Finera - Dawn of the Dark von Kalliope ================================================================================ Kapitel 18: Pension Papinella ----------------------------- 6. Oktober - Summer - So viel zum Thema Unabhängigkeit. Summer stand zerknirscht hinter der kleinen, nicht einmal zwei Meter breiten Theke der Pension, die noch einige Zimmer frei hatte und in einer unscheinbaren Seitengasse vom Place Cyan lag. Zumindest war der Weg zur Arena gut zu Fuß zu erledigen und das Frühstück war im Preis inklusive. „Du hättest gleich zu Hause anrufen sollen.“ Summer verdrehte bei Henrys Bemerkung die Augen. Sie wollte unabhängig sein und sich nicht auf das finanzielle Polster ihrer Eltern verlassen, aber da noch immer ein Pokémoncenter geschlossen war, hatte sie keine andere Möglichkeit gehabt. Ihr Vater Joel hatte seine Position als Vizebankdirektor genutzt, um mit ein paar Telefonaten Kalos-Konten für Rain und sie einzurichten, als er von der Situation erfahren hatte. „Wie auch immer, noch eine Nacht im Freien halte ich nicht aus.“ Aus den Augenwinkeln konnte sie Henrys Grinsen und seine zuckenden Mundwinkel sehen. „Prinzessin auf der Erbse.“ Sie wirbelte zu ihm herum, stemmte die Hände in die Hüften und wollte ihm gerade mindestens ein Dutzend Gründe aufzählen, wieso sie nicht in die Kategorie Prinzesschen fiel, als die dicke, kleine Besitzerin der Pension eine knarrende, schmale Holztreppe nach unten ging. „Entschuldigt die Wartezeit.“ Auf ihrer linken Schulter saß ein Papinella, das träge mit seinen Flügeln schlug, sich in die Luft erhob und hinter der Theke neben einer mit Nektar gefüllten Futterschale wieder landete. „Die Betten sind jetzt bezogen. Willkommen in der Pension Papinella.“ Mit ihren dicken Wurstfingern reichte sie zwei Schlüssel mit pinken Schlüsselbändern über die Theke. „Frühstück gibt es zwischen sieben und neun.“ „Alles klar, vielen Dank.“ Summer reichte einen der beiden Schlüssel an Henry weiter, dann ging sie ihm voran die Treppe nach oben und wartete, bis sie außer Hörweite waren. „Ich dachte immer, dass es keine übergewichtigen Käferpokémon geben kann – wegen der Panzer und so.“ Henry zuckte kaum merklich mit den Schultern. „Papinella hat keinen Chitinpanzer.“ „Nein, dafür aber eine Speckschicht, die es doppelt so dick macht. Wie kann es damit überhaupt fliegen?“ „Fliegen würde ich diesen Gleitflug zur Futterschale nicht nennen.“ Beide tauschten ein Grinsen aus, dann trennte sich vorerst ihr Weg, denn Summer hatte ein Zimmer auf der linken Seite des Gangs und Henry gegenüber auf der rechten Seite. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, warf Summer ihren Rucksack vor dem Bett auf den Boden und ging zum Fenster. Keine drei Meter weiter befand sich die Hauswand des Nachbarhauses, unter ihrem Fenster standen zwei halbvolle Müllcontainer. „Na lecker.“ Damit war klar, dass sie bei dieser spätsommerlichen Hitze nicht lüften würde. Sie drehte dem Fenster den Rücken zu, setzte sich auf die Bettkante und betrachtete die rosafarbene Bettwäsche, die schon bessere Zeiten erlebt hatte. Zum Schlafen würde es reichen und besser als sich noch eine zweite Nacht auf Parkbänken um die Ohren zu schlagen war es allemal. Gähnend trennte sie die Pokébälle von ihrem Trainergürtel, legte sie auf den Nachttisch und drehte den Gluraknit Y in ihrer Hand. Der Stein war glatt und rund wie eine Murmel, hatte einen Durchmesser von gut vier Zentimetern und schimmerte im Licht. Ivy hatte ihr nicht viel darüber verraten und sie selbst hatte von den Megasteinen noch nicht viel gehört. Vielleicht wusste eine der Schwester Joys mehr. Der Stein wanderte zurück in ihre Hosentasche und Summer nahm Glumandas Pokéball. Sie kannte natürlich die Geschichte, wie ihre Mutter Faith damals an ihr Glumanda gekommen war, aber dass sie jetzt einen Sohn von genau diesem Glumanda besaß, erfüllte sie mit Stolz. „Wenn du Gene von Entei in dir trägst, musst du etwas ganz Besonderes sein, mein Kleiner.“ Lächelnd drückte sie den Knopf in der Mitte des Balls, woraufhin er faustgroß wurde, dann nach einem zweiten Drücken zischte ein roter Strahl in die Mitte des kleinen Zimmers und Glumanda formte sich. Die kleine, rote Echse blinzelte, schaute Summer von Kopf bis Fuß an, drehte ihr den Rücken zu, legte sich hin und … begann keine zwei Sekunden später zu schnarchen. „Hey!“ Sie stupste Glumanda mit der Fußspitze an, woraufhin das Pokémon ein leises Fauchen von sich gab und wieder aufstand. „Ich bin Summer, deine neue Trainerin.“ „Manda?“ Hätte es Augenbrauen, hätte es diese nun skeptisch verzogen. Sein spöttischer Blick sprach Bände. „Du vermisst bestimmt deinen Bruder, nicht wahr? Wenn ich meine Schwester Rain das nächste Mal treffe, könnt ihr beiden zusammen spielen. Bis dahin werde ich dich trainieren und du wirst irgendwann ein großes, starkes Glurak, mit dem ich in den Arenen von Kalos kämpfen kann.“ „Glll …“ Glumanda verzog das Gesicht und die Flamme an seinem Schwanz züngelte ein kleines Stückchen höher, während sein Schwanz hin und her peitschte. „Etwas mehr Siegeswillen bitte, Kleiner.“ Summer erntete noch einen letzten, arroganten Blick, dann tapste Glumanda auf sie zu, drückte den Knopf auf dem Pokéball und beförderte sich selbst zurück ins Innere. „Wundervoll …“ Da bekam sie ein Pokémon geschenkt und dieses zog die Einsamkeit des Pokéballs der Gesellschaft seiner Trainerin vor. Vielleicht konnten Onix und Jurob zwischen ihnen vermitteln. Kopfschüttelnd legte die Jungtrainerin den Pokéball zu den beiden anderen auf den Nachttisch. Sie gähnte, dachte an die schlaflose Nacht und kuschelte sich unter die Bettdecke. Nur ein kleines Nickerchen … Das Klopfen an ihrer Zimmertür holte Summer unsanft aus ihrem Schlaf, doch als ihr schläfriger Blick zum Fenster wanderte und sie draußen keine Sonne mehr sah, sprang sie sofort aus dem Bett. „Wie? Was?“ Sie taumelte, fing sich wieder und rieb sich die Augen. „Ja bitte?“ Henry trat ein, schloss hinter sich die Tür und setzte sich auf die Bettkante. „Gut geschlafen, Schlafmütze?“ „Wie spät ist es?“ „Kurz nach acht. Ich dachte mir, dass ich dich jetzt besser wecken komme, weil du sonst irgendwann in der Nacht wach wirst und nicht mehr einschlafen kannst.“ Summer ließ sich neben ihm auf dem Bett nieder und gähnte herzhaft. „Ich wollte nicht so lange schlafen.“ „Habe ich mir gedacht. Als ich nach dir gucken wollte, hast du schon tief und fest geschlafen, deshalb habe ich mich auch für ein paar Stunden hingelegt. Aber im Gegensatz zu dir bin ich von alleine wieder aufgewacht.“ „Hm, hier riecht es nach Essen.“ Summer rieb sich den letzten Rest Schlaf aus den Augenwinkeln. „Hast du was zu essen besorgt?“ Henry lächelte und holte hinter seinem Rücken eine braune Papiertüte hervor. „Ein kleines Abendessen.“ Sie erwiderte sein Lächeln, nahm ihm die Tüte ab und öffnete sie. Im Inneren standen zwei quadratische, dampfende Plastikkartons, die sie vorsichtig auf die Bettdecke stellte. „Riecht nach Nudeln.“ Neugierig öffnete Summer die beiden Packungen und schnappte sich eine der beiliegenden Plastikgabeln. „Diese hier sind mit Beerenpesto und die mit Gemüse gebraten. Welche willst du?“ „Die mit den Beeren.“ Henry reichte ihr Servietten und die Packung mit den Beerennudeln, dann schnappte er sich die andere Packung. Schweigend hörte er zu, wie Summer ihm von der ersten Begegnung mit Glumanda berichtete. Sie redete so viel, dass er mit seiner Portion fertig war, als sie gerade einmal die Hälfte gegessen hatte und die Nudeln schon kalt wurden. „Jetzt iss du auf und ich erzähle dir, was deine Mutter mir am Telefon gesagt hat.“ Überrascht hielt Summer in der Bewegung inne und riskierte, dass zwei Nudeln auf dem Laken landeten. „Du hast mit meiner Mutter telefoniert?“ „Ja, vorhin.“ „Wieso?“ „Sie hat angerufen, weil die Handwerker im Restaurant waren, um die neuen Anschlüsse zu legen. Deine Oma regelt während meiner Abwesenheit zwar alles, aber das letzte Wort habe ich. Es gibt Probleme mit ein paar alten Kabeln, die erneuert werden müssen. Außerdem muss die endgültige Fassung der Speisekarte bald in den Druck gegeben werden und die Zeitung möchte ein Interview mit mir, damit sie Werbung für die Neueröffnung drucken können.“ Summer ahnte, was er ihr damit sagen wollte. Ihre Laune stürzte schlagartig ab und lustlos stocherte sie in den restlichen Nudeln herum. „Und was machst du jetzt?“ „Hey, guck nicht so traurig. Du wusstest doch, dass ich nur kurz mit dir reisen kann.“ „Ich dachte, dass es wenigstens zwei oder drei Wochen sind“, murrte Summer enttäuscht, räumte die Kartons zusammen und stapelte alles mit solcher Sorgfalt, dass sie ihm nicht in die Augen gucken musste. „Die Eröffnung ist doch erst in einem Monat.“ „Ich bin der Geschäftsführer und der Chefkoch, ich kann nicht erst ein paar Tage vor der Eröffnung zurück sein.“ „Doch, wenn du wolltest, könntest du.“ Henry schluckte, kratzte sich am Kinn und stand auf. „Du kommst prima ohne mich zurecht. Du brauchst meine Begleitung nicht, Summer.“ Als er sah, wie sie sich ein paar kleine Tränen aus den Augen blinzelte, schnürte sich seine Brust zusammen. Summer und Rain waren wie seine kleinen Schwestern, er wollte sie nicht verletzen. „Faith hat mir einen Rückflug gebucht. Sie sagte, dass meine Entscheidungen dringend vor Ort gebraucht werden.“ Summer drehte sich weg, stand mit dem Rücken zu ihm am Fenster und starrte die gegenüberliegende Hauswand an. „Wann?“ „Morgen früh.“ Sie schluckte, biss sich auf die Unterlippe und riss sich zusammen. „Gut.“ Als sie sich zu ihm umdrehte, zierte ein Lächeln ihr Gesicht, das jedoch nicht die Augen erreichte. Sie ging zu Henry, umarmte ihn kurz und drückte seine Schulter. „Ich bin todmüde und würde jetzt gerne wieder schlafen. Du musst mich morgen früh nicht extra wecken kommen. Hab einen guten Flug und grüß Mom von mir. Gute Nacht, Henry.“ Er zögerte, nickte dann jedoch und wünschte ihr ebenfalls eine gute Nacht, ehe er ging. Summer wartete, bis sie hörte, wie sich seine Zimmertür schloss, dann warf sie sich in ihr Bett und zog sich die Decke über den Kopf. Noch nie hatte es sie so sehr geschmerzt sich von Henry trennen zu müssen, gerade jetzt, als sie Rain ebenfalls schmerzlich vermisste. Hosted by Animexx e.V. 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