Die Chroniken von Khad-Arza - Die andere Seite des Himmels von Linchan (Drittes Buch) ================================================================================ Kapitel 22: Unort ----------------- Die Finsternis kam näher, aber sie machte ihr keine Angst. Es war vielmehr eine Gewissheit in ihrem Geist, dass sie sich dem näherten, für das sie geboren worden waren... dem Abgrund der Schatten, dem Ende von allem, wenn es so sein sollte. Iana fragte sich, ob sie sich nicht doch fürchten sollte... war sie anormal, wenn sie es nicht tat? „Hach.“, murrte sie zu sich selbst, während sie auf der Bettkante kauerte und zum Zeitanzeiger starrte. „Vermutlich ist es wieder so ein Kadhúrem-Ding. Dieses Schwert... scheint sehr viel mehr von mir auszumachen als nur ein Erbstück meines Vater zu sein.“ „Redest du... mit dir selbst, Iana?“ Sie fuhr herum und hätte fast vor Schreck geschrien, weil sie Karanas Stimme hörte. Er lag auf der Pritsche und war jetzt offenbar wach, jedenfalls war sein Auge offen und er schenkte ihr ein spitzbübisches Grinsen, als er sie beobachtete – auf eine Art, die sie sehr lange nicht mehr an ihm gesehen hatte. Ein Karana-Grinsen... keine dämonische Fratze, aus der Gier oder Wahnsinn sprach, sondern ein amüsiertes Lächeln wie das eines Vaters, der seinem kleinen Kind grinsend zusah, wie es Blödsinn und sich zum Affen machte. „Du hättest sagen können, dass du wach bist, Karana.“, begrüßte sie ihren Gatten genervt und heimlich erfreut oder irritiert von seinem Grinsen. „Statt da zu liegen und den Toten zu spielen.“ „War ich lange weg? Ich erinnere mich kaum. Eigentlich...“ Er stutzte und schien eine lange Zeit sehr nachdenklich oder er haderte mit sich selbst, Iana wusste es nicht genau; es war auch egal, er setzte sich auf und schob dabei die Decke von seinem Oberkörper, als sie sich ihm zuwandte. „Wir... werden bald da sein. Am Abgrund... und bei der Trias, wenn die Götter... oder Geister... das wollen.“ So sprach er plötzlich ein völlig anderes Thema an und die Frau verengte die blauen Augen. „Wie fühlst du dich? Wir haben dich erschlagen, oder ich habe das, weil du wahnsinnig warst. Das ist zwei Tage her, sagt Zoras jedenfalls, der wohl als einziger noch ein Gefühl für Zeit hatte, als du weg vom Fenster warst.“ Die Schamanen hatten da oftmals einen Instinkt für; Iana als halber Schamane offenbar nicht, Ryanne war nie zurechnungsfähig, jetzt weniger denn je, und Neisas Instinkte schienen auch nicht dafür auszureichen. Sie sah auf den Zeitanzeiger und das letzte Licht, das darin glühte. Bald würde auch es erlöschen... dann müssten sie umkehren. Sie fragte sich, wie sie hier so ruhig sitzen konnte. „Ähm.“, war Karanas geistreiche Antwort, als er an sich herunter sah, „Abgesehen davon, dass ich nackt bin, geht es mir ganz gut.“ Sie schnaubte. „Hätte ich dir deine Sachen anlassen sollen? Ich dachte, ich nutze die Gelegenheit und wasche sie.“ Er feixte. „Was für eine gute Frau du doch bist, Ianachen.“ Es war merkwürdig, mit ihm so unbefangen zu sprechen... und ihn noch grinsen zu sehen. Iana errötete gegen ihren Willen bei seinem Blick, ehe sie den Kopf wegdrehte. Da war kein Dämon... da war keine Finsternis in Karanas Gesicht, nicht dieser Wahnsinn oder Zorn, der da neulich noch gewesen war. Der Dämon in ihm, Manhas Einfluss, war verschwunden... obwohl das Mal an seinem Unterarm noch da war, war nichts an Karana mehr Manha oder Kelar Lyra oder wer immer das alles sein mochte, der ihm den Kopf verdrehen wollte. Übrig war Karana... der Mann, zu dem sie sich gebunden fühlte, dieser Vollidiot, den sie geheiratet hatte. Der Gedanke erfüllte sie mit Liebe. Sie sagte nichts zu ihm... sie wusste, was er getan hatte und sie kannte jetzt auch den Grund. Als sie zurück auf die Tari Randora gekehrt waren, hatten sie Karana, der kaum mehr als ein totes Tier gewesen war, auf die Pritsche verfrachtet und Zoras hatte seine Schwippschwägerin zur Seite genommen. „Wenn er Manhas Fluch auf seinem Arm irgendwie beherrschen können will, muss er lernen, ihn zu begreifen.“, hatte der kleine Mann finster gesagt, „Wenn du den Schatten zerschlagen willst, musst du... erst lernen, wie man in der Dunkelheit sehen kann, das ist der Grund. Das ist der Grund, weshalb er zu Manha gegangen ist und diesen scheißverdammten Zauber lernen musste... der Zauber hat ihn eingenommen, er musste es nur wieder schaffen, sich aus dem Strudel zu reißen. Das... hast du für ihn erledigt, jetzt wird es gut sein. Die Zeit ist... bald vorbei.“ „Du hast dein Wort gehalten, Karana.“, sagte Iana dumpf und ihr Mann lachte leise. Er betastete die Augenbinde, die die scheußliche Wunde verbarg, als bemerkte er sie zum ersten Mal, obwohl sie schon ein paar Tage da war, aber er beschwerte sich nicht. „Du hast gesagt, du kommst zurück... und du bist wirklich zurückgekommen. Ich bin beeindruckt.“ Dem gab es nichts mehr hinzuzufügen, so beugte er sich vor und küsste sie leidenschaftlich. Es war ein Kuss auf eine Weise, wie sie ihn lange nicht mehr geteilt hatten, und Iana öffnete den Mund und ließ zu, dass er sie herunter auf die Pritsche drückte und sich auf sie rollte. Er hatte ihr gefehlt... und dem Baby, das in ihrem Bauch wuchs. „Das ist alles, was ich erreichen wollte... meine Königin.“, murmelte er gegen ihren Hals, als er von ihren Lippen abgelassen hatte und sich jenem widmete, und sie umarmte seinen nackten Oberkörper, während seine Hände unter ihre Bluse fuhren und ihre Haut berührten. Seine Finger waren warm... Seine Seele war wieder warm, weil der Zorn weg war. „Sei zärtlich, Karana... tu dem Baby nicht weh.“ Der Korridor war finster, in dem sie kauerte. Sie konnte gut sehen, noch – ihre Sicht schwand, weil sie sich dem Abgrund näherten. Ihr Arm schmerzte und sie wollte daran kratzen, hinderte sich aber daran, um die Notizen nicht zu verwüsten, die sie extra mühevoll gemacht hatte. Sie würde sie vermutlich bald brauchen... sie konnte sie jetzt nicht lesen, aber wenn sie erblindet war, würde sie es können. „Bald... fallen wir in den Schatten, hahaha.“ Sie kicherte und fixierte ihren Blick auf Zoras Derrans mickrige Gestalt, als er in der Dunkelheit bei ihr auftauchte. Zoras Derran war ein viel zu kleiner Mann, seine Größe schrumpfte die Imposanz seines Auftrittes enorm, dabei war seine Seele eine der gewaltigsten, die sie in diesem Zeitalter gesehen hatte. „Du hast eine große Seele... Zoras Chimalis, Herrscher des Kondorclans.“, schnarrte sie mit einem süffisanten Grinsen, „Zu groß für deinen Kleinjungenkörper.“ Er sah nur auf sie herunter, wie sie da kauerte, und obwohl sie saß und er stand, wirkte er für sie dennoch so... winzig. Er war rastlos, das war er immer, eine ruhelose, gepeinigte Seele war er... das war schon die Bestimmung des Letzten gewesen, der so geheißen hatte wie er. Zoras Chimalis, Sohn von Myron dem Genie, Vater von Enola und Großvater von Pakuna, Liebhaber von Salihah Lyra... der letzte Mann namens Zoras war definitiv größer gewesen. „Wärst du nicht so klein, würde ich echt gern mit dir schlafen.“, grinste Ryanne ihn an und Zoras murrte. „Dann ist es ja Glück für mich, dass ich daran gar kein Interesse habe, Seherin. Du singst hier herum, wir werden alle in den Schatten fallen. Heißt das, wir scheitern?“ „Ungewiss ist der Ausgang eures... Schicksals.“ Sie erhob sich und stützte sich mit dem gesunden Arm an der kahlen Wand hinter sich ab, um jetzt auf den Mann herab zu blicken, den sie im Stehen überragte. Seine Augen waren ungewöhnlich schmal und dämonisch, sie waren das mit Abstand morbideste und gleichzeitig schönste an ihm, von seiner unverkennbaren Zeichnung am Rücken abgesehen, denn die trug er ja nicht von Geburt an. Er verabscheute die Tätowierung der Männer, die ihn als Kind gefoltert und geschändet hatten wie ein Mädchen, Ryanne kannte alle seine Gedanken und alle seine Gefühle. Sie kannte die Gedanken und Gefühle von allen hier, und nicht nur hier, auch die derer, die auf Zuyya geblieben waren, die derer, die sonst noch irgendwo leben mochten... Die einzigen Gedanken, die sie nicht zu erfassen vermochte, waren die von ihresgleichen. „Das kannst du gut.“, sagte Zoras Derran und reckte herrisch das Kinn, „Vage Antworten geben, die niemandem helfen. Deine Gedächtnislücken werden größer, je näher wir kommen, was?“ „Wenn wir den Yirana-Nebel erreichen, werde ich euch nicht mehr helfen können.“, kicherte die Seherin und tänzelte auf nackten Füßen um ihn herum, er verfolgte sie mit dem Blick. „Dann bist du gekommen, um Dinge zu sagen, die ich schon weiß? Nein... ich kenne deinen Kopf, Zoras Derran.“ Er schwieg einen Moment. „Ich kann dir nicht sagen, ob Manha... sterben wird. Oder ob ihr... siegen werdet oder scheitern. Das ist eine Frage, die im Schatten liegt, an den... kommen wir nicht an.“ „Es ist nicht nur Manha.“, sagte er kalt. „Da sind noch die Niemande – sie mögen Niemande sein, aber sie sind gut trainierte Niemande, die uns das Leben und das, was uns bevorsteht, vermutlich schwer machen wollen. Yamuru allen voran...“ Ryanne lachte. „Yamuru!“ Sie stöhnte den Namen enthusiastisch und fand, der Zuyyaner war ein bildhübscher Kerl, und seine Seele war eine Menge wert. „Um Yamuru sorge dich nicht. Er wird dir nicht im Weg sein.“ „Und den anderen?“ „Sorgst du dich um die anderen oder um dich?“, grinste sie, „Es ist schon bestimmt... welches Schicksal welches Niemands mit den euren verbunden ist... wer stört dich am meisten, hm? Turos Gehirn gehört mir. Er ist nämlich der einzige, der eins hat.“ Zoras schien ihre Worte nur halbherzig aufzufassen, dann schnappte er nach Luft und ballte eine Faust. „Der Telepathentyp.“, sagte er dann, „Ich habe ihn jetzt ein paar Mal an der Backe gehabt und er ist schneller als ich. Alle Macht nützt mir nichts, wenn ich ihn nie erwische, weil er sich wie ein Haken schlagender Hase herum teleportiert.“ „Flink, flink.“, kicherte Ryanne, blieb stehen und lehnte sich gegen die Wand, „Eine Mauer brauchst du. Hast du Steine oder Mörtel?“ „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest!“, fauchte er – oh, er war nervös und gereizt, er amüsierte sie mit seinem Zorn. „Was für eine verdammte Mauer?!“ „Eine Seelenmauer.“, grinste sie und sein Zorn verrauchte, weil er verstand. „Die Magie der Telepathen ist Seelenmagie – Telepathie bedeutet Gedanken lesen. Rok liest deine Schachzüge und sieht sie voraus, bevor du sie überhaupt zu Ende geplant hast, deshalb ist er schneller. Die einzige Waffe gegen einen so ausgebildeten Seelenmagier ist... deine Seele hinter einer Mauer zu verschließen... damit er sie nicht mehr sehen kann.“ Zoras antwortete darauf mit einem langen, stummen Blick. „Wie funktioniert das?“, fragte er dann und sie lächelte ihn an. „Besorgst du es mir, wenn ich es dir sage?“ „Kommt drauf an, ob sich deine Antwort lohnt.“, war seine kaltherzige Antwort und sie kicherte. „Wie pragmatisch von dir. Und Neisa... deine Liebste? Würde sie nicht böse werden?“ „Wenn von deiner Antwort mein und ihr Leben abhängt, ist es mir das wert.“, schnarrte er, „Aber es wäre besser, wenn ich dich auf andere Weise bezahlen könnte. Antworte.“ „Du wirst verblendet... Chimalis.“, sagte sie dumpf und seine schmalen Augen verengten sich noch mehr. „Du weißt die Antwort längst. Geh in dein Inneres... in die Schatten, zu denen du gehörst. Du weißt, dass dein Schicksal ist, zu ihnen zu gehen... weil das der Preis ist, den du für die Loyalität deiner Vögel bezahlt hast. Geh in deinen Schatten und frag sie dort... deine Seele oder das... was von ihr übrig ist.“ Er sagte nichts und die Seherin beugte sich zu seinem Gesicht, hielt so dicht davor inne, dass ihre Lippen beinahe seine berührt hätten. Sie atmete tief seinen Geruch ein, spürte seine Rastlosigkeit und den Schatten auf seiner Seele, der sich dort eingenistet hatte wie ein Parasit und der sich gleichzeitig von ihm und auch ihn ernährte. Er war interessant... Zoras' Schatten. „Hat wehgetan, hmm?“, raunte sie und er rührte sich nicht, obwohl sie so dicht vor ihm war, dass sie ihn beinahe geküsst hätte. „Als sie dich gefickt haben... hm?“ „Ich bezweifle, dass ich es dir beweisen könnte, indem ich es mal mit dir so mache.“, schnarrte er zurück, „Du perverse Kuh stehst da vermutlich noch drauf.“ „Was hat mehr wehgetan? Von erwachsenen Männern durchgenommen zu werden oder tätowiert zu werden?“ „Musst du jetzt darin herumrühren, Ryanne?“ „Geh in deinen Schatten!“, befahl sie ihm barsch und jetzt fuhr er zurück, vermutlich erschrocken von ihrem Schrei, „Geh, Zoras, egal, wie sehr... es dich beschämt! Vorbei an deinen... Kindheitstraumata bis in den Abgrund, dann findest du... deine Mauer. Du musst sie mitnehmen... das ist der einzige Weg, den du gehen kannst.“ Er starrte sie an und keuchte, dann drehte er verbissen den Kopf zur Seite. „So weit reinzugehen ist gefährlich. Wenn ich abtreibe vom... Geisterstrom... bin ich für immer verloren.“ „Dann schwimm, so sehr du kannst.“, flötete sie guter Laune und griff nach ihrem schmerzenden, zerfetzten Arm und den Botschaften, die sie nicht lesen konnte. „Such dir... ein Licht, an das du dich klammerst, so tief... so tief drinnen, wo alle anderen Lichter... ausgehen.“ Und er sah sie an mit einem Blick, der ihr deutlich zeigte, dass er verstanden hatte, was zu tun war. Er hatte eine große Seele... er würde weit und tief schwimmen müssen im Strom. Sie fragte sich, wie oft sie jetzt hier aufgewacht war, und Simu war an ihrer Seite und passte auf sie auf. Als Eneela dieses Mal aufwachte, fehlte etwas. Sie konnte gar nicht benennen, was es war, aber etwas war anders... an allem. An ihr. Und als sie sich wortlos aufrichtete und in Simus aschfahles Gesicht sah, erinnerte sie sich an Kyeema und an den Tag, an dem sie auf Manhas Schiff gekämpft hatten. An den Tag, an dem Kyeema sich gegen den Mann gewendet hatte, dem sie so treuherzig gefolgt war bis dahin, und dann hatte er sie ermordet. „Sie ist wirklich tot, oder?“, flüsterte die Lianerin in die Stille der Kammer, während sie ihre Hände in ihren Schoß presste und nicht wusste, wohin damit. Wohin mit sich, mit allem. Simu saß auf dem Boden vor der Pritsche an der Wand und drehte gedankenverloren seine Waffe in den Händen. Er schenkte ihr einen langen Blick. „Kyeema? Ja. Tut es dir leid um sie?“ Wenn sie das gewusst hätte. „Ich habe sie nicht gekannt. Und sie hat versucht uns alle umzubringen... aber sie hat es nicht verdient.“, wisperte sie so unsicher und sie sah ihn die Augen verengen. „Nicht... n-nicht so, Simu. Sie hat gebrannt, sie war am Sterben und... ist immer wieder aufgestanden, in hellem Wahnsinn, w-was für... was für Dämonen haben sie nur plötzlich besessen, so etwas zu tun?!“ Das war doch absurd... Kyeema musste besessen gewesen sein von dem Willen, Scharan zu töten... aber geglückt war es ihr nicht. Eneela erinnerte sich gut an sein Gesicht... an diese dämonische Fratze voller Bosheit und ohne jede Spur von Gnade. In diesem Mann gab es nicht sowas wie Nächstenliebe oder überhaupt irgendeine Art von Zuneigung... nicht einmal dieses Mädchen, das ihm treu als Mörderin gedient und ihn Vater genannt hatte, hatte er verschont. Der Moment hatte Eneela Angst gemacht... weil ihr plötzlich wieder bewusst geworden war, dass sie sich fürchtete. Vor Manha... vor dem Ende, das sie alle erwartete. „Ich bin nur ein halber Zuyyaner und kenne mich mit deren Magie kaum aus.“, begann ihr blonder Begleiter dann unschlüssig und rappelte sich auf, während Eneela die nackten Füße auf den kalten Boden stellte. Sie schauderte vor Kälte. „Aber die Zuyyaner... beherrschen Seelenkontrolle. Sie sind fähig... einer Seele zu befehlen, was sie tun soll. Und soweit ich weiß... sind besonders schwache Seelen, die ihren eigenen Willen verloren haben durch einen Schock, deren Glaube an... irgendwas so tief erschüttert wurde, dass sie gelähmt sind... solche Seelen sind... besonders anfällig für diese zuyyanischen Techniken.“ Eneela starrte ihn an. „D-du meinst, sie... sie wurde von irgendwem... gesteuert?“ „Ich sagte ja, ich habe keine Ahnung davon, aber ich weiß, dass es sowas gibt und ich weiß nicht genau, wie viel Skrupel ich Yamuru Mirrhtyi zutrauen soll, Thiras merkwürdigem Cousin.“ Die Lianerin schwieg auf diese Ansage einen Moment. Der Gedanke, dass jemand einem Menschen so Grausames antun konnte, ließ sie schluchzen, und sie konnte nicht aufstehen. Simu kam zu ihr und setzte sich neben sie, und sie suchte seine Nähe, schmiegte sich an seine Seite und ließ sich umarmen, obwohl sie die Berührungen von Männern verabscheute und fürchtete. Simu war anders. „Es tut... mir leid.“, sagte er und Eneela presste keuchend das Gesicht gegen seine Brust, als er sich zu ihr umdrehte. Sie atmete seinen Geruch ein und seine Wärme, die zärtliche Liebenswürdigkeit, die er verkörperte... bei ihm fühlte sie sich sicher und hatte kaum noch Angst. „Ich weiß... was Iana über Kyeema gesagt hat.“, sagte sie und bebte, als sie sprach. Sie spürte, wie Simu zuckte. „Ich habe es gehört... und ich will... es nicht registrieren, weil es... weil es... wehtut.“ „Das verstehe ich gut.“ Sie antwortete nicht und drückte nur das Gesicht gegen seine Brust und war froh, dass er da war... sie fühlte sich nutzlos. Nutzlos bei dem Gedanken, den sie nicht zulassen wollte und der dennoch kam... Kyeema war ihre Schwester gewesen. Und sie... hatte sie sterben lassen. „Es ist nicht deine Schuld, Eneela.“, sagte Simu zu ihr und strich ihr mit einer Ruhe und Sanftheit durch die Haare, dass sie errötete. „Kyeemas... Schicksal war eben bereits besiegelt. Es lag nicht in unseren Händen, du hättest nichts tun können.“ „Weißt du, was das Dümmste ist?“, wisperte sie, „Ich... habe es irgendwie... schon vorher gespürt. Bevor Iana das gesagt hat... habe ich Kyeemas Augen gesehen und konnte sie nicht töten. Ich... konnte nicht, weil... irgendetwas in mir... dagegen war. Es war deswegen... ich weiß es.“ Eneela löste sich von Simus Brust und sah ihm in sein hübsches Gesicht. Er lächelte sie an... und es war sein Lächeln in diesem einen Moment, das ihr klar machte, wie gern sie ihn hatte... wie wichtig er für sie geworden war. Es war kein Bedauern oder Mitleid in seinem Lächeln... kein Herabsehen auf sie armselige Gestalt, die ja so bedauernswert war. In seinem Lächeln war nur aufrichtige Zuneigung. Und plötzlich fragte sie sich, ob sie wirklich so blind gewesen war, das bisher nie so zu sehen... obwohl sie Angst vor Männern hatte. Simu war anders. Vielleicht war Simu der einzige Mann, vor dem sie keine Angst hatte. Sie erinnerte sich hinterher nicht mehr, wie es geschehen war, aber sie küssten sich. Es war sanft und warm, es fühlte sich gut an und es gab Eneela ein Gefühl, das sie nicht kannte... es gab ihr Hoffnung. Hoffnung darauf, dass sie überleben könnten... dass Scharan sterben würde. Hoffnung darauf, dass Kyeemas gepeinigte Seele Frieden finden würde im Geisterreich. Hoffnung darauf, dass am Ende dieser Finsternis, die vor ihnen lag, ein Licht auftauchen würde. Als sie sich voneinander lösten, war er errötet und drehte etwas verlegen das Gesicht weg; sie tat es auch und sie schwiegen eine lange Zeit, denn für diesen Moment gab es keine passenden Worte. Das Schweigen sagte genug... es gab ihnen genug Wärme. Schließlich war es Simu, der wieder sprach, nachdem er sich geräuspert hatte. „Ich frage mich... woher Iana all diese Dinge eigentlich wusste. Du dich nicht auch?“ Die Dunkelheit, die sie alle umfing, war schleichend gekommen – plötzlich war sie da gewesen, und als sie es war, wusste Yarek nur, dass er nicht gemerkt hatte, wie sie gekommen war. Aber er wusste, dass sie jetzt den Abgrund der Schatten erreicht hatten, den letzten Ort des tiefsten Himmelsdonners, den letzten aller Unorte, wie die Zuyyaner sagen würden; das Gebiet nannten sie auch Yirana-Nebel, und Yarek fragte sich, warum die Zuyyaner einem solchen Ort voller Bosheit und Finsternis einen ganz normalen Namen wie jedem anderen blöden Gebiet auch gegeben hatten. Er hätte gerne die Seherin gefragt, aber die Seherin war plötzlich zu nichts mehr zu gebrauchen – noch weniger als jemals zuvor. Spätestens jetzt hätte der Söldner gewusst, dass Neisa – und Yamuru, von dem sie alles hatte – nicht gelogen hatte, denn all das Gerede von Göttern ergab einen Sinn, wenn die Seele eines Sehers wirklich die Seele eines Gottes war – und der Abgrund der Ort, an den selbst die Götter nicht mehr ankamen. Denn Ryannes sehender Geist war absolut vollkommen verschwunden. Zurück blieb eine gestörte Frau mit null Gedächtnis... das hieß, beinahe. „Ich will Sand!“, heulte die Seherin, die momentan keine Seherin war, und grub ihre Fingernägel plärrend in ihr blondes Haar, während sie sich zusammenkauerte auf dem Boden des Steuerraumes und niemandem ins Gesicht sehen wollte. Die ganze Gruppe war hier versammelt und der Schatten, durch den sie jetzt fuhren, war überall. Thira steuerte und starrte dabei stoisch geradeaus, die anderen wirkten entweder verstört oder waren ganz versunken in ihrer eigenen Finsternis. Zoras war nur körperlich anwesend und Neisa ließ ihn nicht aus den Augen, ihrerseits wirkte sie wahnsinnig angespannt, autoritär und nicht so, wie Neisa normalerweise war. Yarek erinnerte sich, während er sich eine Zigarette ansteckte, an Ryannes Worte; er war ein Nichtmagier und gegen die Schatten immun. Vermutlich lag es daran, dass er nichts spürte... abgesehen von der Veränderung in allen anderen. Ein Blick auf Tayson und Asta sagte ihm, dass es den beiden wohl wie ihm ging... sie waren Nichtmagier. „Hier ist kein Sand, du blöde Kuh!“, meckerte Tayson Ryanne gerade an, „Bist du auf den Kopf gefallen, Seherin?!“ „Ich sehe gar nichts!“, plärrte Ryanne, krallte ihre Fingernägel in ihre Kopfhaut und wimmerte wie ein Kleinkind, „Ich will Sand und die Hitze von Fann zurück! Das ist nicht Fann, das ist schlecht! Das ist abartig, das ist der Tod! Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht!“ „Als hätte sie jemand ausgetauscht.“, sagte Simu dumpf, „Was hat sie eigentlich plötzlich?“ „Was viel lustiger ist.“, sagte Karana eiskalt, „Plötzlich erinnert sie sich... an Fann.“ Er hockte sich vor die verstörte Seherin und Yarek ließ ihn erst mal gewähren. „Wo ist dein Heimatort, Ryanne?“ Die Frau sah ihn konsequent nicht an und schrie nur schrill. „Verschwindet, verschwindet! Ich will euch nicht sehen, ihr seid Dämonen!“ „Erinnerst du dich an deinen Heimatort, Ryanne?“, fragte Karana sie, „An Fann und den Sand?“ „Ich erinnere mich an Chatirah!“, zischte sie, immer noch ohne jemanden anzusehen, das Gesicht auf ihre angezogenen Knie gelegt. „Ich erinnere mich an Hitze und Sand, hier ist es eisig und aus Metall, es ist schlecht! Es ist tot hier, es ist ein schlechtes tot!“ Yarek hörte sie schreien und lamentieren und fragte sich, wo es denn ein gutes tot gäbe. Schließlich fasste er Karana am Arm und zog ihn von ihr weg. Der Schamane schenkte ihm einen dummen Blick und Yarek nahm die Kippe aus dem Mund, ehe er antwortete. „Lass sie. Ihre Seele ist jetzt weg – hier ist der Abgrund. Die Götter kommen... nicht an uns an. Das heißt, wenn der Teil in ihr, der eine Göttin ist, weg ist, bleibt nur das übrig, was sie eigentlich mal war... und das ist ein Mädchen aus Fann. Mich wundert es, dass sie die Einheitssprache sprechen kann.“ Andererseits, was wusste er schon? Was wusste er, wie viel in ihr wirklich die Seherin und wie viel ein Mädchen aus Fann war. Vielleicht war es inzwischen, wo sie seit ihrer Geburt diese zweite Seele mit sich herum schleppte, so verwachsen in ihrem Inneren, dass sie die Einheitssprache immer noch konnte... wer wusste es? „Es ist einerlei.“, sagte Neisa plötzlich, worauf sie von allen außer Thira, die verbissen steuerte, die Aufmerksamkeit erntete. Yarek sah sie nur kurz an, sein Blick schweifte über Neisas Gatten, der nicht zuzuhören schien, dann glitt er zum Fenster des Steuerraumes hinaus in die endlose Schwärze. Es war so abgrundtief dunkel, dass nicht einmal der Hauch von irgendetwas zu erkennen war da draußen. Kein Stern, kein Planet, kein gar nichts. Da draußen war es einfach nur abgrundtief dunkel... Yarek war sicher, wäre er ein Magier, würde er irgendetwas spüren. Etwas, das anders war. Er zog an seiner Kippe, als Neisa fortfuhr. „Wir sind hier... hier, wohin uns die Geister von Himmel und Erde geführt haben. Wir sind ganz nah am Ziel... die Trias ist schon zum Greifen nahe. Wir müssen nur die Hände ausstrecken...“ Hier machte sie eine Pause und ihr Blick wurde hohl, apathisch. Ihre verschiedenen Augen hatten eine fremde Nuance und Yarek verengte die Augen zu Schlitzen bei Neisas Anblick. Was war mit den Geistern? Wenn die Götter hier nicht ankamen... taten es die Geister, um durch die Schamanen zu sprechen? Neisa fuhr fort und jegliche Gnade war aus ihrer Stimme gewichen – wenn es jemals hieß, Heiler wären für Leben zuständig, für die Heilung, so gab Neisa Derran in dem Moment das grottigste Beispiel für eine Heilerin ab, denn aus jeder ihrer Poren drang nur Schatten und Tod auf eine Weise, dass es selbst Yarek wahrnahm. Du bist eben die Gemahlin des Seelenfängers... was? „Und den Dämon... zerschmettern müssen wir.“ Das sagte sie gut. Yarek sah auf seine Schützlinge, die Sieben, die irgendwie in das Schicksal von Ulan Manha verwickelt waren... genau wie er, weil er sie schützen musste. Ulan Manha zu vernichten, wie Neisa sagte, war nicht die Tötung irgendeines Kerls. Es hieß, den Geist von Kelar dem Tyrannen zu zerschmettern... der Söldner fragte sich, ob sie dazu fähig waren. Neisa schien seine Gedanken zu kennen, denn sie sah ihn jetzt direkt an und lächelte bizarr – irgendwie hatte sie was von der Seherin, kam Yarek prompt, und er sah zu Ryanne, die immer noch jammernd den Kopf in den Aren vergrub und nach Sand schrie. „Haben wir nicht was, wovor Manha Angst hat?“, flötete Neisa, zu Yareks Verblüffung nicht mehr mit dieser apathischen Stimme, „Wir haben Iana.“ „...Iana?!“, machte Karana empört und Yarek sah zu der Schwarzhaarigen, die jetzt den Kopf gehoben hatte. „Oder war es etwa nicht blinde Panik, die ihn gepackt hat... wenn er Ianas Kadhúrem gesehen hat? Schattenklinge haben sie es genannt, das Schwert... von Nalani Kandaya.“ „Das stimmt.“, fiel Iana ein, „Es ist merkwürdig, aber... es liegt an Kadhúrem, nicht an mir.“ „Du bist ihr ähnlich.“, lächelte Neisa, „Das haben sie immer alle gesagt... ich habe erst jetzt begriffen, als ich das neulich auf Manhas Schiff erlebt habe, was sie alle gemeint haben. Du hast... mit Schatten gezaubert – du hast Wasser gezaubert. Du benutzt Kadhúrem wie einen Teil deiner Seele... und dieser Teil deiner Seele lässt dich mitunter Dinge sagen, die nicht aus deinem Kopf kommen. An sich ist es logisch... wir hätten früher darauf kommen können.“ „Wovon redest du?!“, keuchte Tayson irgendwo und Karana sah erst Neisa, dann Iana dumm an. „Ähm – häh?!“, machte er dabei konfus und Iana senkte die Brauen. „Sprich... Seherin.“, sagte sie, und ihre Stimme war nicht die von Iana. Yarek sah zu, wie sie sprach und mit Seherin keineswegs Ryanne zu meinen schien, sondern Neisa. „Die Frau, die Manha fürchtet, war diejenige, die als erste von Kelars Geist in ihm wusste... ein Geheimnis, das sie mit ins Grab genommen hat, dafür hat Manha gesorgt... vor Jahren. Die Herrin der Kandayas hat deinem Vater, Iana, Kadhúrem gegeben... ist es da nicht nur logisch, dass ihre Seele sich Kadhúrems bemächtigen kann... um deinen Körper zu kontrollieren? Wir alle haben geglaubt, es wäre Saidah, der du ähnelst, aber dass Saidah zufällig auch ähnlich aussah, war nicht die Hauptsache. Viel interessanter... und Wille der Geister wird es sein, dass du, Iana Lynn, Akada, unweigerlich ein Teil von Nalani Kandaya bist... und ihr dann noch wie aus dem Gesicht geschnitten bist.“ Iana sah Neisa eine Weile schweigend an und fragte sich, ob sie jetzt erschrocken sein sollte – entsetzt? Verblüfft? Irritiert definitiv. Moment, sie sah gar nicht Saidah ähnlich, sondern Karanas Großmutter? Und Saidah sah nur zufällig auch so aus? Eigentlich war das das einzige, was sie in dem Moment ernsthaft umhaute, denn das andere war jetzt, wo Neisa es ausgesprochen hatte, wirklich logisch. Sie hatte Kadhúrem, die Waffe von Puran Lyras Mutter, die diese ihrem Vater einst geschenkt hatte. Kadhúrem war ein Schattenschwert und wenn Iana es benutzte und Schatten zauberte... wenn sie diese Dinge tat, die nicht sie waren, dann war es nicht Iana, die agierte, sondern Nalani Lyra – die Herrin von Kadhúrem. Das war so offensichtlich und logisch, warum hatte sie das nicht früher vermutet? „Es ist dein Mädchenname, du dumme Nuss, Akada. Iana Lynn.“ Die Seherin hatte sie ausgelacht und Iana runzelte die Stirn, als sie zu begreifen begann, was sie gemeint hatte. Ihr Mädchenname war Iana Lynn. Akada... der Kosename, den ihr Vater ihr gegeben hatte. Verdammte Scheiße. „Moment mal!“, rief Karana jetzt und zeigte auf Neisa, „Wie jetzt, Iana... ist vom Geist unserer Großmutter besessen?!“ „Nicht besessen, Nalani ist fähig, Ianas Körper zu kontrollieren durch Kadhúrem, aber nur zeitweilig. Das heißt, Iana bekommt ihre Fähigkeiten... und kann Zauber anwenden, die sie als Halbschamane nie können dürfte.“ „Und woher weißt du das so genau?!“, keuchte Karana, „Willst du mich veräppeln?! Nalani, Nalani, wie jetzt, häh?!“ „Du bist eben wie immer der Letzte, der es schnallt.“, sagte Iana zu ihrem Mann und er schnaufte. „Du wusstest davon?!“ „Nein, aber es ergibt Sinn, denkst du nicht? Es ist mein Name. Mein Mädchenname... Iana Lynn, und Akada, mein Kosename. Es hat einen Grund, dass mein Vater mich so genannt hat, denke ich... Akada. Himmelskind... er muss gewusst haben, dass Kadhúrem das kann.“ „Wie, dein Name?!“, fauchte Karana und war sichtlich konfus – Neisa erhob sich, ließ mit einer Handbewegung einen Eissplitter in ihrer Hand erscheinen und wandte sich der Wand zu, an der sie gelehnt hatte. Iana sah zu, wie die andere Frau Schriftzeichen in die Wand ritzte mit dem Kristall, der vermutlich ein einfacher Eiszauber war, den jeder Schamane konnte. Als sie fertig war, trat Neisa zur Seite und zeigte auf die Schriftzeichen an der Wand. „Dieselben Buchstaben.“, sagte sie und Iana wusste nicht, was die Zeichen bedeuteten; sie hatte nie lesen gelernt. „Krickelkrakel!“, schrie Ryanne aus ihrer Ecke und als Iana zu ihr sah, erschrocken über den Aufschrei, riss die Seherin sofort wieder den Kopf auf ihre Arme, um ihr Gesicht zu verbergen. Zweifelsohne hatte sie aber eben aufgesehen, als es niemand bemerkt hatte. „Kann ich nicht lesen, lalala!“ Niemand beachtete die dumme Seherin, stattdessen lagen alle Blicke auf Neisas Schriftzeichen. IANALYNNAKADA NALANIKANDAYA „Ah, ich verstehe!“, sagte Simu erstaunt, „Wenn wir die Buchstaben Iana Lynn Akada in eine andere Reihenfolge bringen, kann man mit ihnen auch Nalani Kandaya schreiben. Neisa, das... hast du so schnell einfach gewusst?!“ „Nein, die Geister haben es mir gesagt.“, sagte die Heilerin, „Was ich mit allem sagen will... Manha fürchtet niemanden mehr als Nalani. Das hat er schon zu ihren Lebzeiten getan – deswegen hat er sie ja aus dem Weg geräumt. Wenn sich jemand vor einer Frau so fürchtet... hat er wohl Grund anzunehmen, dass sie ihm gefährlich werden könnte. Das heißt... wenn wir Manhas Geist zerschlagen wollen, muss Iana maßgeblich beteiligt daran sein.“ „Und ich?!“, empörte sich Karana, „Ich meine... w-war es nicht meine Aufgabe?“ „Deine Aufgabe...“, schnarrte Neisa und Iana schauderte, weil sich die Stimme der Heilerin plötzlich wieder veränderte. „Und wirst du sie bewältigen... oder scheitern? Dieses Mal reichen... keine halben Sachen, Tabari. Dieses Mal kann ich nicht für dich den Rest erledigen... denn das Schicksal von Neisa ist ein anderes.“ Die Tatsache, dass Neisa von sich selbst in der dritten Person sprach, wunderte Iana weniger als die Tatsache, dass sie sich gar nicht wunderte. Die Geister... haben viel Einfluss auf uns alle. Und besonders... auf Karana und Neisa... wenn durch mich der Geist von Nalani spricht und Karana irgendwie genau wie Manha ein Teil von Kelar ist, ist Neisa auch irgendwer... Die Geister antworteten Iana netterweise. „Die Geliebte des Seelenfängers ist sie... Kelars Gemahlin, Salihah von den Ekala.“ Der Yirana-Nebel war ein Loch aus purer Bosheit. Es war ein Ort der Verdammnis, ein Ort, der sie alle um den Verstand bringen würde – es schien Karana, als würde die absolute Finsternis da draußen sich von allem Licht ernähren, das sie finden konnte, es ihnen absorbieren wie Mücken Blut saugten. Er konnte spüren, wie sie an ihm nagte, als er auf einem Korridor am Heck saß, gegen die Wand gelehnt, die Beine angezogen und die Hände ähnlich wie Ryanne in seine Haare gekrallt. Er konnte spüren, wie die Bosheit in jede seiner Poren drang, jede Faser seines Körpers schwarz färbte, jedes Glücksgefühl aus seinem Inneren saugte. Zurück blieb ein schwarzer Haufen Elend, so kam er sich vor, als er heftig ein und aus atmete und versuchte, auf das Wispern der Geister zu lauschen. Die Geister sprachen in Rätseln... er wollte es doch nur wissen, und sie lachten ihn die ganze Zeit aus. Er verfluchte sie und schlug mit einer Faust wutentbrannt gegen die Wand, an der er lehnte. Es gab ein blechernes Klong. „Iana... Iana!“, blaffte er den leeren Korridor und die Geister in seinem Kopf an, „Dann ist es ihre Sache, Scharan zu töten?! Ich bin der Erbe... von Lyrien, oder?! Es ist meine Aufgabe... ich bin der einzige, der den Schatten gesehen und begriffen hat, ich bin nicht länger Manhas Spielzeug mit seinem scheißverdammten Fluchmal! Wieso... also?! Antwortet... werden wir scheitern?!“ Wir, fragte er... und meinte Ich. Werde ich scheitern, Geister? Und wenn ich scheitere... wenn ich sterbe bei dem Versuch, die Aufgabe zu erfüllen... ist es dann Ianas Aufgabe? Er wollte nicht sterben. Er war noch viel zu jung zum Sterben, verdammt... und er würde bald Vater werden. Er wollte das Gesicht seines Sohnes sehen, er wollte hören, wie er ihn zum ersten Mal Vati rief, er wollte sehen, wie er versuchte zu gehen. Er wollte seine Frau in den Armen halten und nie wieder loslassen, er wollte sich bei Neisa für alles entschuldigen, was er in der Vergangenheit so getan hatte. Er wollte seinem Vater sagen, wie sehr er ihn verehrte und liebte... er wollte so viel... irgendwie. „Irgendwie... wird dir dieses Mal nicht helfen, Tabari.“ So sprachen die Geister und Karana stöhnte, als ein pochender Schmerz durch seinen Kopf fuhr. Wütend krallte er sich in seine Haare und kniff die Augen zusammen, um die Bosheit des Abgrunds auszublenden. „Sprecht mit mir... bitte! Sagt mir... was ich tun soll! Was wir... tun sollen!“ Er vermisste seinen Vater, fiel ihm auf. Jetzt von Manhas boshaftem Einfluss befreit wusste er, wenn er auf sein Innerstes hörte, dass seine Eltern die ganze Zeit am Leben gewesen waren... es war Manhas giftige Zunge gewesen, die ihm das eingebläut hatte, allein dafür würde er ihn mit Sicherheit töten. Als die Geister doch noch antworteten, war es nicht ganz das, was er hatte hören wollen... aber besser als nichts. „Bevor du geboren wurdest, gab es eine Vision, Karana. Eine Vision, die dein Vater... und seine Mutter beide zur selben Zeit hatten. Sie handelte von dir – und deiner Konfrontation mit Kelar, dem Tyrannen. Sie beide wussten, es würde Purans Sohn sein, der dem Schattendämon gegenüber stehen würde... eines Tages. Nur wie es ausgehen würde... waren sie verschiedener Meinung.“ Karana lauschte den Worten angespannt und spürte, dass etwas in seinem Inneren sich verkrampfte, weil der Schatten zu mächtig auf seine Seele drückte. Es war der verdammte Nebel... er machte ihn wahnsinnig, er machte ihn nervös und unsicher und er wusste plötzlich mit Gewissheit, dass er scheitern würde – plötzlich war das Wissen einfach da und er konnte nicht mal sagen, warum und woher es gekommen war. Oder ob es auch Lüge war... so wie so vieles in seinem Leben. „Was... waren ihre Ansichten?“, murmelte er, noch immer den Kopf in den Händen, und die Geister kicherten. „Deine Großmutter war optimistisch. Sie hat gesagt, die Vision bedeutet, du würdest ihn erschlagen... den Schattendämon. Dein Vater... hat zeitlebens in seinem Inneren die panische Furcht gehegt, du würdest eins sein mit Kelar... und du wärst es, der die Vernichtung der Welt einleitet, indem du Kelars... Schatten bist. Er hat dich gehasst für diese Furcht, an der du schuld bist... er hat dich gehasst, wenn du Anzeichen von Ähnlichkeit mit dem Dämon gezeigt hast, erinnerst du dich, Karana? Es war die Liebe deiner Mutter zu ihrem ungeborenen Kind, die zugelassen hat, dass du geboren wirst... wäre es nach deinem Vater gegangen, wärst du... niemals am Leben gewesen.“ Die Geister hatten eine sadistische Art, mit sowas umzugehen, hatte Karana gelernt, und die Botschaft, die sie ihm überbrachten, hörte irgendwann in seinem Inneren auf, anzukommen. Dein Vater hat dich gehasst. Dein Vater wollte nicht, dass du je geboren wirst... weil du eins bist mit dem Schatten. Das warf ein ganz neues Licht auf den Mann, dem Karana sein Leben verdankte, zu dem er sein Leben lang aufgesehen und den er wie einen Gott bewundert hatte... und das Bitterste war, Karana konnte ihn verstehen... wenn er so darüber nachdachte. Ja, war Vati nicht immer böse geworden, wenn er seine dunkle Ader ausgegraben hatte? Hatte Vati ihn nicht getadelt, wenn er herrisch und sadistisch gewesen war, wenn er gewollt hatte, dass alle am Boden zu seinen Füßen lagen? War er denn etwa nicht genau das, wovor sein Vater solche Angst hatte... was nie hätte geboren werden dürfen? Karana lachte dumm. Er war ein Idiot... er hätte die Bilder deutlicher sehen müssen... plötzlich war es alles so klar. Plötzlich ergab es einen Sinn... einfach alles, was er je getan hatte. Dass sich sein ganzes Leben nur deswegen so abgespielt hatte, damit er jetzt hier landete... hier, am Abgrund aller Abgründe, in der tiefsten Tiefe des Himmelsdonners, auf der Schneide seines eigenen Schicksals. Er war für das hier geboren worden... alles an ihm war nur so, wie es war, damit er seine Aufgabe erfüllen konnte. Er war ein Teil der Sieben – und der Legende nach erschufen die Sieben eine Welt für sie alle. Der Legende nach verjagten die Sieben die Finsternis aus dem Abgrund. Seine Aufgabe war Manha... Kelars Geist, den er konfrontieren musste. Der junge Mann lachte immer noch leise vor sich hin, als er sich taumelnd erhob, plötzlich im Kopf so klar wie nie zuvor. „Vater...“, murmelte er beklommen und grinste für sich, „Ich habe... endlich begriffen, warum du... immer so warst, wie du bist. Ich werde das tun... was ich tun soll, denn das ist mein Schicksal. Wenn es das ist... Manha zu konfrontieren und dabei zu sterben, dann sei es so. Aber... glaubt ja nicht, Geister, ich werde mich kampflos geschlagen geben!“ Er wusste plötzlich so genau, was er tun musste. Was er sagen musste... plötzlich war es einfach da – und die Finsternis des Yirana-Nebels rauschte an ihm vorbei und schadete nicht länger. „Ich bin Karana Lyra, Purans Sohn, Enkel von Tabari dem Windmeister, Thronerbe von Kisara, Erbe des Lyra-Clans! Ich habe... keine Angst vor dem, zu dem mich... die Geister gemacht haben! Höre mich... Vater!“ Eines Tages... werde ich dir ins Gesicht sehen und du wirst sagen... dass du stolz auf mich bist, Vater. Ob nun in dieser Welt... oder im Himmelsdonner. Der Abgrund war genau das, was Yamuru erwartet hatte – ebenso waren es die Reaktionen der anderen Anwesenden auf ihn. Sie waren gereizt, nervös, aggressiv, und er selbst amüsierte sich königlich darüber. Wie Kanau genervt brummte, wenn man ihn ansprach. Wie Rok mehr fluchte und schimpfte denn je. Wie Turo gar nichts mehr sagte und nahezu traumatisiert in einer Ecke saß, die blauen Augen vor blankem Entsetzen geweitet. Wie Yatli wimmerte, während Manha ihn offenbar etwas gröber als sonst rannahm im Nebenzimmer; Yamuru wollte es nicht wissen. Manha hatte schlechte Laune, seit Kyeema tot war – dabei war er selbst es gewesen, der sie getötet hatte. Von der kleinen Lianerin war nichts übrig geblieben und Yamuru war sie völlig egal. Er stand am Fenster des Raums, in dem er mit den Schakalen hockte (abgesehen von Yatli), und wartete geduldig auf das Ende der Finsternis. Sie näherten sich dem Ziel... er konnte es spüren, weil die Reikyu es ihm sagte. Er lächelte... es fühlte sich gut an. Es machte ihn irgendwie euphorisch... denn wenn sie am Ziel waren, würde sich das Schicksal erfüllen, für das sie alle geboren waren. Auch seines... Die Schatten riefen nach ihm. „Hey! Yamuru! Bist du taub oder träumst du was Perverses?!“ Yamuru blinzelte, als es Rok war, der sich vor ihm aufgebaut hatte und ihn wütend anstarrte. „Was grinst du?!“, fauchte der Blonde und Yamuru lächelte weiter. „Wir sind fast da.“ „Das kann man so gut sehen da draußen, meinst du?!“, schnaubte Rok, „Dass ich nicht lache!“ „Wenn du so weiter hier herum brüllst, bringe ich dich um!“, schrie Kanau ihn an und Rok meckerte, Yamuru grinste nur weiter und sah aus dem Fenster in den Abgrund. Es war ein schauderhaftes Gefühl... „Kyeema war Manhas leibliche Tochter.“, murmelte Turo aus seiner Ecke, während Kanau und Rok zu streiten begannen, und der Zuyyaner sah den Kleineren schmunzelnd an. „Er weiß es immer noch nicht... oder?“ „Willst du es ihm sagen?“, feixte Yamuru in Turos Richtung, „Würde es etwas ändern? Ich denke, er hätte sie auch getötet, wenn er es gewusst hätte. Er ist der Dämon... und ich hätte ihn dazu gezwungen, wenn es nötig gewesen wäre.“ Der Heiler schenkte ihm einen apathischen Blick und der Zuyyaner fragte sich, ob er ahnte, dass er, Yamuru, Kyeemas Seele gelenkt hatte, sie gezwungen hatte, zu tun, was sie getan hatte. Es war Verschwendung gewesen... irgendwie. Aber es war ein Versuch gewesen. Dumm von ihm anzunehmen, er könnte sich herausnehmen, das Schicksal anderer zu erfüllen. Manha zu töten war nicht seine Aufgabe... seine Aufgabe war die Trias. Seine Aufgabe war Ngurrha... seine Heimat, für die er kämpfen und sterben würde, wenn es sein müsste, denn als ihr letzter Erbe war er dazu verpflichtet. Letzter Erbe... hmpf. Sieh mich an, Thira... meine hübsche Cousine. Würdest du um mich weinen... wenn ich fiele? Vermutlich würde sie nicht... es war ihm gleich. Dann würde er eben nicht fallen. Nicht für Ngurrha... oder Ngnhana. Vielleicht würde Thira weinen, wenn er es für sie täte. Er lächelte, als er aus dem Fenster sah. „Sieh, Turo. Wir... sind da. Da hinten ist sie.“ „W-was?!“, keuchte Turo, und auch Rok und Kanau wurden jetzt aufmerksam und gesellten sich zu ihnen und dem Fenster. In der Schwärze des Abgrunds war Licht aufgetaucht – es war so dunkel und schwach, dass es kaum wahrnehmbar war, und Yamuru bezweifelte, dass die Schamanen viel sehen würden – er konnte sie deutlich ausmachen in den Schatten, die Landeplattform und die riesige, Kugelförmige Maschine, auf die sie zuhielten – und die Tari Randora, die ihnen ein gutes Stück voraus war und zuerst landen würde. „Ich sehe gar nichts!“, schnaubte Turo, „W-wie soll denn der Pilot was sehen?!“ „Die Reikyu wird ihm helfen.“, sagte Yamuru, „Sonst tue ich es... ich sehe sie deutlich. Wir sind da... dann wird sich unser aller Schicksal also entscheiden.“ ______________________________ Yeeaaaahh wir steuern endlich auf den Endkampf zu! Mann, das ist aber auch alles so theatralisch hier... immer diese dramatischen "..." mitten in den Sätzen. Und hey, Eneela und Simu hatten eine Kussszene? Wow. Und haben wir jetzt also mal offiziell von jedem Charakter den Helfenden Elf Geist vorgestellt? Ne, es wurde nicht offiziell erklärt, dass Karana Tabari ist. Aber ja, öh, er ist Tabari. Ich mag Tabari. Der aussieht wie Minato.... lol. Und irgendwie ist diese ganze geistersache echt weird. Ich meine, MICH würde es mega ancreepen wenn ich erfahre dass ich vom Geist meiner Oma gelenkt werde und auf einen Kerl stehe, der den Geist meines Opas trägt... ich meine...... eew? Ja, also, das ist nichts neues in Fm, aber... eew? o_o' Irgendwie waren die Originale, also die die jetzt Geister sind, aber sehr viel epischer als diese Spaddel hier. Ich vermisse Tabari irgendwie, er war so ein Geilo o,o Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)