wurde, was es war. Anvar schreckte hoch.

„Silver! Mein Anhänger.“

Jedes Mitglied der Strahlenden besaß so einen silbernen Anhänger in Form einer Sonne. Mit diesen Anhängern ist es ihnen möglich, mit Hilfe des Lichts, Verstärkung oder Hilfesignale an andere Mitglieder zu senden.

Nun war auch Silver hellwach. „Komm!“, sprach dieser nur. Wie von der Tarantel gestochen, sprangen die Beiden auf und rannten durch das Portal aus Licht.

Völlig unerwartet fanden sich Anvar und Silver nur Sekunden später in Mitten einer Rauchwolke wieder, als sie mit ihren beschworenen Waffen aus dem hellen Portal rannten. Anvars Augen huschten von links nach rechts und vorsichtig ging er ein paar Schritte vorwärts.

Da!

Links von ihm konnte Anvar eine, nur schemenhaft erkennbare, Gestalt wahrnehmen, die etwas großes Dreieckiges in den Händen hielt. Sie drehte sich schnell im Kreis und erzeugte somit einen starken Luftwirbel, der den Rauch davon blies. „Anvar! Silver!“ Victory war überrascht. Anvar erkannte, dass sie sich in Port Royal befanden. Außer Victory waren noch Corvus, Evarion und Basav da. Glücklicherweise war keiner verletzt – bis jetzt noch nicht. „Sieh an, die Verstärkung ist eingetroffen.“ Die Stimme des schwarz-gekleideten Niemands war völlig emotionslos. „Es ist besser für dich, wenn du aufgibst, Aracxo!“, meinte Evarion siegessicher.

„Gut. Ich werde verschwinden.“ Ein Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Dunklen aus. „Doch zuerst müsst ihr mein kleines Spiel gewinnen.“

„Ein Spiel?!“, fragte Corvus ungläubig.

„Genau“, der Dunkle fuhr fort, „ich habe in dieser Stadt drei Bomben versteckt. Wenn ihr sie findet und deaktiviert, werde ich mich geschlagen geben und zurückziehen.“

„Das ist wahnsinnig!“, kommentierte Silver.

Bevor Aracxo verschwand, fügte er mit gespielter Langeweile hinzu: „Oh. Ich an euerer Stelle würde hier nicht wie angewurzelt stehenbleiben und Löcher in die Luft starren. Denn die Bomben ticken bereits. Viel Spaß!“
 

„Scheiße! Was machen wir jetzt?“, kam es Victory über die Lippen. Basav hatte einen Plan:

„Hört zu! Wir suchen getrennt. Anvar und Victory schauen im Hafen nach. Corvus und Silver gehen in den nördlichen Stadtteil. Evarion und ich suchen die Bombe im Süden der Stadt. Sobald ihr eine zerstört habt, gebt den Anderen durch eure Anhänger ein Zeichen, verstanden?“

Alle gaben durch ein Nicken zu verstehen, dass sie bereit waren. „Wartet. Das wird uns helfen.“ Evarion stieß seinen Kampfstab einmal auf den Boden und sprach: „Hastga!“ Anvar konnte den Zauber, der sich wie ein Mantel um ihn legte, spüren. Somit konnte er schneller reagieren.

„Los jetzt!“
 

Anvar und Victory rannten zum Hafen. Ein Schiff lag vertäut am Steg. „Teilen wir uns auch auf.“, schlug Anvar vor. Victory nickte. Während seine Freundin das Schiff genauer unter die Lupe nahm, schaute er unter der weißen Plane nahe der Steinbrücke nach. Er brach Fässer und Kisten auf, öffnete Säcke. Mit jeder neuen Kiste wuchs die Hoffnung endlich die Bombe zu finden. Doch wuchs auch die Panik sie nicht zu finden. Das Schlimmste für ihn war, dass er nicht wusste, wie viel Zeit ihm noch bliebe und natürlich wie er, wenn die Bombe gefunden war, sie deaktivieren könnte. Mit leicht zitternden Händen schob er sein Katana zwischen den Deckel einer Kiste. Mit ganzer Kraft drückte er den Griff nach unten. Mit einem Ächzen gab der Deckel nach. Anvar schob den Deckel beiseite. In der Kiste befanden sich … nur Taue.

Verdammt! Wieder nichts!

Anvar schlug mit der Faust gegen die Kiste. Nein! Er wollte nicht noch einmal das mit erleben, was den Bewohner im Land der Drachen zugestoßen war.

„Und? Hast du sie?“, schrie Victory. Der Niemand sah wie das Mädchen zu ihm gerannt kam. „Nichts!“ Anvar schüttelte den Kopf. „Bei mir ist es genauso“, meinte Victory resigniert, „wo könnte die Bombe noch sein?“. Anvar hob den Kopf und drehte sich im Kreis. Im Hafen gab es bloß das Schiff und die Kisten, die Anvar durchsucht hatte. Da war aber noch …

„Die Befestigungsanlage!“, fiel es Anvar ein. Ohne ein Wort zu verschwenden, liefen beide durch das steinerne Portal hoch zur Befestigungsanlage.
 

In den Kanonen, die auf der äußeren Mauer standen, konnte man wohl kaum eine Bombe verstecken. Anvar spürte wie sein Anhänger auf einmal warm wurde.

Die zwei Freunde zügelten ihr Tempo. „Einer Bombe wurde schon deaktiviert“, informierte Anvar Victory. „Ich weiß. Wie Sand rinnt uns die Zeit zwischen den Fingern davon. Evarions Zaub …“ Unter jedem von den beiden erschien eine Art drehende Zielscheibe mit einem Herzlosensymbol. Blitzschnell sprangen die zwei zur Seite. Sie kamen wieder auf die Beine und sahen, dass sich im Hof der Anlage ein paar Riesenkanonen versammelt hatten. Anvar zählte vier Stück. Doch zwischen ihnen befand sich noch etwas anderes. Dieses Etwas war groß, schwarz und oval mit lauter Erhebungen, die in einem violetten Licht pulsierten.

Die Bombe!

„Ich kümmere mich um die Herzlosen“, sagte Anvar.

„Dann versuche ich inzwischen die Bombe zu deaktivieren.“

Victory rannte auf die Bombe zu. Eine der Kanonen feuerte auf sie. Victory blieb kurz stehen, hielt ihren riesigen Fächer wie ein Schutzschild über sich. Das Geschoss explodierte, ohne das Victory zu schaden kam.

Die Rippen ihrer Waffe waren aus einem weißen Stahl gefertigt und an der Fächeroberseite, wo normalerweise die Rippen enden, waren silberne Klingen angebracht.

Mit diesen kämpfte sie nicht nur, wenn der Fächer geschlossen war, sondern auch wenn dieser geöffnet war. Auf beiden Seiten des weißen Stoffes war eine große silberne Sonne aufgezeichnet. Eine Besonderheit des Fächers war, dass sich der Stoff verhärtete, wenn der Fächer komplett aufgeklappt war. So konnte Victory ihr Element Wind perfekt einsetzen.

Anvar wich durch eine Vorwärtsrolle einem Geschoss aus. Diese brachte ihn in die Nähe einer Riesenkanone, die er sogleich mit einem Hieb vernichtete. Anvar registrierte, dass sein Anhänger sich erwärmte, kurz darauf abkühlte, um dann noch einmal warm zu werden. Das Zeichen, dass die zweite Bombe deaktiviert wurde.

Riesenkanone Nummer Drei und Vier wurden mit zwei Aufwärtshieben ausgeschaltet. Am Rand seines Sichtfeldes nahm Anvar ein weißes Licht war.

Bleibt nur noch die Bombe übrig.

Anvar drehte sich um und öffnete den Mund.

Der Warnruf kam zu spät. Die lange rosafarbene Zunge riss Victory bereits von der Bombe fort. Hart landete sie auf dem steinernen Boden.

„Vic!“ Anvar rannte zu Victory hin. „Eine von diesen Echsen“, meinte sie, als sie wieder auf die Beine kam. Die „Echsen“ waren Herzlose, welche Chamäleons sehr ähnelten. Genau wie diese konnten sie sich unsichtbar machen und hatten auch eine lange Zunge.

Bloß die Herzlosen-Variante konnte zusätzlich grüne, zielsuchende Energiestrahlen aus ihren Augen abfeuern. Diese Gegner gab es in unterschiedlichen Farbvarianten.

Rücken an Rücken standen Anvar und Victory in dem vom Mondlicht erhellten Hof. Nur die überdachten Wände waren in Schatten gehüllt, dort wo ihr Gegner lauerte.

Langsam drehten sie sich im Kreis, ihre Augen suchten eine Bewegung im Dunkeln und ihre Ohren lauschten.

„Wo bist du?“, flüsterte Victory.

Plötzlich brach ihr Gegner aus seinem Versteck hervor. Zwar war er immer noch unsichtbar, doch verriet sein Schatten, dass er mit ausgestreckten Klauen auf die beiden Niemande zu rannte. Vor dem ersten Klauenhieb konnte Victory sich und Anvar durch ihren Fächer schützen. Der Zweite fegte beide wie Blätter weg. Anvar rappelte sich wieder auf und sah, dass der Schatten einer Klaue Victory zu Boden drückte. Ihre Waffe lag zusammengeklappt außer Reichweite. In der Luft über ihr begannen zwei grüne Lichter, die Energiestrahlen, zu glühen. Anvar beeilte sich, ihr zur Hilfe zu eilen. Der Schnitt, den Anvar dem Gegner am Arm zufügte, brachte den Herzlosen aus dem Konzept. Während dieser schreiend nach hinten taumelte, erlangte Victory ihren Fächer wieder. Anvar und Victory rannten auf ihren Feind zu. Gleichzeitig bohrten sich sein Katana und ihr Fächer in den Körper des Herzlosen, der sich nun zu erkennen gab. Es handelte sich bei diesem Herzlosen um eine Schleierechse.

Wie bereits erwähnt, ähnelte die Schleierechse einem Chamäleon. Von ihrem eingerollten Schwanz zieht sich eine Reihe langer Spitzen über den Rücken bis zum Kopf mit den gelben Augen hin. Die Gliedmaßen waren im Gegensatz zum dunkelgrünen Körper mit hell- und dunkelgrünen Streifen versehen. Einzelne gelbe Streifen befanden sich an den Schultern, an den Hand- und Fußgelenken sowie an der Hüfte. Die Hände und Füße hatten drei Finger, beziehungsweise Zehen, mit hellgrünen, scharfen Klauen. Jeweils zwei der Finger und zwei der Zehen zeigten nach vorne und eine nach hinten.

Der Körper löste sich auf.

„Jetzt aber schnell!“, sagte Anvar. Durch den Kampf hatten sie wertvolle Zeit verloren. Die zwei rannten zu der Bombe hin. Das Pulsieren des violetten Lichts hatte zugenommen. Anvar und Victory legten ihre Hände auf die Bombe und konzentrierten sich. Wenige Sekunden später begann helles Licht aus den Händen zu fließen. Das Licht floss um die Bombe herum, bis diese ganz in ihm eingehüllt wurde.

Wir müssen es schaffen!

Erst dachte Anvar, es nützte nichts, da das Pulsieren zwar nicht schneller wurde, aber auch nicht langsamer. Doch bald wurde es schwächer, bis es ganz erlosch.

Victory atmete erleichtert aus. „Geschafft. Die Bombe ist deaktiviert.“ Beide ließen ihre Hände wieder sinken. Das Licht verblasste allmählich. „Ich gebe den anderen Bescheid“, meinte Anvar. Auch er klang erleichtert. Er berührte seinen Anhänger dreimal.
 

Die drei Teams trafen sich wieder in der Stadt. Keiner von ihnen war verletzt. „Das ist noch mal gut gegangen“, stellte Evarion fest. „War Aracxo bei euch aufgetaucht?“, fragte Corvus. Die Anderen schüttelten die Köpfe. „Nur ein paar Herzlose“, informierte Silver.

„Und? Verzweifelt ihr langsam?“, kam es von oben. Die sechs Strahlenden blickten auf.

Also ist er doch nicht geflohen…

„Wir haben gewonnen. Alle Bomben wurden vernichtet“, klärte Victory ihn auf.

Aracxo blickte ungläubig auf die Gruppe hinunter. Dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich, Dummerchen.“ Der mitleidige Ton, der in dem folgenden Satz mitschwang, war nur gespielt. „Ich hab euch vergessen zu sagen, dass es vier Bomben gibt.“ Seine Lippen verzogen sich zu seinem fiesen Grinsen. „Sieht wohl so aus, als würden heute doch noch welche draufgehen. Nämlich ihr!“ Araxco entledigte sich seiner Kutte. Nun waren es die Strahlenden, die ungläubig hochstarrten. Um seinen Oberkörper hatte sich Araxco eine Bombe geschnallt. Der Dunkle berührte einen der Erhebungen. Sofort blinkte die Bombe in den violetten Ton. Araxco sprang vom Dach. Das Pulsieren wurde schneller. Mit einem Schrei lief Aracxo auf die anderen Niemande zu. Anvar konnte sich nicht bewegen. Auch waren seine Kameraden noch geschockt.

„Magnera!“

Zuerst wurde Corvus zu Aracxo gezogen, wobei Corvus beide Arme um den anderen Niemand schlang. Dann wurden beide durch die hölzerne Tür in ein Haus gerissen. Victory konnte sich aus ihrer Schockstarre lösen und rannte zu dem Haus hin, um Corvus zur Hilfe zu eilen. Auf halben Weg explodierte die Bombe. Der Druck ließ die Fenster bersten. Bevor das Dach einstürzte konnte man kurz noch im Rauch ein Licht sehen, das verblasste.

„Corvus …“, brachte Victory nur hervor und fiel auf die Knie.

Anvar steckte ein Kloß im Hals. Was er in sich zu glauben spürte, war Trauer und Wut.
 

Die Bewohner der Welten konnten Hilfesignale, falls ein Herzloser oder Dunkler in ihrer Welt auftauchen sollte, an die Organisation des Lichts schicken. Die Signale wurden von einem Computer empfangen. Der Niemand, der gerade „Wachdienst“ hatte, schickte dann ein Team in die betroffene Welt.

Vor ungefähr einer dreiviertel Stunde hat Anvar seinen Dienst angetreten. Konzentriert blickte der Niemand auf die drei Bildschirme. Auf dem rechten befanden sich die Namen der Mitglieder und ihre Aufenthaltsorte. Im Moment waren alle Mitglieder der Schutzgruppe auf Missionen. Die Namen der Welten waren auf dem mittleren Schirm aufgelistet. Bis jetzt schien alles friedlich. Anvar hoffte, dass bei den jetzigen Missionen kein weiteres Mitglied umkäme. Er und die anderen Strahlenden hatten immer noch nicht den Tod des kürzlich verstorbenen Corvus verkraftet. Anvar atmete tief ein und wieder aus.

Wie lange noch, bis wir endlich Herzen haben?

Anvars Anhänger wurde warm. Anscheinend brauchte ein Kamerad Hilfe. Aber im Moment waren alle Mitglieder der Schutzgruppe auf Missionen und wahrscheinlich selbst gerade beschäftigt. Dann konnte nur Anvar Hilfe leisten. Sofort machte er sich auf dem Weg.

Tagsüber war es in Agrabah ziemlich heiß, doch nachts verdammt kalt. Zu so später Stunde waren die Menschen alle in ihren warmen Betten. Anvar blickte sich suchend um.

„Pulvis?“, fragte Anvar in die Nacht hinaus. Ein leises Stöhnen ließ Anvar sich schnell nach links drehen. Das Katana hielt er bereit in seiner Hand.

„An …var.“, kam es schwach aus der Gasse.

Eine weiß-gekleidete Gestalt schälte sich aus dem Dunkeln.

Pulvis…

Zuerst bemerkte Anvar nur die zerfetzte Kutte, die Schnittwunden am Arm und eine lange Wunde am Oberschenkel. Dann sah er aber, dass Pulvis seine Kette in der Hand hielt, zwischen Daumen und Zeigefinger den Anhänger. Doch nicht der Strahlende selbst hatte das Hilfesignal geschickt, sondern die Hand, welche immer noch die von Pulvis umklammert hielt.

Ein Gesicht tauchte hinter dem verletzten Niemand auf. Kalte Augen fixierten Anvar.

Plötzlich bäumte sich Pulvis auf. Ein heller Lichtstrahl trat aus seiner Brust. Keuchend fiel er auf die Knie. „Flieh …“, war das letzte schwache Wort, ehe er nach vorne fiel und sich in Licht auflöste.

„Ich hoffe, dass du mir mehr Vergnügen bereitest, als dieses Insekt.“ Der Dunkle trat auf den vom Mond schwach erleuchteten Platz. Immer noch starrten seine Augen, die die Farbe von Eis hatten, ihn an. Seine schwarzen Haare waren zu einem Zopf hochgesteckt, wobei seine Haare im rasterlockenartigen Stil in alle Himmelsrichtungen fielen.

„Du …“ Anvars Griff, um seine Waffe, wurde fester.

„Du heißt also Anvar? Ist auch egal, wie du heißt. Warum sollte ich mich an dich erinnern, da du sowieso bald Geschichte sein wirst.“

Er hob die linke Hand, in der er eine Sichel hielt. Pulvis’ Blut klebte an ihr. Am Ende der Waffe war eine Kette mit einer Kugel befestigt. Die Kette schwang der Niemand locker in der rechten Hand. „Doch anstandshalber stell ich mich auch mal vor. Ich bin Bexyll. Das Letzte was du sehen wirst.“

„Abwarten!“, meinte Anvar nur.

Der Strahlende stürmte schreiend vor. Mit einer fließenden Bewegung wich Bexyll aus.

Der Kampf hatte gerade erst begonnen, schon hatte Anvar die erste Schnittwunde am Rücken bekommen.

Er rollte sich nach links ab, um einem weiteren Treffer zu entgehen. Nachdem er sich flink umgedreht hatte, bekam er zwei Schläge mit der Kugel ab. Einen am Oberschenkel und einen wieder am Rücken, dort wo die Nieren saßen. Während Bexyll die Kette wieder einholte, griff Anvar mit erhobener Klinge an. Sein Hieb fing der Dunkle jedoch mit der Sichel ab und seine Waffe wurde nach außen hin weggedrückt. Bexyll trat einen Schritt auf ihn zu und sein Oberkörper bewegte sich nach hinten. Er holte aus. Anvar hatte keine Chance, nach der Kopfnuss, nach hinten zu taumeln, denn Bexyll packte ihn und trat ihm mit dem Knie in den Bauch. Die Sichel brachte ihm einen langen Schnitt unterhalb des rechten Rippenbogens bei. Anvar wich keuchend zurück. Er konnte spüren, wie sein warmes Blut aus den Wunden lief. Bexyll schleuderte die Kette. Diese wickelte sich um das Katana. Mit einem Ruck wurde Anvar entwaffnet. Zwischen seinem Schwert und ihm stand Bexyll. Er wich noch zwei Schritte zurück. Wie sollte er wieder seine Waffe erlangen? Er fühlte, dass er mit dem Rücken gegen einen Verkaufsstand stieß. Sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand, stand er da. Seine linke Hand tastete über den Tisch. Seine Augen behielten Bexyll im Blick.

Er steht einfach nur da.

Seine Hand fühlte etwas. Er griff zu und zog den Fund zu sich ran. Auf dem Gesicht seines Gegners breitete sich ein Grinsen aus.

„Du konntest schon mit deinem Schwert keinen Treffer landen, nun willst du mit deiner improvisierten Waffe kämpfen?“, spottete Bexyll.

Bexyll ließ seine Kette langsam kreisen. Anvar wusste, gleich würde er sie einsetzen. Er

machte sich bereit. Immer schneller wurde die Kette. Dann schleuderte Bexyll sie Anvar entgegen. Anvar machte eine Rolle zur Seite. Die Kette wickelte sich um den hölzernen Pfosten des Standes. Anvar rannte auf Bexyll zu, warf die Plane über diesen und spurtete weiter zu seinem Katana. Hinter sich konnte Anvar ein reißendes Geräusch wahrnehmen. Im Lauf nahm er seine Waffe wieder an sich. Er floh in eine Gasse. Bexyll konnte seinen Vorteil, die Kette, nur ausspielen, wenn ihm genügend Platz zur Verfügung stand. Hier, in der schmalen Gasse, war die Kette nutzlos und nur noch die Sichel brauchbar. Anvar drehte sich um. Sein Gegner ging langsam auf die Gasse zu.

„Ich stelle fest, dass du gar nicht mal so dumm bist. Du hast die Plane als Ablenkung benutzt, um an dein Katana zu kommen. Außerdem hast du erkannt, dass ich viel Platz benötige. Na, hast du wieder Hoffnung, mich doch noch zu besiegen, Bürschchen?“ Er hatte die Gasse erreicht.

„Vergiss sie, die Illusion der Hoffnung mich zu besiegen! Denn das wird dir auch nicht weiterhelfen!“ Plötzlich verschwand die Kette. Seine langsamen Schritte wurden zu einem schnellen Lauf.

Es klirrte, als Anvar die Sichel blockte. Bexyll andere Hand schoss vor und traf Anvar hart an der Brust. Blut floss aus der Wunde, die aussah, als hätte ihn eine Katze gekratzt. Der Strahlende taumelte rückwärts. Bexyll setzte ihm nach. Sein Gegner rammte Anvar das Knie gegen den Oberschenkel. Trotz des Schmerzes stach er mit dem Schwert nach Bexyll. Die rechte Hand des Dunklen packte in Anvars Katana. Bexyll drehte sich mit einer schnellen Bewegung so, dass er Anvar seinen Ellbogen ins Gesicht rammen konnte – und das nicht nur einmal.

Anvars Gegner ließ das Katana los und drehte sich erneut. Die Sichel drückte gegen Anvars rechten Schwertarm. Etwas Spitzes bohrte sich in die Schulter von Anvar. Bexyll zog blitzschnell die Sichel zu sich, schleuderte Anvar gegen die Wand und versetzte ihm noch zwei kräftige Fausthieb mit der rechten Hand ins Gesicht, die Anvar entlang der Wand nach hinten taumeln ließen. Als der Strahlende sein linkes Bein belastete, meldete sich ein stechender Schmerz. Der Junge verlagerte sein Gewicht auf sein anders Bein. Das Blut, was er schmecken konnte, lief ihm aus dem offenen Mund.

Jetzt erst bemerkte Anvar, dass der rechte Handschuh des Dunklen mit einem matten, schwarzen Metall überzogen war. An den krallenförmigen, silbernen Aufsätzen der Finger schimmerte rotes Blut. Der Dunkle hob seine rechte Hand und blickte den Handschuh an.

„Nur meine kleine Nebenwaffe“, meinte Bexyll beiläufig.

Bexylls Lippen formten sich zu einem amüsanten Grinsen. Er richtete seinen Blick, der ebenso wie sein Grinsen etwas Amüsantes hatte, wieder auf seinen Gegner, oder besser gesagt, sein Opfer „So hast du dir das nicht vorgestellt, was?“

Ich werde nicht aufgeben!

Den Gedanken sprach er, wenn auch mit schwacher Stimme, laut aus. Bexyll warf den Kopf in den Nacken und lachte laut los. Anvar konnte es nicht glauben. Bexylls Lachen klang so, als hätte Anvar gerade einen Witz gerissen. Während er noch immer lachte, schlug er sich mit der flachen, rechten Hand gegen die Stirn. Als Anvars Gegner wieder seinen Kopf nach vorne neigte, bedeckte die Hand sein rechtes Auge. Das Lachen war verklungen. Seine Hand glitt über seine rechte Gesichtshälfte und hinterließ blutige Streifen von Anvars und Pulvis Blut. Seine Gesichtszüge wirkten ernst und kalt. Auch in seinen Augen lag nicht mehr dieser amüsante Ausdruck.

Bexylls eisblaue Augen fixierten Anvar, während er mit ernster Stimme weiter sprach: „Ihr seid schwach, das Licht ist schwach.“

„Das stimmt nicht! Wir sind nicht schwach und das Licht ebenso wenig!“, protestierte Anvar mit schwacher Stimme. Er richtete das Katana auf Bexyll.

„Dann beantworte mir eine Frage. Wieso sind in so kurzer Zeit zwei von euch gestorben, wenn euer Licht so stark ist?“, wollte der Dunkle wissen.

Darauf wusste der Junge keine Antwort.

„Einzig und allein die Dunkelheit ist die wahre Macht, die uns ein Herz geben kann!“

Bexyll hob seine rechte Hand und schoss eine dunkle Energiekugel auf Anvar, welche ihn zu Boden schleuderte.

Anvar musste ein paar Mal blinzeln, um zu erkennen, dass sein Gegner ohne Eile auf ihn zukam.

Bexyll hockte sich neben Anvar hin, aber so, dass ein Fuß mit dem ganzen Gewicht auf dem Schwertarm von Anvar lastete.

Langsam fuhr Bexyll mit dem rechten Zeigefinger über Anvars Wange und wanderte dann den Hals abwärts, wo er sich schmerzhaft in die Brustwunde bohrte. Anvar stöhnte schmerzhaft und mit zusammengebissenen Zähnen auf.

Die Augen des Dunklen musterten ihn. War das sein Ende?

„Warum? Warum verschwendest du dein Talent an das Licht?“

Anvars Gegner beugte sich zu ihm herunter. Anvar spürte den ruhigen Atem an seinem Ohr.

Mit ruhiger und leiser Stimme hauchte Bexyll: „Genau wie in mir, brennt in dir eine Sehnsucht nach einem Herz. Mit Hilfe der Dunkelheit könntest du eines erlangen. Ich gebe dir die Chance, dich uns anzuschließen.“ Bexyll stand auf und blickte zu Anvar hinab. „In zwei Wochen werde ich wieder hier sein. Überlege es dir.“ Als er diesen Satz beendet hatte, verschwand er.

Anvar richtete sich mit schmerzendem Körper langsam auf. Ihm tat alles weh. Mit einer Hand wischte er sich das Blut von seinem Mund. Sein Katana nutzte er als Abstützhilfe, um sich hochzuziehen. Er erschuf ein Portal, auf das er, an der Wand abstützend, zu hinkte.
 

Der Arzt bemerkte ihn nicht sofort, da er mit dem Rücken zu ihm stand. Erst als Anvars Waffe klirrend zu Boden fiel, gefolgt von ihrem Träger, drehte sich Sanavi erschrocken um.

„Anvar!“

Er hastete zu dem Verletzten, um ihn aufzuhelfen. Sanavi brachte ihn zu einem der Betten und zog ihm seine Kleidung aus. Anvar erzählte mit schwacher Stimme und in knappen Sätzen, was in Agrabah passiert war – außer das Gespräch mit Bexyll.

„Er hat dir übel mitgespielt“, meinte Sanavi. Laut Sanavis Untersuchung, hatte Anvar zwei Blutergüsse, eine Muskelprellung am linken Oberschenkel und viele Schnittwunden.

Nachdem der Arzt die Wunden verarztet hatte, benutzte er den Zauber ‚Schlaf‘, damit Anvar in Ruhe schlafen konnte.
 

Der Strahlende wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Die Sonne strahlte mit aller Kraft. Jetzt war das kleine Café gut besucht. Nicht nur die Menschen, auch Anvar hatte sich ein Meersalzeis besorgt, an dem er genüsslich leckte. Er beobachtete mit einem Schmunzeln, wie ein kleines Mädchen einigen Tauben Brotkrümel hinstreute. Die Kleine entdeckte ihn. Sie winkte ihm lächelnd zu. Anvar winkte zurück und setzte seinen Weg durch die Stadt fort.

Er hatte ein paar Schritte getan, als die Umgebung um ihn brach wie bei einem berstenden Spiegel. Was ihn nun umgab war nichts als Dunkelheit.

In der unendlichen Schwärze nahm er ein Stöhnen war. Anvar drehte sich im Kreis, konnte das Geräusch aber nicht ausmachen. Ohne Nachzudenken wohin er musste, rannte er los. Doch blieb er nach ein paar Sekunden wieder stehen, weil er etwas auf dem Boden entdeckte. Anvar ging in die Hocke, streckte die Hand danach aus. Als er seine Hand wegzog und begutachtete, stockte ihm der Atem. An seinem weißen Handschuh klebte Blut!

Sein Blick glitt nach oben. Es kam noch schlimmer. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf einen Berg – aus Menschenleichen. Ihre Gesichter waren von Schmerz verzerrt. Alle hatten große Löcher in der Brust.

Ihnen fehlen die Herzen.

Das Stöhnen kam von ihnen.

Anvars Augen richteten sich auf die Bergspitze, wo drei weiße Gestalten zu erkennen waren. Jede von ihnen war an einen schwarzen Stein angekettet. Die Körper trugen zahlreiche Schnittwunden. Der junge Niemand kannte sie. Die drei waren Nova, Corvus und Pulvis.

Plötzlich strahlte ein schwaches Licht Anvar von hinten an. Der junge Niemand drehte sich langsam um und sah über sich Kingdom Hearts. Das Stöhnen war verklungen.

Eine schwarze Gestalt trat vor Anvar. Es war Bexyll mit einem unheimlichen Lächeln im Gesicht. Der Dunkle riss sich die Kutte kaputt. Darunter kam seine Brust zum Vorschein – in dieser war ein Loch mit einem schlagenden Herz. Eine Stimme wiederholte immer wieder die Worte: „Die Dunkelheit ist die wahre Macht, die uns ein Herz geben kann!“

Bexyll streckte die Faust nach vorne aus und öffnete sie. Ein schlagendes Herz lag darin.

Anvar konnte das Pochen der Herzen in seinem Kopf hören. Es wurde so unerträglich laut, dass er beide Hände gegen seine Ohren pressen musste.

Es soll aufhören!

Er kniff seine Augen fest zusammen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2013-11-07T01:08:22+00:00 07.11.2013 02:08
*schmach, schmach* Sehr schön geschrieben, find ich klasse.
Allerdings war das gerade soo viel Inhalt, dass ich die restlichen Kapitel auf morgen verschieben muss. *gähn*
Hab dich jedenfalls abonniert :)


Zurück