L'Amour à trois von Anemia (Darkly, darkly, Venus Aversa) ================================================================================ Kapitel 9: II. Season - Verwunschene Häuser voller Leben -------------------------------------------------------- Aus jedem Traum erwachte man früher oder später. Entweder durch Eigenverschulden oder aber auch durch Fremdeinwirkung. Merkwürdig mutete eine Mischung aus beidem an. Meine Ma hatte mächtig Stress gemacht, da ich früh morgens erst den Heimweg antrat und sie nicht darüber informiert hatte, dass ich die ganze Nacht über in Buxtehude an der Quarkmühle verbracht hatte, in irgendeinem x-beliebigem Hotelzimmer - wie auch? Ich hatte einen kleinen Abstecher in ein merkwürdiges, von Lust aber auch von Liebe regiertes Land unternommen, aus dem ich nicht einfach so fliehen konnte, denn Tyler besaß den Schlüssel der Ausgangstür und gab ihn erst wieder her, als wir eine Runde aneinandergekuschelt gepennt hatten. Ich hasste den Augenblick, in dem Tyler förmlich die Flucht ergriff, da das Ganze wahrscheinlich nicht geplant war und er einen vollen Terminplan besaß; ein Deja Vu der gemeinen Sorte, denn ich hatte so sehr gehofft, ihm noch meine geheimsten Gefühle offenbaren zu können. Allein ließ er mich mit Kai, und so wie ich jetzt in meiner Heimat auf meinem Bett saß, ohne Kai, fühlte ich mich so unglaublich...leer. Trotzdem ich mir zum Trost die Asking-Alexandria-Platte aus dem Internet gezogen hatte, fühlte ich nicht dieses Kribbeln durch meine Glieder rasen, wie es sonst stets der Fall war, wenn ich den Klängen meiner Lieblingsband lauschte. Lag es vielleicht daran, dass Sex und vergleichbare Ekstasen zwar für den Moment mächtig und unübertrefflich in ihrer Intensität anmuteten, aber genauso schnell wieder abflachten und sich nicht festsetzten wie Empfindungen, die vom Herzen ausgingen und nicht vom Schwanz? Natürlich hatte mir der Sex mit Tyler und Kai gefallen, mehr als das - aber er hatte mir auf seltsame Art aller Energie beraubt, während mein Herz vor Gefühlen überkochen zu schien. Wehmütig sank mein schlaffer und übermüdeter Leib auf die Matratze zurück. Ich schloss die Augen und konnte nicht verhindern, dass die Erinnerungen an Tylers schöne Augen und sein für uns gesungenes Lied in mir wach wurden. Wie er in mir war, wie es sich anfühlte, als er mir einen blies, das alles hatte mein Hirn nicht abgespeichert. Es war nur dieses Bild, seine Stimme und sein wissendes Lächeln, welches er mir während unserer Vereinigung schenkte. Das alles dominiert von dem Wunsch, dem anderen einfach nur nah zu sein und zu spüren, dass er ebenso stark empfand wie ich für ihn. Unfassbar. Ich litt wirklich an so etwas Merkwürdigem wie Liebeskummer. Wie ich dieses Wort verabscheute. Die wollen mich doch alle rollen, dachte ich voller Selbstmitleid. Klopf, klopf. Man. Mein Bedarf an sozialen Kontakten war gedeckt, wer auch immer etwas von mir wollte - sei es Ma oder auch Pa - er sollte bitte das Weite suchen und mich in benanntem Mitleid gegenüber meiner Person baden und schließlich zerfließen lassen. "Daaaarin..." Wem ordnete ich wohl dieses lieblich trällernde Stimmchen zu? Eigentlich hatte ich null Bock auf meinen Freund, da er herausfinden könnte, mit was ich so elend haderte, andererseits konnte ich mich nicht einfach wie ein kleiner Fötus in meine warme, weiche Decke einrollen und Kai vor der Türe stehen lassen. Ein Freund war schließlich besser als keiner und es lag mir fern, den einen auch noch zu vergraulen, nur weil ich mir selbst das Leben zur Hölle machte und Tyler mich dabei tatkräftig unterstützte. Man konnte das Kriechen an die Tür nicht Gehen nennen, das wurde ihm nicht gerecht. Dass ich dabei noch dreimal über alte, verschwitzte Shirts stolperte, die sich auf dem Boden stapelten, weil wahrlich kein Ordnungsfanatiker an mir verloren gegangen war, wollte ich eigentlich unerwähnt lassen. Selbst ich fand meinen Druck auf die Klinke ziemlich harsch, denn womit hatte es ausgerechnet Kai verdient, dass ich ihn abschätzig behandelte oder meine Launen an ihm ausließ? Er war im Grunde der Einzige, der stets alles richtig machte, beherrscht blieb, auch wenn Wut in ihm hochkochte und zudem hatte er immer gute Ideen. Ohne ihn wäre die letzte Nacht nicht zustande gekommen. Wobei diese Idee irgendwo zwischen gut und schlecht lag, jenseits von Gut und Böse, wie man es nahm. "Hey, Hübscher." So wie mein Druck auf die Klinke meinem Freund nicht gerecht wurde, so wenig beschrieb mich die Bezeichnung 'Hübscher' im Augenblick. Als wir heute Morgen zu Hause ankamen, fiel ich so wie ich war ins Bett, liederlich, verschwitzt, nach allem möglichen stinkend. Wenn Kai allerdings der Meinung war, ein ungewaschenes, unrasiertes Gesicht und ein Mund, aus dem die grüne Wolke sichtlich hervorquoll wären hübsch, dann durfte er mich gern weiterhin so nennen. Ich hingegen wusste nicht wirklich, was ich sagen sollte. Abgeschlagen fuhr ich mir durch die ohne Mütze ungebändigte, brünette Mähne, musterte Kai, welcher trotz der wilden Nacht topfit zu sein schien, dem perfekten Lidstrich und dem putzigen Lächeln auf seinen Lippen nach zu urteilen. Im Gegensatz zu mir hatten seine schwarzen Haare wohl eine Wäsche genossen, denn sie wiesen einen feinen Glanz auf, der nur dazu einlud, die Pracht einmal durch die Finger gleiten zu lassen. Merkwürdig, ich tat genau das, ohne groß darüber nachzudenken, dass ich gerade zärtlich anstatt grummelig rüberkam und irgendwie fühlte sich mein Gesicht gerade ganz danach an, als würde es lächeln. Es fühlte sich nicht nur so an, ich lächelte meinen Freund wirklich an, denn ich genoss das Gefühl, welches meine Muskeln entspannte, sowie ich wieder zum Pokerface zurückkehrte. "Hey", hauchte ich tonlos, nachdem ich meine Hand zurückgezogen hatte und realisierte, dass Kai seine Hände auf dem Rücken hielt, so, als versteckte er irgendetwas vor mir. Er schien meinen fragenden Blick bemerkt zu haben, denn ein leichter Rotschimmer trat auf seine sonst so bleichen Wangen und sein Lächeln wurde noch eine Spur verschmitzter. Ehe er jedoch sein Geheimnis lüftete, trat er in meine liederliche Bude ein, peinlich darauf bedacht, dass ich seine Rückseite nicht zu Gesicht bekam. In meinem eigentlich so müden Kopf begann es nun doch zu arbeiten. Man kannte das ja aus Filmen, in denen ein Partner ganz heimlich tat, letztendlich vor seinem Angebeteten auf die Knie ging und diesem einen unerwarteten Heiratsantrag machte. Schock. Das hatte er hoffentlich nicht vor! Wenn ja, dann...nein. Bitte nicht. Mir blieb aber keine Möglichkeit, aus der so schön aufgebauten Szenerie zu flüchten, also schob ich meinen lahmen Arsch auf den Platz neben dem bereits sitzenden Kai und schnaufte wahrscheinlich wie eine Dampflok, anstatt tief durchzuatmen. Machs kurz, betete ich in der wohl einzigen frommen Minute meines arschigen Lebens. "Ich hasse so was", platzte es sogar aus lauter Missfallen aus mir heraus, sodass Kai mich ganz befremdlich zu mustern begann. "So Geheimnisse und so. Da weiß man immer nicht, was einen erwartet." "Aber...", gab Kai nur von sich; so unterwürfig, wie er dabei klang, fand ich mein Benehmen mal wieder furchtbar, denn im Grunde meines Herzens besaß der hübsche Goth einen festen Platz in genau diesem, auch wenn meine Gefühle für ihn seltener an die Oberfläche trieben als die für Tyler. Doch vielleicht war das ein Zeichen dafür, dass er sich tiefer in meinen pumpenden Muskel eingegraben hatte als Tyler und man wahre Liebe nicht so deutlich wahrnimmt wie ein heftiges Verknalltsein. Nein, schüttelte ich gedanklich den Kopf und schloss für kurze Zeit die Augen, um wieder zur Besinnung zu kommen. Leider verschwand die Verrücktheit nach dem Musiker mit den gefährlichen Stiefeln und den einzigartigen Augen auch dadurch nicht. Und auch Kai vermochte an diesem Zustand nichts zu ändern, als er das Mysterium um das auf seinem Rücken Befindliche auflöste und drei rote, fast schon ein wenig schwarze Rosen hervorzauberte und sie mit seinem knuffigen Strahlelächeln unter meine Nase hielt, so, als erwartete er eine Reaktion meinerseits. Kitsch aber war wie gesagt nicht unbedingt meins. Natürlich spürte ich, wie eine kleine Bombe in meinem Magen gezündet wurde und diese schließlich in einer kribbelnden Explosion verkam, aber Worte erschienen mir recht unpassend in jenem Augenblick. Ich hoffte deshalb, dass Kai von meinem ganz automatisch aufkommenden Lächeln Notiz nahm und daraus meine Gefühle ableitete. "Du bist niedlich", neckte mich mein Freund zusätzlich, nachdem ich die Blumen an mich genommen hatte und meine Freude immer mehr wuchs. Egal, ob 'niedlich' zu mir passte oder nicht. Dunkelrote Rosen für Leidenschaft, drei an der Zahl für Tyler, Kai und mich. Ob das seine Intention war, wusste ich nicht. Ich fand, es lag an mir, diese Geste zu deuten und es gefiel mir ungemein, dass Kai anscheinend genauso empfand wie ich und Tyler tief in seinem Inneren ebenfalls einen festen Platz eingenommen hatte. Oder irrte ich mich? Es war eine peinliche Stille im Raum entstanden. Obwohl wir sonst ziemlich vertraut miteinander umgingen und viel mehr noch immer den besten Kumpels glichen, die wir bis zu den Pfingstfeiertagen waren und uns jegliches Pärchengetue eher fernlag, so war es heute irgendwie anders. Die Rosen schienen die Botschafter für diese Angespanntheit zu sein, und ich wurde das dumme Gefühl nicht los, dass von Seiten Kais noch nicht alles gesagt war. Er saß auf der Bettkante, die Füße fest nebeneinander gestellt und beugte sich weit vor, sodass seine langen Haare mir die Sicht auf sein Antlitz verwehrten. Seine leicht vibrierenden Finger beunruhigten mich ziemlich und zudem konnte ich es nie mit ansehen, wenn mein Freund die Neidnägel seitlich seiner Fingerkuppen abriss. Dies tat er ebenfalls nur, wenn er zum Platzen gespannt war. Vielleicht hätte ich ihm eine Rose abgeben sollen, die Tyler-Rose, die naturgetreu größer war als die anderen beiden und viel stolzer und erhabener gegenüber ihnen erschien. Vielleicht hätte Tyler ihm langsam und quälend alle Blütenblätter abreißen sollen, bis er symbolisch aus unserem Leben verschwand. Das hätte Kai auch gleich als Spielzeug gedient, damit er endlich seine Hände in Ruhe ließ. "Du...ähm...was würdest du eigentlich sagen, wenn..." Seine Stimme zu hören, wie sie das ekelhafte Schweigen unterbrach, war irgendwo zwischen Wohltat und einem unangenehmen Empfinden angesiedelt. Wieder hielt er die Hände symbolisch hinter dem Rücken, wieder verbarg er etwas vor mir. "Spucks aus", forderte ich den anderen kurz und schmerzlos auf, woraufhin dieser seinen Rücken in eine gerade Haltung brachte und mich prüfend anschaute. Prüfend, ob ich bereit war für seine folgenden Worte. Ich war es. Dachte ich. "Was würdest du sagen, wenn ich dir kitschiger Weise an den Kopf werfen würde, dass ich mich irgendwie in dich...verknallt hätte?" Es traf mich wie der Schlag, genaue Gefühle konnte ich nicht benennen. Alles verlief zu einem Mischmasch aus Scham, Überraschung, Ärger und Freude und welches Gefühl letztendlich als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen würde, wusste ich nicht. "O-okay...", erwiderte ich zur Überbrückung und spürte, wie die Stängel der Rosen schwitzig wurden und ich sie umso fester umklammerte. Ich hatte eine Verantwortung gegenüber Kai, sprach die innere Stimme zu mir. Wenn er mich liebte, hatte ich eine verdammte Verantwortung gegenüber ihm und seinen Gefühlen, und da ich ihn ebenfalls sehr mochte, wenn nicht gar dasselbe für ihn fühlte, es nur noch nie direkt benannt hatte, so durfte ich ihn nicht unglücklich machen. "Ich mich ja auch irgendwie...in dich. So bisschen, glaube ich. Keine Ahnung so richtig..." Bah. Wie konnte man mit 19 Jahren so einen Rückschlag in die Anfangsphase der Pubertät erleiden? Um meine Scham ein bisschen zu überspielen, versuchte ich Kai in die Augen zu sehen, und auch wenn es mir schwer fiel, irgendwie gelang es mir. Seine Pupillen erschienen mir so groß und ich meinte mal gelesen zu haben, dass sie sich ausweiteten, wenn man eine Person betrachtete, die man sehr attraktiv fand. Direkt ablesen konnte ich seine Gefühle aus ihnen und auch aus dem Rest seines ebenmäßigen, femininen Gesichts allerdings nicht. Es schien jegliches Empfinden gerade in ihm zu toben, genau wie in meinem vermaledeiten Körper. "Doch, Kai", hörte ich mich plötzlich sagen und spürte, wie mein Kopf langsam nickte. "Da ist ganz viel für dich...aber..." Viel zu hastig legte sich Kais Hand auf meinen Oberschenkel, sodass die leichte Hitze in meinen Wangen einem dumpfen Pochen in meiner Stirn Gesellschaft leistete. Es gab außer dieser Hand nur noch dieses eine Augenpaar, auf das sich meine ganze Aufmerksamkeit richtete. "Wir müssen Tyler vergessen, verstehst du? Auch wenn er mehr als Lust für uns empfinden sollte, so ist eine Beziehung zwischen uns und ihm unmöglich. Junge Liebe braucht Nähe um zu bestehen. Man muss sie hegen und pflegen wie eine Pflanze, damit sie nicht verdurstet. Und wie soll das funktionieren, wenn Tyler das ganze Jahr über auf Tour ist?" Rhetorische Frage. Ich konnte gar nichts auf seine Worte erwidern, die mir in diesem Moment so weise erschienen, so ungewohnt aus Kais schönem Mund zu hören, der sonst viel Scheiße laberte. Und wieso musste er mit der Scheiße des heutigen Tages so verdammt Recht haben? Am liebsten hätte ich ihm widersprochen, aber es ging nicht. Seine Hand glitt von meinem Bein und ergriff ungefragt die Meine, mit deren Finger sie zu spielen begann, während er seinen Kopf an meinen legte. Die Rosen hielt ich in der anderen Hand. Und irgendwie war mir, als würden sie langsam zu welken beginnen und ihre Köpfe traurig hängen lassen. Meine blühende Fantasie und meine unbändige Liebe, alles mit blumigen Metaphern zu versehen. ***** Ein verwunschenes Haus voller Leben war doch dieses stärkste aller Gefühle. Wenn man hineinging, entdeckte man die Wunder, die es für einen bereithielt. Man fühlte sich so lebendig, so glücklich. Aber das Leben, welches in diesem Haus Einzug gehalten hatte, konnte nicht ewig erhalten werden. Irgendwann fand man nur noch Leichen vor und musste zusehen, dass man diese begrub, damit sie nicht monatelang verwesten. Was aber, wenn man sich in den Kopf gesetzt hatte, die Toten zu erwecken, mit aller Macht, und damit den Zauber in das Haus zurückzuholen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)