L'Amour à trois von Anemia (Darkly, darkly, Venus Aversa) ================================================================================ Kapitel 2: I. Season - Tief im dunklen Wald ------------------------------------------- Leider hatte ich meinen schwarzen Karategürtel zu Hause liegen lassen, sodass ich nach dem viel zu kurzen Auftritt der Band, an deren Sängerin ich mich wahrlich nicht sattsehen konnte, lieber kehrt machte und den Securitybuddha Securitybuddha sein ließ. Schon traurig, wenn man bedachte, dass mir das junge Fräulein so wahrscheinlich nie mehr unter die Augen treten würde, aber mein Leben ginge weiter, wenn auch traurig und einsam. Einsam weniger, denn ich besaß schließlich gute Freunde, die mich anschließend in die Halle gleich nebenan schliffen, entweder, um meinen Kummer zu lindern oder die netten Fetischklamotten zu begutachten, die man dort käuflich erwerben konnte. "Was machst du denn für ein langes Gesicht?", wollte Kai ganz mitfühlend von mir wissen, klopfte mir kumpelhaft auf die Schulter und lächelte mir aufmunternd zu. Süß. Wenigstens einer, der sich nicht einen Dreck um mich und mein Gefühlsleben scherte und diesen beängstigenden Klamotten aus Lack, die da wohl sexy sein sollten, seine Aufmerksamkeit entzog. Im Gegensatz zu Sascha, unserer Kiffdiva, die ganz hin und weg von ein paar einfachen Lederriemen zu sein schien, die sie grinsend dem Rest der Meute präsentierte und es fehlte nicht mehr viel und Eisi hätte laut applaudiert, so wie der geiferte. "Ach", gab ich gequält von mir, während ich mich von jenem peinlichen Schauspiel abwendete. "Ist nur wegen der heißen Schnecke von vorhin, der Sängerin von dieser Band da, mit den roten Haaren. Blöd, dass ich sie nicht mehr sehen werde. Fand die ganz niedlich." Kai guckte zunächst mich an, dann ließ er seine Blicke stirnrunzelnd durch den Saal wandern, so, als suche er nach etwas. Vielleicht nach seiner Kiste, die beiden waren laut Eisi schließlich unzertrennlich. Plötzlich aber hielt er inne und deutete mit dem Zeigefinger gar nicht so unauffällig in eine bestimmte Richtung. "Meinst du die?" Ich drehte meinen dicken Hintern einmal um meine eigene Achse. Und siehe da: An einem der Stände sah ich einen roten Haarschopf herumwuseln, dessen Besitzerin doch genau die war, die ich schon beinahe vermissen wollte! Allen Anscheins nach gaben sie und ihre Band interessierten Leuten Autogramme, und wenn hier jemand Interesse hatte, dann ja wohl ich. Den verdatterten Kai ließ ich unhöflicherweise einfach stehen, während meine Füße sich wie automatisch in Bewegung setzten, um der Dame meiner Träume näher zu kommen. Ich hatte in einem früheren Leben bereits ein paar Mädchen, deswegen wusste ich auch ganz genau, wie galant ich sie ansprechen wollte, ohne plump rüberzukommen oder so auszusehen, als sei ich nur ein weiterer, dummer Groupie, der sich sofort in Arielles bequemen Hotelbett mit ihr verausgaben wollte. Da ich wie gesagt in diesem Leben noch kein Mädchen an meiner Seite hatte, vermieste mir der alberne Kloß im Hals meinen eleganten Auftritt. Schon als ich mich in die Schlange der geduldig Wartenden einreihte, schaute ich hilfesuchend nach meinem Kumpel Kai, der mir aber anscheinend bei meinem Gang nach Canossa nicht beistehen wollte, seiner Abwesenheit nach zu urteilen. Nervös aber noch immer voller Gier starrte ich die junge Frau an, die nur ein paar Meter von mir entfernt mit ihrem schönsten Lächeln im Gesicht die Mädchen mit ihrer Unterschrift beglückte und ihr Haar elegant in den Nacken warf. Sie war so schön, dass mir fast ein Ei auslief und ich durfte es einfach nicht vergeigen, doch spürte ich einen starken Toilettendrang in mir aufsteigen. Ich hoffte doch sehr, dass ich nicht ausgerechnet dann furzen musste, wenn ich endlich an der Reihe war. Denn dann hatte ich es verschissen, im wahrsten Sinne des Wortes. Warum hatte sich mein verdammter Körper nur so albern? Als ich schließlich die Hände bequem auf den Tisch legen konnte und ich Arielle von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, schaltete sich mein Herz auf den Modus 100-Meter-Lauf um, bedeutete: Eingeschränkte Sprachfähigkeiten, schwitzige Pfoten und wahrscheinlich eine Birne, die einer Leuchtboje in nichts nachstand. Und als mich die rothaarige Schönheit endlich bemerkte und mir ein viel zu einladendes Lächeln schenkte, hielten mich nur die Leute hinter mir davon ab, dass ich in mir zusammensackte und den Boden küsste. Bildete ich mir das ein oder hatte ich bereits nach der halben Stunde einen derartigen Narren an dem Mädel gefressen, dass es mich mit einem bloßen Blick in meine Augen vollkommen willenlos machen konnte? Die Frage konnte ich jedoch nicht mehr im Stillen beantworten, denn nun erklang ihre liebliche Stimme, die, die vorhin noch gekreischt und gebrüllt hatte als hätte sich das friedliche WGT in ein Gomorrha verwandelt. "Hi!", grüßte sie mich freundlich und sehr aufgeschlossen, was man von mir nicht behaupten konnte. "Ähm...ja...", bekam ich also nur heraus, schluckte, und darauf war ich schon stolz! "Willst du 'ne Widmung?", fragte sie, während sie damit beschäftigt war, sich mit ihrem Namen in großen, geschwungenen Buchstaben auf dem glänzenden Bandfoto zu verewigen. "Schreib...schreib 'für Darin', bitte danke." "Ist der drauf?", wurde neben der Rothaarigen eine Stimme laut und ein Kichern erfüllte die peinliche Situation, aus der ich mich jedoch beim besten Willen nicht befreien konnte. Seit wann war ich dermaßen schüchtern? Einem Metalhead mit fetten Tunnels stand dies gar nicht zu, und deswegen schnauzte ich den Typen mit einem einfachen 'Nein, er ist drunter!' an, woraufhin dieser mir ein ebenso verschmitztes Lächeln wie Arielle schenkte, nur leider zog das bei mir heterosexuellen Männchen eher weniger. "Ach, sieh an, ein Bottom!" Sein anfängliches Lächeln steigerte sich zu einem fiesen Grinsen und die weißen Kontaktlinsen in seinen Augen ließen das Ganze noch zusätzlich bedrohlich wirken. In einer anderen Situation hätte er mich wahrscheinlich stark an Schascha erinnert mit seinen langen, schwarzen Haaren, den tiefschwarz umrandeten Augen und dem zerrissenen Netztop, aber mein Kumpel war bei Weitem nicht so ein Fiesling, eben, weil er stets und ständig drauf war. "Vielleicht würde dir ein bisschen Kiffen auch ganz gut tun!", warf ich dem Goth an den Kopf, von dem ich sowieso glaubte, dass er vorhin auf der Bühne nicht mit Anwesenheit geglänzt hatte. Und zu jemandem, der nicht in einer Band spielte, dufte ich auch selbst fies sein, denn nur Musiker waren in meinen Augen heilig und unantastbar. "Tze", machte der Typ nur und gluckste noch ein wenig vor sich hin, ehe er sich ebenfalls daran machte, das Kärtchen zu signieren, während ich mir trotz meiner recht gut ausgeübten Schlagfertigkeit wie ein Trottel vorkam. Selbst Arielle grinste wie ein Honigkuchenpferd und ich ahnte, dass ich wohl nicht ihr gar nicht so schwarzer Gigolo werden konnte, was ich sehr bedauerte. Als die Karte durch war und sie mir in die Hand gedrückt wurde, wollte ich mich schon enttäuscht vom Tisch verziehen, doch die Sängerin machte mir mit ihrer Verabschiedung in Form von 'Man sieht sich' Hoffnungen. Vielleicht hatte sie ja ein Herz für Typen mit Strickmützen und Idiotie. Aber wie sollte ich sie jetzt noch wiedersehen? Ich wusste weder wo sie pennte, noch ihre Handynummer. Es schien aussichtslos. Wahrscheinlich würde ich mich heute Nacht an Kais Schulter in den Schlaf weinen müssen. ***** Dass Alkohol keine Lösung war, sondern ein Destillat, wusste sogar ich als chemisch total desinteressiertes Kind. Und trotzdem schüttete ich mir einen großzügigen Schluck Jack Daniels hinter die Binde, nachdem ich mit meinen Kumpels halbherzig auf diesen wundervollen, ersten WGT-Tag angestoßen hatte. Ich musste es der dunklen Blume ja lassen, sie war ein netter, ansehnlicher Club, in dem ein DJ zwar ziemlich schlechte Musik auflegte und die Leute auf der Tanzfläche unverständlicher Weise fast schon extatisch dazu zuckten, aber ehrlich gesagt vermisste ich bereits jetzt, um ein Uhr Nachts, mein gemütliches Bett. Die Aussichten auf meinen heutigen Schlafplatz waren ja auch mehr als unbefriedigend. Kai schien mir anzusehen, dass ich weitaus weniger Freude empfand als Yoshi, Eisi und Sascha, so wie er mich den ganzen Abend lang ansah, es war mir fast schon ein wenig unheimlich. Doch so sehr ihn mein wahrscheinlich recht angepisster Gesichtsausdruck interessierte sowie faszinierte, so sehr liebäugelte er auch mit der Autogrammkarte, welche die hübsche Rothaarige samt ihrer weniger hübschen Band auf Hochglanz abbildete. Und auch ich warf ständig einen Blick darauf und kam mir schon vor wie ein verliebter Gockel, denn anstatt das Ding einfach in der Tasche verschwinden zu lassen hielt ich es nun schon zwei geschlagene Stunden in der Hand. "Wirklich süß, die Kleine. Wie heißt sie gleich?" "Lilly", antwortete ich nachdenklich und ließ mir von Sascha noch einen Schnaps mitbringen, welcher gerade dabei war, Yoshi zu erklären, dass ihm das Teufelszeug namens Alkohol erst ausgehändigt werden würde, wenn er die Volljährigkeit erreicht hätte. Da Eisi währenddessen damit beschäftigt war, den Kleinen zu trösten, konnte ich mich wie bereits angekündigt an Kais Schulter ausweinen. Peinlich war dabei auf jeden Fall, dass ich immer näher an den finsteren Typen mit den Haaren bis zum Arsch heranrutschte und wir beide nun die Karte beobachteten, als bewegten sich die Bilder darauf wie in den Harry-Potter-Filmen. "Wenn ich wenigstens wüsste, in welchem Hotel sie wohnt. Da würde ich mir es sogar getrauen, dort aufzukreuzen. Wenn du mir hilfst." "Klar, Mann, schließlich bin ich kein Cockblocker", grinste mir mein Gegenüber zu und auch ich konnte mir ein seichtes Schmunzeln nicht verkneifen. Nicht nur, wegen des Wortes 'Cockblocker' in Gegenwart meiner jungfräulichen Wenigkeit, sondern auch, weil Kai so verdammt okay sein konnte, wenn er wollte und vor allen Dingen, wenn man sich mit ihm allein unterhielt. Davon abgesehen, dass ich seine weißen Kontaktlinsen zum Fürchten fand und ihm deswegen nicht in die Augen zu sehen vermochte, hatte sein schwarzer Lippenstift irgendetwas Faszinierendes an sich. Und nun stellte ich zudem fest, dass der Typ von vorhin, der leider auch auf der Karte abgebildet war und sich Tyler oder so nannte, nicht nur mit Sascha Gemeinsamkeiten teilte, sondern eben auch mit Kai. Warum mussten diese Gothics alle gleich aussehen? Zum Glück waren sie nicht alle gleich scheiße. "Man, ey, pass doch auf, das ist kein Untersetzer!" "'Tschuldigung, die Diva mit ihrem heiligen Bandfoto..." Okay, Sascha schlug dann wohl wenn er nicht bekifft war in die Tyler-Kerbe, was die Sympathie anging, denn erstens war ich alles andere als eine Diva und zweitens verbat ich mir so einen Sarkasmus gegenüber meinem Autogramm. Das schlimmste an der ganzen Sache war jedoch, dass das gute Stück vor Schreck auf den Boden geflüchtet war und ich Kai schon fast angeschrien und dabei wie ein wildgewordener Eber an den Schultern geschüttelt hätte, damit er das Ding augenblicklich aufhob. Auf meinen Kumpel konnte ich mich aber verlassen, denn er bückte sich zugleich nach der Karte, wollte sie mir zurückgeben, doch während er sich ihre Rückseite genauer betrachtete, stockte er in der Bewegung. "Was'n?", wollte ich ganz aufgeregt wissen und meine Ungeduld nahm erst recht nicht ab, als die Mundwinkel des anderen zu zucken begannen. "Guck mal hier", raunte er mir zu und zeigte mir nun die Seite, die eigentlich jungfräulich weiß sein sollte, was sie jedoch keineswegs war. "Nein, sag bloß, das ist ihre Nummer!", jubelte ich zurückhaltend und auch Kai nickte erfreut mit dem Kopf. "Wenn du mich nicht hättest", gab er an, während ich schon längst dabei war, mich nach draußen zu verziehen in der Hoffnung, ich könnte dem Lärm hier drin entkommen und in Ruhe ein erneutes Treffen mit Lilly ausmachen. Unter zwei Augen und ohne diese Gruftjungs, verstand sich. Für einen Außenstehenden wirkte es wahrscheinlich so, als benutzte ich zum allerersten Mal ein Handy, denn die Blicke der an mir vorbeieilenden Leute sagten mir genau dies. Nicht mal an dem Tag, an dem ich meinen zukünftigen Chef anrief, weil ich wissen wollte, ob er mich kleinen beohringten Freak in seiner Firma ein Zuhause gibt, zitterten meine Pfoten dermaßen. Es ist nur ein Mädchen, redete ich mir ein. Ein Mädchen ist kein Unmensch und eigentlich nur ein Wesen ohne Penis und mit Brüsten. Aber war es nicht genau das, was uns Kerle um den Verstand brachte? Und war deswegen meine Nervosität nicht doch begründet? Jedoch machte es mein Hadern nicht besser. Ich wollte sie, zumindest wiedersehen. Über mehr musste man zu einem späteren Zeitpunkt verhandeln. Ein wahres Kotzgefühl stieg in mir auf, als meine Finger über den Flatscreen meines heutzutage so modernen Smartphones huschten, nur damit ich mich fast wirklich übergab, als ich dem beruhigend klingenden Tuten lauschte und am liebsten gleich wieder aufgelegt hätte. Dass es kein Zurück mehr gab, bestätigte mir die Männerstimme am anderen Ende des Hörers, die mir ein genervtes 'Hallo?' in den Gehörgang schickte. Moment. Eine Männerstimme? Ich war viel zu perplex, um einen Ton herauszubekommen, wollte mich gerade dafür entschuldigen, dass ich mich wohl verwählt hätte und mich mit hochrotem Kopf wegen mir und meinem Gebaren verziehen, aber es kam anders. "Hallo? Ich hab nicht die ganze Nacht Zeit. Und auf Stalker hab ich auch keinen Bock." Doch noch ehe ich etwas erwidern konnte, von wegen, ich sei eh nicht besonders gut im Stalken, da man meinen bemützten Schädel zu schnell entdecken könnte, hörte ich Stimmengewirr im Hintergrund und schließlich ließ eine selbst um die Uhrzeit fröhlich klingende Frauenstimme mein Herz in die Höhe hüpfen. "Hey? Du mit der Mütze, richtig? Schön, dass du anrufst und noch schöner, dass Tyler dich nicht abgeschreckt hat. Ignorier ihn einfach, der fährt nur auf seiner ekelhaften Eifersuchtsschiene." Äh...hä? Zu viele Informationen auf einmal, zu viele, um dass sie mein stets angewärmtes und wahrscheinlich aufgrund der Hitze des heutigen Tages matschiges Hirn verarbeiten konnte. "Ja...ähm...sorry, dass ich dich so spät noch anrufe", entschuldigte ich mich zunächst, ohne auf das zuvor Gesagte einzugehen, vielleicht entstand ja so etwas Entspannung in meinen Muskelsträngen. "Ach, kein Ding, weißt doch, als Rockstar feiert man um die Uhrzeit noch", lachte die Stimme Lillys am anderen Ende der Leitung laut auf. "Und du? Bist wohl auch noch wach?" "So wie es aussieht, ja", sagte ich mit einem für sie unsichtbaren Lächeln auf den Lippen und einem leichten Augenverdrehen, denn wenn ich schliefe, hätte ich sie schlecht anrufen können, oder? "Wollen wir uns treffen?" "Öhm...ähm..." Das ging mir doch ein wenig zu schnell. Schließlich musste ich mich seelisch und moralisch darauf vorbereiten, und das konnte Stunden oder gar Tage in Anspruch nehmen. "Ich dachte...morgen, da haben wir keinen Auftritt. Und ich würde dich gern kennenlernen!" Erneutes Stimmengewirr auf ihrer Seite, woraufhin Lilly das Handy scheinbar kurz vom Ohr nahm und irgendetwas Unverständliches zischte. Während sie wahrscheinlich diesen Tyler rundmachte, hatte ich genügend Zeit, um mir eine Antwort zu überlegen. Aber wieso dachte ich noch darüber nach, ob ich sie treffen wollte? Natürlich wollte ich das, es war sogar meine Pflicht! Irgendjemand musste mir ja mal meine olle Jungfräulichkeit austreiben, also... "Bist du noch dran?" "Ja...ähm...wie wärs mit...morgen 13.00 Uhr? Ich warte beim Zeltplatz, wo ich übrigens auch penne." "Cool, ich freu mich!", jubelte Lilly, dann hatte sie auch schon aufgelegt, ohne eine Verabschiedung oder ein 'Gute Nacht', wie es um diese Tageszeit angebracht wäre. Doch was juckten mich solche Kleinigkeiten. Ich hatte ein Date, das erste in diesem 19 Jahre andauernden Leben! Mein Kopf glühte vor Aufregung und meine nächste Amtshandlung bestand nun dahin, Kai von meinem Glück zu berichten und ihn gnädiger Weise daran teilhaben zu lassen. Das affige Ich-bin-so-happy-Grinsen, wie man es nur aus albernen Daily Soaps kannte, konnte mir niemand mehr nehmen, selbst rausprügeln hätte ich es mir nicht lassen. Von nichts und niemandem, das stand fest. ***** Noch in dieser Nacht lernte ich, dass auch Vampire oder Jungs, die eine überragende Ähnlichkeit mit dieser Spezies aufweisen, irgendwann einmal die Augenlider von innen anschauen müssen. Wenn es nicht so genervt hätte, wäre Saschas Schnarchen fast schon putzig gewesen, und auch die anderen sägten in ihren Zelten einen weg, weil sie weit über den Durst getrunken hatten. Dass wir besoffene Truppe überhaupt den Weg auf den Zeltplatz fanden, ohne hänsel- und gretelgleich Brotkrumen auszustreuen, grenzte an ein Wunder. Es war dunkel und es war ungemütlich, so neben Kai zu liegen, welcher regelrecht danach zu lechzen schien, dass ich Lilly am nächsten Tag vernaschte. Warum ihn mein Liebesleben so stark interessierte, wusste ich nicht, wollte ich auch gar nicht wissen. Mich nervte nur sein selbst im Dunklen sichtbares Grinsen, welches seine sonst so gotischen Gesichtszüge vollkommen verformte, obwohl es eigentlich mein Part gewesen wäre, so doof und bekifft in die Weltgeschichte zu gucken. "Darin?" "Ja?" Der Schlafsack neben mir regte sich in der Dunkelheit. "Meinst du, ich finde hier auch noch ein Mädchen?" Ich schmunzelte sachte, es war gut, dass er mich nicht sehen konnte. "Laufen doch genug hier rum. Musst nicht mal lange suchen." "Aber ich meine doch...du weißt genau, wie ich das meine." Ach nee. Wollte sich unser Kai, den ich beinahe schon als asexuell abgestempelt hätte, nicht etwa doch mit einer Vertreterin des anderen Geschlechtes vergnügen? Aber finde mal eine, die auf so bleiches Fleisch wie das von Kai stand. Doch wenn er Glück hatte war nicht jedes Körperteil so blutleer wie sein Gesicht oder seine dürren, total unmuskulösen Arme, zu denen sich passende Beine gesellten. Da es fast danach aussah, als würde mir Kai im Suff intime Geheimnisse seiner Selbst offenbaren wollen, drehte ich ihm lieber mein Kreuz zu, in der Hoffnung, er würde still schweigen und eindösen, egal, ob er so laut ratzte wie Sascha, der selig mit seiner Shisha im Arm schlummerte. Aber die Wette hatte ich ohne ihn gemacht. "Hörst du das, Darin-san? Das Geräusch da...dieses Kratzen..." Hatte der Typ Yoshi zum Abendbrot verspeist oder wieso hängte er meinem Namen einfach so die japanische Höflichkeitsform an? Mein Mund öffnete sich bereits, um ihn diesbezüglich zur Rede zu stellen, aber der andere drückte mir plötzlich so mir nichts, dir nichts seine flache Hand auf den Mund, woraufhin ich wie eine Geisel zu mucksen begann und mir die schlimmsten Szenarien ausmalte. Dass Kai aber keinem kaltblütigen Killer Konkurrenz machen wollte bestätigte sich, als ich schließlich ebenfalls ein Rumpeln und ein Scheppern draußen im dunklen Wald vernehmen konnte und mir das Blut in den Adern gefror. Mein ebenso leichenblasser Bruder rückte mir nun auch noch auf die Pelle, zitterte wie ich am ganzen Leibe, bis er letztendlich die dümmste Idee aller Zeiten ausspuckte. "Komm in meinen Schlafsack..." Herzlichen Glückwunsch, sie sind der tausendste Besucher der Dudenseite, auf der die Unterschiede zwischen Akkusativ und Dativ erklärt werden. Sie gewinnen somit einen trockenen Schlafsack ohne Spuren von Eiweiß. Doch das nur am Rande. Viel mehr waren wir nun damit beschäftigt, Ruhe zu bewahren, denn draußen schien der Bär zu steppen und ich hatte bald Spuren von etwas anderem in der Hose - Kai aber noch viel mehr. Er furzte bereits wie eine alte Sau, was dem Wesen freilich half, unsere Anwesenheit zu bemerken und sich genüsslich am Zeltstoff zu reiben. Bei Kai brannten schließlich zuerst die Sicherungen durch. Wie ein Baby hielt ich ihn im Arm, während er seine Stimme erhob und laut schrie. "Eisiiiiii! Hilfe!!!" Und ja, ich stimmte schließlich mit in den Chor ein und verlangte nach unserem großen, starken Beschützer mit den Eisenfäusten, die schon so manchen bösen Buben eins übergezogen hatten. Wenn der verdammte Typ neben mir nur nicht so erbärmlich scheißen würde und ich fast schon Saschas Gasmaske deswegen benötigte. Denn das war nicht mehr feierlich. Noch weniger feierlich war allerdings die Tatsache, dass Eisi uns nicht gehört hatte und das Monster vor unserem Zelt plötzlich zu lachen begann. Da ich darauf schloss, dass es sich nur um einen Menschen handeln konnte, öffnete ich todesmutig und wider Kais Gezeter den Reißverschluss des Zeltes, nur um wie ein Auto auf den Schatten neben Saschas Zelt zu glotzen. "Vampire haben heut anscheinend Auslauf", meinte ich schon viel weniger ängstlich zu Kai, welcher noch immer in Fötusstellung in seinem Schlafsack lag und toter Mann spielte. Okay, dann musste ich der Person eben allein gegenübertreten. Wenn man genügend Alkohol intus hatte funzte das wunderbar. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)