100 Songs - Zwei Seelen, hundert Lieder von Moonprincess (Challenge nach 100songs) ================================================================================ Kapitel 2: 068 - Here Comes the Sun (Fortsetzung von 001) --------------------------------------------------------- Er hat nicht mehr gedacht, daß er jemals noch etwas sehen würde. Die Hoffnung hat er schon vor langer Zeit verloren. Doch als die Eiskristalle von seiner Haut abspringen, öffnet er seit langer Zeit seine Augen und ist geblendet. Es schmerzt ihn noch tief im Kopf und doch heißt er das Licht willkommen. Die Sonne... Sie war endlich zu ihm gekommen. Mühselig quält er sich auf seine dünnen Füße und taumelt in das Licht. Es strahlt und glänzt und er streckt die Hand danach aus, spürt zum ersten Mal seit dem Anbeginn seiner Gefangenschaft wieder echte Wärme. Es ist nur ein bißchen Licht, das in sein Gefängnis fällt, doch es ist da und er liebt und verehrt es. Es dauert lange, aber immer wieder wird es ein Stückchen heller und er weint Tränen der Glückseligkeit, stumm, denn er traut seiner Stimme nicht. Er will die Schönheit des Lichtes nicht mit Geräuschen verunreinigen. Eines Tages plötzlich wird er von Wärme und Licht nur so umschlossen. Er spürt Leitersprossen unter seinen knochigen Fingern und Zehen. So schwach er auch ist, er hebt die Hand, fühlt die nächste Sproße und zieht sich empor. Er keucht vor Anstrengung und Schweiß perlt über seinen Rücken, das Eis nur noch eine blasse Erinnerung. Es dauert lange, bis er endlich etwas sehen kann. Er sieht zahllose Türen, Wände aus dickem Sandstein und Treppen, die über Kopf stehen. Er ist glücklich, doch er fühlt, er muß weiter klettern. Da ist noch mehr! So müde er auch ist, er gibt nicht auf, seine Muskeln protestieren, seine Lunge schmerzt, aber er gibt nicht auf. Er weiß, das kann er einfach nicht. So ist er nicht gemacht. Und am Ende aller Anstrengung ist er endlich ganz oben angekommen. Ein Zimmer, das erkennt er, darin ist er, doch wie es eingerichtet ist, das ist ihm völlig fremd. Merkwürdige Gerätschaften liegen in der Gegend herum und auf Regalen stehen absonderliche Schachteln senkrecht, auf denen in einer ihm völlig fremden Schrift etwas steht. Dann sieht er den Thron, der komischerweise dem Fenster zugewandt ist, und darauf sitzt jemand. Voller Ehrfurcht tritt er näher und zuckt zurück, als er des hübschen Jungen ansichtig wird, der dort sitzt. Er schämt sich, will sich für seine Blasphemie entschuldigen, da merkt er, daß der Gott vor ihm schläft. Dessen Augen sind geschlossen und der Kopf ist zur Seite gesunken. Der Brustkorb hebt und senkt sich, darauf liegt das Lot. Das Lot! Er erkennt es wieder, doch er versteht nicht. Noch nicht. Doch noch im Schlaf strahlt sein Retter eine solche Wärme und Sanftheit aus, ein so helles Licht... Er sinkt neben dem Thron auf die Knie und dankt dem kleinen Lichtgott, dem hübschen Sohn des Ra, für dessen Güte und Gnädigkeit, ihn befreit zu haben. Ihn, einen Verbrecher, ein grausames Tier und doch hat dieser wundervolle Gott ihm eine zweite Möglichkeit gegeben, zu leben, zu sühnen. Er weint wieder und seine materielosen Tränen fallen auf die Hand des kleinen Lichtgottes. Eine Hand, die mit blauen Flecken übersät ist. Er hält inne in seinem Dankesgebet, hebt den Kopf, legt diesen leicht schief. Jetzt sieht er die Male im Gesicht seines gnädigen Befreiers und er fühlt, wie unglücklich dieser ist. Heiße Wut, tief in ihm, läßt ihn erzittern. Jemand hat dem wunderbaren Lichtgott Schmerzen zugefügt! Jemand hat das rundliche Kindergesicht mit brutaler Gewalt verunstaltet. Ein heiseres Knurren kommt aus seiner Kehle. Er verspürt den Drang, den Gotteslästerer zu finden und zu bestrafen. Seine Wut kann nur noch durch zerschmetterte Körper und fließendes Blut gestillt werden. Er folgt dem Gefühl, findet sich in den Gedanken seines Erlösers wieder. Wissen stürzt auf ihn ein, unzählige Bilder, Fakten, Gefühle! Er heißt jedes einzelne willkommen, saugt sie auf wie eine Blume das Wasser nach langer Dürre, nach einer Ewigkeit ohne einen Reiz, ohne Wissen. Bald versteht er, daß die seltsamen Schachteln Bücher sind und er kann lesen, was auf ihren Rücken steht. Er weiß jetzt, was ein Fernseher ist, wie man ein Feuerzeug benutzt, daß er den Verursacher des Schmerzes in der Schule finden wird und daß dieser Ushio heißt. Doch so kann er nicht gehen! Er hat keinen Leib und ohne Leib kann er Ushio nicht zerfetzen. Er ballt seine kräftige Hand, er konzentriert sich, Kleidung erscheint an ihm, Kleidung wie sie der kleine Lichtgott trägt. Doch das ist nicht genug. Er braucht Fleisch. Er fühlt ein neuerliches Ziehen und er folgt ihm, stößt vorwärts. Als er die Augen öffnet, keucht er überrascht, muß husten. Er hat ewig nicht mehr richtige Luft atmen müssen! Er hört den süßen Trommelschlag eines Herzens, er spürt die Wärme von lebendigem Fleisch. Er ist im kleinen Lichtgott! Dieser hat ihn erhört, hat ihm seinen Körper für eine Weile überlassen. Glücklich steht er auf, geht ein paar Schritte. Ja, dieser Körper ist wie für ihn geschaffen. Er dankt der sanften Seele, die jetzt in ihm schläft, geborgen vor allem Bösem. Vor dem Bösen, das er gleich begehen wird. Er ist kein guter Mensch, er ist ein schlimmer Verbrecher, ein Sünder, doch er verehrt seinen schönen Lichtgott und er wird ihm zeigen, wie sehr. Er wird ihm seine ganze Dankbarkeit beweisen. Er öffnet das Fenster, kühle, würzige Nachtluft strömt in seine Lungen. Er ist nur ein Tier, aber er wird seinen Herrn stolz machen! Mit diesem Gedanken springt er wie ein Löwe aus dem Fenster. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)