Die Chroniken von Khad-Arza - Die andere Seite des Himmels von Linchan (Drittes Buch) ================================================================================ Kapitel 27: Khad-Arza --------------------- Einige Monde später Der Himmel war lila. In der Morgendämmerung war er leicht rötlich und die Sonne schob sich in dem, was sie Osten genannt hatten, wie ein Ball aus glühendem Feuer über den Horizont. Iana dachte, als sie an diesem Tag den Sonnenaufgang ansah, während sie alleine mit Karanas Hund vor dem Zelt saß, in dem sie mit Karana lebte, wie seltsam es doch war, dass die Sonne da hinter dem Horizont aufging und dennoch kein Grashalm verbrannt war. Es gab viel Gras in der neuen Welt... sie war so groß. Iana hatte geglaubt, Tharr wäre groß gewesen – das hier war größer als Tharr, sie war sich sicher. Und es war seltsam, auf dieser Welt zu leben und zu wissen, dass man einfach das allererste Volk war, das hier jemals gelebt hatte... später würden Menschen sie als Urväter, Vorfahren, Ahnen bezeichnen, als die ersten Menschen von Khad-Arza verehren... der Gedanke war schräg. Und noch schräger, dass ihr Sohn einer der ersten Menschen sein würde, der hier in dieser Welt geboren wurde. Sie streichelte schweigend ihren inzwischen ziemlich runden Bauch und starrte nach Osten in die flammende Sonne, die sich über den Gräsern erhob und der Welt eine Wärme schenkte, die Iana nach Tharrs Explosion für immer verloren geglaubt hatte. Auf Zuyya hatte es keine Sonne gegeben und danach waren sie ewige Wochen in einem Raumschiff gewesen... Iana würde niemals wieder ein Schiff betreten, hatte sie sich verbiestert geschworen, als sie die Tari Randora auf einer Anhöhe mitten im Grasland zurückgelassen hatten, um in die neue, unberührte Welt zu ziehen, die sie geschaffen hatten. Das war lange her... wie lange wusste sie nicht, aber damals war ihr Bauch noch weniger prall gewesen als er es jetzt war... Das Baby strampelte, als sich hinter ihr im Zelt etwas tat, kurz darauf kam Karana etwas verpennt aus dem Schlaflager gekrochen und raufte sich die zerzausten Haare. „Du bist schon auf?“, stöhnte er und sie feixte. „Elender Langschläfer. Ich war schon vor Sonnenaufgang auf. Dein Sohn tritt mich, Karana, so kann ich nicht schlafen.“ Karana sah sie dumm an, dann ihren runden Bauch, grinste und streichelte letzteren zärtlich, ehe er den Kopf zu Ianas Gesicht neigte und ihre Schläfe küsste. „So zeigt er eben seine Liebe, er kommt nach seiner Mutter.“ Diese Aussage ließ sie tatsächlich schmunzeln, sie versuchte es aber zu verbergen, ihn zu viel anzulächeln tat ihm nicht gut. Auch, wenn der Schattendämon in seinem Herzen verschollen schien, er war Karana. Iana war darauf getrimmt worden, wachsam zu sein, seit sie mit ihrem Vater außerhalb des verdammten Lianerdorfes gelebt hatte, es war nicht einfach, abzuschalten... dabei war doch jetzt alles gut. Sie hatten einen Himmel und eine Erde, auf der sie leben konnten. Sie hatten eine große Familie, einen Stamm, der zusammenhielt, und sie hatten ein großes, unendlich weites Grasland, das allen Menschen unter der neuen Sonne gehörte. Es gab kein zuyyanisches Imperium und keinen Krieg, keinen Ulan Manha, der sie beherrschen oder vernichten wollte... es gab keine Schatten mehr in ihren Seelen. „Im Moment. Eines Tages werden sie vielleicht zurückkehren... sei wachsam, Akada.“ Sie nahm die Worte der Geister sehr ernst, als sie sich erhob und Karana einen Klaps auf den Kopf gab. „Beweg dich, fauler Sack.“, seufzte sie dabei, „Ich werde das Feuer in Gang bringen, wird Zeit für das Frühstück. Geh deine Mutter wecken, vielleicht kann sie mir etwas helfen, irgendwie wird es schwierig, sich mit dem Bauch viel zu bewegen.“ Karana verdrehte die Augen, kam aber auch schwerfällig auf die Beine und klopfte sich den Staub des Lagerbodens von der Hose, ehe er gehorsam davon trottete. Aar folgte ihm treuherzig und Iana war froh darum; irgendwie würde sie sich nie an dieses riesige Haustier gewöhnen, das Karana da hatte, egal, wie treudoof das Vieh gucken konnte. Tier blieb Tier... für sie. Bei Karana war das anders. Das Lager war erheblich geschrumpft in den vergangenen Monden; Karana kam der Weg so kurz und leer vor, den er zwischen den Zelten und provisorischen kleinen Hütten hindurch nahm zu der kleinen Behausung seiner Eltern und Pakuna. Zuerst hatten quasi sämtliche Menschen, die von Zuyya aus mit der Tari Randora gekommen waren, in diesem Lager gelebt – es lag an einer guten Stelle nahe eines kleinen Flusses und nicht weit vom Wald; es gab Holz, es gab Wasser, es gab Wild im Grasland, auf das die Männer Jagd machen konnten, und jetzt, wo der Frühling kam, gab es Kräuter, die vor allem für die Heiler wichtig waren. Nach und nach hatten sich immer mehr Gruppen von ihnen abgesetzt und waren ausgezogen, um die endlose Weite von Khad-Arza zu bevölkern, eigene Jagdgründe zu finden, eigenes Land. Jetzt waren hauptsächlich die Geisterjäger und ihre Familien übrig... dazu der Rest der Sieben und alle, die an ihnen gehangen hatten, wie Tayson und Asta, die neuerdings zusammen in einem Zelt lebten, was Karana echt verblüfft hatte. Vor einem halben Mond hatte sich die Gruppe aus Tejal von ihnen getrennt, wie zuvor die Regierung von Janami und Intario und alle möglichen anderen; es waren plötzlich echt wenige Zelte, fand der junge Mann, und er seufzte. Der Boden war warm und staubig; er hatte vergessen, Schuhe anzuziehen, fiel ihm auf, als er auf seine jetzt dreckigen Füße blickte, die Aar auch gerade nicht sehr beeindruckt musterte. „Iana bringt mich um, wenn ich mit den Dreckfüßen ins Zelt gehe.“, stöhnte er, „Ich bin ein Idiot, Bruder Hund.“ Das große, schwarze Tier sah ihn an mit einem feixenden Blick, als würde es ihm sagen, dass es das längst wüsste, und Karana schnaufte gespielt empört und verschränkte im Gehen die Arme. „Gut, dass du so zu mir hältst, Aar, echt...“ Der Hund antwortete nicht, sondern drehte den Kopf mit aufgestellten Ohren nach vorn, und Karana hielt an, als ein Schatten auf ihn fiel, den die Morgensonne warf, weil plötzlich jemand in seinem Weg stand. Er blinzelte, als er sie erkannte, und die junge Frau vor ihm sah ihn an mit ihrem durchdringenden Blick so voller Wissen und Berechnung auf eine Art, die ihm immer noch Schauer über den Rücken jagte. „Chenoa...“, grüßte er sie mit einer Kopfneigung und die Zuyyanerin sagte einen Moment nichts und stand einfach nur da. „Ich denke, es wird Zeit... dass wir eure Gruppe auch verlassen.“, kam dann und Karana sah sie groß an. „Wir? Wer wir?“ „Thira und ich. Es wäre am besten, wenn wir die Helligkeit des Tages für die Reise nutzen könnten, deswegen verabschiede ich mich jetzt schon.“ „Ihr... ihr wollt auch gehen?“, wunderte sich der Schamane irritiert; nicht, dass er Chenoa vermissen würde, sie war unheimlich, aber Thira? Thira gehörte zu ihnen, sie war eine der Sieben... „Thira... muss jetzt ihren eigenen Weg betreten, Karana.“, murmelte Chenoa und richtete ihre gelben, schmalen Augen auf seinen Hund. „Die Legende der Sieben ist erfüllt. Was euch verbunden hat, wird es auch weiterhin tun, und es wird dafür sorgen, dass sich eure Wege eines Tages noch einmal kreuzen werden. Doch dieser Tag, Karana... ist noch fern.“ Er sah sie an und wusste, dass ihre Worte wahr waren... natürlich waren sie das, sie war die Seherin der Zuyya und ihre Augen sahen alles. Mit einem Nicken trat er zur Seite und setzte dann seinen Weg zügiger fort. „Wartet. Ich wecke meine Eltern und die anderen, ich denke, die meisten werden sich verabschieden wollen.“ Sie erwiderte nichts und sah ihm nach, bis er den Blick von ihrer schmalen, so bildschönen und doch furchtbaren Gestalt abwandte und sich beeilte, die Hütte seiner Eltern zu erreichen. Die Beraterin des zuyyanischen Kaisers war nicht nur ihm gruselig, sondern vermutlich nahezu jedem hier; sie wusste zu viel, sie war eine Seherin, aber anders als bei Ryanne war in Chenoa irgendwie gar nichts Menschliches mehr... nichts Sterbliches. Meistens war sie apathisch und unnahbar, wenn sie sprach, hatte es Gewicht, ansonsten machte sie den Mund gar nicht erst auf. Sie alle verdankten der seltsamen Zuyyanerin eine Menge, denn wäre sie nicht gewesen, wären sie alle mit Tharr explodiert. Karana tendierte dazu, sie zu ehren, obwohl man munkelte im Stamm, dass Chenoa definitiv kein Gutmensch war und dass sie vielleicht auch an so manchem, was sie erlitten hatten, die Schuld trug, mehr Schuld als sie ihnen durch die Rettung vor der Explosion vergolten hatte. Karana wollte die Anschuldigungen nicht hören, es war ihm gleich. Es war egal, es spielte keine Rolle, was Chenoa vielleicht einst getan haben mochte. Es war auch egal, ob sie es für puren Pragmatismus oder die Legende der Sieben oder sonst so etwas getan haben mochte, es spielte keine Rolle, wie viele Menschen ihretwegen gestorben waren, egal zu welcher Zeit oder Gelegenheit. Es war vorüber – jetzt waren sie hier und es war nicht mehr nötig, dass derlei Dinge geschahen. Und sie war eine Seherin – Seher waren wie eine andere Art Mensch, sie dachten anders und das, was sie taten, war auch anders. Für ihn war alles, was auf Tharr, Ghia oder Zuyya passiert war, Vergangenheit, ein Abschnitt, der hinter ihnen lag. Das hier war wie ein Neunfang für die Menschheit – sie begannen ganz von vorne, ohne alles, ohne Werkzeuge, ohne Städte, ohne Technik, nur in Hütten und Zelten aus Tierhäuten und ein bisschen Holz, mitten im Nirgendwo, irgendwo in der Weite des Graslandes. So, wie er aufgewachsen war, in der Zivilisation, hatte Karana nie geglaubt, er würde sich so leicht an diese Umstellung gewöhnen... es war ein Leben, wie er es niemals zuvor geführt hatte, und auch keiner sonst, den er kannte. Aber es war ein Leben. Und es war gut... es fühlte sich richtig an... für die Geburt der neuen Welt so zu leben wie die Menschen zur Geburt der Menschheit gelebt haben mussten. Es war, als hätten die Geister ihnen ein völlig neues Leben geschenkt... sie würden alle von vorne anfangen. Und wenn einst, in viele Jahrhunderten, oder Jahrtausenden, oder noch mehr, die Welt Khad-Arza wieder am Abgrund stünde, würden vielleicht neue Sieben kommen... und es würde von vorne beginnen. Das würde er nicht mehr erleben... aber die Gedanken waren interessant. Leyya seufzte neben ihm und er schob mit einem kurzen Murren ihr Gesicht von seinem Hals. „Shht... du wirst Pakuna noch wecken, Liebes... das reicht jetzt, es ist schon hell draußen.“ „Seit wann spielst du denn den Diskreten, Puran...?“, feixte sie und schmiegte sich unter der Decke dichter an seinen Körper heran, während ihre Hände über seine Brust strichen. Er linste auf die andere Seite der kleinen Hütte zu seiner zweiten Frau, die ihnen den Rücken kehrte und friedlich zu schlafen schien. Pakuna war nicht in diesem Sinne seine Frau, wie es Leyya war... Leyya, die Mutter seiner beiden Kinder, war schon sehr lange seine Frau. Pakuna war es erst seit einer Weile und das hatte nur ihrem Schutz gedient im Lager auf Zuyya. Pakuna hatte viel durchgemacht in ihrem Leben und ihr erster, eigentlicher Mann war schon seit einer Weile tot; Puran hatte genauso wenig sexuelles Interesse an ihr wie sie an ihm, das war nicht das Problem, problematisch war mehr, dass er manchmal das Gefühl hatte, es wäre schlecht, wenn Pakuna zu viel von dem mitbekäme, was er mit seiner anderen Frau so machte; wer hörte denn anderen gerne beim Sex zu? Er jedenfalls nicht... „Was heißt hier diskret, ich nenne es Rücksichtnahme...“, murmelte er und drehte sich mit einem Seufzen auf den Rücken, während seine Frau sich doch wieder auf ihn rollte und seinen Hals zu küssen begann. Er hob eine Hand, um ihre dunklen Haare zu streicheln; sie waren lang geworden... wie lange lebten sie schon in der neuen Welt? Irgendwie war es immer noch nicht so ganz bei ihm angekommen. „Dein Hals ist besser geworden...“, wisperte seine kleine Frau an seiner Halsbeuge und er spürte ihre weichen Lippen, die seine Haut berührten; die ätzende Narbe, hieß das, die der Fluch von Manha dort zurückgelassen hatte. Eigentlich konnte er von Glück reden, dass er noch einen Hals hatte, denn der Fluch hatte ihn fast um den Verstand gebracht; immer wieder hatte er reflexartig mit den Fingern an der Stelle gekratzt, als wäre das hilfreich gewesen, und das Mal war geblieben, egal, wie blutig und zerfetzt alles drum herum gewesen war... nachdem den Fluch verschwunden war, hatte seine Frau als Heilerin alles gegeben, um die entzündete Stelle zu regenerieren, aber eine Narbe würde wohl bleiben, dafür reichten keine Heilerfähigkeiten. Es war ihm gleich... er hatte diverse Narben, er war kein junger Mann mehr. Und die Narben zeugten eben von dem, was er getan hatte... sie waren wie ein Pergament Geschichtsschreibung für seine persönliche Geschichte, deswegen waren sie akzeptabel. Manchmal fragte sich der Herr der Geister, ob es außer ihm irgendjemanden gab, der eine so haarsträubende Karriere hinter sich hatte. Als Sohn mächtiger Magier und Geisterjäger geboren in eine Familie allerhöchsten Ranges war ihm immer Großes bestimmt gewesen – und er hatte es immer gehasst und lange versucht, davor wegzulaufen. Jäger hatte er werden wollen, er hatte sich geweigert, das ihm angeborene Talent in der Magie irgendwie zu benutzen; natürlich war alles anders gekommen und dann war er Geisterjäger gewesen, letzten Endes sogar Herr der Geister – Vorstand eines Rates, dessen es so in der neuen Welt gar nicht mehr bedurfte. Und er hatte klein und unbedeutend sein wollen, und wo war er dann gelandet? Im Senat von Thalurien, als einer der einflussreichsten Politiker seines Heimatlandes, als quasi Liebling des Königs von Kisara – was ihn letztlich nach dessen Ableben selbst zum König befördert hatte, was ihm definitiv nicht nur Freunde gemacht hatte damals. Er war König von Kisara gewesen – dann Herr eines Reservats auf Zuyya, da Kisara explodiert war, und nachdem sie hierher gekommen waren, war er plötzlich quasi das, was er hatte sein wollen – nichts. Er war einfach da, er hatte seine Frau, seine Kinder, seine Familie, seine Kollegen und Freunde, das Leben war ein gutes Leben hier. Es gab keine politischen Strukturen – noch nicht, sie würden kommen im Laufe der Zeit. Auf Tharr waren sie auch gekommen, und die Enkelkinder seiner Enkelkinder, oder vielleicht auch eher deren Enkelkinder oder Urururenkelkinder, würden eines Tages wieder in festen Städten leben, sie würden einen Herrscher haben und alles würde sich so ähnlich entwickeln wie es auf Tharr gewesen war. Oder Zuyya, oder auch Ghia. Aber sie waren die ersten Menschen... sie standen ganz am Anfang, in einem unberührten Land, das sie nicht kannten, in einer Sonne, die sie nicht kannten... er war jetzt kein Senator mehr, und auch kein König oder Kriegsherr, es gab kein zuyyanisches Imperium, das sie bekämpfen mussten, es gab keine Schatten der Angst in ihm, was aus Karana und Neisa werden würde – sie waren alle hier und es war gut. „Entspann dich, Liebling...“, flüsterte Leyya über ihm und beugte sich herunter, um ihn zu küssen. „Es ist noch früh am Tag... wir haben Zeit.“ Er musste lächeln, ehe sich ihre Lippen in einem neuerlichen Kuss fanden und er eine Hand hob, um sie über Leyyas nackten Rücken hinab zu ihren Hüften und Oberschenkeln gleiten zu lassen. Zeit... etwas, das er wohl noch nie in seinem Leben so massiv besessen hatte. „Denk dran... leise.“, seufzte er und sie schnaubte, als sie sich etwas aufrichtete und er jetzt beide Hände hob, um ihre zierlichen kleinen Brüste zu berühren. „Als ob du nie laut wärst.“ Er kam nicht zum Antworten, weil just in dem Moment, in dem Leyyas Finger in eine ganz bestimmte Richtung wanderten, die Haut zur Seite gezogen wurde, die die Tür der Behausung darstellte, und Karana hereinplatzte. „D-du hättest klopfen können!“, empörte sich Leyya und fuhr errötend zu ihrem Erstgeborenen herum, während Puran sie hüstelnd von sich herunter schob und sich, sich murrend die Haare raufend, aufsetzte. „Ist was passiert, Karana?“ „Nicht ernsthaft – aber Chenoa sagt, sie und Thira wollen gehen. Ich wollte euch Bescheid sagen, damit wir uns alle verabschieden können...“ Puran runzelte die Stirn, während auch Pakuna sich jetzt auf ihrem Lager aufsetzte und seine erste Frau neben ihm kurz ein merkwürdiges Gesicht machte, als würde sie angestrengt über etwas grübeln. Ehe er sich fragen konnte, was sie hatte, war es vorüber, und Leyya rollte sich unter der Decke hervor und suchte nach ihren Kleidern. „Das ist lieb von dir, dass du das sagst, Karana.“, erklärte sie, „Natürlich werden wir alle kommen... Puran, hoch! Ich gehe die anderen wecken, sieh zu, dass du angezogen bist, bis ich zurückkehre.“ Er sah ihr verblüfft nach, als sie sich erhob und raus ging; plötzlich so voller Elan? Hach, da sollte einer die Frauen verstehen. „Dein Entschluss steht, was, Seherin?“, fragte Yarek seine blonde Begleiterin, während er sich eine Zigarette ansteckte. Die Sonne war jetzt aufgegangen und er beobachtete aus dem Augenwinkel, wie sich alle anderen Bewohner des Lagers versammelten, um Chenoa und Thira zu verabschieden. Er stand abseits der Traube, aber wenn er tun wollte, was er beschlossen hatte, würde er gleich hinüber müssen, aus Pietät zumindest. Am liebsten wäre er einfach gegangen, ohne jemandem etwas zu sagen, er hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, wenn ihn alle ansahen und am besten noch versuchten, ihn aufzuhalten. „Es ist doch deiner.“, flötete die Wüstenfrau und grinste, indem sie sich hin und her wiegte und ihre wenigen Kleider im Wind flatterten. „Deiner, mich zu begleiten, ich bitte dich nicht darum.“ „Nicht mit Worten, aber mit deiner Seele schon.“, sagte Ryanne. „Du würdest mich vermissen, du hängst an mir. Weil ich dir... das gebe, was du nicht hast. Eine Zukunft.“ „Ach so, Zukunft. Ich dachte jetzt an erster Stelle an guten Sex, den habe ich ohne dich tatsächlich nicht.“ Er scherzte, dabei lächelte er aber nicht, und Ryanne lachte glockenhell. Sie war seltsam... wenn sie auf ihre perverse Art irgendwie recht hatte. „Gut, dann komm schon... wir sollten gehen, während die anderen labern, bevor die das zweimal machen müssen. Sich versammeln und so.“ Das gesagt schlenderte in Richtung der Traube, die die anderen Bewohner des Lagers bildeten, größtenteils Geisterjäger und ihre Familien und sonstigen Anhänger. Da war Karanas ganze Familie, samt Pakuna und Zoras, samt Simu und Eneela, da waren Tayson und Asta, da waren Shais, da waren Tare Kohdar und Puran Lyras Cousine Alona, da waren Dasan Sagal und seine blonde Tochter Chitra. Das waren alle, die übrig geblieben waren von der großen Menge an Menschen, die die Tari Randora hierher gebracht hatte. „Die anderen Schiffe sind gekommen in der vergangenen Nacht.“, erklärte Ryanne kichernd, „Der Grund, weshalb Thira fort geht, zum Teil.“ „Hm.“, war Yareks trockene Antwort und er zog abermals an seiner Kippe. Ryanne hatte oft gesagt, dass mehr Raumschiffe kommen würden mit Überlebenden von Zuyya – Leute aus Lamiya von einem Flecken, der ebenfalls von den Gletschern verschont geblieben war bis zum Schluss. Wie sie ohne Thiras Karte her gefunden haben mochten, wusste der Söldner nicht, aber vielleicht halfen ihnen ihre Reikyus. Er war kein Zuyyaner, er kannte sich nicht aus und wenn er ehrlich war, wollte er das auch gar nicht wissen. „Bist du... neugierig?“ Er hielt an, als er Ryannes Stimme sich hinter ihm verändern hörte. Als er über die Schulter zu ihr zurück sah, waren ihre violetten Augen von einem Glanz erfüllt, den er oft gesehen hatte... die Götterseele, die in ihr lebte, die zu ihm sprach und ihn ansah mit einer Intensität, die ihm eine Gänsehaut verschaffte... diese Momente waren ein Grund, warum er sich nicht von ihr trennen wollte. Sie fesselten ihn... irgendwie an sie. Auf eine Weise, die er akzeptierte – und er hatte Fesseln noch nie akzeptiert ansonsten. „Worauf?“, fragte er sie mit demselben Ernst, den auch sie plötzlich inne hatte. Ryannes Lächeln war verschwunden. „Auf deine Zukunft. Was wirst du tun... jetzt, ohne Aufgabe?“ Das war eine berechtigte Frage. Er hatte sein Leben lang für andere gekämpft – andere beschützt oder es versucht. Als Kind zum Soldaten ausgebildet hatte er gegen Zuyyaner gekämpft; und er war kläglich gescheitert. Er hatte seine Familie nicht schützen können und sich fest vorgenommen, daran zu wachsen, um diesen Fehler eines Tages wieder gut zu machen. War es jetzt gut? Er hatte die Sieben erfolgreich zu ihrem Ziel gebracht und beschützt... sie alle lebten noch, wenn auch Karana nur noch ein Auge hatte und Zoras auf einem Ohr taub war. „Ich bin zufrieden...“, sagte er ruhig und wandte sich wieder ab, um weiter zu gehen. „Ich bin... nicht gescheitert.“ Er würde niemals wieder für irgendjemanden kämpfen oder jemandem dienen. Er war jetzt frei... er würde diesen Ort verlassen, um herauszufinden, was Freiheit war. Was auf ihn zukam, wusste er gar nicht genau... er wusste nur, dass diese Leute jetzt hinter ihm lagen... und es Zeit wurde, einen eigenen Weg zu beschreiten. Yarek kannte das; er würde jetzt seinen Weg gehen und irgendwann würde er vermutlich einfach wieder zu Karana und den anderen zurück führen. Es war in Ordnung... er rechnete damit, dann war es in Ordnung. Er lächelte doch, als er Ryanne noch einen Blick zuwarf. „Gehen wir... Ryanne.“ Es war selten, dass er ihren Namen sagte... jetzt tat er es einfach. Ihm war danach gewesen. „Ihr wollt wirklich gehen?“ Neisa wusste, wie überflüssig ihre Frage war – das waren Chenoa und Thira, die würde niemand von ihnen aufhalten können. Während Chenoa wie immer emotionstot wirkte, machte ihre Schülerin einen etwas verhalteneren Eindruck, schien aber ebenso überzeugt davon zu sein, dass sie gehen wollte. „Es wird Zeit, dass sich unsere Wege trennen, Neisa.“, sagte Thira nämlich, „Wir haben viel zusammen erlebt – aber die Legende ist jetzt erfüllt und wir werden... nicht gebraucht auf diese Weise. Ich sehe meine Zukunft an einem anderen Ort und bei anderen Menschen, ohne das böse zu meinen.“ „Was willst du machen?“, fragte Zoras unverblümt und wirkte teilnahmslos, während er neben seiner Frau stand und die Arme verschränkte. Neisa stieß ihn entrüstet an; musste er immer so herzlos sein? Er könnte wenigstens so tun, als wäre er bekümmert über den Abschied. Aber nein, Zoras Derran war nie bekümmert über Abschiede, er war es bei den vielen zuvor auch nie gewesen. „Man sieht sich im Leben sowieso immer zweimal.“, hatte er dazu gesagt und mit den Achseln gezuckt, „Kein Abschied ist für immer, und wenn das nächste Treffen eben in der Geisterwelt ist. Ich bin der Seelenfänger und für die Weiterleitung von toten Seelen zuständig, ich treffe die sowieso alle noch mal.“ Das sagte er gut, der Spinner; Neisa würde das lieber unkommentiert lassen, hatte sie beschlossen. Thira warf ihnen beiden einen apathischen Blick aus ihren roten Augen zu. „Die anderen Schiffe sind gekommen – ich werde meine Landsmänner suchen, denn dies ist mein Schicksal. Meine Aufgabe... für Okothahp ist noch nicht beendet.“ So sprach sie, ehe sie sich verneigte, und Neisa wusste nicht genau, ob sie den Sinn hinter Thiras Worten verstanden hatte. Was immer es war, es war eine Zuyyanersache – es ging sie nichts an und sie konnten nicht helfen. „Wenn das so ist, passt auf euch auf.“, hörte Neisa ihren Vater stellvertretend für alle im Stamm sagen, „Vielleicht begegnen wir einander noch mal in diesem Leben oder im nächsten.“ Chenoa tat etwas Seltsames; sie lächelte, als sie mit dem Kopf nickte. „Darauf habt Ihr mein Wort, Majestät.“ „Ach, Himmel noch mal, nennt mich doch nicht andauernd so!“, empörte sich Vati und Neisa musste schmunzeln über seine Aufregung. Sie alle wurden unterbrochen, als plötzlich Yarek und Ryanne aus der Menge traten und sich zu Chenoa und Thira gesellten, worauf alle verstummten. Neisa starrte sie an – obwohl die Geste eindeutig war, tat Yarek ihnen allen den Gefallen und sprach: „Wir beide werden sie ein Stück begleiten... und dann ebenfalls unserer Wege gehen. Also auch von uns... an dieser Stelle Lebewohl.“ „Waaas?!“, schrie Karana empört, „Wieso haut ihr alle ab?!“ „Echt mal, stinken wir?!“, jammerte Tayson und Zoras schnaufte. „Du schon, geh dich waschen.“ Tayson schien ihn nicht gehört zu haben und Neisa verdrehte die Augen – das war so albern mit den Männern mitunter! Yarek nahm seine Kippe aus dem Mund und pustete gelassen wie immer den Rauch in die Luft. „Es ist, wie Thira gesagt hat – unsere Wege trennen sich hier, es wird Zeit dafür. Der nächste Abschnitt unseres Lebens... sieht eben nicht vor, dass wir zusammen bleiben.“ Darauf erntete er kurz Schweigen; Neisa nickte dem rothaarigen Mann und der verrückten Seherin lächelnd zu, ehe ihr Vater wieder sprach. „Nun... dann will ich euch nicht aufhalten, Yarek. Ich muss mich bedanken... dafür, dass du die Sieben beschützt hast mit deinem Leben.“ „Keine Ursache. Das war meine Aufgabe, ich wurde für diesen Zweck geboren, oder nicht?“, entgegnete der Söldner, der keiner mehr war, und schmunzelte. „Manche werden eben geboren, um zu herrschen... und manche, um anderen den Arsch zu retten. Das ist jetzt vorüber – ich wünsche mir für die Zukunft, nie wieder jemandem den Arsch retten zu müssen, Majestät.“ Neisa hörte ihren Vater grollen, weil er schon wieder mit Majestät angesprochen wurde. Ihr kam in den Sinn, dass sie sich nie als Prinzessin gefühlt hatte, solange ihr Vater de facto König gewesen war... es war ja auch nicht lang gewesen. Die Gedanken an alles, was hätte sein und werden können, wäre Tharr nie explodiert, waren ernüchternd, und sie senkte den Kopf, als der Herr der Geister das Wort wieder an Yarek richtete. „Das wünsche ich dir auch, Yarek Liaron. Ich werde die Geister bitten, eure Reise wohin auch immer gut verlaufen zu lassen... passt auf euch auf, alle vier.“ „Wir sehen uns.“, antwortete Chenoa und wandte sich bereits zum Gehen, Thira folgte ihr und Yarek schloss sich den Zuyyanerinnen mit einem letzten Kopfnicken ebenfalls an. Ryanne hockte einen Moment da und malte mit dem Finger Kringel in den Sandboden vor ihren Füßen, während die versammelte Mannschaft sie anstarrte. „Deine Reisegruppe rennt gerade weg, Seherin.“, machte Zoras sie dann darauf aufmerksam und die Blonde hob ihren Kopf – ihr Blick galt aber nicht Zoras, sondern Neisa, die neben ihm stand, und die junge Frau fuhr unmerklich zusammen, als die violetten Iriden ihre verschiedenen Augen trafen und beider Blicke für einen Moment aneinander haften blieben. Ryanne sprach... und irgendetwas in ihrem Kopf sagte Neisa, dass es die Seele der Seherin war, die sprach, auf irgendeiner Sprache, die Ryanne nie sprechen würde – und es war auch nicht Neisa, die sie verstehen konnte, sondern Salihah Ekala in ihrem Inneren, die über ihren Geist wachte – die vom selben Blut war wie Ryanne, die auf dieselbe Art eine Seherin mit unsterblicher Seele gewesen war. „Du kennst das Schicksal deiner Zukunft... Neisa, Gemahlin des Todesgottes. Lauf nicht davor davon... auch, wenn es dich schmerzen wird. Es würde mehr schmerzen, sich zu weigern... den Weg zu gehen, der dir vorbestimmt ist. Sie wächst bereits unter deinem Herzen, hmm...? Deine... Zukunft.“ Neisa weigerte sich, nach ihrem Unterbauch zu fassen, als sie die Worte vernahm, die nur an sie gerichtet waren, sie sah Ryanne nur an – und dann war der Moment vorbei und die Seherin sprang auf die Füße, winkte ausschweifend und rannte dann johlend hinter Yarek, Chenoa und Thira her in die Weite der Pampa. Der Stamm blieb zurück und Neisa spürte ihr Herz klopfen, als eine eiserne Stille über dem Lager lag und sie die Blicke der anderen auf sich fühlen konnte. Es war Zoras, der seine schmalen Augen auf sie richtete und zu noch schmaleren Schlitzen verengte, ehe er sie ansprach. „Was... zum Geier hat sie zu dir gesagt? Ich habe kein Wort verstanden von dem, was sie gemurmelt hat – gibt es diese Sprache überhaupt, in der sie gesprochen hat?!“ Neisa blinzelte nur ein paar Mal, während die anderen zu murmeln begannen und offenbar ebenso verwirrt waren wie ihr Gemahl. „Sprache vergangener Welten vor den ersten Enden.“, half ihr Salihahs Geist auf die Sprünge. „Die kennt niemand außer den Göttern, denn vor den ersten Vernichtungen der alten Welt hat keiner der heute lebenden Menschen gelebt.“ Neisa dachte sich, das behielt sie mal lieber für sich, und sie schenkte ihrem Mann ein kurzes Lächeln, ehe sie die Hand doch auf ihren Unterbauch legte und spüren konnte, wie der kleine Geist darin sich entwickelte und stärker wurde. Sie würde mächtig sein... ihre kleine Zukunft. „Wir werden bald ein Kind bekommen, Liebster... ich bin schwanger.“ _____________________ Omg, letztes Kapitel o-O Argh dann muss ich ja hinter den Epilog so viel Abschiedsblabla schreiben.... boah näh, zu müde gerade x____x Ja, gut getrante chwangerschaften ftw... dieser kryptische Kram geht mir sowas von auf die Nerven, ich bin froh dass ich durch bin gerade! x_____x Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)