Bora - Stein der Winde von Scarla ================================================================================ Kapitel 11: In der Elbenfeste ----------------------------- »Melody, Janne, war das einer von euch?«, fragte Jason und schaute nachdenklich durch die große Halle aus Eis. »Du weißt, dass ich mich anderer Magie bediene«, antwortete Janne darauf und rutschte vom Rücken ihres geflügelten Wolfes. Der legte die Ohren an, lief unruhig hin und her, bis sie ihn mit einer Handbewegung entließ. Sofort flog er durch eines der offenen Fenster, während Janne Melody misstrauisch musterte. »Auch ich wasche meine Finger in Unschuld, ich dachte ihr …« Sie wirkte nicht erfreut, doch fing sie sich schnell wieder. »Was es auch war, es hat uns geholfen«, fand Jason. Dabei wechselte er in die Sprache der Unsterblichen und ließ seinen Blick über die Sally, Justin und Timo schweifen. An Letzterem blieb er hängen. »Und es hat den Zauber aufgehoben.« »Welchen Zauber, was ist hier los?«, wollte Timo mit scharfer Stimme wissen. »Ich denke, wir haben eine Menge zu besprechen«, fand Melody kalt und bediente sich nun ebenfalls jener Sprache. »Warum du sie mit hierher gebracht hast, zum Beispiel.« »Oh nein, Mylady, den Schuh lass ich mir nicht anziehen. Aber erst einmal sollten wir vielleicht die Pferde hinunterbringen. Ich bezweifle, dass du dich über Pferdeäpfel in diesen Hallen besonders freuen wirst, von deinen Dienern ganz zu schweigen«, fand Jason und stieg aus dem Sattel. Erst jetzt wurde Justin bewusst, dass er noch immer auf seinem Schimmel saß. Er stieg ebenfalls ab, ebenso wie seine Freunde. Faiver, der sich bisher Abseits gehalten hatte, nahm ihnen ihre Pferde ab und verließ mit ihnen den Saal. Er schien nicht das erste Mal hier zu sein. »Es reicht, wenn du Summer fütterst und tränkst, ich kümmere mich gleich selbst um den Rest«, rief Jason dem Wesen noch nach, dann wandte er sich an Timo. »Fangen wir mit dir an.« »Ein Spiegel«, fand Justin. »Der wäre hilfreich.« »Was ist mit ihm passiert? Wer hat ihn so verzaubert und warum?«, fragte Sally derweil ängstlich und kam zu Justin, machte dabei einen großen Bogen um Timo. Der wirkte verletzt und verwirrt, er begriff nicht, worüber sie sprachen und was sie meinten. »Niemand hat ihn verzaubert. Das ist seine wahre Gestalt. Irgendjemand hat einen Bannzauber auf ihn gelegt, damit er unter den Menschen nicht auffällt«, erklärte Jason an sie gewandt, dann trat er direkt auf Timo zu. Er nahm die Hand des Schwarzhaarigen und führte sie zu seinen pelzigen Ohren. Timos Augen weiteten sich vor Schreck, als er das Fell fühlte. Er strich darüber, griff sein Ohr und zog einmal fest daran, doch außer, dass es ihm selbst Schmerzen bereitete, geschah nichts. »Was ist mit mir passiert?«, flüsterte er leise. »Du stammst ursprünglich aus Läivia. Vor Tausenden Jahren wurde diese Welt von Wesen bevölkert, die man Chitos nannte. Sie verschwanden im Laufe der Zeit fast vollständig und machten damit den Elben platz, die in diesem Zeitalter den größten Teil der Bevölkerung stellen. Ich dachte, dass sie ausgestorben seien, aber du bist der lebende Beweis, dass dem nicht so ist«, erklärte Jason leise und ruhig. »Sie sind nicht ausgestorben, aber sie werden immer weniger und ihr Blut immer dünner. Die letzten reinen Blutlinien waren die der Königsfamilie, die Schattenwächter und der Glutlords. Die Königsfamilie starb, als ich noch klein war, Susi und Theo haben die komplette Familie ausgelöscht. Ich weiß, dass es noch eine Lady der Glutlords gibt, doch sie verschwand vor einigen Jahren in den westlichen Wäldern, niemand weiß, ob sie lebt oder nicht. Von den Schattenwächtern lebt noch ein Sohn, Rain, aber er ist zu jung.« »Es spielt keine Rolle«, fand Jason an Melody gewandt, sprach dann leise mit Timo in der Menschensprache, mit der Justin aufgewachsen war. »Du bist jetzt hier und du bist, was du bist. Und die, die dich zu dem gemacht haben, die kennst du. Alle anderen spielen keine Rolle.« Langsam nickte Timo. Er wirkte, als wenn er unter Schock stand, doch Jasons Worte schienen ihm geholfen zu haben. Zumindest für den Moment. Justin vermutete, dass er es einfach verdrängte, doch Jason hatte recht. Sie waren jetzt hier und alles andere war für diesen Moment unwichtig. »Erzählst du uns jetzt, was du uns bisher vorenthalten hast?«, fragte er und wählte dabei bewusst die Sprache der Unsterblichen aus. »Oder warum sie hier sind?«, warf Melody spitz ein. »Alles zu seiner Zeit«, antwortete Jason dem Rotschopf und wandte sich erst an die schwarzhaarige Elbe, sprach in ihrer Sprache weiter. Seine Stimme war dabei scharf und kalt wie Eis. »Es war nicht abgesprochen, das du ausgerechnet ihm den Stein gibst. Du hast mich als erstes betrogen. Als er von selbst kam, sagte ich ihm erst, dass er den verdammten Stein wegschmeißen soll, in irgendeinen See. Stattdessen kam er in diese Welt. Was hätte ich also tun sollen? Ihn dem Drachen zum fraß vorwerfen?« »Du hättest ihn zurückbringen können«, antwortete Melody ebenso kalt. »Glaubst du, das hätte ihn vor Theo beschützt? Der einzige Grund, warum Theo ihn nicht schon vor Jahren getötet hat ist der, das der Unsterbliche genau wusste, das er mich damit ebenfalls verloren hätte und weiß der Teufel oder weiß er’s nicht, Tatsache ist, das ich für ihn wichtig war. Mit dem Todesgott verhält es sich ähnlich, nur er und sein Wort standen jemals zwischen ihm und seinem Tod. Theo sucht schon seit Jahren nach beweisen, das ich ihnen und ihrer Sache nicht treu bin, jetzt hat er ihn auf dem Silbertablett präsentiert bekommen. In der Menschenwelt ist sein Leben keinen Pfifferling mehr wert. Deinetwegen übrigens, mein Herzchen. Beschwere dich also nicht, wenn ich also in die einzige Bastion bringe, die noch gegen den Todesgott besteht«, fauchte Jason und war dabei sichtlich wütend. Melody war der Ärger ebenso ins Gesicht geschrieben und sie wirkte, als wollte sie etwas nicht besonders Damenhaftes erwidern, als sich Janne einschalt. »Er hat recht, Lady Melody. Theo suchte schon lange nach einem Grund, um Jason und die seinen zu töten. Durch Euer unüberlegtes Handeln habt ihr ihn dazu gezwungen, ihm diesen Grund zu liefern. Ihr habt soeben Jasons Familie umgebracht.« Sie sprach ruhig und sachlich, doch sie hätte Melody und auch Jason genauso gut eine Ohrfeige verpassen können, es lief auf dasselbe hinaus. Die Elbe starrte sie einige Sekunden lang voller Hass an, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ den Saal, ohne auch nur ein einziges weiteres Wort zu verlieren, während Jason Janne anschaute. Dabei wirkten seine Augen ebenso gebrochen und leer, wie die von Timo. »Du hättest es nicht aussprechen müssen«, flüsterte er. »Es bringt nichts, wenn du dir eine Lüge einredest. Räche sie lieber«, meinte Janne kalt. In diesem Augenblick fand Justin sie herzlos. Jason starrte sie einige Augenblicke lang an, dann wandte er sich ebenfalls ab und ging. »Ich muss mich um Summer kümmern«, erklärte er an der Tür, war in seinen Gedanken bereits weit weg. »Wohin geht er? Ich dachte, er wollte uns erklären, was hier los ist«, fragte Sally leise, denn sie verstand diese seltsame Sprache nach wie vor nicht. Justin überlegte kurz, ob er offenbaren sollte, dass er alles verstanden hatte, dann beschloss er, dass er keinen Grund hatte, es geheim zu halten. Doch statt Sally direkt zu antworten, wandte er sich Janne zu. »Was habe ich mit Jasons Familie zu tun?«, wollte er in der Sprache der Unsterblichen wissen. Janne starrte ihn an, als wären ihm plötzlich Hasenohren gewachsen. »Du verstehst elbisch?«, fragte sie und ihre Stimme klang dabei seltsam schrill. »Das ist elbisch?« Bis eben hatte er nicht gewusst, was es für eine Sprache war. »Du verstehst diese seltsame Sprache?«, fragte auch Sally erstaunt. »Ja. Ich weiß nicht wieso, aber ja. Ich hab von Anfang an alles verstanden.« Das Mädchen wirkte gar nicht begeistert, doch schließlich seufzte sie. »Ich erzähle dir alles, was du wissen musst. Ich weiß nicht, wie viel Jason dir anvertrauen wollte und ich werde nicht mehr als das erzählen, was offensichtlich ist und jedermann weiß«, erklärte Janne. »Du misstraust mir.« »Ich misstraue jedem, der mir nicht bewiesen hat, dass er mein Vertrauen wert wäre.« Justin nickte, schüttelte sogleich den Kopf. »Das reicht mir für den Anfang. Erzähl.« Janne nickte und deutete auf ein paar Stühle, die so einsam und verlassen irgendwo in einer Ecke der großen Halle standen, dass Justin sich sicher war, er hätte Tausende Male an ihnen vorbeilaufen können, ohne sie zu bemerken. »Im Sitzen spricht es sich besser und es wird eine Weile dauern.« Justin nickte und er und seine Freunde gingen hinüber. Justin beobachtete dabei Timo, der sich langsam wieder zu fangen schien. Er war noch nicht wieder der Alte, doch begann er langsam wieder Interesse an seiner Umgebung zu zeigen. »Wo fange ich an?«, überlegte Janne, kaum das sie sich gesetzt hatten. Dann nickte sie, als wäre sie zu einem Entschluss gekommen. »Beim Nichts. Wir kennen seinen Namen nicht, ich bin mir nicht einmal sicher, ob irgendjemand es jemals getroffen hat. Wir wissen, dass es Macht hat. Vielleicht das mächtigste Wesen überhaupt. Und es ist uralt. Ab und an gewährt es einem Lebewesen die Macht, seinen Herzenswunsch wahr werden zu lassen.« »Die Wünscher. Das hat Jason mir schon erzählt. Und ihr seit seine Beschützer, seine Leibwache.« »Waren wir«, bestätigte Janne. »Das Nichts brachte uns, als der Unsterbliche noch lebte.« »Der Unsterbliche?«, fragte Sally und runzelte die Stirn. »Warum unsterblich, wenn er jetzt tot zu sein scheint?« »Weil das sein Herzenswunsch war. Er wollte das ewige Leben erringen. Er hat zu lange gebraucht, also wurde er ersetzt, durch den Todesgott.« »Warum Todesgott?« »Weil es ihn nach der Macht über den Tod verlangt.« »Wer sind die anderen Beschützer des Todesgottes?« »Außer Jason und mir? Theo, den Drachenfresser habt ihr ja bereits kennengelernt«, antwortete Janne und wirkte gar nicht erfreut über dieses Treffen. »Er befehligt ein Heer aus Drachen.« »Warum Drachenfresser?«, wollte Timo leise wissen. »Jeder von uns hat einen Namen, der Angst und Schrecken verbreiten soll. Manche bekamen sie von anderen, solche wie Theo gaben sie sich selbst.« »Wir lauten eure Namen?«, fragte Sally. »Wölfin und Feuerreiter.« »Warum?« Justin war sehr auf die Erklärung gespannt, doch er erkannte an Jannes Lächeln, dass das nicht zu den Dingen gehörte, die sie erzählen würde. So fuhr sie also fort, ohne darauf einzugehen. »Dann gibt es noch Faiver, der Herr über ein Heer aus Tieren und Bestien. Jason befehligt ein Heer von Menschen und Elben, ich bin ihm unterstellt. Dann gibt es noch einige andere, die alle nicht besonders wichtig sind. Wir haben nur ein, zweimal mit ihnen zu tun. Sie werden einfach verschwinden, wenn sie die Chance dazubekommen, das wissen wir. Und der Letzte ist der Falkenlord.« Etwas regte sich in Justin. Es lag ihm regelrecht auf der Zunge. Der Falkenlord war kein unbekannter Begriff für ihn, er wusste mehr darüber, doch er bekam diesen Gedanken, diese Erinnerung einfach nicht zu fassen. »Auf welcher Seite steht dieser Falkenlord?«, wollte Timo wissen und auch er wirkte, als wenn er krampfhaft versuchte, sich an etwas Wichtiges zu erinnern. »Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht einmal, ob es ihn gibt, oder ob er bloß eine Legende ist. Niemand hat ihn je gesehen, nie hat jemand mit ihm gesprochen. Man sagt, er befehligt ein Heer aus Dämonen und er reitet ein Einhorn, so schwarz wie die Nacht, mit einem Horn, das rot vom Blut seiner Feinde ist. Er gehört zu den Beschützern der Wünscher, aber eigentlich ist er der wichtigste Lakai des Nichts. Ohne Mitleid, ohne Angst, bereit alles zu tun und mächtig wie ein Gott. Manche behaupten, er hätte der nächste Wünscher sein sollen, deswegen wird er den Todesgott bei erster Gelegenheit verraten, andere schwören, das Nichts hätte ihn nur zu dem Zweck geschaffen, jene zu schützen. Keiner weiß, was stimmt und was nur Geschichten sind. In einem sind sich aber alle einig. Das einzige Wesen, dem seine Treue und seine Liebe gehört, ist das Nichts. Er folgt einem anderen, doch eine Geste reicht und er würde sie alle verraten, nur um dem Nichts zu gefallen.« »Klingt nicht gerade nach jemandem, mit dem wir gemeinsame Sache machen wollen«, überlegte Justin. »Könnten wir auch gar nicht. Ich sagte es ja bereits, keiner weiß, wer er ist und genauso wenig ist es uns möglich, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen. Wir können nur hoffen, dass er nicht unser Feind ist.« Justin nickte und kam schließlich zurück zu der Unterhaltung zwischen Melody und Jason. »Und was hab ich jetzt mit Jasons Familie zu tun?« »Jason stammt eigentlich aus eurer Welt. Er wollte zurück, doch der Unsterbliche drohte damit, seine Familie zu töten, also blieb er und tat, was man ihm sagte und schmiedete nebenher seine Pläne. Und der sah erst einmal vor, dich so lange aus der Sache rauszuhalten, bis du kein Kind mehr bist«, erklärte Janne. »Das sagt hier die Richtige«, fand Justin. Er hatte es schon immer gehasst, als Kind bezeichnet zu werden. Doch sein Gegenüber lächelte nur wissend. »Du hättest das Morden und Brandschatzen lernen sollen, ohne dass irgendjemand davon erfuhr und wenn es an der Zeit war, hättest du erst den Todesgott und dann das Nichts töten sollen. Dann wären wir alle frei gewesen.« »Justin würde niemals jemanden töten!«, ereiferte sich Sally sofort. »Bist du dir da so sicher?« Sally wirkte verwirrt. Janne lächelte sie nur an, doch das verunsicherte sie so sehr, dass sie letztlich schwieg und Justin mit einem stummen Blick um Verzeihung bat, dass sie ihn nicht weiter verteidigte. »Wie kommt ihr nur darauf, dass ich die Macht habe, etwas zu vernichten, das uralt ist und mächtig wie ein Gott? Das hast du selbst über das Nichts gesagt«, wollte Justin stattdessen wissen. »Weil du der Weltenretter bist.« Janne stand auf und ging Richtung Saaltür davon. Justin überlegte kurz, ob er auch dieses Mal widersprechen sollte, doch da war noch etwas, was ihn weit mehr interessierte. »Warum vertraust du Jason?«, wollte er wissen. Janne blieb in der Tür stehen und schaute ihn lange an, bevor sie antwortete. »Weil seine Männer ihm nicht aus Angst folgen. Ich denke, es ist an der Zeit, das ihr euch hier einrichtet«, fand sie und verließ den Saal, doch sie schloss die Tür nicht und sogleich trat jemand ein, der so unverkennbar ein Elb war, als hätte man es ihm in Leuchtbuchstaben auf die Stirn geschrieben. »Mylords und Mylady«, grüßte er und verbeugte sich. »Wenn ich euch in eure Zimmer geleiten darf.« Justin, noch ein wenig über Jannes letzte Worte überrascht, stand auf und seine Freunde ebenso. »Wer bist du?«, fragte Sally neugierig und gemeinsam traten sie an den Elben heran. »Jack ist mein Name. Ich bin hier, um der Lady Melody zu dienen und solange Ihr ihre Gäste seid, werde ich mich auch um Euer wohl sorgen«, erklärte der Elb und deutete ihnen, ihm zu folgen. Jack führte sie durch Gänge aus Eis, die für das ungeübte Auge alle gleich aussahen. Schließlich blieb er stehen und öffnete eine einfache Holztür, die mit Eisen beschlagen war. »Heißes Wasser für ein Bad und neue Gewänder werdet ihr im Nebenraum finden. Sollte Euch noch etwas fehlen, zögert nicht, bescheid zu geben. Eine Magd wird euch zum Essen abholen«, erklärte Jack und Justin konnte einen Blick in den Raum werfen. Auch dieses Zimmer war aus Eis, doch wirkte es nicht ungemütlich und es mündete in einen Balkon, der fast ebenso groß war, wie das ganze Zimmer selbst. »Danke«, antwortete Timo und trat unsicher ein. Jack schloss die Tür und führte sie weiter. Sie mussten nicht weit laufen, da hielten sie vor einer Tür aus Holz, die kunstvoll mit Schnitzereien verziert war. »Auch Ihr werdet heißes Wasser vorfinden und einige Kleider. Wir wussten nicht, welchen Stil Ihr bevorzugen würdet, also werdet ihr Elbenkleider und Menschenkleider vorfinden. Sollten sie euch nicht zusagen oder solltet ihr noch etwas anderes benötigen, so zögert nicht, uns Eure Wünsche mitzuteilen.« Jack öffnete auch diese Tür und Justin konnte abermals in den Raum dahinter blicken. Er war weitaus prunkvoller eingerichtet. Die Wände waren mit bunten Tüchern verhangen, der Raum war hell und gemütlich eingerichtet, überall gab es kleine Verzierungen. Auch hier gab es einen Balkon, doch war er deutlich kleiner. Dann schloss Jack auch diese Tür und deutete ihm, weiter mitzukommen. Sie liefen weiter durch Eisgänge, doch Justin bemerkte, dass sie sich änderten. Und plötzlich standen sie in einem Gang aus Stein. »Das Schloss besteht gar nicht nur aus Eis?«, fragte er erstaunt und strich über den Stein. »Sein Herz ist steinern. Einst war es nur ein Turm, die Eishallen kamen später. Euch hat die Lady ein ganz besonderes Zimmer zugedacht, im Herzen der Burg«, erklärte Jack und stieg eine steile Wendeltreppe hinauf. Justin hatte erwartet, dass sie nur kurz sein würde, wie all die anderen Treppen auch, die sie zuvor genommen hatten, doch es waren gewiss hundert Stufen, bis sie oben angelangt waren. Hier erwartete ihn eine einfache Holztür, die Jack öffnete. Justin trat ein und war im ersten Augenblick enttäuscht. Lediglich ein einfaches Bett standen hier, ein einfaches Regal, ein Schrank und ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen vor einem kleinen Kamin. Es war ein kleiner, dunkler, trostloser Raum. »Oben findet ihr ebenfalls Wasser um euch zu waschen und neue Kleider. Ich schicke jemanden, um euch zum Essen zu holen«, erklärte Jack und schloss die Tür, bevor Justin etwas erwidern konnte. Er fragte sich gerade, ob das Melodys Art war, ihm mitzuteilen, das er etwas getan hatte, was ihr nicht zusagte, und was Jack mit oben gemeint hatte, als er die einfache Treppe aus Holz bemerkte. Er ging hinauf und blieb oben mit offenem Mund stehen. Auch dieser Raum war nicht größer als der untere, doch war um ihn herum nur Glas, sodass er größer wirkte und eindeutig heller war. Der Stein der Wände ging noch etwa brusthoch, danach bildete Glas eine hohe Kuppel, die man durch einen Mechanismus vollständig öffnen konnte. Er schaute sich um, sein Blick reichte über eine meilenweite Schneelandschaft und über ihn leuchteten Lichter über den Himmel, die er für Polarlichter gehalten hätte, wäre es nicht helllichter Tag gewesen. Eine warme, sanfte Briese umwehte ihn und hier fand er auch, was Jack verkündet hatte. Ein hölzerner Waschzuber, gefüllt mit dampfendem Wasser und auf einer gemütlich wirkenden, gepolsterten Bank lagen Kleider. Er stellte sich erst an die steinernen Wände und überblickte das Land, dann entledigte er sich seiner Kleider und ließ sich unter freiem Himmel in das heiße Wasser gleiten. Es war eine Wohltat für seinen verkrampften und geschundenen Körper. Er spürte, wie sich die Krämpfe lösten und die Wärme bis in sein tiefstes Innerstes zog. Er wusste nicht, wie viel Zeit ihm blieb, also begann er schon bald damit, sich mit Seife und einer weichen Bürste abzuschrubben, dann stieg er aus dem Wasser. Er trocknete sich gründlich ab und legte die neuen Kleider an. Sie waren aus wärmender Wolle und passten, wie für ihn gemacht. Neugierig betrachtete er das Wappen, das darauf gestickt war. Es war ein gelb, rot und orangefarbenes Pferd auf schwarzem Grund. Es gefiel ihm und er musste sogleich daran denken, wie Theo Jason genannt hatte. Der Feuerreiter. Er vermutete, dass es Jasons Wappen war. Nicht lange, nachdem er sich angekleidet hatte, hörte er, wie sich unten die Tür öffnete. Er nahm an, dass es die Person sein würde, die ihn zum gemeinsamen Essen bringen würde, doch er täuschte sich. Es war Melody, die die Treppe hinaufstieg. »Ich sehe, du bist fertig«, bemerkte sie. Er nickte und tat ein paar Schritte zurück. »Ich hoffe, dein Zimmer gefällt dir?«, fragte sie und trat an die steinerne Mauer heran und schaute in die Ferne. »Ja. Es ist atemberaubend. Aber was sind das für Lichter am Himmel?« »Das Nordlicht. Im Nordenreich scheint es Tag und Nacht, immerzu. Nur wenn Wolken über den Himmel ziehen, sieht man es nicht«, antwortete sie und streckte ihre Flügel. Sie waren größer, als Justin vermutet hätte, doch sie mussten auch das Gewicht eines Menschen tragen, daher war es nicht erstaunlich. Und dafür wirkten sie sogar fast zu klein. »Warum bist du hergekommen?«, wollte er wissen. »Um dir genau dieselbe Frage zu stellen«, antwortete sie und lächelte schief. »Ihr wollt mich benutzen. Ich werde nicht gerne benutzt und schon gar nicht, ohne das man mir sagt, wozu eigentlich«, antwortete er. Sie schaute ihn an und er erwiderte ihren Blick für eine Weile. Dann ging er zu seinen alten Kleidern und zog Bora aus der Tasche. »Ich denke, du willst ihn wiederhaben«, bemerkte er und hielt ihr den Windstein hin. »Nein. Bewahre ihn für mich auf«, wehrte sie ab. »Das essen ist fertig. Komm mit.« Justin wusste, dass damit das Gespräch beendet war. So folgte er ihr schweigend und fragte sich die ganze Zeit über, was sie wohl denken mochte. 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