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Die Chroniken von Khad-Arza - Die andere Seite des Himmels

Drittes Buch
von

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Prolog


 

Die Chroniken von Khad-Arza
 


 

Der Punkt in der Ferne bewegte sich. Man konnte es nur erkennen, wenn man es wusste, da war Yamuru sicher. Das genügte; es war eine andere Bewegung als die eines zufällig herum sausenden Kometen, sie war gesteuert. Und abgesehen von ihrem eigenen Schiff würde es nur ein anderes geben, das sich gerade jetzt bewegte und Kurs auf irgendetwas nahm.

„Da ist sie... die Tari Randora.“ Der junge Mann mit den violetten Haaren spürte den gierigen Blick in seinem Nacken. Scharans Gier galt nicht ihm; obwohl kein Geheimnis war, dass der wahnsinnige Enkel von Kelar Lyra gerne mit jungen Männern spielte, war Yamuru sicher, dass es ausnahmsweise einmal tatsächlich gar nichts mit Sex zu tun hatte, was dieser Massenmörder dachte. Er wollte die Tari Randora... das Original, das echte Werk von Alrik Jchrrah, das die schützende Zuyya verlassen hatte, um sich auf die Reise zu begeben.

„Du bist entweder verdammt klug oder hast verdammtes Glück, Yamuru.“, erklärte der Sklavenkönig ihm, als er neben ihn trat und sie gemeinsam aus den Fenstern des Steuerraums ihres Schiffes hinaus starrten auf die fast kaum bemerkbare Bewegung in der Ferne. „Du hast gewusst, sie würden losfliegen. Wir hätten auch einfach aufbrechen können und dann das Pech bekommen, dass sie es sich anders überlegen.“

„Diese Möglichkeit ging gegen Null.“, erwiderte der Zuyyaner gelassen und lächelte vergnügt. „Sie müssen aufbrechen, Meister, denn tun sie es nicht, verrecken sie alle und die Legende der sieben Schicksalskinder war absolut umsonst.“

„Das ist mir klar – aber wieso gerade jetzt? Nachdem sie mondelang gewartet haben damit?“

„Weil sie die Batterie jetzt haben. Und weil ich Chenoa kenne. Sie ist eine berechnende Pragmatikerin und daher unglaublich leicht zu durchschauen. Noch länger zu warten wäre nicht typisch für sie gewesen.“

„Wenn sie doch für so weise und hochbegabt gilt, wie kommst du darauf, dass sie immer sich selbst gegenüber typisch bleibt? Ich halte sie für durchaus gerissener und du warst es doch, der gesagt hat, sie wäre keine Gegnerin für uns.“ Der Zuyyaner gluckste.

„Ja, damals habe ich nicht gelogen. Dass ich ihre Handlungsweise voraussehen kann heißt ja nicht, dass sie dumm wäre. Ich bin nur besser.“

„Fang ja nicht an, dich für Gott zu halten.“

„Ich habe etwas, das Chenoa nicht hat.“, amüsierte sich der Jüngere und verschränkte die Hände hinter seinem Rücken wie ein prüfender Lehrer. Scharan sah ihn erwartungsheischend an, aber er war nicht geneigt, jetzt viel zu plaudern, so wechselte er mit einem lammfrommen Lächeln an den Meister gewandt das Thema. „Jetzt, wo sie aufgebrochen sind, müssen wir ihnen folgen. Ich sorge dafür, dass sie uns nicht orten und merken, dass wir das tun... im Moment sind wir komplett auf meine Cousine Thira angewiesen. Nur sie allein bekommt den Schlüssel... den wir brauchen werden, um die Trias zu finden.“ Scharan verengte die grünen Augen zu lauernden Schlitzen.

„Und wohin fliegen sie?“

„Keine Ahnung.“, lachte Yamuru und zuckte mit den Schultern, „Chenoa wird ihrer braven Lakai schon irgendetwas gesteckt haben.“ Der Ältere murrte missgelaunt.

„Also müssen wir uns darauf verlassen, dass sie schnurstracks das tun, was sie tun müssen, ohne uns auf Irrwege zu führen. Dreck verdammter, ich hasse es, abhängig zu sein.“

„Tja, so sieht es aus, Meister.“ Der Mann zischte.

„Hör mit diesem verdammten Grinsen auf, das regt mich auf.“ Ohne das Grinsen zu lassen machte Yamuru Kehrt und schickte sich an, den Steuerraum zu verlassen, um seiner Arbeit nachzugehen.

„Natürlich, Meister, wie Ihr befehlt. Ich existiere nur, um Euch zu Diensten zu sein.“

Er spürte den zornigen Blick des Schamanen wieder im Nacken, als er den Steuerraum verließ mit der Gewissheit, dass beide Beteiligten wussten, dass er log.

Die Tari Randora


 

Buch Drei

Die andere Seite des Himmels
 


 


 


 

Simu war sich nicht sicher, was er erwartet hatte. Festgestellt hatte er, dass die andere Seite des Himmels noch dunkler, noch bedrohlicher und noch leerer war als die Seite, die er von der Innenseite der Zuyya her gekannt hatte. Auf Tharr war der Himmel grün gewesen... ein helles, sanftes Grün an sonnigen Tagen, ein gräuliches Mattgrün an Regentagen und das mit rot, gelb und orange vermischte grün eines brennenden Waldes bei Sonnenuntergang. Auf Ghia war der Himmel blau gewesen... auf der Zuyya sollte er angeblich einst von einem hellen, warmen Orange gewesen sein. Simu hatte die Zeiten des hellen Himmels auf Zuyya nicht miterlebt; der fatale Vulkanausbruch, der eine Ewigkeit mit Asche in der Luft und damit die Verdunkelung der Sonne zur Folge hatte, war gewesen, als Simu kaum sechs Jahre alt gewesen war. Damals hatte er friedlich auf Tharr gelebt bei der Familie, die ihn aufgezogen hatte, und hatte nicht im Ansatz geahnt, dass er einst nach Zuyya zurückkehren würde... in die Welt, in der er geboren worden war, wie er allerdings erst erfahren hatte, als er bereits ein Mann geworden war.

Jetzt schien die Zeit auf der düsteren Zuyya so weit fort zu sein... dabei war es kaum drei Tage her, dass sie aufgebrochen waren. Er hatte einen inneren Instinkt für Zeit; aber die ewige Dunkelheit des Alls machte es selbst seinem zuyyanischen Instinkt schwer, ihn nicht zu verlassen. Im All war es nicht nur blutrot und unheilschwanger wie auf Zuyya, sondern es war pechschwarz. Eine tiefe, alles aufsaugende Schwärze, die bereit war, ihr kleines Schiff zu verschlingen und nie wieder auszuspucken...

„Konzentrier dich, anders. Du bist mit den Gedanken immer wo anders.“

Die kalte Stimme gehörte zu Thira Jamali, die am Steuer des Raumschiffes stand, das sie durch das All manövrierte, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Simu ließ das schwache Lichtflimmern zwischen seinen Händen verschwinden und sah die Zuyyanerin grübelnd an. Wenn er Thira nur zuhörte, klang sie wie eine erfahrene Person, die die Weisheit und alle Intelligenz von Jahrtausenden zu besitzen schien. Wenn er sie dann aber ansah, war sie bloß ein junges Mädchen, noch jünger als er mit kaum mehr als sechzehn Sommern. Ihre Erscheinung kam ihrem Intellekt definitiv nicht gleich, fand der junge Mann, während er sie musterte. Sie erschien so jung und unschuldig, dabei war ihr Geist der einer skrupellosen Pragmatikerin, die bereit war, über Leichen zu gehen, um ihr Schicksal zu erfüllen. Diese kleine, zierliche Frau hatte eine Macht inne, die sie alle in Grund und Boden richten könnte, sollte Thira einmal das Bedürfnis verspüren, sich ihrer Reisekameraden zu entledigen. Sie war eben eine waschechte Zuyyanerin... pragmatisch, berechnend und gefühlstot, so, wie es allen Angehörigen dieses Magiervolkes nachgesagt wurde. Bei dem Gedanken musste Simu bitter lächeln... er war zur Hälfte auch ein Angehöriger dieser Rasse. Sein Vater war Zuyyaner gewesen... der blonde Mann war davon überzeugt, dass die Gene seiner tharranischen, nichtmagischen Mutter in ihm deutlich überwiegen mussten, denn er fand sich selbst weder pragmatisch, noch berechnend oder gar gefühlstot. Und das war sein größtes Problem, wenn er lernen wollte, mit der zuyyanischen Magie umzugehen, die ihm im Blut lag. Thira konnte ihm nur die Theorie erklären, ihm sagen, was er tun musste, um die Reikyu zu beherrschen... die Seelenkugel, eine Manifestation seines eigenen Geistes, die er als schimmernde Kugel in seinen Händen entstehen lassen konnte – oder können sollte. Sonderlich begabt war er nicht, hatte er schon bemerkt.

„Ich tue ja, was ich kann. Vergib mir, Thira, ich bin ein schlechter Schüler.“

„Nein, du wehrst dich dagegen.“, sagte sie monoton, immer noch am Steuer stehend und ihm den Rücken kehrend, während er hinter ihr am Boden des Steuerraums hockte, auf seinen Knien quer die Stabwaffe, die er auf Zuyya bekommen hatte, das Tsukibo. „Du willst kein Zuyyaner sein, du willst Tharraner sein, so, wie du aufgewachsen bist. Du bist in dem Glauben aufgewachsen, alle Zuyyaner seien bösartige Roboter und demzufolge ohne Ausnahme verabscheuungswürdig.“ Er errötete.

„I-ich... das stimmt nicht, nicht alle.“ Er fand Thira zwar suspekt, aber doch nicht verabscheuungswürdig... nur gruselig. Ihre nicht vorhandenen Emotionen waren unmenschlich.

„Ich sage ja nicht, dass es unberechtigt ist, dass alle Tharraner so denken.“, entgegnete sie, „Mag stimmen, was sie sagen. Wir Zuyyaner sind durchaus ein pragmatisches und von mir aus auch skrupelloses Volk. Wenn du deine Reikyu benutzen können willst, musst du dir eingestehen, dass du einer von uns bist. Darum kannst du nicht umhin. Öffne deine Seele... dem Gott Katari, der Zuyya geschaffen hat. Weißt du, zuyyanische Magie ist nicht nur destruktiv. Man kann mit ihr auch... Dinge schaffen, Dinge erreichen, die nichts mit brutalem Töten oder Manipulation zu tun haben. Das ist es, was du... verinnerlichen musst. Noch mal.“

Er seufzte. Sie war eine konsequente Lehrerin. Die Augen schließend versuchte er erneut, sich auf seine Seele zu konzentrieren... darauf, die Reikyu zu beschwören. Und wieder endete es bloß in einem kurzen, unwürdigen Lichtflimmer in seiner Hand, der gleich verblasste, als Simu aufhörte, sich zu konzentrieren. Er seufzte erneut und lehnte mürrisch den Kopf gegen die Wand.

„Das wird heute nichts mehr, fürchte ich.“ Thira sagte nichts und starrte aus dem Fenster in die absolute Schwärze. Als er sich erhob und neben sie trat, versuchte er zu begreifen, wie sie sich hier orientierte. Vereinzelt waren in der Schwärze flammende Lichtpunkte zu sehen; wie Irrlichter, nur dazu da, um unschuldige Passanten in den sicheren Tod zu locken. „Wohin fahren wir überhaupt?“

„Zum Karanyi-Nebel.“, antwortete die junge Frau gelassen. „Ein Gebiet, das unsere erste Station auf der Suche nach der Trias sein wird. Dort werden wir Anhaltspunkte bekommen, hat Chenoa mir gesagt. Wir müssen die Auronen suchen... die Wesen, die die Planeten dieses Nebels bevölkern. Sie haben vermutlich Antworten.“ Er schwieg eine Weile.

„Wie sehen die aus?“

„Die Auronen? Keinen Schimmer. Ich war ja selbst noch nie dort. Mein Großvater, Honuk Jamali, der die Trias geschaffen und versteckt hat, ist aber dort gewesen, sie haben ihm damals ihre Hilfe angeboten.“ Simu runzelte die Stirn und fragte sich, wie er sich die Auronen vorstellen sollte. Wie Menschen? Wie sprechende Tiere? Sie bewohnten ein völlig anderes Planetensystem, es war möglich, dass sie vollkommen anders aussahen als Menschen. Oder als alles, was ihm jemals begegnet war...

„Woher weißt du, wohin du fliegen musst?“, wunderte er sich weiter und Thira zeigte zur Fensterscheibe.

„Ich halte auf den Stern direkt vor uns zu. Chenoa hat gesagt, wir müssen diesem Stern folgen, so lange, bis wir den Karanyi-Nebel erreichen. Es wird noch geschätzte zwei Tage dauern, glaube ich.“ Woher sie das wissen wollte, fragte er nicht... das erübrigte sich. Sie hatte es vermutlich in ihrer Reikyu gesehen, die dazu diente, viele Dinge zu sehen, die man nur sehen wollte.

„Was sollen wir so lange machen, bis wir dort ankommen? Und muss dich nicht mal jemand ablösen, Thira? Du steuerst seit drei Tagen ohne Pause. Du isst und schläfst nicht... ist das gesund?“

„Ich bin Zuyyanerin. Ich kann meinen Körper und meinen Geist so unter Kontrolle halten, dass ich über längere Zeit ohne Essen und Schlaf auskomme. Wenn wir im Karanyi-Nebel landen, kann ich Pause machen. Und du kannst solange weiter üben. Wenn wir uns mit Ulan Manha herumschlagen müssen, wird es von Nutzen sein, dass du die Reikyu beherrschst.“
 

Simu betrachtete gedankenverloren die kahlen, stählernen Wände des Korridors, als er den Steuerraum verlassen hatte und ziellos durch die Tari Randora strich, um seine Gedanken zu sortieren. Das Schiff war riesig; von den Korridoren gingen vereinzelte Kammern ab, die sie während ihrer Reise als Schlafräume benutzten; in einigen gab es tatsächlich eine Art kleines Bett, eher eine unbequeme, schmale Liege, in anderen hatten sich die, die keine Kammer mit Bett abbekommen hatten, mit Matten beholfen, die an Bord gewesen waren. Aus was für einem Material die Tari Randora gebaut worden war, wusste Simu nicht; er hatte absolut keine Ahnung von Schiffbau und der Technik eines Raumschiffs. Was ihn besonders faszinierte war die Technik, mit der innerhalb des Schiffes Schwerkraft erschaffen wurde; ihm war schon früher aufgefallen, dass in Raumfähren tatsächlich Schwerkraft herrschte, obwohl sie rein logisch betrachtet schwerelos schweben müssten, wenn sie im All herum flogen. Was auch immer das für eine Technik war, sie war grandios. An den Decken der Korridore und Kammern hingen kleine Rohre, die von innen heraus auf irgendeine Art leuchteten und damit das Schiff erhellten. Thira hatte gesagt, alles an Technik, das hier lief, hing von der Energie der einen Endlosbatterie ab, mit der das gesamte Schiff betrieben wurde. Simu fand es faszinierend, wie ein so kleiner Gegenstand, kaum größer als die Hand eines Mannes, so viel Macht haben konnte, um ein ganzes Schiff samt Beleuchtung und Wasserversorgung zum Laufen zu bringen.

Eines muss man ihnen lassen... wie brutal sie auch sein mögen, die Zuyyaner sind genial.

Als er am Heck des stetig vibrierenden und fast lautlos summenden Schiffes angekommen war, hielt er am Ende des Korridors an und betrachtete die Waffe, die er in der Hand trug. Seit Chenoa sie ihm vermacht hatte, hatte er kaum etwas anderes getan als sich mehr schlecht als recht beigebracht, wie man den vielleicht drei Ellen langen Stab richtig führte. Er konnte jetzt in einem theoretischen Kampf getrost jemanden mit der scharfen, Sichelförmigen Klinge enthaupten, war er der Meinung, aber die Essenz des Tsukibos beherrschte er noch nicht... es war eine zuyyanische Waffe, ergo eine magische Waffe. Wenn er an der Reikyu kläglich scheiterte, so war das Einsetzen der physischen Magie für ihn komplett hoffnungslos, war er der Meinung. Simu war kein Kämpfer und auch kein Zauberer, das war er beides nie gewesen. Sein Bruder war immer der Zauberer gewesen... er war ja auch Schamane und von Geburt an damit konfrontiert gewesen, dass er einmal zaubern können würde, wenn er ein entsprechendes Alter erreichte. Karanas Freund Tayson war ein Kämpfer. Er war Nichtmagier, aber mit dem Schwert umgehen konnte er besser als Simu, obwohl er nicht ernsthaft einen Schlachtplan zu haben schien, er prügelte kopflos drauf los; was immerhin effektiver war als gar nichts zu tun oder eine weiße Fahne zu schwenken, wie Simu es am liebsten täte. Er war von ihnen dreien, die sie zusammen als Kinder viel Zeit verbracht hatten, immer der Denker gewesen. Jetzt musste er plötzlich kämpfen und zaubern können... irgendwie.

Wenn er es nicht könnte, hätten sie ein Problem. Sie müssten es vermutlich alle können, wenn sie Ulan Manhas Schergen überleben wollten, die unter Garantie zu ihnen kommen würden, früher oder später. Wenn sie vorhatten, wie sie die Trias zu suchen, die sagenumwobene Maschine, die eine neue Welt erschaffen konnte, brauchten sie die Endlosbatterie der Tari Randora. Und die hatten sie hier. Ohne diese eine Batterie waren sie alle am Arsch.

„Soll der Himmelsdonner dich holen, Manha.“, brummte Simu lustlos und schwang seine Waffe sinnlos nach vorne in der Hoffnung, irgendeinen Zauber zu bewirken; natürlich geschah nichts dergleichen, nicht mal die Klinge fing ominös zu leuchten an. Als er Schritte hinter sich hörte, drehte er den Kopf und war verblüfft, ausgerechnet Karana gegenüberzustehen. Sein Bruder kicherte.

„Mehr Elan, Simu. Du bist nicht Zoras, der vor geistiger Macht nur so übersprudelt, dass er es schafft, mit einem solchen Schwung seiner Waffe einen Blitz in die Erde zu schleudern...“ Simu zeigte ein kurzes Lächeln.

Mehr Elan, sagst du? Klar, du bist ja der Kenner hier. Aber ich kann nicht wirklich Elan dafür aufbringen, Dinge zu tun, bei denen ich Leute umbringen muss... das widerstrebt mir irgendwie.“

„Es ist Scharan.“, sagte Karana achselzuckend und wurde plötzlich ungewöhnlich ernst, „Der Mann muss sterben, damit Vater und ich diese... Dinger loswerden und seine Kontrolle.“ Bei diesen Worten fasste er wie zufällig nach seinem linken Unterarm, worauf der Blonde nachdenklich den Kopf senkte. Er hatte das Symbol des Fluchmals an Karanas Arm gesehen... das gleiche, das auch sein Vater am Hals hatte. Inzwischen verbarg sein Bruder das Schmerzmal unter einer festen Bandage um seinen Unterarm, hauptsächlich, um sich selbst daran zu hindern, in Momenten der brutalen Schmerzen, die Scharan über diesen Fluch auf ihn ausüben konnte, wann immer er Lust hatte, sein eigenes Fleisch bis auf die Knochen abzukratzen. Er hatte schon recht... dieses Mal würde nur verschwinden, der Fluch wäre erst gebrochen, wenn Scharan starb. Aber das zu erreichen war vermutlich nicht so simpel, wie es klang.

„Der Mann ist Überlebenskünstler, Karana.“, wagte Simu zu sagen, „Er ist zwar kein Geisterjäger und als Magier eher mittelmäßig, wie man sagt, aber dieser Fluch... schaltet dich komplett aus. Wenn Scharan dich als Bedrohung empfindet, zupft er an seinem Fluch und du bist aus dem Rennen.“

„Ah, ich arbeite dran.“, stöhnte sein Bruder, streckte die Arme nach oben und gähnte, „Wenn ich falle, macht es halt Zoras. Du weißt, was für ein Berserker er sein kann. Wenn Scharan es wagt, Neisa zu nahe zu kommen, bringt Zoras ihn um, ehe er auch nur Piep sagen kann.“ Simu lachte nervös; da war etwas dran.

„Darauf willst du es hoffentlich nicht ankommen lassen. Und du so friedlich bei der Erwähnung von Zoras' Namen ist mir auch suspekt...“

„Na ja, sagen wir so. Zoras und ich mögen uns nicht und mochten uns nie. Aber wir sind gezwungen, im selben Boot zu sitzen, also... müssen wir uns irgendwie arrangieren. Das ist so wie Vati und Emo früher. Keiner mochte Emo, Geisterjäger war er trotzdem und sie mussten zusammen arbeiten.“ Der Blonde nickte; wobei er sicher war, dass die Sache mit Henac Emo um einiges finsterer gewesen war als die elende Kabbelei zwischen Karana und Zoras Derran. Mit einem Seufzen ging er an Karana vorbei und schulterte dabei sein Tsukibo, das Üben fürs erste aufgebend.

„Geh einfach jedem Streit aus dem Weg, Karana.“, riet er seinem Bruder dann noch, „Wenn schon nicht für dich selbst, dann Neisa zuliebe. Sie ist deine Schwester... dass sie jetzt Zoras' Gemahlin ist, ändert nichts daran, Karana.“ Er sah über die Schulter, wie Karana grantig das Gesicht verzog und die Arme verschränkte.

„Und du bist mein Bruder, Simu, dass du plötzlich zur Hälfte Zuyyaner bist, ändert nichts daran. Also hör auf, vor mir wegzulaufen... oder vor allen anderen, wie du es seit wir aufgebrochen sind tust.“ Simu hielt inne und starrte ihn verblüfft an – dann konnte er nicht anders als ein warmes Lächeln zu zeigen.

„Danke...“, hörte er sich leise murmeln, „Das war sehr lieb von dir. Ich... versuche doch bloß, mich selbst... zu finden. Und beherrschen zu lernen, zu was ich geboren wurde.“ Er nickte zu seiner Waffe und Karana kicherte erneut, ehe er an seinen Gürtel griff und das Schwert von Mihn zog, das Familienerbstück, das ihm vermacht worden war.

„Ja, ich weiß. Dann versuch, mich zu töten. Manchmal lernt man zaubern am besten in Extremsituationen... ich kann mir nicht vorstellen, dass das nur für Schamanen gilt und nicht für Zuyyaner. Immerhin... ist Elementarmagie Elementarmagie, egal, wer sie anwendet.“ Der Blonde starrte ihn an.

„Wie – du willst, dass wir gegeneinander kämpfen?!“

„Wenn du nicht kommst, komm ich.“, erklärte sein Bruder ihm gelassen, „Oder hast du Schiss? Erinnerst du dich, wie ich die untere, simple Magie gelernt habe? Azan Sagal musste mich halb zu Tode prügeln, bis ich sie endlich mal konnte... wenn du nicht auch so enden willst, beweg deinen Arsch. Bei deiner Reikyu kann ich dir nicht helfen, sowas hab ich halt nicht... aber bei Elementarzaubern kann ich es vielleicht.“

Der Blonde lachte leise, als er sein Tsukibo hob und sich seinem Bruder entgegenstellte.

„Aber mach nicht den ganzen Korridor kaputt, du Vollidiot.“
 

„Und diese Vorräte sollen für fünfundfünfzig Tage reichen?!“ Tayson sah entsetzt zwischen Eneela, Asta und Yarek Liaron hin und her, die in dem kleinen Raum standen, den sie gemeinsam zur Vorratskammer und Küche auserkoren hatten. Auf dem Tisch im Raum lagen aufgehäuft alle Lebensmittel, die sie von Zuyya mitgenommen hatten; kläglich wenig für fünfundfünfzig Tage und elf Leute.

„Nein, Irrtum.“, sagte Yarek, „Genau betrachtet müssen sie noch länger halten, denn nach fünfundfünfzig Tagen sollen wir erst aufbrechen, um zurückzukehren. Es sei denn, wir schaffen es schneller, natürlich.“ Tayson klappte die Kinnlade herunter.

Was?! W-wir werden verhungern!“

„Na ja, Zeit für dich, ein paar Pfunde abzunehmen.“, zuckte der rothaarige Söldner mit den Schultern und kramte aus seiner Tasche eine Zigarette, die er sich zwischen die Lippen schob. Tayson fand das nicht witzig. Was dachten die, wie sie das überleben sollten? Wasser war nie ein Problem, solange man Magier dabei hatte; die konnten aus dem Nichts Wasser erschaffen durch ihre Macht. Aber kein Essen...

„Thira hat gesagt, wir... halten zwischendurch und können da unsere Vorräte aufstocken.“, warf Asta schüchtern ein und strich sich die inzwischen wieder kinnlangen Haare hinter die Ohren. Es war fast ein Jahr her, dass sie sich ihre einst langen, blonden Haare radikal abgeschnitten und pink gefärbt hatte, um nicht erkannt zu werden... inzwischen wuchs auf ihrem Scheitel das Blond wieder nach.

„In diesem Karanyi-Nebel, oder wie er heißt, wo wir hin wollen?“, erkundigte sich Eneela darauf, „Thira hat gesagt, wir kämen in zwei Tagen da an, oder so.“

„Und wenn es da nichts gibt?“, fragte Tayson nervös, „Ich meine, auch wenn fast alle von euch Zauberer sind, unsterblich ist hier keiner! Wobei, Thira stirbt nach drei Tagen ohne Essen und Schlaf nicht...“

„Wir können nichts anderes tun als uns komplett auf sie verlassen.“, sagte Yarek, der seine Kippe ansteckte, worauf Eneela entrüstet von ihm wegrückte ob des beißenden Rauchs. „Chenoa hat Thira alles beigebracht, was sie wissen muss... sie wird ihre Aufgabe schon gut bewältigen.“

„Wie willst du sichergehen?“, stöhnte der Schwarzhaarige frustriert, „Ich meine, Chenoa könnte Thira ebenso gut aufgetragen haben, uns alle zu grillen, was wissen wir?“

„Das könnte sie in der Tat.“, murmelte der andere Mann grübelnd, und als hätte er ernsthaft scharf nachgedacht runzelte er erst die Stirn und zuckte dann die Achseln. „Dann sind wir wohl auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.“ Er drängte sich ohne ein Wort an Tayson vorbei aus der Küche und dieser jammerte.

„Wie kannst du da so gleichmütig sein?! Ist dir egal, dass wir sterben?!“

„Solange wir noch leben, ja, absolut. Da es die Aufgabe der Sieben ist, die Trias zu finden, wäre es reichlich hirnlos von Chenoa, diese Sieben sterben zu lassen. Aber das betrifft dich und Asta ja nicht, ihr könntet durchaus sterben, hast recht. Eure Rationen an Essen werden zuerst gestrichen, wenn es knapp wird, und dann die der hirnamputierten Seherin. Die ist eh' unkaputtbar.“ Mehr sagte er nicht und zog von dannen, worauf die drei Übrigen ihm fassungslos anstarrten. Asta erbleichte.

„Wir – werden sterben, Tayson!“, keuchte sie und er verdrehte die Augen.

„Ganz zweifelsohne, meine Liebe.“ Er warf ihr und Eneela, die etwas unsicher die Brauen hob, einen Blick zu und lachte dann nervös. „Aber noch nicht jetzt. Dafür sorge ich schon, Asta. Hab keine Angst, ich pass auf dich auf. Zur Not essen wir die Seherin.“
 

Er hatte geglaubt, dass er Finsternis gewohnt sein müsste. Er hatte Jahre in ihrer alleinigen Gesellschaft verbracht, eigentlich seine ganze, beschissene Kindheit... und doch war er ihr immer noch nicht richtig gewachsen, das bekam er jetzt zu spüren. Die Gedanken an seine Kindheit stimmten Zoras Derran wütend und ließen in seinem Inneren den alten, so bekannten Hass aufglühen wie die Reste eines fast erloschenen Feuers, das jemand anpustete, um es wieder in Gang zu bringen. Die Jahre, in denen er von seinem grantigen Vater verprügelt worden war, in denen er ein nutzloses, immer nah am Hungertod stehendes Gerüst aus Haut und Knochen gewesen war... und die Monde in der Räuberhöhle, die seine Familie gefangen und ewig gefoltert hatte, nur zu ihrem eigenen Vergnügen. Die Männer, die ihn für sein Leben gezeichnet hatten mit dieser abscheulichen Tätowierung, die seinen ganzen Rücken und teilweise sogar die Hinterseite seiner Beine bedeckte. Er erinnerte sich gut an die grauenhaften Schmerzen, die er als kleines Kind hatte erdulden müssen bei der Erschaffung dieses morbiden Kunstwerkes auf seiner Haut... er spürte jeden einzelnen, brutalen Schnitt in seinem Rücken, als passierte es wieder. Und er spürte jeden einzelnen Griff der großen, festen Männerhände, die ihn packten, ihn auf eine Weise berührten, auf die kein Mann einen anderen berühren sollte, und erst recht nicht einen kleinen Jungen. Die Geister zischten in seinem Kopf, als er sein Herz gemeinsam mit dem Hass in sich vor Panik und Brechreiz pochen spürte bei den bloßen Erinnerungen an diese Zeit.

„Wonach suchst du, Seelenfänger? Nach deinen traumatischen Kindheitserinnerungen? Willst du sie wieder erleben, oder was?“

Niemals...

Aber er konnte sie nicht abschütteln, sie kamen einfach immer wieder zurück... er wusste selbst nach neun Jahren, die seitdem vergangen waren, noch genau, wie es sich angefühlt hatte, wie sie ihn begrabscht hatten, wie sie ihn von hinten genommen hatten und wie sie ihn dabei fast ausgeweidet hättet, weil er viel zu klein und zierlich für sie gewesen war –

„Nein, aufhören! Ich will nichts mehr davon hören und sehen! Das ist vorüber, ich habe sie vernichtet! Ich habe die verdammten Hurensöhne alle zerfetzt, wie sie es verdient haben!“ So brüllte er und fuhr hoch, als die Geister in seinem Kopf kicherten.

„Suchst in den Schatten... aber in den falschen, Zoras Derran. Was du suchst, findest du nicht in deiner Vergangenheit... es gibt genug Ecken in der Finsternis. Du kennst sie... nicht wahr?“

Ihm war schwindelig und er strauchelte – sicher wäre er zu Boden gestürzt, hätte er nicht plötzlich gespürt, wie ihn jemand zärtlich von hinten umarmte und festhielt.

„Fürchtest du dich davor, zu sterben... Seelenfänger, der du die Kontrolle über tote Seelen hast...?“, neckten ihn die Himmelsgeister in seinem Kopf und er spürte die Finsternis, wie sie durch jede, verdammte Pore in ihn eindrang, ihn ausfüllte mit einem Schmerz, einer Wut und einer Verzweiflung, derer er unmöglich Herr werden konnte.

Nein... davor habe ich keine Angst. Dann sagt mir, was ist... mein Schicksal?

Die Geister gaben immer kryptische Antworten. So enttäuschten sie ihn auch dieses Mal nicht.

„Vermutlich... ein Ende im Angesicht der Schatten.“
 

„Zoras... sieh mich an. Sag dich los, jetzt.“ Er leistete dem Befehl der viel weltlicheren Stimme mit einem Grollen Folge und öffnete die grünen Augen, als die Stimmen der Geister verstummten und die Finsternis zurück in sein Inneres kehrte. Er merkte, dass er zitterte... es zehrte ihn aus. Und dass es schon nach bloß drei Tagen so heftig war, war kein gutes Zeichen. Er war dem nicht gewachsen, was auf ihn wartete... was wartete denn auf ihn?

Tod und Schatten... ein Ende im Angesicht der Schatten.

Was immer das bedeuten mochte. Als er seinen Schwindel bezwungen hatte, sah er in Neisas Gesicht. Sie hatte sich vor ihn gestellt, umarmte aber noch immer fest seinen Oberkörper, damit er nicht umkippte; jetzt, wo er wieder einigermaßen Fuß gefunden hatte in der Realität, wagte sie es, ihn loszulassen, ohne dabei den scharfen, wissenden Blick von seinen Augen zu wenden.

„Du bist zurück.“, sagte sie sachlich. „Treib nicht zu weit ab, es macht dich kaputt, Liebster.“ Er sah ihr in die verschiedenfarbigen Augen, ohne etwas zu erwidern. Neisas Gabe faszinierte ihn... sie konnte irgendetwas mit ihm machen, das ihn aus der Trance zurück in die Wirklichkeit riss, wenn sie ihn für zu weit weg vom schützenden Ufer der Realität befand... sie sah so etwas. Neisa war Heilerin... seit er mit ihr zusammen war, wusste er die Fähigkeiten der an sich recht pazifistischen Heiler durchaus zu schätzen... da war mehr drin als Wunden heilen. Der Blick, mit dem sie ihn jetzt ansah, gehörte keinesfalls zu einer unschuldigen, blumigen Heilerin, die gerne die Welt retten wollte. Neisa konnte ein berechnendes Miststück sein, wenn sie wollte... eine Tatsache, der er immer noch mit Staunen begegnete.

Ihr Gesicht entspannte sich, sie war beruhigt. Seufzend senkte sie den Kopf und lächelte dann leicht.

„Hast du was gesehen? Haben die Geister dir Antworten gegeben?“ Zoras stöhnte nur leise und fühlte sich ausgelaugt; es wurde immer schlimmer, je öfter er mit den Geistern kommunizierte, um im Schatten nach dem zu suchen, was von Bedeutung war... nach Gründen für das, was sie taten. Und nach Ulan Manha... dem Mistkerl, der irgendwo im All herum gurken musste, dem zu begegnen ihrer aller Schicksal entscheiden konnte. Er machte das jetzt seit drei Tagen mit nur wenigen Pausen, sein Körper war bis an die Schmerzgrenze überarbeitet und sein Geist gereizt und aufgewühlt. Mit einem Grummeln setzte Zoras sich auf das schmale, harte Bett in der Kammer, die er mit Neisa teilte. Sie blieb stehen und wartete auf seine Antwort.

„Nichts.“, murmelte er, „Keine Spur von Manha. Wenn er es auf uns abgesehen hat, ist er falsch, hier ist er nicht... ich frage mich ja, ob die ihr Schiff unsichtbar machen können. Aber Emo ist tot... der kann das nicht machen. Aber wer sagt, dass sie nicht einen Vetter von ihm da haben, der aus demselben Clan stammt?“

„Das wage ich zu bezweifeln.“, sagte Neisa nachdenklich, „Wie auch immer, sie werden sich schon zeigen. Das müssen sie, sie brauchen die Batterie. Und wenn sie die wollen, müssen sie an uns vorbei.“

„Es wäre nur so viel angenehmer für uns, wenn wir nicht erst in dem Moment, in dem sie hier auftauchen und uns die Kehlen rausreißen, wüssten, wo sie stecken... ich gebe nicht auf, diese Hurensöhne schulden mir Antworten, Neisa. Es ist ja nicht nur Manha... ich will wissen, wo der Zweck ist. Der Zweck... der Sieben.“ Neisa schwieg und rührte sich nicht vom Fleck, als er sich zitternd durch die pechschwarzen Haare fuhr. Sie waren wieder gewachsen... seit er nicht mehr König von Ostfann und von Leuten umgeben war, die penibel auf ihre Haarpflege achteten, kümmerte er sich nicht ernsthaft darum, sich die Haare zu schneiden; geschweige denn sämtliche Körperbehaarung zu entfernen, wie es die Leute in Ostfann für heilig gehalten hatten. Himmel, war er sich albern vorgekommen mit aalglatt rasierten Armen und Beinen, ganz zu schweigen vom Intimbereich. Ein Mann ohne Haare war verdammt noch mal kein richtiger Mann. Fertig.

„Hör auf, danach zu suchen.“, flüsterte seine Frau fast unhörbar und er sah sie an, als sie ihn sanft anlächelte. „Die Antwort auf diese Frage kommt... meistens dann, wenn man aufhört, zu suchen. Das hat mein Vater immer gesagt, wenn... er auch so ein Problem hatte. Du weißt, er ist der Herr der Geister, er hatte oft Fragen und wollte unbedingt Antworten. Aber die Geister zum Antworten zu zwingen ist viel kraftaufwendiger und anstrengender als zuzulassen, dass die Antwort von selbst im rechten Moment kommt.“ Er grollte.

„Und wenn sie nicht im rechten Moment kommt, sondern erst, wenn es zu spät ist? Es muss einen Grund geben, wieso wir sieben, Neisa. Wieso zweieinhalb Schwarzmagier, eine Heilerin, eineinhalb Lianerinnen, eineinhalb Zuyyaner und einen halben Nichtmagier. Wenn unsere Aufgabe ist, mit einem verdammten Schiff herum zu fahren und eine Maschine zu suchen, wozu sind wir dann, wer wir sind? Das hätten besser sieben Zuyyaner machen sollen... die sich mit sowas auskennen.“

„Ich weiß, was dich beschäftigt.“, sagte seine Frau, „Etwas zu sehr, Liebster. Gräme dich nicht so... vielleicht gibt es etwas, das wir alle gemeinsam haben.“ Er legte die Stirn in Falten und tat grübelnd.

„Lass mich nachdenken. Oh, ja, richtig, wir sitzen alle auf diesem verdammten Schiff fest.“

„Ich meinte eher etwas spirituelles oder so. Den Instinkt und die Gewissheit, dass wir hier richtig sind... dass wir... zusammengehören. Ich spüre so etwas jedenfalls und ich weiß, dass Karana es auch spürt. Hast du das auch?“ Er hielt verblüfft inne und dachte einen Moment nach.

„Ja.“, stimmte er ihr zu, „Das habe ich auch. Aber das kann doch nicht alles sein? Sieben Leute, die sich durch eine höhere Macht berufen und einander zugehörig fühlen, sind die besten Weltenretter, oder was? Ich begreife es nicht und ich werde es verdammt noch mal noch herausfinden. Und wenn sie vor mir kriechen müssen, die Geister, die das arrangiert haben... verdammt noch mal.“ So fluchte er und erhob sich, ignorierte Neisas besorgten Versuch, ihn aufzuhalten und stampfte aus dem Zimmer. Er war rastlos... das war er schon immer gewesen, er hatte auch das Gefühl, dass er selbst dann, wenn sie das alles überstanden hätte, wenn Scharan erledigt und die Trias gefunden wäre, wenn sie alle eine neue, heile Welt hätten, niemals Ruhe finden würde.

Erst jetzt begann er zu begreifen, wie weit der Tausch reichte, den er mit den Kondorgeistern eingegangen war... was es bedeutete, ihnen seine Seele zu schenken im Tausch für ihre Dienste. Seine Seele würde für immer rastlos sein und ein Teil jener Geister, die er gleichzeitig unterwerfen konnte und die ihn beherrschten.

Dann ist es mein Schicksal. Dann sei es so.

Er wusste nicht genau, wohin er eigentlich ging... ziellos durch die Korridore des immerzu vibrierenden Raumschiffs, das seinerseits auf dem Weg nach Irgendwo war. Wann die Seherin zu ihm stieß, wusste Zoras nicht... plötzlich war sie neben ihm und er stand längst darüber, sich darüber zu erschrecken. Ryanne der Yalla war immer überall und nirgends. Für eine Fannerin sah sie ungewöhnlich aus. Zoras hatte echte Fanner kennengelernt, sie waren dunkelhäutig, schwarzhaarig und dunkeläugig. Die dunkle Haut hatte Ryanne auch, aber sie war strohblond und ihre Augen hatten einen Stich ins Violett, der mehr an Zuyyaner erinnerte... schließlich waren Zuyyaner bekannt für eigentümliche Haar- und Augenfarben. Wie Thira, die grüne Haare und blutrote Augen hatte. Ryanne vom Stamm der Yalla war aber auch insgesamt eher ein ungewöhnliches Exemplar ihrer Art... sie war nicht einfach irgendeine Telepathin, sie war die Seherin, ausgestattet mit der gruseligen, fürchterlichen Macht, Dinge zu wissen, die sonst niemand wissen konnte. Der Preis für diese Macht schien bei den meisten Sehern ihr gesunder Menschenverstand zu sein... Zoras hatte schon von mehreren Sehern gehört, die zwar wahnsinnig begabt in der Magie, dafür aber absolut behindert im Kopf gewesen waren. Bei Ryanne war es vor allem ihr Gedächtnis, das darunter litt. Manchmal hatte sie Anfälle von akuter Amnesie und wusste dann plötzlich nicht mal mehr ihren eigenen Namen. Zoras bemitleidete sie... sich selbst nicht ernsthaft zu kennen war ein bitteres Los.

„Du grübelst.“, stellte sie richtig fest, als sie neben ihm her spazierte, die Arme im Rücken verschränkt und mehr tänzelnd als gehend. Ryanne konnte sich nicht wie ein normaler Mensch bewegen, hatte der Schamane oft das Gefühl. Sie tänzelte immer herum oder unterstrich jede noch so kleine Bewegung mit einer betörend erotischen Nuance... hüstelnd linste er flüchtig auf ihre großen Brüste, die mal wieder nur ganz knapp von ihrer wenigen, schleierartigen Kleidung verdeckt wurden. Verdammt, diese blöde Frau stellte sich echt billig zur Schau... als würde sie absichtlich jeden noch so braven Mann dazu herausfordern, es zu wagen, ihr zu widerstehen. Was bei ihrem Verhalten selbst dem offenbar völlig asexuellen Simu schwer fallen dürfte.

„Ja, darüber, ob du dich nicht mal anständig anziehen kannst.“, brummte er so als Antwort auf ihre Frage und drehte den Kopf von ihr weg, „Was willst du? Mich nerven?“

„Du findest dein Ende im Schatten.“, gluckste sie und er blieb abrupt stehen und starrte sie an. Die blonde Frau wiegte sich debil kichernd hin und her, doch jeder noch so flüchtige Gedanke an ihre erregende Erscheinung war jetzt weg.

„Du weißt, was das bedeutet? Ich habe davon geträumt... die Geister haben es gesagt. Werde... ich sterben, Ryanne?“ Er war sich nicht sicher, ob er die Antwort wollte... er hatte keine Angst vor dem Tod. Aber wer passte nach seinem Tod auf Neisa auf?

Die Seherin zuckte die Achseln.

„Ich sehe nur Schatten. Was kommt, ist die Aufgabe der Sieben, Zoras.“ Sie kam näher und beugte sich etwas herunter (wie fast alle hier war sie größer als er...), sodass ihr Gesicht so dicht an seinem war, dass ihre Nasen einander berührten. Er fuhr entsetzt zurück und die Seherin grinste ihn wissend an. Der Schimmer in ihren violetten Iriden war unheimlich... so weit entfernt und so voller Macht, dass er unwillkürlich schauderte. „Aber letzten Endes seid ihr sieben... Kinder von Göttern, oder? Keine Ahnung, ob ihr sterben könnt. Schätze schon, sonst wäre es ja langweilig.“ Er starrte sie an und wich einen Schritt rückwärts.

„Was... redest du da? Was bedeutet das, wieso Kinder von Göttern?“

„Hab ich das gesagt?“, fragte sie ihn verblüfft und er verengte die Augen.

„Verkauf mich nicht für blöd. Ja, hast du.“

„Hör auf die Stimmen deiner Schattengeister... vielleicht antworten sie dir ja.“, flötete sie und erhob sich, um guter Laune pfeifend davon zu tanzen. Er blieb stehen und starrte ihr nach, kein Stück klüger als vorher.

Was zum Geier meinte sie damit...? Und sie weiß was... diese Hure, die tut doch nur so, als wäre sie dumm.

Das war ausnahmsweise mal etwas, dessen er sich plötzlich sicher war.
 


 


 

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Ich hab gerade im Vorbeilesen beim Titel irgendwas mit Tabari gelesen und dacht so, Häh wat, Tabari, der kommt doch gar nicht vor o_O'... Teh Dummness.

Die rote Welt

Als sie den Karanyi-Nebel erreichten, waren genau wie Thira vorausgesagt hatte zwei Tage vergangen. Es war der Tag, an dem das erste von elf Lichtern im Zeitanzeiger erlosch, den Karana für gewöhnlich wie seinen Augapfel hütete. Chenoa hatte recht behalten... im All vergaß man die Zeit. Die Instinkte arbeiteten nicht so, wie sie sollten, der Sohn des Herrn der Geister hatte das auch schon gemerkt... und er war froh, den Zeitanzeiger zu haben, ein kleines, zylinderförmiges Glas, in dessen Inneren jetzt noch zehn Lichter glimmten; immer nach fünf Tagen würde wieder eines erlöschen... und sobald das letzte gestorben war, mussten sie umkehren und zurück zur Zuyya, um ihre Familien vor dem sicheren Hungertod zu bewahren. Wenn es nicht die Kälte oder die Gletscher wären, die sie töteten, dann wäre es die nicht vorhandene Nahrung.

Oder das feindliche Lager der letzten Imperialisten, die Anhänger des alten zuyyanischen Kaisers, der inzwischen verstorben war.

Karana hatte noch nie so richtig begriffen, wie die Struktur der Zuyyaner aufgebaut war; so, wie er es sah, gab es zwei Gruppen, zum einen die Imperialisten, dem Kaiser treu ergeben, und zum anderen die... ja, wie nannte man sie? Die Opposition? Die Gegner des Imperiums? Wie da wären Chenoa, die Thira unterwiesen und ausgebildet hatte, und alle, die der Kaiser wüst als Verräter beschimpft hatte... wie er es mit Thiras Eltern und Simus Vater getan hatte zu deren Lebzeiten. Karana wusste nicht, ob es noch eine dritte Gruppierung gab, zumindest wüsste er nicht, wem die dann dienen sollte, wenn nicht dem Imperium oder dessen Gegnern. So etwas wie Enthaltungen waren auf Zuyya nicht möglich gewesen... nicht bei der Diktatur des Imperiums, die dort geherrscht hatte. Wer nicht mit dem Imperium kooperierte, wurde verbannt, verfolgt und brutal hingerichtet, für das Reinrassige zuyyanische Volk, das keine Verschmutzungen duldete, ebenso wie der Gott Katari, an den alle Zuyyaner glaubten. Das Ironische an ihrem Monotheismus war, dass sowohl Imperialisten als auch die Gegner von sich behaupteten, in besonderer Gunst Kataris zu stehen und seinen wahren Willen zu verkörpern. Dummerweise schien Katari bisher nie geneigt gewesen zu sein, mal seine Meinung eindeutig kund zu tun...

„Da ist es!“, verkündete Thira, nachdem sie alle Kameraden im Steuerraum versammelt hatte, und zeigte hinaus. Die Schwärze des Himmels hatte sich verflüchtigt in ein kupfernes Rot, das sie umgab; und vor ihnen waren jetzt Dutzende kleiner, roter Planeten aufgetaucht, zwischen denen sie hindurch manövrierten.

„Das ist das Karanyi-System?“, fragte Neisa, „Das sind aber viele Planeten...“

„Und auf welchem davon müssen wir landen?“, fragte Yarek und stieß dabei die Seherin neben sich an, „Sag was, Seherin, du weißt es sicher am besten.“

„Ich mag Totenköpfe, sie sind hübsch und ansehnlich!“, erklärte sie gut gelaunt und hängte sich dabei an Yareks Arm, „Ich will einen für mich ganz alleine, ja!“

„Na toll, die hilft uns nicht weiter.“, stöhnte der Rothaarige und die anderen seufzten.

„Was hast du denn erwartet?“, entgegnete Karana ihm mit einem resignierten Lachen, „Vielleicht weiß Thira es ja selbst?“ Alle Blicke richteten sich auf die Zuyyanerin, die kein Wort sagte und stur geradeaus starrte, während sie steuerte. Sie tat das jetzt seit fünf Tagen ohne Pause... Zuyyaner waren wahrlich verwunderlich. Der Gedanke, dass diese Person tagelang ohne Schlaf, Essen und Trinken auskam, beunruhigte Karana... es machte sie weit weniger schwach als Normalsterbliche es sein sollten.

„Wo sind Totenköpfe bitte hübsch...?“, stöhnte Eneela irgendwo im Hintergrund in Ryannes Richtung, wurde aber ignoriert. Die scheue Lianerin, die Simu einst auf Tharr auf der Straße eingesammelt hatte, sprach selten viel... eigentlich sollten sie es mehr würdigen, wenn sie einmal etwas sagte, befand Karana nachdenklich und schenkte dem Mädchen mit den fast weißen Haaren, der genauso weißen Haut und den blassblauen Augen einen kurzen Blick. Es war Thiras kalte, monotone Stimme, die ihn aus seinen Gedanken riss.

„Der da vorne ist es. Die Seherin hat keinen Blödsinn erzählt, er sieht wirklich etwas aus wie ein Schädel.“

„W-was?!“, rief Neisa und alle starrten hinaus, als die Zuyyanerin das riesige Raumschiff auf einen Planeten zu steuerte, dessen Krater und Erhebungen von weitem tatsächlich das Bild eines menschlichen Schädels erweckten. Karana sah Ryanne verdutzt an und fragte sich, ob sie das gewusst hatte oder ob es Zufall gewesen war... bei der Seherin konnte man sich eigentlich nie sicher sein. Jetzt grinste sie ihn diabolisch aus ihren violetten Augen an und kicherte.

„Aber auf mich hört ja nie jemand. Wir werden den Tod treffen, wenn wir dort sind. Ich habe es gesehen, er wird kommen. Und zwar schon bald.“

„Wir haben jetzt keine Zeit für dein esoterisches Gefasel.“, tat Yarek das ab, „Festhalten, wir durchbrechen gleich die Atmosphäre.“ Wie auf Kommando ergriffen alle Kameraden die an den Seitenwänden des Steuerraums angebrachten Metallgeländer, um sich daran vehement festzuhalten. Karana ließ sich Ryannes Worte über den Tod durch den Kopf gehen und spürte, wie die nervöse Unruhe in seinem Inneren aufbrodelte wie kochendes Wasser; eine Nervosität, die er seit fünf Tagen zu unterdrücken übte, um nicht den Verstand zu verlieren, weil es durchaus genug gab, das ihn sorgen musste...

Ob sie Ulan Manha meint...? Ob er uns längst verfolgt und uns... auf diesem Schädelplaneten abfangen will?

Unruhig fasste er mit einer Hand nach seinem verbundenen Unterarm, an dem das Schmerzmal dumpf pochte, aber keine nennenswerten Qualen verursachte. Dann gab es plötzlich unvorhergesehen einen so mächtigen Ruck, einhergehend mit einem dröhnenden Donnern, das das ganze Schiff erfüllte, dass er fast den Halt verloren hätte und die anderen auch teilweise aufschrien, als sie sich an das Geländer klammerten und teilweise von den Beinen gerissen wurden. Die Tari Randora wackelte und bebte, als sie in die Atmosphäre des Planeten eindrangen und es sich anfühlte, als würden sie immer schneller auf die Oberfläche dieser Welt zu rasen, unaufhaltsam, bis sie daran zerschellen würden.

Thira!“, schrie Karana panisch, „L-lenk doch, Himmel!“

„Halt die Backen, tu ich doch!“, brummte sie verboten gelassen für ihre Situation, und irgendwo schrie Asta vor Angst gellend auf.

„Wir werden alle sterben!“

„Das ist mal gewiss.“, stöhnte Yarek, während sie durch eine rötlich schimmernde Wolkendecke rauschten und in rasender Geschwindigkeit auf den kupferfarbenen Grund zurasten, der darunter lag. Erst kurz vor dem Aufprallen auf der roten Erde bekam Thira das bebende und donnernde Schiff zu fassen und zerrte es mit aller Gewalt, die sie aufbringen konnte, ein Stück nach oben, ehe sie eine Schleife flog und dann – immer noch etwas unsanft – auf dem felsigen Grund aufsetzte. Ein Beben ging durch die Tari Randora und riss einige Kameraden aus der Sicherheit des Geländers. Karana japste, als er die vor Angst weinende Asta durch den Steuerraum kugeln sah, während seine Schwester Neisa sich gerade noch an Zoras' Bein festhalten konnte. Dann ließ das Zittern nach und nach einer kurzen Weile seufzte Thira am Steuer und schaltete die Energiezufuhr ab. Sie waren heil gelandet... es war das erste Mal, seit sie aufgebrochen waren, dass sie gelandet waren.
 

„Ich hoffe, das machen wir so schnell nicht wieder!“, grollte Iana, als sich alle wieder aufgerappelt hatten; offenbar war niemand verletzt, bloß Asta war etwas verstört. Iana fragte sich sowieso, wieso die mitgekommen war. Sie gehörte weder zu den auserwählten Sieben, noch war sie in der Lage, irgendetwas Sinnvolles für die Gruppe zu tun. Iana würde sich nicht beschweren, es war nicht ihr Problem, dass Asta hier war. Solange sie auf sich selbst aufpasste...

„Aussteigen.“, ordnete Thira an, die das Steuer losgelassen hatte und bereits zielstrebig den Steuerraum verließ, „Die Atmosphäre ähnelt der unseren; allerdings ist sie so weit anders, dass wir nicht ewig schutzlos diese Luft atmen können, Höchstens einen halben Tag, dann müssen wir zurück ins Schiff. Das heißt, wir haben einen halben Tag Zeit, um die Auronen zu finden... wer oder was immer sie sein mögen. - Yarek?“ Alle Blicke richteten sich auf den Söldner, der sich eine Kippe ansteckte und aus dem Fenster sah.

„Wir sind hier mitten in einer Felswüste. Bist du sicher, dass die Auronen überhaupt auf dieser Seite des Planeten wohnen?“

„Chenoa hat gesagt, sie kommen, wenn sie sich gerufen fühlen. Mein Großvater hat sie ja bereits getroffen.“ Das ergab Sinn, wenn Iana das auch eher skeptisch betrachtete. Sie sah auch aus dem Fenster in die rötlich-braune Landschaft aus kargen Felsen. Überall waren Felsen... es sah wirklich nicht so aus, als wäre irgendwo auch nur der Hauch eines Lebens.

„Ich würde sagen, wir teilen uns auf.“, schlug Karana achselzuckend vor, der neben Iana trat, „Ein paar sollten bei der Tari Randora bleiben, um Wache zu halten, und ein paar brechen mit Thira auf, um diese Auronen zu suchen.“

„Vielleicht sollten alle sieben zusammen aufbrechen...?“, überlegte Tayson, „Vielleicht wissen die Auronen dann, dass ihr die Richtigen seid, ich meine, sie werden ja nicht jedem, der hier vorbei kommt, erzählen, wo die Trias ist – oder wie immer sie uns sonst weiterhelfen wollen.“

„Und sowas Kluges aus Tay-Tays Mund, hört, hört.“, spottete Zoras, und Simu stöhnte.

„Ja, das brauchen wir jetzt, euer albernes Gefrotzel hier! Wenn alle sieben und Yarek weggehen, bleibt kaum wer hier, das ist zu wenig Schutz für die Tari Randora. Ich bleibe auch hier... falls uns irgendwas angreift, sind Tayson, Ryanne und ich immerhin da.“

„U-und ich!“, meldete sich Asta, und Zoras schnaubte.

„Klar, weil du eine richtige Kämpfernatur bist.“

„Ich... bleibe dann auch lieber hier, je mehr, desto besser...“, warf Eneela leise ein, „Ich... kann immerhin Lians beschwören.“ Iana musterte die Lianerin argwöhnisch. Ja, das konnte sie immerhin besser als sie selbst. Obwohl Iana Halblianerin war, hatte sie noch nie im Leben eine der elementaren Bestien beschwören können... eigentlich konnte sie auch sonst nichts Nennenswertes. Da war sie Mischling zweier Magierrassen und konnte nicht mal ein bisschen zaubern. Sie war schon armselig...

„Einverstanden.“, meldete Yarek, „Simu, Eneela, Tayson, Ryanne und Asta bleiben hier. Alle anderen kommen mit Thira mit. - Behältst du die Zeit im Auge, Thira?“ Sie nickte und ging schon voraus.

„Wir sind allerspätestens in einem halben Tag wieder da – egal, ob wir erfolgreich waren oder nicht.“ So sprach sie und die fünf anderen folgten ihr eilig aus dem Steuerraum und hinaus aus dem Schiff. Als sie schon fast draußen war, hörte Iana noch Ryanne drinnen meckern.

„Na toll, und uns überlassen sie dem Himmelsdonner, während sie weg sind! Ich schaufel mir dann mal mein Grab.“

Es war ein ungutes Gefühl, das die Schwarzhaarige überkam, als sie Karana aus dem Schiff folgte... ob ihnen irgendeine Gefahr drohte, während sie fort waren? Sie konnte es nicht sagen... sie konnte nur sehen, dass es Karana genauso ging wie ihr, als er nervös den Kopf in Richtung einer gigantisch großen Felswand drehte, in deren Nähe sie gelandet waren.

Irgendetwas... ist hier und beobachtet uns. Und es ist nichts, das uns helfen will.
 

„Meint ihr, Ryanne hat das ernst gemeint?“, fragte Iana dumpf, als die kleine Gruppe das Schiff verlassen hatte und Thira durch die rötliche Felswüste folgte. Die Zuyyanerin schien genau zu wissen, wo sie hinging, was sich Karana nicht erklären konnte; hier sah doch alles gleich aus und nirgendwo war ein Zeichen von Bewohnung dieses Planeten. Er verdrängte die seltsamen Fragen über Thiras Orientierungssinn, um sich seiner Gattin zuzuwenden, die neben ihm ging und im Gehen ihr Kurzschwert polierte – ihre allgemeine Lieblingsbeschäftigung, das tat sie immer, wenn es nichts Besseres zu tun gab. Die Waffe war ihr heiliger als ihr eigener Körper, weil sie ein Erbstück ihres verstorbenen Vaters war... und genau wie seine eigene Waffe war sie ein Magiemedium, eine Zauberwaffe.

„Was? Was soll sie ernst gemeint haben?“

„Dass wir sie und die anderen dem Himmelsdonner überlassen. Glaubst du, ihnen passiert was, während wir weg sind?“ Er zuckte mit den Schultern.

„Ich hoffe nicht.“ Iana schnaubte.

„Schön, dass du Nerven zum Hoffen hast, Karana. Das ist reichlich optimistisch. Wir sitzen auf einem verdammten fremden Planeten, der scheinbar unbewohnt ist, über dessen Tücken wir nicht das Geringste wissen, irgendwo müssen diese Auronen sein, von denen wir auch nicht im Ansatz wissen, was sie eigentlich sind, und du hoffst, dass niemandem etwas passiert!“ Er lächelte entschuldigend über ihre grantige Miene.

„Das wird irgendwie schon. Vertrau mir. Meine Instinkte beunruhigen mich auch... aber es ist nicht dieser Planet, der mir Sorgen macht.“

Was ihn mehr besorgte, war Ulan Manha. Der Mann, der Wiedergeburt und Nachfahre des Tyrannen Kelar Lyra war, eines Monsters, das nie wieder in die Welt der Lebenden hätte zurückkehren dürfen. Karana hatte seinen Urgroßvater Kelar natürlich nie gekannt, er war lange vor seiner Geburt gestorben. Aber allein die Schauermärchen seines Vaters über diesen Mann, der seinerzeit einen ganzen Landstrich tyrannisiert und versklavt hatte, um sich zum alleinigen König des Landes zu machen, reichten, um dem jungen Mann einen Schauer über den Rücken zu jagen.

Genau wie die Gewissheit, dass es Teil seiner Aufgabe wäre, diesen Mann für immer zu vernichten. Weil er der Erbe des Lyra-Clans war, der dafür verantwortlich war... und weil in seinen Händen das Erbstück der Familie lag, das Schwert von Mihn, allein zu dem Zweck geschaffen, die Bedrohung aus den Schatten zu zerschmettern.

„Fürchtest du dich?“, neckten ihn die Geister und Karana zischte unwillkürlich, als er den Schmerz in seinem Unterarm dumpf zunehmen spürte; auf eine so geringe Weise, dass es fast nicht aufgefallen wäre, aber er merkte das Ziepen deutlich genug. Iana bemerkte wohl die Veränderung in seinem Gesicht, sie warf ihm einen lauernden Blick zu.

„Karana?“

Es war nicht ihre Stimme, die er hörte, es waren die wispernden, energischen Stimmen der Himmelsgeister. Er fuhr unwillkürlich zusammen und griff nach seinem Arm, als der Schmerz darin aufflammte wie das züngelnde Feuer einer Kochstelle.

„Lauf, Karana... lauf davon und verstecke dich vor den Schatten, bevor sie kommen und dich fressen...“ Und in dem Moment, in dem die Stimmen verstummten, brach unter seinen Füßen die Erde auf, um ihn hinab in die ewige Finsternis zu zerren...

„Karana!“

Er hörte seinen Namen erneut – diesmal war es Iana, die rief, und als er keuchte und die Schatten der Visionen hinter sich ließ, merkte er, dass er wirklich vom Erdboden verschluckt wurde. Genau wie die anderen, weil die felsige Erde sich unter ihnen auftat und mit dröhnendem Krachen auseinander brach. Karana fuhr herum und packte Ianas Hand, die nach seiner angelte, und irgendwo hörte er Neisa schreien und Yarek wutentbrannt fluchen – dann war das Erdbeben genauso plötzlich vorbei, wie es begonnen hatte. Die Kameraden hockten teils halb in Sand und Schutt eingegraben in einem Graben, der entstanden war, aber nur wenige Fuß von der Erdoberfläche entfernt, sodass es nicht schwer würde, wieder heraus zu klettern.

„Was ist passiert?!“, rief Neisa aus dem Schutt heraus, „W-wieso ist die Erde plötzlich aufgebrochen?!“

„Vielleicht können die es uns sagen...“, murrte Zoras, und als Karana seine Schwester darauf erschrocken keuchen hörte, riss er den Kopf alarmiert herum in die Richtung, in die auch Zoras, Yarek, Thira und Iana starrten. Am Rand des Grabens stand eine lange Reihe von sicher fünfzig Lebewesen, die prüfend zu ihnen herab starrten und nicht so aussahen, als wären sie hier, um ihnen zu helfen. Karana fiel in dem Moment des Schocks nur eine Frage ein:

„Wer, zum Geier, ist das?!“
 

Die augenscheinlichen Bewohner des Karanyi-Nebels sahen aus wie eine mannsgroße Mischung aus Fledermäusen und Geiern. Yarek beobachtete die Viecher, die aufrecht und regungslos wie Statuen zu beiden Seiten des Grabens standen, mit wachsamem Argwohn. Sie machten einerseits nicht den Eindruck, als hätten sie vor, die Kameraden, die im Schutt steckten, gleich zu zerreißen und als Abendbrot zu nehmen – war es überhaupt Abend? Das seltsame Licht in dieser roten Welt ließ das nicht erkennen – andererseits wirkten sie auch nicht wie freundliche Nachbarn, die auf einen Tee vorbei gekommen waren.

„Warte.“, hielt Thira ihn auf, als der Rothaarige schon nach seiner Masamune griff, um seines Amtes als Beschützer der Sieben zu walten, „Nicht. Ich glaube, das sind die Auronen... die Wesen, die wir hier treffen sollen.“

Darauf folgte Schweigen und Yarek gehorchte und ließ die Waffe stecken. Einer der Geier am Rand des Grabens bewegte seine Arme und mit einem Beben aus der Erde lösten sich die Schutthaufen um die Kameraden, um sie wieder frei zu lassen, sodass sie sich wieder aufrappeln konnten. Was immer es für eine Art von Zauber war, den die Auronen beherrschten, er manipulierte offenbar die felsige Erde; etwas anderes gab es hier auch irgendwie nicht zu manipulieren, schloss Yarek seine Gedanken, als er wieder auf den Füßen stand und die anderen sich bei ihm und Thira versammelten. Der Geier direkt vor ihnen sprach – oder tat etwas ähnliches, er bewegte seinen Schnabel und stieß Laute aus, die in Yareks Ohren nicht ernsthaft als Sprache durchgingen. Er hatte Zuyyanisch gelernt, die Sprache des blauen Mondes war schon scharf und furchtbar genug gewesen für tharranische Ohren, aber das hier ließ sich Thiras Muttersprache wie ein sanftes Wiegenlied anhören. Er rümpfte die Nase und tauschte einen Blick mit seinen tharranischen Kollegen, die ähnlich verblüfft dreinschauten.

„Redet der oder zischt er uns an?!“, fragte Zoras Derran ergrimmt, „Sag ihnen, wer wir sind, Thira, ich denke, sie sollen uns helfen!“

„Legt eure Waffen weg.“, befahl die Zuyyanerin, die offenbar allen Ernstes verstand, was das Schnarren vor ihnen bedeuten sollte, „Dann werden sie sprechen.“ Um als gutes Beispiel voranzugehen zog sie ihre Kouriha, die kurze, bläulich schimmernde zuyyanische Klinge, und warf sie demonstrativ auf den Felsboden. Die anderen zögerten.

„Meinst du das ernst? Ich fühle mich umzingelt, und dann noch ohne Waffe...“, murrte Iana, und Yarek seufzte.

„Tut, was sie sagt. Sie ist schließlich diejenige hier, auf die es ankommt.“ Mit diesen Worten legte er seine Masamune ebenfalls weg, worauf die Übrigen es ihm mehr oder minder freiwillig gleich taten. Neisa hatte keine Waffe bei sich, aber Karana musste sein Schwert von Mihn ebenfalls zu Boden werfen, genau wie Iana ihr Kurzschwert und die Vielzahl kleiner Knochenmesser, die sie noch als Reserve bei sich trug, und Zoras seine monströse Hellebarde. Sobald alle Waffen auf der Erde lagen, außer Reichweite ihrer Besitzer, schnarrte der Obergeier weiter. Yarek verstand kein Wort und den meisten anderen schien es auch so zu gehen; die Ausnahmen schienen Thira und Karana zu sein, was den Söldner leicht verblüffte.

„Sie sagen irgendetwas von einer Prophezeiung, sie sagen, es hätten sieben kommen sollen, und wir sind nur sechs.“, dolmetschte Puran Lyras Sohn gerade und schien selbst überrascht darüber, dass er durchschaute, was die Geier von sich gaben.

„Wieso kannst du diese Sprache?“, wollte Zoras auch gleich wissen, „Und toll, hätten wir Simu und Eneela etwa doch mitnehmen sollen?!“ Thira brachte ihn mit einer Handbewegung ungeduldig zum Schweigen und sprach zu den Auronen.

„Ich bin Thira Jamali, Erbin von Okothahp, Erbin des Nordreiches! Tochter von Akando Jamali, Enkelin von Honuk, der einst bei euch war und eure Hilfe erkauft hat. Ich bin gekommen, um euer Versprechen einzufordern, uns zu helfen bei der Suche nach der Trias!“ Sie erntete Stille.

„Glaubst du, die verstehen zuyyanisch? Oder was war das, was sie gesagt hat?“, hörte Yarek Zoras beleidigt grummeln, und ihm fiel überrascht auf, dass er gar nicht mitbekommen hatte, dass die grünhaarige Frau jetzt in ihrer Muttersprache gesprochen hatte, statt, wie sonst, wenn sie mit ihren tharranischen Kameraden sprach, die tharranische Einheitssprache zu benutzen. Yarek bezweifelte, dass die Auronen tharranisch oder zuyyanisch beherrschten... Honuk Jamali hatte sicherlich kaum die Zeit gehabt damals, ihnen seine Sprache beizubringen, oder?

Einer der Geier zischte wieder irgendetwas, das definitiv nicht davon zeugte, dass sie Thira ordnungsgemäß verstanden hatten. Verdammt, wie hatte der alte Honuk sich denn mit denen verständigt? Dass Thira das Schnarren mit Hilfe ihrer Reikyu verstand, war schön und gut, nützte aber wenig, wenn die Viecher sie nicht verstanden.

„Kannst du das irgendwie beweisen, dass du die Erbin des Jamali-Clans bist?“, fragte Karana Thira unruhig, „Die Worte scheinen sie nicht zu überzeugen... und das Versprechen, das sie deinem Großvater gaben, gilt eben nur für Angehörige seines Blutes.“

„Was nicht erklärt, wieso du das verstehst, Karana!“, empörte Zoras sich, und der andere Schamane verdrehte die Augen.

„Hör halt genau zu, sieh sie dir an, wenn sie sprechen! Die Geister sagen mir dann, was es heißt.“

„Er hat die Sprachbegabung von Vatis Mutter geerbt.“, erklärte Neisa ihrem Gemahl achselzuckend, „Das war schon immer so, Vati war in Sprachen auch immer unsagbar untalentiert, du kennst ja seinen Dialekt, er kann nicht mal ordentliche Hochsprache.“ Sie unterbrachen ihre Diskussion über Sprachbegabung, als Thira wortlos ihren rechten Arm hob und den Ärmel ihres schwarzen Kleides so weit wie möglich hinauf schob, um ihre nackte Haut zu entblößen. Den Auronen ihren bloßen Arm entgegen haltend sprach sie, auch, wenn es wenig bringen durfte:

„Dies ist das Emblem der Kaiserfamilie von Okothahp, das Emblem des Nordreiches. Ein Brandmal, das nur die Blutserben der Jamalis tragen, das dürfte genug Beweis für meine Abstammung sein.“ Yarek musterte aus der Ferne das Brandzeichen auf Thiras nacktem Oberarm, ein kleines Symbol aus zwei einander umschlingenden Linien, die in ihrer Mitte einen Kreis einfassten. Die alten, mächtigen Familien der Zuyyaner hatten alle ihr eigenes Clansymbol, hatte er bei Chenoa gelernt. Er hatte das von Chenoa auch einst gesehen, das Symbol des Jchrrah-Clans, des Herrscherclans des Südreiches. Sowohl sie als auch Thira gehörten beide zu den ältesten, machtvollsten Familien Zuyyas, sie waren beide die letzten Nachkommen der ehemaligen Kaiserfamilien längst verflossener Zeiten vor dem Imperium.

Und der Grund dafür, dass das Imperium gefallen war.

Die Auronen betrachteten Thiras Clansymbol, ohne ein Geräusch zu machen. Als Yarek schon glaubte, sie wären während ihrer Observation eingeschlafen, bewegte sich der Obergeier und hob einen Arm, worauf irgendwo weiter hinten in der Reihe ein anderer Vogel in Bewegung kam. Die Kameraden beobachteten, wie einer der Geier zum Obervogel kam und ihm eine Pergamentrolle überreichte. Dieser rollte sie mit einem feierlichen Zischen und Schnarren auseinander, um sie dann Thira zu präsentieren, nicht ohne eine anständige Verneigung.

„W-was ist das?“, wollte Neisa wissen, und Yarek streckte sich, um besser auf das Pergament sehen zu können, das Thira überreicht wurde.

„Es sieht aus wie... ein Plan von irgendetwas.“

„Ist ja riesig. Vielleicht eine Wegbeschreibung?“, hoffte Karana mit und streckte sich ebenfalls, „Ich sehe nur Kreise und Punkte.“ Die Kameraden kamen näher und lugten der Zuyyanerin über die Schulter, die mit einem Dank das Pergament entgegen nahm und es ausgiebig betrachtete.

„Was zum Geier ist das?“, fragte Zoras mit gerunzelter Stirn. Thira schwieg einen Moment vehement, dann schien sie es zu erfassen.

„Das ist eine Karte.“, behauptete sie, „Eine Karte mit dem Weg zur Trias, die mein Großvater hier hinterlegt hat.“

„Im Ernst? Kreise und Punkte?“

„Ja, die Punkte geben die Stationen an, die wir passieren müssen auf dem Weg. Hier ist der Karanyi-Nebel. Er hat die Stationen mit altzuyyanischen Runen beschriftet, ich habe die Schrift bei Chenoa gelernt. Die nächste Station ist der Mond Yasar, das ist der Punkt hier unten... es ist ganz einfach zu lesen, wenn man weiß, wie.“

„Der letzte Zusatz dämpft meine Euphorie etwas, in der Tat.“, behauptete Zoras Derran grollend, „Ich verstehe absolut nichts außer Kreise und Punkte.“

Du musst die Karte ja auch nicht lesen können.“, behauptete die Zuyyanerin und schenkte ihm einen monotonen Blick, ehe sie die Karte zusammenrollte und sich an die Auronen wandte. „Habt Dank.“, fuhr sie auf zuyyanisch fort, „Damit ist euer Versprechen gehalten und eure Schuld beglichen.“

Die Geier schienen sie doch zu verstehen – oder sie fassten ihre anschließende Verneigung als Dank auf, jedenfalls erhoben sie sich mit einem Schnarren des Anführers in Scharen in den Himmel und flogen dann davon, die Kameraden im Graben zurück lassend. Yarek sah ihnen im rötlichen Himmel nach und runzelte die Stirn, ehe er sich bückte und seine Masamune wieder aufhob.

„Ich schätze, dann können wir umkehren. Es wird langsam anstrengend, hier zu atmen.“ Da stimmten die anderen ihm geschlossen zu, und Thira steckte sich die erworbene Karte in den Ausschnitt, ohne den blöden Blick Karanas bei dieser Aktion irgendwie zu quittieren, ehe sie ihre Kouriha ebenfalls wieder aufhob und sich anschickte, zurück zur Tari Randora zu gehen. Sie hatten gerade alle den Graben verlassen, als ein markerschütterndes Beben die Erde durchfuhr und sie beinahe von den Beinen geworfen hätte. In Erwartung von etwas Schlimmem griff Zoras sofort wütend seine Hellebarde, aber Yarek hielt ihn am Arm fest, als das Beben verklang und ein grollendes Dröhnen aus der Ferne nach sich zog.

„Das war nicht hier, das war weiter weg.“, meldete er unruhig und Zoras zischte, ehe es verblüffenderweise Neisa war, die Yareks Befürchtungen aussprach, das Gesicht erbleicht und der Blick so entrückt und apathisch, als wäre die Seele der bekloppten Seherin in sie gefahren.

„Das kam von der Tari Randora... den anderen ist irgendwas passiert.“
 

Als sie den Platz erreichten, an dem sie gelandet waren, erwartete sie das pure Chaos. Von der flachen Fläche aus Fels war nichts mehr übrig, stattdessen eröffnete sich vor ihnen ein verwüsteter Krater, als wäre die Erde unter der Tari Randora aufgebrochen und gerade dabei, das Schiff in ihrem Rachen zu verschlingen. Die Tari Randora ragte halb aus dem Schutthaufen und in der Ferne sahen die entgeisterten Kameraden die, die sie hier zurückgelassen hatten, die gegen irgendwelche Eindringlinge zu kämpfen schienen... und zu Karanas Entsetzen waren die Gegner keine Raubtiere oder irgendwelche anderen ominösen Bewohner dieses Planeten, sondern Menschen wie sie selbst.

„Manhas Schakale.“, bestätigte Yarek neben ihm seine Befürchtung, und Karana keuchte und griff unruhig nach dem Schmerzmal an seinem Unterarm, als er nur an den Kerl dachte, der ihnen früher oder später hatte in die Quere kommen müssen... dieser Hurensohn, der sich eine zweite Tari Randora gebaut hatte, eigens zu dem Zweck, sie zu jagen und ihnen den Garaus zu machen, wenn er sie jemals erwischte.

„Fürchtest du dich... vor den Schatten, die dein Schicksal sind, Karana?“

Er ignorierte die Stimmen der Geister zornig und packte das Schwert an seinem Gürtel, während auch die anderen ihre Waffen zogen.

„Bringt sie um.“, ordnete der Sohn des Herrn der Geister grantig an, „Ich sage, keiner von denen kommt lebend hier weg.“ Und ausnahmsweise Mal, so war er sicher, war vermutlich selbst Zoras Derran seiner Meinung, denn sein Schwager hob bereits entrüstet seine Hellebarde und machte keinen Hehl aus der Mordlust, die in ihm hoch kochte.

„Tod und Schatten... für diese Hurensöhne.“
 


 


 


 

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Döööhh Milch Gänse. ich arbeite an den Covern, übrigens, böh... also, in dreitausend Jahrne gibt es vielleicht mal Cover auf denen ein Chara drauf ist! :'D *headshot*

Vorboten der Schatten

„Das ist faszinierend. So etwas Einfaches, da hätte ich ja auch selbst drauf kommen können...“ Yamuru hätte sich getrost darüber ärgern können, dass er es nicht vorher gewusst hatte; im Moment überwog aber eindeutig seine Faszination für Honuk Jamalis Schlüssel zur allmächtigen Maschine Trias... eine Karte, die den Weg zur Trias beschrieb. Das war wirklich faszinierend. Yamuru konnte mit Hilfe seiner Reikyu sehen, wie die Auronen Thira das Pergament überreichten, das ihr Großvater einst hier gelassen hatte, mit dem ausdrücklichen Wunsch, es nur an seine Blutsverwandten abzugeben. Der junge Mann musste ein bisschen über sich selber lachen, als er sich fragte, ob dieser Wunsch nicht ganz leicht zu umgehen gewesen wäre. Thira hatte ihnen bloß das Emblem ihres Clans zeigen müssen. Wie albern, er selbst hätte sich ja getrost das Symbol des Jamali-Clans von irgendwem einbrennen lassen können, um sich selbst als Jamali auszugeben und dann die Karte zu bekommen. Was Thira dann wohl gesagt hätte? Wie sollten die Auronen einen echten Jamali von einem Falschen unterscheiden? Yamuru stammte genau wie Thira von einem der Himmelclans und seine Macht war dadurch mit ihrer mindestens gleichauf; und sowohl ihre als auch seine Familie war eine begnadete Eismagierfamilie gewesen. Thiras eigene Mutter hatte dieselbe Haarfarbe gehabt wie Yamuru, weil sie seine Tante gewesen war, er könnte rein äußerlich also genauso gut ihr Bruder sein...

Vermutlich gab es etwas, das er übersah, denn er hielt den alten Honuk nicht für so dämlich, eine so elementar wichtige Karte auf so einfache Weise hier zu lassen und darauf zu vertrauen, dass schon kein Betrüger daher käme, um sie zu stehlen. In sofern war es vermutlich gut, dass er nicht auf eigene Faust versucht hatte, die Karte zu beschaffen... aber Scharan sollte besser nicht erfahren, dass es so leicht gewesen war für Thira, sie zu erhalten.

„Was treibst du da oben eigentlich?! Hast du was gesehen, Yamuru?!“ Er drehte auf den genervten Ausruf hin den Kopf, um von dem Felsgrat herab zu spähen, auf den er geflogen war, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Und, so musste er sich eingestehen, um dem Geschnatter seiner Wachen zu entkommen, die unterhalb des Grates auf einem Vorsprung standen und ihn grantig beobachteten. Manha traute ihm nicht genug, um ihn alleine losziehen zu lassen, um Thira zu beobachten... dazu hatte er auch alles Recht und gute Gründe, das wusste der Zuyyaner. Und dennoch gingen ihm die Schakale der Bestie gehörig auf die Nerven.

„Ich habe sie gefunden.“, berichtete er den Männern auf dem Vorsprung so mit gespielt besserer Laune als er eigentlich verspürte. Die Aussicht auf eine Karte, die den Weg zum Ziel enthielt, machte ihn euphorisch und gab ihm das Gefühl, seinem eigenen, ganz persönlichen Ziel zum Greifen nahe gekommen zu sein. Wenn sie diese Karte in die Finger bekamen, konnten sie sich viele Scherereien sparen...

„Dann komm runter! Sollen wir hier herum stehen und Tee trinken, während du deine Braut bespannst?!“, meckerte einer der Männer, und Yamuru verdrehte innerlich die Augen. Was die alle von ihm dachten...

Meine Braut, hm? Wenn es so leicht wäre, hätten wir gar keine Probleme.

Er seufzte und schloss kurz die Augen, um sein inzwischen leicht überarbeitetes Reikyu-Auge zu deaktivieren und es sich hinter dem geschlossenen Lid ein wenig ausruhen zu lassen. Er benutzte die Reikyu enorm viel, seit er für Scharan arbeitete... aber er hatte ja keine Wahl, wenn er voran kommen wollte. Da die gute Chenoa nicht mit ihm hatte reden wollen, war es genau genommen ihre Schuld, dass er jetzt hier war. Falls er je nach Zuyya zurückkehren würde, was er nicht vorhatte, dann schwor er sich, Chenoa mal ordentlich die Fresse zu polieren, denn nicht weniger hatte sie verdient. Glück für sie, dass er eine anständige Erziehung genossen hatte, sonst wären ihm noch ganz andere Dinge für sie eingefallen.

Katari, die Frau war über dreißig, das war ja abartig.

Nach einem Moment bequemte Yamuru sich, vom Grat herab zu springen und mit Hilfe seiner Fähigkeit als Zuyyaner, zu fliegen, landete er sanft auf dem Vorsprung bei seinen nervigen Anhängern. Oder eher Manhas Anhängern, die der an ihn abgeschoben hatte. Manha hatte sie in Yamurus Kommando gestellt und ihm gesagt, er könnte mit ihnen tun, was er wollte; hauptsächlich war die Truppe dafür da, das zu beschaffen, was ihnen noch fehlte – die Batterie der Tari Randora. Yamuru erkannte aber durchaus Scharans insgeheime Beobachtung in dieser Kämpfertruppe; diese Gruppe junger Magier war auch deswegen hier, um ihn zu überwachen und zu verhindern, dass er irgendetwas tat, was Scharan nicht passte.

Zu Manhas Pech hatte der Enkel von Kelar Lyra offenbar noch immer nicht ganz begriffen, mit wem er es hier zu tun hatte. Und dass Yamuru selbst fünf Männer zugleich problemlos niederstrecken konnte, wenn er sich bedroht fühlte...

Ach, ich bin eben umgeben von Idioten. Das ist der Preis, wenn man überleben will. Siehst du mir zu, Schwester? Siehst du mich und bist stolz auf mich, weil ich so geduldig mit diesen Hurensöhnen bin? Sei besser stolz auf mich, Ngnhana... ich tue das hier für dich allein.

Die fünf Schakale unter seinem Kommando waren allesamt Schamanen. Wo Manha sie aufgetrieben hatte, wusste der Zuyyaner nicht genau; ob sie schon auf Ghia für ihn gearbeitet hatten oder ob er sie erst auf Zuyya eingesammelt hatte... vermutlich eine Mischung aus beidem. Yatli jedenfalls war schon recht lange da. Kanau auch, fiel ihm ein, als er dem Rothaarigen einen Blick schenkte, der sich generell als Anführer der kleinen Gruppe aufspielte. Dann gab es noch Rok, einen wahnsinnig streitlustigen Telepathen, der zwar nicht unbegabt, dessen Klappe aber definitiv größer als sein Talent war; und es gab Daku, er war auf das Element Boden spezialisiert und sprach nicht viel; der letzte Mitstreiter war Turo, der Heiler. Turo war definitiv noch nicht allzu lange dabei, er war ein chronisch missgelaunter kleiner Kerl, aber Yamuru schätzte ihn auf gewisse Weise, weil er von all den Trotteln der Einzige mit etwas Grips zu sein schien. Ergo der Einzige, der durchaus seine eigene Meinung hatte und nicht blind hechelnd Manhas Befehle durch jede Pore seiner Haut inhalierte.

Die fünf Männer einen Moment gemustert und von allen Seiten grimmige Blicke geerntet räusperte sich der Zuyyaner wichtig.

„Gut, wir sind aus zweierlei Gründen hier, Jungs. Zum einen, die Übergabe des Schlüssels observieren, was meine Aufgabe war. Abgehakt. Zweitens – holt die Batterie. Solange die Hälfte der Spinner da drüben nicht zugegen ist, habt ihr vielleicht gute Chancen, also bewegt eure Ärsche. Von eurem Erfolg hängt etwas ab, wie wir weiter vorgehen.“

„Die Tari Randora ist trotz halbierter Besetzung bewacht.“, erklärte Kanau, „Hast du mit deinem Superauge gesehen, wen sie da gelassen haben?“

„Den Restmüll, der nichts kann.“, zuckte der Zuyyaner mit den Schultern. „Wobei, passt auf Simu auf, er ist ein Wolf im Schafspelz. Sein Vater war oberster General des alten Kaisers, sowas liegt in den Genen.“ Mehr zu sagen beabsichtigte er nicht, so ließ er die erwartungsvollen Blicke der Deppen einen Moment über sich ergehen und machte dann eine wegscheuchende Handbewegung. „Worauf wartet ihr noch, Katari noch mal? Teleportiert euch weg, na los!“

„Vorsicht mit deinem Ton, Zuyyaner.“, warnte Rok ihn, machte sich aber schon bereit, sich und seine Kumpanen zur Tari Randora zu teleportieren, um seiner Aufgabe nachzugehen. Manha hatte ihnen gesagt, sie sollten auf Yamuru hören, wenn er ihnen Befehle gab – sofern sie nicht dem Willen des Meisters widersprachen natürlich. Yamuru war sich sicher, dass sie auch den Befehl hatten, ihn augenblicklich auszuweiden, wenn er es wagen sollte, durchscheinen zu lassen, dass er gegen Manha arbeitete... so weit wollte er es im Moment nicht kommen lassen. Noch war er auf die Scharlatane angewiesen...

Sich von Rok alles gefallen lassen musste er aber nicht. Mit einem herablassenden Grinsen beugte er sich zu dem blonden Telepathen herab und sah mit wachsendem Vergnügen, wie der zusammenfuhr bei der unmittelbaren Konfrontation und mit dem gruseligen Reikyu-Auge direkt vor der Nase.

„Wie war das bitte, Rok? Möchtest du... mir etwas sagen?“ Rok schauderte und wollte offenbar gerade patzig werden, da hielt Kanau einen Arm zwischen sein und Yamurus Gesicht und unterbrach den drohenden Streit.

„Schnauze, Rok, du hast ihn gehört. Solange er uns keinen Grund gibt, ihm zu misstrauen, sind die Seiten klar.“ Der Rothaarige richtete seinen Blick starr auf den Zuyyaner, der sich mit im Rücken verschränkten Armen wie ein strenger Heerführer wieder aufrichtete, um seine braven Soldaten mit einem vor Genugtuung nur so triefenden Grinsen anzusehen. „Du magst Zuyyaner sein... aber ein Gott bist du deshalb noch lange nicht. Rok! Abmarsch!“ Rok gehorchte und mit einem kurzen Blitzen verschwanden alle fünf Männer durch Teleport. Yamuru blieb allein zurück und musste leise lachen, jetzt, wo die Nervensägen weg waren.

„Nein... ich bin viel genialer als ein Gott, Kanau.“
 

Eneela kauerte im Steuerraum am Boden und bekam nur mit einem Ohr mit, wie Tayson, Simu und Asta sich über die Funktionen der Steuerung unterhielten und offenbar versuchten, herauszufinden, wie die Tari Randora wohl gesteuert wurde. Wo die Seherin war, wusste sie nicht, die war irgendwann singend verschwunden und nicht wieder aufgetaucht... das kümmerte niemanden, Ryanne tauchte immer dann wieder auf, wenn man sie sowieso nicht gebrauchen konnte.

Nein, es war gemein, so zu denken, fand die Lianerin und zog unsicher die Knie an, um sie mit ihren zierlichen, bleichen Armen zu umschlingen. Ryanne war zwar seltsam, aber ihre Sehensgabe musste auch für etwas gut sein... aber die dunkelhäutige Seherin mit den blonden Haaren war Eneela immer schon unheimlich gewesen. Ihre Gedanken erschlossen sich ihr nicht, sie war zu komplex für die einstige Sklavin, die kaum mehr kannte als Befehlen zu gehorchen, ohne sich dabei selbst viel zu denken. Und Ryannes Augen sahen so unglaublich viel... sie sahen ihr in die tiefsten Winkel ihrer Seele, und das war es, was Eneela Angst machte.

Sie wollte nicht wissen, was in den Tiefen ihrer Seele schlummerte.

Unruhig dachte sie an ihr Leben als Sklavin in Ulan Manhas Residenz auf Ghia. Sie war dort geboren worden, genau genommen war sie nur produziert worden, um die nächste Generation an Sklaven zu sichern. Sie hatte ihren Vater nie kennengelernt... inzwischen war er bestimmt tot, wenn er das nicht schon lange vorher gewesen war, wie man im Lianerdorf auf Tharr vermutet hatte. Sie, Eneela, hatte ihr Leben lang als Sklavin gelebt, gemeinsam mit ihrer Mutter und vielen Artgenossinnen; in Manhas Haushalt hatte es wenige männliche Lianer gegeben, und mit den wenigen hatte sie kaum Kontakt gehabt. Das alles schien so lange her und ewig weit weg zu sein... wie lange war es eigentlich tatsächlich her, dass sie von Ghia geflohen war? An dem Tag, an dem ihre Mutter für sie gestorben war, um ihr zur Flucht zu verhelfen... an dem Tag, an dem sie der Droge getrotzt hatte, mit der Scharan seine Lianersklaven daran hinderte, die mächtigen, elementaren Bestien zu beschwören. Eneela wusste bis heute nicht, wieso sie damals fähig gewesen war, trotz der Drogen, die sie bekommen hatte, eine Lian zu beschwören. Yolei, die Lian des Wassers... sie hatte sie schon ein paar mal beschworen seitdem. Mit den anderen hatte sie es nie probiert... sie fragte sich, ob sie das vielleicht üben sollte, aber der Gedanke an das Kämpfen machte ihr fast noch mehr Angst als die Seherin. Sie hatte auf Tharr gekämpft, gemeinsam mit den anderen hier... es hatte für ihr Leben gereicht, was sie auf dem Schlachtfeld erlebt hatte. Mit anzusehen, wie Menschen auf grausame Weise getötet wurden, war nichts für sie... und dennoch verfolgten sie die Schlachten, wohin sie auch ging, sie konnte nicht weglaufen...

Sie war eine der Sieben. Ihr Schicksal war es, zu kämpfen. Ob nun mit Waffen oder rein geistig, sie würde immer kämpfen müssen. Bei dem Gedanken, Scharan wieder zu begegnen, schauderte sie unwillkürlich und kauerte sich noch mehr zusammen, ohne auf die anderen zu achten, die lauthals (vor allem Tayson) diskutierten. Scharan... der Sklavenkönig, der Mörder ihrer Mutter. Er hatte so viele getötet... es waren Zahlen, die Eneela nicht mehr begreifen konnte, da war sie sicher. Dieser Mann war ein Monster... ein Schlächter, dem sie mehr als jedem anderen Mann der Welt den Tod wünschte. Dass sie solche Gefühle in sich fand, erschreckte sie... so etwas wie abgrundtiefen Hass, den sie für Ulan Manha empfand.

„Denkst du nicht, es wäre gut, wenn wir die Tari Randora auch fahren könnten? Dann muss Thira nicht alles alleine machen, meine ich...“

„Natürlich, Tayson, aber ob es wirklich produktiv wäre, dich da ran zu lassen...“ Die junge Lianerin hob den Kopf, als das Gespräch wieder an ihre Ohren drang, und plötzlich war sie alarmiert – es war nicht das Gespräch gewesen, das sie aus ihren Gedanken gerissen hatte.

„Seid mal still!“, keuchte sie, und obwohl ihre Stimme kaum Kraft hatte, verstummten tatsächlich sowohl Simu als auch Tayson augenblicklich; vor allem Ersterer fuhr plötzlich japsend zum Fenster des Steuerraums herum und schnappte sein Tsukibo.

„Da kommt jemand!“

Eneela sprang in dem Moment auf die Beine, in dem plötzlich ein gewaltiges Beben die ganze Tari Randora durchfuhr und sie zusammen mit den drei anderen wieder auf den Boden warf. Asta kreischte.

„W-was ist das?!“, schrie Tayson auch, der das rosahaarige Mädchen gerade noch davor bewahrte, gegen die Wand zu knallen und sich zu verletzen, ehe er sich aufrappelte, „S-Simu?!“

„Raus hier!“, kommandierte der Blonde laut und packte Eneela, zerrte sie am Arm auf die Beine und schubste sie mit sanfter Gewalt aus dem Steuerraum, „Das ist kein natürliches Beben! Raus, schnell!“ Es bebte erneut und ein ohrenbetäubendes Krachen folgte, während sich die vier Kameraden japsend durch den Korridor zum Hauptausgang kämpften, wo sie aus dem Schiff stolperten – nicht auf die glatte Fläche, auf der sie gelandet waren, sondern auf eine verwüstete Kraterlandschaft, während die Erde an allen Ecken und Enden dabei zu sein schien, noch weiter auseinander zu brechen. Risse und Gräben bildeten sich, sodass die Kameraden gleich wieder stolperten, als sie Fuß auf das Chaos setzten. Tayson hatte aus seinem Gürtel ein Schwert gezogen und befahl den beiden jungen Frauen, hinter ihm und Simu zu bleiben. Doch Eneela konnte nur erbleichend herum fahren, als das laute Dröhnen direkt hinter ihr ertönte – und sie sah, wie die Tari Randora in einem der entstandenen Gräben versank.

„Simu!“, schrie sie fassungslos, „D-das Schiff, es sinkt ein!“ Der Blonde fuhr herum, um ihrem Fingerzeig zu folgen, und weitete die blauen Augen voller Entsetzen, dann riss ein Schrei von Tayson seine Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Eneela erstarrte in blinder Panik, als sie aus dem Nichts einen gewaltigen Feuerball direkt auf sie zukommen sah.

Feuer. Sie verabscheute Feuer so sehr... das Feuer, das ihre Mutter verbrannt hatte – Manhas Feuer.

„Nein!“, kreischte sie, im selben Moment wurde sie plötzlich zur Seite gerissen und landete unsanft auf dem Boden, irgendetwas warf sich auf sie und schützte sie vor den Funken – der Feuerball erreichte sie nicht. Benommen sah Eneela die Wand aus purem Wasser, die plötzlich vor ihnen aufgetaucht war und an der der Zauber abprallte. Und sie nahm irgendwo am Rande ihres Bewusstseins Simu wahr, der sein Tsukibo keuchend und am ganzen Körper zitternd vor sich ausgestreckt hielt, aus dessen Klinge das Wasser sprudelte, das sie gerade gerettet hatte.

„Alter.“, keuchte Tayson irgendwo, und Eneela hob benommen den Kopf, um festzustellen, dass es Asta war, die sie umgeworfen hatte und jetzt auf ihr lag. „Simu, wie hast du das gemacht?!“

„Schnauze, das sind Scharans Jagdhunde...“, keuchte der Blonde und ließ das Wasser verschwinden, indem er seine Waffe sinken ließ, „Schützt um jeden Preis die Tari Randora, die wollen die vermaledeite Batterie!“ Ein weiteres, lautes Krachen und ein neues Erdbeben riss sie geschlossen von den Beinen und Eneela keuchte, als sie Asta gerade noch packte, die in einen Spalt zu stürzen drohte, der sich plötzlich unter ihnen auftat. Beide Frauen halfen sich gegenseitig auf die Beine und dann war da plötzlich dieser Typ vor ihnen, den sie noch nie gesehen hatte. Blonde Haare und ein überhebliches Grinsen – Eneela weitete die blassen Augen vor Entsetzen, als der Typ sie beide mit einem simplen Ausbreiten seiner Arme daran hinderte, sich zu bewegen. Sie wusste nicht, was er machte, aber es war Magie... Magie, die sie lähmte und an Ort und Stelle festhielt.

Er ist Telepath... das ist Telepathie!

„Du bist also Eneela Kaniy.“, stellte der Blonde grimmig fest, „Das Mädchen, das fliehen konnte. Ich hab irgendwie... mehr erwartet von einer, die der Droge einfach so trotzen kann... du siehst aus wie alle anderen Schlampen eures Volkes.“

„Halt deinen Mund!“, keuchte Asta, während Eneela erbleichte – falls sie das konnte – und der Gegner kicherte.

„Himmel, wer bist du denn bitte? Du gehörst nicht zu den Sieben... was hast du hier verloren? - Eigentlich kann es mir egal sein... jetzt stirbst du jedenfalls.“ Mit diesen Worten riss er eine seiner Hände nach vorne und Eneela sah mit Entsetzen, wie Asta neben ihr zuckte und plötzlich heftig nach Luft schnappte. Er musste ihr irgendwie die Luft aus den Lungen drücken mit seiner Druckwelle – verdammt, wenn sie sich doch bloß bewegen könnte! Simu und Tayson waren, wie sie an wüstem Kampfgeschrei und dem Krachen von Zaubern hörte, selbst beschäftigt, die würden ihnen nicht helfen können – und die anderen waren immer noch nicht zurück...

Lians... Bestien, hört mich an! Ich kann... ich kann mich nicht bewegen, aber... v-vielleicht hört ihr mich trotzdem! Helft mir... bitte! Yolei... hilf mir!

Sie spürte das Rauschen in ihrem Kopf, das sie benommen machte, während Asta neben ihr hustete und gepackt von der Macht der Telepathie zu Boden ging; ihre Lähmung ließ wohl nach, denn sie bewegte die Arme und griff verzweifelt an ihren Hals, panisch mit dem Erstickungstod kämpfend.

„H-hilf mir, Eneela...!“, keuchte sie und die Lianerin spürte die Macht in ihren Händen, die sich mit all ihrer Existenz gegen die Kraft des Telepathen wehrte, der sie immer noch lähmte.

Helft mir...

„Yolei!“, japste die Lianerin und spürte das Wasser, das aus ihren Fingern sprudelte wie zuvor aus Simus Klinge – es war der Moment, in dem der gegnerische Telepath zu ihr herumfuhr und sie fassungslos anstarrte, als seine Macht für einen kurzen Augenblick nachließ. In diesem Augenblick riss Eneela die Hände gegen die Telepathie empor und in die Richtung des Mannes, um aus ihren Händen das Wasser wie eine Springflut schießen zu lassen, die den Kerl traf und um diverse Fuß zurück zu Boden schleuderte. Asta hustete erleichtert am Boden und schnappte keuchend nach Luft; die Lianerin konnte sie nicht beachten, zu heftig war der Rausch in ihrem Kopf, das Geräusch von Wasser, als wäre es kein Blut, das durch ihre Adern floss, sondern pures, kristallklares Wasser, wie das, was sie beschworen hatte. Ihre Hände bebten, als sie sie nach oben schwenkte und dabei das Wasser aus den Augen ließ, das sich jetzt in der Luft sammelte und die Gestalt eines riesigen Fisches annahm. „Bring ihn um... Yolei!“, keuchte sie dann und blendete die Tragweite dieses Befehls kurzzeitig aus – sie konnte sich kein schlechtes Gewissen leisten, wenn sie ihr eigenes Leben und das der anderen schützen wollte.
 

„Eneela!“, japste Tayson, während er rückwärts hechtete und dabei fast über einen Erdbrocken stolperte, der hinter ihm lag. Er entkam nur knapp den magischen Pflanzenranken, die nach ihm angelten und immer wieder versuchten, ihn zu packen, was er bisher dank seines Schwertes hatte verhindern können. Neben ihm versuchte Simu irgendwie, den Kerl mit dem Feuer loszuwerden, der ihn attackierte. „S-sie beschwört ihre Wasser-Lian, Himmel noch mal, hoffentlich kommt sie klar!“

„Scheiße!“, zischte Simu ungehalten und schleuderte seinem Kontrahenten einen weiteren Schwall Wasser aus seinem Tsukibo entgegen, „Ich kann hier nicht weg, wo ist die behinderte Seherin, wenn man sie mal braucht?!“

„Wüsste ich auch gerne!“, entgegnete der Schwarzhaarige grantig und wurde im nächsten Moment von den Ranken gepackt und am Bein in die Luft gezerrt, bis er kopfüber im Himmel baumelte und gerade noch den Reflex besaß, das Schwert festzuhalten. Der Kerl, gegen den er kämpfte, war klein und dunkelhaarig; dass er genau wie die anderen, die sie angriffen, Schamane war, war unverkennbar, offenbar hatte dieser hier ein Faible für Ranken, während Simus Gegner der Feuermagier war – und der Typ, mit dem die Mädchen sich herumschlugen, war Telepath. Es wäre gut, wenn die anderen jetzt mal zurück kämen, dachte der junge Mann sich panisch, als er so in der Luft hing und mit dem Schwert nach der Ranke schlug, die ihn festhielt, aber das wabernde Pflanzending wich ihm aus, als hätte es ein Gehirn.

„Schön oben bleiben.“, befahl der kleine Schamane am Boden grinsend, „Boah, Kanau, wie lange brauchst du für den Kerl da?!“ Offenbar meinte er den Feuermagier, der gegen Simu kämpfte – den Moment der Unaufmerksamkeit nutzt der Blonde gerade, um Tayson zur Hilfe zu kommen, und er schwang seine Waffe blitzschnell in Richtung der Ranken und hackte sie entzwei, worauf Tayson schreiend zu Boden fiel; in dem Moment bebte die Erde erneut und warf alle Beteiligten von den Beinen und in einen Graben, der entstand. Tayson rappelte sich hustend auf die Beine und Simu hielt offenbar nach den Mädchen Ausschau, die aber nirgends zu sehen waren.

„Alter, was macht Daku mit der Erde?!“, meckerte der Pflanzentyp weiter, „Wieso schmeißt der uns mit um-...?!“

„Kannst du mal aufhören, zu meckern, und arbeiten, Yatli?! Danke!“, schnauzte der Feuertyp ihn an, und Tayson und Simu tauschten einen blöden Blick. So ganz einig schienen die sich aber nicht zu sein...

„Wie auch immer, ihr kommt hier nicht lebend raus.“, prophezeite der Halbzuyyaner düster und schwang seine Waffe verblüffend geschickt herum, was offenbar Eindruck schindete, denn die beiden Gegner hielten für einen kurzen Augenblick inne – das gab Tayson und Simu die Zeit, sie synchron anzugreifen.
 

Draußen war ganz schöner Tumult. Ryanne der Yalla hockte in einem schattigen Winkel des Korridors im halb im Geröll versunkenen Schiff und hörte es draußen krachen und wie die anderen nach ihr riefen, damit sie ihnen half. Sie dachte nicht daran, hier war es viel schöner. Hier hatte sie einen Zweck, einen Hauch von Erinnerungen, der ihr ins Gehirn schlich, als sie in fast absoluter Dunkelheit da hockte und die violetten Iriden auf die stählerne Wand vor sich gerichtet, während sie ihr Werk zu vollenden versuchte. Der Geisterwind rauschte durch ihren leergefegten Kopf ohne ernsthafte Erinnerungen; der Wind, der ihr die Sehensgabe brachte, die sie meistens verfluchte. Die Gabe hatte sie anders gemacht... sie war immer anders gewesen, schon als Kind. Wäre ihr Vater nicht Häuptling ihres Geburtsortes gewesen, hätte man sie als Baby bestimmt erdrosselt, denn es hatten nie gute Zeichen über ihrem Leben gestanden. Sie war blond... zuerst hatte man angenommen, ihre Mutter hätte ihren Vater mit einem blonden Mann aus dem Westen betrogen, etwas, was ihr die Todesstrafe eingebracht hätte, wäre ihr Gemahl, Ryannes tatsächlicher Vater, nicht vollkommen überzeugt gewesen von der Unschuld seiner Frau. Was er als Häuptling gesagt hatte, war Gesetz gewesen, und niemand hatte einen Finger an seine Frau legen dürfen, egal, was für Gerüchte kursiert waren. Und ebenso wenig an seine Tochter, obwohl mit jedem Jahr deutlicher geworden war, wie anders sie gewesen war. Ryanne war verblüfft darüber, dass sie sich daran erinnern konnte... daran, dass sie immer anders gewesen war. Nicht nur wegen ihrer blonden Haare, sondern wegen ihrer ausgeprägten, unheimlichen Gabe.

Eine Gabe, um die sie nie gebeten hatte, deren Preis ihr gesunder Menschenverstand war. Ein Tausch, den sie, im Nachhinein betrachtet, nie eingegangen wäre, hätte sie jemals die Wahl gehabt.

„Die Geister lassen uns... aber keine Wahl.“, raunte sie die Wand mit einem schrägen Grinsen an, und sie sah, wie rechts von ihr jemand in der Bewegung inne hielt. Irgendwer war ins Schiff geklettert, sie konnte ihn jetzt trotz der Dunkelheit sehen. Ein Mann, kaum ausgewachsen, nicht sonderlich furchteinflößend, und doch hatte er etwas, was sie mit rasender Eifersucht erfüllte...

Er hatte einen Verstand.

Das ist der Typ. Der Mann, der nicht hier sein dürfte.

„Scheiße, hier ist ja noch jemand!“, platzte der Kerl heraus und wich zurück, um defensiv seine Hände zu heben. Ryanne schenkte ihm ein betörendes Lächeln und spürte seine Nervosität ob ihrer Mimik beachtlich steigen. So reagierten die meisten Männer auf sie... sie mochte es, wenn sie so reagierten, so beugte sie sich etwas in seine Richtung und beobachtete mit Genugtuung, wie er ihr auf die Brüste starrte und augenblicklich noch nervöser wurde.

„Ah, du bist Heiler...“, erkannte sie dann an der Haltung seiner unbewaffneten Hände. Heiler brauchten keine Waffen, um sich zu wehren... wenn sie gut waren. „Hast wohl nicht damit gerechnet, mich hier zu treffen, Turo?“

„Woher kennst du meinen-... ach, verdammte Dreckscheiße. Du bist die Seherin.“

„Die bin ich wohl.“, sagte die Blonde amüsiert und legte den Kopf schief, dabei kokett ihre Position ändernd, worauf er noch heftiger reagierte, weil sie dabei wie zufällig die Beine spreizte, als wollte sie ihm die Einladung ins Gesicht schmeißen. „Und du bist hier, während deine Kameraden da draußen unsere Leute ablenken, um die Batterie zu klauen. Ich würde sagen, deine Aufgabe... scheitert. Komm zu mir. Dann zeige ich dir was Schönes.“

„Kein Bedarf...“, hustete der junge Mann etwas verstört und schien fieberhaft zu überlegen, wie er sie am besten ausschalten oder sich an ihr vorbei aalen könnte. Sie hatte ja gewusst, es wäre richtig, wenn sie hier blieb. Ryanne kicherte und rückte sich ein Stück nach hinten, zurück in den Schatten.

„Wer sagt denn, dass ich von Sex rede?“, fragte sie, „Bist du etwa noch Jungfrau? So, wie du reagierst...“ Sie sah stirnrunzelnd auf seine Hose, die seine Gedanken so offensichtlich machte, dass sie definitiv keine telepathischen Fähigkeiten brauchte, um sie zu kennen.

„Halt die Schnauze, ich bring dich um und dann hat es sich.“ Ryanne gackerte, weil er ihr drohte und sich trotzdem nicht vom Fleck rührte. Er war kein Idiot, er wusste, dass sich blindlings auf sie zu stürzen vermutlich eher nach hinten los ging, hatte aber wiederum auch keinen Schimmer, was er sonst tun könnte. Heiler hatten den Nachteil, dass sie Nahkämpfer waren. Um seine Methoden anzuwenden, müsste er direkt an sie heran, und Ryanne als Telepathin konnte das mit Hilfe von Barrieren oder Teleport vehement verhindern; was es insgesamt ziemlich schwierig machte, als Heiler gegen einen Telepathen zu kämpfen.

„Vielleicht lasse ich dich ja vorbei, wenn du es mir besorgst.“, grinste sie ihn an, worauf er errötete, „Du scheinst es ja echt nötig zu haben.“

„Sagt die Frau, die es sich von einem Feind besorgen lassen und danach ihre Kameraden verraten will. Was für ein Spiel spielst du hier, Seherin?“

„Ich habe meine Erinnerungen aufgemalt.“, sagte sie und hob eine Hand, in der sie den Feuerzauber Vaira erscheinen ließ, um den Korridor zu erhellen. Im Licht der magischen Flamme sah man seine Erregung noch deutlicher und sie verkniff sich ein Lachen, um strahlend die Wand neben sich zu beleuchten. „Ist das nicht wunderbar?“ Turo, der kleine Heiler, starrte auf die jetzt beleuchtete Wand.

„Ich sehe Punkte, Striche und Kreise. Und einen Penis...“ Er hüstelte und sie grinste, als sie sich aufrappelte und etwas von der Wand wegtrat.

„Ja, ich mag Penisse. Jedenfalls, wenn sie hart sind. Sie machen einem Freude.“ Er sparte sich einen Kommentar. „Sieh es aus Distanz, alle Bilder zusammen ergeben ein weiteres Bild. Siehst du es?“

„Gezeiten, es ist ein Schädel...“, keuchte der Mann und wich unsicher einen Schritt zurück, als sie freudestrahlend in die Hände klatschte, dabei die Flamme ignorierend, die zwischen ihren Händen aus geklatscht wurde und wieder anging, sobald sie ihre Hände wieder voneinander entfernte.

„Das ist die Bestimmung der Götter. Das ist meine Bestimmung. Ich habe noch mehr gemalt, du bist auch dabei.“

„Ich?!“, fragte er entsetzt und kam wieder näher, aber immer in einem sicheren Abstand zu ihr. Als er die Zeichnungen sah, auf die sie zeigte, erbleichte er. Ryanne mochte es, wenn die Menschen bleich wurden. Sie konnte das Entsetzen förmlich riechen, es drang ihm aus allen Poren, es steigerte seine Panik und auf bizarre Weise auch seine Erregung, was sie ungeheuer faszinierte. Sie bekam langsam Lust, wirklich mit ihm zu schlafen – ach, sie vermisste Yarek.

„Das... bin ich? Wieso hab ich keinen Kopf?“

„Weil du tot bist.“, erklärte sie ihm lächelnd. „Weil ich ihn dir wegnehme.“ Er verhärtete sein Gesicht und straffte grantig die Schultern.

„Also, noch lebe ich. Wie kannst du meinen Tod in deine Erinnerungen malen, wenn er doch noch in der Zukunft liegt? Sterben werde ich garantiert, aber nicht hier und jetzt.“

„Meine Erinnerungen funktionieren so.“, grinste sie zufrieden. „Weil ich keine habe. Ich kann nur die Zukunft sehen. Also ist die Zukunft... meine Erinnerung, oder? Ich habe meine Affinität zu Schädeln entdeckt. Ich glaube, ich behalte deinen und setze ihn mir auf, als Kopfschmuck. Vielleicht bekomme ich dann deinen Verstand, was meinst du?“

„D-du bist ja absolut wahnsinnig!“, keuchte er und wich wieder zurück, als Ryanne die Hand in seine Richtung streckte, „B-bleib mir vom Leib!“

Es war ein ohrenbetäubendes Krachen von draußen, das sie unterbrach und Ryanne aufsehen ließ; Turo nutzte den Moment, um davon zu rennen, aber sie beachtete ihn nicht weiter, weil sie draußen unverkennbar die Stimme des Seelenfängers hören konnte.

„Ihr dreckigen Hurensöhne, ich zerfleische eure Seelen und mache sie zu Staub und Asche, lasst euch ja nie wieder hier blicken!“

Ah, dachte die blonde Seherin sich fröhlich und hockte sich wieder auf den Boden, um weiter auf die Wand zu malen. Dann ist ja alles geklärt für heute.
 

Die Gegner hatten sich verpisst. Karana runzelte besorgt die Stirn, als sie weg waren – sie mussten sich teleportiert haben, jedenfalls waren sie von einem Moment auf den anderen weg gewesen, sobald er mit den anderen dazu gestoßen war. Dabei hatten sie kaum etwas gemacht... vermutlich hatte allein Zoras' wutentbrannte Erscheinung sie schon zu Tode geängstigt, was der junge Mann den Feinden kaum verübeln konnte – er warf einen unschlüssigen Blick auf seinen Schwager, der immer noch erfüllt von unausgelebten Aggressionen mit seiner Waffe eine gewaltige Schneise in die bröckelige Erde schlug, was absolut unnötig war. Er hatte sich schon öfter gefragt, wann genau Zoras eigentlich dermaßen den Verstand verloren hatte, jedenfalls war er schon als Kind so unberechenbar und aggressiv gewesen. Und seit sie aufgebrochen waren, war es noch schlimmer geworden... er war unruhig, aber Karana war das auch und warf trotzdem nicht mit Landschaft um sich.

„Zoras, reg dich ab, sie sind weg.“, versuchte er es genervt, und ihn anzusprechen war wohl ein Fehler gewesen, denn der Zwerg fuhr zu ihm herum und bedrohte jetzt ihn mit seiner Waffe – es war weniger die messerscharfe Klinge kurz vor seinem Hals, die Karana besorgte, als der Blick in Zoras' Gesicht, aus dem eine ungesunde Mischung aus Hysterie und Wahnsinn sprach. Was hatte dieser Typ gesehen in den Gegnern, das ihn so dermaßen aus der Fassung brachte?

„Sie kommen zurück...“, prophezeite der Schwarzhaarige gerade düster und die Tonlage, in der er sprach, war so entrückt, dass Karana unwillkürlich schauderte, dabei vor Zoras und seiner Hellebarde zurückweichend. „Scharans Hofhunde... die Vorboten der Schatten.“

Es war Neisa, die ihren Mann mit ungewöhnlicher Intensität am Arm packte und ihn zwang, die Waffe sinken zu lassen. Sie sprach mit Zoras, obwohl ihr Blick auf ihrem Bruder klebte... und er war kaum weniger entrückt als der ihres durchgedrehten Gemahls.

„Komm zurück, Zoras.“, befahl sie ihrem Mann ruhig und doch zugleich befehlend, und Karana blinzelte, als der Kleinere tatsächlich die Waffe sinken ließ und die Schultern straffte, dabei aber die Angriffsposition aufgebend. „Das reicht. Karana gehört zu uns.“ Karana blinzelte – dann sprach Zoras, der sich unsanft aus Neisas Griff befreite, ihr einen kurzen Blick schenkte und dann allen den Rücken kehrte:

„Weißt du das mit Gewissheit?“

Er schien keine Antwort zu erwarten, und Karana schnaubte. Was zum Geier, natürlich gehörte er zu ihnen! Sie waren beide Teil der Sieben, genau wie Neisa, Iana, Simu, Eneela und Thira! Was auch immer gerade mit Zoras los war, es war besorgniserregend.

„Na toll!“, wurden sie von Tayson unterbrochen, worauf alle ihre unschönen Gedanken vergaßen und sich ihm zu wandten – er zeigte auf die Tari Randora, die halb im Geröll eingegraben war und nicht so aussah, als könnten sie jetzt mit ihr starten. „Was machen wir jetzt, wie kriegen wir sie da raus?!“

„Und wo ist Ryanne? Ist sie da drin?“, fragte Yarek, der sich eine Zigarette zwischen die Lippen schob.

„Die bekloppte Seherin schert mich gerade einen Dreck, das Schiff!“, rief erstaunlicherweise ausgerechnet Simu völlig in Rage, der mit seinem Tsukibo herum fuchtelte und damit fast wirkte, als wäre er genau wie Zoras verrückt geworden. „Wie sollen wir denn so weiter kommen?“

„Für einen Zuyyaner bist du aber ausgesprochen emotional.“, sagte Karana zu seinem Bruder, der die blauen Augen verdrehte.

Halbzuyyaner, Karana.“ Er hatte gerade ausgesprochen, als die Erde erneut bebte und alle geschlossen zusammenfuhren. „W-was, schon wieder...?!“, keuchte der Blonde, als Karana schon alarmiert sein Schwert packte; dann sah er die Ranken, die aus dem Geröllhaufen kamen wie die Tentakel eines riesigen Oktopus, die das Schiff umschlangen. Doch als Karana schon panisch dachte, dieser merkwürdige Pflanzenzauber würde die Tari Randora zerquetschen oder gar in die Tiefe ziehen, bewegte sich der Geröllhaufen, und stattdessen wurde die Tari Randora langsam nach oben geschoben.

„Was ist denn das?!“, fragte Tayson irgendwo, aber niemand schien eine Antwort zu haben – bis auf Asta, die plötzlich aufschrie.

Eneela?!“ Jetzt fuhren alle zu ihr und der kleinen Lianerin herum, die die Arme vor sich ausgestreckt hatte, die Augen starr auf das Schiff gerichtet und vor Anstrengung am ganzen Körper zitternd. Moment... was genau tat sie da?

„Du... beschwörst eine Lian?!“, fragte Iana da auch schon, die neben Karana auftauchte und wie er zu Eneela starrte, „Die... Lian der Erde, Urak!“ Karana blinzelte und sah wieder auf das von Ranken umschlungene Schiff, dass jetzt wieder an der Erdoberfläche war und zur Seite geschoben wurden, ehe die Ranken es los ließen, sobald es auf solidem Boden stand, um sich wieder in das Loch zurückzuziehen, in dem gerade noch die Tari Randora gelegen hatte. Das war die Bestie der Erde? Karana hatte irgendwie immer geglaubt, die sechs elementaren Bestien der Lianer wären Tiere – dass eine davon eine Pflanze war, hatte er gar nicht einkalkuliert. Aber augenscheinlich hatte diese Pflanze gerade die Tari Randora gerettet...

Am Eingang tauchte jetzt auch Ryanne auf, die den anderen empört winkte.

„Was macht ihr denn mit dem Schiff?!“, fragte sie, „Ich dachte schon, es fährt alleine los! Wollten wir hier picknicken oder geht es jetzt weiter?!“ Karana starrte sie an und wurde wiederum von Eneela abgelenkt, die jetzt keuchend zu Boden stolperte, als sie die Lian zurückgerufen hatte. Er hatte sie zum ersten Mal diese Lian beschwören sehen... vermutlich hatte es sie ziemlich angestrengt, er konnte es ihr nicht verübeln. Es war Simu, der ohne weitere Aufforderungen seitens der anderen zu ihr eilte und sie kommentarlos hochhob, um sie zur Tari Randora zu tragen. Darauf folgten ihm auch alle anderen, um den Weg fortzusetzen, jetzt, wo sie die Karte mit dem Weg zur Trias und ihr Schiff wieder hatten.
 


 


 


 

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Döööh! Und schon das nächste, na überrascht?! >:D *rumhampel* Und ein kapiteltitel mt 'Schatten' drin für die Sammlung :D

Rufe aus der Finsternis

Eneela brannte. Das Feuer war überall, sie wusste genau, dass sie nicht fliehen konnte, und dennoch wuchs in ihrem Inneren die Panik, eine Todesangst, die sie nicht zu bändigen vermochte. Und sie schrie und schlug um sich, versuchte, die Flammen von ihrem Leib fern zu halten, doch durch das Knistern des tödlichen Feuers hindurch hörte sie das kehlige Lachen von Ulan Manha, dem Sklavenkönig. Sie sah seine dämonische Fratze mit den spitzen Eckzähnen – die, die Karana auch hatte, weil er genau wie Manha von demselben Mann abstammte, vom Tyrannen Kelar Lyra.

„Hast du gedacht, du könntest mir davonlaufen, Eneela Kaniy?“, hörte sie seine schnarrende Stimme und wimmerte verzweifelt, während das Feuer sie lebendig verbrannte und die Panik in ihrem Inneren sie so sehr blendete, dass sie glaubte, sie stürbe allein an ihr und gar nicht an den Flammen. Hast du geglaubt, du würdest leben, weil du die einzige Sklavin bist, die mir jemals davonlaufen konnte? Deine Mutter wird sich nicht noch mal für dich opfern können, wenn ich dich erwische... und dann Gnade dir Vater Himmel, du elendige Würmerbrut.“

Sie schrie – und in dem Moment, in dem sie glaubte, sie würde in den Flammen sterben und an ihrer eigenen Panik ersticken, spürte sie das Wasser, das sie einhüllte und das Feuer vertrieb... das Wasser, das alles fort spülte.

Die Flammen und Manha, ihre Vergangenheit auf Ghia... und die Schuldgefühle wegen ihrer Mutter, die sie zum Sterben zurückgelassen hatte.

Als sie aufwachte, weinte sie. Sie wusste nicht, wo sie war, bis sie das sanfte Vibrieren wahrnahm, das ihr signalisierte, dass sie auf der Tari Randora waren. Und sie flogen wieder... dann hatten sie den Karanyi-Nebel also verlassen. Eneela lag auf dem unbequemen, bettartigen Gestell in der kleinen Kammer, die sie hier auf der Tari Randora bewohnte, aber sie konnte sich nicht erinnern, sich hingelegt zu haben. Das einzige, woran sie sich erinnerte, war das Feuer aus ihrem Traum... und Ulan Manhas schäbiges lachen.

„Shh... beruhige dich, Eneela. Du bist in Sicherheit, niemand wird dir hier was tun.“ Als sie die vertraute Stimme hörte, drehte sie verwirrt den Kopf und erblickte Simu, der neben dem Bett am Boden hockte, gegen die stählerne Wand gelehnt, und am Stab seiner Waffe herum pulte. Jetzt unterbrach er seine Beschäftigung, um ihr ins Gesicht zu sehen. Eneela rappelte sich umgehend auf, bis sie saß und die Wolldecke, mit der sie zugedeckt gewesen war, von ihrem Körper rutschte. Das junge Mädchen verbeugte sich hastig.

„E-entschuldigt, Herr, ich – ich mache doch nur Ärger! Es tut mir leid...“ Sie hörte ihn stöhnen.

„Hör endlich auf, mich im Plural anzusprechen, ich dachte, inzwischen hättest du es dir abgewöhnt. Ich bin nicht dein Herr und du bist hier keine Sklavin mehr, Eneela. Also hör auf, dich wie eine zu benehmen.“ Sie errötete, in gebeugter Haltung bleibend, weil sein Tadel sie beschämte. Obwohl sie wusste, dass er recht hatte... es fiel ihr immer noch schwer. Es war vermutlich etwa ein Jahr her, dass sie Simu zum ersten Mal begegnet war. Und dennoch verspürte sie ihm gegenüber eine so tiefe Dankbarkeit und Verpflichtung, dass sie, die sie als Sklavin geboren und aufgewachsen war, einfach nicht anders konnte, als so mit ihm zu sprechen. Es kostete sie viel Mühe, sich das abzugewöhnen... dabei sollte man meinen, dass es doch leicht sein müsste. Aber dieser Mann hatte ihr mehrmals das Leben gerettet, und nicht nur rein wörtlich; er war für sie da gewesen, immer, wenn es ihr schlecht gegangen war. Auch jetzt war er hier, völlig selbstverständlich, als wäre er nur für diesen Zweck geboren worden, ihr Kindermädchen zu sein. Sie schämte sich dafür, so unnütz zu sein... sie wollte stark sein. Sie wollte ihm einen Grund geben, stolz zu sein, ihm zeigen, dass er sie nicht bemuttern musste, dass sie auf sich selbst aufpassen konnte, damit er nicht länger ihretwegen Mühe hatte.

Aber sie konnte es ja nicht...

„Wir... fliegen wieder.“, sagte sie leise, um das leidige Thema zu wechseln, immer noch ohne ihn anzusehen, und er machte ein zustimmendes Geräusch.

„Schon eine Weile. Du warst ziemlich fertig, nachdem du zweimal eine Lian beschworen hast, deshalb hab ich dich hergebracht. Fühlst du dich besser? Tut mir leid, wenn ich dir auf die Nerven gehe, ich... hatte einfach das Bedürfnis, hier zu sitzen, bis du aufwachst.“ Jetzt konnte sie nicht anders, als ihn anzustarren. Was sagte er da? Er war ihretwegen die ganze Zeit hier geblieben?

„D-das... das... nicht doch...!“, wimmerte sie verzweifelt, und Simu stand auf, stellte seine seltsame Waffe auf den Boden und schenkte ihr einen energischen Blick.

„So, pass mal auf. Noch einmal so ein unterwürfiges Gequatsche, Eneela, und ich rede nie wieder mit dir. Ich helfe dir gerne, wenn ich kann, weil ich dich gern habe, nicht, weil ich erwarte, dass du mir dafür Respekt oder gar Loyalität zollst, verstanden? Bekomm das in deinen Kopf, Mädel.“ Sie keuchte, als seine blauen Augen sie streng fixierten – Moment mal, was dachte der sich denn, wenn er sie mit so einer Autorität in der Stimme zurecht wies, fiel es ihr doch nur noch schwerer...

Sie widerstand tapfer der Versuchung, sich wieder zu verbeugen, weil sie ihn nicht ärgern wollte. Zögerlich nickte sie scheu, ehe sie sich vom Bett erhob.

„Tut mir leid. Ich... arbeite daran, ich verspreche es! Ich versuche es ja, es... fällt mir schwer... Simu.“ Entgegen seiner eben noch so autoritären Haltung, die ihr absolut deutlich vor Augen geführt hatte, dass er mit Haut und Haar der Sohn eines Generals war – und der Adoptivsohn eines mächtigen Politikers, der es gewohnt war, das Sagen zu haben – lächelte er sie jetzt wieder nachsichtig an.

„Ich weiß. Ich bin ja auch geduldig mit dir. Aber diese Unterwürfigkeit macht mich krank... es fühlt sich... falsch an, wenn Leute vor mir auf den Knien liegen, ich komme mir dann vor wie... ein Sklaventreiber. Und der Gedanke, dass du in mir nur... einen zweiten Scharan siehst, stößt mir ziemlich übel auf, ehrlich gesagt... findest du, ich bin ihm ähnlich?“ Sie erbleichte.

„Was?! N-nein!“ Seine ganzen Worte verwirrten sie extrem. Natürlich sah sie nicht Scharan in ihm... wie könnte sie? „W-was... soll ich denn in dir sehen?“, fragte sie unbeholfen, im selben Moment kam ihr noch, dass die Frage irgendwie echt blöd kam. Simu musste darüber auch schmunzeln.

„Ich weiß nicht.“, zuckte er leichtfertig mit den Schultern, „Vielleicht... einen Freund? Von mir aus auch einen Mistkerl, der dir dauernd auf die Nerven geht, das wäre mir lieber als ein Sklaventreiber.“ Er feixte, als sie errötend weg sah – ach, Himmel, es war gemein, wenn er auf ihre Kosten scherzte. Obwohl sie beide wussten, dass er es nicht böse meinte... und er würde wissen, dass sie es auch wusste, sonst hätte er es nicht gesagt.

Er nahm seine Waffe wieder und drehte sich zur Tür der Kammer.

„Gehen wir zu den anderen? Sie schauen sich schon Thiras Karte an und besprechen, wie es weitergehen soll. Vielleicht wäre es gut, wenn wir dazu stießen, jetzt, wo es dir besser geht.“ Sie nickte zögernd, strich ihre Kleider glatt und wischte sich über die Augen, um die Reste der Tränen zu verstecken. Sie wollte nicht immer die Heulsuse sein. Sie wollte stark sein... für diese Menschen, mit denen sie hier war, die zu ihr hielten und sich um sie kümmerten. Für die Sieben, zu denen sie gehörte... und vor allem für Simu, der ihr so sehr ans Herz gewachsen war.

Als sie gerade zu ihm und der Tür gehen wollte, hielt er noch mal inne und sah sie kurz an, ehe er wiederum lächelte.

„Ich hab noch gar nicht gesagt... wie tapfer du warst da draußen, Eneela. Du hast zum ersten Mal eine andere Lian als Yolei beschworen... und du hast das Schiff gerettet. Ich bin kein geübter Redner, ich weiß nicht... was man in so einem Fall sagt, wenn man jemanden loben will, ohne dabei wie ein Vater oder Lehrer zu klingen. Ich... glaube, ich spare mir die Worte, du... weißt ja, was ich meine.“ Und sie starrte ihn an, als er ihr den Rücken kehrte und endlich die Kammer verließ, und war so tief gerührt von seinen Worten, dass sie erneut gegen die Tränen kämpfen musste.
 

Die ganze Mannschaft hatte sich im Steuerraum versammelt, während Thira ihren Job als Steuermann wieder aufgenommen hatte und sie durch die pechschwarze Finsternis des Alls manövrierte. Neben ihr ausgebreitet lag die Karte, die sie bekommen hatte, über die sich quasi alle anderen gleichzeitig beugten und versuchten, sie zu entziffern; was ihnen nicht gelang, weil sie kein zuyyanisch konnten. Und erst recht keine altzuyyanischen Runen, mit denen die Karte beschriftet war. Yarek, der etwas Abstand von dem Haufen hielt, konnte das Altzuyyanische nur sehr spärlich lesen, sein Talent darin ging gegen Null; diese Schrift richtig lesen zu können erforderte ein intensives Studium, das Jahre dauerte, wenn man nicht gerade über so ein fotografisches Gedächtnis wie Chenoa verfügte – oder Thira, wie es aussah, denn sie konnte es tatsächlich problemlos lesen, dabei hatte Chenoa sie die alte Schrift nur wenige Monde lang in Suyuhhr gelehrt. Yarek war schleierhaft, wieso Honuk Jamali die Karte, die zur Trias führte, in einer Schrift bezeichnet hatte, die zu seinen Lebzeiten schon seit Ewigkeiten altertümlich und unbrauchbar gewesen war. Nur emsige Gelehrte konnten sie lesen, in reichen, pompösen Familien auf Zuyya war es Sitte gewesen, aus purer Muße diese Schrift zu lernen, da man als Adeliger ja gebildet sein musste und damit angeben können wollte, was man alles konnte und wusste. Manche der alten Clans definierten sich allein durch solche Traditionen und ließen schon ihre jüngsten Sprösslinge im zartesten Alter diese ätzend langweiligen Runen lesen und gar schreiben lernen, was für die aktuelle Welt absolut sinnfrei war, denn kein Mensch benutzte diese Schrift mehr. Vielleicht war Honuk Jamali langweilig gewesen und er hatte sich gedacht, wenn er schon, wie vermutlich alle Adeligen in seiner Generation, als Kind jahrelang unter Qualen der Nerven all seine Freizeit mit dem Studium dieser verblödeten Schrift hatte verbringen müssen, da musste sie doch auch mal benutzt werden, so rein aus Prinzip. Vielleicht hatte er aber auch gedacht, dass so gewährleistet wäre, dass auch ja kein Amateur mit dieser Karte je etwas anfangen könnte. Die Zahl der Hochadeligen auf Zuyya war relativ klein, dementsprechend also auch die Zahl derer, die diese verdammte Schrift konnten. Yarek hatte sie von Chenoa nur teilweise beigebracht bekommen und war kläglich gescheitert.

„Ich verstehe die Karte nicht.“, sagte Tayson gerade, der mit den anderen über dem Stück Pergament hing, in dem Moment, in dem Yarek auch Simu und Eneela zu ihnen stoßen sah. Er nickte beiden verhalten zu und erntete von Simu ein Nicken zurück, von der Lianerin kam ein scheuer Blick.

„Das ist kein Wunder, bei deinem Intellekt, Tay-Tay.“, schnarrte Zoras dann, und als nächstes folgte ein Schwall übler Beschimpfungen von Tayson, was dazu führte, dass Zoras noch giftiger zurück schoss, bis Karana die beiden genervt auseinander schubste.

„Hört ihr mal auf, wie soll man sich denn so konzentrieren?! Himmel, euer Gefrotzel ist echt kindisch, und ich meine euch alle beide!“

„Sieh es ihm nach, er ist eben noch klein.“, sagte Tayson zynisch, und Zoras schien es nicht in den Kram zu passen, schon wieder wegen seiner nicht vorhandenen Körpergröße gepiesackt zu werden, er verschränkte wütend die Arme vor der Brust und schnaubte.

„Sieh es ihm nach, Karana, er hat eben kein Gehirn.“

„Schon klar, du bist frustriert, Zoras.“, spottete Tayson weiter, „Verstehe ich, wenn man als Kind verprügelt und wie eine Frau vergewaltigt wurde, kriegt man Komplexe und muss es an anderen auslassen, dass man so ungerecht behandelt wurde.“

„Tayson!“, schrie Neisa jetzt dazwischen, offenkundig nicht amüsiert, und Yarek verdrehte die Augen – wie weit unter die Gürtellinie wollten sie denn noch sinken?

„Als Mann, der mit dem Penis denkt, beziehst du natürlich alles immer nur auf sowas.“, konterte Zoras nicht wirklich niveauvoller, und Tayson brummte:

„Immerhin hab ich einen, dessen Größe man noch messen kann.“

„Du bist ja nur neidisch, weil du keine Frau hast, um dein hochgelobtes Gerät auch zu benutzen.“

„Als nächstes kommt noch Es kommt nicht auf die Größe, sondern den Inhalt an, oder was?“, gab Iana irgendwo von sich, ohne irgendwen anzusehen, völlig vertieft in die Karte, und Yarek war geneigt, darüber zu grinsen; wenigstens eine hier, die nicht den Verstand verlor.

„Ich fürchte, der Inhalt ist in diesem Fall nicht ernsthaft unterschiedlich.“, sagte selbst Thira am Steuer, und Karana warf stöhnend die Hände in die Luft.

„Verdammt, Zoras, Tayson, seid ihr jetzt fertig oder wollt ihr rausgehen und eure Schwänze messen?! - Wir haben hier wichtiges zu besprechen und ihr... zickt euch wegen Penissen an?! Himmel, Neisa, hau mit ihnen ab und macht 'nen Dreier, dann ist hier vielleicht mal Ruhe.“ Neisa errötete und Iana lenkte jetzt die Aufmerksamkeit zurück auf die Karte.

„Wie funktioniert die, Thira? Ich sehe nur viele Kreise ineinander, und auf jeder Kreislinie befinden sich an offenbar willkürlichen Orten irgendwelche... Dinger. Wie finden wir denn damit den Weg zur Trias? Zeigt sie an, wo was ist?“

„Nein.“, antwortete die Zuyyanerin, und augenblicklich schienen alle niveaulosen Streitigkeiten vergessen und alle sahen sie an.

„Was dann?“, wollte Karana wissen und kratzte unruhig an dem Verband um seinen Unterarm, der das Fluchmal verbarg. Yarek fragte sich, ob es wohl schmerzte... und ob das bedeutete, dass Scharan irgendetwas plante.

„Sie zeigt die Stationen an, die wir passieren oder besuchen müssen auf dem Weg. Man verfolgt alle diese, wie Iana sie nannte, Dinger der Reihe nach, dabei ergibt sich auf der Karte ein spiralförmiger Weg, der sich immer weiter zur Mitte hin bewegt. Und da ist dann die Trias. Die nächste Station ist der Mond Yasar.“ Sie deutete mit dem Finger auf zwei kleine Kugeln auf der Karte. „Dort müssen wir landen und uns mit Proviant eindecken. Dafür haben wir genau drei Tage, keinen Tag länger.“

„So lange?“, fragte Karana unwirsch, „Von fünfundfünfzig Tagen verschwenden wir ganze drei auf einem Mond, um Essen zu sammeln?“

„Ohne Essen sterben wir, da bringt es auch nichts, wenn wir nach dreißig Tagen bei der Trias wären.“, antwortete Thira, was definitiv wahr war. „Außerdem vergeht die Zeit im All anders als auf einem Planeten. Sie läuft langsamer; das bedeutet, drei Tage auf einem Planeten sind allerhöchstens einer im All, den wir verlieren. Und diese fünfundfünfzig Tage sind nach der Zeit im All bemessen.“ Das war neu; Yarek hatte keine Ahnung davon, ihm blieb nichts anderes übrig, als Thiras Worten blind Glauben zu schenken, ebenso mussten es die anderen tun, die einander jetzt kurz ansahen.

„Was ist mit Scharan?“, mischte der Söldner sich dann ruhig ein, worauf ihn die meisten ansahen. „Das waren vermutlich seine Leute, die uns angegriffen haben, oder? Was waren das für Typen, Simu? Ihr habt sie ja miterlebt.“ Er selbst hatte keine ernsthafte Gelegenheit bekommen, sich die Feinde anzusehen, weil Zoras aus heiterem Himmel zum Berserker geworden war und sie alle mit einem Schwung seiner Hellebarde davon gefegt hatte; dieser Kerl war echt unberechenbar. Und augenscheinlich aus irgendeinem Grund wahnsinnig aufgewühlt seit der Konfrontation mit Scharans Lakaien. Keiner schien zu wissen, was eigentlich mit ihm los war, außer Neisa, die als Einzige nicht mit Sorge in den Augen zu ihrem Mann sah, wenn der mal wieder eine unwillkürliche, heftige Bewegung machte, als hätte er nervöse Zuckungen. Yarek hatte bereits weise beschlossen, sich da rauszuhalten; vermutlich hatte es mit den Visionen zu tun, die die Schamanen eben oft hatten, mit der Kommunikation mit den Geistern. Dass das einen Magier ziemlich einnehmen und verrückt machen konnte, wusste er aus diversen Quellen, auch, wenn Zoras Derran da wirklich ein extremes Beispiel zu sein schien.

Simu antwortete jetzt.

„Sie waren Schamanen. Drei habe ich definitiv gesehen, einen weiteren, als Zoras sie zum Himmelsdonner gejagt hat. Einer ist Telepath; er wird sich und seine Kumpanen rechtzeitig wegteleportiert haben, dass sie noch leben, steht außer Frage, schätze ich. Einer kämpft mit Feuer, der andere nannte ihn Kanau. Und der andere, der mit Pflanzen kämpft, wurde Yatli gerufen... dann haben sie noch einen Namen erwähnt, Daku. Der muss Erdmagier sein und irgendwie die Erde aufbrechen gelassen haben... das war wohl der, der später dazu stieß.“

„Irrtum.“, sagte Ryanne, worauf alle sie ansahen, und sie grinste amüsiert, während sie kokett das Standbein wechselte. „Daku Cobar ist Erdmagier, das stimmt, aber gesehen hast du ihn nicht, er war weiter weg und hat die Erdmagie aus Distanz angewandt. Der vierte, den du gesehen hast, war Heiler, sein Name ist Turo Ankti. Ich hab ihn gesehen, er war bei mir und wollte die Batterie klauen.“ Simu weitete die Augen.

„Der war im Schiff?!“, keuchte er, „W-wie...?!“

„Na ja, es war offenbar der Plan, euch alle mit den anderen Trotteln abzulenken, sodass der Letzte unbemerkt ins Schiff schleichen konnte. Ihr wart in einem Graben, den Daku gemacht hat, und konntet die Tari Randora von dort aus nicht mehr sehen, oder? Asta war halb tot und Eneela stand mit dem Rücken zum Schiff.“ Das leuchtete ein – Yarek war ehrlich erstaunt darüber, dass sie so beisammen war, das alles einfach so zu wissen, obwohl sie nichts davon mit eigenen Augen gesehen hatte – schließlich war sie die ganze Zeit im Schiff geblieben.

„Du kennst die vollen Namen der Typen, Seherin?“, fragte Karana, „Was ist mit den anderen? Kanau, Yatli und... wie heißt denn der Telepath?“

„Rok Wirake.“, meldete Ryanne grinsend. „Kanau stammt von den Nomae ab; einem Clan, dessen Name bereits deinem Vater und seinen Kollegen auf Zuyya über den Weg gelaufen ist. Erinnert ihr euch daran, dass König Puran Lyra uns erzählte, die Baupläne der Tari Randora seien gestohlen worden... und dabei hätte jemand die Wachen des Palastes mit einem Lavazauber kalt gemacht? - Haha, kalt gemacht, was für ein Wortwitz. Das war er... der vom Clan der Nomae stammt.“

„Du wusstest das?“, keuchte Zoras ungehalten und schüttelte unruhig seine Hände, die wie Espenlaub zu zittern begonnen hatten.

Jetzt weiß ich es, ja.“, strahlte sie ihn an und Zoras zischte – Iana mischte sich jetzt ein, um den drohenden Streit zu verhindern.

„Wie kann es angehen, dass sie uns so schnell gefunden haben? Oder wussten sie, dass wir zum Karanyi-Nebel müssen?“

„Sie werden uns gefolgt sein.“, sagte Karana zu seiner Frau, „Nicht sonderlich schwer.“

„Doch, nämlich wenn man bedenkt, dass wir sie nicht gesehen haben. Wenn wir für sie in Sichtweite waren, während sie uns folgten – wieso haben wir sie nicht gesehen, obwohl wir Ausschau gehalten haben?“ Darauf erntete sie eisernes Schweigen, selbst Karana schienen jetzt die Worte zu fehlen. Yarek zog in aller Ruhe an seiner Kippe und dachte einen Moment darüber nach.

„Wenn Henac Emo nicht tot wäre, würde ich auf Schattenzauber tippen, der gut unsichtbar machen kann...“, murmelte er, „Wenn sie nicht zufällig noch einen Schattenmagier haben, tippe ich mal auf zuyyanische Magie. Die kann ziemlich viel in dieser Richtung... nicht wahr, Thira?“

Alle Blicke wanderten auf die Zuyyanerin, die eisern nach vorn starrte und lange nichts sagte. Dann sprach Zoras, der dabei angewidert die Lippen schürzte.

„Dieser Typ. Yamuru. Der ist bei ihnen, daran hätte ich denken sollen.“

Was?!“, schnaubte Karana, „Moment mal, welcher Typ?! Wer ist denn Yamuru?“

„Er behauptet, Thiras Vetter zu sein.“, sagte sein Schwager grollend, „Ich bin ihm... bei Fanns Untergang begegnet. Und an dem Tag, an dem ich Manha und Emo mit genau diesem Typen in den Bergen gesehen habe.“ Er sah zu Thira. „Wusste Chenoa nicht davon?“ Die Grünhaarige schwieg wieder eisern – es dauerte etwas, bis sie antwortete.

„Yamuru Mirrhtyi...“, murmelte sie düster, „Ich fürchte, das erklärt so manches.“

„Was meinst du damit?“, fragte Zoras sie giftig und Yarek bekam das Gefühl, der kleine Geisterjäger wäre kurz davor, vor Wut zu explodieren. Karana schien das auch aufzufallen, er machte stirnrunzelnd einen Schritt rückwärts und musterte seinen Schwager skeptisch.

„Himmel, Zoras, beherrsch mal deine Aura, die tötet Mikroorganismen in der Luft...“ Zoras kam zum Glück nicht dazu, ihm zu antworten – das wäre sicher böse ausgegangen – weil Thira jetzt sprach.

„Dass sie irgendwen da haben, der Ahnung hat, war mir klar. Da ich jetzt weiß, um wen genau es sich handelt, erklärt das durchaus, wieso sie uns sehen konnten. - Iana hat es etwas falsch dargelegt. Das Ungewöhnliche ist nicht, dass wir sie nicht sehen konnten, sondern dass sie uns sehen konnten. Mit Hilfe der Reikyu bin ich fähig, unsere Anwesenheit zu verbergen; das kostet zwar eine Menge Kraftreserven, aber im Moment geht es noch. Dass irgendwer bei ihnen, der offenbar ein überaus begabter Nutzer der Reikyu ist, bei ihnen dieselbe Technik benutzt, steht wohl außer Frage. Dass sie uns trotzdem sehen konnten, selbst nachdem ich den Schutzmechanismus aktiviert hatte, liegt an diesem Mann, von dem Zoras gesprochen hat.“

„Dann ist er echt dein Cousin?“, fragte Neisa jetzt.

„Das ist er in der Tat und das macht ihn für uns ziemlich gefährlich; weil es bedeutet, wir sind vom selben Blut. Vom Blut der Himmelclans.“ Iana runzelte die Stirn.

„Dann ist sein Blut wohl besser als deines, oder was?“ Thira seufzte.

„Nein. Aber er ist älter als ich und... ich weiß nicht genau, was es ist, aber ich habe in meinen Träumen gesehen, dass seine Sehfähigkeiten eine ziemliche Seltenheit sind. Er ist ein außergewöhnlich guter Seher... woran das liegt, wird sich vielleicht noch zeigen.“ Sie erntete Schweigen und Yarek zog noch einmal in Ruhe an seiner Zigarette. Dann sprach Tayson.

„Was sind diese Himmelclans? Davon... redest du manchmal, Thira. Was bedeutet das eigentlich?“ Alle sahen ihn an, aber nur kurz, um dann die Blicke wieder auf die Zuyyanerin zu richten. Yarek zog eine Braue hoch; nicht wegen der Frage, eher darüber, dass sie erst jetzt kam. Wie, die ganzen Spinner hatten keine Ahnung von zuyyanischer Geschichte und jetzt kam ihnen mal, dass es vielleicht gut wäre, das zu hinterfragen?

Weil Thira etwas zögerte, seufzte er und machte selbst den Anfang.

„Der Ursprung der vier Himmelclans führt weit zurück in der zuyyanischen Geschichte. Wisst ihr, Zuyya war nicht immer ein einziges Imperium. Früher – lange, lange vor der tharranischen Zeitrechnung – war der große Kontinent der Zuyya in vier Reiche eingeteilt. Es gab ein Reich für jede Himmelsrichtung. Das Südreich Yamxieh, das Ostreich Ngrrchah, das Westreich Ngurrha und das Nordreich Okothahp.“ Er machte hier eine Kunstpause, weil er jetzt einen erleuchteten Aufschrei erwartete – als der ausblieb, verdrehte er die Augen. „Okothahp. Den Namen habt ihr schon mal gehört. Es ist der Name der Provinz, die Thiras Familie gehörte. Nun, diese Provinz war alles, was zuletzt im Imperium von dem einst großen Nordreich übrig war... das heißt, Thiras Familienmitglieder, die Jamalis, sind die direkten Nachfahren der damaligen Herrscherfamilie des Nordreiches.“ Das schien jetzt zu fruchten, denn alle weiteten die Augen, sahen einander, Thira und Yarek verdutzt an und sagten dennoch nichts. Yarek war insgeheim stolz auf sich, Chenoas Lektionen in Geschickte noch so gut zu kennen; er hoffte, Thira würde ihn korrigieren, wenn er etwas falsches erzählte. „Dementsprechend hatte natürlich jedes der vier Reiche damals einen Herrscherclan. Diese vier Familien, deren Nachkommen bis heute noch leben, nennt man auf Zuyya die vier Himmelclans. Man sagt ihnen besondere, magische Macht nach, die Himmelclans selbst bezeichnen sich oftmals als direkte Nachfahren des Gottes Katari, aber sowas ist ja immer schwer zu beweisen.“

„Als die vier Reiche untergingen, entstand das Imperium.“, fuhr Thira ungebeten fort, während sie geradeaus starrte und steuerte. „Seitdem wurden die vier Familien gefürchtet, geächtet, verfolgt und ausgerottet, so gut es ging; da heute immer noch welche übrig sind, waren die Imperialisten da nie so ganz erfolgreich, schätze ich. Alle Angehörigen der Himmelclans sind grundsätzlich Gegner des Imperiums. Ihre einst großen Reiche wurden zu vier winzigen Provinzen des Imperiums zusammengeschrumpft und was immer die Imperialisten sonst so gemacht haben in den vergangenen Jahrhunderten, es wurde vehement dafür gesorgt, dass die Himmelclans keine Macht mehr erlangten und keinen Einfluss bekamen. Man fürchtete... die Macht, die sie verkörperten. Nicht nur elementare Zauber, es geht vor allem um den Umgang mit der Reikyu. Chenoa, die weise Seherin, die alles sieht und weiß, ist die letzte Nachfahrin des Südclans von Yamxieh. Ich bin die letzte Erbin des Nordclans... und Yamuru Mirrhtyi, der Sohn des Bruders meiner Mutter, stammt aus dem Westclan. Soweit ich weiß, kann außer ihm auch kaum noch jemand von den Mirrhtyis übrig sein... wie es um den Ostclan bestellt ist, weiß ich gar nicht.“ An dieser Stelle sah Yarek sie von der Seite kurz nachdenklich die Stirn runzeln, kommentierte das aber nicht weiter.

„Dann ist die Tatsache, dass dieser Typ vom selben Kaliber wie Chenoa und Thira gegen uns arbeitet, ziemlich ungünstig.“, drückte Karana die Sache dann ziemlich milde aus, worauf Zoras plötzlich wutentbrannt zischte, die Fäuste ballte und in Richtung Tür stampfte.

„Für mich ist die Sache geklärt.“, grollte er, „Sie werden uns weiter folgen, wenn sie die Batterie wollen – also seid auf der Hut, sie werden es auch sein.“ Mehr sagte er nicht, dann verließ er den Steuerraum und ließ die anderen verblüfft über seine ungewöhnliche Aggression zurück. Seine Frau folgte ihm mit einer gemurmelten Entschuldigung zu ihren Kameraden; als die beiden weg waren, hatte Yarek plötzlich das Gefühl, besser atmen zu können. Was immer es war, das Zoras so dermaßen aufregte, es nahm ihn so absolut ein, dass es sich auf alle anderen auch auswirkte... wenn selbst er als Nichtmagier das merkte, war es in der Tat bedrohlich. Die unschönen Gedanken zunächst verdrängend starrte der Söldner schweigend aus dem Fenster des Steuerraums in die endlose Schwärze des Alls, das sie durchquerten... auf der Suche nach einem Ort, den niemand von ihnen zu kennen schien, zu dem sie bloß ein altes Pergament mit diesen ätzenden zuyyanischen Runen führen sollte.
 

Zoras hörte Neisas Stimme, die seinen Namen rief. Er ignorierte sie, stattdessen rannte er schneller, weg vom Steuerraum, weg von den anderen – er wollte verdammt noch mal Abstand, er wollte seine Ruhe.

„Lass mich allein, Neisa!“, fuhr er seine Frau an, als sie ihn noch einmal rief, und in seinem Inneren rauschte das Blut vor Aufregung, und mit jedem Schritt wurde es schlimmer. Die Geisterstimmen wisperten in seinem Kopf und machten ihn wahnsinnig mit ihrem Geflüster über Tod und Schatten.

„Wovor läufst du weg?“, fragten sie ihn energisch, „Vor deiner eigenen Frau?“

„Oder vor deiner... Unfähigkeit?“, kicherte eine zweite Stimme in seinem Kopf, „Tod und Schatten... sind euch allen gewiss, Zoras Derran, Herr der Todesvögel. Das Ende... im Abgrund der Finsternis. Suchst du bereits danach, hm?“

„Haltet die Schnauze, wenigstens für einen verdammten Moment!“, brüllte er und griff sich im Rennen hysterisch keuchend an den Kopf, „Verpisst euch, na los! Ich... bin Herr über euch! Ihr solltet... vor mir kriechen, wenn ich es sage, oder nicht?!“

„Sollten wir das?“, neckten ihn die Geister vehement, „Fall in die Finsternis, Zoras Derran... hinab in die Schatten, in die du gehörst... du weißt es seit du klein bist, nicht wahr? Immerzu... waren die Schatten in dir.“ Er erstarrte und hielt inne, als er das hörte. „Immerzu... waren sie bei dir und sie sind es immer noch. Das schwarze Loch... deiner Seele sind sie, und sie fressen dich auf. Stück für Stück... weil sie Aasfresser sind. Denen du... deine Seele verkauft hast. Ist das nicht witzig?“

Das Gekicher entfernte sich und verstummte schließlich ganz, als Zoras strauchelte, ergriffen von einem plötzlichen, üblen Schwindelgefühl, als wäre mit den Geisterstimmen auch all sein Gleichgewichtssinn verschwunden.

Er wusste nicht mehr, wo er war. Er stand in irgendeinem verlassenen Korridor der Tari Randora. Um ihn herum nichts als der leere Metallgang, unter seinen Füßen die leichte Vibration des Schiffes, das sich bewegte. Er wusste nicht mehr, wie lange er hier war, weder wusste er, wie er hergekommen war, noch, wieso, noch, wohin er eigentlich wollte. Alles, was in seinem Kopf zurückblieb, waren Schatten... und die nackte Panik, die die Bilder der Visionen in ihm herauf beschworen, wieder und wieder. Visionen von Schatten... und vom Ende. Und von seiner Frau, die zu beschützen er nicht so fähig war, wie er geglaubt hatte. Er fühlte sich gejagt von den bizarren Bildern von Ulan Manha und seinen Schergen, die sie gerade auf diesem felsigen Planeten noch davon gescheucht hatten, und wieder und wieder hörte er die Prophezeiung der Geister in seinem Kopf, in einer Endlosschleife schien sie sich ewig zu wiederholen, bis er daran verrückt wurde.

„Suchst du dein Schicksal? Weißt du, was dich erwartet? Ein Ende im Angesicht der Schatten... Zoras Derran, Erbe der Chimalis'. Fall in den Schatten... für immer.“

„Nein!“, brüllte er wütend und wirbelte herum in dem Augenblick, in dem er spürte, wie ihn jemand am Handgelenk packte. Er stierte herab auf die Person, die zu ihm gekommen war, obwohl er sie gebeten hatte, ihn allein zu lassen, und seine Augen brannten – sein ganzer Körper brannte, sein Geist brannte, erfüllt von einem schwarz züngelnden Feuer der Finsternis, das ihn zu ersticken drohte... bis Neisas Griff um sein Handgelenk so energisch und schmerzhaft wurde, dass er unwillkürlich aufkeuchte. Ihre verschiedenen Augen fixierten ihn mit einer Bestimmtheit und Ruhe, die er nicht kannte, und sie machte ihm gleichzeitig Panik und beruhigte ihn dennoch.

„Lass... los.“, sagte sie dumpf zu ihm, ohne den Blick jemals von seinen Augen abzuwenden, und er starrte sie an, wie sie vor ihm stand, die einzige Person auf dem Schiff, die kleiner war als er, und sie hatte dennoch eine Autorität in ihrer Stimme, ihrem Anblick, ihrem ganzen Dasein, die ihn innerlich schwanken ließ. Ihm war schwindelig und er taumelte einen Schritt rückwärts, während sie ihn immer noch schmerzhaft festhielt. „Sieh mich an, Zoras.“, sagte sie mit dieser Nuance in der Stimme, die ihm automatisch einen Schauer über den Rücken jagte. „Lass sie los. Die Geister... sie stellen dich auf die Probe. Gib nicht nach, sieh mich an. Lass sie los, du treibst... schon wieder ab. Sieh mich an, Zoras Derran... mein Liebster.“

Die Worte rührten etwas in ihm. Diesen alten, vergrabenen Instinkt in seinem Geist, der sich schon seit so vielen Jahren zu dieser Frau hingezogen gefühlt hatte... dieser Instinkt, den sie auch besaß und der dafür gesorgt hatte, dass sie dasselbe für ihn empfand. Ihre Seelen waren unzertrennlich miteinander verbunden, und in solchen Momenten, wenn er diese Verbindung spürte, hatte er mitunter das Gefühl, um ihn herum würde sich die Welt auflösen.

Zurück bleiben würden nur er und Neisa... im Schatten der Finsternis seines Geistes.

Er atmete tief ein und aus und zwang sich, ihrem Befehl zu gehorchen, zwang die Geister und Schatten zurück in sein Innerstes, um den Boden unter seinen Füßen wieder zu finden. Das Blut rauschte in seinem Kopf als unangenehme Nachwehen der Trance, in der er sich befand, wenn er so mit den Geistern sprach. Für die Gabe des Sehens ohne Augen, des Hörens ohne Ohren und des Rufens zahlten sie als Geisterjäger alle einen hohen Preis... die Geister verschenkten ihre mächtigsten Gaben nicht an Menschen, die nicht fähig waren, die Nebenwirkungen zu ertragen.

Als der Rausch sich langsam wieder zurückzog und eine gähnende Leere in Zoras' Kopf hinterließ, keuchte er und starrte auf seine Frau, die vor ihm stand und ihn jetzt vorsichtig losließ, offenbar sicher, dass er jetzt wieder bei sich war.

„Du bist hier...“, murmelte er, „Ich hatte gesagt, lass mich.“

„Wie soll ich dich lassen, wenn du alleine über die Klippe springst und nicht mehr hinauf kommst?“, fragte sie zurück. „Du driftest zu weit weg im Rausch der Trance, Zoras... wenn ich dich nicht wieder zurück befehle, wirst du eines Tages... im reißenden Fluss der Geisterwelt verschwinden. Schwimm dagegen an... damit sie dich nicht in die Tiefe reißen.“ Er betrachtete sie einen Moment und war noch immer aufgewühlt durch den vorangegangenen Rausch, so kehrte er ihr schnaubend den Rücken.

„Was weißt du denn?“, murrte er. „Du bist Heilerin. Heiler können das nicht in dem Ausmaß, in dem es Geisterjäger tun.“

„Wohl wahr...“, sagte sie und trat näher an ihn heran, er spürte, wie sie sich von hinten sanft gegen ihn drückte und wie ihre schlanken Arme auf seine Brust nach vorne glitten. Ihre Berührungen elektrisierten ihn und ließen ihn unwillkürlich zusammenfahren. „Aber ich sehe... dich in meinen Träumen, Liebster. Du darfst nicht zu weit abtreiben... und du neigst dazu, eben das zu tun. Die Geister... verführen uns und wollen, dass wir abtreiben. Dass wir in die Finsternis fallen... wenn du zu viel Finsternis in dich hinein strömen lässt, ertrinkst du darin und endest wie mein Bruder.“

Diese Worte gaben ihm zu denken Er versteifte sich in ihrer Umarmung und ballte verkrampft die Fäuste.

„Karana macht im Moment einen ganz zivilisierten Eindruck.“

„Ja, im Moment... weil er die Kraft gefunden hat, dem Dämon zu widerstehen, der in seiner Seele lebt und sich von Schatten ernährt.“ Zoras schwieg. Wer wusste nur, wie lange das anhielt? Wie lange würde Karana fähig sein, dem bösartigen Monster in seinem Geist Einhalt zu gebieten, wenn Scharan mit seinem Bannmal dafür sorgte, dass er es wieder frei ließ? Diese Gedanken machten ihm Sorgen... er hatte davon geträumt. Der Dämon in Karanas Inneren war eine Gefahr für sie alle... und insbesondere für die arme Neisa. Der Schwarzhaarige schwor sich verbiestert, seinen Schwager zur Not auch zu erschlagen, wenn es keine andere Lösung gab, seine Frau vor ihrem wahnsinnigen Bruder zu schützen...

„Kannst du das denn?“, stichelten die Geister, und er blieb ihnen die Antwort schuldig.

„Bevor wir aufbrachen, sagte Chenoa, der Schatten würde an uns allen ziehen. Und um zu verhindern, dass wir fallen... müssen wir uns ein Licht suchen, an das wir uns klammern können, Liebster.“ Zoras hörte Neisa sprechen und antwortete nicht, als ihre Hände auf seinem Oberkörper auf und ab wanderten, am Ende weiter hinab zum Bund seiner Hose. „Also lass... sie los, wenn du spürst, dass sie an dir ziehen. Ich bin hier... ich bin dein Licht, Zoras.“ Er musste jetzt verhalten lachen.

„Ah...“, machte er dumpf, ehe er sich zu ihr umdrehte, sie an den Schultern fasste und gegen die nächste Wand drückte, um sich über sie zu beugen und mit den Lippen kurz vor ihren inne zu halten. „Und wenn du... auch ausgehst? Was mache ich dann?“

Zu seiner Überraschung lächelte sie ihn an.

„Dann machst du gar nichts... dann bin ich ein Schatten. Und dann ziehe ich dich hinab... und du wirst dich nicht wehren wollen, weil du mich willst.“

Das gesagt küsste sie ihn verlangend auf die Lippen.
 

„Glaubst du, dass Götter existieren, Iana?“

Die junge Frau hob den Kopf, während sie gelangweilt auf dem Bett saß, das sie mit Karana teilte. Er selbst lag zu ihren Füßen auf demselben Bett und drehte in seiner Hand den Zeitanzeiger – das merkwürdige Objekt, das Chenoa ihnen mitgegeben hatte, damit sie nicht vergaßen, wie viele Tage sie noch hatten. Das erste der elf Lichter im gläsernen Inneren des Zeitanzeigers war erloschen... damit blieben ihnen noch fünfzig Tage. Der Gedanke an die Zeit machte ihn nervös... Chenoa hatte nicht gelogen. Man verlor das Gefühl für sie absolut hier draußen. Es war schwarz... immerzu. Es gab keinen Morgen, keinen Mittag, keinen Abend, es gab nur Schwärze. Es war dunkler als auf Zuyya... und kälter. Erbarmungsloser... Karana sah zum Fenster der Kammer, in der er und Iana hockten und darauf warteten, dass sie demnächst den Mond Yasar erreichten, den Thira erwähnt hatte. Es fühlte sich an, als wollte die Schwärze seine Seele hinaus saugen und für immer verschlingen... es war ein bedrückendes Gefühl. Den anderen schien es ebenso zu gehen, Karana hatte nicht den Eindruck, dass die Stimmung besonders gut war. Wenn er da an Zoras dachte, der mit seiner nervösen Aura den Eindruck gemacht hatte, als würde die Spannung ihn gleich explodieren lassen... er hoffte, seinem kleinen Kollegen und Schwager ging es inzwischen etwas besser, er war so wahnsinnig unkooperativ in diesem Zustand, das erschwerte nur alles. Neisa würde ihn schon irgendwie beruhigen... Neisa konnte das.

„Götter?“, fragte Iana, „Wieso Götter?“ Der Geisterjäger winkelte die Beine an, während er auf dem Bauch lag und noch immer auf den Zeitanzeiger starrte, als brächte er ihm die ultimative Erleuchtung.

„Ryanne hat mal davon gesprochen. Die Welt der Götter, hat sie gesagt... nein, sie hat gesagt, die Tari Randora wäre der Schlüssel zur Welt der sieben Götter. Wenn wir mit der Tari Randora zur Trias kommen... hat sie damit dann die Welt gemeint, die wir mit der Trias erschaffen sollen? Wieso Götter?“

„Vielleicht meinte sie uns.“, zuckte Iana mit den Schultern, „Wir sind die Sieben. Und wir haben eine große Aufgabe, vielleicht setzt die verrückte Seherin Götter mit Auserwählten gleich.“ Er runzelte die Stirn. Das mochte sein... und doch wusste er nicht recht, was er glauben sollte. Es gab noch irgendetwas, das er übersah... etwas, das ihm nachts den Schlaf raubte und ihn nervös machte.

Die Frage, warum ausgerechnet sie die Sieben waren... was sie miteinander verband, dass die Geister sie bestimmt hatten, um die Seele von Khad-Arza zu retten... um den Menschen eine neue Welt zu geben.

Antwortet mir... Geister.

Doch die Geister hüllten sich in Schweigen... wie sie es bereits taten, seit die aufgebrochen waren. Das einzige, was ihm antwortete, war das Fluchmal an seinem Unterarm, das lauernd zu ziepen begann.
 


 


 


 

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Döööhh. Es geht voran... ahahaha :'D

Yasar

Der Planet Yasar war der einzige Mond eines unbewohnbaren Planeten namens Hare. Er war der am dichtesten an Zuyya gelegene bewohnbare Himmelskörper, den die Raumfahrer entdeckt hatten, dessen Atmosphäre der von Zuyya, Tharr und Ghia ähnlich genug war, um dort zu überleben, ohne Atemprobleme zu bekommen wie im Karanyi-Nebel. Als Thira das Raumschiff durch die Atmosphäre des grün bewaldeten Mondes stieß und auf einem relativ schmalen, lichten Platz mitten im Urwald landete, ging ein Zittern durch die ganze Tari Randora und hätte die Kameraden hinter ihr im Steuerraum beinahe von den Beinen gerissen. Es wurde Zeit, dass sie Pause machte... sie merkte bereits, wie das ewige Wachsein und Steuern sie auslaugte und ihre Kraftreserven zur Neige gingen. Die Zeit, die sie hier auf Yasar rasteten, würde die einzige Gelegenheit für sie geben, zu schlafen... es sei denn, sie brachte den anderen Steuern bei, was sie, wie sie jetzt dachte, vermutlich dringend tun sollte. Sie konnte nicht von hier bis zur Trias durchgehend wach sein... erst recht nicht, wenn sie zwischendurch Scharan begegneten. Die Gedanken ärgerten sie, obwohl sie sich zwang, sich nicht zu sehr davon beeinflussen zu lassen. Sie brauchte ihre Kraft für anderes und durfte sie nicht an so etwas wie Emotionen verschwenden. Wenn sie überhaupt Emotionen hatte, hieß das.

„Wenn dieser Ort bewohnbar ist, wieso bleiben wir denn dann nicht hier?“, wunderte sich Karana, als sie gelandet waren und die Truppe beeindruckt hinaus starrte in offenbar absolut unberührte, wuchernde Natur. „Himmel, was ist denn das hier für ein Dschungel, hier gibt es ja genug Holz und Ressourcen für drei Zuyyas!“

„Weil Yasar... es nicht zulässt.“, sagte Thira monoton, als sie die Maschine abstellte und das Vibrieren des Schiffes aufhörte.

„Wie meinst du das?“

„Wenn wir nicht innerhalb von drei Tagen wieder aufbrechen, wird der Mond dafür sorgen, dass wir es tun. Man hat das schon versucht... Yasar erlaubt uns nur einen Zwischenstopp.“ Darauf erntete sie einen Moment der angespannten Stille.

„Wie jetzt?“, fragte Tayson, „Der Mond – der Mond sorgt dafür, dass wir verschwinden?“ Die Zuyyanerin schenkte ihm einen kurzen Blick und nickte dann.

„Ja, genau. Wer länger als drei Tage zu bleiben versucht... wird ganz sicher sterben. Chenoa hat mir davon erzählt... ich bin nicht gewillt, das herauszufordern.“ Das gesagt schickte sie sich bereits an, den Steuerraum zu verlassen, während alle anderen sie fassungslos anstarrten. In der Tür hielt sie noch einmal inne und drehte den Kopf, um über die Schulter zurück zu blicken. „Geht und sammelt so viele Vorräte, wie wir tragen können. Das ist der einzige Zwischenstopp den wir machen können... und damit die einzige Chance, Vorräte zu sammeln. Aber entfernt euch nicht allzu weit vom Schiff... dieser Urwald frisst Seelen, habe ich das Gefühl.“ Sie warf noch einen Blick aus dem Fenster auf den tropischen Wald, in dem sie gelandet waren, ehe sie das Gespräch für beendet betrachtete und die anderen stehen ließ, um endlich schlafen zu gehen.
 

Der Wald war ungeheuerlich. Die Luft war viel angenehmer zu atmen als die im Karanyi-Nebel, aber dennoch war das Gefühl, das Iana überkam, als sie mit den anderen draußen vor der Tari Randora stand, erdrückend, als würde eine unsichtbare Macht versuchen, sie von innen zusammen zu binden. Sie erinnerte sich an Thiras Worte und konnte sie jetzt durchaus nachempfinden...

Dieser Wald frisst Seelen.

Sie wusste nicht, ob er das wirklich konnte. Wenn der ganze Mond denken konnte, um sie nach gezählten drei Tagen von hier zu verbannen, traute sie dem Wald definitiv zu, dass er ihre Seele fressen könnte. Unruhig fasste sie nach ihrer Brust, in der das beklemmende Gefühl am heftigsten war, und sah überrascht an den ernsten Gesichtern der meisten anderen, dass es nicht nur ihr so ging.

„Das ist unheimlich hier...“, sagte Neisa gerade und sah sich hektisch in der grünen Hölle um, „Habt ihr auch so ein beklemmendes Gefühl oder bin das nur ich?“

„Ich habe es auch.“, erwiderte Simu grollend, „Es... zieht an mir und schnürt mich ein. Meint ihr, Thira hat recht und der Wald frisst unsere Seelen?“ Iana sah den Adoptivbruder ihres Gemahls verblüfft über seine Worte an, und eben jener Gemahl war es jetzt, der seufzend seine Hände ausschüttelte und ein paar Schritte vortrat, nicht ohne noch einmal nervös an seinem bandagierten Unterarm zu kratzen. Seine Nervosität beunruhigte sie, weil sie wusste, wann immer das Fluchmal an seinem Arm zu schmerzen begann, war es Scharans Werk. Und weil sie wusste, dass es dann vielleicht an ihr war, Karana zu kontrollieren... wenn er dank Scharans Fluch die Kontrolle über sich selbst verlor, wie es schon auf Tharr und auch auf Zuyya geschehen war.

Ich sehe dich... Dämon der Schatten, Karana Lyra. Ich sehe dich und werde dich... ganz sicher töten, wenn die Zeit gekommen ist.

Die Gedanken verwirrten sie und sie fragte sich einen Moment später, ob sie das ernsthaft gedacht hatte. Karana war ihr Mann... sie hatte nicht die Absicht, ihn zu töten. Vielleicht kam dieser innere, bebende Groll tief in ihrem Geist von diesem komischen Wald... irritiert stellte sie fest, dass ihr ihre Gedanken mitunter nicht gehorchten und in ihrem Kopf Dinge spannen, die nicht von ihr selbst ausgingen.

„Wenn wir nur drei Tage haben, beeilen wir uns.“, versetzte Karana vorne und zog sein Schwert, „Am besten teilen wir uns in Gruppen auf, ein paar müssen hier bleiben, um das Schiff zu bewachen. Ryanne bleibt hier und Asta auch.“

„Ich bleibe.“, meinte Simu dann, worauf sich ihm auch Eneela etwas schüchterner anschloss. „Wer weiß, wenn uns etwas großes angreift, reicht die Barriere einer hirnamputierten Seherin vielleicht nicht aus, um die Tari Randora zu schützen... und Thira, denn ohne sie und ihre Kenntnisse sind wir hier am Arsch.“ Das waren wahre Worte, wie Iana fand, und sie sah der Reihe nach alle anderen an, die offenbar in Gruppen in den Urwald stapfen würden. Karanas Blick traf ihren und er schenkte ihr ein typisches, sorgloses Grinsen, eine Eigenart an ihm, die sie gleichzeitig faszinierte und empörte.

„Kommst du mit mir, Ianachen?“

„Ich hoffe, ihr geht ernsthaft jagen und vertrödelt nicht unsere kostbare Zeit, indem ihr im Wald übereinander her fallt.“, grollte Zoras irgendwo, wurde aber von allen ignoriert. Der kleine Schamane hatte seit dem Karanyi-Nebel-Zwischenfall mit Scharans Schergen übelste Laune, es war generell klüger, einer Diskussion mit ihm aus dem Weg zu gehen, hatte Iana gelernt. Nicht, weil sie Angst vor ihm gehabt hätte... aber für alle Beteiligten war es im Moment gesünder, den Kampfzwerg nicht auch noch zu provozieren.

„Auf dann.“, schnarrte Karana und machte eine eher unkontrollierte Armbewegung, „Wir treffen uns hier wieder und seid auf der Hut.“
 

„Woher wissen wir, ob das, was wir so erlegen und sammeln, ernsthaft essbar und nicht giftig ist?“, wollte Iana wissen, als sie zusammen mit Karana auf ein kleines, seltsames Tier sah, das sie gerade mit einem geschickten Wurf ihres Kurzschwertes getötet hatte. Es war eine seltsame Mischung aus einem Reh und einem Kaninchen, und es war unachtsam gewesen oder hatte noch nie zuvor Menschen getroffen, es war jedenfalls offenbar nicht sonderlich schwer gewesen, es zu erlegen. Karana kratzte sich unruhig am Kinn und hatte Mühe, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

„Neisa ist Heilerin. Sie kennt sich mit Giften aus. Sie wird das herausfinden. Was genau ist das bitte?“

„Ich würde sagen, ein... Hasenreh. Oder ein Rehhase.“ Karana beäugte das Vieh noch einmal und widerstand dem inneren Drang, nach dem dumpf schmerzenden Bannmal an seinem Arm zu greifen. Es ziepte schon die ganze Zeit... es machte ihn verrückt und er spürte den Schatten in seinem Inneren genauso rumoren wie den Schmerz in der Wunde. Als er wieder aufsah, war Ianas Gesicht direkt vor ihm und sie musterte ihn argwöhnisch.

„Du bist nervös.“, ertappte sie ihn kühl. „Schmerzt dein Mal?“

„Ach!“, schnaufte er und wandte mürrisch das Gesicht ab, „Es ist nicht schlimm.“

„Aber du spürst etwas. Meinst du, Scharan... ist auf Yasar?“

„Gut möglich. Die haben wohl genau wie wir nur hier die Chance, Vorräte zu sammeln. Ich hoffe, sie sind auf einem anderen Teil des Mondes gelandet...“ Aber wenn es so leicht wäre, fiel ihm ein, würde das Mal vermutlich nicht schmerzen. Unruhig griff er doch nach dem Verband an seinem Arm, worauf Iana seine Hand packte und energisch festhielt.

„Nicht, Karana. Du weißt doch, wie der Hals deines Vaters aussah, weil er sich das ganze Fleisch weg gekratzt hat.“ Karana zischte und spürte das Unbehagen in sich wachsen bei der harten Berührung. Sein Vater... der das Mal genau wie er von Manha hatte. Karana fragte sich, wie es seinem Vater ging... und seiner Mutter, seinem Hund, allen anderen, die sie zurückgelassen hatten. Sie waren erst knapp eine Woche unterwegs... wie viel Zeit war jetzt auf Zuyya vergangen? Thira hatte einmal gesagt, auf Zuyya lief die Zeit dreimal so schnell wie im All. Das hieß, dort waren fast zwei Drittel eines Mondes vergangen. Und was war aus den Imperialisten geworden? Aus dem Krieg, der zwischen jenen und der Allianz von Kisara, Janami, Intario und Tejal auszubrechen gedroht hatte, als Karana mit den anderen Zuyya verlassen hatte? Die Gedanken, auch nur einem von all jenen, die er dort gelassen hatte, könnte etwas zugestoßen sein, verschafften dem jungen Mann Übelkeit, und er riss sich grantig aus Ianas Griff los und spürte in sich ein seltsam brennendes Gefühl der Wut aufflammen. Nicht auf sie... auf was genau, wusste er gar nicht.

Auf sich selbst, weil er nicht alle zugleich beschützen konnte, wie er es gerne tun würde.

„Nimm dein Vieh und weiter geht es.“, ordnete er dann an und stapfte weiter in den düsteren Urwald zwischen den gigantisch hohen Bäumen und Palmen hindurch. Iana schnaubte hinter ihm, was er dank des Raschelns der üppigen, bunten Blätter kaum hörte.

„Jawohl, Majestät, stets zu Diensten, Majestät.“, verspottete sie ihn, und er ging nicht darauf ein. Er wusste, sie nahm ihm übel, wenn er sie herum kommandierte... und er tat es nicht mit böser Absicht, er hatte einfach nur schlechte Laune.

„Tut mir leid...“, murmelte er, als sie ihn einholte, das Hasenreh, oder wie sie es genannt hatte, in der Hand. „Ich bin... nur unsicher, Iana. Tust du mir einen Gefallen?“ Er blieb stehen, sodass sie es ihm gleichtat und ihn skeptisch anblickte.

„Welchen?“

„Wenn der Schatten zurückkehrt... der irgendwo in meiner Seele schläft...“ Er sah aus dem Augenwinkel, dass sie erstarrte, als er sie anlinste, ehe er fortfuhr. „...dann schlag mich nieder, meine Königin.“

Das gesagt ging er weiter, ihr den Rücken kehrend, und ihr Schweigen reichte, um ihm zu signalisieren, dass sie ihn verstanden hatte und es tun würde.
 

Die Dämmerung auf dem Mond Yasar, der nur aus diesem gigantischen Urwald zu bestehen schien, war ein seltsamer Anblick. Der Himmel war eine Mischung aus gelb und grün, jetzt, in der Dämmerung, hatte er etwas von flammendem Orange. Die Kameraden starrten gemeinsam auf den großen Haufen Proviant, den sie über den Tag gesammelt hatten; erlegte Tiere, Massen an Früchten und sogar vereinzelte Pflanzen, Pilze und Wurzeln. Neben den Hasenrehen, von denen sie so einige ergattert hatten, gab es kunterbunt gefiederte Vögel mit bananenförmigen Schnäbeln, überdimensional große Ratten (jedenfalls sahen sie ein wenig wie Ratten aus, dank ihrer Größe ähnelten sie aber schon mehr einem Hund) und eine getigerte Katze, die noch größer war als Aar, der auf Zuyya geblieben war. Die Früchte boten aber einen noch seltsameren Anblick.

„Was genau... ist das?“, fragte Tayson blöd und hob eine Frucht auf, deren Schale dauernd ihre Farbe änderte wie eine Signalleuchte. Mal war sie lila, dann plötzlich pink bis rot, orange, gelb und dann wieder lila. Als Tayson sie hochhielt, änderte sie ihre Farbe schlagartig in ein hässliches Gelb.

„Ich würde sagen, es ist eine Regenbogenaubergine.“, sagte Neisa stirnrunzelnd, „Wieso wechselt das Ding die Farbe, ist ja albern.“ Sie nahm ebenfalls eine davon auf, bei ihr färbte sich die Frucht schlagartig knallpink.

„Hey, wieso ist deine pink und meine hat die Farbe von Erbrochenem...?“, maulte Tayson, worauf Karana anfing zu lachen.

„Neisa ist ein Mädchen. Die Frucht spürt das sicher und nimmt deshalb eine voll feminine Farbe-... nein, verdammt, bei mir wird sie auch pink!“ Er starrte entrüstet auf die dritte Aubergine, die er genommen hatte, die ebenfalls pink wurde. Zoras feixte.

„Oder sie hält dich für feminin, Karana. Jetzt wo du es sagst, ernsthaft maskuline Muskeln hast du immer noch nicht.“ Karana schnaubte und warf seinem Schwager empört die Frucht zu.

„Mach es besser, Alter!“ Dann lachte er laut los, als Zoras die Frucht fing, die im Flug wieder wild die Farbe wechselte, bis sie in Zoras' Händen abermals knallpink wurde. „Siehst du, du bist auch feminin!“

„Bei mir ist sie auch gelb!“, bemerkte Asta kleinlaut, „Meint ihr, das bedeutet irgendetwas?“

„Du bist nicht feminin genug, um pink zu sein, haha!“

„Bei mir ist sie rot.“, fügte Ryanne fröhlich hinzu, „Ich glaube, sie macht das stimmungsbedingt!“

„Alles klar, du meinst, die Frucht ändert ihre Farbe, je nachdem, ob sie gerade gute oder schlechte Laune hat?!“, fragte Zoras grantig und hielt Simu die pink leuchtende Aubergine hin. „Nimm du sie, welche Stimmung hat sie denn bei dir?!“

„...Pink.“, sagte Simu verdattert, der die Frucht nahm. „Ich dachte zuerst, vielleicht liegt es daran, wer hier Magier ist und wer nicht, aber wenn Neisa, Karana, du und ich alle pink sind und Ryanne, die auch Magierin ist, aber rot...“

„Ich habe orange.“, murmelte Yarek mehr oder weniger desinteressiert, der Ryanne die rote Aubergine abgenommen hatte. „Sind sie nicht auch manchmal lila? Hat irgendwer lila?“ Nachdem alle einmal die merkwürdige Frucht angefasst hatten, stellten sie fest, dass niemand lila bekam. Alle hatten pink, abgesehen von Tayson, Asta, Ryanne und Yarek. Es war Eneela, der dazu etwas Verblüffendes auffiel.

„Es... es sind nur die, die zu den Sieben gehören, bei denen sie pink wird!“, stellte sie fest, „Was... hat das zu bedeuten?“

„Und wieso sind wir gelb, orange und rot?“, fragte Tayson, „Wir sind alle nicht von den Sieben, warum haben wir verschiedene Farben?“

„Ryanne ist Magierin und ihr anderen nicht.“, sagte Karana.

„Ja, aber Yarek ist ein Mensch wie Asta und ich und hat trotzdem eine andere Farbe!“

„Vielleicht, weil er im Gegensatz zu euch Gehirn hat?“, fragte Simu stirnrunzelnd, worauf Tayson zu zetern anfing, bis Zoras mürrisch eine ausschweifende Armbewegung machte.

„Schluss jetzt, ist doch egal, was diese Farben sollen! Lasst uns lieber sehen, ob irgendetwas hier giftig ist, und die Vorräte, verstauen! Und essen, bei diesem Haufen hier kriege ich Hunger.“

„Diese Regenbogenauberginen sind nicht giftig.“, erklärte Neisa prompt, die ihre knallpinke Frucht immer noch hielt, und ohne weiteres zu sagen biss sie herzhaft in das weiche Fruchtfleisch. Sie enthielt einen süßen Saft, der über die Finger der jungen Frau lief, während sie kaute, und verblüfft sah sie auf die auch im Inneren pink glühende Frucht, ehe sie sich an ihre Kameraden wandte. „Die... sind echt lecker!“, keuchte sie, „Viel Saft, weich und süß... sie sind genial!“

„Ob sie auch verschieden schmecken, je nach Farbe?“, fragte Tayson und zögerte etwas, ehe er in seine kotzbraune Frucht biss... und ein überraschtes Gesicht machte. „Neisa hat recht, sie schmecken echt gut! Obwohl sie scheiße aussehen...“

„Frag mich mal, ich esse pinke Auberginen.“, stöhnte Zoras, „Jetzt fehlt mir noch Flamingofleisch. Und Himbeersauce. Und heute Nacht werden wir alle zu Frauen...“

„Sei's drum!“, kicherte Karana, „Wir haben so viel, davon können wir heute Abend ein echtes Festmahl machen! Los, bringen wir den Rest ins Schiff und dann wird gegessen... aber wir müssen Thira noch was übrig lassen, wenn sie aufwacht!“
 

„Ich will nicht mehr sehen... es tut nur weh. Ich wollte nicht sehen, wie mein Vater hingerichtet wird. Ich wollte nicht sehen, wie meine Mutter bestialisch in Stücke gerissen wird, um meinen Vater zu brechen. Ich wollte nicht sehen... wie das Reich, das einst mein werden sollte, zu Grunde geht... in Flammen und Asche.“

„Das ist das Schicksal, Thira... das ist das Schicksal der Sehensgabe, sie hat einen bitteren Preis. Glaub mir, ich habe auch nie sehen wollen. Und dennoch bin ich jetzt hier... so wie du einst an meiner Stelle sein wirst. Als Weise Frau... als Seherin, Thira, und als Erbin eines der vier Himmelclans. Schließ sie weg... die Schmerzen. Wenn du zu viele Schmerzen hast, bringen sie dich um... und dann verlierst du deine Seele. So wie ich...“

„Dann sei es so. Wer keine Seele hat, hat keine Schmerzen. Das ist doch eine gute Sache. Das macht es leichter.“

Die junge Frau schlug die roten Augen in der Dunkelheit auf, als der Traum sich verflüchtigte. Traum... eigentlich war es kein Traum gewesen, sondern eine Erinnerung. Sie war lange bei Chenoa gewesen, um zu lernen... über die Geschichte, über ihre Aufgabe, über ihre eigene Macht, die sie beherrschen musste. Unbewusst fasste sie nach der Kouriha, dem Kurzschwert, das sie immer bei sich trug, das Erbstück ihrer Familie. Die Kouriha war eine Eiswaffe... und sie war das Familienerbstück des Jamali-Clans, sie hatte schon hunderte von Jahren hinter sich. Thira fragte sich, wie viele Hände diesen Griff schon berührt hatten, lange vor ihr oder vor ihrem Vater, ihrem Großvater oder dessen Vorfahren... was die Kouriha in all den Jahrhunderten alles gesehen hatte. Sie war eine mächtige Waffe, Thira würde gut auf sie acht geben.

Als sie eine Weile still lag, hörte sie Geräusche draußen. Gelächter und das Lärmen einer Gruppe. Offenbar amüsierten sich die anderen, jetzt, da sie einmal Pause machen konnten. Ohne ein Geräusch rollte sich die Zuyyanerin auf dem Bett auf die Seite. In ihrem Inneren hörte sie nicht das Lärmen der anderen draußen... in ihrem Inneren rumorte der Wald, in dem sie gelandet waren. Ein Tag war bereits um... das hieß, sie mussten übermorgen aufbrechen, wenn sie nicht dem Seelen fressenden Willen von Yasar erliegen wollten.

„Ich war nie dort.“, hatte Chenoa zu ihr gesagt, „Aber die Reikyu macht das recht eindeutig. Seid vorsichtig, wenn ihr auf Yasar seid... und wenn ihr länger als drei Tage bleibt, werdet ihr sterben. Diese Welt hat einen Geist, der mit dem von Khad-Arza, Zuyya, Tharr oder Ghia nicht zu vergleichen ist. Auch unsere Welten haben ihren Geist... aber der von Yasar ist bösartiger. Nachtragender... Yasar duldet keine Menschen.“

Sie fragte sich, was genau passieren würde, wenn sie so lange blieben... aber es war auf alle Fälle sicherer, das nicht herauszufordern. Murrend verdrängte sie das Grollen des Urwaldes aus ihrer Seele und setzte sich auf. Es wurde Zeit, dass sie auch etwas aß... und nachsah, was die anderen eigentlich für einen Unfug machten da draußen, dass sie so ausgelassen jubelten.

Das, was sie draußen vor der Tari Randora vorfand, überstieg ihre Erwartungen ein wenig. Hatte sie gerade eben noch ausgelassen gedacht? Das hier war mehr.. außerhalb jeglicher geistiger Kontrolle.

„Thira!“, wurde sie grölend von Simu, Tayson und Eneela begrüßt, die wild winkten und dabei wie kleine Kinder um die Wette strahlten, Eneela dabei noch mit vollem Mund. In der Hand hielt sie eine angebissene, pink schimmernde Frucht, Simu hatte auch eine und Tayson eine in gammligem Gelb.

„Komm zu uns und iss auch eine Regen-... Regen-... öh... wie hießen die gleich, Simu?“

„Regenbogenoberschiinäh, hab isch dir doch schon fünf...tschen mal gesacht!“ Thira zog eine Braue hoch, als Simu theatralisch mit dem Finger vor Taysons Gesicht herum wedelte und dabei augenscheinlich enorme Schwierigkeiten hatte, sich zu artikulieren. Eneela kicherte dumm.

„Was bei Katari und allen Mächten der Schöpfung ist denn hier passiert...?“, murmelte die Zuyyanerin dumpf, ehe sie plötzlich, sobald sie das Schiff verlassen hatte, von der Seite angerempelt wurde und zurück stolperte. Als sie herum fuhr, sah sie gerade noch Yarek, der wild mit den Armen ruderte und in offenbar epischer Manier um das Lagerfeuer herum tanzte, das sie gemacht haben mussten. Ryanne tänzelte ihm hinterher und bot einen obskuren Anblick, weil sie sich aus einem Thira unerfindlichen Grund komplett nackt ausgezogen hatte – was noch seltsamer war, war ja, dass es niemanden der anderen zu stören schien.

„Was tust du da, Yarek?“, wollte Thira verstört wissen und sah wieder auf den Söldner, der johlend vor Ryanne her tanzte und immer noch wild die Arme schwenkte.

„Lass mich arbeiten, ich verjage die Eingeborenen!“, schnarrte er, als er einmal um das Feuer herum gesprungen war und wieder an Thira vorbei kam. Er schubste sie wiederum zur Seite und Ryanne folgte ihm mit einem absolut geisteskranken Lachen, während sie auf offenbar erotische Weise die Hüften kreisen ließ, damit aber irgendwie keine Beachtung fand. Was Thira zu der Frage brachte, wo eigentlich Karana war... sie fand ihn, als sie etwas Abstand vom Feuer suchte und nach rechts sah, und der Sohn des Herrn der Geister war offenbar sehr beschäftigt damit, dämlich gackernd seine Ehefrau vor allen anderen auszuziehen, während diese unter ihm lag und wüst nach ihm schlug – und dabei ebenfalls diabolisch lachte.

„Ich schlage dich zu Brei, Karana!“, johlte sie, „Du elender, verblendeter Hornochse!“

„Oh ja, fester!“, keuchte Karana ekstatisch über ihr und grinste dabei von einem Ohr bis zum anderen, als Ianas Faust ihm ins Gesicht fuhr und er lachend und bereits halb nackt zu Boden rollte. Thira zog unbeeindruckt und verwirrt die Brauen hoch bei dem Anblick der absolut außer Rand und Band geratenen Kameraden. Was war hier passiert, während sie geschlafen hatte?

„Was habt ihr denn getrunken?“, fragte sie Asta, die sie als nächstes vorfand, wie sie auf dem Boden herum kroch wie ein Tier und offenbar an der Erde schnüffelte, als wäre sie ein Hund, der einen Knochen suchte. Das Mädchen aus Holia hob strahlend den Kopf.

„Getrunken gar nichts!“, flötete sie, „Aber wir haben bunte Früchte gegessen, sie sind unheimlich lecker! - Hast du das Mini-Faultier gesehen?“

„Das... Mini-Faultier?“, murmelte Thira monoton, und Asta nickte freudestrahlend.

„Oh ja! Es war hier, ich habe es gesehen, es war rot, blau, gelb und grün gleichzeitig! Aber dann ist es weggelaufen...“ Thira sparte sich einen Kommentar und Asta schien auch keinen zu erwarten, sie schnüffelte bereits weiter interessiert am Erdboden. Die Zuyyanerin stöhnte, als sie wieder auf die Beine kam und sich umdrehte, doch sie kam nicht dazu, sich eine Methode zu überlegen, wie sie diese offenbar absolut zugedröhnten Leute jetzt wieder nüchtern bekäme, denn plötzlich donnerte es über ihnen und mit einem abrupten Rumms bebte direkt hinter Thira kurz die Erde. Als sie wieder herum fuhr, sah sie Zoras, der seine gigantische Hellebarde in die Erde gerammt hatte wie eine Flagge, den freien Arm in die Hüfte gestemmt und die Beine weiter als nötig auseinander – und zu Thiras Verblüffung war der Spinner genau wie Karana schon oben ohne.

„Hiermit erkläre ich dieses Territorium zu dem meiner Familie!“, verkündete er, ehe er seine Hellebarde aus der Erde zog und sie gefährlich dicht an Thiras Nase vorbei durch die Luft schwang. „Und du wirst nie wieder über mir stehen!“, brüllte der kleine Mann weiter, „Ich lösche deine Existenz aus... Kelar, Dämon von Lyrien!“

„Du... redest mit einer Pflanze, Zoras...“, murmelte Thira, während sie eine Weile zusah, wie Zoras absolut von sich selbst überzeugt mit der Hellebarde auf eine arglose Palme zeigte und sie wüst beschimpfte. Dann unterbrach sie die Stimme der einzigen Person, die sie hier noch nicht gesehen hatte.

„Ich fürchte, er verträgt nicht so viel Alkohol. Es sind die Früchte, offenbar machen sie betrunken. Oder berauscht. Oder beides.“

„Neisa...“, brummte Thira und sah auf die kleine Heilerin, die plötzlich aus dem Nichts hinter ihr aufgetaucht war. „Und du? Hast du keine gegessen oder wieso bist du noch nüchtern?“ Zu ihrer Verblüffung lächelte Neisa sie auf eine bestialische Art an, die den Ruf von Pazifisten, den eigentlich alle Heiler inne hatten, definitiv vernichtete – als Thira sich noch darüber wundern wollte, sprach die Heilerin weiter und der Blick ihrer verschiedenen Augen war jetzt genauso irre wie der der Seherin.

„Tod und Schatten ist es, was auf uns alle wartet... wovor hast du Angst, Thira Jamali? Ich sah dein Schicksal in meinem Traum... das Schicksal der letzten Prinzessin von Okothahp... und das letzte Kind des westlichen Mondes.“

„Genug!“, zischte die Zuyyanerin, als Neisas irrer Blick sie durchbohrte, und sie hob die Hand, darin ihre Reikyu erscheinen lassend, um sie ohne weitere Worte empor zu heben und mit einem kurzen Wimpernschlag augenblicklich all ihre Kameraden verstummen zu lassen. Neisa sank als Letzte zu Boden, als ihre Seele der Hypnose durch die Reikyu nicht mehr standhalten konnte, und Thira verfluchte kurz irgendetwas Unspezifisches, als die ganze Mannschaft hypnotisiert und schlafend am Boden lag und sie allein mittendrin stand. „Großartig... und jetzt kann ich sie alle einzeln in die Tari Randora schleppen. Was denken die sich?“, murrend ließ die Zuyyanerin ihre Reikyu wieder verschwinden und bückte sich, um eine der seltsamen Früchte aufzuheben, die ihre Farbe wechselten. Sobald Thira sie berührte, färbte sie sich leuchtend pink. Sie senkte die Brauen, dabei das Obst betrachtend, ehe sie zu sich selbst weiter sprach.

„Wir haben nur noch zwei Tage hier. Und ob ihr morgen alle verkatert seid, wenn ihr weiteren Proviant sammeln, ist mir ja sowas von egal... das glaubt ihr gar nicht, ihr Elenden.“ Das gesagt packte sie zuerst Neisa, die zu ihren Füßen lag, um sie hinein zu tragen. Einen Blick warf sie zurück in den stockfinsteren Wald, der das Lager von allen Seiten umgab.

Das letzte Kind des westlichen Mondes, hm? Was immer du... über Yamuru Mirrhtyi gesehen haben magst, Seherin Salihah Ekala... sein Schicksal wird mit meinem nur in sofern zu tun haben, dass ich ihn töten werde, wenn er es wagt, mir in die Quere zu kommen.
 

Yamuru kicherte ein wenig, während er auf dem Dach von Scharans Tari Randora Zwei hockte und den anderen Idioten und Sklaven zusah, wie sie die Kontrolle über sich selbst völlig verloren nach dem Verzehr der merkwürdigen, bunten Früchte. Die ganze Mannschaft lachte, johlte und tanzte, ein paar der Kerle hatten ihren Spaß mit den Lianersklavinnen, was diese, berauscht wie sie waren, zur Abwechslung mal gar nicht zu stören schien. Was für absolut entwaffnende Früchte, dachte Yamuru sich und sah auf die eine, die er, ohne von ihr gegessen zu haben, in seiner Hand hielt. Sie brachten sogar Frauen dazu, sich willig vergewaltigen zu lassen, die Macht dieser Früchte war wahrlich grauenhaft, addierte der junge Mann dazu und musterte immer noch kichernd die Aubergine in seiner Hand, die in pulsierendem Dunkelorange glühte. Bei ihm war sie mehr rot als bei Manha, und das Orange, das sie bei Manha angenommen hatte, war auch kräftiger gewesen als das von Kyeema oder ein paar anderen Mitreisenden, die meisten hatten aber ein kränkliches Gelb bekommen. Was diese albernen Farben zu bedeuten hatten, wusste Yamuru nicht mit Gewissheit... wie seine Reikyu ihm bewiesen hatte, leuchteten sie bei den Sieben ausnahmslos knallend purpur, während die Seherin ein blutiges Rot und Yarek Liaron etwa dasselbe Orange wie Manha bekommen hatte. Eigentlich konnte ihm egal sein, was die Farben bedeuteten.

Er beobachtete feixend mit Hilfe seines linken Auges, wie Thira in ziemlicher Entfernung von ihnen ihre bewusstlosen Kameraden zurück ins Schiff schleppte.

„Vielleicht eine Meile... das ist nicht weit weg von hier.“, murmelte er dabei vor sich hin grinsend, „Dieser Wald muss nicht nur Seelen, sondern auch Geräusche schlucken, wenn Thira das Grölen unserer Sklaven hier nicht hören kann...“ Er verstummte und lauschte selbst eine kurze Weile dem Johlen der ausgelassen feiernden Irren auf dem großen Lagerplatz, ehe er sich seufzend auf die Beine rappelte und die Reikyu in seinem Augen wieder deaktivierte. Es war anstrengend, sie lange zu benutzen, um seine Cousine zu observieren... die den Schlüssel zu allem hatte, was er haben wollte.

„Nun... es wird wohl Zeit, dass wir Nägel mit Köpfen machen, Tochter von Akando Jamali. Und deine Lehrerin Chenoa wird dir nicht helfen können, wenn ich dich habe... ein Jammer, nicht wahr?“ Er schmunzelte zufrieden mit dem Lauf der Dinge, während er, obwohl er ohne die Reikyu die echte Tari Randora gar nicht mehr sehen konnte, weiterhin in die entsprechende Richtung starrte. Ohne weiteres zu sagen hob er die dunkelorange glimmende Aubergine und biss guter Dinge hinein. Der Saft rann ihm zwischen den Fingern hindurch und er kicherte vergnügt, während er das weiche, unglaublich süße Fruchtfleisch kaute.

„Hm... gar nicht übel, die Dinger.“
 


 

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Yeah! Es geht jetzt etwas schneller wieter, weil bis Kapi 10 fertig ist - danach dauert es wieder etwas, weil ich dann erst bis 20 vorschreibe^^' Oder wenigstens bis 15^^' Applaus für die Regenbogenauberginen :'D

Der Wille des Mondes

Auf dem Mond Yasar war die Morgendämmerung ein kränkliches Gelb, fast wie die Farbe, die die Auberginen bei Tayson und Asta angenommen hatten. Es hatte etwas Unheilvolles... Simu dachte sich, dass er hier nicht leben wollte... selbst, wenn es keine Drei-Tage-Katastrophe gäbe, die ihnen am Abend dieses letzten Tages das weitere Rasten verbieten würde, wenn er Thira richtig verstanden hatte. Was genau eigentlich dann passieren würde, hatte sie überdies nie gesagt... er fragte sich, ob sie es wusste. War ihrem Großvater Honuk, als er die Trias vor Jahren versteckt hatte an dem Ort, den zu finden sie jetzt versuchten, damals hier auch diese Katastrophe begegnet? Simu war eigentlich ein Rationalist. Er dachte und handelte gerne logisch und hatte handfeste Erklärungen für alles, was es so gab – soweit das ging, denn er war bei Schamanen aufgewachsen und die arbeiteten mit Geistern, die alles andere als handfest waren. Und doch waren sie für ihn handfester als die Vorstellung, dieser gesamte Mond hätte einen eigenen Willen, der punktgenau drei Tage abzählte und dann eine Katastrophe verursachte, um die lästigen Menschen zu verjagen.

Aber er spürte es... die Gegenwart eines übernatürlichen Bewusstseins, er spürte es durch jede Pore seiner Haut in seinen Körper eindringen, durch jeden Atemzug, mit jedem Kribbeln auf jedem Zoll seiner Haut. Es war unheimlich, es ließ ihn sich so beobachtet und schutzlos fühlen... unruhig sah er auf das leichte Glimmen in seinen Händen, das sich jetzt zu einer glühenden Kugel aus purer, seelischer Macht manifestierte. Seine Reikyu... es war das erste Mal, dass er versuchte, sie zu rufen, und sie tatsächlich wie eine Kugel aussah und nicht wie ein unruhig herum wabernder Haufen Seele. Es fühlte sich eigenartig an zu denken, dass das, was in seinen Händen lag, ernsthaft seine eigene Seele war... es spannte ihn auf eine ungewohnte Weise an und er keuchte, als das Glimmen in seinen Händen plötzlich verpuffte, weil ein Schatten seine Konzentration störte, der über ihn fiel.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du plötzlich Zuyyaner bist... ich meine, das ist echt hart.“ Simu sah auf und sah in Taysons verwirrtes Gesicht. Der größere Mann trug ein paar der Hasenrehe, die er wohl im Wald erlegt hatte. Am vergangenen Tag hatten sie nach anfänglichen Koordinationsproblemen und vor allem grausamen Kopfschmerzen tatsächlich noch ihren Vorrat verdoppelt (und eher weniger von den Regenbogenauberginen gesammelt)... und sie sammelten trotzdem noch mehr, denn die Vorräte mussten ja auch noch für die Rückreise nach Zuyya reichen. Ob sie dann, falls sie jemals so weit kämen, wohl noch einmal drei Tage hier rasten dürften?

„Ja, mir geht es da auch nicht besser.“, sagte der Blonde zu Tayson, der ihm einen skeptischen Blick schenkte. „Ich muss plötzlich lernen, Dinge zu beherrschen, von denen ich nicht wusste, dass ich sie besitze.“

„Aber diesen Instinkt hast du immer gehabt.“, sagte der Größere, „Dieses... Wissen, wenn etwas passiert. Und wenn ich darüber nachdenke, warst du in der Schule auch immer überdurchschnittlich klug, jetzt, wo ich weiß, dass du Zuyyaner bist, macht das Sinn, ich meine... Zuyyaner sind doch alle so klug, sagt man.“ Simu zuckte die Achseln und erhob sich; er wollte gerade antworten, da war es ein sanftes, aber bedrohliches Grollen aus den Tiefen der Erde, das ihn inne halten ließ. Tayson schien es nicht bemerkt zu haben, denn er fing gerade an, weiter zu plappern, als Simu ihn nervös aufhielt.

„Warte, hast... du das gerade nicht gespürt? Die Erde hat gebebt, irgendwo ganz tief drinnen...“

„Alter, ich bin kein Zuyyaner...“, sagte Tayson verwirrt, als Simu den Kopf drehte und jetzt tatsächlich ein Geräusch hörte, das aus Richtung Westen kam. Tayson musste das auch mitbekommen haben, denn er drehte sich auch um und folgte Simus Blick alarmiert. „Was war das?“

„Keine Ahnung, muss was großes gewesen sein – wo sind die anderen?“

„Karana und Iana sind nach Osten gezogen und Yarek nach Süden...“, murmelte Tayson, als Simu nach dem Tsukibo griff, das an der Tari Randora gelehnt hatte, vor der er gesessen und Wache gehalten hatte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihm aus, als das Grollen der Erde zurückkehrte, das offenbar nur er wahrnahm. Es drang in sein Bewusstsein und machte ihn nervös, als er an das dachte, was sie alle schon vor zwei Tagen befürchtet hatten.

Was, wenn Scharan in der Nähe ist mit seinem Schiff...?

„Ich gehe nachsehen.“, murmelte der Blonde dumpf und ließ Tayson stehen, „Das Grollen der Erde wird stärker, als... als würde der Mond wollen, dass ich gehe.“ Tayson wirkte befremdet.

„Nicht alleine, Himmel! Du kannst doch nicht-...“

„Er ist nicht alleine, Tay-Tay.“, hörten sie da eine vertraute Stimme aus dem Norden kommen und beide Männer drehten sich zu Zoras Derran um, der mit Neisa zusammen aus dem Wald kam und auch noch ein wenig Proviant mitbrachte. „Ich gehe auch... ich kann es auch spüren, das Unheil aus der Erde. Schon seit gestern, und es macht mir verdammt noch mal Kopfschmerzen.“ Simu sah seinen Schwager verblüfft an, aber noch verblüffter war Tayson, der einen Schritt rückwärts machte, als der kleinere Mann zusammen mit Neisa zu ihnen stieß. Letztere hielt ein Bündel aus Leinentuch, in dem Simu gesammelte Fürchte und Wurzeln erkennen konnte.

„Es kamen Geräusche aus dem Westen.“, sagte Simu, „Irgendetwas geht da vor sich, vielleicht ein Raubtier.“

„Oder schlimmer.“, entgegnete Zoras ungeniert und ließ seine erlegte Beute vor Taysons Füße fallen, ehe er eben dem ins Gesicht sah. Taysons Miene wurde augenblicklich grantig, wie eigentlich immer, wenn er mehr als nötig mit dem Mann zu tun haben musste, der ihm Neisa ausgespannt hatte. „Pass auf meine Frau auf, Tay-Tay. Wehe, ihr ist ein Haar gekrümmt, wenn ich zurückkehre.“

„Zoras...“, wandte Neisa ungeduldig ein und verdrehte die Augen, während der Größte der Anwesenden missbilligend schnaubte.

„Pass doch selber auf sie auf, statt den Helden zu spielen, und ich gehe mit Simu.“

„Du solltest dich freuen, das Privileg zu genießen, dass ich dich für wertvoll genug halte, meine Frau zu beschützen, obwohl du gar nichts kannst.“

„Seid ihr behindert?“, fragte Simu genervt, „Am besten nehme ich Neisa mit und ihr beide macht mit eurem Gefrotzel weiter, wie wäre es?“

„Geh schon!“, zischte Neisa und schubste ihren Mann unsanft in Richtung Westen, „Und hör auf, Tayson unnötig zu ärgern. - Bilde dir nichts darauf ein, Tayson, du hörst genauso auf, ist ja albern mit euch!“ Tayson starrte nur absolut baff, als Simu einfach losging und ihm egal war, wer von diesen Vögeln jetzt mit ihm käme. Das ungute Gefühl in ihm wurde heftiger, je mehr er nach Westen kam, und Zoras holte ihn ein, als er kurz stehen blieb und taumelte, weil er die Erde tief im Inneren dezent beben spürte... auf eine Weise, die ihm die Haare zu Berge stehen ließ.

„Was glaubst du, ist das?“, murmelte der Blonde fast tonlos, ohne seinen Schwager anzusehen, der neben ihm auch zum Stehen gekommen war und argwöhnisch seine Hellebarde herum schwang.

„Keine Ahnung, aber es fühlt sich übel an. Was immer es ist, es hat... die Aura eines Dämons.“ Simu schauderte. Dass sie Ulan Manha, die Wiedergeburt des Geistes von Kelar Lyra, auch einen Dämon und eine Bestie nannten, machte seine Befürchtungen nicht geringer.

„Meinst du, das Beben der Erde und das Unheil aus dem Westen stammen beide von Manha?“, murmelte er, als sie den Weg rasch fortsetzten und sich zielstrebig direkt nach Westen durch den gigantischen, finsteren Urwald kämpften. Zoras war dabei verblüffend geschickt und durchaus eleganter als Simu, dem es etwas schwer fiel, zwischen den Bäumen, Farnen, wabernden Pflanzen und durch das Unterholz zu turnen.

„Eins weiß ich mit Sicherheit.“, entgegnete der Schwarzhaarige vor ihm grantig, „Was immer es verursacht, ich werde es eigenhändig zerfetzen, damit endlich Ruhe im Topf ist!“ Das war eine Ansage – und bei Zoras' aktueller immer noch schlechter Laune glaubte Simu ihm das glatt aufs Wort.
 

Yamuru sah die beiden, lange bevor sie ihn erreichten. Er lobte sich innerlich selbst für die meisterhafte Voraussicht, die anderen Trottel auf einem Umweg zur Tari Randora geschickt zu haben, damit sie einen zweiten Versuch starteten, die Batterie zu ergattern; es wäre schlecht gewesen, wären Kanau und die anderen Simu Ayjtana und Zoras Derran im Wald begegnet. Wenn er den alten Sagen glaubte, wozu er generell neigte, waren die Sieben so etwas wie Götter... mit annähernd göttlichen Gaben, was einiges einschloss. Er fragte sich, wie weit das reichte... vermutlich würde er gleich eine Chance bekommen, das auszuprobieren.

„Sieh an... so ein Zufall, dass wir uns hier begegnen, was... Zoras Derran?“, kicherte der Zuyyaner, als er von dem Ast, auf dem er hockte, die beiden Männer beobachtete, die genau in seine Richtung kamen. Sie hatten ihn noch nicht gesehen... es wurde Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen. Das war der letzte Tag auf Yasar – in Zukunft würde es etwas anstrengender werden, den Sieben zu begegnen, wenn sie erst weiter durch das All flogen. „Bevor ihr unser Schiff orten könnt und den Meister nervt, gucken wir lieber, wie göttlich ihr wirklich seid... nicht wahr?“ Das zu sich gemurmelt passte er genau den Moment ab, in dem die zwei direkt vor seinem Baum waren, ehe er in die Tiefe sprang und unmittelbar vor Simu und Zoras auf dem Erdboden landete. Wie er erwartet hatte fuhren beide erbleichend zurück, Zoras verfinsterte einen Schreckmoment später sein Gesicht und bedrohte ihn mit der Hellebarde von Yamir.

„Ach.“, sagte er, „Dann kam das schlechte Gefühl also von dir... Yamuru.“

„Freut mich auch, Zoras Derran, Seelenfänger.“, giggelte der Ältere guter Laune und sah Simu seine Waffe auch ziehen. „Simu Ayjtana... Sohn von General Nodin. Ich erinnere mich nicht an deinen Vater, als er starb, war ich erst drei. Aber Chenoa hat immer in den höchsten Tönen von ihm gesprochen, diese verräterische Schlampe... in meinen Augen war er ein Mitläufer des Imperators, der zufällig denken konnte. Nichts weiter... nach dem, was ich über ihn gehört habe, siehst du ihm ähnlich.“ Simu bewies eindrucksvoll, wie zuyyanisch er doch war, als er sein Gesicht nicht mal verzog und keinerlei Emotion durchscheinen ließ.

„Mein Vater ist Puran Lyra, König von Kisara.“

„Ah, Selbstverleumdung, üble Sache. Kenne aber einige, die das praktizieren.“

„Was willst du?“, fragte Zoras Derran grollend, „Dann hat mich mein Instinkt ja nicht betrogen... dass Manha hier auf Yasar ist. Und du... bist sein Handlanger und bist gekommen, um uns zu töten, bevor wir euch finden.“ Yamuru schenkte dem Zwerg ein Grinsen.

„Warum genau hast du jetzt diese Frage gestellt, wenn du die Antwort doch weißt?“ Das reichte offenbar als Provokation, denn im nächsten Moment schlug Zoras wütend mit der Waffe nach ihm und schmetterte einen gleißenden Blitz aus der Klinge in die Luft. Yamuru hatte keine Mühe, dem absolut vorhersehbaren Angriff auszuweichen, und der Kleinere fuhr verblüffend schnell herum, um gleich noch einen Blitz nach ihm zu werfen.

„Ich bringe dich um, du Hurensohn... noch mal verarschst du mich nicht!“ Yamuru feixte, ehe er seine Hand hob und darin seine eigene, grün schimmernde Reikyu erscheinen ließ.

„Das versuch mal. Ich bin gespannt.“
 

Es ging schnell. Simu spürte das Unbehagen in seinem Inneren rasant ansteigen in dem einen Moment, in dem Zoras sich samt Hellebarde und einem gleißenden Blitzen auf diesen Typen stürzte, der ihnen da in den Weg gekommen war. Das war Yamuru Mirrhtyi, von dem auch Thira gesprochen hatte – ihr Cousin und genau wie sie ein Mitglied eines der mächtigsten Clans der Zuyya. Der Blonde fluchte ungehalten und griff sein Tsukibo, als der Gegner Zoras' Zerstörer mit einer Bewegung seiner glimmenden, grünen Kugel zerschmetterte und sowohl den Angreifer als auch Simu durch die entstehende Druckwelle der Magie von den Beinen riss. Die Erde bebte, als Simu sich keuchend aufrappelte und Zoras bereits wieder blitzschnell auf den Beinen war, während er wutentbrannt seine Waffe herum schwang und mit einem wuchtigen Schlag die Klinge gegen Yamurus Reikyu krachen ließ. Der Zuyyaner pustete sich reichlich unbeeindruckt ein paar violette Strähnen aus dem Gesicht und sprang zurück, um seine Kugel verschwinden zu lassen und stattdessen an seinen Gürtel zu greifen.

„Katari, dafür, dass du so kurz gewachsen bist, hast du ja echt Kraft in den Armen...“, kommentierte er Zoras' Angriffe mit einem heiteren Lächeln, „Und du bist schnell... tapfer von dir, Zoras Derran.“

„Halt die Schnauze, du Hurensohn! Du hast schon damals für Scharan gearbeitet, als ich dir Neisa gegeben habe, oder?! Ich lasse mich nicht noch mal verarschen!“

„Zu deinem Glück habe ich gar nicht vor... dich zu verarschen.“, grinste Yamuru und zog aus einer Scheide an seinem Gürtel jetzt eine Waffe. Simu hatte so ein Ding noch nie gesehen... es hatte einen griff wie jedes Schwert, aber es hatte statt einer Klinge gleich drei, die sich im griff zu einer vereinten und deren drei messerscharfe Spitzen furchteinflößend waren. Der Blonde schnaubte, als Zoras schon wütend fortfuhr.

„Dein Messerchen wird dir nichts nützen gegen mich, Zuyyaner, selbst dann nicht, wenn es tausend Klingen hätte!“

„Sagst du.“, erwiderte der Größere und machte ein erstauntes Gesicht, als Zoras den nächsten Blitz auf ihn schleuderte und es den Zuyyaner kaum eine Handbewegung mit seinem komischen Dreizack kostete, um jenen Blitz erneut zu zerschmettern und seinerseits anzugreifen – und Simu starrte mit blankem Entsetzen auf die gewaltigen, messerscharfen Eiszapfen, die aus den drei Klingen auf sie beide zu geschossen kamen. Zoras weitete ebenfalls die Augen und schlug mit der Hellebarde im selben Moment nach vorne wie es auch der Blonde mit dem Tsukibo tat, sodass Yamurus Eiszauber klirrend an den Klingen beider Waffen zerschellte.

„Eine Eiswaffe wie Thiras Kouriha...“, murmelte Simu und spürte das Beben der Erde erneut, tief im Inneren, fast nicht wahrnehmbar, aber es war trotzdem da. Es beunruhigte ihn und geistesgegenwärtig riss er gerade noch seine Waffe hoch, um eine erneute Fuhre Eiszapfen abzuwehren, die der Gegner nach ihnen beiden warf. Reflexartig wirbelte er herum und schleuderte mit einem Schwung des Tsukibos eine Welle aus Wasser auf den Zuyyaner, während Zoras noch keuchend zurücksprang und aus dem Himmel einen weiteren Blitz rief – dann hörte er Yamuru zu lachen anfangen.

„Du bist nicht so klug, wie ich gedacht hätte, wenn du... mit Wasser auf einen Eismagier losgehst, Simu Ayjtana... wie enttäuschend. Aber danke, erspart mir Kraftaufwand.“ Als Simu noch die blauen Augen aufriss, sah er seinen Wasserzauber bereits im Flug gefrieren und dann in Form von unzähligen Eissplittern rasend schnell zu ihm zurückkehren. Er keuchte und im nächsten Moment erwischten ihn die massiven Zapfen schon, rissen ihn um und nagelten ihn am Erdboden fest, durchbohrten seine Kleider und machten ihn komplett bewegungsunfähig. Das Tsukibo fiel ihm aus der Hand, als er plötzlich am Boden lag, irgendeine ätzende Wurzel drückte ihm schmerzhaft in den Rücken und die Eiszapfen ließen sich beim besten Willen nicht entfernen, wie sehr er auch versuchte, sich loszureißen.

„Verdammt, was-...?!“

„Du bist noch nicht geübt genug mit der Reikyu, um dich loszumachen.“, stellte Yamuru feixend fest, „Wenn du das übst, kannst du dich eines Tages aus bloßer Willenskraft heraus aus so einer Lage befreien – ich glaube, es liegt daran, dass du dich immer noch dagegen sträubst, ein... böser, blutrünstiger Zuyyaner zu sein, hm?“

„Wolltest du Simu Tipps zum Überleben geben oder willst du einen Arschtritt, Hurensohn?!“, brüllte Zoras hinter Simu, ehe jener hätte reagieren können, „Bleib liegen, Simu, ich erledige den alleine!“

„Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben...“, brummte der Blonde und verfluchte sich innerlich für seine Unfähigkeit – oder die Dummheit, den Kerl mit Wasser angegriffen zu haben, wenn der Eis daraus machen konnte. Das hätte er wissen können... es war instinktiv passiert, er hätte besser nachdenken sollen. Was war es, das ihn so in Panik versetzte...? Der Dreizack? Der ganze Typ? Oder eher das Beben der Erde, das ihn mehr und mehr nervös werden ließ, während er sich wütend darauf zu konzentrieren versuchte, sich zu befreien. Er konnte kaum sehen, was Yamuru und Zoras trieben, er hörte sie nur, das Krachen von Donner, Zoras' wütendes Gebrüll, Yamurus Kichern und das Klirren, wenn die Klingen der Waffen aneinander gerieten – oder die Eiszapfen an die Klinge der Hellebarde. Er schrie nur plötzlich, als Zoras mit einem mal wieder in sein Blickfeld flog und rücklings quer auf Simus Bauch landete.

„Aua, Alter!“, japste der Blonde noch und sein Schwager fluchte wüst, ehe er sich rückwärts wieder von ihm weg rollte und seine Hellebarde packte – und Yamurus nächste Eiszapfen flogen in solcher Geschwindigkeit wieder auf den Schamanen zu, dass der kaum Zeit hatte, sich auch nur aufzurappeln oder seine Waffe zu heben – sie hätten ihm unweigerlich die Kehle zerfetzt, wäre nicht just in diesem Moment aus dem Nichts ein weiteres Geschoss gekommen, das die Flugbahn des Eiszapfens kreuzte und ihn mit einem unschönen Knirschen zerschmetterte. Zoras sank keuchend und sichtlich bleich wieder zu Boden, weil der Eiszapfen so getroffen plötzlich vor seiner Nase zersplitterte, und Simu versuchte heftig atmend den Kopf zu drehen. „W-was ist da los?!“ Dann sah er Zoras neben sich auch den Kopf drehen und die schmalen Augen noch mehr weiten – als nächstes hörte er eine bekannte Stimme, mit der er hier jetzt nicht gerechnet hatte.

„Lass die Finger von ihnen... oder es wird dir leid tun, Cousin.“
 

Zoras wusste nicht genau, ob er vor Erleichterung, dass er gerade dem sicheren Tod durch Eiszapfen entkommen war, laut auflachen sollte oder lieber vor Scham im Boden versinken, weil er von einer Frau gerettet werden musste. Wie Thira sie so plötzlich hier gefunden hatte, hinterfragte er besser nicht... vermutlich hatte sie irgendeine Eingebung in der Reikyu gehabt. Jetzt stand sie jedenfalls da und schien absolut erbarmungslos, ihre bläulich schimmernde Kouriha in der Hand und den Blick auf den anderen Zuyyaner gerichtet, der... sich eine Hand auf den Mund presste und offenbar versuchte, ein Lachen zu unterdrücken.

„Du amüsierst dich wohl sehr, du alberner Vogel?!“, zischte Zoras und kam auf die Beine, aber Thira streckte die Kouriha in seine Richtung aus und hielt ihn auf, als er schon seine Waffe schnappen wollte.

„Halt dich da raus, Zoras.“, sagte sie monotoner als jemals zuvor, noch immer nur auf Yamuru starrend. „Er ist kein Gegner für dich. Noch nicht.“

„Was soll denn das heißen, arsch mich nicht an, Thira!“ Doch sie würdigte ihn keines Blickes und die Erinnerung an den Eiszapfen, der unglaublich schnell auf ihn zu gekommen gewesen war und der ihm fast die Kehle durchbohrt hätte, wäre Thira nicht gekommen, ließ ihn grollend gehorchen und zurücktreten.

Dieser Typ... hat die ganze Zeit nur herum gespielt, er hat erst in dem Moment Ernst gemacht, als er mich fast erwischt hätte... der tut so, als wäre er dümmer als er ist, da bin ich sicher. Ihn zu unterschätzen wäre dumm... den Zuyyaner mit der Seele.

Ja, er erinnerte sich an seine allererste Begegnung mit diesem Mann. Und an seine Feststellung, dass dieser Mann, obgleich er Zuyyaner war, so gar nichts mit allen anderen Zuyyanern gemein hatte, die Zoras kannte. Das Bild, das sich ihm jetzt bot, wie sich Thira und der Kerl, der immer noch giggelte und sich gar nicht mehr einkriegen wollte, einander umschlichen wie zornige Raubkatzen, die Waffen gezückt und bereit, den anderen zu schlachten, war echt bizarr. Die junge Frau war so absolut emotionslos... und Yamuru schien vor Amüsement nur so zu platzen. Wie konnte er als Zuyyaner, die doch seelenlos sein sollten, so emotional sein? Das machte ihn gefährlicher als Thira, dachte Zoras sich verblüfft – denn es machte ihn unberechenbarer.

„Was für ein Zufall, dass du gerade kommst, um Zoras das Leben zu retten.“, grinste der Typ gerade und hob drohend seinen Dreizack, „Oder eher göttliche Fügung, was? Ich glaube ja, ihr Sieben könnt gar nicht sterben... die Mächte der Schöpfung... seien es nun Geister, Götter oder Katari... werden es so lange verhindern, bis eure Aufgabe erfüllt ist. Das ist so witzig, ich kann nicht mehr...“

„Spar dir dein Gelächter für den Moment auf, in dem ich dir die Kehle herausreiße, damit du darüber lachen kannst, wie dumm du warst, mich zu reizen.“, grollte Thira, worauf der Typ tatsächlich sein Lachen unterdrückte und sich räusperte.

„Vergib mir, liebe Cousine. Es ist lange her... das letzte Mal, dass wir einander begegnet sind, warst du noch ein Baby, erinnerst du dich überhaupt an mich?“

„Nein. Offenbar aus gutem Grund.“

„Ich erinnere mich aber an dich...“, freute sich Yamuru, „Ich fand dich... bildhübsch, schon als Baby.“

„Wenn du gedacht hast, indem du mir schmeichelst, besänftigtest du mich, irrst du. Ich werde dich töten, Yamuru Mirrhtyi... weil du deinen Vorfahren den Rücken gekehrt hast und jetzt... für Manha den Hofhund spielst.“ Yamuru grinste und trat ein paar Schritte zur Seite, um seine Waffe drohend auf seine Cousine zu richten.

„Da bin ich ja gespannt.“, feixte er, „Unsere Waffen sind einander ebenbürtig – deine Kouriha, das Erbstück des Jamali-Clans, gegen die Sanhari des Mirrhtyi-Clans... fragt sich nur, ob ihre Träger einander auch ebenbürtig sind, hm?“

„Halt's Maul, Verräter!“, zischte Thira, und dann, Zoras konnte gar nicht so schnell gucken, stürzten sie sich zeitgleich aufeinander.

Es gab ein lautes, grollendes Krachen, das dem Schamanen am Rand einen eisigen Schauer über den Rücken jagte, als die Klingen beider Waffen aufeinander prallten. Der Schlagabtausch, der folgte, fand in einer Geschwindigkeit und Intensität statt, dass Zoras kaum fassen konnte, was eigentlich vorging, und noch weniger, dass bei dem Elan, den beide Gegner in ihren Kampf legten, nicht längst jemand gestorben war. Er sah Eiszapfen fliegen, die aufeinander krachten, die knapp die Kehle des jeweils anderen verfehlten, Thiras Klinge zerriss Yamurus Ärmel und seine einen Teil ihrer Haarspitzen, worauf einer ihrer beiden grünen Zöpfe plötzlich viel kürzer war als der andere. Dann, genauso schnell, wie es begonnen hatte, war es vorbei, und es war Yamuru, der seine Cousine mit einem gewaltsamen Stoß seiner Waffe rückwärts stieß, sodass sie tatsächlich ins Straucheln geriet – in dem Moment riss er ihr mit offenbar purer Willenskraft und einem blutrünstigen Blick aus seinem seltsamen, linken Auge ihre Kouriha aus der Hand. Thira keuchte, reagierte aber sofort und sprang zurück, ehe sie ihre Hände empor riss und ihre Reikyu herauf beschwor – in einer unglaublichen Geschwindigkeit war plötzlich auch Yamurus Dreizack auf dem Erdboden und Zoras klappte der Unterkiefer herunter bei dem Spektakel, das er hier mitansah. Simu grummelte irgendetwas auf dem Boden, wo er immer noch lag.

„Du bist schnell zu Fuß.“, stellte der Violetthaarige gerade amüsiert fest, als Thira ihre Reikyu anhob und ein furchteinflößendes Gesicht machte, sodass selbst Zoras kurz schauderte, und er war eigentlich so einiges an furchteinflößenden Gesichtern gewohnt. In dem Moment begriff er zum ersten Mal, wie absolut skrupellos und furchterregend die Zuyyaner tatsächlich waren... der Krieg auf Tharr war an ihm vorbei gegangen größtenteils. Er hatte nur aus Erzählungen der Alten gehört, wie furchtbar die Bewohner des blauen Mondes waren... das, was sich hier abspielte zwischen nur zweien von ihnen, war bestialisch und er spürte, wie sich in ihm etwas zusammenzog bei dem bloßen Anblick.

„Deshalb kannst du uns trotz Versteck sehen...“, grollte Thira unwirsch und fixierte ihren Cousin, der seine Hand auch hob und darin ebenfalls wieder seine grünliche Kugel erscheinen ließ. „Du... hast zwei Reikyus. Du hast... zwei Seelen, die du kontrollierst... das ist schlimmer, als ich befürchtet habe.“

„Wie jetzt?!“, keuchte Simu am Boden, „Zwei Seelen, w-wie kann das sein?! Das ist unmöglich!“

„Zuyyaner.“, war Yamurus Patentantwort und er giggelte schon wieder. „War eine schmerzhafte und brutale Sache, mir die Reikyu meines Vaters ins Auge zu transplantieren, aber es lohnt sich. Auch, wenn man komisch gucken kann so...“

„E-er hat sich eine-... was?!“, schnappte Zoras jetzt auch heillos überfordert – wie war denn so etwas möglich? Allein die Vorstellung, dass sich jemand eine... zur Kugel geformte Seele ins Auge pflanzte, brachte ihn fast zum Würgen, so scheußlich war es, und er wollte gar nicht wissen, aus was für einem Grund dieser Spinner wohl seines Vaters Seele gestohlen hatte – das war barbarisch!

„Halt dich raus!“, blaffte Thira ihn noch einmal an und hob ihre Hand mit der bläulichen Reikyu etwas höher, „Gut, unsere Waffen mögen einander ebenbürtig sein. Unsere psychische Magie ist es nicht.“

„Nein.“, gackerte Yamuru, „Ich bin doppelt so gut wie du.“

„Sagst du.“ Mit diesen Worten ließ Thira ihre Kugel aufblitzen und das, was dann geschah, vermochte Zoras nicht in ernste Gedanken zu fassen.

Äußerlich war überhaupt nicht zu sehen, was geschah. Die beiden Kontrahenten standen einander einfach nur gegenüber und alle Reikyus glühten bedrohlich... es war ein Kampf purer Willenskräfte, purer, geistiger Energie. Und obgleich Zoras die Schlacht, die gefochten wurde, nicht sehen konnte, konnte er sie deutlich spüren. Sie war wie ein enormer, schmerzhafter Druck, der entstand, ein Aneinanderreiben zweier unglaublich grausamer Mächte, und diese Reibung erzeugte in ihm ein so fürchterliches Gefühl, dass er glaubte, er würde daran zerbrechen. Die Druckwelle presste ihn zu Boden, presste ihm die Luft aus den Lungen, blendete ihn und war so schmerzhaft, dass er unwillkürlich keuchte, als er plötzlich glaubte, der Kampf der Reikyus würde ihn in Stücke reißen... die geistige Macht fraß ihn von innen heraus auf, zerquetschte seine Organe und seine Adern, so fühlte es sich an, bis sie mit einem grauenhaften Stich in seinem Kopf zu explodieren schien. Dem Schmerz folgte ein plötzliches Schwindelgefühl, das so heftig war, wie Zoras es noch nie erlebt hatte, gepaart mit einer furchterregenden Übelkeit ließ es ihn auf alle Viere am Boden zusammenbrechen und ihm wurde schwarz vor Augen, während der schmerzhafte Druck immer noch schlimmer und unerträglicher wurde, bis er mit einem Mal gellend aufschrie, ohne es irgendwie vermeiden zu können; in dem Moment knackte irgendetwas in seinem linken Ohr mit einem so bestialischen Schmerz, dass er glaubte, er würde daran verrecken... und dann wurde die Welt plötzlich stumpf und leise.

„Alter, Zoras!“ Das war Simus Stimme, sie klang meilenweit weg und entsetzt – lag der Kerl nicht unmittelbar vor seiner Nase? Wieso war er so leise? Rechts war es lauter... jetzt hörte er Thira heftig ein und ausatmen und dann wütend zischen:

„Bleib hier, du Missgeburt, ich kriege deinen Kopf, Yamuru Mirrhtyi!“ Zoras verstand nicht ganz, was abging, er konnte nicht richtig sehen, die ganze Welt drehte sich und waberte haltlos vor und zurück, während er seine eigenen Arme und Oberschenkel so heftig zittern spürte, dass er glaubte, er würde gleich ganz flach am Boden liegen, weil ihm die Kraft fehlte, sich weiterhin auf alle Viere zu stützen. Die Übelkeit kehrte mit solcher Heftigkeit zurück, als er sich heftig japsend auf seine Füße setzte und versuchte, seinen Oberkörper aufzurichten, dass er glatt wieder nach vorne kippte und sich hustend auf den Erdboden übergab.

„W-was macht ihr mit mir, verschwindet!“, keuchte er fassungslos und griff stöhnend nach seinem übelst schmerzenden Schädel, „Mach es weg, Thira, es... es bringt mich um!“

„Scheiße!“, hörte er Thiras Stimme von rechts jetzt etwas lauter, und als er keuchend und vor Schmerzen und Schwindel fast wahnsinnig den Kopf herum riss, starrte sie ihn aus ihren roten Augen entsetzt an. „Sieh mich an, Zoras! - Kannst du mich sehen?“

„Ja, verdammter Scheißdreck!“, brüllte er und verspürte trotz seines vor Panik rasenden Herzens eine Erleichterung durch seinen Körper strömen, als der Druck nachließ und der Schmerz abebbte. Keuchend fasste er sich an den Kopf und zitterte noch immer am ganzen Körper, während Thira hinter sich auf den Boden langte und ihre Kouriha aufhob. Sie beugte sich vor und rammte sie neben Zoras in die Erde, worauf es kurz bebte und ein Knirschen im Boden erklang.

„Steh auf, Simu, die Eiszapfen sind jetzt unter der Erde durchtrennt worden. – Hast du auch was abbekommen? Verdammt, das hätte nicht passieren dürfen...“

„Was?“, fragte Simu, und Zoras hörte ihn fast gar nicht, sodass er verwirrt den Kopf nach links drehte, um den Blonden anzusehen. Erst jetzt kam ihm der Gedanke, dass es nicht an Simus Stimme lag, dass er so leise war, sondern an seinem Ohr.

„Ich... kann dich nicht mehr hören...“, stammelte der Schamane verblüfft und griff nach seinem linken Ohr; es war noch ganz, aber tatsächlich war er plötzlich auf der linken Seite absolut taub. „Ich kann mit links nicht mehr hören, was zum Geier passiert hier und-... w-wo ist der Bastard, Thira?“

„Yamuru? Abgehauen, verdammt, der Druck der Magie der Reikyu hat sicher deinen Gehörsinn vernichtet – das ist nicht gut.“

„Das... ist absolut nicht gut, kann man dagegen denn nichts machen?!“, fragte Simu entsetzt, „Wieso ist mir das nicht passiert?“

„Du bist zuyyanischen Blutes, wir Zuyyaner können den Druck natürlich besser ab als alle anderen... verdammt, daran hätte ich denken sollen. Kannst du aufstehen?“

„Mir wurden keine Beine amputiert, verflucht!“, brüllte Zoras laut und rappelte sich auf die Beine – und wäre fast wieder umgekippt, weil der Verlust seiner Hörfähigkeit auf der linken Seite seinen Gleichgewichtssinn ebenfalls störte. Simu sprang geistesgegenwärtig auf und packte ihn an den Armen, um ihn festzuhalten.

„W-wir müssen zurück zur Tari Randora... vielleicht kann Neisa das heilen. Sie ist immerhin Leyya Lyras Tochter... und Leyya hat Techniken entwickelt, die selbst zuyyanischer Magie trotzen.“
 

Der Angriff auf die Tari Randora kam aus dem Nichts von einem Moment auf den anderen und hätte Asta beinahe das Leben gekostet, die zufällig vor dem Haufen mit dem Proviant gehockt hatte, als plötzlich ein Schwall Feuer direkt auf sie zugeschossen gekommen war. Tayson war geistesgegenwärtig genug gewesen, mit einem atemberaubenden Hechtsprung aus dem Eingang des Schiffes zu schießen, sich auf das Mädchen zu stürzen wie ein Löwe sich auf seine Beute und sie damit zu Boden mitten in den Provianthaufen zu reißen. So entkamen alle bis auf Taysons Haarspitzen der plötzlichen Flamme und im nächsten Moment schrie Eneela irgendwo vor Schreck auf, als aus dem umliegenden Gestrüpp die Männer auftauchten, die ihnen schon im Karanyi-Nebel begegnet waren. Karana erkannte die Männer wieder, als er seine erlegte Beute abrupt fallen ließ, die er noch kaum zwei Momente vorher erst zusammen mit Iana zum Lager geschleppt hatte. Letztere zog mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und Bestialität ihr Kurzschwert und stürzte sich auf die Angreifer, ehe Karana sie aufhalten konnte.

„Dieses mal kriege ich euch am Arsch, dass ihr es wagt, hier noch mal aufzutauchen!“, zischte sie dabei und der junge Mann fuhr herum, kurz darauf hätte ihn beinahe der Telekinese-Schlag des Telepathen erwischt, dem er mehr durch pures Glück gerade noch ausweichen konnte.

„Verdammt!“, fluchte er und zog sein Schwert, ehe er auf Tayson und Asta sah, die sich gerade wieder aufrappelten. „Tayson, bring sie rein, na los! Und Neisa soll auch ja drinnen bleiben! - Wo sind Simu und Zoras eigentlich?!“

„Keine Ahnung, die sind schon ewig weg!“, sagte Tayson, „Die wollte irgendwie nach Westen und – irgendwann ist Thira ihnen wie vom Blitz getroffen hinterher gejagt und... Alter, Vorsicht!“ Die Warnung war überflüssig, Karanas Instinkte hatten ihn bereits gewarnt, dass der Typ mit den roten Haaren jetzt einen tödlichen Strahl aus lodernden Flammen nach ihm warf. Mit einem Keuchen riss der Geisterjäger sein Schwert hoch und direkt in die Bahn des Zaubers, um ihn mit einem Wirbel aus Macht zurück zu schleudern und verrauchen zu lassen. Das musste der Nomae-Kerl sein, von dem Ryanne gesprochen hatte. Es waren insgesamt fünf Männer, die von allen Seiten den Vorplatz des Lagers umzingelten und den Kameraden keine Chance gaben, irgendwohin zu fliehen... selbst, wenn sie hätten fliehen wollen, was ziemlich kontraproduktiv gewesen wäre, wie Karana fand. Iana tauchte wieder neben ihm auf und war offenbar nicht weit gekommen mit ihrem versuchten Konterangriff, auf seiner anderen Seite fand der Schamane jetzt Eneela, die zwar noch blasser als ohnehin schon wurde, aber deren Augen eine Feindseligkeit versprühten, die selbst Karana einen Schauer über den Rücken jagte. Sicher... das waren Männer von Ulan Manha. Schergen des Mannes, der sie gefangen gehalten hatte, der ihr Volk versklavt hatte. Tayson kehrte ebenfalls zurück, nachdem er Asta unsanft ins Innere des Schiffes geschubst hatte, wo auch Neisa und die dumme Seherin sein mussten. Und Yarek war noch im Wald unterwegs... wenn sie Glück hatten, dachte Karana, würde der Söldner einen der Bastarde von hinten erschlagen können, das würde ihnen allen ein Überraschungsmoment geben, das ihnen definitiv helfen würde.

„Ihr wollt die Batterie der Tari Randora?“, fragte Karana seine Gegner kalt und hob drohend sein Schwert in ihre Richtung, „Dann... versucht doch, sie euch zu holen.“

„Mit Vergnügen; das ist ja schließlich der Grund, aus dem wir kommen.“, erklärte der Rothaarige grinsend, ehe er seine Hände wieder hob und dann laut den Befehl zum Angriff gab.

Sie kamen alle auf einmal. Karana hatte Mühe, den Überblick zu behalten, und gab es letztlich auf, als die Erde unter seinen Füßen zu grollen und enorm zu beben begann, was ihn fast von den Füßen geworfen hätte, während er sich mit dem blonden Telepathen herumschlug. Der Kerl war verblüffend wendig, obwohl er größer und breiter als Karana war, und es war ein echter Akt, ihn überhaupt mal zu erwischen, weil er sich am laufenden Band weg teleportierte oder Barrieren erstellte, die ihn vor angreifenden Zaubern schützten.

„Pff, und du bist also der großartige Sohn des größten Genies überhaupt?“, spottete der Blonde dabei, „Ist ja albern. Und von deinem Vater sagen sie alle, er wäre das absolute Wunderkind, da hätte ich bei dir irgendwie... nun ja, mehr erwartet.“

„Das liegt nur daran, dass ich noch mit mir hadere, ob es sich überhaupt lohnt, sich bei einem solchen Hurensohn ernsthaft ins Zeug zu legen.“, mutmaßte Karana gelassen und wich einem weiteren Telekinese-Schlag aus, „Weißt du was? Wir können jetzt einfach ewig so weitermachen und Katz und Maus spielen, bis wir müde werden. Oder aber du bleibst einfach mal auf der Stelle stehen, sodass ich dir mit einem einzigen Schlag dermaßen die Fresse polieren kann, dass selbst die Schlampe von einer Mutter, die dich einst geboren hat, jedes Mal zu heulen anfängt, wenn sie dich bei Tageslicht sehen muss.“ Der blonde Kerl, Karana glaubte sich zu erinnern, dass er Rok hieß, reagierte auf die Provokation genau so, wie er erwartet hatte, und stürzte sich wutentbrannt frontal auf ihn, sodass Karana feixend sein Schwert empor reißen konnte, um ihn endlich mal mit einer Katura zu treffen, sodass der Windzauber seinen Gegner unter dessen schmerzerfülltem Schreien durch die Luft und zurück schmetterte. Was dachte der sich, dass er einfach an ihm vorbei käme? Er war verdammt noch mal der Sohn des Herrn der Geister. Und er hatte nicht vor, seinem Vater Schande zu bringen, indem er gegen einen solchen Hundsfott verlor...

Warte nur, Ulan Manha... Urgroßvater Kelar! Ich werde dich kriegen... wenn ich deine Hofhunde einen nach dem anderen abgeschlachtet habe, werde ich dich kriegen. Und du wirst winseln und um den Tod betteln, während du mir zu Füßen liegst... und vielleicht werde ich so gnädig sein, ihn dir zu gewähren.
 

Die Erde bebte, weil einer der Männer am Boden hockte, die Hände auf die Erde gelegt, und offenbar Erdzauber ausführte. Iana wollte ihn stoppen, damit das Geschwanke aufhörte, aber der rothaarige Kerl mit dem Feuer ließ sie nicht zu ihm durch. Sie verfluchte den Kerl aufs Übelste, als sie seinen herum wirbelnden Flammen beinahe erlegen wäre und sich noch rechtzeitig zu Boden fallen ließ. Sie bekam kaum Zeit, überhaupt aufzustehen, da war der Kerl bereits über ihr und versuchte sie mit bloßen Händen an den Boden zu pinnen. Sie wand sich wüst schimpfend und riss sich die Hand mit Kadhúrem los, um ihm damit wuchtig mitten ins Gesicht zu schlagen. Das Kurzschwert riss seine komplette Wange auf und vernichtete sein halbes Gesicht, sodass er brüllend zurückfuhr und Iana wieder auf die Beine hechten konnte.

„Du verfluchte Hure!“, brüllte der Kerl und presste sich noch immer vor Schmerzen keuchend die Hand auf die blutüberströmte Wange, „Das... wirst du büßen!“

„Spuck keine Töne, ich hab keine Angst vor Männern.“, grollte Iana wütend und riss ihre Waffe hoch, als er fluchend zurückfuhr und einem weiteren Angriff von ihr tatsächlich entkam. Die Wunde musste aasig wehtun, aber er schien sich ganz gut gefangen zu haben, schneller als der Frau lieb war, wie sie zugeben musste. Im Handumdrehen war er, wenn auch taumelnd, wieder auf den Beinen, und in dem Augenblick, in dem er einen Feuerzauber nach ihr schleuderte, schwankte die Erde erneut mit einem ohrenbetäubenden Grollen. Iana riss die Augen auf, als sie spürte, wie sie rückwärts von den Beinen gerissen wurde – und noch im Fallen sah sie wie in Trance das gewaltige, tödliche Feuer auf sich zu schnellen, das sie definitiv verbrannt hätte...

Eigentlich.

Es war wie an dem Tag, an dem sie gegen Karana gekämpft hatte auf der zuyyanischen Tundra. Sie wusste nicht mal, woher das Wasser plötzlich kam... es war plötzlich da und mit einem Donnern aus dem gelblichen, kranken Himmel über Yasar traf ihr Wasserzauber das Feuer von Kanau Nomae. Und es geschah nicht ganz das, was Iana erwartet hatte, denn das Feuer erlosch nicht, stattdessen färbte sich das Wasser in der Luft plötzlich flammend rot und wurde zäher – und Kanau lachte ihr gegenüber amüsiert, als sie auf dem Boden aufschlug und über ihr eine kochende, wabernde Masse aus flüssigem Feuer schwebte, wie schwerelos... weil der Gegner sie mit ausgestreckten Händen in der Luft festhielt, wie es aussah.

„Dummes Mädchen. Wasser nützt dir nichts... kein schamanisches Wasser. Ich beherrsche Wasser und Feuer gleichermaßen und kann sie nach belieben kombinieren... dann werden sie zu einer Art magischer Lava. Schade eigentlich um dich... du bist 'ne Hübsche.“

Iana wollte ihn töten allein für die Frechheit, dass er sich anmaßte, Worte zu ihr zu sagen, die allein ihrem verblödeten Ehemann zustanden, aber sie kam nicht dazu, denn in diesem Moment ließ er seine Lava auf sie fallen – und sie wäre zum zweiten Mal eigentlich gestorben, wenn nicht absolut entgegen aller Naturgesetze oder der Schwerkraft plötzlich Yarek aus dem Nichts aufgetaucht wäre, sie gepackt hätte und sie mit einem Tempo zur Seite zerrte, das an sich nicht möglich hätte sein dürfen... aber er schaffte es, sie unter der Lava weg zu ziehen, noch bevor sie auch nur Ianas äußerste Haarspitzen hätte berühren können. Die Frau keuchte und hustete, als der Söldner sie auf die Beine zerrte und sich dann grantig an Kanau wendete, seine gigantisch lange Masamune schwingend.

„Vorsicht mit solchen Worten, Hurensohn.“, warnte er den Magier, „Iana beißt, und ihre Bisse sind giftig.“
 

„Können wir denn nichts tun?!“, fragte Asta unglücklich, und Ryanne kicherte gelassen – oder wahnsinnig – vor sich hin, während sie an ihrem merkwürdigen, freizügigen Gewand herum zupfte.

„Wir sind hier drinnen besser und nützlicher als da draußen.“, stellte die Seherin klar, „Letztes Mal war ich auch drinnen und es war richtig. Wenn der Mann zurückkommt, klaue ich ihm seinen Schädel. Er hat Verstand, ich bin neidisch.“ Asta schien das nicht wirklich zu beruhigen, was Neisa ihr nicht verdenken konnte. Und sie hatte jetzt definitiv keine Nerven für das Gefasel dieser Verrückten, die sich an nichts erinnerte. In ihrem Kopf pochte es, als sie unruhig mit einigem Abstand von den beiden anderen durch den Korridor tigerte und draußen das Kampfgebrüll und das Krachen von Zaubern hörte, die aufeinander prallten. Durch das Schiff ging ein unstetes Beben, das Neisas Knie erzittern ließen, als sie sich noch etwas von den anderen Frauen entfernte. Ihre Sorge galt nicht ihrem Bruder und den anderen – sie hatte ein Gefühl, dass sie das hier unbeschadet überstehen würden. Aber sie sorgte sich um ihren Mann, der seit einer Weile plötzlich aus ihren Visionen verschwunden war. Sie hatte ihn nicht mehr im Auge, egal, wie sehr sie versuchte, sich auf ihn zu konzentrieren, und der Gedanke, Zoras könnte irgendetwas zugestoßen sein, machte sie fast wahnsinnig. Sie wollte nicht so enden wie die Seherin... verrückt, ohne Verstand, einfach nur irre. Ihr Kopf schmerzte heftiger und sie fuhr zusammen, als sie sich zischend an die Schläfen griff und versuchte, mit etwas unbeholfener Heilmagie ihre Schmerzen zu lindern. Sie hatte in letzter Zeit oft Kopfschmerzen gehabt... sie waren eine nervöse Unruhe in ihrem Inneren, ein Schatten, der sie irgendwie alle befiel.

Chenoa hatte sie gewarnt... der Schatten würde an ihnen ziehen. Neisa spürte, wie er an ihr zerrte, und er zog auch an den anderen. An Asta, die völlig verzweifelte war ob ihrer dauerhaften Nutzlosigkeit, an Ryanne, die ihren gesunden Menschenverstand mit jedem Tag mehr einzubüßen schien, an Zoras, der dem Wahnsinn seiner Visionen zu verfallen drohte, jedes Mal, wenn er versuchte, mit den Geistern zu sprechen... jedes Mal, wenn sie ihn festhalten und dafür sorgen musste, dass er nicht zu weit hinaus trieb in den Strom des Geisterreichs. Das Gefühl war unheimlich und ergriff Besitz von ihr, mit jedem Atemzug, den sie tat, mehr und intensiver.

Die Geister wisperten in ihrem Kopf... Worte, die sie nicht verstand.

Sieh mich an... Liebster. Sieh mich an, Zoras!

Und wenn er sie in ihren Traumbildern ansah, sah sie den Schatten... der seine Seele verschlingen wollte. Und ihre. Und sie hörte aus der Ferne das kehlige Lachen einer Bestie, die zu bändigen sie nicht vermochte...

Ihre Macht hatte nachgelassen. Schon lange... waren die Ketten gerissen, in denen das Monster eigentlich hätte liegen sollen. Die sie hätte festhalten müssen... wenn sie gekonnt hätte.

„Der Schattendämon... ist zu mächtig, um ihn zu bändigen. Übrig bleiben... werden Scherben, die ich... nicht einzusammeln vermag. Scherben... alles, was von der Macht, die ich einst hatte, noch übrig ist... ist es nicht so, Liebster?“

Sie verstand ihre eigenen Worte nicht. Es waren Worte, die Neisa nicht selbst gedacht hatte... als hätte jemand anderes sie durch ihren Mund gesagt, wie es schon öfter passiert war. Und doch waren sie so vertraut... und das Gefühl, das zu ihnen gehörte, diese zum Verzweifeln grauenhafte Ohnmacht... war es ebenso. Und ihr Kopf schmerzte wieder heftiger, als sie das Gesicht herrisch erhob und merkte, dass ihr gegenüber plötzlich ein Typ stand, den sie nicht kannte – ein Typ von Scharan. Und er starrte sie an, absolut perplex, bis er endlich den Mund auftat.

„Wieso... gerate ich eigentlich jedes Mal, wenn ich hierher geschickt werde, an irgendeine wahnsinnige Seherin?! Letztes Mal war es die aus Fann, jetzt...“ Er machte eine erschrockene Pause und fixierte Neisas Gesicht so intensiv, als würde er darin den Schlüssel zur Unsterblichkeit finden, wenn er nur lange genug starrte. „Gezeiten, du bist Neisa Lyra... du bist die Urenkelin der Seherin Salihah... Kelars Ehefrau.“

„Und mit wem haben wir die Ehre?“

Die Stimme kam von vorne, und der Kerl vor Neisa fuhr herum, während sie strauchelte – hinter dem Kerl war Yarek aufgetaucht, ein wenig aus der Puste und höchst missgelaunt, die Masamune gezogen. Neisa sprach den Namen des Heilers vor ihrer Nase aus, ehe er es selbst hätte tun können, und sie wusste gar nicht, woher sie ihn kannte – vermutlich hatte Ryanne ihn einst erwähnt, aber es fühlte sich nicht an wie eine Erinnerung an etwas einst Gesagtes... es war Instinkt.

„Turo Ankti... der Junge, dessen Verstand Ryanne haben will... wie bist du hier reingekommen?“

„Da ist ja mein jungfräulicher kleiner Freund!“, johlte Ryanne da auch schon hinter ihr und Neisa sah den Kerl entsetzt die Luft einziehen.

„Alter – g-geh mir vom Leib, du Irre, und – nun, wie bin ich wohl herein gekommen, durch die Tür, schätze ich. Da alle anderen beschäftigt waren... und da mir irgendwie jedes Mal eine durchgeknallte Frau mit Psychosen in den Weg kommt, schiebe ich das nächstes Mal an wen anderes ab – war nett mit euch.“

Er war flink – Neisa wusste noch nicht genau, was passierte, als er urplötzlich herum wirbelte und an Yarek vorbei sprang, ihn dabei mit der bloßen Hand gegen den Arm mit der Masamune schlagend – die der Söldner daraufhin verblüfft fallen ließ, als der Feind so plötzlich an ihm vorbei gestürmt war, und Ryanne kicherte und warf einen Telekinesezauber nach ihm, um ihn einzufangen – es war ein ohrenbetäubendes Brüllen aus den Tiefen der Erde, das sie allesamt inne halten und augenblicklich alles andere vergessen ließ... einen Moment später begann die Erde so heftig zu beben, als würde der ganze Planet auseinander brechen.
 

Eneela strauchelte und fuhr zusammen bei dem grellen Aufflammen von Feuer irgendwo rechts von ihr. Das wurde ihr fast zum Verhängnis, denn der Mann, der mit Pflanzenranken zaubern konnte, erwischte sie mit einer seiner Ranken am Bein und riss sie in die Luft, bis sie japsend kopfüber hin und her baumelte. Sie schalt sich eine Närrin, weil sie durch ihre Panik vor dem Feuer so nutzlos war. Der Versuch, die Wasserbestie Yolei zu beschwören, war gründlich daneben gegangen, denn der Typ, mit dem sie kämpfte, beherrschte Pflanzen... und denen machte Wasser absolut nichts aus. Selbst der Versuch, ihn mit einem gezielten Wasserstrahl von Yolei durchbohren und weg schießen zu lassen, war fehlgeschlagen, weil er einen der umstehenden Riesenbäume kontrolliert hatte, der ihn mit einem Ast hinauf gehoben hatte, sodass der Wasserstrahl vorbei gegangen war. Jetzt stand Yatli wieder auf dem Erdboden und lachte sie aus, als sie kopfüber in der Luft baumelte und ihre Beine von den Ranken langsam zermalmt wurden.

„Wie armselig... Eneela Kaniy.“, schnaufte er dabei grinsend, „Bist du nicht das Mädchen, das fliehen konnte? Die Sklavin, die trotz der Drogen beschwören konnte? Das war sensationell, habe ich gehört, und der Meister war ganz schön sauer deswegen... und jetzt fange ich dich so einfach ein und... das war's?“

„Sprich nicht... meinen Namen aus!“, zischte Eneela und sie sah sein Grinsen verschwinden, als sie sich wütend in seiner Schlinge wand und die Arme gen Erdboden streckte. „Komm... Urak!“

„Was zum-...?!“, schnaufte Yatli und sprang zurück, als unter der Stelle, über der Eneela hing, der Boden aufbrach und daraus eine weitere Pflanze heraus schnellte. Ein Monster aus Ranken und Tentakeln ähnlich dem Zauber, den er selbst verwendete... aber das, was Eneela rief, war kein Zauber, sondern eine Lian. Die Bestie der Erde... sie hatte sie schon einmal im Karanyi-Nebel beschworen. „Und du beschwörst eine Pflanze, um damit eine Pflanze zu bes-... aah!“ Er schrie empört, als die Lian tatsächlich schneller als erwartet aus dem Boden schoss und mit den Ranken mit messerscharfen Schlägen seinen eigenen Zauber zerschnitt, sodass Eneela zu Boden stürzte – die Lian fing sie mit einer anderen Ranke auf und stellte sie behutsam, beinahe zärtlich, auf dem Boden ab, und Yatli schnaubte.

„Töte ihn... Urak.“, zischte das blasse Mädchen erfüllt von tiefem Zorn, der gar nicht in erster Linie Yatli selbst galt... er galt Scharan. Dem Bastard, der ihre Mutter getötet hatte... und ihr Volk versklavt. Sie würde nicht zulassen, dass es verblendete Penner gab, die diesem Monster gehorchten... und wenn sie sie alle einzeln auslöschen müsste.

Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und die Macht, die sie verwendete, um die Bestien zu rufen, war wie ein Blutrausch, der sie fast um den Verstand brachte, als sie strauchelte und Yatli mit seinen Ranken gegen die Ranken der Lian kämpfte. Schließlich fluchte der Mann ungehalten und hechtete zurück, zerschlug mit einer seiner Ranken einen Teil von Urak und wich gleichzeitig einem Angriff aus, ehe er die Hände auf den Boden presste.

„Scheiße, ich lasse mich doch nicht von einer verdammten Sklavenhure töten!“, brüllte er, und was dann geschah, überstieg Eneelas Auffassungsvermögen ein wenig. Der ganze Urwald um sie herum begann plötzlich zu beben mit einer Intensität, die sowohl sie als auch alle anderen inne halten ließ. Sie taumelte rückwärts und rief Urak geistesgegenwärtig zurück, weil sie das Gefühl beschlich, mit der Erdlian nicht mehr viel ausrichten zu können... als die Palmen, Farne, Wurzeln und alle möglichen, riesenhaften Pflanzen des grauenhaften Waldes sich plötzlich auf sie zu bewegten und mit einem donnernden Brüllen aus der bebenden Erde zum Angriff übergingen.

Irgendwer schrie ihren Namen; Eneela wusste nicht, wer es war. Es donnerte über ihr, unter ihr, in ihr, überall, und sie schrie, als die Farne aus dem Urwald unter Yatlis Kontrolle nach ihren Beinen angelten, während der herunter schwingende Ast einer riesenhaften Palme sich um ihren Arm schlang und sie hoch in die Luft hinauf riss. Ein anderes Gestrüpp schlang sich um ihren Rumpf und fesselte sie; das Gefühl der Ranken, die sich um ihren Körper wanden und sie zerquetschten, war so grauenhaft, dass sie nicht mal mehr schreien konnte, und Panik ergriff das junge Mädchen. Irgendwer schrie... irgendwo ganz weit unten. Eneela kniff hysterisch die Augen zu und versuchte panisch, sich zu winden, sich loszureißen aus den festen Griffen der wild gewordenen Urwaldpflanzen, doch es schien absolut zwecklos. Jetzt umschlang eine Ranke ihren Hals und drückte fest zu, sodass sie keuchte und in blinder Todesangst noch heftiger zu zappeln begann.

Warum bin ich immerzu nur nutzlos?! Warum kann ich nicht alleine gegen diese Leute bestehen und... muss mir immer helfen lassen? Oder sterben...?

„N-nein!“, würgte sie und schnappte hysterisch nach Luft, als sie ihre Hände mit aller Kraft, die sie im Angesicht des drohenden Todes aufbringen konnte, ein Stück weit von ihrem Körper weg zerren konnte, „Ich will nicht sterben! Ich will nicht sterben! Verschwindet, elendes Unkraut... verschwindet!“ Sie spürte die Hitze der Magie durch ihre Adern rasend schnell in ihre Hände rauschen, auf eine Art, die sie noch nie erlebt hatte... es war, als würden die Lians, die sie befehligen konnte, von selbst kommen, um ihren Tod zu verhindern, obwohl sie kaum fähig war, auch nur einen Namen der Bestien auszusprechen... davon abgesehen, dass sie nicht mal wusste, welche Lian ihr jetzt helfen könnte. Es war eine verblüffende Stimme in ihrem Kopf, die zu ihr sprach... Worte, die Eneela in Panik versetzten.

„Feuer... verbrennt das Unkraut, Eneela. Lass sie brennen... jetzt!“

Und sie gehorchte... ohne es selbst wirklich zu registrieren, denn von sich aus wäre die letzte Lian, die sie jemals gerufen hätte, die des Feuers... weil sie das Feuer mehr als alles andere fürchtete.

Das Feuer, das ihre Mutter getötet hatte...

„Lavia!“, keuchte sie kaum bei Atem, als die Pflanze ihr die letzte Luft aus den Lungen zu pressen drohte... sie war kaum bei Bewusstsein, als sie den Namen der Bestie des Feuers aussprach. Sie spürte die Hitze, die plötzlich um sie herum aufflammte... eine angenehme Hitze war es, und ein gutes, angenehmes Leuchten, obwohl sie es nur hinter geschlossenen Lidern wahrnahm. Erstaunt stellte sie fest, dass sie vor dem Feuer, das sie gerade selbst beschworen hatte, keine Angst hatte... dann spürte sie, wie die Ranken sie losließen und unter dem Brüllen der Erde und dem wüsten Fluchen eines Mannes – sie vermutete, dass es Yatli war – zurück wichen, sodass die Lianerin zu Boden stürzte... sie wurde von etwas Warmem aufgefangen wie von einem Kissen aus purer Wärme und Licht – als sie benommen die Augen öffnete, sah sie sich auf dem ausgebreiteten, flammenden Flügel von Lavia liegen, der Bestie, die Gestalt eines brennenden Vogels annahm. Verblüfft stellte sie fest, dass ihr das Feuer von Lavia gar nichts anhaben konnte... es war etwas anderes, was sie sowie auch Yatli, der aufgesprungen war, und alle anderen herum fahren ließ. Plötzlich gab es ein so ohrenbetäubend lautes Krachen direkt unter ihnen, dass Eneela glaubte, die Welt würde explodieren... und das Entsetzliche war, sie tat es offenbar wirklich.

Mit einem Mal zerbrach die Welt um sie herum. Lodernde Flammen, die so hoch in den Himmel hinauf ragten wie die grauenhaft gigantischen Bäume, waren plötzlich überall, und Eneela ließ Lavia eher unterbewusst verschwinden, ehe sie sich aufrappelte, am ganzen Leibe zitternd, und zu den anderen blickte, die wild durcheinander schrien und den Kampf ob dieses Spektakels gerade einstellten.

„Was zur Hölle?!“, schrie Karana mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen, „W-was... ist das?!“

„Der... der ganze, verdammte Wald brennt!“, brüllte Kanau, „Scheiße, zurück, Männer! - Verdammt, Turo, lauf, sonst werden wir alle verrecken!“ Niemand hielt die Feinde auf, als sie panisch die Flucht ergriffen – und Eneela spürte, wie sie von jemandem gepackt wurde, der plötzlich hinter ihr auftauchte. Erschrocken fuhr sie herum und starrte in Simus fassungsloses Gesicht.

„Weg hier!“, fuhr der Blonde sie an, der plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war, „D-das ist die Katastrophe, von der Thira erzählt hat! Der Planet wirft uns raus, los, beeilt euch!“

„B-bist du sicher?!“, keuchte Iana, während Eneela schon gehorchte und zum Schiff rannte, das bedrohlich bebte. Hinter Simu waren auch Thira mit gezückter Waffe und ein verblüffend bleicher Zoras aufgetaucht, und Karana packte Tayson am Kragen, der noch immer entsetzt auf das Inferno starrte. Es war, als würden aus der Erde Flammen brechen, die den ganzen Urwald in ein einziges, riesiges Feuer verwandelten.

„Packt noch so viel vom Proviant ein, wie ihr tragen könnt, und dann nichts wie weg hier!“, schrie Thira und sprintete bereits los in die Tari Randora, um sie schon zu starten, wie Eneela vermutete. Simu schubste sie ins Innere des Schiffes, um wieder hinaus zu rennen und Karana, Iana und Tayson zu helfen, noch zwei Arme voll von dem Provianthaufen mitzunehmen, der den Kampf teilnahmslos verfolgt hatte. Es donnerte und ein gewaltiges Beben riss die Lianerin von den Beinen, sodass sie rückwärts in den Korridor kippte und gegen Asta stieß, die zusammen mit Neisa, Yarek und Ryanne auch auftauchte.

„Rennt!“, brüllte Letztere gellend, als Thira den Motor des Schiffs startete und bereits ein Ruck durch die Tari Randora ging; Karana und die anderen hasteten in letztem Moment mit ein paar Vorräten durch die Tür des Raumschiffes, und sobald Tayson als Letzter endlich drinnen war, knallte die Seherin die massive Stahltür zu. Es wurde dunkel auf dem Korridor, als die Kameraden keuchend zu Boden sanken, um sie verteilt die Vorräte, die sie hatten retten können. Als das Schiff startete und wegfuhr von den Flammen, die mit lautem Dröhnen den ganzen Wald vernichteten und sie um ein Haar mit gegrillt hätten, begann Eneela zu weinen, als der Schock über das plötzliche Inferno von ihr abfiel.

„I-ich dachte, wir sterben!“, keuchte sie fassungslos und fuhr sich bebend mit den Händen über das bleiche Gesicht. Simu keuchte heftig nach dem Sprint zum Schiff und fasste ihre Hand, um sie festzuhalten und ihr wie immer Trost und Schutz zu spenden. Es war die Seherin, die etwas recht eigenartiges zu dem Thema sagte... und dabei wie immer irre vor sich hin grinste.

„Ach was, überbewertet. Ihr könnt gar nicht sterben, bis eure Aufgabe erfüllt ist... dafür werden sie sorgen, und wenn es das Letzte ist, das sie tun... ah, sieh an.“ Eneela konnte sie nur anstarren und wusste nicht, wie sie diese Worte begreifen sollte – ebenso wenig wie alle anderen, die die blonde Fannerin auch anstarrten, die in dem Haufen Proviant eine der Regenbogenfrüchte fand und sie aufhob. Sofort färbte sich die Frucht leuchtend rot. „Sieh an, Rot für die Seele... der Götter, hehe.“ So gackerte sie, ehe sie genüsslich in die Frucht biss.
 


 

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Yeah, Kapi sechs :D Dödödödöh.

Die Gaben der Götter

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Die Eisnebel von Thal-Duhn

„Aua, du verdammter Hurensohn! Mach das doch nicht so grob, Himmel noch mal!“ Turo verdrehte die Augen und hatte große Lust, Kanaus Arm gleich noch etwas fester anzupacken, wenn der noch mal so meckerte.

„Du solltest froh sein, dass ich dir deinen scheiß Arm überhaupt wieder anheilen kann, Kanau!“, zischte er dabei verbiestert und ignorierte das wütende Schnaufen des anderen Mannes, während er an der Naht herum dokterte. Natürlich tat das weh, dieser Vollpfosten hatte bis vor wenigen Augenblicken nur noch einen Arm gehabt; den abgetrennten Arm wieder an seinen Körper zu zaubern war ein schweres Stück Arbeit für den Heiler, er fand, seine Arbeit wurde definitiv nicht genügend gewürdigt. Mit Feuer und Blitzen herum werfen konnte nicht so anstrengend sein wie einen verdammten Arm wieder anzukleben, und trotzdem war er immer der Idiot, der angebrüllt wurde.

Überraschend bekam Turo Unterstützung von Rok, der dämonisch gackerte.

„Genau, Kanau, du heulst ja wie eine Frau in den Wehen, stell dich nicht so an!“

„Noch ein Wort, Rok, und ich werde meinen wieder funktionierenden Arm dafür benutzen, dir alle Zähne auszuschlagen, dann vergeht dir dein behindertes Grinsen schon noch!“, fuhr Kanau ihn an und war drauf und dran, von der Pritsche aufzuspringen, auf der er saß und sich von Turo seinen Arm wieder ankleben ließ. Der Heiler hielt ihn wütend am Bein fest und hinderte ihn daran.

„Jetzt halt mal die Luft an und bleib hier sitzen, verdammt noch mal, oder dein Arm wird schief und dann kannst du ihn zu überhaupt nichts mehr benutzen!“ Kanau murrte, fügte sich aber, während Rok sich vor Lachen schüttelte und Yatli und Daku im Hintergrund eher beunruhigt aussahen.

„Jetzt beruhigt euch doch einfach alle etwas.“, ließ Letzterer verlauten und wurde von allen angestarrt, „Wir leben noch und Kanau wird bald beide Arme wieder haben. Wir sollten wirklich froh sein, dass wir Turo haben.“

„Siehst du, Kanau, Daku hat es begriffen. Ich bin unentbehrlich, wenn einer von euch nächstes Mal ein Glied verliert, werde ich keinen Finger rühren, ehe ihr nicht vor mir am Boden gekrochen seid und mich angefleht habt, euch zu heilen. Sei froh, dass es nur Karanas Schwert war, das dich getroffen hat, und keine der zuyyanischen Mörderwaffen.“ Kanau murrte erneut.

„Tss.“, machte er dann, während Turo mit einem Heilzauber Faser um Faser wieder miteinander verband, damit der Arm wie neu am Körper fest sein würde. Das Schmerzhafteste hatte Kanau schon hinter sich, nämlich das Zusammenwachsen lassen der Knochen. Üble Sache... wenn man Talent hatte, war das aber für jeden Heiler machbar. Solange die Wunde nicht von einer zuyyanischen Waffe geschlagen worden war, hieß das. Der Gedanke stimmte ihn missmutig und er schauderte beim bloßen Gedanken an Thira Jamali und ihre Kouriha, von der Yamuru ihnen lang und breit erzählt hatte. „Karana...“, grollte Kanau vor ihm und ließ ihn aus seinen Gedanken fahren, „Dieser Hundsarsch. Was geht mit dem Kerl, was da passiert ist auf der Tari Randora, war ungeheuerlich. Ich war so sicher, ich würde ihn erwischen... und dieser Blick, mit dem der Hurensohn mich angesehen hat, war die Härte. Ich dachte, ich verrecke an dem bloßen Anblick... ist das die Macht eines richtigen Geisterjägers? Was... denkt sich Yamuru dabei, uns einfach blind da hin zu schicken ohne den Hauch eines Plans?! Wir hätten alle verrecken können!“

„Ich weiß auch nicht.“, gab Yatli jetzt zu hören, „Ich war auch ganz baff. Noch gruseliger als Karana fand ich aber die verrückte Seherin aus Fann, die war die Inkarnation der puren Grausamkeit, Himmel!“ Da musste Turo dem Trottel ausnahmsweise mal recht geben. Die Seherin war in der Tat unheimlich gewesen... er konnte gar nicht in Worte fassen, wieso eigentlich.

„Ja, und Yamuru sitzt hier und lacht sich über uns kaputt.“, zischte Rok streitlustig wie immer, „Dieser Affenarsch, was... geht eigentlich in seinem Kopf vor?! Ich werde ihn zerquetschen, wenn ich ihn noch einmal grinsen sehe, diesen Hurensohn!“

„Vorsicht, Rok.“, schnarrte Kanau jetzt gefasster und Turo ließ seien geheilten Arm mit einem seufzen los. Der Rothaarige testete gleich, ob er sich wie gewohnt bewegen konnte, was offenbar keine Probleme machte. „Yamuru ist kein Gegner für dich. Zumindest nicht jetzt. Der Meister braucht ihn noch... wenn wir die Trias und den neuen Planeten haben, können wir Yamuru immer noch zum Himmelsdonner jagen. Aber auf keinen Fall vorher, kapiert?“ Turo hörte Rok hinter sich grantig knurren. „Wenn wir das alles hinter uns haben... töten wir ihn. Das hat Scharan auch gesagt – und wir werden nichts anderes tun als das, was der Meister befiehlt. Verstanden, Rok?“ Rok sagte nichts, aber Turo seufzte erneut, als er sich erhob und sich die Hände an der Hose abklopfte, an denen noch Reste von Kanaus Blut klebten.

„Ich weiß nicht, ob wir uns nicht alle selbst zum Himmelsdonner gejagt haben in dem Moment, in dem wir diesen Zuyyaner in unsere Gruppe gelassen haben...“, murmelte er mehr für sich, spürte aber, dass die anderen ihn plötzlich misstrauisch ansahen. „Dieser Kerl ist der Tod, ich sag's euch.“

„Hast du Angst?“, grinste Rok ihn an und Turo fuhr sich mürrisch durch die dunklen Haare, ehe er Kanau ansah, der aufgestanden war und die Brauen bedrohlich senkte.

„Nicht vor dem Tod. Nur vor dem nicht vorhandenen Skrupel der Zuyyaner.“

„Siehst du.“, machte Kanau dazu und irgendwie ergab diese Antwort für den Heiler keinen Sinn... bis der Rothaarige weitersprach. „Und genau deshalb wollen wir... keinen einzigen scheiß Zuyyaner in unserer neuen Welt haben. Das gilt für sie alle... die wir auf Zuyya zurück ließen. Und es gilt genauso für Yamuru Mirrhtyi... und seine Cousine. Sobald sie uns nicht mehr nützen... werden sie beide sterben. Egal um welchen Preis.“
 

Yamuru feixte. Er lag auf dem Bauch auf dem harten Gestell in seiner Kammer, das sich Bett schimpfte, und drehte gedankenverloren seine grün schimmernde Reikyu auf seinem Finger, in der er Kanau und die anderen dabei beobachtete, wie sie munter Intrigen gegen ihn schmiedeten. Verlierer... am Ende wären sie alle Verlierer. Es war fast ein Jammer, dass diese bedauernswerten Kreaturen mit so wenig Verstand oder Weitsicht überhaupt geboren worden waren. Was hatte Katari sich dabei gedacht? Oder... die Götter?

Wenn sie tatsächlich nicht sterben... gilt es jetzt, einen Weg zu finden, diesen Schutz zu umgehen. Sie mögen genetisch am ehesten von uns Götter sein... aber sie sind trotzdem keine. Wenn ich es schaffe, die Verbindung der Götter zu den Sieben zu kappen, würde das nicht... mich zu einem Gott machen?

Die Gedanken belustigten ihn irgendwie, während er seine Reikyu weiter auf seinem Finger drehte und sich jetzt der Tari Randora in der Ferne widmete... und seiner Cousine, die er am Steuer beobachtete. So kalt... so unnahbar, diese perfekte Miniatur-Ausgabe von Chenoa Jchrrah. Die Weise Frau hatte ihr Mädchen gut ausgebildet. Es würde schwierig werden, zu ihr durchzudringen... aber Yamuru zweifelte schon lange nicht mehr an seinen Fähigkeiten. Hier hatte Chenoa keinen Einfluss auf Thira. Dafür hatte er ihn... und die Zeit, für die er überhaupt jemals geboren worden war, wie er fest überzeugt war, war bald gekommen. Mit einem amüsierten Lächeln ließ er seine Reikyu verschwinden und griff neben das Bett auf den Boden, wo seine wenigen Habseligkeiten in einem kleinen Beutel ruhten. Er musste nicht hinsehen, um die kleine, edel verzierte Haarnadel zu finden, die er seit so vielen Jahren mit sich herum trug und deren Anblick ihn längst nicht mehr mit Wehmut erfüllte, sondern stattdessen mit Euphorie, als er an das dachte, was noch vor ihm lag.

„Verratet mich nur, Kanau.“, murmelte er in sich hinein und betrachtete die Haarnadel ausgiebig, „Tut es und... ihr werdet sehen, was ihr davon habt... euch mit dem Kaiser von Ngurrha angelegt zu haben.“
 

In der Finsternis seiner düsteren Träume hörte Karana die Geister sprechen. Sie wisperten Worte, die er nicht verstehen konnte, aber er spürte ihre Gegenwart überall, während die Tari Randora durch ihr Reich glitt. Das hier war die andere Seite des Himmels... die Seite, die sie von einem Planeten aus nicht sehen konnten, eine Seite weit düsterer, bedrohlicher und grausamer, als Karana es sich in seinen schlimmsten Alpträumen je ausgemalt hätte. Sie raubte ihm den Verstand, hatte er das Gefühl, mit jedem Tag, den sie hier verbrachten, machte es ihn mehr kaputt... und nicht nur ihn, es zehrte auch an alle anderen, so durch den ewigen Schatten zu dümpeln. Die Geister kicherten in seinem Kopf... jetzt sprachen sie von Tod und Schatten.

„Tod und Schatten... ist das einzige, was euch allen unweigerlich bevorsteht... dann werdet ihr scheitern... und zerbrechen an eurer Aufgabe.“

„Nein!“, fuhr Karana die Geisterstimmen seiner eigenen Angst an und versuchte, sie in seinem Traum weg zu boxen, verfehlte sie aber... dann wich die Finsternis einer gigantischen, endlosen Welt aus Eis, in der er plötzlich ganz alleine auf dem Boden stand, umgeben von nichts als Eis, überall, egal, wohin er sich drehte. Er kam nicht dazu sich zu fragen, was dieser Ort ihm sagen sollte, denn mit einem ohrenbetäubenden Krachen aus den Untiefen wurde die ganze, eisige Welt in Stücke geschmettert und Karana fiel in die Tiefe, hindurch zwischen tausenden und abertausenden von riesigen Scherben aus Eis und Geröll, Splittern einer toten Welt, die niemals zum leben gedacht gewesen war... und dann tauchte der Zuyyaner aus dem Nichts vor ihm auf, so groß wie ein Haus, die violetten Haare so aufgeräumt und gestriegelt wie seine Visage voller Bosheit war... Karana wusste, das war Yamuru Mirrhtyi, Thiras Vetter. Und der Mann hatte seine Cousine vor sich stehen, ihre Augen waren verbunden und ihre Hände so fest gefesselt, dass die Schnüre, die sie festhielten, blutige Striemen auf ihren bleichen Armen verursachten. Yamuru starrte ihn an, er hatte zwei grauenhafte, verschiedene Augen, von denen das linke nicht mal mehr wie ein lebendiges Auge, sondern wie die Ausgeburt der tiefsten Dunkelheit des Himmelsdonners aussah... dieser Mann konnte unmöglich ein Mensch sein, er war ein Dämon – ein furchtbares Monster, allein zu dem Zweck geboren, um den Menschen die Furcht zu lehren.

Wie die Atarus... diese Raubkatzen, die auf Zuyya die Boten Kataris genannt werden.

„Wohin rennst du... Karana?“, fragte der Zuyyaner ihn und strich mit einer sagenhaft zärtlichen Geste durch Thiras lange, offene Haare; die Zärtlichkeit widersprach seinem Aussehen so dermaßen, dass den Schamanen ein grausiger Schauer überkam. „Denkst du, die Trias rettet die Welt? Was weißt du... von der Trias, Karana? Gar nichts... was glaubst du, wozu sie eigentlich existiert? Zu welchem... Zweck sie gebaut wurde? Ihr werdet scheitern... Kinder der Götter... weil ihr keine Ahnung habt.“ Er kicherte und fuhr Thira mit den Fingernägeln auf eine obskure Weise über die Kehle, sodass sie keuchte und den Kopf in einem Zustand euphorischen Wahnsinns in den Nacken warf, den Mund zu einem bestialischen Lächeln verzogen. „Und Thira...“, fuhr Yamuru ungerührt fort, als Karana das Gefühl hatte, er würde an Bosheit ersticken, die so dicht und mächtig wurde, dass sie ihm die Luft aus den Lungen jagte und mit ihr auch jeden letzten Fitzel eines Lebensgeistes. „...wird leben, weil sie zum Überleben geboren wurde... sie, die Letzte vom Blut des Nordclans Jamali.“ Thira keuchte, als Yamuru mit einem bloßen Fingernagel ihre Kehle aufriss, um sich gleich über die Wunde zu beugen und das Gesicht in Thiras blutendem Hals zu vergraben...

„Was weißt du schon, Karana... ihr werdet sterben. Weil die Götter intrigant sind... weißt du?“

Das Letzte, was er sah, war ein Schwall aus purer Finsternis und Bosheit, der sich über ihn ergoss und ihn ertränkte, ihn zurück in die Tiefe schleuderte, begleitet von einem dröhnenden Donnern... und dem kehligen Lachen von Ulan Manha, dessen weiße Knochenspiralen Karana in der Dunkelheit tanzen und zersplittern sah, ehe er aus dem Schlaf hoch fuhr.
 

„Karana... Karana!“ Er hörte Ianas Stimme nur durch den Schwall von Finsternis hindurch, der über ihn fiel und ihn schreien ließ. Irgendetwas griff nach ihm, zerrte an ihm und wollte ihn in den Schatten befördern, und von seinem Unterarm ging ein grauenhafter Schmerz aus, der wie Feuer brannte und sich über seinen ganzen Körper ausbreitete.

„Fass mich nicht an!“, brüllte er außer sich und sah die Schattengestalt zurückprallen, die an ihm zog, als er wie ein verletztes Raubtier geifernd die Zähne fletschte und der Schmerz sich immer mehr steigerte, während in seinem Kopf die Bilder aus seinem Traum tanzten und ihn auslachten.

„Karana, Himmel noch mal, komm zu dir!“, hörte er die Stimme seiner Frau, dieses Mal energischer. Er konnte sie nicht orten, geschweige denn sehen, er konnte nur den Schatten wahrnehmen, der ihn zu fressen drohte... bis der Schmerz in seinem Körper in einem grauenhaften Höhepunkt gipfelte und er aufschrie, dann spürte er eine Faust hart auf sein Gesicht treffen und ihn zurück schleudern. Der Schatten verschwand und die Schmerzen flauten ab... als er zu sich kam und sich klar machte, wo er eigentlich war, lag er auf dem Rücken am Fußboden der Kammer, die er mit Iana teilte. Sie saß keuchend auf dem Bett, halb angezogen, die Faust nach ihm ausgestreckt, und zitterte am ganzen Leib. Der Schamane griff nach seinem Unterarm, in dem der Schmerz übel pochte – allerdings nicht so heftig wie in seinem Gesicht. Irgendetwas warmes, feuchtes rann über seine Lippen; sein eigenes Blut, wie er merkte, als er daran leckte.

„Himmel... und Erde...“, stöhnte er und fasste jetzt nach seiner übel blutenden Nase. Die flüchtige Berührung ließ ihn bereits zucken und der Schmerz verschwand auch nicht, als er mit dem einfachen Heilzauber Lira die Blutung stoppen konnte. Seine Nase war garantiert gebrochen, wenn nicht für immer zertrümmert, was um Himmels Willen war hier los?

„Sieh mich an.“, forderte Iana verblüffend kalt und er sah zu ihr hoch, als er sich benommen aufsetzte, „Weißt du noch, wer ich bin?“

„Ähm – du bist Iana, die launische Hühnerdiebin, die mir gerade brutal das Gesicht zerschmettert hat... Himmel, tut das weh!“

„Das musste sein, anders ließt du dich ja gar nicht zurück in die Realität bringen.“, murmelte sie ernst und erhob sich von der Pritsche, von der sie ihn herunter geschleudert haben musste bei ihrem Schlag. „Was ist mit dem Fluchmal? Tut es weh?“ Karana stöhnte schmerzerfüllt und wusste erst gar nicht, wovon sie redete. Ach ja, Fluchmal. Er sah auf seien Unterarm und keuchte vor Entsetzen auf.

Nein, weh tat es nicht... aber er hatte ohne es zu merken, offenbar im Schlaf, den Verband komplett zerfetzt und die Stelle um das Mal blutig gekratzt, sodass er jetzt auf offenes Fleisch starrte und das Gesicht gleich noch mal verzog; was er bereute, denn jede Bewegung des Gesichts schmerzte grauenhaft.

„W-was zum... was ist... passiert?!“, japste er, als seine Frau sich zu ihm auf den Boden hockte und stirnrunzelnd seine Wunde betrachtete.

„Ich dachte, du könntest es mir sagen, Zauberer.“

„Schamane...“, jammerte er und fasste noch einmal blöderweise nach seiner Nase, worauf er zischte. „E-es heißt Schamane!“ Iana ging nicht auf das übliche Gefrotzel ein; stattdessen schenkte sie ihm einen besorgten Blick.

„Was... hast du gesehen?“

Er musste eine ganze Weile darüber nachdenken, bis die Erinnerungen zurückkehrten. Als er sich an Yamuru und Thira erinnerte und an die kryptischen Worte, die sie gesprochen hatten, überkam ihn ein kalter Schauer. Irgendetwas stimmte nicht... es war irgendetwas, das sie alle übersahen.

„Denkst du, die Trias rettet die Welt? Was weißt du... von der Trias, Karana? Gar nichts... was glaubst du, wozu sie eigentlich existiert? Zu welchem... Zweck sie gebaut wurde? Ihr werdet scheitern... Kinder der Götter... weil ihr keine Ahnung habt.“

„Thira...“, stöhnte Karana bebend und fasste wieder nach seinem Gesicht, bis Iana ihn davon abhielt. Er schlug ihre Hand unruhig weg und kam taumelnd auf die Beine. „Ich muss mit ihr sprechen, auf der Stelle!“

„Sollten wir nicht erst mal Neisa suchen, damit sie dich heilt und deinen Arm ver-... Karana, warte!“ Er hörte nicht auf seine Frau und stolperte wild entschlossen und geblendet von der Panik, die die Vision in ihm herauf beschworen hatte, aus der Kammer und den Korridor hinab. Was gab es für einen Zweck der Trias, den sie nicht kannten? Einen, den Thira sehr wohl kannte...?

„Thira wird leben... weil sie zum Überleben geboren wurde.“

„Wenn, dann... werden wir das alle... oder gar nicht!“, zischte der Schamane grollend und beschleunigte seine Schritte in Richtung Steuerraum, achtete nicht auf Ianas Rufen hinter sich.

Im Steuerraum war nur Tayson. Er fuhr verblüfft herum, als Karana in den Raum stürzte, und verkniff sich dann ein Lachen.

„Himmel, Karana, hast du im Schlaf wieder von Saidah geredet oder wieso siehst du so aus...?“

„Wo ist Thira?!“, blaffte Karana ihn an, statt darauf einzugehen, „Sprich, rasch!“

„Ich habe sie gerade eben abgelöst, wieso – Karana! W-was ist denn los?!“, rief Tayson, doch der wenig Jüngere war schon herum gefahren und wollte gerade wieder davon stampfen, da versperrte ihm die Person den Weg, die er gesucht hatte.

„Du willst mich sprechen, Karana?“

Thira sah aus wie immer. Seelenlos, kalt, berechnend, aber durchaus eine bildhübsche Frau, wenn man mal von den eigentümlichen Haaren und Augen absah, das hatten ja viele Zuyyaner. Karana schenkte ihr einen herrischen Blick, der sie nicht zu beeindrucken schien.

„Was weißt du über die Trias?“ Er zwang sich, seine Aufregung jetzt zu beherrschen... wenn seine Panik mit ihm durchging, wurde nichts besser. Er musste Ruhe bewahren... vielleicht deutete er seine Träume falsch. Thira schien ehrlich überrascht über diese Frage.

„Was meinst du?“, wollte sie wissen. „Ich weiß, dass mein Großvater sie geschaffen hat, lange bevor ich geboren wurde. Er hat sie versteckt und-...“

„Das meine ich nicht. Wozu ist sie da?“

„Das habe ich doch schon oft gesagt. Sie erschafft einen Planeten.“ Karana atmete tief ein und aus und spürte Taysons verdatterte Blicke in seinem Nacken, während die Zuyyanerin auch sichtlich irritiert wirkte.

„Wozu... wurde sie wirklich gebaut? Sie wurde nicht gebaut, um die Menschheit zu retten, indem sie einen Planeten erschafft. Wozu dann?“

„Das... sollte ich dich fragen.“, antwortete sie langsam und runzelte die Stirn, „Wozu sonst? Fällt dir etwas anderes ein?“

„Ich hatte eine Vision. In der hat Yamuru... dein komischer Cousin... von einem wahren Zweck der Trias gesprochen. Er hat gesagt, wir würden scheitern, weil wir keine Ahnung hätten. Und du...“ Er zögerte, ehe er fortfuhr und der Zuyyanerin dabei in das blasse Gesicht sah. „Du hast uns verraten und mit ihm kooperiert. Was... weißt du wirklich über diese Maschine, die wir suchen?“
 

Karanas Worte waren nicht bloß beunruhigend. Sie waren geradezu verstörend, wie Thira fand... und das Schlimmste an der Sache war, er war Schamane. Er war Geisterjäger, die Geister sprachen durch ihn und sie würden ihm wohl kaum Bilder schicken, die keinen Sinn ergaben. Das einzige, was er falsch machen konnte, war, die Bilder fehlzuinterpretieren. Die Zuyyanerin atmete ein paar Mal schweigend ein und aus, ehe sie langsam nickte.

„Erzähl mir alles, was du gesehen hast.“, verlangte sie dumpf. „Jedes Wort, das gesprochen wurde, jedes Detail. Vielleicht hilft mir das, es besser zu verstehen.“

Er erzählte ihr eine ganze Menge. Zwischendurch musste sie Tayson ermahnen, nach vorne zu sehen, weil er absolut fassungslos zu ihnen herüber starrte, während hinter Thira in der Tür zum Steuerraum noch Iana, Neisa, Yarek und Zoras aufgetaucht waren. Als Karana schwieg und unruhig nach seinem völlig zerfetzten Unterarm griff, begann Thira, im Steuerraum auf und ab zu tigern und sich grantig die Haare zu raufen.

„Damit eines klar ist... das gilt für euch alle.“, murmelte sie. „Yamuru... ist ein Verräter, der sich Ulan Manha angeschlossen hat, weil Chenoa ihm zurecht nicht vertraut hat. Ich, Chenoas Schülerin, werde niemals mit diesem Mann gemeinsame Sache machen. Niemals! Ich habe geschworen, ihn zu töten, wenn er es wagt, mir in die Quere kommen... und ich werde meine Meinung nicht ändern.“

„Was ist mit der Trias?“, fragte Karana barsch, „Wozu wurde sie geschaffen?“ Thira blieb stehen und sah eine Weile hinaus in die Finsternis, die sie durchflogen. In der Ferne erkannte sie ein buntes Planetensystem.

„Um ehrlich zu sein höre ich das gerade zum ersten Mal, Karana. Ich... weiß es nicht. Ich kenne keinen anderen Zweck der Trias als den, einen Planeten zu erschaffen, um die untergehende Zivilisation zu bewahren.“ Während sie sprach, sah sie die anderen an, damit ihr niemand vorwarf, sie würde lügen... sie log nicht. Das war es ja, was sie so beunruhigte... dass Karana Dinge träumte, die sie nicht wusste. Sie unterdrückte den Schauer, der über ihren Rücken lief, als sie an Yamuru Mirrhtyi dachte.

Was weißt du wirklich, Cousin? Irgendetwas... das ich nicht weiß... aber wenn du etwas wüsstest, wie könnte es angehen, dass Chenoa es nicht wusste?

„Und wenn diese Träume gar keine Geistervisionen waren?“, brummte Zoras, worauf ihn alle ansahen und Karana schnaubte.

„Wie bitte?“

„Na, das Mal hat geschmerzt. Was, wenn Scharan auf dein Unterbewusstsein zugegriffen hat, um dir Bilder zu zeigen, die nicht echt sind? Um dir Dinge in den Kopf zu schieben, die... dir irgendetwas weismachen wollen, was gar nicht wahr ist?“ Der Gedanke war noch beunruhigender als der, dass Yamuru irgendetwas wissen könnte, was sie nicht wusste, befand Thira stirnrunzelnd, und alle sahen wieder Karana an, der den Blick bitter auf seinen zerfetzten Arm warf.

„Warum sollte er sowas tun?“, murmelte er dumpf und Zoras schnaubte.

Schatten... Karana.“ Es war Tayson, der sie alle aus ihren Gedanken riss, als er sich räusperte und nach hinten deutete, zu dem Fenster, das zum Heck hinaus zeigte.

„Ich glaube, ihr könnt ihn gleich selbst fragen – da hinten ist die Tari Randora Zwei.“
 

„Schneller, Tayson. Jetzt.“ Thiras Befehl duldete keinerlei Widerspruch. Tayson Marih würde nicht wagen, dieser gruseligen Frau zu widersprechen... sie war Zuyyanerin, sie konnte ihn seine schlimmsten Alpträume für immer und ewig erleben lassen, wenn er es wagte, ihr nicht zu gehorchen... ganz davon abgesehen ging es auch um alle anderen, denn wenn Scharans Schiff sie einholte, würden sie seine Hunde vermutlich wieder zu ihnen teleportieren, das hatten sie ja schon mal geschafft. Er beschleunigte rasch das Tempo und die anderen hinter ihm stolperten durch die rapide erhöhte Geschwindigkeit, als das Schiff schneller durch den ewigen Schatten glitt.

„Jetzt können wir sie plötzlich sehen?!“, rief Zoras irgendwo viel lauter als nötig und der Steuermann schnaubte. Er erschrak jedes mal halb zu Tode, wenn Zoras wieder anfing zu brüllen; dass er neuerdings halb taub war, hatte ihn definitiv nicht erträglicher gemacht.

„Ja, vermutlich hat Yamuru keine Lust mehr, seine Energie dafür zu verschwenden, den Unsichtbarzauber anzuwenden. Ich tue es längst nicht mehr... er sieht uns ja auch mit diesem Mechanismus.“

„Vielleicht wollen sie uns auch bloß Angst machen.“, murmelte Tayson und Thira stieß ihn von hinten an.

„Rasch, noch schneller! - Und fahr nicht gegen den verdammten Planeten da vorne!“

„Huch?! W-wo kommt der denn her...“

Geradeaus gucken, Tayson!“ Der junge Mann hörte hinter sich das Schreien von ein paar anderen, als er eine scharfe Kurve flog und das Schiff an dem Brocken Stein (oder was es auch sonst war) vorbei steuerte, der ihnen in den Weg gekommen war. Nach einer Weile hörte er hinter sich lautes Poltern und dann Eneelas aufgeregte Stimme:

„W-was ist denn passiert?! Plötzlich fahren wir so schnell?!“ Mit der Lianerin mussten auch Simu, Asta und Ryanne aufgetaucht sein, sodass jetzt die ganze Truppe auf der Brücke versammelt war. Die Seherin kicherte.

„Na, sie verfolgen uns, das ist passiert. Hey, holen sie auf oder sind wir zu langsam?“

„Verdammt!“, schnaubte Thira verblüffend angespannt neben Tayson, der einen Blick über die Schulter aus dem Rückfenster warf. „Geh weg, Tayson... überlass das lieber mir. Wenn sie uns näher als eine Schiffslänge Abstand kommen, teleportieren sie sich nur wieder hier rüber... und wenn die Tari Randora zu Schaden kommt, sind wir alle verloren.“ Der Mann räumte widerspruchslos den Platz und überließ das Steuer der etwas erfahreneren Zuyyanerin – wobei, Moment, wieso erfahrener, sie machte das doch auch hier zum ersten mal?

Holen sie auf oder sind wir zu langsam, Ryanne?!“, zitierte Asta irgendwo erbleichend an die Seherin gewendet, „I-ich würde ja sagen, es ist eine Kombination aus beidem!“

„Positiv.“, machte Ryanne und klang wie ein Bericht erstattender Soldat aus Janami, „Und ein Hauch von Schicksal... fürchte ich.“

„Jetzt erspare uns bitte deine esoterischen Tanzeinlagen, verdammt, schneller!“, rief Simu und Tayson gesellte sich zu dem Blonden ans Fenster, um die Gegner zu beobachten, die immer noch schneller wurden und immer noch näher kamen. Er fragte sich, warum sie plötzlich wie die Berserker darauf aus waren, sie einzuholen... tatsächlich wegen des Teleports? Wäre es dann nicht sinniger gewesen, unsichtbar zu bleiben? Nicht, dass Tayson die Gedankengänge irgendeines Zuyyaners hätte nachvollziehen können... er verstand schon Karana und die anderen Schamanen meistens nicht, aber bei Zuyyaner hörte es dann gänzlich auf. Er hatte als Kind während des Krieges zwischen Tharr und Zuyya durchaus gelernt, dass Zuyyaner ein... anderes Volk waren. Sie waren in allem anders, in ihrem Denken, Handeln, Aussehen, in ihrem ganzen Sein waren sie so absolut anders. Abgesehen davon begriff er auch nicht, was dieser Yamuru, der doch Thiras Cousin war, eigentlich bei Scharan machte. Wenn sie zur selben Familie gehörten, wieso waren sie dann gegeneinander? Hieß es nicht, Blut wäre dicker als Wasser, oder so? Andererseits war Karana auch darauf aus, seinen eigenen Urgroßvater zu ermorden – oder dessen wiedergeborenen Geist, was auch immer... Tayson konnte sich nicht vorstellen, einen Verwandten von sich zu töten oder sich gegen ihn zu stellen. Aber er hatte ein simples Gemüt; was wusste er schon von diesen tiefsinnigen Familienfehden? Er hatte auch nie viel Familie gehabt. Inzwischen hatte er gar keine mehr, fiel ihm ein; irgendwie war das bedrückend.

Ein heftiger Ruck, der durch die Tari Randora ging, riss ihn aus seinen Gedanken und gleichzeitig von den Beinen, ebenso Simu neben ihm und ein paar der anderen, die schreiend zu Boden purzelten.

Thira!“, brüllte Zoras irgendwo, „W-was machst du da?!“

„Ich fahre schneller, sonst werden wir sie nie los!“, antwortete die Zuyyanerin, „Macht euch auf alle Fälle bereit, falls sie uns doch einholen... wenn sie kommen, werdet ihr ohne mich kämpfen müssen, einer muss ja steuern. Und bei dieser Geschwindigkeit fährt Tayson uns nur gegen irgendeinen scheiß Asteroiden.“ Tayson rappelte sich hustend vom Boden auf und half Simu, der murrend sein Tsukibo umklammerte.

„Besten Dank für das Vertrauen.“, schmollte er in Thiras Richtung, musste sich im nächsten Moment aber wieder an der Verkleidung der Brücke festhalten, als die Zuyyanerin zur Antwort eine grauenhaft scharfe Kurve flog.
 

Scharan tobte.

„Was zum Geier macht ihr hier bitte?!“, fluchte er, als er in den Steuerraum der nachgebauten Tari Randora stürmte, in der sich Yamuru und die Schamanen beim Piloten versammelt hatten, der seit einigen Momenten mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch das ganze All jagte. „Was ist das hier für eine Raserei, Yamuru?!“ Vermutlich war der violetthaarige Schönling der beste Ansprechpartner, denn die Schamanen hatten keinen Plan von Raumfahrt (etwa genauso wenig wie er selbst) und der Pilot hatte keine Ahnung davon, keine Ahnung zu haben. Er war irgendein zufällig auserwählter Zuyyaner, den Yamuru als Piloten engagiert hatte; Kriterien für diese edle Berufung waren gewesen, dass er sich mit der Technik eines Raumschiffes wie der Tari Randora bestens auskannte und dass er absolut untalentiert mit zuyyanischen Zaubern war... ja, es gab auch bei den Zuyyanern Nichtskönner wie es bei den Schamanen die Derrans gab, hatte Ulan Manha erfahren. Das hatte ihn belustigt... dieses perfekte Volk aus Maschinenmenschen hatte auch Idioten? - Wobei der Pilot nicht zwingend ein Idiot war, immerhin konnte er hervorragend fliegen, wie es aussah. Nicht, dass der Sklavenkönig das hätte beurteilen können aufgrund seiner reichhaltigen Erfahrung mit Raumschiffen... verdammt, Raumschiffe waren Zuyyanersache! Er würde drei Kreuze machen, wenn sie endlich aus diesem verflixten Schiff raus kämen und niemals wieder fliegen müssten...

„Na ja, eine Hetzjagd, wir dachten, wir beschleunigen die Sache etwas, schnappen uns die Batterie, die Karte und Thira Jamali und werden den Rest irgendwie los.“ Es war nicht Yamuru, der antwortete, sondern Rok, der Telepath, und Scharan schenkte ihm einen blöden Blick.

„Du meinst, weil ihr in diesem Punkt bisher ja so erfolgreich wart, dass es jetzt unter Garantie ausgeschlossen ist, dass ihr es schafft?“, schnarrte der Meister grantig, „Was machst du da, Pilot?!“

„Ich verfolge die Tari Randora, wie mir befohlen wurde.“, sagte der Mann achselzuckend, „Sie schlagen Haken wie ein Hase im Gras, Meister, fürchte ich, aber einen erfahrenen Piloten können sie da nicht haben, sieht mir aus wie das Werk eines Amateurs.“

„Thira ist ja auch eine Frau.“, feixte Yamuru in der Ecke des Raumes breit grinsend, „Frauen am Steuer, mein Herr, die wissen nie, wo sie hin wollen.“

„Dafür, dass sie das nicht weiß, entkommt sie uns aber ziemlich effizient!“, schnaubte Kanau, „Jetzt flieg doch schneller, du hirnloser Affe, wie sollen wir sie so einholen?!“ Letzteres galt dem Piloten, der das Geschimpfe inzwischen gewohnt war und bloß die Augen verdrehte. Scharan raufte sich die Haare und stieß ein grantiges Zischen aus – es war Yamuru, der seine Aufmerksamkeit zurück gewann, als er sich von der stählernen Wand abstieß und zum Fenster trat, um mit einem seltsam amüsierten Blick ins Nichts zu starren.

„Keine Sorge, Kanau. Wir werden sie schon noch einholen. Lass mich mal machen, vielleicht funktioniert es ja.“

Vielleicht? Das war ein Spaßvogel – Scharan weitete unwirsch die Augen, als der Zuyyaner seine grün glimmende Reikyu über seiner Handfläche erscheinen ließ. Oh, er hasste diese Kugeln ja... sie hatten einen Hauch von Tod und gleichzeitig Unsterblichkeit, es verschaffte ihm mit seinen überaus feinen Instinkten jedes Mal einen grausigen Schauer aus Panik und Ehrfurcht, diese glühenden Manifestationen von Seelen auch nur anzusehen. Er tat besser daran, Yamuru das nicht merken zu lassen... nicht, dass der Hurensohn sich noch einbildete, er hätte Macht über ihn.

Wobei er die definitiv hatte... das war mit ein Grund, aus dem Manha sich wünschte, er könnte diesen Bastard einfach umbringen. Dann wäre er ihn los... und mit ihm die Panik, nachts im Schlaf gemeuchelt zu werden.
 

Thira spürte einen feinen, pikenden Kopfschmerz. Und sie identifizierte die bestimmte Art von Schmerzen, die so fein und kaum wahrnehmbar war, dass sie sie beinahe nicht bemerkt hätte, sofort als das, was sie war.

Scheiße... Seelenkontrolle.

„Nicht mit mir, Yamuru Mirrhtyi!“, zischte sie und riss ohne Vorwarnung ihre Reikyu hervor, indem sie die Hand ausstreckte und die blaue Kugel aus purer, seelischer Macht darin erschien. „Wir müssen hier weg – das kann so nicht weitergehen!“

„W-was ist los?!“, keuchte Eneela panisch und auch die anderen wirkten verblüfft, allein Simu senkte auf beunruhigende Art die Brauen; er musste es spüren. Er war zuyyanischen Blutes und er war ein begabter Kerl... trotzdem verblüffte es sie, dass er so begabt war, dass er spüren konnte, wenn irgendjemand versuchte, ihre Seele zu übernehmen und mit seinem Willen zu infizieren. Die Reikyu war die gefährlichste und mächtigste Waffe der Zuyyaner, denn viel furchtbarer und mächtiger als physisches Werfen mit Eis, Feuer oder Wasser war die Macht über fremde Seelen, Gedanken, Unterbewusstsein, ganze Gehirne. Wenn sie sich nicht dagegen wehrte, würde Yamuru sie seinem Willen unterwerfen... dann wären sie alle verloren.

In einer scharfen Kurve nach rechts riss sie das Schiff herum und starrte unruhig auf die Karte, die neben ihr auf der Anrichte lag, und auf das Radar der Tari Randora. In sehr knapper Entfernung erhob sich vor ihnen aus der Finsternis ein gigantisches Massiv aus schimmernden, im Nichts schwebenden Brocken, auf das sie jetzt genau zuhielten.

„Die Eisnebel von Thal-Duhn.“, murmelte sie und sah gebannt auf das Radar, während die anderen besorgte Blicke tauschten und die Zuyyanerin sich mit aller Macht ihrer Seele während des Steuerns an ihre Reikyu klammerte, um gegen Yamurus Hypnoseversuch anzukämpfen. Das konnte nur er sein... jemanden seinem Willen zu unterwerfen war ein hartes Stück Magie, das nicht jeder Idiot beherrschte. Nur jemand, der seine eigene Reikyu perfekt kontrollierte, konnte das tun... sie zweifelte keinen Moment daran, dass ihr Cousin durchaus über diese Macht verfügte. „Dann gehen wir rein. Das ist vielleicht unsere einzige Chance, sie abzuhängen... da drin. Festhalten!“ Sie hörte die andere protestieren, achtete aber nicht darauf, weil der Kopfschmerz mächtiger wurde und sie Schwierigkeiten hatte, gleichzeitig zu steuern und sich auf die Reikyu zu konzentrieren. Sie flogen direkt auf das Gebiet aus gigantisch großen Eisblöcken und Kristallen zu, bis sie schließlich die ersten passierten und nach weiteren scharfen Kurven inmitten der Eisnebel waren. Karana japste irgendwo.

„Eis... d-das sind... riesige Eisklötze?! Ich hab die in meinen Träumen gesehen...“

„Dann ist es wohl Schicksal, dass wir hier rein müssen.“, murrte Thira, „Haltet euch fest, es wird ungemütlich hier!“ Sie spürte die fragenden Blicke regelrecht; die Antwort kam den anderen aber schon direkt nachdem die Zuyyanerin ausgesprochen hatte, denn unmittelbar vor ihnen krachten plötzlich zwei herum schwebende Eisblöcke von der Größe eines kleinen Gebirges aufeinander und versperrten ihnen so den Weg, sodass Thira bremsen musste. Ein knirschendes, ächzendes Krachen war zu hören, als die beiden Eiskristalle sich aufeinander schoben und unter Dröhnend zersplitterten; die Splitter stoben in alle Richtungen davon, die meisten waren so groß wie Häuser, und Thira keuchte, als sie gerade noch rechtzeitig einem der riesigen Splitter ausweichen konnte, indem sie die Tari Randora mit aller Kraft nach oben zerrte.

„Das – w-was war das?!“, schrie Neisa, „D-das ist unser Tod, die sind gigantisch!“

„Was für eine Schnapsidee, hierher zu kommen.“, murrte Tayson und Yarek meldete:

„Vielleicht auch nicht, ich kann Scharan nirgendwo sehen. Vielleicht hängen wir sie hier ab. In diesem Urwald aus Eisblöcken kann man sich gut verstecken.“

„Du meinst, wenn nicht zufällig gerade wieder vor unserer Nase zwei dieser Giganten aufeinander treffen!“, rief Neisa hysterisch, „Achtung, Thira, da vorne!“

Sie sah es selbst. Einer der monströs großen Eiskristalle sauste durch den Nebel genau auf sie zu; mit einer scharfen Kurve umrundete sie den Kristall, nur um gleich hinter ihm einer zweiten Konfrontation zweier Blöcke ausweichen zu müssen. Die Eisbrocken bewegten sich unterschiedlich schnell und nicht konstant; manche bewegten sich auch gar nicht und klemmten nur verzweigt mit tausend anderen ihrer Art auf einem Haufen herum, der ein gigantisches Labyrinth aus Eis bildete. Sie hörte das Knarren und Dröhnen der aneinander reibenden Kristalle aus Eis, als sie die Augen schloss und sich auf ihre Reikyu konzentrierte; der Kopfschmerz war verschwunden.

Was hast du eigentlich vor, Yamuru? Willst du uns hier hinterher...? Dieser Nebel aus Eis ist ein Gefilde des Todes... aber wenn selbst Karana von ihnen geträumt hat, hat es vielleicht einen Grund, dass wir hier sind.

Sie runzelte angestrengt die Stirn und schaltete das Geplapper ihrer Kameraden hinter sich aus – dann war es eine instinktive Eingebung, die sie nach hinten sehen ließ. Kurz darauf hörte sie Eneela rufen:

„Oh nein, Scharan folgt uns immer noch! Sie sind hier, Thira!“

„Was machen wir jetzt?“, fragte Simu, „Schnell weg fliegen ist in diesem Labyrinth absolut unmöglich!“ Das war wahr... aber es musste einen Grund geben, aus dem sie hier waren... unruhig einen weiteren, still auf der Stelle schwebenden Eisklotz umrundend und mit dem Geräusch von aufeinander krachenden Eiskristallen hinter sich steuerte Thira das Herz des Eisnebels an, das labyrinthartige Gebilde aus Millionen aneinander geketteten Kristallen, deren Ausläufer so bizarr ineinander verkeilt waren, dass sie wie ein riesiger Wald aus Eisbäumen aussahen. Die spiegelglatten Oberflächen der Eisblöcke reflektierten das unstete Licht der Tari Randora in der Finsternis des tödlichen Eisnebels, sodass es von weitem aussah, als flögen etwa hundert Tari Randoras direkt auf sie zu, die eigentlich alle nur das Spiegelbild ihrer eigenen Tari Randora waren.

„Spiegelflächen.“, murmelte sie und linste nach hinten, um irgendwo Scharans Schiff zu erkennen; sie sah nur umeinander tanzende Eisbrocken in gigantischer Größe. „Vielleicht ist das das Einzige, was uns rettet. Auf, dann fliegen wir rein ins Herz der Nebel.“ Sie steuerte geradeaus und sah jemanden neben sich treten. Nach einem nur sehr flüchtigen Blick – bei dem Risiko, gegen einen Eisbrocken zu krachen, wollte sie nicht länger als nötig den Blick von eben jenen wenden – erkannte sie Karana.

„Du willst in dieses Ungetüm von Haufen aus Eisbrocken, die so groß sind wie halbe Planeten?“, hörte sie ihn beunruhigt fragen, „Meinst du, das... funktioniert, Thira?“

„Fällt dir was besseres ein?“, konterte sie verblüfft, „Spiegelflächen, Karana. Vielleicht, wenn wir viel Glück haben, sind sie dumm genug, daran... zu scheitern. Haltet euch besser fest, es wird jetzt holprig.“ Mit diesen Worten und einem unguten Gefühl, das sich plötzlich unerklärlich in ihr breit machte, flogen sie direkt in das Monstrum aus Eiskristallen hinein.
 

Yatli schrie vor Panik auf, das erschreckte den Piloten, sodass er das Schiff beinahe gegen die beiden aufeinander krachenden Eisbrocken gefahren hätte.

„Verdammt, das ist doch nicht Eurer Ernst, Meister!“, schrie er dabei wütend und meinte Scharan, während Kanau Yatli von sich weg schubste, der ihm vor Panik halb auf den Arm gesprungen war.

„Alter, geh mir vom Leib, bist du schwul?!“

„Wir werden hier sterben!“, schrie Yatli hysterisch, „W-wir werden alle sterben! Kehrt um, Himmel und Erde, bitte!“

„Vergiss es!“, schnauzte Scharan, „Nur, weil du dir in die Hose machst, kehre ich noch lange nicht um! Und wenn du noch weiter wie ein Waschweib hier herum plärrst, zeige ich dir mal richtige Schmerzen!“

„Hörst du, du bist schwul.“, machte Rok zu Yatli und der sank panisch zu Boden und vergrub die Hände keuchend in den dunklen Haaren.

„Ich halte das nicht aus, i-ich verrecke hier! Ich sterbe vor Angst, w-wir werden gegen diese Eisdinger-...!“ Ein Grollen von draußen ließ ihn stocken und dann erbleichen, dann sah er langsam aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Yamuru bemitleidete ihn beinahe ein wenig; von allen Anwesenden war Yatli vermutlich erstens der Jüngste und zweitens der Ängstlichste, es war kein Wunder, dass er Panik hatte. Die Eisnebel von Thal-Duhn waren nicht gerade bekannt für ihre Bequemlichkeit. Nicht, dass er selbst je hier gewesen wäre, aber er hatte in Büchern über Astronomie viel über dieses Gebiet gelesen. Der Zuyyaner hielt sich sicherheitshalber an der Wand fest, als der Pilot keuchend zwischen den gefährlichen, gigantischen Brocken hindurch lenkte. Einigen entkamen sie gerade eben noch so... selbst der geschickteste Pilot dürfte hier Schwierigkeiten haben, denn die Bewegungen der Eisbrocken waren absolut unberechenbar.

Klug von dir, Thira, uns hier rein zu locken... es sei denn, ihr geht durch diesen Mut deinerseits alle selbst drauf... dieser Nebel ist der Tod.

Er schmunzelte und bekam im nächsten Moment einen Ellenbogen in die Rippen gestoßen. Neben ihm stand Rok, der ihn wütend anstierte.

„Was ist, was grinst du Hurensohn, Yamuru?! Wolltest du nicht irgendwas machen, damit wir sie einholen können?! Wo hast du deine Kugel hingetan?“

„Das hat gerade keinen Zweck, bei dem Geschaukel hier kann ich mich nicht auf so etwas Schweres konzentrieren.“, seufzte der Größere bedauernd, „Abgesehen davon bin ich kein besonders talentierter Hypnotiseur.“

„In was bist du überhaupt talentiert, ich glaube, du kannst eigentlich gar nichts, du Sack!“, schnauzte der Telepath ihn an, „Stimmt doch, Meister, werfen wir ihn über Bord!“

„Halt die Schnauze! Pilot, da vorne sind sie, hinterher! Sie dürfen uns auf keinen Fall entwischen in diesem Dreckszeug hier, wenn wir sie erst mal aus den Augen verloren haben, wird es aktig! Ich will diese verdammte Karte! – Und Yatli, hör sofort auf zu heulen!“ Yatli wimmerte irgendwo am Boden kauernd und kippte dabei noch um, als der Pilot wieder eine haarsträubende Kurve fahren musste, die auch die anderen straucheln ließ. Scharan hielt sich noch rechtzeitig an der Tür des Steuerraums fest und schnaubte wutentbrannt vor sich hin.

„Vorsicht!“, brüllte Kanau dann und Yatli, der jetzt am Boden lag, schrie jetzt wirklich beinahe wie ein Mädchen, komplett aus dem Rennen geworfen von blinder Todesangst, während selbst Yamuru spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, als sie gerade noch so zwischen zwei aufeinander donnernden Eiskristallen hindurch schossen. Direkt hinter ihnen krachten die beiden Giganten dröhnend aufeinander und die Eissplitter, die auf das Dach ihres Schiffes regneten, klangen wir Kanonenkugeln, die auf sie geschossen wurden. Rok trat empört nach Yatli, der sich gar nicht mehr einkriegte, und schließlich war es Turo, der seinem heulenden Kollegen einen Handschlag auf die Stirn verpasste, worauf der kleine Schwarzmagier verstummte und jetzt offenbar bewusstlos liegen blieb.

„Ist ja nicht zum Aushalten mit dem.“

„Daku, bring ihn weg und fessel ihn an sein Bett, damit er nicht raus fällt.“, befahl Kanau, und der etwas kräftigere Daku schob sich durch den Raum, um Yatli wie einen Mehlsack über seine Schulter zu werfen und wegzutragen.

„Unnütze Bastarde.“, fluchte Scharan, der sich an die Tür klammerte und Daku Platz machte, ihm und Yatli einen grantigen Blick hinterher werfend, „Wieso habe ich euch Idioten nur jemals eingestellt?!“

„Bei Yatli frage ich mich das allerdings auch.“, machte Rok empört und Yamuru feixte.

„Tja, er ist ein hübscher Kerl, was, Meister?“

„Halt die Schnauze, Yamuru. - Da sind sie rein, Pilot, hinterher!“

„Ich habe auch einen Namen.“, maulte der Pilot, wurde aber vehement ignoriert und weiter Pilot genannt, als Scharan ihm wutentbrannt befahl, schneller zu machen. Yamuru grinste amüsiert, als sie der Tari Randora nach in den riesenhaften Koloss von Eisbrocken hinein fuhren, mitten in den vermutlich tödlichsten, engsten und grausamsten teil des Eisnebels.

Wenn es außerhalb des gigantischen Komplexes aus Eiskristallen, die aneinander hingen, schon furchtbar gewesen war, war es innerhalb das pure Grauen. Yamuru war ganz froh, dass Yatli erst mal weg war, der wäre vermutlich wirklich vor Angst gestorben. Aber der Anblick war, wenn man mal von dem Aspekt absah, dass sie jeden Moment gegen irgendeinen Eisfelsen krachen und verrecken konnten, unglaublich.

Sie waren umgeben von tausenden und abertausenden spiegelglatten Oberflächen, in denen sich ihr Bild reflektierte. Jede Bewegung sah man von allen Seiten, aus allen Winkeln gleich tausend Mal, weil sie sich in jedem der Eisklötze hundertmal spiegelte. Der Anblick hatte etwas Surreales und Faszinierendes, sodass selbst Scharan an der Tür einen Moment schweigend hinaus starrte, geplättet von dem, was sich ihnen da bot. Und Yamuru musste innerlich lächeln... seine Cousine war vielleicht noch keine Chenoa, aber das war pure Berechnung.

„Hinterlistige Hure...“, grinste er für sich und erntete einen blöden Blick von Rok.

„W-was?!“

„Thira.“, erklärte der Zuyyaner achselzuckend, „Seht euch doch an, was sie hier anrichtet. Pilot, folge der Tari Randora... oder versuche es wenigstens.“

„Da vorne ist sie doch!“, machte Kanau und zeigte geradeaus – bis die Tari Randora, auf die er zeigte, plötzlich auf eine Weise um die Ecke verschwand, die nicht möglich war... nicht für das reale Schiff, aber wohl für seine Spiegelung in einer Eisfläche. „W-was zum... Moment!“

„Scheiße!“, fluchte Manha und stürzte zum Piloten nach vorne, „Das...kann doch nicht wahr sein, um uns herum sind tausende Tari Randoras, Himmel!“

„Sie ist da rechts!“, rief Kanau und zeigte in die Richtung, worauf der Pilot gerade das Schiff wenden wollte, da schrie Turo:

„Halt, nein, das ist auch eine Spiegelung! Sie ist links!“

„Verdammt!“, brüllte Scharan, „So werden sie uns entwischen, haltet die Augen offen!“

„V-Vorsicht, Pilot!“, schrie Kanau auch, als sie auf der Jagd nach den Spiegelbildern der Tari Randora beinahe gegen einen Koloss aus Eis gefahren wären. Sie mussten das Tempo extrem drosseln, wenn sie hier nicht verrecken wollten... Yamuru fand, es war jetzt nicht der richtige Moment zum Grinsen, das verärgerte seine Kollegen immer nur. Dabei fand er die hinterlistige Tücke seiner Cousine, sie mit Spiegelbildern auszutricksen, ziemlich raffiniert, und hätte sie gerne noch einen Moment länger belächelt.

Tapfer, Thira. Aber nicht genug... du vergisst, dass ich besser sehen kann als ihr alle.

Mit einem Seufzen holte er seine Reikyu wieder hervor und ließ das grünlich schimmernde Objekt aufblitzen, worauf er die entsetzten Blicke der meisten anderen erntete. Dass die Menschen die Reikyu fürchteten, war er gewohnt... sie taten auch besser daran. Die zweite Reikyu in seinem linken Auge ebenfalls aktivierend hob er den Kopf und befahl den Seelen, alle Spiegelbilder auszublenden, um ihm die echte Tari Randora zu zeigen, die sich auf diese verwirrende Art davonstehlen wollte.

„Sie sind unter uns.“, berichtete er dann monoton, „Umkehren. Wenn ihr es jetzt macht, erwischen wir sie noch.“

„Du hast ihn gehört!“, fuhr Scharan den Piloten an und schnaubte, ehe er wüst schimpfend zur Tür zeigte und der Pilot sich an die Arbeit machte. „Macht euch bereit, Rok! Sobald wir dicht genug dran sind, schnappt sie euch, ich will diese bescheuerte Karte und die Batterie! Was mit dem Rest ist, ist mir egal, bringt sie um.“

„Ohne Yatli?“, wollte Kanau wissen, „Ich meine, wir sind einer weniger.“

„Dann nehmt Kyeema mit.“, grollte der Sklavenkönig voller Zorn, „Kyeema wird den Rest für euch erledigen. Und dieses Mal dulde ich keine Niederlagen... niemand zieht sich zurück, bis wir haben, was wir wollen.“ Das waren tapfere Worte, fand der Zuyyaner, der mit seinem linken Auge die Tari Randora beobachtete, hinter der sie jetzt wieder etwas schneller her jagten. Irgendwie bezweifelte er, dass es so leicht würde, wie Ulan Manha sich das dachte... dieser Mann war wahrlich verblendet.
 


 

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Kalt :'D Und oh, ja, Kyeema. Die kommt ja auch schon. Buahaha.

Kyeema

„Na toll, sie folgen uns immer noch.“, stellte Karana fest, als er aus dem Rückfenster blickte und das immer näher kommende Schiff von Scharan unter den tausend Spiegelungen ausmachte. Er hatte eine ziemliche Zeit gebraucht, seine Instinkte so in den Griff zu kriegen, dass er das Täuschungsmanöver, das Thira dank der Spiegelungen auf den Eisflächen um sie herum initiiert hatte, selbst durchschauen konnte... es war gar nicht leicht gewesen, zwischen den zehntausend Tari Randoras über und überall die von Scharan nachgebaute zu finden. Aber als er sie gefunden hatte, war das nicht wirklich ein Grund zur Euphorie gewesen, dachte er sich; wenn er Scharans Schiff finden konnte, würde der ihres auch finden.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Asta verzweifelt und kauerte sich am Boden zusammen; das viele Hin und Her zwischen den Eiskristallen und die haarscharfen Kurven hatten sie alle mehrmals von den Beinen gerissen und würden ihnen vermutlich viele blaue Flecken bescheren... was jetzt ihre geringste Sorge sein sollte. Karana sah zu Thira ans Steuer, die nur sehr flüchtig einen Blick über die Schulter warf, um dann missgelaunt zu brummen und eine weitere scharfe Kurve zu fahren.

„Sie haben den Trick mit den Spiegeln durchschaut.“, verkündete sie, „Gut, auf lange Zeit gesehen können wir ihnen hier nicht davonfliegen. Das heißt, wir drehen den Spieß um, bevor sie es tun.“

„Was?“, machte Tayson blöd, „Wie meinst du das?“ Yarek schnaubte.

„Idiot. Was wohl? Dass wir sie zuerst angreifen, bevor sie über uns herfallen.“

„Seid ihr behindert?!“, rief Tayson darauf, „Das können wir nicht, die letzten Male haben wir auch nur gerade so überlebt, weil irgendetwas dazwischen kam! Ich bin nicht scharf darauf, denen noch mal zu begegnen.“

„Wir werden aber keine Wahl haben.“, sagte Yarek und zog an seiner Kippe, ehe er seelenruhig seine Masamune zog, „Außerdem sind wir in der Überzahl. Ryanne, mach dich nützlich und teleportiere uns da-...“ Thira unterbrach ihn.

„Nein, nicht rüber. Das andere Schiff ist Territorium des Feindes. Und Scharan wird noch mehr Leute da haben als die paar Armleuchter, die uns begegnet sind. Den Vorteil haben wir nur so lange für uns, wie wir hier auf der Tari Randora bleiben.“

„Gut.“, machte Yarek, „Dann erkläre mir mal, wie wir sie angreifen und aber gleichzeitig hier bleiben sollen.“

„Niemand hat gesagt, ihr sollt drinnen bleiben.“, erwiderte Thira und zog ihre Reikyu hervor, „Ihr geht auf das Dach.“

Sie erntete einen Moment lang Schweigen. Dann räusperte sich Karana:

„Äh, ich dachte, da draußen explodiert man, oder so?“

„Und die Schwerkraft ist auch futsch.“, machte Simu dazu. Thira zischte.

„Für beides sorge ich. Es gibt einen zuyyanischen Zauber. Der kann in unserem Fall dafür genutzt werden, um jeden von euch eine Art unsichtbare Blase aus Atmosphäre zu bilden, die euch vor dem Vakuum und der Schwerelosigkeit bewahrt. Wenn ich ihn auf euch alle anwende, habe ich allerdings nicht mehr viel Konzentration, um mich aktiv am Kampf zu beteiligen, ich bleibe also hier drinnen. Seid also so gut und passt auf euch auf.“

„Okay, wartet mal, das ist doch Humbug.“, sagte Tayson, „Wenn wir da raus gehen, teleportieren die sich hier rein, und weil wir alle draußen sind, kriegen sie ganz fix die Batterie.“

„Wo er recht hat.“, musste Iana ihm beipflichten und Thira zog die Karte von der Anrichte und hielt sie ihren Kumpanen hin, dabei immer noch steuernd.

„Nehmt die mit und wedelt so lange damit herum, bis sie scharf drauf werden. Und das werden sie, denn ohne die Karte bringt ihnen die Batterie wenig. Ohne die Batterie stürzt die Tari Randora für ewig ins Vakuum und wir alle sterben, und Manha weiß den Weg zur Trias nicht. Dann sitzt er hier dumm mit der Batterie und nichts ändert sich. Ich denke durchaus, dass er – oder wenigstens Yamuru – schlau genug ist, das zu begreifen.“ Karana senkte die Brauen und nickte dann, ehe er die Karte gewissenhaft an sich nahm und sicher verstaute.

„Toll, und was, wenn sie Karana erschlagen und die Karte kriegen?“, fragte Iana, worauf er empört schnaubend herum fuhr.

„Hallo?! E-etwas mehr Vertrauen bitte, meine Liebe!“

„Dann läuft es also wieder darauf hinaus, dass ich dich retten muss, wie jedes Mal.“, seufzte sie und erntete von manchen ein Kichern, von Karana nur ein verlegenes Murren. Na toll, sie liebte es irgendwie, ihn vor allen zu blamieren – vor allem vor Zoras, der ihn diebisch angrinste und seine Hellebarde herum schwang.

„Dann passen wir eben alle auf, dass dem kleinen Karana kein Haar gekrümmt wird.“, feixte er wie immer lauter als nötig und Karana spuckte ihm vor die Füße.

„Von wegen klein, Zwerg. Wasch dir mal die Ohren, du hörst offenbar schlecht, dass du immer so brüllst.“

Karana!“, mischte Neisa sich patzig ein, ehe ihr Mann den Hieb mit einem Schlag in Karanas Weichteile besiegeln konnte, „Dann wende diesen Zauber an, Thira... dann werden wir den Bastarden, wenn sie kommen, dermaßen den Hintern versohlen, dass sie sich wünschen werden, nie geboren worden zu sein.“ Thira hob ihre Reikyu höher, während sie um die Ecke bog und dann die Tari Randora auf einer Kolonne von Eisblöcken landete, versteckt hinter einer berghohen Wand aus glitzerndem Eis. Dass sie hier gelandet waren, würde ihnen nur einen kurzen Überraschungseffekt verschaffen, da war Karana sicher, aber im Fliegen ließe es sich auch schwer kämpfen...

Irgendwo kicherte die Seherin, offenbar wie so oft tierisch amüsiert.

„Tapfere Worte, Neisa... ich kann sie sehen. Sie sind sechs... und das Mädchen, das in den Schatten stürzte...“ Karana beachtete ihr esoterisches Geschwafel nicht; wann sprach sie eigentlich einmal nicht von Schatten?
 

Sie kamen, wie Thira vorausgesagt hatte, tatsächlich über die spiegelglatte Eisfläche, auf der die Sieben ohne Thira, dafür aber mit Yarek, wie ein Empfangskomitee warteten. Sie waren ein Stück von der Tari Randora weg geschlittert (laufen konnte man das auf dem rutschigen Eis nicht nennen), allein Ryanne war mit Tayson als Leibwächter an der Tür geblieben, falls irgendeiner der Angreifer das Empfangskomitee hinter sich ließe und direkt in die Tari Randora stürzen wollte. Asta war zusammen mit Thira im Inneren des Schiffes geblieben... Eneela war sich nicht sicher, während sie da stand und auf die Angreifer wartete, ob sie das Dorfmädchen aus Holia beneiden sollte oder nicht. Sie hatte Angst... die Unausweichlichkeit dieser Konfrontation war erstickend, sie machte sie nervös und schien ihr die Luft abschnüren zu wollen, ließ sie vor Furcht zittern... war es wirklich Furcht? Die Lianerin war sich nicht sicher, ob es nicht eher Zorn war... dieser ungebändigte Hass auf Ulan Manha, den sie seit jeher verspürte, dieser Zorn gegenüber diesem Mann, der ihre Mutter getötet hatte... der ihr Volk versklavt hatte. Dieser Zorn, der in ihrem Inneren brodelte, erfüllte sie mit Erwartung, mit einer Entschlossenheit, die sie noch nie zuvor gespürt hatte, und der Wunsch brannte in ihr, diesen Mann zu zerfetzen, ihn sterben zu sehen für alles, was er ihr angetan hatte... ihr und so vielen anderen. Und Eneelas Wut bekam einen jähen Dämpfer vor Verblüffung, als die Gegner nahe genug bei ihnen waren, um sie alle deutlich zu erkennen. Der Pflanzenheini, Yatli, fehlte, aber sie sah den Telepathen, den Feuermagier Kanau, den Heiler Turo, den Erdmagier Daku, den Zuyyaner (eindeutig zu erkennen an seinen violetten Haaren), der Thiras Cousin sein musste, und eine Frau bei ihnen, die sie noch nicht gesehen hatte. Es war die Frau, die sie so fassungslos machte, als sie sie erkennen konnte, denn ohne jeden Zweifel war sie eine Lianerin.

„Wer ist denn das?“, wollte Neisa irgendwo wissen, „Die war aber bisher nicht dabei.“

„Eine Lianerin?!“, hörte Eneela Karana perplex rufen, „Wie jetzt, wollen sie an unsere guten Herzen appellieren und drohen, sie zu schlachten, wenn wir nicht aufgeben, oder so?“

„Vermutlich werden sie es uns gleich zeigen.“, war Yareks trockener Kommentar und Eneela spürte die Wut in sich nicht mehr – sie war einer entsetzlichen Furcht und Unsicherheit gewichen, die sie zurücktreten gelassen hätte, hätte Simu sie nicht daran gehindert, der sie am Arm packte.

„Bleib standhaft.“, sagte er monoton und klang mehr denn je wie ein echter Zuyyaner, was ihr noch mehr Panik machte. „Wenn du einknickst, kriegen sie dich als erstes. Bleib stehen, egal, was passiert. Ich bin bei dir.“ Sie atmete heftig ein und aus und spürte ihre Knie vor Angst beben, ihren ganzen Körper erzittern – und es lag nicht an der Kälte, denn obwohl es angesichts dieser Permafrost-Brocken wahnsinnig kalt sein musste hier, spürten sie alle davon nichts... dafür sorgte vermutlich Thiras komischer Zauber. Den die Gegner augenscheinlich ebenfalls auf sich trugen. Jetzt hielten sie an, in einem geringen Abstand, der vielleicht so lang war wie dreimal Zoras, und das war nicht so viel, und der Rothaarige, Kanau, ergriff unwirsch das Wort.

„Wie nett, dass ihr freiwillig raus kommt. Spart Arbeit. Übergebt ihr uns die Karte und die Batterie oder müssen wir uns prügeln?“

„Was hast du denn gedacht?!“, fragte Iana ihn spöttisch, „Sehen wir mit gezogenen Waffen aus, als würden wir uns ergeben, du Hurensohn?“

„Nicht so unhöflich, meine Liebe.“, entrüstete sich Thiras Cousin mit einem aalglatten Lächeln, das Eneela schauderhaft an Henac Emo erinnerte; wobei der Zuyyaner eindeutig viel jünger als Emo war, er hatte aber irgendwie eine genau solche Verschlagenheit voller Lügen und Intrigen in seinem Gesicht, die sie wieder am liebsten hätte davon rennen lassen. Simu hinderte sie nicht physisch daran, aber instinktiv spürte sie, wie er ihr einen Blick schenkte, der ihr verbat, wegzurennen. Sie wusste, dass sie standhaft sein musste... und sie wollte es! Es war aber nicht leicht... „Wir wollen doch die Etikette wahren, oder?“

„Halt die Schnauze, du Bastard!“, brüllte Zoras den Kerl dann an und schwang bereits wutentbrannt seine riesige Hellebarde, „Das auf Yasar zahle ich dir verdammt noch mal heim!“

„Schön, ohne Blutvergießen geht es offenbar nicht.“, seufzte der Zuyyaner und zog die Achseln hoch, ehe sein Blick an der Tari Randora hinter ihnen in der Ferne hinauf glitt, wobei sich sein Grinsen triumphierend verbreiterte. „Auch gut. Ihr wisst, was ihr zu tun habt – Kyeema, reiß sie in Stücke... das, was du am besten kannst, Püppchen.“

Es waren so simple, arrogante Worte, die Yamuru sprach, und kaum hatte er ausgesprochen, brach der Alptraum über die sieben Kameraden herein und brachte das, was Ryanne so gerne voraussagte... Tod und Schatten.

Sie starb nicht ernsthaft, aber Schatten gab es... wenn es auch kein Schatten war, den man sehen konnte. Aber Eneela fühlte ihn tief im Inneren ihrer Seele so deutlich, dass es schmerzte und sie aufschrie, als sich die Gegner auf sie stürzten und plötzlich die ganze Luft – wenn es hier überhaupt welche gab – voller Magie und dem Willen zu morden war. Eneela kämpfte ja nicht zum ersten mal, auch nicht zum ersten mal gegen Magier, aber dieses mal war etwas anders an dem Schatten, der über sie herfiel wie ein hungriger Wolf über eine Schafherde. Es war bestialischer, es war tiefer in ihrem Inneren, eine grauenhafte Furcht und ein Gefühl von Bosheit, das irgendwo aus ihrem Inneren kam, so mächtig wie sie es noch nie im Leben wahrgenommen hatte. Es ließ sich orten – es war irgendwo vor ihr, sie konnte genau die Quelle der puren Bosheit und dieses furchtbaren Gefühls wahrnehmen, aber sie konnte nicht sehen, weil sie geblendet war von gleißenden Blitzen, ganzen Wänden aus purem Feuer und Flutwellen, die sich von allen Seiten irgendwie in alle Himmelsrichtungen zugleich ergossen. Simu rief ihren Namen, aber sie wusste nicht, von wo seine Stimme gekommen war.

Eine Lian beschwören, dachte sie sich in ihrer Panik hyperventilierend, Ich muss eine Lian beschwören! Ich muss... kämpfen! Ich darf nicht aufgeben gegen dieses grauenhafte Gefühl des Unheils... ich darf dem Schatten nicht verfallen!

„Yolei!“, keuchte sie und riss die Arme nach vorne, noch im selben Moment spürte sie, wie das Wasser in ihren Händen Gestalt annahm, aus ihnen heraus sprudelte und sich in Form eines gigantischen Fisches über ihr materialisierte. Yolei war die erste Lian gewesen, die sie je beschworen hatte... es war ihre liebste, ihre vertrauteste, die Bestie des Wassers, mit der sie am besten umgehen konnte. Bebend streckte sie die Arme zur Seite, war aber unfähig, einen Befehl auszusprechen... das schlechte Gefühl war mit einem Mal so mächtig, dass sie glaubte, daran zu ersticken, eine unsichtbare Energie aus purem Schatten und Zorn, die sie tief im Inneren schwerer verletzte als alles, was sie jemals Schlimmes erlebt hatte, es je gekonnt hätte. Sie fühlte einen so heftigen Stich in ihrer Seele, den sie gar nicht erklären konnte, dass sie zusammenfuhr... dann ortete sie die Quelle des üblen Gefühls hinter sich.

„Und du... bist Eneela Kaniy, die Legende, von der sie alle sprechen? Das... ist ja absolut lächerlich. Du fällst ja gleich vor Angst in Ohnmacht... wie kann es angehen, dass so jemand eine Legende wird?“

Die Stimme, die gesprochen hatte, war die einer Frau. Sie war glockenhell und klang so lieblich, dabei waren die Worte, die sie gesprochen hatte, pures Gift. Eneela fuhr keuchend herum, um sich dem fremden Lianermädchen gegenüber zu sehen, das sie aus den bleichen, fast weißen Augen geringschätzig musterte.

„Was... was tust du hier?!“, keuchte Eneela wimmernd und taumelte, Yolei über ihr schwamm etwas sinnlos in der Luft herum. Das Mädchen ihr gegenüber zog eine Braue hoch.

„Ach, ich kam zufällig vorbei und dachte, ich schlitze dir einfach mal die Kehle auf. Sonst noch Fragen?! Du törichte Hure, dass du gegen die Droge resistent bist, nützt dir jetzt gar nichts mehr! - Shada!“ Eneela konnte nicht sprechen. Sie konnte nur fassungslos zusehen, wie dieses fremde Mädchen die Arme so geübt und sicher in den Himmel riss, als wäre es ein reines Kinderspiel für sie, eine Lian zu rufen. Einen Moment später ertönte ein gewaltiges Krachen, als sie aus dem Nichts einen gigantischen Blitz beschwor, der im Bruchteil eines Augenaufschlags die Gestalt einer riesigen, aus purem Blitz bestehenden Schlange annahm. Die Blitzbestie, Shada... Eneela sah sie zum ersten Mal. Was sie so entsetzte war aber nicht, dass ihre Gegnerin Shada beschwören konnte... es war viel mehr die Tatsache, dass sie ihre Gegnerin war.

Eine Lianerin, die gegen ihre eigene Artgenossin kämpfte? Das war schlimm... aber doppelt schlimm war, dass diese Lianerin für Ulan Manha kämpfte. Für den Mann, der ihr Volk versklavt hatte... was war mit der kaputt, dass sie für den kämpfte? Das Mädchen ließ ihr keine Möglichkeit, weiter zu denken.

„Töte sie, Shada.“

Das war der Moment, in dem Eneela zu kämpfen anfing. Es war nackter Überlebenswille, der sie trieb, der sich mit dem Entsetzen und Zorn über die Einstellung ihrer Gegnerin vermischte und sie in einer wutentbrannten Bewegung Yolei nach vorne befehligen ließ. Dummerweise konnte die Wasserbestie nicht viel gegen den Blitz ausrichten, in dem die Schlange auf sie zu schoss, aber die Explosion beider Bestien, die Yolei zerschmetterte, rettete Eneela vermutlich das Leben, denn ohne Yolei wäre nicht die Bestie, sondern sie jetzt zerschmettert worden. Yolei würde sich regenerieren... die Lians konnten nicht sterben, aber für die nächste Zeit würde die Wasserbestie sich vermutlich nicht mehr rufen lassen.

„Was ist in dich gefahren?!“, schrie Eneela und hustete, als sie rückwärts stolperte und die andere Beschwörerin ohne auch nur mit der Wimper zu zucken erneut Shada auf sie hetzte. „W-wieso kämpfst du für Scharan?! Wie kannst du dein eigenes Volk so verraten?!“

„Mein Volk?!“, schnaubte die andere, während Eneela schreiend der Blitzschlange auswich, die dann unerwartet von irgendeinem anderen Zauber von der Seite getroffen wurde – von dem der jetzt gekommen war, sah sie nicht, aber dass die Schlange zu Boden geschleudert wurde, verschaffte ihr einen winzigen Moment zeit, um die Arme hoch zu reißen und die nächste Lian zu rufen.

„Lavia! Hilf mir... bitte!“ Und der Feuervogel stob aus ihren Händen in den schwarzen Himmel, um sich Shada zu stellen.

„Mein Volk?!“, wiederholte die Gegnerin abschätzig, „Ein Haufen Verlierer, der nichts kann und sich hat unterwerfen lassen! Warum, Eneela Kaniy, sollte ich... mit euch verlieren, wenn ich gewinnen kann? Und das kann ich... selbst gegen dich, du Abschaum! So... wie der Meister es mich gelehrt hat. Zerfetze sie, Shada!“

„Lavia!“, schrie Eneela, und die beiden Bestien begannen ein Gemetzel aus Blitzen, Flammen und einem donnernden Grollen aus dem Himmel. Doch gerade, als Eneela glaube, sie hätte eine Chance gegen dieses Mädchen, das Scharan ihren Meister nannte, riss dieses die Arme wieder herum und rief eine zweite Lian – ihrerseits Yolei, mit der sie Lavias Feuer ganz schnell vernichtete. Und Eneela rutschte auf dem glatten Eis aus und stürzte zu Boden, so paralysiert von dem grausigen Gefühl, das allein die Anwesenheit dieser anderen Lianerin in ihr verursachte, dass sie nicht mal daran denken konnte, eine neue Lian zu rufen. Sie wusste nicht, was es war, das sich so grässlich anfühlte... die Tatsache, dass dieses Mädchen tatsächlich für Scharan kämpfte? Ihre ganze Erscheinung hatte etwas so Tod bringendes, Fürchterliches, dass Eneela ohne es selbst zu wollen mit den Tränen kämpfte... Tränen des Zorns und des Unverständnisses über ein solches Verhalten. Sie kam nicht dazu, an Tränen zu denken, weil sich Shada und Yolei jetzt gleichzeitig auf sie stürzten, bereit, sie zu vernichten.
 

„Das geht doch nie gut aus!“, jammerte Asta am Boden kauernd und zitterte am ganzen Leib. Thira schenkte ihr kaum Beachtung, ihr Blick hing wie festgefroren an dem Szenario draußen, während sie sich mit aller macht auf die Zauber konzentrierte, die ihren Kameraden das Leben schützten. Würde sie nur ein wenig scheitern, würden sie alle verrecken... verdammt, sie war einfach gezwungen, hier drinnen zu bleiben und zu hoffen, dass die anderen wieder zurückkämen. Thiras rote Augen beobachteten jede einzelne Bewegung jedes der insgesamt dreizehn Menschen da draußen – sieben Kameraden und sechs Gegner – in ihrer üblichen Monotonie... aber in ihrem Inneren grollte es, es juckte ihr so in den Fingern, da raus zu rennen und den anderen zu helfen, weil in ihrer Seele die unerklärliche Angst wuchs, sie würden scheitern. Sie verfluchte sich für ihre nicht vorhandene Perfektion – wieso fürchtete sie sich? Sie dürfte gar keine Furcht verspüren, sie war Zuyyanerin. Seelenlos... wie man sagte. Wie Chenoa sie gelehrt hatte. Gefühle abschalten war die Kunst, die die Zuyyaner zu so bestialischen Schlächtern gemacht hatte, zu erbarmungslosen, pragmatischen Gegnern, zu einem großen Haufen voller Opportunisten. Und einer von ihnen war da draußen und hatte durchaus die Macht, ihre Kameraden, Karana, Zoras, Simu und alle anderen einfach zu zerreißen...

Eneela ging zu Boden und die beiden Bestien, die das andere Mädchen auf sie hetzte, griffen sie an wie Raubtiere. Ob aus Reflex oder aus purem Willen des Schicksals, Thira wusste das nicht, beschwor Eneela doch noch eine neue Lian, die sie schützte; und die war ziemlich effektiv, wie es schien, Thira erkannte aus der Ferne und in ihrer Konzentration nicht genau, was für ein Tier es war – es sah aus wie ein riesiger Fuchs – aber es schien komplett aus Eis zu bestehen und zerschlug die Wasserbestie ihrer Gegnerin in Fetzen, ehe es sogar die Blitzschlange zerriss, die gegen es offenbar nichts ausrichten konnte. Kämpfe zwischen Lianern waren Kämpfe purer Elemente. Mit der Eislian als Eneelas Waffe war es keine Frage, dass die Gegnerin als nächstes die Bestie des Feuers beschwor – dachte Thira, denn als nächstes kam nicht die Lian des Feuers. Aber sie kam nicht dazu, den Lianerinnen weiter zuzusehen, weil ihre Augen sich instinktiv auf die andere Seite des Schlachtfeldes warfen – und auf Yamuru, diesem elenden Verräter, und das war der Moment, in dem sie ihr Vorhaben über den Haufen werfen musste, wenn sie verhindern wollte, dass ihre Kameraden da draußen auf brutalste Weise zu Grunde gerichtet wurden.

„Verdammte Scheiße! Bleib hier, Asta, und rühre dich nicht!“
 

Das einzige, was Yamuru sich dachte, war, das hätte schneller gehen können. Die Sieben – eigentlich waren sie ja bloß sechs, weil Thira nicht dabei war, was er im Übrigen bedauerte – waren gut und verdienten sich wohl ihre Bestimmung als Kinder der Götter von Khad-Arza. Zumindest hatten sie bisher keinen von ihnen tot bekommen, was Rok im Übrigen dazu veranlasste, wutentbrannt zu fluchen und wie ein Berserker mit Telekinese-Schlägen um sich zu werfen – einmal erwischte er Kyeemas Blitzschlange, einmal erwischte er Daku, den es dann von den Beinen riss, und bevor er Yamuru selbst hätte erwischen können, hatte der Zuyyaner sich dazu herablassen müssen, den Schwerkraftzauber um Rok etwas zu lockern, um ihn wieder zur Vernunft zu bringen; plötzlich der Schwerkraft beraubt war der Telepath in die Luft geflogen und hatte nur noch kurz wutentbrannt gezappelt, dann hatte ihn die panische Todesangst ergriffen, der Zauber würde sich auflösen und er implodieren, das hatte ihn wohl etwas zur Vernunft kommen lassen. Dieser Vollidiot... manchmal fragte der Zuyyaner sich wirklich, was ihn geritten hatte, sich in diesen Haufen Versager zu werfen. Allen voran natürlich Ulan Manha, dieser machtgierige, größenwahnsinnige, verblendete Hurensohn, der das Leben nicht mal verdiente und in Yamurus Augen nicht mehr als die Ausgeburt des Himmelsdonners war, ein Gefäß für Kelar Lyras Geist, allein zu dem Zweck geschaffen, einmal diesem Wahnsinn zu verfallen, der den Tyrannen von Lyrien zu Grunde gerichtet hatte...

Yamuru unterbrach seine Gedanken und konzentrierte sich auf Zoras Derran, der sich offenbar in den Kopf gesetzt hatte, seine Niederlage von letztem Mal zu begleichen. Und obwohl er so klein war, war der Seelenfänger kein zu unterschätzender Gegner, denn der Schatten des Geisterreiches, der allerletzte Abgrund des Himmelsdonners, über den dieser kleine Mann herrschte, war mächtig.

„Ich werde dich zerquetschen wie ein... lästiges Insekt, so lange, bis meine Würde befriedigt ist, Yamuru Mirrhtyi!“, blaffte der Herr der Chimalis ihn voller Groll an und schwang seine Hellebarde herum und nach vorne in Yamurus Richtung. Der Zuyyaner lächelte.

„Du willst wohl auf dem anderen Ohr auch noch taub werden? Oder sollte ich nächstes Mal ein Auge nehmen?“

„Prahle nur, Hurensohn, das Lachen wird dir vergehen. Ich schwöre dir, ich zerreiße deine Seele... wenn ich sie erst mal habe!“ Das war eine üble Drohung, und im nächsten Moment schmetterte der Kleinere einen monströsen Blitzschlag auf ihn zu, eine geballte Ansammlung purer, gnadenloser Magie, ein Todesstoß von einem Zerstörer für jeden Sterblichen, der ihm in die Quere zu kommen wagte... zu Zoras' Pech hatte Yamuru definitiv nicht vor, zu sterben. Ein Schwenk mit der Reikyu ließ Zoras' Blitzzauber zersplittern, und um die Sache endlich zu beschleunigen und heute noch mal die verdammte Karte zu bekommen ging er jetzt seinerseits zum Angriff über. Viele Möglichkeiten hatte er nicht, während er gleichzeitig die Schwerkraft der anderen Idioten kontrollierte, könnte er nicht viel mit der Reikyu machen, dafür war er einfach nicht begabt genug. Glücklicherweise hatte Yamuru noch andere Talente als die Nutzung der Reikyu.

„Du solltest beten, dass Thira ein zweites Mal kommt, um dir den Arsch zu retten, bevor ich die Gelegenheit habe, dich in den Schatten zu stoßen, für den du... geboren wurdest, Zoras Derran.“ Die Worte wirkten genug. Der Kleinere erstarrte nur für einen minimalen Moment und weitete die Augen mit einem Hauch von Furcht, einem Hauch von Zweifel... das reichte, um ihn abzulenken, um nächsten Moment stürzte Yamuru sich auf ihn, die Sanhari, sein heiliges Familienerbstück, in der Hand, und mit der scharfen Klinge nach ihm zu schlagen. Er erwischte ihn beinahe an der Brust, rutschte jedoch ab und traf ihn dann doch bloß in der Achselhöhle, aber offenbar war es schmerzhaft genug, im nächsten Augenblick rutschte sein kleiner Gegner auf dem glatten Eisboden aus und stürzte rücklings zu Boden. Zoras' schmale, grüne Augen weiteten sich in blankem Entsetzen gemischt mit abgrundtiefem, wahnsinnigen Hass, als Yamuru sich grinsend über ihn beugte und mit der Sanhari auf ihn zielte, an deren Klingen jetzt messerscharfe Eiszapfen wuchsen wie ein bösartiges Geschwür aus purer Macht. „Lang... lebe der König von Ostfann, Zoras, hmm?“

Und er riss die freie Hand in den Himmel, um seine grüne Reikyu zu beschwören und das grelle Aufblitzen der Kugel eine jähe Stille in die Schlacht treiben zu lassen. Es war für einen Moment so, als hätte die Zeit die Luft angehalten... als würde die ganze Welt, auf der sie sich gerade nicht einmal befanden, still stehen, nur für den Moment, in dem Yamuru seine eigene Seele mit furchteinflößender Macht zusammendrückte, für den Augenblick, in dem die Macht durch alle Poren in die Körper der anderen eindrang wie eine tödliche Seuche, sie verpestete, sie wahnsinnig machte, den Druck auf jede einzelne Zelle ihres ganzen Körpers so rapide steigerte, dass Yamuru erfüllt von grauenhafter Genugtuung darauf wartete, dass erst Zoras unter ihm und dann nach und nach auch alle anderen platzen würden ob des immensen Drucks, den er bloß mit seiner Seele herauf beschwor – in dem Augenblick, in dem Zoras aufschrie und wie wahnsinnig mit seiner Hellebarde durch die Luft zu schlagen begann, spürte Yamuru eine eisige Klinge an der Seite seines Halses.

„Du... bist mein Gegner... Yamuru Mirrhtyi. Und wenn du es wagst, deine Reikyu... noch weiter zu manipulieren, um die Seelen meiner Kameraden zu zerreißen, dann bist du des Todes, denn dann werde ich mit dir noch viel Schlimmeres tun.“

Er war nicht überrascht, Thira zu sehen, die neben ihm aufgetaucht war. Die Kouriha in der Hand und auf seinen Hals gerichtet stand sie da wie ein Felsen, kühl, schön und doch so wahnsinnig berechnend... seine dumme, verblendete Cousine. Und nie hatte er sie mehr begehrt als in diesem Augenblick... ein Moment, von dem er irgendwann einmal geträumt hatte.

Mit einem süffisanten Lächeln drehte er sich zu ihr um und ließ die grüne Reikyu gehorsam verschwinden, um den Moment absoluter Stille zu beenden. Die Schlacht ging weiter und Zoras rappelte sich bestimmt auf, aber das war unwichtig. Interessant war nur Thira, die ihn mit solch gnadenloser Bosheit frei von jeglichen Skrupeln anstierte, als wäre er die Personifikation des Übels selbst.

„Ich hab mich gefragt, wann du wohl kämst... Thira.“, begrüßte er sie grinsend und sie hob herrisch ihre Waffe höher.

„Halt den Rand. Ich habe geschworen, dich zu töten, Yamuru, und ich werde es auch tun... Verräter.“

Weitere Worte verlor sie nicht, stattdessen griff sie ihn an. Es folgte ein rasanter Schlagabtausch zwischen ihrer Kouriha und seiner Sanhari und Yamuru sparte es sich, sie sofort niederzustrecken; er war kein Dummkopf und vermutlich sehr viel besser und effizienter in der Kunst des Schwertkampfes ausgebildet worden als sie, die sie als Kind nach Tharr gelangt war. Sie einfach nur hinzurichten wäre öde... er wollte sie zappeln sehen, er wollte sie leiden und schreien sehen, wenn es darauf ankam. Und sie würde zappeln... schon sehr bald. Die Gedanken verschafften ihm gute Laune und machten ihn irgendwie trotzdem nervös.

„Wenn du mich töten willst, worauf wartest du?“, fragte er sie neckisch, als er einem Hieb ihrer Kouriha auswich und ihren Angriff mit seiner eigenen Waffe konterte. Klirrend prallten die Klingen beider Eiswaffen aufeinander und Yamuru zischte, als er seine Cousine mit einem harten Stoß zurück schlug und sie sofort wieder angriff. Unkaputtbar... eben wie eine echte Maschine, ganz die Lehrerin. Ganz Chenoa Jchrrah.

Du wirst dich noch wundern, Chenoa. Hier draußen wirst du dein Lämmchen nicht vor mir schützen können. Keine Macht der Welt wird... es vor mir schützen können, das schwöre ich dir.

„Auf den geeigneten Schlagwinkel.“, antwortete Thira ihm dann kalt und die Masse an Eissplittern, die sie nach ihm schleuderte, wischte er mit einer simplen Bewegung seiner Sanhari zur Seite. Sie keuchte.

„Ich glaube nicht, dass es das ist...“

„Ah, und was ist es deiner Meinung nach?“

Neugierde.“ Thira sah ernsthaft skeptisch aus, als er das sagte, und er verkniff sich das Grinsen, denn seine Euphorie machte ihn immer so verdammt unseriös... hatte aber auch Vorteile, denn es veranlasste grundsätzlich alle dazu, ihn für behindert zu halten, für geistig beschränkt, und damit unterschätzten sie ihn gewaltig. Thira würde diesen Fehler nicht machen, dachte er sich... sie war klug, Chenoas Lämmchen. Er schlug nach ihr, doch sie wich behände aus, riss ihre Kouriha herum und traf ihn dieses Mal am Ärmel, den es in Fetzen riss.

„Worauf sollte ich neugierig sein?“, schnaubte sie, „Steh mir nicht im Weg, Yamuru Mirrhtyi. Du hast dich für eine Seite entschieden. Und damit deinen Tod gewählt.“

„Ah, ah, das ist aber altmodisch. So einfach ist das nicht, die Welt teilt sich nicht in die helle und dunkle Seite der Macht... Thira.“ Er musste jetzt doch schmunzeln und sie spuckte ihm vor die Füße.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“ Das war wahr... das musste er dringend nachholen. Mit einem einzigen Satz war er bei ihr, schleuderte sie zu Boden und packte sie am Hals, presste die Finger gegen ihre Kehle und drückte sie auf den Eisboden, auf dem sie kämpften. Sie japste, als er mit seiner Sanhari an ihrer Schläfe ansetzte, jeder Zeit bereit, ihr den Schädel damit zu durchbohren. Sie weitete die roten Augen und er spürte das Pulsieren des Blutes in ihrer Halsschlagader, gegen die er mit seinen Fingern drückte. Das Pulsieren von Furcht... etwas, das er hier stärker wahrnahm als er jemals gedacht hätte.

Kannten Maschinen Furcht?

„Du willst wissen, was der wahre Zweck der Trias ist... deswegen sagte ich Neugierde.“ Sie erstarrte. Er sah genau den Moment, in dem sie aufhörte, sich zu fürchten, den Moment, in dem sie all ihre Konzentration nur auf ihn richtete und nicht auf irgendeinen Weg, ihn zu zerfetzen. Es war ein bemerkenswerter Augenblick, so fein und fast nicht wahrnehmbar, diese winzige Veränderung in ihrer Seele... bis sie die Brauen senkte und es wieder vorbei war. Aber es reichte... er wusste, dass er sie hatte.

„Wovon redest du? Was weißt du über die Trias, das ich nicht weiß?“ Yamuru feixte, ehe er die Sanhari sinken ließ und sich erhob, Thira dabei unsanft zu Boden stoßend, damit sie nicht sofort aufspringen konnte. Sie tat nichts, sie starrte ihn nur an, und in dem Moment, in dem sie doch auffuhr und wutentbrannt ihre Kouriha griff, ertönte neben ihnen ein ohrenbetäubendes Donnern gefolgt von einem markerschütternden, lauten Brüllen, einem Geräusch, wie es nur eine Ausgeburt purer Bosheit und puren Übels vollbringen konnte... Yamuru hatte das Geräusch noch nicht oft gehört, aber er erkannte es, ohne dass er herüber sah, während Thira auf die Beine sprang und angriffsbereit herum wirbelte.

„Katari!“, keuchte sie dabei und erstarrte abermals, während Yamuru kicherte.

„Ah... Kyeema ist tapfer, Scharans kleine, verblendete Kampfmaschine. Aber wenn sie schon Barak beschwört, muss es ja ernst sein... beeindruckend.“
 

Das, was Kyeema, das Lianermädchen, da beschwor, hatte Karana noch nie zuvor gesehen. Ebenso wenig die anderen, vermutete er, während sie alle in ihrem Kampf inne hielten und herüber sahen zu dem Ungetüm, was da aus dem nichts in der Luft fliegend erschien, ein einziger, gigantischer Wirbel aus purer Macht, aus purem Zorn und purer Zerstörungswut. Karana sah überhaupt zum ersten Mal genauer auf das Lianermädchen, das sich bisher die meiste Zeit mit Eneela befasst hatte. Neben ihm kam Iana zum Stehen, heftig atmend und ihr heiliges Kurzschwert so fest umklammernd, dass ihre Knöchel hervor traten – sie bot einen schauderhaften Anblick, wie sie mit fassungslosen, wie im Wahnsinn geweiteten Augen auf das Monster starrte, diese Lian, die Kyeema da gerufen hatte.

„Barak...?!“, japste sie dabei und Karana sah sie verblüfft an – nur für einen Moment, denn der Anblick dieses vor Zorn und Macht sprudelnden Ungetüms war einfach zu fesselnd. Es war ein Drache, glaubte er – eines dieser gigantischen Reptilien mit ledrigen Schwingen, mit denen sie fliegen konnten wie Vögel... aber anders als Vögel ersetzten die Flügel nicht die vorderen Extremitäten, sondern waren zusätzlich zu zwei Vorder- und zwei Hinterbeinen vorhanden. Die Haut bestand, soweit Karana wusste, normalerweise aus Schuppen, die hart und fest waren und quasi unzerstörbar; Drachen waren die gefürchteten Wappentiere von Janami gewesen, Ungeheuer und Herren der Lüfte, die im Dienst des Königreiches Janami eine so gefürchtete und mächtige Luftwaffe gebildet hatten, dass sie quasi den Bestien aus Ela-Ri gleich gekommen waren. Karana hatte nicht gewusst, dass eine der sechs Lians die Gestalt eines Drachen annahm... aber noch mehr wunderte ihn eigentlich, dass seine Frau seinen Namen zu kennen schien.

„Barak?!“, machte er, „Heißt so dieses Vieh?!“

„Die Bestie des Windes.“, erklärte Iana keuchend, „Meine Mutter war Lianerin, vergessen? Sie brachte mir als ich ganz klein war die Namen und Arten der sechs Bestien bei... und Barak ist unglaublich schwer zu beschwören und zu bändigen, ich weiß noch, dass sie mir damals erzählt hat, sie selbst hätte nie im Leben geschafft, Barak zu rufen...“ Karana starrte auf das Ungetüm, das sich mit einem Brüllen wie frisch aus dem Himmelsdonner geschlüpft mit seinen gigantischen Schwingen in die Luft erhob, während die Lianerin, kaum ein Streichholz gegen das Untier, noch mit erhobenen Armen und in den Nacken geworfenem Kopf auf dem Eis stand wie ein Fels in der Brandung. Was viel extremer war als die Größe des Drachen, war die Ausstrahlung, die Karana durch Mark und Bein ging... und ebenso Iana neben ihm, das spürte er an ihrem wahnsinnigen Zittern, an ihrem ganzen Sein. Dieser Drache war eine Ausgeburt der Bosheit, eine Erschaffung aus purem Zorn und purer Mordlust, allein seine Präsenz war derart niederschmetternd, dass Karana spontan das Gefühl hatte, er würde allein durch einen Blick dieses Drachen in seine Richtung krepieren. Den anderen um ihn herum schien es ähnlich zu gehen, selbst die gegnerischen Schamanen wichen taumelnd rückwärts vor dem Monstrum, als Kyeema die Stimme erhob.

„Barak!“, rief sie, doch ihre Stimme ging fast unter in dem Dröhnen des Übels, das in Karanas Ohren rauschte und von diesem Vieh ausging, „Bring sie um... zerreiße sie und bring mir die Karte! Du weißt, wo sie ist... zerfetze diese Hurensöhne!“

Einen Moment lang begriff der Schamane gar nicht, dass jetzt er das Ziel war, weil er die Karte hatte – es war Iana, die ihn am Arm herum riss und anfuhr, er sollte irgendetwas tun, als der Drache brüllend empor schoss, um sich dann auf die Kameraden zu stürzen, allen voran auf Karana zu, der absolut fassungslos nur da stehen und sein Schwert halten konnte.

„Verdammt, der will dich umbringen, mach doch was!“, schrie Iana ihn an und riss ihr eigenes Kurzschwert hoch – er konnte sie nicht beachten. Verblüffenderweise waren es Ryannes Worte, die ihn jetzt aus seiner Starre weckten... Worte, die sie vor einer gefühlten Ewigkeit gesprochen hatte, an dem Tag, als sie Yasar verlassen hatten.

„Sie können nicht sterben... das würden sie nicht zulassen, bis die Aufgabe erfüllt ist.“

„Verschwindet!“, brüllte er und riss sein Schwert in die Luft, seine Frau zur Seite stoßend, „Dieser Bastard gehört mir!“

Das war leicht gesagt, denn die Bestie war riesig und griff mit solcher Wucht an, dass ein Windstoß der gewaltigen Flügel den ganzen Eisblock spaltete. Ein dröhnender Riss tat sich auf und ein ohrenbetäubendes Krachen erfüllte die ganze Umgebung, als sämtliche Beteiligten von den Beinen gerissen wurden. Karana klammerte sich hustend an den Eisbrocken und rollte sich zur Seite, womit er haarscharf dem rasiermesserscharfen Windstoß entkam, der als nächstes auf ihn zu flog. Er hörte um sich herum die anderen schreien, aber alles, was in seinem Kopf Platz fand, waren die Gedanken an das Rauschen von Tod und Schatten in seinem Blut, in seinem Kopf, dieses gewaltige, beängstigende Gefühl von brutaler Macht, das von der Lian ausging...

„Kämpfe, Karana. Kämpfe dagegen an, lass dich nicht von dem Schatten in die Knie zwingen!“

Er keuchte, als er auf die Beine kam, überwältigt von der monströsen Macht purer Bosheit. Das Brüllen des Drachen machte ihn beinahe taub und ließ ihm fast das Herz stehen bleiben, so grauenhaft war es. Er strauchelte und umklammerte so fest sein Schwert, dass er glaubte, er würde es zerbrechen.

„Wenn ihr in den Schatten fallt... sucht euch ein Licht und klammert euch daran... wenn alle andere Lichter erlöschen. Sieh nach vorne, Karana!“

Die Geisterstimmen waren nach dem höllischen Brüllen wie Balsam für seine Ohren... für seinen ganzen Geist, der erschüttert wurde durch die abgrundtiefe Mordlust. Er gehorchte ihnen und sah nach vorne, direkt in Kyeemas hasserfülltes, euphorisches Gesicht, in diese blassen Augen, diese weiße Haut, diese fast farblosen, langen Haare. Und die bleichen Augen bohrten sich in seine auf eine Weise, wie Nägel in eine Wand geschlagen wurden, doch der Moment des abgrundtief entsetzlichen Schmerzes, der Karanas Seele streifte, brachte die Antwort auf das, was er hier tun musste. Er hatte vielleicht nicht die Macht, sich diesem Monster jetzt zu stellen... aber es war auch nicht das Monster, das er bekämpfen musste, sondern die Beschwörerin.

Wenn die Beschwörerin fällt, verschwindet die Lian.

Er riss seine Waffe hoch, als der Drache erneut angriff, sich in einem einzigen Wirbel aus Wind, Macht und Bosheit auf ihn stürzte, bereit, ihn zu zerfetzen und seine Seele in Scherben zu schlagen. Es war der Augenblick, Angesicht in Angesicht mit diesem Ungetüm, in dem Karana seinen eigenen Windzauber auf die Klinge des Familienschwertes rief, und kurz bevor der Drache ihn hätte erreichen können, schleuderte er seinen Zerstörer direkt auf Kyeema.

Barak griff nicht mehr an. Stattdessen verschwand der Drache voller Bosheit im Nichts, als das Windmesser die Lianerin traf... es war ein Anblick, den Karana sich lieber erspart hätte, und keuchend schnappte er nach Luft, als das Mädchen vor ihm einen Schrei ausstieß, der fast so grausam war wie der des Drachen, nur auf andere Weise. Sie wurde hoch in die Luft und zurück auf den Eisbrocken geschmettert, während der Wind sie regelrecht in Fetzen riss, und dabei schrie sie, schrie und schrie, hörte gar nicht mehr auf – Karana war verblüfft, dass sie überhaupt so lange durchhielt. Und als der Zauber sich auflöste, lebte Kyeema noch immer, wenn auch nur so gerade eben, ihr Körper zerrissen vom schneidenden Wirbelwind aus Macht, zerschmettert vom Zorn der Himmelsgeister. Karana spürte, wie das Blut in seinen Adern rauschte, diese bösartige Mischung aus Magie und Adrenalin, während er heftig atmete und auf die Lianerin herab starrte, die sich nicht regte.

„Sie... hat das Windmesser überlebt.“, hörte er irgendwo Daku murmeln, „Verdammt, das ist unglaublich! Müssen die Gene sein.“ Karana keuchte nur und ballte die Fäuste – dann hörte er Zoras Derrans Stimme knapp hinter sich.

„Bring sie um.“ Der junge Mann drehte den Kopf, um seinen Schwager düster anzusehen, der seine Hellebarde geschultert hatte und starr in Kyeemas Richtung zu sehen.

„Was?!“

„Ich sagte, bring sie um. Wenn sie jetzt wieder zu Kräften kommt, wird uns nächstes Mal kein Zauber der Welt vor ihrem Barak schützen können. Wenn sie jetzt schon voller Zorn war, was wird sie nächstes Mal sein? Bring es zu Ende, Waschlappen.“ Karana kniff die Lippen zusammen und sah auf die Lianerin, die zuckend am Boden lag und jetzt abgehackt wimmerte. Kanau und die anderen von Scharans Schergen liefen jetzt los, um sich um sie zu bemühen. Sobald man sie anfasste, stöhnte sie, zu kraftlos zum Schreien, aber Karana konnte fast mitfühlen, was für wahnsinnige Schmerzen sie haben musste... er zischte und drehte sich von dem Geschehen ab.

„Nein.“, sagte er zu Zoras, „Sie... ist nicht Manha. Manha ist der Einzige, den ich hier töte. Sie ist nicht mehr als eine Maschine, die für ihn kämpft. Sie hat keine Schuld an dem, was sie tut.“

„Hört, hört.“, schnaufte Zoras verächtlich, als sein Schwager an ihm vorbei stampfte, „Karana, der Barmherzige. Eins sage ich dir, egal, warum auch immer diese Lianerin für Scharan kämpft, wenn sie meiner Frau ein Haar krümmt, wird sie sterben.“ Karana beachtete seine finsteren Worte nicht mehr, obwohl er den Schatten von Zoras' zerrissener Seele deutlich wahrnehmen konnte in diesen Momenten. Neisa würde ihn schon irgendwie besänftigen. Erhobenen Hauptes wandte sich der Schamane den Übrigen zu, die sich aufgerappelt hatten, erschöpft, ausgelaugt, traumatisiert (in Eneelas Fall)... er sah in Ianas kaltes, bleiches Gesicht, dann zu Thira, bei der in knapper Entfernung ihr Cousin stand, der sich jetzt anschickte, gemeinsam mit seinen Kollegen und der halbtoten Kyeema das Schlachtfeld zu verlassen.

„Für heute genug... Yamuru.“, grollte Karana in Richtung des größeren Mannes, der darauf in absolut perfektionistischer Höflichkeit den Kopf vor ihm neigte.

„Dessen bedarf es keiner weiteren Worte.“ So sprach er, dann verschwanden er und die anderen Schakale mittels Teleport im Nichts. Zurück blieben die Kameraden auf dem gespaltenen Eisblock, in dem jetzt ein gigantischer Riss klaffte, so breit wie ein großer Fluss. Thira steckte ihre Kouriha ein und wandte sich in Richtung der Tari Randora.

„Wir müssen hier verschwinden.“, befahl sie kalt, „Nächstes Mal werden sie nicht so zärtlich mit uns umspringen. Ich fürchte... was mit dieser Kyeema passiert ist, hat nur den schlafenden Giganten geweckt.“
 

Der Eisboden, auf dem die Tari Randora Zwei stand, knirschte in unregelmäßigen Abständen. Turo fürchtete jedes Mal, gleich würde der Eisklotz mitten in diesem Labyrinth auseinanderbrechen und ihr Schiff unter Brocken aus Eis begraben... aber es geschah nie so etwas, es knirschte nur. Das Knirschen nervte und störte seine Konzentration, und irgendwann fluchte er ungehalten über den Lärm, worauf Daku und Kanau an der Wand des Raumes zusammenfuhren.

„Himmel und Erde noch mal, wie soll ich so arbeiten?! Dieses Geräusch macht mich wahnsinnig! Können wir nicht einfach, verdammt noch mal, hier raus?!“

„Der Meister wird keine Gedanken an das weitere Vorgehen verschwenden, solange Kyeema in Lebensgefahr schwebt, du tust also gut daran, sie endlich zusammenzuflicken, Turo.“, erklärte Kanau gelassen und der Heiler fuhr herum und spuckte ihm vor die Füße.

„Schön, dass du das so einfach siehst, weißt du eigentlich, wie anstrengend das ist?! Das Mädchen ist vollkommen zerfetzt von Karanas Windzauber! Und sie hat viel zu viel Blut verloren, wo kriege ich jetzt Ersatz her? - Daku, hol einen Sklaven, Himmel noch mal.“

„Einen Sklaven? Wozu?“

„Als Blutspender natürlich, du Hurensohn, komm in die Hufe!“ Daku machte, dass er wegkam, während Turo provisorisch die gröbsten, gefährlichsten Wunden der kleinen Lianerin zu heilen begann. Sie wand sich auf der Pritsche, auf die sie sie gelegt hatten, und wimmerte. Die Verbände, mit denen der Heiler vorübergehend versucht hatte, die Blutungen zu stoppen, waren bereits nass und dunkel von Kyeemas Blut. Karanas Zerstörer hatte jedenfalls ganze Arbeit geleistet... da war ja Kanaus Arm noch harmlos gegen gewesen. „So ein Monster.“, murmelte der Heiler für sich und Kanau schnaubte.

„Wer, Karana? Er ist Geisterjäger, er ist der Sohn von Puran Lyra. Was erwartest du?“

„Ja, das... sieht man ihm in der Tat an. Mit einem Fingerschwenk ist er fähig, einen Menschen dermaßen in Stücke zu reißen... Kyeema muss wirklich widerspenstig sein, ich wette, jeder Normalsterbliche ohne besondere Ausdauer wäre daran krepiert.“

„Ist Kyeema denn etwas anderes als eine Normalsterbliche?“, fragte Kanau und seufzte, „Sie ist bloß eine Sklavin. Auch, wenn sie Manhas Kampfmaschine ist, sein verhätscheltes Küken, das ihn aufopfernd seinen Vater nennt. Sie mag besser trainiert sein im Beschwören als alle anderen Lianer zusammen, weil sie von klein auf geübt hat... aber das macht sie noch lange nicht unsterblich.“

„Das sagt ja auch keiner. Und dennoch... hieß es nicht, die Sieben wären... Kinder von Göttern? Sowas genetisches, meine ich? Wenn es stimmt, was Yamuru sagt, dann... ist Kyeema doch ein Teil von ihnen.“

„Das ist allein deswegen schon bescheuert, weil sie dann keine sieben, sondern acht wären, und davon sprach nie jemand. Nicht mal Yamuru, den du ja überaus zu schätzen gelernt zu haben scheinst.“ Turo seufzte. Diese Diskussion fing an, ihn zu nerven. Er kam zum Glück nicht dazu, weiter zu sprechen, denn Daku kam in Begleitung einer Lianersklavin zurück, die an den Händen gefesselt und wie ein Maultier an der Leine in den Raum geführt worden war.

„Grundgütiger, ihr habt das Kind zu Grunde gerichtet...“, jammerte sie beim Anblick von Kyeema, „I-ich habe immer gewusst, ihr würdet sie eines Tages zu Grunde richten! Das arme Ding, das dieser Bastard seinem eigenen Volk entfremdet und ihr Leben lang nur verhätschelt hat...“

„Halt's Maul, wir haben dich nicht geholt, damit du uns Predigten hältst!“, fuhr Kanau sie an und die Frau verstummte, als Turo sie brummend zu sich herüber zitierte.

„Wir brauchen Blut, weil Kyeema zu viel verloren hat.“, erklärte er der Sklavin kalt, „Lass mich nachsehen, ob dein Blut mit Kyeemas kompatibel ist, wenn nicht, sorge ich halt dafür. Klappe halten.“ Die Frau zischte nur kurz, als der Heiler ihre Hand nahm und mit seiner eigenen in einer geübten Bewegung darüber fuhr. Aus den Poren ihrer Haut drangen winzige Tröpfchen roten Blutes, die sich wie schwerelos unter Turos Hand zu einer kleinen Blase sammelten. Als nächstes hob er seine andere Hand und wischte auf ähnliche Weise etwas Blut von Kyeemas triefenden Verbänden, worauf sie sich durchbog und schrie. Als Heiler konnte man, sofern man talentiert und geübt genug war, mit dem menschlichen Körper quasi alles machen. Es war an sich praktisch, aber da er hier auf dem Schiff der einzige Heiler war, blieb sämtliche Drecksarbeit immer an ihm hängen.

Er kam nicht dazu, sich weiter zu ärgern, denn das, was mit Kyeemas Blut und dem der Sklavin passierte, als er sie zusammen mischte, war nicht ganz das, was er erwartet hatte. Es gab verschiedene Blutgruppen; vermischte man auf diese Weise zwei Blutsorten miteinander, ließ sich mit einem Zauber herausfinden, ob sie derselben Blutgruppe angehörten oder nicht. Aber das, was jetzt mit den beiden kleinen Blutbläschen geschah, war etwas heftiger als das Aufeinandertreffen von zwei verschiedenen Blutgruppen. Es war nichts, was Kanau, Daku oder die Sklavin sehen würden, aber er konnte, wenn er den Zauber anwendete. Verblüfft sah er auf Kyeema herab, die zuckte und wimmerte, dann wieder auf die kleine, schwerelose Blase Blut über seiner Hand, ehe er die Stirn runzelte.

„Was zum Geier.“, machte er, „Hat einer von euch die Verbände angefasst? Scheiße, noch mal...“

„Was?“, machte Kanau verständnislos und Turo sparte es sich, ihm das zu erklären. Stattdessen entnahm er der Hand der Sklavin und Kyeemas Arm an einer Stelle, die nicht verbunden war, erneut Blut, um sie abermals miteinander zu vermischen. Und das Ergebnis war dasselbe... dann bestand kein Zweifel, dass es Kyeemas Blut war, das er da hatte, und nicht irgendein anderes, das zufällig an den Verbänden geklebt hatte. Und es war irgendwie... verblüffend.

„Was ist denn?“, wunderte sich Daku und Turo blinzelte die Blutblase ein paar mal an, als würde sich das Ergebnis dadurch ändern. „Sind sie nicht kompatibel?“

„Nein, gar nicht.“, antwortete der Heiler blöd, „Aber das ist nicht das, was mich verblüfft. Viel mehr verwirrt mich, dass das gute Mädchen hier nur zur Hälfte Lianerin ist, wie es scheint.“

Er erntete perplexes Schweigen. Dann sprang Kanau auf.

„Was?!“, rief er entsetzt.

„Sie hat zur Hälfte schwarzmagische Gene.“, machte Turo achselzuckend und sah die Gesichter seiner verdatterten Kollegen einen Moment an. „Wusste ich auch noch nicht bisher...“

„Aber sie ist die Tochter einer Sklavin!“, machte Kanau, „Ich meine, wir alle kannten ihre Mutter, sie war eindeutig Lianerin!“

„Tja, und was sagt uns das? Dass der gute Mann, der dieses Mädchen gezeugt hat, offenbar kein Lianer war.“ Das auszusprechen war allerhand – aber der nächste Gedanke beunruhigte Turo irgendwie noch mehr, und er sah wiederum auf Kyeema, die von allem nichts mitbekommen würde. Dass sie zur Hälfte Schwarzmagier war, legte natürlich nicht sofort ihren leiblichen Vater fest... aber wessen Tochter konnte sie in ihrem Alter schon groß sein? „Wann ist Kyeema geboren worden?“

„Sie ist jetzt sechzehn geworden in diesem Neujahrsmond.“, sagte Daku unsicher, „Soweit ich weiß.“

„Eben.“, zuckte Turo die Achseln, „Von uns kann es ja wohl niemand gewesen sein. Das heißt theoretisch gibt es höchstens zwei Kandidaten, die als Vater in Frage kämen, und ob Manha seinen Busenfreund Henac Emo jemals an Kyeemas Mutter ran gelassen hat, ist fraglich, fürchte ich...“

„Um Himmels Willen, meinst du damit, Manha ist Kyeemas leiblicher Vater?!“, keuchte Daku und erbleichte, „Wie jetzt, weiß das irgendwer?!“

„Das würde dann bedeuten, dass auch-... nein, das ist doch absolut unmöglich.“ Kanau runzelte die Stirn. „Wie kann das angehen?“ Turo blieb ihm die Antwort schuldig und war zu verwirrt von seinen Gedanken, um sich weiter auf das Heilen zu konzentrieren. Es war verzwickt, aber es war durchaus möglich. Und es würde einiges erklären, was die Genetik der Götter anging... es würde erklären, warum es Sieben gab und keine Acht.

Du Hurensohn, Manha... da ziehst du Kyeema zu deiner Kampfmaschine heran, verhätschelst sie so lange, bis sie dich als Vater betrachtet, und dann bist du Bastard womöglich tatsächlich ihr Vater. Ich frage mich, ob du es gewusst hast... und was wohl geschehen wäre, hättest du ein anderes Baby zu deiner Killermaschine auserkoren damals.
 


 


 


 

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Öh.... keine ahnung mehr was hier vorkam, ist ewig her dass ich das geschrieben habe x__x Laut Titel ging es wohl um Kyeema.... öh...

Yamurus Macht

Es war finster. Nicht nur das All, oder dieser komische Eisnebel, in dem sie jetzt waren... alles war dunkel. Eneela konnte sie fühlen, wie sie sie einhüllte wie ein schwerer, schwarzer Mantel, und sie zu ersticken drohte... diese Finsternis. Sie war verwirrt... und sich nicht sicher, wie lange sie hier schon kauerte, irgendwo in der Dunkelheit irgendeines Korridors der Tari Randora, die sich langsamer und geschmeidiger bewegte. Sie hatte schon länger niemanden der anderen mehr gesehen... es war im Moment besser so, sie wollte allein sein. Und sich über das wundern, was sie da erlebt hatte. Es war einfach so surreal... irgendwie konnte sie es nicht begreifen.

„Denkst du noch an dieses Lianermädchen, Kyeema?“

Erschrocken fuhr sie zusammen; dabei hätte sie Simus vertraute Stimme nicht erschrecken dürfen, und sie bat ihn unterwürfig um Vergebung, den Blick von ihm abwendend, als er neben ihr aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schien. Der Blonde gab ihr einen sanften Klaps auf den Hinterkopf.

„Willst du dich als nächstes noch bei mir dafür entschuldigen, dass du atmest?“ Sie errötete und linste ihn wieder an.

„Soll ich?“, maulte sie und er grinste.

„Oh ja, ich brenne darauf. – Wehe.“ Simu war ein seltsamer Mann... immer, wenn sie mit ihm zusammen war, wurde sie daran erinnert, dass sie ihr ganzes Leben lang in der Gesellschaft von Monstern und Sklavenhändlern verbracht hatte, immerzu bei schlechten, bösartigen Menschen. Und dann gab es solche Leute wie Simu... wie auch die anderen dieser Gruppe... die so ganz anders waren. Und sie bedauerte so sehr, nicht bei solchen Leuten aufgewachsen zu sein... Simus Liebenswürdigkeit verwirrte sie immer noch und es fiel ihr immer noch schwer, sich so zu benehmen, wie er es wünschte. Obwohl sie es wollte, konnte sie diesen unterwürfigen Drang in sich, ihm zu Füßen zu liegen, einfach nicht unterdrücken. Dabei hatte sie Simu so gern und wollte ihn nicht vergraulen...

„Geht es dir gut, Eneela?“, hörte sie ihn dumpf fragen, „Du bist so bleich.“

„Das... bin ich von Natur aus.“, murmelte sie und er fing plötzlich an zu lachen. Verblüfft starrte sie ihn an, während er sich ungebeten neben sie setzte und immer noch gackerte.

„Hey, war das etwa gerade so etwas wie... verbale Schlagfertigkeit?! Ich bin beeindruckt... du machst Fortschritte.“ Tatsächlich – ihr fiel erst im Nachhinein auf, dass diese Antwort gerade nicht wirklich unterwürfig gewesen war. So gar nicht. Errötend senkte sie das Gesicht und Simu gluckste. „Ich weiß doch, dass du blass bist; aber du kommst mir irgendwie blasser vor als sonst. Diese andere Lianerin verwirrt dich...“ Die junge Frau zitterte und zog die Beine dichter an ihren schlanken Körper.

„I-ich... verstehe sie einfach nicht! Wie... wie kann sie denn für Scharan kämpfen? Sie wäre bereit gewesen, uns alle zu töten... u-und das für den Mann, der unser Volk versklavt hat! Wie kann man... denn so etwas nur tun?“

„Ich weiß es nicht.“, antwortete er ihr dumpf, „Es wird bestimmt einen Grund geben. Ich meine, ich... bin zur Hälfte Zuyyaner, aber gegen diesen Cousin von Thira zu kämpfen hätte ich keinerlei Skrupel...“

„Das ist etwas ganz anderes.“, versuchte sie es unsicher, „Du weißt ja erst seit kurzem, dass du Zuyyaner bist. Aber bei Kyeema ist unübersehbar, dass sie Lianerin ist, sie ist als Lianerin aufgewachsen... und muss von klein auf diese Beschwörungen geübt haben, wenn sie jetzt so gut ist. Wenn sie einfach nur begabt wäre und vielleicht durch irgendeine Manipulation von Scharan auf seiner Seite wäre, wäre es eine Sache... aber dieses Mädchen hat aus eigener Überzeugung für ihn gekämpft. Es war ihr Wille, sie stand nicht unter irgendwelchen Drogen oder wurde gezwungen, da bin ich sehr sicher.“ Sie erntete einen verblüfften Blick.

„Woher... weißt du das?“

„Ihr Barak.“ Eneela machte eine stockende Pause, in der Simu den Kopf in ihre Richtung drehte. „Hast du diesen Barak gesehen, den Drachen? Er... er war die Ausgeburt puren Übels... eine Ballung absoluter Bosheit gemischt mit... mit Zorn und... Hass. Vielleicht kann nur... ich als Lianerin es spüren, ich weiß nicht...“

„Doch, ich habe es auch gespürt. Karana hat es auch bemerkt, hat er gesagt... aber wenn Scharan sie unter Drogen gesetzt hat, damit sie so zornig und böse wird...?“

„Nein, das geht nicht!“, machte Eneela verzweifelt und raufte sich die fast weißen, dünnen Haare, „E-es ist Barak! Er... er ist eine Lian. Die Lians, die wir beschwören, sind Verkörperungen unserer... Seele. Und wenn du tief im Inneren voller Zorn und Hass bist, dann verkörpern deine Lians diese Wut. Darauf kann keine Droge Einfluss nehmen, die Lians kommen aus einer Tiefe des Geistes, die... die keine Droge und kein Mensch erreichen kann. Sie... diese Kyeema muss... tief im Inneren unheimlich zornig, verletzt und... vielleicht traurig sein, um so einen Barak zu erschaffen... und weißt du, was... was mich am meisten verwirrt...?“ Simu sah sie an und sie kauerte sich immer mehr in sich zusammen, als sie die Dunkelheit wieder spürte, die ihr die Kehle zu zerquetschen drohte. Ohne es selbst zu wollen, kamen ihr die Tränen.

„Eneela...?“, machte er bestürzt, rührte sie aber nicht an, wofür sie ihm dankbar war... sie wusste nicht, ob Berührungen jetzt gut wären. Sie könnten die Finsternis noch mächtiger machen...

„In meinem Inneren... ganz tief, irgendwo... spüre ich... d-dass dieser abgrundtiefe Zorn in Kyeema... vor allem mir gegolten hat. Nicht... Karana... oder unserer Gruppe, sondern... mir. I-ich weiß gar nicht, wieso es so... s-so wahnsinnig wehtut, dieser Gedanke, dass... sie mich hasst... e-es fühlt sich falsch an! Ich... habe sie angesehen und... habe einen Moment lang gedacht... ich will nicht von dir gehasst werden, Kyeema. Es geht... dabei nicht um das Hassen selbst, sondern um... sie und mich. Dass ich von irgendwem gehasst werde, ist mir egal... aber von ihr... tut es mir weh, und ich v-verstehe einfach nicht, wieso, ich... kenne sie doch gar nicht!“ Dann war es vorbei – ganz plötzlich war die Finsternis weg und ließ sie los, brachte ihr eine solche Erleichterung, dass sie nicht mehr an sich hielt und zu weinen begann. Dabei sank sie gegen Simu, der sie jetzt behutsam festhielt, nicht zuließ, dass sie sich wehtat. Plötzlich waren Berührungen gut... seine Nähe war gut, er war für sie da, das war er immer gewesen... aber jetzt, in diesem Moment, war sie ihm so dankbar wie noch nie zuvor... und sie war ihm schon oft sehr dankbar gewesen. Sie war so dankbar, dass er einfach immer da war... wenn der Schatten mal wieder nach ihr angelte.

„Ich hab... dich so lieb, Simu...“, wimmerte sie gegen seine Brust, während er sie festhielt und mit einer Hand ihre Haare streichelte, als wäre er die Mutter eines weinenden Kleinkindes. „Ich hab dich... so wahnsinnig lieb... bitte... vergiss das niemals.“ Sie spürte ihn quasi lächeln, obwohl sie das Gesicht gegen seine warme Brust presste und nicht sehen konnte, wie sein Gesicht aussah... aber bei Simu konnte sie den Ausdruck seines Gesichtes spüren, selbst dann, wenn sie ihn nicht ansah... das hatte sie schon öfter erlebt. Es war etwas, das sie nur bei ihm konnte...

„Das werde ich nicht, Eneela.“, versprach er ihr, „Ich habe dich auch sehr lieb. Vielleicht finden wir... heraus, was mit Kyeema passiert ist. Vielleicht können wir ihr helfen.“ Eneela hob das Gesicht und wischte sich zitternd mit einer Hand über die vom Weinen geröteten Augen.

Ihr helfen. Vielleicht konnten sie das... das war wahr. Keuchend rappelte die Lianerin sich auf und verdrängte die Tränen – sie wollte nicht mehr flennen wie ein dummes Kind. Sie wollte stark werden... um nicht mehr allen ein Klotz am Bein zu sein... vor allem Simu nicht, der ihr definitiv zu oft das Leben gerettet hatte. Sie wollte stark werden, um Kyeema zu helfen... wenn sie herausfand, was mit ihr passiert war, dass sie so voller Zorn war.

Simu schenkte ihr einen verblüfften Blick, als sie sich plötzlich erhob und tief Luft holte.

„Ich... werde üben.“, schwor sie dunkel und der Blonde zog eine Braue hoch. „Ich werde üben, so perfekt die Lians zu beschwören wie Kyeema. Ich werde üben, damit ich... mehrere Lians zugleich beherrschen kann. Damit ich Barak... die Bestie des Windes rufen kann. Dann... wird alles gut.“ Als sie einen Schritt zurücktrat, erhob der junge Mann sich ebenfalls, klopfte sich den imaginären Staub von der Hose und lächelte wieder.

„Dann übe.“, gebot er ihr mit einem Kopfnicken in die Richtung, aus der sie vor einer gefühlten Ewigkeit hierher gekommen waren. Sie mussten wohl recht dicht am Heck des Schiffes sein. „Wenn du willst, komme ich mit dir.“ Eneela lächelte... plötzlich waren die Tränen und der Schatten so weit weg.

„Das... würde mich wahnsinnig freuen.“
 

Manha tobte. Das tat er schon eine ganze Weile, seit Kyeema beinahe Hopps gegangen wäre. Yamuru beließ es dabei, ihn nur innerlich zu belächeln, denn es auch äußerlich zu tun hätte ihn jetzt vermutlich den Kopf gekostet. Nicht, dass er Angst vor Manha gehabt hätte... aber das hieß noch lange nicht, dass er die Herausforderung suchen musste. Er würde leben, das war das Einzige, was zählte. Er hatte nie versprochen, es auf eine ehrenhafte Weise zu tun.

„Ich zerreiße dich, Karana!“, grollte der Sklavenkönig vor ihm und fletschte vor Yamuru die spitzen Eckzähne, „Ich zerfetze dich und werfe deine Eingeweide meinen Sklaven zum Fraß vor! Und Kyeema, diese elende Versagerin, wozu habe ich sie großgezogen und ausgebildet?!“

„Sie ist Karana Lyra vermutlich einfach nicht gewachsen.“, meinte der Zuyyaner gelassen, jedoch mit angemessen gespielter Betroffenheit. „Immerhin ist er der Sohn des Herrn der Geister. Habt Ihr etwa erwartet, es würde leicht, mit ihm fertig zu werden, Meister?“

„Halt den Rand!“, brüllte der Schamane ihn wutentbrannt an und ballte die Fäuste im hin und her tigern so fest, dass die Knöchel hervortraten. Yamuru hing jetzt schon eine Weile mit diesem Spinner herum, aber so aufgebracht und wütend war er lange nicht mehr gewesen. „Halt den Rand, Yamuru...“, wiederholte Scharan sich wütend, „Karana wird fallen, dafür werde ich sorgen, und genauso werden es die anderen der Sieben! Und die Seherin! Die Seherin...“ Bei diesen Worten veränderte sich der Ausdruck in seinem Gesicht plötzlich auf eine seltsame Weise. Das bestialische Funkeln in seinen grünen Augen hatte etwas Surreales an sich, etwas unmenschliches, etwas, das nicht... sterblich wirkte. Yamuru wusste ja von Kelar Lyras Geist, der irgendwie in die Hülle dieses Mannes gekrochen war vor vielen Jahren, der jetzt darin wohnte und agierte. Und dennoch war es verblüffend, die Fassade von Ulan Manha so bröckeln zu sehen, jeden Tag mehr, und dahinter verbarg sich die wahre Natur dieses abscheulichen Monsters... dieser Bestie, die ihrer Zeit die ganze Halbinsel Dokahsan unterworfen hatte, die Himmel und Erde hatte zwingen wollen, ihr zu Füßen zu liegen, und letztendlich auf dem Gipfel ihrer berauschenden und tödlichen Macht zu Fall gebracht worden war.

Wie genau bist du damals gestorben, Kelar?, fragte Yamuru den Geist im Stillen, Es war nicht dein Sohn, gegen den du im Zweikampf verloren hast, denn die Geschichtsschreibung belegt, dass Tabari dich laufen ließ... dich nur ausstieß, aber nicht tötete. Was passierte danach... als du halb tot am Boden lagst? Als das Bauernkind kam, das zufällig dein eigener, unehelicher Enkelsohn war?

Manhas Worte unterbrachen seine Gedanken und der Zuyyaner merkte erst jetzt, dass er den anderen die ganze Zeit angestarrt hatte – und dass er zurück starrte, aus diesen dämonischen, unmenschlichen Augen, mit der Seele voller Groll und Hass, einer Seele von abgrundtiefer, finsterer Bosheit, die keine Grenzen kannte... und keine Maßregelung.

„Ich werde... dich zerquetschen... wie ein lästiges Insekt. Ich werde dich ausweiden, dir die Seele aus dem Leib reißen und... sie in Stücke schlagen... du verräterische Hure. Ich werde dich vernichten... und dieses Mal wird Zoras Chimalis dir nicht helfen können... Salihah.“
 

Karana hörte die Geister flüstern. Er verstand die Worte nicht, weil das Eis zu laut knirschte, auf dem sie angehalten hatten, um Pause zu machen. Sein Kopf schwirrte, als er sich keuchend aufsetzte, wobei die Wolldecke von seinem Oberkörper rutschte. Unruhig griff er nach seinem linken Unterarm, den Neisa neu verbunden hatte. Der Schmerz im Bannmal pochte dumpf und brachte ihn seit Tagen um den Schlaf... und ums Essen, eigentlich um alles. Selbst um seine reizende Frau...

„Was ist los? Schon wieder ein Traum?“

Er spürte Ianas Finger, die seinen nackten Rücken hinauf zu seinem Nacken fuhren. Sie waren kalt wie die Stimme, mit der sie sprach... aber Ianas Kälte war eine Kälte, die er mochte. Die er verstand... irgendwie. Thira war auch kalt, aber Thira war anders. Iana tat nur so, als wäre sie kalt... er kannte die durchaus alles andere als kalte Seite an ihr, wenn er einmal die Ruhe fand, ihr ein Ehemann zu sein und seine Sorgen um Scharan und das Bannmal zu vergessen.

„Ich... weiß nicht.“, murmelte er. „Ich habe ein schlechtes Gefühl. Irgendetwas wird passieren... etwas Schlimmes.“ Er spürte es mit jeder Faser seines Körpers und es kribbelte auf unangenehme Art und Weise, ließ seinen Magen sich krampfhaft zusammenziehen, sodass er kurz das Gefühl hatte, er müsste brechen. Ianas schlanke Arme umfassten seinen nackten Oberkörper, als sie sich aufsetzte sich sich von hinten gegen ihn schmiegte. Während ihre Finger kühl waren, waren ihre Lippen so warm und angenehm, als sie seinen Hals küsste.

„Schlaf.“, befahl sie ihm verdrossen. „Du wirst so nicht weit kommen, Karana. Du schläfst zu wenig... und isst zu wenig.“

„Ich mache mir Sorgen. Aber ich weiß nicht mal, worum genau.“

„Du bist wie dein Vater.“, seufzte seine Frau, was ihn verdutzte. „So gewissenhaft bei der Arbeit und irgendwie trotzdem leicht überfordert. Meinst du, die anderen auf Zuyya sind noch am leben?“

Diese Frage versetzte ihm einen so heftigen Stich, dass er sie abschüttelte und zu ihr herumfuhr.

„Wie bitte?!“, keuchte er erbleichend und Iana zischte.

„Sei kein Dummkopf. Das Leben da ist kein Zuckerschlecken. Und während wir hier seit knapp vierzig Tagen durch die Gegend fahren und irgendwie noch nicht mal annähernd bei der Trias sind, sind dort, so hat Thira gemeint, dreimal so viele Tage vergangen. Und es wird immer kälter und die Nahrung immer knapper. Und die Imperialisten sind auch da.“ Karana starrte sie an und allein der Gedanke, seinen Eltern, seinem Hund, seiner Tante oder all den anderen könnte etwas zugestoßen sein, machte ihn wahnsinnig vor Angst. Er sprang aus dem Bett und stürzte zum Fenster, um auf das knarrende Eis zu starren, das sie umgab. Der Schmerz in seinem Arm wurde schlimmer, aber die Gedanken an seine Familie waren zu heftig, als dass er das hätte beachten können. Iana erhob sich und kam zu ihm herüber. „Karana...“

„Nein!“, brüllte er sie an und sie fuhr zurück, als er sie anstarrte und seine Augen vor Panik geweitet waren. „Niemals, Iana! Sprich nie wieder davon! Wir werden... es rechtzeitig schaffen, wir müssen! Wir sind dafür geboren worden, es wird funktionieren, Iana! Sieh mich an!“ Er packte sie und stieß sie unsanft gegen die Wand, worauf sie sich wütend in seinem Griff wehrte und nach ihm schlug. Doch sein Griff war zu fest und er ließ nicht zu, dass sie sich losriss. „Sieh mich an! Ich erlaube nicht... dass ihnen etwas passiert! Hast du mich verstanden?!“ Ihr Blick wurde glasig.

„Du bist... Puran Lyras Sohn, Karana. Du kannst über... vieles bestimmen. Aber darüber nicht.“

Es war etwas in ihren Worten, das in ihm ein Gefühl weckte, das er schon öfter bei ihr gespürt hatte. Diese Verbindung, die zwischen ihnen bestand, das Geisterband... es war da. In solchen Momenten war es da, in denen er in Ianas bildschönes Gesicht sah und wusste, dass sie geboren worden waren, um einmal einander zu gehören. Sie war dafür geboren worden, seine Frau zu sein. Und er dafür, ihr Mann zu sein. Er wusste gar nicht, was es war, dass er glaubte, diese Worte, genau diese, schon einmal gehört zu haben... irgendwann.

Er küsste sie. Sie wehrte sich nicht, schlang stattdessen in zärtlicher Hingabe die Arme um seinen Nacken, als er sie aus seinem Griff entließ und sie stattdessen etwas mehr gegen die Wand drückte, den Kuss dabei vertiefend. Sie war seine Frau... und er liebte sie in diesem Moment so sehr wie schon lange nicht mehr... für einen Moment einmal nicht geblendet von den Schmerzen in seinem Unterarm oder den Sorgen in seinem Kopf.

„Vergib mir... meine Königin...“, seufzte er, als er sich von ihr löste, und dann küsste er sie erneut. Seine Hände glitten über ihren nackten Körper, über ihre Brüste, die er so liebte, ihren flachen Bauch und zwischen ihre Schenkel, während in seinen Lenden die Hitze erwachte, die er verblüffend lange nicht mehr gespürt hatte. Er hörte sie leise stöhnen, als er begann, ihren Hals zu küssen und an ihrem Schlüsselbein zu knabbern, und sie wand sich keuchend, als seine Finger sie stimulierten und die Hitze auf sie übergehen ließen, die er empfand. Und er spürte, wie sie sich leicht gegen ihn presste und die Hitze steigerte, ihn erregte mit den Geräuschen, die sie machte, mit den so flüchtigen, reizenden Bewegungen – Iana wusste sehr gut, was sie zu tun hatte, wenn sie ihn reizen wollte. Es war in dem Moment, in dem ihre Lippen sich in einem weiteren, verlangenden Kuss fanden, als das Schmerzmal auf seinem Arm plötzlich in Flammen aufging. Nicht wörtlich, aber der aasige, brutale Schmerz, der plötzlich in seinen Arm stach, war wie eine Explosion, und Karana schrie auf, ehe er zu Boden stürzte. Zusammen mit dem Schmerz ergoss sich der Himmel blutig über seinem Geist und er hörte das kehlige Lachen von Ulan Manha – nein, von seinem Urgroßvater.

„Lauf, Lyra, wenn du kannst... lauf weit weg und sei für immer ein dummes, feiges Kind! Du wirst fallen, Karana... weil du und ich eins sind und du nicht fähig bist, mich zu besiegen.“

Das sprachen die Schattengeister, und er sah die Knochenspirale in der Finsternis tanzen, während der Schmerz immer stärker und brutaler wurde, bis er in einem grauenhaften Höhepunkt gipfelte, der sich anfühlte, als würde Karanas Seele in Scherben zerspringen... das scheußliche Knirschen des Eises war das Letzte, was er mitbekam, bevor die Welt finster wurde.
 

„D-diese Leute, s-sie greifen uns an!“ Das war alles, was Iana hörte, bevor das Chaos plötzlich um sie herum ausbrach. Astas Stimme, die irgendwo auf den Korridoren herum schrie. Asta sollte unbedingt einen Job als Alarmglocke bekommen, dachte die Frau sich noch, ehe sie verärgert zischte und sich in Windeseile anzog. Draußen hörte sie ein ohrenbetäubendes Donnern, das das ganze Schiff erbeben ließ. Die Gegner schienen Nägel mit Köpfen machen zu wollen, zurückhalten taten sie sich jedenfalls nichts... und das, wo Karana dank seines verdammten Fluchmals zu nichts zu gebrauchen war. Es hatte sie etwas Mühe gekostet, ihn zurück auf das Bett zu hieven (er war zwar nicht schwer, weil er für einen Mann so unsagbar dürr war, aber ein schlapper Kartoffelsack von ohnmächtigem Kerl war irgendwie unhandlich zu tragen... wobei Iana damit ja inzwischen Erfahrung hatte), und jetzt kam sie nicht einmal dazu, Neisa zu holen, damit sie sich um ihn kümmerte. Als sie aus dem Zimmer stürzte, wurde sie beinahe von Eneela umgerannt, die sie wild entschlossen rüttelte.

„Diese Barbaren!“, rief das Lianermädchen aufgewühlter denn je, „Sie greifen an, ihr müsst kommen! Sonst jagen sie noch die ganze Tari Randora in die Luft!“ Iana starrte ihr nach, als sie schon davon eilte, während es draußen erneut krachte und das Schiff erbebte.

„Das wäre recht kontraproduktiv, wenn sie die Batterie und die Karte noch brauchen.“, murrte sie, folgte Eneela aber den Korridor herab. Vor dem Haupteingang trafen sie auf quasi alle anderen, bis auf Ryanne und Asta.

„Diese Hurensöhne, w-wie kommen die plötzlich aus dem Nichts hierher?!“, ereiferte sich Tayson gerade, „Die haben wohl neulich noch nicht genug bekommen!“

„Wo ist Karana?“, schnarrte Zoras Iana an und sie brummte.

„Scharans Fluchmal.“, sagte sie, „Vergesst Karana heute.“

„Na toll!“, jammerte Tayson. Thira zog ihre Kouriha, diese bestialische, bläuliche Klinge, die sie immer bei sich trug, und zeigte zur Tür.

„Raus!“, kommandierte sie – dazu hatte sie irgendwie als einzige, die sich mit diesem dummen Schiff auskannte, ein Recht, da waren sich alle einig, selbst Zoras - „Ryanne habe ich schon raus geschickt, die schützt uns mit Barrieren. Keine Gnade, sie werden euch auch keine zuteil werden lassen. Yamuru Mirrhtyi gehört mir, den Rest könnt ihr euch aufteilen.“ So sprach sie und verließ dann als erste selbst das Schiff. Ihren zuyyanischen Schwerkraftzauber wandte sie offenbar an, ohne dass es jemand sah, denn als Iana und die anderen ihr hinaus folgten, war es genau wie letztes Mal, als traten sie einfach nur an die frische Luft und nicht ins Vakuum.

„Sehr großzügig, General.“, machte Tayson angriffslustig und fuhr noch einmal herum, „Asta, bleib hier und pass auf Karana auf, oder so!“

„J-ja...“, stammelte das Mädchen irgendwo und Iana fragte sich, wieso sie eigentlich mitgekommen war. Asta hatte auf dieser Reise nicht viel zu tun. Sie konnte weder kämpfen noch das Schiff steuern noch sonst irgendetwas Nützliches. Und trotzdem war sie da und niemand beschwerte sich... Iana würde es auch nicht tun. Und vermutlich war es gar nicht so unsinnig, wenn jemand von ihnen jetzt ein Auge auf Karana hatte – wobei, verdammt, sie hatte vergessen ihn anzuziehen.

Oh mein Himmel!“, hörte sie da auch schon Asta drinnen quieken, verdrängte ihren Schrecken aber, denn das komische Mädchen aus Holia würde es zweifelsohne überleben, Karana nackt zu sehen. Viel fraglicher war dann ihr eigenes Überleben, als sie draußen auf dem Deck jäh von Scharans Schakalen attackiert wurden. Das Lianermädchen war nicht dabei, aber der Typ mit den Pflanzen war zurückgekehrt. Sie griffen von allen Seiten zugleich an, absolut erbarmungslos, und Iana fragte sich, wieso sie erst jetzt in den Berserker-Modus umgeschaltet hatten und nicht schon bei den letzten Versuchen. Irgendetwas war anders... irgendetwas musste Scharan wahnsinnig aufgeregt haben, dass er erstens wutentbrannt Karanas Fluch entfesselte in einer Heftigkeit, wie es sie bisher noch nie gegeben hatte, und zweitens seine Leute plötzlich so wild entschlossen auf sie ansetzte. Das war nicht nur sinnloses Herumspielen mit Magie, das waren gezielte Angriffe, die sie töten sollten.

Sie fuhr herum, als eine Wand aus Feuer auf sie zu schoss – inzwischen kannte sie Kanaus Feuermagie und wich mit einem geschickten Sprung zur Seite aus, ehe sie ihr Kurzschwert packte und sich frontal auf ihn stürzte, in einer Geschwindigkeit, die er wohl nicht berechnet hatte, denn sie pralle mit voller Kraft gegen ihn und stieß ihn zu Boden.

„Du schon wieder.“, bemerkte sie trocken und schlug mit Kadhúrem nach ihm, aber er bekam ihre Hand zu packen, griff so fest zu, dass sie schrie, ehe er ihr Handgelenk in Flammen aufgehen ließ. Keuchend ließ sie die Waffe fallen und Kanau stieß sie mit dem Ellenbogen außerhalb ihrer Reichweite.

„So einfach nicht, Iana Lynn.“

„Lyra.“, korrigierte sie und spuckte ihm ins Gesicht; den Moment der Verblüffung nutzte sie, um ihn mit der bloßen Faust zu schlagen und dann aufzuspringen. Er gab ihr jedoch keine Gelegenheit, an ihr Schwert zu kommen, und ihr verbranntes Handgelenk schmerzte wahnsinnig heftig, sodass sie herum fuhr, als eine zweite Feuerwand auf sie zu rollte und sie dieses Mal beinahe erwischt hätte. So ganz ohne Waffe war nicht viel nach, was sie tun konnte, und sie verfluchte sich, während sie eine Weile vor Kanaus Feuerbällen und Lavaströmen über das Deck des Schiffes floh. Irgendwo brannte ein Teil der Verkleidung der Tari Randora.

Verdammt! Wo sind diese komischen Wasserzauber, die ich immer mache, gerade jetzt?! Ich könnte einen von denen gebrauchen!

Sie streckte geistesabwesend schreiend die Arme aus, als Kanau abermals angriff:

„Alara!“ Aber es passierte nichts, was sie verärgerte. Verdammt, sie war zwar nur ein halber Schamane, aber sie hatte doch sonst schon viel mehr als eine popelige Alara zustande gebracht! Und Lians? Das hatte ihr Leben lang noch nie funktioniert, obwohl ein halber Lianer theoretisch trotzdem fähig sein sollte, die Bestien zu beschwören...

Scheiße.

„Du rennst weg?“, schnaubte Kanau, „Ich hätte dich für mutiger gehalten... Königin Iana.“ keuchend hielt sie inne und wusste, dass er hinter ihr stand, die Arme erhoben und bereit, sie zu töten.

Königin... sagte er. Die Worte aus seinem Mund machten sie zornig. Mit einem heftigen Japsen wirbelte sie herum, sodass ihre langen, schwarzen Haare durch die Luft peitschten, ehe sie die Arme drohend in seine Richtung streckte und das Kribbeln in ihrem Inneren spürte, das eine Macht heraufbeschwor, die sie noch nie benutzt hatte.

Königin?!“, zischte sie und Kanau verhärtete sein Gesicht ebenfalls, als er zwischen seinen erhobenen Händen einen Schwall flüssigen Feuers entstehen ließ. „Niemand... nennt mich Königin, außer meinem Ehemann, du Hurensohn.“

„Der wird es auch nicht mehr sagen können, wenn ich mit dir fertig bin.“ Und dann schleuderte er seinen Feuerball auf sie, eine Kugel aus glühender, wabernder Masse, die direkt auf sie zu schoss und sie zweifelsohne erwischt hätte... es war nicht das Wasser, das sonst immer kam, das sie beschützte. Dieses Mal war es ein Blitz.
 

Thira wusste nicht, worüber sie sich mehr ärgern sollte. Darüber, dass dieser Hurensohn einfach nicht tot zu kriegen war, egal, wie sehr sie sich bemühte, oder darüber, dass er dabei auch noch amüsiert grinste. Oder doch eher darüber, dass sie ihn einfach nicht verstand.

Yamuru amüsierte sich augenscheinlich über eine ganze Menge. Er wich ihren Hieben mit einer Leichtigkeit aus, als wäre er als perfekter Fechter geboren worden, mit einer beinahe maschinellen Perfektion, und nur ihre eigene, gute Ausbildung verschaffte ihr die Chance, nicht ihrerseits von ihm in Stücke gerissen zu werden. Aber so perfekt sein Kampfstil sein mochte, so unperfekt war alles andere an ihm. Er grinste... er zeigte so absolut offensichtlich Gefühle wie Amüsement oder Heiterkeit, Dinge, die auf Zuyya schlechthin als Schwächen galten. Wer seine Gefühle zeigte, war ein Versager, denn er wurde leichter durchschaut und dann aufgeknüpft. Jeder verdammte Soldat des Imperiums beherrschte seine Mimik besser als Yamuru. Aber irgendetwas war mit diesen alten Regeln verkehrt, dachte Thira sich erbost, natürlich ohne sich ihren Zorn anmerken zu lassen. Es hieß, Menschen, die Emotionen besaßen oder gar zeigten, wären leichter zu durchschauen, berechenbarer. Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es diesen Mann vor ihr gerade unberechenbarer machte... sie hatte keine Ahnung, was sie von ihm halten sollte. Was sie daraus schließen sollte, dass er die ganze Zeit grinste, als litt sein Mund unter einer Krankheit, die ihn sich immer so behindert nach oben ziehen ließ. Es hatte etwas Abartiges, aber es irritierte sie dermaßen, dass sie seinem verfluchten Grinsen die Schuld an ihrem Misserfolg gab.

Und was sich noch schlimmer anfühlte war der Gedanke, dass er aus einem ganz bestimmten Grund grinste... und sie kannte den Grund.

Neugierde... hatte er gesagt. Der Grund, weshalb sie ihn nicht längst getötet hatte. Sie ärgerte sich darüber, dass sie neulich, als sie ihn gestellt hatte, die Schwäche gezeigt hatte, ihn merken zu lassen, dass er etwas hatte, was sie wollte. Die Information über die Trias... irgendetwas gab es, das er wusste. Auch, wenn es nicht angehen konnte... Chenoa wusste alles über die Trias. Warum hätte es etwas geben sollen, was sie nicht wusste, aber dafür dieser erbärmliche Armleuchter von ihrem Cousin? Oder aber Chenoa musste Yamuru deutlich unterschätzt haben... so, wie sie von ihm gesprochen hatte auf Zuyya (was selten gewesen war), hätte Thira zum Beispiel nicht angenommen, dass er so tadellos umgehen konnte mit seinem Familienschwert, der Sanhari.

„Dreckskerl.“, zischte sie monoton und schlug die Klinge ihrer Kouriha gegen die seiner Sanhari, was ein unschönes Klirren erzeugte, wie wenn zwei harte Eiskristalle aufeinander stießen.

„Du verschwendest deine Zeit, Cousine.“, gluckste Yamuru und beugte sich über die sich kreuzenden Klingen nach vorne in ihre Richtung. Er hatte ein so aalglattes, bildschönes Gesicht, allein dieses beknackte Grinsen darin machte irgendwie alles kaputt. Irgendwie regte sie sein Anblick auf. Wie konnte dieser Scheißkerl so perfekt aussehen und dann so ein Hurensohn sein? Perfekt rasiert, der Typ, nicht mal Karana war so haarlos wie Yamuru, und auch nicht so talentiert im Rasieren, dass nie ein Kratzer übrig blieb.

„Jeder Moment, den ich damit zubringe, dich zu töten, ist nicht verschwendet, Verräter.“, sagte Thira zu ihrem Cousin und stieß ihn von sich, um sich seine Visage nicht mehr aus der Nähe ansehen zu müssen. „Du... bist eine Lästerung Kataris mit deiner bloßen, abscheulichen Existenz.“

„Jetzt gehst du aber unter die Gürtellinie.“, tadelte er sie mit einer Gelassenheit, die sein Grinsen irgendwie zunichte machte, „Das war nicht nett, Thira. Wieso fragst du mich nicht einfach?“

„Wie bitte?“

„Na, nach dem Grund... nach dem Zweck der Trias, den Chenoa dir wohlweislich verschwiegen hat, weil du so ein Gutmensch bist. Oder es zu sein glaubst...“

„Halt die Klappe.“ Sie schlug nach ihm und er wich aus, aber jetzt erwischte sie sein perfekt rasiertes Kinn und war stolz auf den blutigen Schnitt, den sie ihm verpasste. Zeit zum Triumphieren bekam sie nicht, denn der junge Mann riss seinen bewaffneten Arm in die Höhe und es gab plötzlich ein lautes, durchdringendes Knarren und Ächzen von allen Seiten. Thira erstarrte, als ihr bewusst wurde, dass es das Eis war, das um sie herum war. Einer der riesigen Kristalle bretterte jetzt aus der Luft direkt auf sie zu, fehlerfrei von Yamuru und der Sanhari gesteuert, als würde die Eiswaffe ihr Element magisch manipulieren wie eine Marionette. Keuchend hechtete Thira zur Seite und warf sich auf das Deck, als der riesige Eisklotz über sie hinweg rauschte und gegen die Kante des Brockens schmetterte, auf dem sie Tari Randora stand. Massen von großen und kleinen Scherben des Eiskristalls stoben durch die Luft, die meisten messerscharf und fähig, einem Menschen den Kopf abzutrennen, wenn sie gut gezielt flogen. Japsend rollte Thira sich zur Seite und entkam gerade noch einem Hagel aus Eissplittern in der Größe von Walknochen, die in das Deck der Tari Randora schlugen und dort stecken blieben wie riesige Nägel aus Eis. Widernatürlich, dachte sie sich fassungslos, dass dieses Eis der eigentlich im All herrschenden Schwerelosigkeit so trotzte und sich benahm, als wäre es auf der Zuyya.

„Was denn, du versuchst nicht mal, dich zu wehren?“, fragte ihr Cousin irgendwo vor ihr, „Eis ist doch auch dein Element, oder nicht?“

Dreck, war alles, was sie dachte, als sie verstand, was dieser Affenarsch da tat. Ja, er war auch Eismagier, wie alle Mitglieder seines Clans genetisch bedingt, genau wie der Jamali-Clan. Aber Yamuru war nicht einfach nur ein Eismagier, der gut mit seiner Waffe umgehen konnte, er war ein Meister seines Elements. Ein Mann, der die Magie, die durch seine Adern floss, mit Leib und Seele, Haut und Haar komplett beherrschte. Jeder Brocken Eis, der sich hier befand, würde ihm gehorchen. Jeder noch so kleine Eiskristall würde danach lechzen, ihm zu dienen, ihm als perfekten Großmeister dieses Elements... und das war etwas, in dem Thira ihn nicht schlagen konnte. Diese Macht besaß sie nicht... dazu hatte sie noch nicht lange genug mit der Kouriha geübt, falls dasselbe, extreme Talent für die physische Magie überhaupt in ihren Genen lag. Nicht jeder begabte Magier war gleich ein Meister und längst nicht jeder konnte diesen Status mit bloßem Training erreichen. Das galt sowohl für die Schamanen als auch für Zuyyaner... auch bei den Schamanen gab es Großmeister. So, wie Puran Lyras Vater Windmeister gewesen war, würden aber weder Puran noch Karana jemals diese Stufe erreichen. Nicht alles lag in den Genen... manches war Kataris Wille.

Oder Wille der Götter... wie Ryanne sagen würde.

Und die Sieben waren die Sieben wegen dieses Willens.

Mit einem Zischen fuhr die Jüngere herum und blockte die nächsten Eiszapfen, die Yamuru nach ihr schleuderte, mit ihrer Kouriha und aller Willenskraft ab, die sie besaß – im Moment fiel es ihr schwer, richtig zu kämpfen, weil sie sich zeitgleich noch auf den Schwerkraftzauber konzentrieren musste, dessen Verschwinden ihre Kameraden augenblicklich töten würde. Aber verdammt, sie würde diesen Verräter vernichten, und wenn es das Letzte war, das sie tat.

„Du... wirst sterben!“, grollte sie in Yamurus Richtung, als sie sich keuchend auf die Beine rappelte, „Das habe ich geschworen in Kataris Angesicht. Und ich bin nicht geneigt, ihn zu enttäuschen... Yamuru Mirrhtyi.“
 

Ironie des Schicksals, dachte Iana sich, oder eine Veräppelung der Geister, dass sie jetzt plötzlich, wo sie vorhin noch genau darüber sinniert hatte, eine Lian beschwor. Sie strauchelte und stürzte zu Boden, als ihren Händen dieser gleißende, gewaltige Blitz entsprang, der sich vor ihren Augen materialisierte und die Gestalt einer riesigen Schlange annahm. Sie kannte die Lian des Blitzes... Shada, die Blitzschlange. Mit einem Keuchen starrte die junge Frau hinauf und sah zu, wie der Blitz, den sie gerade gerufen hatte, Kanaus Lavazauber zerfetzte und vaporisierte. Der Angreifer fuhr zurück und schützte sich vor den herumfliegenden Fetzen aus Magie, die wie Splitter aus Glas durch die Luft stoben, indem er weitere Feuerzauber um sich warf und damit alle Flugobjekte noch in der Luft zu Asche verarbeitete.

„Verdammte Hure!“, fuhr er auf, „Jetzt fängst du an mit Lians?! Reichlich spät, meine Teure!“

„Besser spät als nie.“, machte Iana und rappelte sich heftig japsend auf die zitternden Beine, ehe sie eine ausschweifende Armbewegung nach vorne machte: „Shada! Bring ihn um.“

Und die Schlange aus purer Blitzmagie gehorchte. Oder versuchte es, denn Kanau war kein Dummkopf und wusste sich zu helfen. Irgendwo um sich herum hörte Iana die anderen; irgendwo zischten Zauber, irgendwo brüllte Zoras wutentbrannt irgendwelche wüsten Beschimpfungen, wie immer lauter als nötig. Das Knirschen des Eises, auf dem sie immer noch das Schiff parkten, war so allgegenwärtig, dass Iana es kaum noch hörte... zumindest nicht bis zu diesem einen Moment, der alles veränderte.

Dieser eine Moment, der tief in ihrem Inneren bereits Alarm auslöste, bevor er kam, aber die Frau war nicht bewandert genug mit Instinkten, die sie warnten, um es schnell genug zu begreifen. Und in dem Moment, in dem der Boden unter ihnen zu beben begann, hörte sie die Geisterstimmen flüstern auf eine Weise, wie sie es noch nie zuvor getan hatten.

„Lauf um dein Leben, Akada.“

„W-was...?!“, keuchte sie, und augenblicklich verschwand Shada im Nichts; dann ertönte ein so lautes Krachen unter ihnen, dass der bloße Knall die ganze Tari Randora erschütterte und die meisten Kämpfer beider Seiten von den Beinen warf.

„D-der Eisbrocken!“, schrie Simu irgendwo, „E-er bricht auseinander! Thira!“ Iana fuhr herum und beachtete Kanau nicht mehr, um zu Thira zu sehen, die noch aufrecht stand, die Kouriha fest umklammert, und ihrem Vetter, der Scharans Truppe diente, einen derartig kaltblütigen Mörderblick schenkend, dass Iana spontan glaubte, Yamuru würde gleich nur wegen des Blickes schon tot umfallen.

„Du wirst sterben... du verräterische Missgeburt. Soll sich dein Vater vor Scham im Grabe umdrehen über die Schande... die du deiner Familie machst mit deiner Verblendung, Yamuru Mirrhtyi!“ So viel Zeit zum Fluchen schien ihr zu bleiben, denn das gesagt sprang sie zurück und war schneller in der Tari Randora verschwunden als Iana gucken konnte.

„Lang lebe der König.“, grinste Yamuru völlig zusammenhanglos, und es war der kurze, schrille Schrei einer Frau hinter ihr, der sie herum fahren und erbleichen ließ. Während um sie herum die Welt aus Eis in Stücke zerbrach, die gigantischen Eisbrocken wie von einem Fingerschnippen eines Gottes einfach dazu verdonnert, auseinander zu fallen, sammelten sich Scharans Schakale wieder auf einem Haufen. Und der kleine Heilerjunge hatte Karanas Schwester.

„Neisa!“, schrie Zoras schon, bevor auch nur irgendjemand etwas zu sagen vermochte, und seine Stimme war so voller Zorn und Wahnsinn, so voller Finsternis und Hass, dass sie selbst das ohrenbetäubende Dröhnen der zerberstenden Eisbrocken übertönte. Iana sprang auf die Füße und schauderte unwillkürlich bei Zoras Derrans bloßem Anblick – dieser Kerl war von allen Männern der kleinste, den sie je gesehen hatte, aber nie hatte er eine so furchteinflößende, berauschende Macht ausgestrahlt mit seiner bloßen Existenz wie in diesem Moment... niemals, außer an dem Tag der Geisterjägerprüfung.

„Sieh... Zoras Chimalis' Einfluss auf den Schatten des Todes ist groß. Und genauso groß der Einfluss des Schattens auf ihn... den König der Schattenvögel.“

Iana konnte den Geistern nicht zuhören.

„Einen Schritt näher, Chimalis... und ich reiße deine Hure in Stücke.“, schwor Kanau düster, der der offenbar bewusstlosen Neisa über Turos Schulter einen Dolch gegen die Kehle presste. „Gib mir die scheißverdammte Karte.“

„Du wagst es... sie auch nur anzurühren... du Schandfleck der Welt, du elender Hurensohn?!“, keuchte Zoras und bebte offenbar vor so abgrundtiefem Hass, dass selbst Iana erschauderte bei seinem bloßen Anblick; Eneela taumelte rückwärts. Dann barst das Eis unter dem Schiff mit einem lauten Krachen und sorgte dafür, dass sich alle weiteren Worte erübrigten. Den Gegnern blieb bei dem abstürzenden, mit all den Eisbrocken fallenden Schiff nichts anderes übrig, als sich geschlossen samt Neisa davon zu teleportieren, und die Kameraden purzelten schreiend über das Deck, als die Tari Randora durch den Sturz mächtig Schräglage bekam und ihr Gleichgewicht nur wenige Augenblicke bevor sie sich überschlagen hätte wiederfand. Thira musste den Motor gestartet haben; obwohl Zoras immer noch wutentbrannt zeterte und sich gar nicht mehr einkriegte, den Feinden wutentbrannte, übelste Verwünschungen nach brüllte, obwohl die längst weg auf ihrem eigenen Schiff waren, schafften Tayson, Simu und Yarek es gemeinsam, den vor Zorn tobenden Zwerg zurück in die Tari Randora zu bugsieren. Eneela und Iana folgten ihnen und Ryanne schlug die Tür hinter ihnen zu, als alle drinnen waren. Durch das Fenster in der Haupttür sah Iana das Schiff von Scharan, die Tari Randora Zwei, über ihnen hinweg sausen, und zusammen mit Neisa als Gefangener entschwanden sie in der Finsternis... während der Eiskomplex über der echten Tari Randora zusammenbrach.

„Verdammte Dreckscheiße, d-das Zeug wird uns begraben!“, schrie Tayson hysterisch, als es über ihnen schon laut krachte, weil irgendwelche Eisklötze auf das Deck knallten. „Thira, fahr doch!“

Sie stolperten durch die polternde und haarsträubende Kurven fahrende Tari Randora zu Thira in den Steuerraum.

„Dieser Hurensohn, dieser des Lebens unwürdige, Katari lästernde Imperialisten-Scheißhaufen!“, fluchte Thira und meinte offenbar ihren Cousin. Was eigentlich zwischen denen passiert war, begriff Iana gerade nicht, aber dass Thira so außergewöhnlich wütend fluchte, dann noch so absolut unkultiviert, war sehr ungewöhnlich... Yamuru musste ja irgendetwas echt Schlimmes getan haben.

„Oh ja, dieser Hundsarsch, die haben meine Frau! Wir werden umkehren und sie holen, oder ich reiße euch alle in Stücke!“, bellte Zoras durch den Steuerraum.

„Halt die Klappe, alleine rettest du Neisa garantiert nicht!“, schnauzte selbst Simu Zoras an und Iana keuchte.

„Habt ihr es jetzt mal mit dem Fluchen, das hilft uns nicht weiter!“ Im nächsten Moment schrien sie geschlossen auf, weil ein Stück Eis mit Wucht auf die Frontscheibe knallte – die zum Glück heil blieb, scheinbar waren zuyyanische Schiffe nicht nur endlos mit Energie versehen, sondern auch unzerstörbar. Thira kurvte fluchend durch den tödlichen Hagel aus zerbrechenden Eisbrocken; als sie endlich den Komplex hinter sich hatten und in weitere Gefilde des Eisnebels von Thal-Duhn kamen, in denen die Brocken nicht ganz so dicht aufeinander saßen, waren sie alle mit den Nerven quasi am Ende. Nur Thira war jetzt wieder die Ruhe selbst, als hätte es ihren Ausfall von eben gar nicht gegeben.

„Yamuru ist ein Großmeister des Elementes Eis.“, erklärte sie dann monoton wie eh und je, während die anderen noch immer heftig atmeten und sich verkrampft aneinander oder an den Wänden der Brücke festhielten. „Das heißt, er kann alles, was aus Eis ist komplett manipulieren, wie es ihm passt. Er muss nur bloße Willenskraft aufwenden, um diesen riesigen Eisbrocken bersten zu lassen, auf dem wir standen... schlauer Bursche, den Fehler mache ich jedenfalls nicht noch mal.“

„Sollte im All nicht eigentlich... keine Schwerkraft herrschen?“, wunderte sich Yarek monoton. „Der Grund, aus dem wir immer diesen Zauber auf uns anwenden müssen, um nicht zu fliegen? Wie kann das Eis sich so benehmen?“ Iana verstand nicht viel davon – eigentlich gar nichts. Yarek schien aber keine blöde Frage gestellt zu haben, Thira nickte zumindest ernst.

„An sich schon, ja. Wie gesagt – Großmeister des Eises. Yamuru kann damit alles machen, was er will. Vermutlich kann der dem Eis auch befehlen, der Schwerelosigkeit zu trotzen.“ Gut... das klang irgendwie unerfreulich. Nicht wie etwas, das einer können sollte, der gegen sie arbeitete. Thira fuhr fort. „Was ist mit Neisa, wie haben sie sie in die Finger gekriegt?“

„Keine Ahnung, sie waren zu schnell.“, machte Yarek, „Ich hörte sie schreien und da hatten sie sie. Der Heilerkerl hat sie bewusstlos geschlagen mit irgendetwas.“

„Flink wie eine kleine Ratte.“, gackerte die Seherin und erntete wütende Blicke von den meisten, vor allem von Zoras, „Ich werde ihn töten, und dann esse ich ihn auf. Und ich bekomme sein Gehirn, er hat Verstand.“

„Kannst du deinen Wahnsinn wo anders ausleben, wo es niemanden stört?“, stöhnte Simu, „Verdammt, Karana liegt halb am Verrecken wegen seines Mals flach und Neisa ist weg, was machen wir jetzt?“

„Manha wird Karanas Mal nicht ewig schmerzen lassen können.“, orakelte Ryanne fröhlich, „Er muss auch schlafen. – Ob ich Turo Ankti braten sollte, bevor ich ihn esse? Andererseits ist das echt barbarisch, Menschen essen ist wie Fisch. Es ist widerlich. Aber er hat einen Penis.“

„Ich will nichts über verdammte Penisse hören, Ryanne!“, schnappte Yarek und stieß sie zur Seite, „Bleibt beim Punkt!“ Der Söldner fuhr sich durch die Haare und wandte sich dann etwas ruhiger an Thira. „Solange sie die Karte nicht haben, sind sie von unserem weiteren Vorgehen abhängig, weil sie den Weg zur Trias nicht wissen. Wir werden die bald wieder treffen, bis dahin müssen wir überlegen, was wir mit Neisa machen.“ Die Zuyyanerin schwieg einen Moment, in dem die anderen einfach nur atmeten. Iana wartete eine gefühlte Ewigkeit darauf, dass etwas passierte... dass irgendjemand sprach. Aber sie schwiegen alle und lauschten ihrem eigenen Herzschlag, genau wie sie.

„Dann haben wir keine Wahl, als bei ihnen einzubrechen.“, murmelte Thira dumpf, „So, wie sie es einmal hier versucht haben.“

„Werden die das nicht ahnen und sich wappnen?“, fragte Simu, „Und dein Cousin, der sieht doch alles mit seiner Reikyu.“

„Um Yamuru kümmere... ich mich allein.“, seufzte die Zuyyanerin dumpf und lenkte das Schiff galant um einen schwebenden, riesigen Eisbrocken herum. „Es gibt da noch etwas, Simu, bei dem... ich genau deswegen deine Hilfe gebrauchen könnte.“ Iana sah den Blonden an, der unruhig wirkte und sein Tsukibo, diese merkwürdige Waffe, die er hatte, auf den Boden stellte.

„Und was wäre das?“

„Du musst zuyyanische Magie anwenden.“, sagte Thira, ohne ihn anzusehen. „Dein Vater war ein begnadeter Magier. Ich gehe davon aus, dass du das kannst. Allerdings nicht mit Wasser, wie du es bisher mit dem Tsukibo getan hast... ich brauche Feuer von dir.“
 


 

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nfvdhfjejgbd.... ich lebe òo

Die Götter von Khad-Arza

Als Neisa zu sich kam, war es um sie herum dunkel. Sie wusste nicht mal, ob sie wirklich zu sich kam oder es sich bloß einbildete... sie hatte das Gefühl, durch endlose Finsternis zu stürzen, tiefer und tiefer, und sie erwartete immerzu den Moment, in dem sie aufschlagen und zerschellen würde am Abgrund irgendeiner wahnsinnig tiefen Schlucht aus Bosheit... aber der Moment kam nie. Sie stürzte und in ihrem Kopf begann es so heftig zu schmerzen, dass sie keuchte. Aus dem Schatten hörte sie eine Stimme, die zu ihr drang. Eine Stimme, die sie kannte... auf so entfernte Weise so unglaublich vertraut. Gefährlich vertraut, sie klang wie der verlockende Ruf eines Dämons aus dem Schatten, der sie aufforderte, für immer zu bleiben... in der ewigen Dunkelheit.

„Nein... fass mich nicht an.“

Hatte sie das gesagt? Oder irgendjemand anderes? Sie wusste es nicht, und die Kopfschmerzen steigerten sich auf eine bestialische Weise so sehr, dass sie glaubte, sie würde daran verrecken. Die Stimme kicherte in ihrem Unterbewusstsein und sie fragte sich, woher sie sie kannte... warum sie so vertraut und gefährlich zugleich schien, wie eine Person, die sie eigentlich fürchtete und dennoch auf eine verbotene, animalische Weise begehrte.

„Komm, trink. Ich weiß, dass du es willst. Du hast es immer gewollt... du hast mich damit verdammt noch mal umgebracht. Jetzt trink, du Hure, und ich werde dir die Süße deines eigenen Todes vor Augen führen auf eine Weise, die ich schon seit Jahrzehnten ersehne!“

Sie wandte japsend den Kopf zur Seite und in ihrem Inneren wuchs eine Todesangst, die sie schreien ließ. Hände griffen nach ihr, packten sie auf brutale Art – auf eine Art, die ihr tief im Inneren vertraut vorkam, so, als hätte sie sie schon sehr, sehr lange nicht mehr gespürt... der Schatten. Sie konnte ihn spüren, mit aller Macht konnte sie den Schatten spüren, er versuchte, sich ihres Geistes zu bemächtigen und sie wehrte sich mit aller Macht, die sie hatte.

„Wage es nicht, ich warne dich. Du kannst das Band nicht vernichten... du willst es gar nicht.“

„Trink, meine Teuerste. Dann verschwinden die Kopfschmerzen... nicht wahr? Laudanum, dein Heilmittel für alles... abgesehen von Wahnsinn vielleicht.“

Sie spürte, wie ihr irgendetwas gegen die Lippen gepresst wurde, vermutlich eine Schale oder ein Becher. Sie spürte Flüssigkeit, die in ihren Mund rann, und sie wehrte sie und wand sich; aber obwohl ihr Geist nicht trinken wollte, unterwarf sich ihr Körper schon beim ersten Schluck der brennenden Flüssigkeit in ihrer Kehle. Sie schmeckte so süß, betörend süß, und sie machte sie so euphorisch, dass sie unter den Händen der Schatten erschlaffte, um sich dem Feuer ihrer Kehle hinzugeben, der tödlichen, brennenden Süße, in der sie zweifelsohne ertrinken würde...
 

„Und du wirst kriechen, Seherin, du wirst mir zu Füßen kriechen und mich anflehen, es zu tun... Salihah Ekala.“
 

„Fass mich nicht an... Kelar!“

Und Neisa schlug die Augen auf, benommen von Schwindel, und erkannte über sich den Schatten des Kelar Lyra. Es war das erste Mal, dass sie ihn so sah, und sie wusste, dass er es war. Der Tyrann, der Mann, der Dokahsan unterworfen hatte, der Großvater ihres Vaters, der König von Lyrien. Und in ihrem Körper schnürte die Panik ihre Organe zusammen, verschaffte ihr eine grauenhafte Übelkeit, die sie würgen ließ, während sie in nahezu ekstatischer Furcht schwebte und die verschiedenen Augen so sehr weitete, dass sie glaubte, die Augäpfel würden ihr aus dem Kopf fallen, wenn sie sich jetzt vorbeugte. Sie lag auf dem Rücken auf irgendetwas Hartem, das sachte vibrierte; kurz wurde ihr wieder schwarz vor Augen, als der Schwindel in ihrem Kopf heftiger wurde. Sie hörte seine Stimme... die Stimme des Dämons, der Bestie, Kelars Stimme, aber sie klang weit entfernt, als wäre Neisa in Watte eingepackt, in eine dicke, wollene Schicht aus Rausch, die es ihr unmöglich machte, klar zu denken. Sie spürte nur Furcht und wie alle ihre Instinkte Alarm schlugen... obwohl die Kopfschmerzen verschwunden waren, fühlte sich ihr Schädel an, als wäre darauf ein Haus explodiert. Keuchend kniff sie die Augen wieder zusammen und wand sich – oder glaubte, es zu tun, sie wusste nicht mehr, ob sie wach war oder träumte. Sie wusste nicht einmal mehr, wer sie war... was sie war.

„Du hast ihre Augen... zumindest zur Hälfte. Die Augen, mit denen du, Salihah... Macht ergreifst über die Enkelin von Tabari, was? Komm, Salihah, wenn du nicht willst, dass ich Purans Tochter schände, komm und ich werde dich in Stücke reißen!“ So grollte der Schatten und Neisa schrie, als Hände nach ihr fassten, durch ihre Haare fuhren, ihren Hals hinab, zu ihren Brüsten. Sie packten fest zu und Neisa spürte den Schmerz durch die Watte hindurch, die ihren Geist benebelte. „Schrei nur, Hure, kein Mensch wird dir helfen, Salihah. Ich werde dich kriegen und du... wirst kriechen, nachdem ich mit dir fertig bin!“ Es war in dem Moment der größten Panik, dass Neisa spürte, wie ihr Geist sich wehrte. Sie nahm in all ihrer Finsternis war, wie die Geister in ihrem Inneren wisperten. Wie sie sie umklammerten, an ihr zerrten, sie wegzogen vom Schatten... und sie riss sich mit einem wilden Aufschrei aus dem Griff der Finsternis los, fuhr hoch und schlug ihrem Urgroßvater ins Gesicht, der sich über sie beugte.

„Fass mich nicht an, Schatten!“, keuchte sie mit vor Bosheit bebender Stimme, „Wage es, Kelar Lyra, und du wirst bezahlen für das, was du tust... mit weit Schlimmerem als dem Tod!“

Und dann klärte sich der Nebel in ihrem Kopf und sie erkannte, dass sie auf einer der Pritschen in der Tari Randora lag, diese blechernen Dinger, auf denen sie immer schliefen. Und vor ihr stand nicht ihr Urgroßvater Kelar, sondern dessen wahnsinnige Wiedergeburt, Ulan Manha. Der Mann grinste sie auf eine grauenerregende Weise an, während seine aufgeplatzte Lippe blutete, die sie offenbar gerade geschlagen hatte.

„Du bist wach... na endlich. Nachdem du mir in Ahrgul durch die Lappen gegangen bist dank Meoran Chimalis' bestechend schöner Tochter... wird es Zeit, dass wir das versäumte Treffen nachholen, nicht wahr... Neisa?“
 

Sie erinnerte sich wieder, wo sie war. Das hier war nicht die Tari Randora, es war die Tari Randora Zwei; Scharans Schiff, die nachgebaute Tari Randora, in die sie verschleppt worden war. Sie erinnerte sich an Turo, der sie bewusstlos geschlagen hatte... danach war es finster gewesen. Sie erinnerte sich an den Traum von eben, an die Schreckensvision ihres Urgroßvaters, an das flammende Brennen in ihrer Kehle, an die Hände, die sie berührt hatten –

Wie lange genau war Scharan schon hier? Sie widerstand dem Verlangen, entsetzt nach ihrem Busen zu fassen und sich dabei zu fragen, ob er sie angefummelt hatte; was immer er wollte, er würde nichts von ihr kriegen. Genau genommen sah sie Ulan Manha zum ersten Mal richtig... Scharan, den Sklavenkönig, der den Geist des Tyrannen Kelar in sich trug, dessen Enkel er war. Der Sohn einer unehelichen Tochter des Dämons... und die junge Frau fuhr zusammen und keuchte, als sie ihn anstarrte und er grinste, dabei die eigentümlichen Eckzähne bleckend, die Karana auch hatte.

Die Fänge des Dämons.

Ulan Manha war ein schöner Mann. Er musste einige Jahre älter sein als Neisas Vater, aber genau wie der hatte sich auch dieser Spross des Lyra-Stammes für sein Alter extrem gut gehalten.

„Alle gebürtigen Lyras sind hübsch.“, hatte ihre Mutter ihr einmal erzählt, „Du bist ein so bildschönes Kind, Neisa, genau wie dein Bruder. Und dein Vater ist ein bildschöner Mann, und sein Vater war es ebenso. Seine Cousine ist auch bildschön... die ganze Familie besteht nur aus schönen Menschen, als wollten die Geister alle anderen mit ihrer Schönheit blenden lassen, um die grauenhafte Macht zu verbergen, die ihr alle inne habt... ihr Lyras.“

Und das traf auf diesen Kerl, der vor ihr stand, definitiv auch zu. Sie erkannte genau die unglaubliche Ähnlichkeit zwischen Manha und ihrem Vater; ihre Gesichtszüge waren derart ähnlich, dass es sie erschreckte, sie hatten dieselbe, grünen Augen, Augen von stechendem Scharfsinn, die doch mit einem einzigen Blick so bestialische Macht ausstrahlen konnten, dass ein bloßer Blick reichen musste, um andere in die Knie zu zwingen; nicht, dass Puran Lyra von einem solchen Blick oft Gebrauch gemacht hätte, aber Neisa wusste genau, zu was ihr Vater fähig war. Sie sah in Manhas hübsches Gesicht und wusste genau, wie gefährlich er war... was für ein todbringendes, grausames Monster er war.

„Was... willst du, Ulan Manha?“, fragte sie kalt, als sie sich von der Pritsche erhob, tapfer gegen ihr pochendes Herz und ihre Panik kämpfend. Sie durfte sie nicht siegen lassen; sie durfte auf keinen Fall den Verstand verlieren, nicht jetzt. Es war schwer, alles in ihr schrie geradezu danach, wegzurennen, zu fliehen, nur hier fort zu kommen, so schnell wie möglich... aber was hatte sie denn für eine Chance? Sie flogen, sagte ihr ein Blick aus dem Fenster; sie kurvten immer noch durch die Eisnebel von Thal-Duhn. Wo immer die anderen mit der echten Tari Randora waren, für Neisa waren sie jetzt unerreichbar. Sie konnte sich nicht teleportieren... sie war hier gefangen und konnte nicht fort.

Er schien ihre Gedanken zu erraten, denn er lehnte sich gegen die Tür des kahlen Raumes und stierte auf sie herab aus seinen mächtigen, grünen Augen.

„Du kannst nicht fort. Glaub ja nicht, du könntest mir entkommen, jetzt, wo ich dich habe. Ich werde deinen Geist... zerquetschen, Salihah. Und wenn Zoras Chimalis kommt, um dich zu retten, wirst du nur noch eine Hülle sein... seelenlos, und ich werde dafür sorgen, dass du kriechst... Made.“ Neisa machte einen Schritt rückwärts, als er einen vortrat.

„Wovon sprichst du?“, schnarrte sie, „Wieso nennst du mich Salihah, Bestie?“ Und sie spürte ihn grinsen und wusste, dass die Frage rhetorisch war. Sie wusste, warum er sie so nannte... und er wusste, dass sie es wusste. Nach noch zwei Schritten rückwärts stieß sie gegen die Wand. Sie fuhr keuchend herum, da war er aber bereits bei ihr, packte sie am Handgelenk und rammte sie mit solcher Wucht gegen den Stahl in ihrem Rücken, das sie schrie. Irgendetwas knackte und der Kopfschmerz kehrte mit brutaler Gewalt zurück. Sie zitterte, als der Mann sich über ihr Gesicht beugte, drohend wie eine Gewitterwolke, und in seinem verzerrten Gesicht sah sie den Wahnsinn der Bestie, die sie ihr Leben lang unterbewusst gefürchtet hatte.

„Weil du... Salihah bist, mein Lämmchen.“, grollte er mit gespielter Freundlichkeit, seine Stimme so durchsetzt von purem Hass auf sie, dass Neisa strauchelte. Er packte sie unter den Armen und hielt sie oben, damit sie nicht zu Boden rutschte. „Weil meine Frau beschlossen hat... auf dich aufzupassen in diesem Leben. Weil du ihr verdammtes, blaues Auge hast. Weil sie dein Denken, dein Tun und sogar dein Fühlen beeinflusst auf eine Art, die mich... zum Brechen bringt!“

Lüge!“, schrie Neisa hysterisch und wollte nach ihm schlagen, aber er packte ihre Handgelenke jetzt beide mit einer Hand und pinnte sie über ihrem Kopf gegen die Wand, drückte so fest zu, dass es schmerzte.

„Was dachtest du, warum du dich immer so zu Zoras Chimalis hingezogen gefühlt hast?“, fuhr er sie an, „Zur kleinen Wiedergeburt des Hurensohns, mit dem meine Frau mich zeitlebens betrogen hat?! Chimalis wird bluten für das, was er getan hat, aber du wirst es zuerst, mein Lämmchen... Salihah, meine Teuerste. Du wirst bezahlen... dafür, dass du mich um meine Macht gebracht hast!“

„Mein Mann heißt Zoras Derran!“, fauchte Neisa zurück, „Du kannst mich nicht töten, Kelar!“

Er hielt inne... und es war dieser kurze Moment, in dem er inne hielt und auf sie herab starrte, seine Hand ihre so fest umklammernd, sie mit Gewalt gegen die Wand pressend, in dem Neisa in sein von Wahnsinn verzerrtes, grinsendes Gesicht sah, dieser kurze Moment, in dem sie spürte, dass der Tod bereits nach ihr rief.

Und dass sie keine Wahl hatte, als davonzurennen.

„Das werden wir sehen... nachdem ich dich erst mal zerbrochen habe, Salihah.“

Und er küsste sie mit der Brutalität eines Monsters, auf eine Weise, die selbst Lorons unersättliche Gier in den Schatten stellte.
 

Sie bekam keine Luft. Verblüffenderweise spürte sie keine Angst vor einer Vergewaltigung, sondern nur Zorn in ihrem Inneren, einen heftigen, tiefen Zorn, den sie schon seit Jahrhunderten zu pflegen schien, viel länger als sie eigentlich am Leben war, und sie riss sich mit einer ungeheuren Kraft von ihm los, die sie sich selbst nie zugetraut hätte, und schlug nach seinem Gesicht. Er bekam ihr Handgelenk wieder zu fassen und stieß sie gewaltsam gegen die kalte Wand, und die junge Frau keuchte, ehe seine andere Hand jetzt ihre Kehle packte und zudrückte.

„Du... hättest kriechen sollen, als ich dir die Wahl gelassen habe, Salihah. Ich habe dich gewarnt... als ich dich in Yiara versucht habe hinzurichten. Sei mein... oder brenne, Hure.“ Sie spuckte ihm ins Gesicht.

„Dann brenne ich, Bestie.“

Er schlug sie zu Boden. Neisa stöhnte, als der Schmerz wie eine Flamme über ihr Gesicht loderte, und ihre Lippe war aufgeplatzt, sie schmeckte Blut in ihrem Mund. Sie konnte kaum weiter denken, da war er wieder über ihr, packte sie an der Kehle und schlug ihren Kopf zweimal so kräftig gegen die Wand, dass sie beinahe das Bewusstsein verloren hätte.

Lass dich nicht brechen, Neisa!“, hörte sie die so vertrauten, angenehmen Stimmen der Geister in ihrem Kopf, und in dem Rausch aus Schmerzen und blankem Hass auf diesen Mann, der an allem Übel Schuld war, das sie hier durchlebten, spürte sie, wie die Erdgeister nach ihrer Hand griffen. „Nimm meine Hand, Neisa. Kelar war vielleicht ein Herr der Geister... Ulan Manha ist bloß sein Enkel. Es ist bloß Kelars Geist, der ihn wahnsinnig macht... bloß sein Geist, den du brechen musst.

Neisa fing an zu lachen und der Mann über ihr hielt inne, das Gesicht direkt vor ihrem, erfüllt von Hass, von Genugtuung, sie so in der Zange zu haben, dass sie nicht wegrennen konnte... und sie sah seine Gesichtszüge entgleisen, als sie die Augen wieder aufschlug und ihn sehen konnte... Kelar Lyras Geist.

„Du kannst das Band nicht vernichten, Kelar. Immer noch nicht... aber ich kann es, und du weißt das. Fürchtest du dich davor... in den Schatten zu fallen, mein Liebster?“
 

Er starrte sie an. Er starrte ihr in das verboten hübsche Gesicht und er konnte sie sehen... seine Salihah. Sie war da, sie starrte ihn an, aus den verschiedenen Augen des Lyra-Mädchens, und die Herablassung, mit der sie ihn ansah, erfüllte seinen Geist mit Zorn. Er hatte sie niemals mehr verabscheut und gleichzeitig gewollt als in diesem Moment, und er wusste nicht, warum er zögerte... sie zu töten. Er könnte ihr den Schädel spalten, er könnte sie so zerfetzen, dass nichts mehr übrig war von Neisa Lyra, weder von Purans Tochter, noch von Salihahs Geist. Aber er konnte nur starren, und seine Unfähigkeit machte ihn rasend vor Wut. Er brüllte sie an und presste sie gegen die Wand, ohne ihr dabei das kalte, bedauernde Lächeln aus dem Gesicht zu wischen. Nichts war schlimmer als geheucheltes Mitleid... nichts war schlimmer als die Gewissheit, dass diese Frau ihn besiegt hatte.

Salihah, seine eigene Gemahlin, Mutter seiner Söhne, die ihn mit ihrer eigenen Droge ermordet hatte.

Und obwohl Neisa völlig anders aussah als Salihah, waren sie eins... er konnte sie spüren, als er sie an den Oberarmen packte, so fest zudrückte, dass er dem zierlichen Körper von Purans Tochter vermutlich die Arme brach, er spürte mit jeder Faser seines Körpers den Körper seiner Frau, die Seele seiner verdammten, verhassten und geliebten Ehefrau, die ihn um seine Macht gebracht hatte... immer. Ihr Leben lang, das sie immer über ihm gestanden hatte. Die Seherin, die selbst sein Vater mehr geliebt hatte als seinen eigenen Sohn. Er hasste sie... er hasste sie so sehr und war gleichzeitig auf so perverse Art von den Geistern für immer an sie gebunden worden, dass allein der Gedanke daran, ihr wehzutun, ihn innerlich zerriss in einer Mischung aus Grauen und Verlangen... und dafür hasste er sie noch mehr, und er packte sie und stieß sie zu Boden, pinnte sie mit den Händen fest und nahm ihren Rumpf zwischen seinen Beinen in die Zange, um sie am Zappeln zu hindern. Er hasste sie dafür, dass er sie begehrte... wie er es immer getan hatte. Weil die Geister zwischen ihnen ein unlösbares Band geknüpft hatten, ein Schicksalsfaden, der sie beide für immer zusammenhalten müsste... so lange, wie sich ihre Geister an die Welt der Lebenden klammern konnten.

Eines Tages würden die Namen Salihah und Kelar vergessen sein. Eines Tages würde niemand mehr wissen, dass es sie einst gegeben hatte... noch würde jemand um die Grausamkeit ihrer Verbindung wissen oder was sie alles getan hatten, um dem zu entkommen.

Salihah hob eine Hand und fuhr ihm über das Gesicht, in beinahe zärtlicher, verlangender Manier, auf eine Weise, die ihn fast um den Verstand brachte. Er wusste, dass es Salihah war, die da agierte, und nicht Neisa, deren Körper er in der Zange hielt, und die Gewissheit, seine Frau unter sich zu haben, erregte ihn – erst recht, dass sie ihn mit ihrem herrischen und gleichzeitig fordernden Blick anstarrte, ihm bis in die Tiefen seiner Seele starrte auf diese Weise, die nur wenige so bestialisch beherrschten. Nicht einmal Nalani, die blutrünstige Schattenkönigin der Kandayas, hatte denselben Blick auf dieselbe Weise beherrscht... aber Puran hatte die Gabe von seiner Großmutter geerbt. Puran wäre ein so perfekter Erbe für Lyrien gewesen, ein vielleicht mächtigerer, fürchterlicherer und gleichzeitig herrlicherer König als Kelar es gewesen war... ein Jammer war es um seinen perfekten, hochbegabten Enkelsohn.

„Du wirst fallen, Kelar... zu lange rufen die Schatten nach dir. Zu lange schon, König... der Dämonen.“

„Das Band verbindet uns – wenn ich falle, wirst du mit mir untergehen und Neisa dabei zu Grunde richten.“

„Vielleicht...“, raunte sie in dieser Tonlage, die ihm immer noch einen Schauer aus purer sexueller Erregung durch den Körper jagte, und er spürte, dass er hart war vor Verlangen nach der Frau, nach dieser sadistischen Bestie, die er so hasste, der er mit aller Macht den Tod wünschte...

Vergebens.

„Wenn die Götter ihre Arme nicht mehr nach ihr ausstrecken können... am Abgrund der tiefsten Schatten... wird ihre göttliche Gabe vielleicht bedeutungslos sein.“

Er küsste sie und sie ließ es zu. Er tat es nicht, weil er sie so liebte... er liebte sie nicht mehr. Sie war ein Miststück, ein Scheusal, das das Leben nicht verdiente, denn genau wie er war sie ein geborener Dämon in der Hülle einer Sterblichen, ein Ungeheuer, eine Ausgeburt des Himmelsdonners, voller Bosheit, voller Sadismus. Und diese Bosheit an ihr erregte ihn... immer noch. Der Schatten war verlockend zu all jenen, die sich ihm hingeben wollten, und er war unnachgiebig und unwillig, die Opfer jemals wieder auszuspucken.

Er gab sich keine Mühe, ihr nicht wehzutun, im Gegenteil. Als er sie erneut küsste, stöhnte sie unter ihm, diese notgeile Hure, und er schlug sie, als sie ihn umstieß, sodass er zu Boden rollte und sie sich auf ihn setzte, jetzt ihrerseits seinen erhitzten, drückenden Unterleib in die Zange nehmend. Und er spürte, wie sie sich gegen seine Erektion presste, wie der drückende Schmerz des Verlangens ihn fast verrückt machte, als er sie brutal an den schon zerschundenen Armen packte und sie zu sich herab zerrte, um sie abermals zu küssen.

Er wollte sie töten – er wollte sie tot ficken, wenn es sein musste, er wollte sie verdammt noch mal umbringen dafür, dass sie es wagte, ihn zu unterwerfen und zeitgleich diese betörende, berauschende Erregung in ihm wach zu rufen, heftiger als jemals zuvor. Doch er war unfähig, sich zu bewegen, als sie über ihm dieses verklärte, bestialische Grinsen aufsetzte, einen Blick purer Bosheit, einen Blick, der berauschender war als jede Trance beim Zaubern... sie wusste genau, dass er sie nicht töten könnte. Das Band war zu stark... nur sie als Nachfahrin der Ekalas war fähig, ein solches Band zu trennen... für eine Weile. Das war es, was sie getan hatte an jenem Tag, an dem sie ihn getötet hatte... diese verräterische Hure.

Mit einem unruhigen Keuchen wand er sich und schlug nach ihr, als sie sich über ihn beugte und ihre Hand auf so zufällige Art und Weise über seinen Schritt gleiten ließ, sich so betörend über ihm bewegte, seine Hand ergriff, um sie auf ihre in diesem Körper definitiv zu kleinen Brüste zu legen. Er berührte sie, er zerrte an ihrer überflüssigen Kleidung wie sie an seiner, er küsste sie, er stieß ihr gewaltsam seine Zunge in die Kehle, bis sie würgte, und riss stöhnend vor Lust den Kopf zurück, als ihre Finger sein Hemd aufgerissen hatten und sie ihn schmerzhaft in die Brustwarze kniff. Seine Finger glitten zwischen ihre Schenkel und rieben an ihrer Unterwäsche, bis sie keuchend den Kopf in den Nacken warf und er vor Verlangen danach, sie richtig zu nehmen, beinahe zu platzen drohte. Und er spürte sie zittern in ihrer Ekstase, und der Gedanke, dass er es ihr schon besorgte, indem er bloß mit den Fingern ihre verdammte Unterhose streichelte (zugegeben ziemlich energisch), brachte ihn fast um – sie öffnete seine Hose und sie teilten einen Kuss, in dem sie beide ihre Mordlust ausdrückten, ihren Hass aufeinander, ihre eigene, abgrundtiefe Bosheit und das ungezügelte Verlangen danach, es verdammt noch mal zu tun. Doch in dem einen Moment, in dem sie ihn berührte, ihn auf eine Weise anpackte, dass er glaubte, sie würde sich endlich auf ihn setzen und sich ficken lassen, wurde ihr Griff plötzlich brutal. Ein grauenhafter Schmerz fuhr durch seinen Mannknochen, als sie ihn auf brutale Weise verdrehte, was im steifen Zustand nicht unbedingt weniger schlimm war als hätte sie es im nicht erigierten Zustand getan. Fluchend fuhr er hoch und sie bog sich zurück, hatte ihn immer noch in der Zange und tat ihm brutal weh, ohne ihren Griff zu lockern.

„Fall in den Schatten, Kelar... Ulan Manha. Lauf, wenn du kannst... ich werde lächeln, wenn die Finsternis deine Seele zerschmettert... im Abgrund, wo die Götter uns nicht erreichen können. Im Abgrund, aus dessen tiefster Schwärze... das neue Licht kommen wird.“ Und er schrie, bis sie seinen Schrei mit einem brutalen Kuss ersticke, ehe sie ihn losließ und sich erhob, ihre Kleider zurecht rückte und ihm den Rücken kehrte.

Ihm den Rücken zu kehren war vielleicht der einzige Fehler, den sie jemals machte.

Er wusste nicht, wie er bei den bestialischen Schmerzen in seinen Weichteilen auf die Beine gekommen war. Er wusste auch nicht, wie er die brutale, lodernde Flamme in seine Hand gezaubert hatte, die er wutentbrannt auf sie schleuderte, um sie niederzubrennen, die Hure, die es wagte, ihn so zu demütigen... und Salihah Ekala in Neisas Körper fuhr zu ihm herum, der Blick aus ihren dämonischen Augen war so fürchterlich, dass ihn das eisige Grauen packte... ein Blick, der allein durch ihre pure Willenskraft, wie es schien, seinen Feuerzauber explodieren und verschwinden ließ, ohne dass Neisa ein Haar gekrümmt worden war.

„Du kannst sie nicht töten... dafür wird gesorgt, Bestie.“, sagte die Frau eiskalt zu ihm, „Spar deine Energie. Die Konfrontation, die dir unmittelbar bevorsteht, mag entscheiden... wohin der Schatten einmal fallen wird.“

Er wollte nichts mehr hören. Nichts von den kryptischen Worten der Seherin, er wollte sie nicht mehr ansehen, diese Hure, die ihn demütigte mit ihrer bloßen Existenz. Wutentbrannt sah er zu, dass er wegkam, ließ sie zurück und sperrte die Kammer ab, in der er sie ließ, nicht bereit, ihr so schnell wieder unter die Augen zu treten.

Eines Tages wirst du bezahlen, Salihah. Dann werde ich es sein... der über dich lacht.
 

„Ich weiß ja nicht, ob das so eine kluge Idee war, sie zu entführen.“ Yamuru feixte bei Turos missgelaunten Worten, während er aus dem Fenster der Brücke nach hinten starrte, zu den riesigen Eisklumpen, durch die sie immer noch etwas mühsam herum gurkten. Der Pilot machte wirklich gute Arbeit, musste man ihm lassen.

„Na, du hast es doch selbst gemacht.“, schnaubte Rok ihn an, der ebenfalls zusammen mit Kanau und Daku im Steuerraum saß. Wo Yatli steckte, wusste der Geier, Yamuru war froh, einen Schreihals weniger an der Backe zu haben für den Moment. Von Scharan ganz zu schweigen, der jetzt schon ziemlich lange weg und mit der armen Neisa Lyra beschäftigt war. Da in Manhas Körper Kelar Lyras Geist wohnte und in Neisas der von Kelars Gattin, war es nicht sonderlich schwer, sich auszumalen, was da wohl passierte.

„Ich hab es gemacht, weil ich als Heiler am besten gegen eine Heilerin kämpfen kann, aber meine Idee war das ganze nicht.“, beschwerte sich Turo wütend, „Ich glaube, wir haben nur das Unheil an Bord gebracht mit dieser Frau!“

„Haha, hast du Schiss vor Chimalis, der ihr Mann ist? Der wird toben...“, gackerte Rok frohen Mutes und Kanau stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen.

„Zoras Derran ist nicht umsonst der Seelenfänger. So haben sie ihn schon in Fann genannt und Chenoa hat das auch gesagt. Heißt es zumindest.“

„Alter, was schert mich Fann?! Oder gar Chenoa Jchrrah, des Kaisers Mätresse?!“, meckerte Rok und schüttelte sich, ehe er auf Yamuru zeigte. „Nichtmal der hat Draht zu Chenoa Jchrrah, und er ist doch der Zuyyaner-Hurensohn hier!“

„Ich überhöre den Hurensohn mal gnädigerweise, weil ich gute Laune habe.“, flötete Yamuru und schenkte Rok trotzdem einen kurzen, aber eingehenden Blick aus seinem Reikyu-Auge, der den Blonden sofort ganz klein mit Hut werden ließ. Die Schamanen sahen einander einen Moment an.

„Wieso hast du gute Laune?“, stöhnte Turo, „Ich sage, die Welt geht den Bach hinab, wir werden alle sterben wegen Neisa Lyra, die der Meister unbedingt haben wollte.“

„Wenn ihr euch von Zoras Derrans jetzt vermutlich nicht aufzuhaltenden Zorn erwischen lasst, vielleicht schon.“, meinte Yamuru nachdenklich und Daku erbleichte, Rok schnaubte arrogant und Turo stöhnte. „Ich könnte so nett sein und Neisa einbläuen, sie soll ihren vor Macht nur so übersprudelnden Gemahl etwas zügeln, der unter Garantie hierher schneien und sie retten wollen wird. Seid darauf vorbereitet, Jungs.“

„Das wagen die?“, lachte Rok, „Ohne Karana, der mit dem Fluchmal flachliegt, schlechte Karten, würde ich sagen.“

„Hast du gerade nicht zugehört, Zoras Chimalis ist eine verdammte Zerstörungsmaschine, jetzt wo wir seine verfluchte Ehefrau haben!“, meckerte Turo und sprang auf die Füße, „Ich hätte mich nie mit euch Hurensöhnen einlassen dürfen, Himmel noch mal! Ihr seid alle Schuld an meinem Tod und ich werde euch noch als Geist dafür auf ewig verfluchen und euch im Himmelsdonner Feuer unterm Hintern machen, Himmel Arsch!“

„Wenn du das kannst, heißt das.“, grinste Yamuru, der sich auch erhob und sich anschickte, den Steuerraum zu verlassen. „Wenn Ryanne der Yalla nicht dein Gehirn auffrisst, falls sie dich mal am Arsch kriegt. Ich glaube, sie steht auf dich, pass auf deine Jungfräulichkeit auf, Turo.“ Rok und Kanau brachen in schallendes Gelächter aus und Turo errötete, ehe er grantig zischte:

„Ich bin keine Jungfrau, verdammt!“ Das war Yamuru ziemlich wurst, und während im Steuerraum jetzt die niveaulose Debatte begann, wen Turo denn bitte gebumst haben wollte, kehrte der Zuyyaner den Idioten den Rücken und ging davon. Die Zeit lief, aber es war noch gut. Die Reikyu zeigte ihm angenehme Dinge, wenn er sich konzentrierte, und die Anwesenheit von all dem Eis, was sein Geburtselement war, steigerte seine Hochstimmung nur noch und machte ihn beinahe euphorisch. Aber er musste einen kühlen Kopf bewahren, weil die Dinge, die kämen, wichtig waren... weil er um keinen Preis das Versprechen brechen wollte, das er Ngnhana bei ihrem Tod gegeben hatte. Seine liebe, schöne Ngnhana... er vermisste sie.

„Wir werden sie wiedersehen.“, hatte er einst zu seinem Vater gesagt, „Irgendwann. Aber noch nicht jetzt.“ Und daran dachte er oft, es beherrschte seine Gedanken und seinen ganzen Körper von der Zehe bis zu den Haarspitzen, seit vielen Jahren... seit weniger, als ihm vorkam. Manchmal hatte er nachts das Gefühl, er wäre bereits ein alter Mann, der mit einem Bein bereits im Grabe stand... und manchmal hörte er, wie der Schatten nach ihm rief:

„Komm. Deine Zeit ist abgelaufen, Yamuru Mirrhtyi. Und du weißt es.“

Er dachte an seine betörende Cousine, die ihn verfluchte und geschworen hatte, ihn zu töten. Der Gedanke an Thira ließ ihn lächeln. Er würde sie noch brauchen für das, was kam... es wurde Zeit, dass er die Dinge richtig in die Hand nahm. Es war schon gut, dass Neisa Lyra hier war... das brachte die Dinge ins Rollen, genau so, wie er es geplant hatte. Thira war so berechenbar... weil sie so seelenlos war. Eine kalte, starre Puppe, wunderschön, aber ohne Gefühle. Genau wie Chenoa.

Er würde Thiras Berechenbarkeit vermissen...
 

Mit einem wutentbrannten Zischen packte Manha Yatlis Kehle und stieß den jüngeren Mann gegen die stählerne Wand, sodass sein Gegenüber erschrocken keuchte.

„I-ich hab doch gar nichts g-getan, Meister!“

„Halt den Mund!“, fuhr Scharan ihn an, rasend vor Wut, und ihm war sowas von egal, was dieser kleine Mistköter hier davon hielt. Wer war schon Yatli? Der hatte nichts zu melden. Er war ein Niemand, genau wie die anderen Idioten. Niemande waren einfach zu halten. Versprach man ihnen eine Zukunft, versprach man ihnen, jemand zu sein, fraßen sie einem aus der Hand. Und wenn sie mal bockig wurden, waren sie keine Gefahr... weil sie ja Niemande waren. Jeder von ihnen war einer gewesen, und Ulan Manha war es, der diese Rotzbengel erst zu jemandem gemacht hatte. Zu Schakalen, zu Raubtieren, die an seiner Leine liefen. Wenn man sich ein paar Niemande hielt, musste man sie richtig pflegen, damit sie nie vergaßen, wer es war, der sie zu einem Jemand machte. Sie mussten kooperieren können, aber durften sich auch nicht zu sehr mögen, damit sie sich nicht gegen ihn verbünden konnten. Sie durften nicht das Selbstbewusstsein erlangen, dass sie auch ohne ihn, Scharan, ein Jemand sein konnten. Er hatte Niemande schon viele Jahre lang studiert und wusste genau, wie mit ihnen umzugehen war. Das war etwas, was er schon früh beherrscht hatte. Wenn man Macht hatte, war es sehr einfach, sich ein paar solcher Haustiere zuzulegen... so wie Yatli.

„Nun, mein Guter, da Emo nicht mehr lebt, damit ich ihn verprügeln kann, wirst du zukünftig eben dafür herhalten, Yatli!“, grollte er wütend, dann drückte er die Kehle des Niemands so fest zusammen dass Yatli blau anlief; ehe er aber hätte ersticken können, schleuderte Manha ihn erneut gegen die Wand und ließ ihn los, worauf sein Gegenüber hustend und keuchend an der Wand entlang zu Boden sank. „Diese Hure, diese Verräterin, diese unselige, verfluchte Schlampe!“, brüllte der Mann und riss wutentbrannt die Hände hoch, um darin einen Feuerzauber entstehen zu lassen, den er gegen die Wände schleuderte; dem Metall der Zuyyaner machte das Feuer nichts aus und die Zauber erloschen an den Wänden, und irgendwie steigerte es nur seinen Zorn. Er kochte, so fühlte es sich an, und der brennende, immer noch fürchterliche Schmerz zwischen seinen Beinen war so abscheulich, dass er die ganze Welt hätte vernichten wollen mit seiner Wut – hätte es denn eine Welt gegeben.

Das wirst du... bitter bezahlen... Salihah.

Zischend griff sich Manha an die Schläfen und starrte verbiestert und vor Zorn am ganzen Leib bebend auf Yatli herab, der am Boden kauerte und kaum zu atmen wagte. Er musste den unbändigen Zorn irgendwie zurückzwängen... den Zorn seines Großvaters auf seine Ehefrau. Er durfte jetzt nicht den Verstand verlieren... das war doch der verdammte Grund, wieso sein Großvater mit Lyrien gescheitert war! Er hatte den Verstand verloren... nur deshalb hatte Salihah, seine eigene Ehefrau, ihn mit Laudanum vergiften und ermorden können. Ihm, Ulan Manha, rechtmäßigem Erben von Lyrien als erstgeborener noch lebender Nachfahre des Tyrannen Kelar, würde das nicht passieren, schwor er zornig und sah mit wachsender Befriedigung, wie Yatlis Blick unter dem wütenden Starren seiner grünen Augen panisch wurde. Sollte der Wurm um sein Leben fürchten... es gefiel ihm, wenn sie ihn fürchteten.

Furcht war ein mächtiger Gefährte... mit Furcht zwang er sie alle in die Knie.

„Auch die Götter... von Khad-Arza werden vor mir knien!“, zischte der Mann und der Gedanke erregte ihn, obwohl seine Weichteile immer noch schmerzten – der bittere Schmerz trug irgendwie auf perverse Art zur Erregung bei. „Diese Götter, die die Sieben geschaffen und unsterblich gemacht zu haben scheinen... sie werden mich fürchten und vor mir knien. Und dann werden... die Sieben sterblich sein! Dann werden... sie sterben. Am Abgrund der Schatten... der liegt noch vor uns.“

„M-Meister...?“, keuchte Yatli entsetzt und wurde blass, als Scharan zu ihm heran ging und ihm in die Seite trat.

„Knie, du Arschficker!“, grollte er den Wurm vor sich an und ignorierte die bestialischen Schmerzen, als er wütend seine Hose öffnete. „Und wenn du dir nicht Mühe gibst, schlitze ich dich auf. Langsam, damit es wehtut und damit du vor Qual heulst... ungefähr so wie König Puran, mein... dummer, kleiner Cousin.“
 

Neisa erinnerte sich nicht daran, wo sie war... oder wer sie war. Sie lag auf der Seite auf irgendetwas Hartem und ihr war heiß. Die Geisterstimmen waren verschwunden... zurück blieb Finsternis. Sie versuchte sich zu erinnern, was das Letzte war, das sie wusste... sie war auf Scharans Tari Randora Zwei. Wie lange schon? War sie überhaupt noch am Leben? Es war plötzlich so still...

Die Dunkelheit schützte sie wie eine weiche Decke und sie hüllte sich fest darin ein, entschlossen, nie wieder hervor zu kommen. Sie träumte von Zoras... irgendwann fragte sie sich, ob sie ihn wohl lebend wiedersehen würde. Sie vermisste ihn... sie vermisste ihn so sehr, dass sich ihr Unterleib zusammenzog und beim bloßen Gedanken an ihn erwärmte, und keuchend rollte sie sich enger in die Finsternis, sich vor der kalten Realität versteckend.

In ihrem Traum tauchte die verzerrte, wahnsinnige Fratze von Ulan Manha auf – nein, die Fratze ihres Urgroßvaters... der irgendwie derselbe war wie Manha. Und sie fuhr schreiend aus ihrer Bewusstlosigkeit vor Panik bei der Fratze des Dämon, vor Hass auf diesen Mann, der so viel Unheil brachte, und wegen der bizarren, unwirklichen Erinnerung in ihrem Kopf an einen Moment zwischen ihr und diesem Mann, der nie existiert haben konnte... nie existiert haben durfte. Aber es fühlte sich so real an... widerlich. Animalisch... als sie schreiend von der harten Pritsche hochfuhr und den Schatten hinter sich ließ, die Decke aus Dunkelheit abstreifte, sah sie, dass sie wiederum nicht allein in ihrem Gefängnis war. Es war wie ein Déjà-vu... aber dieses Mal war es nicht Manha, der vor ihr stand, als sie erbleichend hochfuhr, sondern der Zuyyanertyp.

„Hat er dich also am Leben gelassen. Welche Überraschung... ich hatte ihn ja gewarnt.“, sagte der Mann zu ihr und Neisa versteifte sich am ganzen Körper, als er die Tür hinter sich schloss und sich grinsend dagegen lehnte. Sie verzog ihr Gesicht verbiestert und spürte das Rasen ihres eigenen Pulses, das sich anfühlte, als rauschte ein mächtiger Fluss durch ihren ganzen Körper. Ein Fluss purer Bosheit und puren Zorns...

„Keinen Schritt näher... Yamuru.“, warnte sie ihn, „Wage es ja nicht!“

„Ich muss dich und deine blühende Fantasie enttäuschen, ich stehe nicht auf Tharranerinnen. Ich habe auch Ansprüche, Neisa, keine Sorge.“ Sie verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen.

„Hört, hört.“, spottete sie, „Ein ganz schlagfertiger bist du. Was willst du von mir? Was... wollt ihr alle bitte von mir?!“

Sie erschrak sich fast zu Tode, als Yamuru wie aus dem Nichts plötzlich direkt vor ihrer Nase war und sein Gesicht so dicht vor ihres beugte, dass sie schon glaubte, er würde sie entgegen seiner Aussage über seine sexuellen Vorlieben gleich küssen – er tat es nicht, er lächelte nur und sie starrte unentwegt auf sein gruseliges, linkes Auge. Es war ein Anblick des Todes und ihr fuhr ein kalter Schauer durch den ganzen Körper, als sie das Reikyu-Auge länger ansah... dieses Auge war nicht mehr sterblich. Nicht mehr menschlich... es war ein Auge, das aus einer reinen, komprimierten Seele bestand. Allein der Gedanke, dass Zuyyaner so etwas Abscheuliches mit Seelen und Augen machen konnten, verschaffte ihr Brechreiz. Und Yamuru Mirrhtyi schien genau zu wissen, wie sein Anblick auf sie wirkte, und er ergötzte sich einen Moment daran, den sie nur wie gelähmt auf der Pritsche saß und starren konnte... dann schloss er immer noch lächelnd die Augen.

„Ich sehe... Furcht in deiner Seele, Neisa Lyra...“, sagte er verschwörerisch, „Und... großen Zorn, nicht wahr... Salihah Ekala, Gemahlin von Kelar? Was glaubst du, warum Manha dich wollte? Du bist Salihah... in gewisser Weise. Ihr Geist passt auf dich auf und vergessen wir nicht, dass Manha... die Wiedergeburt von Salihahs Ehemann ist.“ Neisa schauderte bei den Worten. Sie beschworen Gedanken in ihrem Inneren herauf, die sie anwiderten – waren das Erinnerungen oder nur Alpträume, die sie hatte...? Sie wusste es nicht, aber es fühlte sich so real an... die Hände, die sie berührten, die Lippen, die ihre so besitzergreifend geküsst hatten.

„N-nein! Scher dich zum Himmelsdonner!“, kreischte sie schrill und ihre Augen blitzten vor Wut, als sie hoch fuhr und Yamuru sich grinsend aufrichtete, „Zoras wird euch beide töten für das, was ihr mir antut! Ihr werdet tief in den Schatten fallen... ich habe es gesehen.“

Yamuru kicherte.

„Ja, das... mag sein. Du siehst viel... Götterkind.“ Bei seinen Worten stutzte sie. Götterkind?

„Was soll das bedeuten?“

„Du bist eine der Sieben. Eine derjenigen, die von den Göttern erwählt wurden, um... die neue Welt zu finden, wie es die Legende will. Die Geschichte... spielt sich immer zweimal ab. Wir haben auf Zuyya ein Sprichwort gehabt, Man sieht sich im Leben immer zweimal. Das rührt, glaube ich jetzt, von daher... alles wiederholt sich. Immer, irgendwie.“

Die Worte verwirrten sie und sie runzelte die Stirn. Was redete er, wieso Götter? Yamuru schien ihre Unsicherheit zu sehen, er trat gehorsam ein paar Schritte von ihr weg und zum Fenster der kleinen Kammer, um hinaus in die Schwärze zu sehen.

„Hast du dich denn nie gefragt, warum... ihr die Sieben seid? Wieso gerade ihr und nicht irgendwelche anderen sieben? Oder hältst du das für ein Märchen von Chenoa, weil sie euch sieben zufällig toll findet?“ Neisa sagte kein Wort und starrte ihn nur an. Nach einer Weile sprach sie doch.

„Wir... haben uns das oft gefragt, fanden aber nie eine Antwort außer der, dass es Wille der Mächte der Schöpfung war. Ryanne scheint... irgendetwas zu wissen, aber sie redet nicht. Sie ist plemplem.“ Yamuru lachte.

„Das ist eine verbreitete Seherkrankheit, das stimmt. Es ist die Macht... die zu groß für sie ist. Es ist die Seele, die in ihr lebt, die... zu stark für sie ist. Eine göttliche Seele ist für jeden Sterblichen zu stark. Chenoa hat auch eine, deine Urgroßmutter, Salihah, hatte ebenfalls eine. Und sie alle wurden daran wahnsinnig. Witzig, was?“

„Was redest du da?! Göttliche Seelen, was soll das heißen?!“

„Es ist der Grund, warum Seher Seher sind.“, erklärte Yamuru ihr grinsend, „Sie haben... die Seele eines Gottes. Das machen die Götter manchmal, wenn sie denken, sie müssten die Bahnen der Sterblichen wieder gerade biegen. Dann beherrschen sie mit ihrer Seele vorübergehend irgendwelche Sterblichen... wie Ryanne. Und wenn die Sterblichen sterben, suchen sich die Seelen jemanden Neues... das ist ja der Grund, weshalb Ryanne bei den bunten Früchten auf Yasar eine eigene Farbe hatte.“ Neisa runzelte die Stirn. Sie erinnerte sich... daran, dass die Sieben pinke Früchte gehabt hatten. Bei Ryanne war sie blutrot gewesen, bei Yarek orange und bei Asta und Tayson kotzgelb. Wie, was wusste dieser Kerl denn darüber? Und vor allem, woher? Sie schenkte Yamuru einen skeptischen Blick.

„Bist du gekommen, um mir Antworten zu geben, weil du gerade Lust darauf hast?“, fragte sie ihn, „Oder was wird das hier?“

„Eigentlich bin ich hier, weil ich euphorisch bin, weil meine Theorie von Anfang an gestimmt hat. Und weil du ein lebender Beweis dafür bist... lebend, tatsächlich. Manha hat versucht dich zu töten... oder? Und du bist... nicht tot. Das ist euch allen schon öfter passiert... euch Sieben.“ Sie senkte die Brauen. Ja, das wusste sie. Das Gefühl, das seine Worte in ihr auslösten, machten sie kribbelig und unruhig. Und in ihrem Inneren pochte der Schatten... ganz leise.

„Was... für eine Theorie?“, fragte sie ihn kalt und Yamuru wich vor dem Fenster zurück, um sich auf den daneben stehenden Tisch zu setzen und sich grinsend gegen die Wand zu lehnen.

„Der Grund, weshalb ihr die Sieben seid. Die Theorie der... Schöpfungsgeschichte von Khad-Arza.“

„Schöpfungsgeschichte?“, keuchte sie und er nickte.

„Die... Geschichte der Götter... der sieben Götter, die Khad-Arza einst geschaffen haben.“ Neisa blinzelte. Das hatte sie noch nie gehört. Auf Tharr hatte es geheißen, Mutter Erde und Vater Himmel hätten die Welt geschaffen; sie wären einst eins gewesen, hätten sich irgendwann getrennt und die Windkinder und Flammentöchter gezeugt. Mutter Erde war für alles Weibliche, lebende zuständig gewesen, und Vater Himmel für das Männliche, für die Geister und für die Toten... und soweit sie wusste, hatten die Zuyyaner doch an den Gott Katari geglaubt...? Wieso waren es plötzlich sieben? Die Frage rumorte in ihrem Kopf und sie ließ den jungen Mann ihr gegenüber nicht aus den Augen, während sich in ihr plötzlich ein Gefühl breit machte, als wäre sie den Antworten, die sie alle ewig suchten, ganz nah... so nah, dass sie sie greifen konnte.

Frag.“, befahlen ihr die Geister wispernd und sie erzitterte, als sie Yamuru in sein scheußliches Auge sah.

„Sprich. Was... ist mit den Göttern von Khad-Arza?“

Yamuru zog ein Bein an und stellte den Fuß auf die Tischkante, sie immer noch erhaben angrinsend.

„Auf Zuyya gab es ein Märchen in den Alten Runen. Ein Märchen, dessen Wahrheitsgehalt niemand je bestimmen können wird... aber es war die Grundlage meiner Theorie. Das Märchen handelte von sieben Göttern, die ihre zerstörte Welt verließen, um gemeinsam eine neue zu schaffen. Im Streit um die Oberhand über die geschaffene Welt, Khad-Arza, schlugen sie sie in drei Teile. Aus den Teilen wurden Ghia, Tharr und Zuyya... und die sieben Götter teilten sich auf diese drei Stücke auf, schufen das Leben und zeugten die Menschen, ihre sterblichen Nachkommen. Dass sich verschiedene Götter um die drei Welten kümmerten, ist Grund dafür, dass wir verschiedene Völker sind... dass wir verschiedene, oder, wie auf Ghia, gar keine Magie besitzen. Die Götter schufen also alles Leben, hantierten damit herum, entwickelten es, ließen den Dingen ihren Lauf... na ja, aber wenn man ein Gott ist, wird einem schnell langweilig. Sie fingen wieder an zu streiten, es gab Phasen der kompletten Zerstörung sämtlichen Lebens, wenn die Götter die Welt ihrer Kollegen verwüsteten, um den anderen eine lange Nase zu drehen. Es gab Phasen der Wiedergeburt, wenn das Leben neu entstand, und immer so fort. Und eines Tages, viele, viele Jahrmillionen nach der Spaltung von Khad-Arza, waren sie es alle leid... und sie schufen die Legende. Sieben sterbliche, auf alle drei Welten verteilt, sollten einst ihr Erbe antreten... sollten die Bürde tragen, eine neue Welt zu suchen, damit sich die Geschichte wiederholte. Diese sieben... würden diejenigen sein, die genetisch am dichtesten an den wahren Göttern wären. – Du bist doch Heilerin, du verstehst sicher mehr von Genetik als ich.“ Neisa starrte ihn an.

„S-soll das heißen... wir... wir Sieben sind... sowas wie die sieben Götter?“

„Ihr seid sowas wie ihre Wiedergeburt, schätze ich.“, zuckte Yamuru mit den Schultern und grinste, „In einem weiteren Streit zerschlugen die Götter Tharr und Ghia... so stand es in diesem Märchen. Jetzt nur noch mit Zuyya als letztem Stück ihrer errichteten Welt überließen die sieben wahren Götter es den sieben neuen Göttern... eine neue Welt zu finden. Ich vermute, da Ryanne eine Seherin ist... jemand, der die Seele eines Gottes trägt... ist sie nur zu dem Zweck geboren worden, um auf euch aufzupassen, genau wie Yarek Liaron. Für die Götter ist eure Lebensspanne kaum mehr als ein Augenblick... weil sie schon so lange leben. So, wie es dieses alte Märchen darlegt, das viel, viel älter ist als die Zeitrechnung auf Tharr und gar auf Zuyya, seid ihr sieben... die Kinder der Götter.“ Neisa sagte nichts und schnappte nach Luft.

„W-warte mal, aber... diese Götter, gab... oder gibt... es die wirklich?!“

„Keine Ahnung!“, lachte er, „Es war ein Märchen, aber es hat penibel genau gewusst, was einmal passieren würde, ich halte es doch mehr für eine Art Prophezeiung... aber wer weiß? Vielleicht ist das auch alles Zufall. Oder Wille der Geister. Oder Kataris. Ich weiß nicht, wieso die Menschen zum Beispiel nicht mehr von diesen Göttern wissen... wieso sich andere Glaubensrichtungen entwickelt haben. Ich hatte auf Zuyya leider keine Gelegenheit mehr, mich damit zu befassen, und Chenoa redet ja nicht mit mir. Sie hätte es gewiss gewusst... sie ist eine Seherin, schon vergessen?“ Neisa keuchte. Ihr schwirrte der Kopf.

„A-aber das... das ist nicht möglich! Du meinst, wenn wir diese... sieben neuen Götter sind, sind wir... unbesiegbar?! Un...unsterblich?!“

„Wie gesagt, wissen wir es? Nein. Da ihr aber einfach beim besten Willen nicht sterben wollt und die Früchte euch pink markiert haben, wer weiß?“

„Was hat das mit diesen komischen Früchten zu tun? Was weißt du darüber?“

„Yasar ist nicht so weit weg von Zuyya. Es gab öfter Raumfahrten dorthin; schon Leute vor euch haben diese Früchte gefunden. Ich glaube, es war eine instinktive Eingebung, die ich hatte, aber ich vermute, ihre Farbe... rührt von dem Anteil der göttlichen Gene in demjenigen, der sie festhält. Ich vermute, würde sie ein echter Gott festhalten, wäre sie dunkelpurpur, lila, oder so. Und je weniger göttliche Gene jemand hat, desto mehr weicht die Farbe davon ab.“ Zu ihrer Überraschung zog er plötzlich eine solche Frucht unter seiner Jacke hervor, als hätte er die die ganze Zeit bei sich gehabt, nur um ihr das zu beweisen. In seiner Hand glühte die komische Aubergine orange-rot, beinahe so blutrot wie Ryannes geleuchtet hatte. Neisa schauderte; Thira hatte des öfteren gesagt, ihr Cousin wäre ein begnadeter Seher. Hatte er dann auch so eine Seele wie Ryanne...?

„Ich bin kein richtiger Seher.“, grinste Yamuru sie an und schwenkte die Frucht in seiner Hand hin und her. Er musste ihre Gedanken gelesen haben. „Ich habe zwei Reikyus, das ist alles, was mich da etwas mächtiger macht als Thira. Vielleicht sind meine Gene auch einfach günstig... wer weiß? Manha hat etwa dieselbe Farbe gehabt wie ich, falls es dich kümmert, und der ist weiß Katari kein Seher. Er ist nur ein Vollidiot, der am Größenwahnsinn verrecken wird, wenn er nicht aufpasst.“ Neisa war zu durcheinander von all den Informationen, die sie gerade erhalten hatte, als dass sie sich noch viel wundern könnte. Ihr Kopf schmerzte plötzlich und sie hörte das unermüdliche Wispern der Geister in ihrem Inneren... sie sprachen Warnungen vor dem Abgrund der Schatten.

Was.... was ist der Abgrund der Schatten, Geister?

„Der Ort, an dem ihr sterben werdet... der Ort, an dem das Schicksal fallen wird. Der Ort, an den die Götter nicht ankommen.“

Neisa schauderte und sah zu Yamuru, die sich kichernd erhob und herzhaft in seine rot glühende Frucht biss.

„Du redest so von Scharan, und doch hilfst du ihm, uns zu erledigen.“, murmelte sie, „Was... was ist mit dir, Yamuru Mirrhtyi? Wieso kämpfst du für Ulan Manhas Ziele... wenn sie nicht deine sind?“ Der junge Mann gab ihr keine befriedigende Antwort. Er lächelte bloß.

„Wie du selbst sagst, Neisa Lyra. Seine Ziele sind... nicht meine. Und meine Ziele... gehen dich nichts an.“ Er neigte vor ihr den Kopf und schickte sich an, zu gehen, als sie von der Pritsche sprang, ihn am Arm packte und festhielt.

„Warte!“, zischte sie, „Willst du mich jetzt hier verrecken lassen?!“

„Das war der Plan, tja.“, machte er amüsiert, „Ich bin nie gekommen, um dir zu helfen oder so. Wobei verrecken nicht ganz richtig ist, du bist doch eine der Sieben. Manha wird sich an dir die Zähne ausbeißen... das ist es, was mich so euphorisch macht. Weil ich die ganze Zeit recht hatte... weil ihr Götter seid.“ Sie zischte und riss an dem Stoff seiner Jacke, als er versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien. Er schaffte es mit etwas roher Gewalt und stieß sie mit einem einzigen Blick aus seiner Reikyu rückwärts in den Raum hinein, während er die Tür wieder öffnete und noch mal in seine Frucht biss. Neisa zischte und ballte die Fäuste, während in ihrem Inneren die Finsternis pochte... sie spürte Tod und Verderben, die kamen. Sie wusste nur nicht, ob es ihrer war oder seiner... oder der irgendeines anderen.

„Du wirst in den Schatten fallen, Yamuru Mirrhtyi...“, prophezeite sie ihm scharf mit der Kälte einer Toten in der Stimme; und sie wusste, dass es Salihahs Geist war, der mit ihm redete... der ihre Zunge bewegte und die Worte sprach, die nicht ihre waren. „Wie ein Vogelkind, das zu fliegen versucht und es nicht schafft. Wenn du auf dem Boden aufschlägst, wirst du zerschellen... wenn du jetzt weitergehst.“

„Ah...“, antwortete er gedehnt und schenkte ihr ein zufriedenes Lächeln, die Tür bereits wieder am Schließen. „Dann sei es so... Seherin.“ Mehr sagte er nicht. Als Neisa kurz geblinzelt hatte und wieder zur Tür sah, war sie geschlossen und es war totenstill, als hätte sie sich Yamurus Besuch komplett eingebildet... jedes seiner Worte. Das einzige, was sie sicher machte, dass sie nicht geträumt hatte, waren die verwirrenden Gedanken an Götter und Geschichten in ihrem Kopf... Gedanken an den Abgrund der Schatten.
 

„Der Ort, an den die Götter nicht ankommen... die Geschichte wiederholt sich. Immer.“
 


 


 

___________________
 

Möh....

Offensive

Thira war sich nicht sicher, ob das, was sie vorhatte, eine gute Idee war. Aber ihr blieb keine andere Wahl, denn sie brauchten Neisa. Nicht nur, um Zoras' endloses Gezeter und seine Tobsuchtsanfälle endlich los zu sein, Neisa war essentiell wichtig für sie alle, sie war ein Teil der Sieben. Und sie war Heilerin... ihre einzige Heilerin, auf die sie definitiv noch angewiesen sein würden, wie die Zuyyanerin vermutete. Das Vorhaben, in Manhas Schiff einzudringen, um Neisa zu befreien, war ein gefährliches Unterfangen, das war ihr klar. Sie wären auf feindlichem Territorium und sie wussten nicht, was für Monster Scharan noch dort versteckte, abgesehen von den paar Schakalen, denen sie bisher begegnet waren. Das Hauptproblem an der ganzen Angelegenheit war allerdings Yamuru... ihr verräterischer Cousin, der ein Großmeister der Eismagie war.

„Keiner von euch wird mit Yamuru fertig.“, murmelte sie und linste dabei Simu an, mit dem sie durch das halbe Schiff eilte, nicht sicher, wonach sie eigentlich suchte. In ihrer Hand war die etwas zerknitterte Karte mit der Wegbeschreibung zur Trias. „Er ist zu mächtig, selbst für mich, und ich als Zuyyanerin bin vielleicht die einzige, die überhaupt wagen kann, ihn herauszufordern, denn ich bin gegen die Druckwellen der Reikyu immun. Anders als alle anderen hier, meine ich.“

„Ich bin es auch.“, antwortete Simu, „Immerhin bin ich Halbzuyyaner.“

„Das macht dich mit deiner gerade erlernten Magie noch lange nicht fähig, einen Großmeister zu besiegen. Ich behaupte auch nicht, dass ich es kann, aber ich habe etwas, was Yamuru haben will. Wenn ich es ihm also gebe, habt ihr währenddessen freie Bahn da drüben; ihr werdet mit Manhas Schamanenschlägertypen genug zu tun haben, Yamuru gehört mir.“ Simu runzelte die Stirn, als sie stehen blieb und sich im metallischen, kalten Licht des Korridors umsah. Es war egal, wo sie es taten, Hauptsache, sie brachten es hinter sich, denn die Zeit drängte.

„Du willst ihm die Karte geben?“, keuchte der Blonde, der jetzt vor sie trat und sie scharf musterte, „Ich weiß nicht, ob ich das für so klug halte, Thira.“

„Das tut niemand. Ich habe nicht gesagt, dass ich sie ihm wirklich gebe. Es reicht, wenn ich sage, ich täte es, Yamuru seinerseits hat eine Schwäche, die ich nicht habe; dafür hat Chenoa gesorgt.“ Simu war nicht überzeugt, wie es aussah.

„Eben hast du noch gesagt, er ist quasi unbesiegbar. Was für eine Schwäche hat er denn?“

„Er... vertraut.“

„Ich halte Vertrauen nicht unbedingt für eine Schwäche. Das, was du meinst, ist eher Naivität, oder? Du meinst, er würde dir blind vertrauen, wenn du sagst, du gibst ihm die Karte? Ich will dich ja nicht mobben, aber irgendwie glaube ich nicht, dass er wirklich so dumm ist.“

„Ich sagte nicht, dass er mir vertraut.“, schnarrte Thira ihn an und faltete die Karte auseinander. „Das tut er mit Sicherheit nicht, dann wäre er wirklich sagenhaft dumm. Aber er vertraut auf seine Fähigkeit, mich zu beeinflussen. Er wird vermutlich misstrauisch sein, aber daran glauben, dass er mich dazu bekehren kann, das Richtige zu tun. Das für ihn richtige, heißt das natürlich. Ich werde ihm mit der Reikyu eine Nachricht zukommen lassen, dass er herkommt; allein. Und während ich dem Hurensohn den Garaus mache, teleportiert Ryanne euch rüber und ihr holt Neisa, egal um welchen Preis.“

„Egal um welchen Preis?“, murmelte der junge Mann, „Das heißt, wir metzeln sie einfach skrupellos nieder?“

„Hast du eine bessere Idee? Glaubst du, du bist der Heiland, der ihnen die Erleuchtung zur guten Seite der Macht bringt, oder was?“ Sie murrte ungeduldig, griff nach dem Rock ihres schwarzen Kleides und zerrte ihn so weit nach oben, bis sie ihren nackten Bauch darunter entblößte. Simu starrte sie an und errötete automatisch, ehe er keuchend rückwärts trat.

„W-was zum...?!“

„Halt die Klappe. Nicht das, was du denkst. Ich sagte, ich brauche Feuer von dir. Ich meine... Feuermagie. Da ich Eismagierin bin, kann ich nicht mit Feuer zaubern. Dein Vater konnte alle Elemente gleich gut, ich gehe hoffnungsvoll davon aus, dass du es auch kannst. Du zauberst Wasser, das ist eine gute Voraussetzung dafür.“ Er starrte sie immer noch an.

„Wie jetzt?“, machte er konfus.

„Zuyyaner kennen drei Elemente zum Zaubern. Eis, Feuer und Wasser. Und Wasser, das dritte Element, ist eigentlich als eine Mischung der beiden Urelemente entstanden. Demzufolge steckt in Wassermagie sowohl Feuer- als auch Eismagie, und wer Wassermagie beherrscht, hat auch das Potential, die anderen beiden wenigstens gut zu beherrschen. Und ich brauche zuyyanisches Feuer, um mir die Karte auf die Haut zu kopieren; für den Fall, dass Yamuru es schafft, mir das Original abzunehmen, damit wir nicht aufgeschmissen sind.“

„Das... geht?!“, keuchte ihr Kamerad fassungslos, als sie sich die Karte auf den Bauch hielt, so, dass das Pergament ihre Haut ganz bedeckte. „Ich meine, ich kann... das Ding mit Feuer anzünden und die Linien brennen sich dabei in deine Haut? Tut das nicht weh?“

„Natürlich tut es weh, beweg dich. Du brauchst das Tsukibo nicht, nur deine Hände, halte sie über die Karte.“ Er tat es, als sie es ihm im Geist befahl, damit sie voran kamen, und während sie mit einer Hand die Karte auf ihren Bauch drückte, beschwor sie mit der anderen die Reikyu herauf, um mit reiner Willenskraft zu verhindern, dass das Pergament vom Feuer zerstört wurde. Das bläulich schimmernde Licht über ihrer Handfläche beruhigte sie immer... die Reikyu zu sehen bedeutete, dass sie lebte. Sie hatte seit frühester Kindheit das Bedürfnis, das oft zu überprüfen... ob sie lebte. Manchmal war sie sich nicht sicher... ohne zu wissen, woran es wirklich lag.

„Tu es... Simu.“
 

„Und du bist sicher, dass das eine gute Idee ist, Thira?“ Karana widerstand dem Verlangen, nach seinem verbundenen Unterarm zu kratzen. Das Mal hatte aufgehört zu schmerzen, aber die Wunde brannte und ziepte trotzdem noch von der vorangegangenen Schmerz-Orgie, die Scharan über ihn ergossen hatte. Der Gedanke, dass der Mann jetzt müde war, war in der Tat etwas hoffnungsvolles, dachte Karana sich dabei, denn wenn Manha müde war, würde es leichter, Neisa zurückzuholen. Seine kleine Schwester... er ohrfeigte sich innerlich, dass er gerade an dem Tag wegen des Mals hatte ausfallen müssen, dass so etwas Schlimmes hatte passieren können. Er spürte den Schatten in sich rumoren, zwang ihn aber erfolgreich wieder zurück hinter seine Schranken, um wenigstens zu versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Sie durften das auf keinen Fall falsch angehen, sonst würden sie vielleicht alle bei dem Versuch, Neisa zu retten, sterben. Selbst, wenn Manha müde war davon, Karanas Mal ewig lange schmerzen zu lassen, da waren immer noch die Schergen des Sklavenkönigs, die allesamt zaubern konnten. Und das, was Thira vorhatte, wollte ihm irgendwie so gar nicht gefallen. Yamuru auf der Tari Randora, während sie alle auf dem anderen Schiff waren, abgesehen von Tayson, der steuern würde, und Asta, die sowieso nicht helfen konnte? Wo sollte das hinführen?

„Es ist die einzige, die ich habe.“, gestand die Zuyyanerin monoton wie immer und Karana zischte. Er fixierte sie eine ganze Weile, während sie alle im Steuerraum herum standen und Tayson zunehmend gekonnt um die verfluchten Eisblöcke herum eierte. Asta stand bei ihm am Steuer und warnte ihn jedes Mal rechtzeitig, wenn einer der Eisbrocken plötzlich seine Flugbahn änderte. Manchmal mussten sie rasante Kurven fliegen, bei denen Tayson jedes Mal die ganze Mannschaft aus dem Gleichgewicht warf und sich dann von Zoras beschimpfen lassen musste, er sollte doch vorsichtiger fahren. Karana hatte keine Nerven dafür, an Taysons Fahrkünsten zu meckern, viel elementarer erschien ihm Thira... von der er unlängst noch geträumt hatte, sie würde sie alle für Yamuru verraten. Wenn sie es jemals vorgehabt hatte, wäre das hier die perfekte Chance... er wagte nicht, es laut auszusprechen, aber das war es, was ihm wirklich Sorgen machte. Dass Neisa am Leben war, konnte er spüren; er konnte sie auf eine ganz eigenwillige Weise sogar orten, wenn er in der Ferne das Schiff von Manha betrachtete, dem sie mit Abstand folgten. Er konnte das Schiff ansehen und genau sagen, wo darauf seine Schwester war, ohne dass er sie wirklich sehen konnte. Es war Instinktsache, vermutete er... und vermutlich würde es ihnen noch nützen, wenn sie Thiras Plan umsetzten und sich alle dort hinüber teleportieren ließen. „Wenn jemand etwas Besseres weiß, nur raus damit.“

„Ich halte es schon für sinnvoll, Yamuru von uns wegzuholen.“, bemerkte Yarek gelassen, „Thira hat nicht ganz unrecht damit, dass sie die einzige sein wird, die ihm überhaupt kontra bieten kann. Ließen wir ihn auf Scharans Schiff, damit Thira mit uns gemeinsam rüber ginge und dort gegen ihn kämpfte, bestünde weiterhin die Gefahr, dass er ihr genug entgegenzusetzen hat, um nebenbei auch noch uns andere niederzumetzeln, die Gefahr umgehen wir pragmatischer Weise, wenn Yamuru hier ist, während wir dort sind. Mit den anderen Schamanen werden wir hoffentlich fertig, falls Manha nicht noch zwei Dutzend davon bei sich versteckt hat.“

„Das vielleicht nicht, aber er dürfte einige Lianersklaven haben.“, sagte Iana und Karana sah genau wie die meisten anderen bei dem Stichwort automatisch zu Eneela, die sichtlich bleich wurde (noch bleicher als sie ohnehin war) und sich an Simus Ärmel krallte. „Wissen wir, wie viele Verrückte unter denen genau wie diese Kyeema für ihn kämpfen? Also, ein ganzes Schwadron Lianer, die mit wütender Überzeugung kämpfen und vom selben Kaliber sind wie Kyeema, dürfte uns binnen weniger Momente zerfleischen.“

„Können die im Schiff überhaupt Lians beschwören?“, fragte Simu nachdenklich, „Ich meine, Barak zum Beispiel erscheint mir für zu groß, um ihn im Schiff zu beschwören.“

„Wie auch immer, das wissen wir nicht, da müssen wir uns überraschen lassen und wenn es völlig schiefgeht, teleportiert Ryanne uns eben zurück.“, sagte Yarek, „Ich bin der Beschützer der Sieben, das bedeutet, das alles geht auf meine Verantwortung. Von uns bin ich wohl auch derjenige hier mit den meisten militärischen Kampferfahrungen, das bedeutet, ich bekomme das Kommando. Verstanden, Zoras? Wenn ich sehe, dass die Lage eskaliert, ziehen wir uns zurück, und keiner von euch wird sich dann meinem Befehl widersetzen. Wir können Neisa nicht helfen, indem wir uns da sinnlos abstechen lassen, und da sie bis jetzt offenbar noch lebt, wie ihr Magier alle instinktiv bestätigt habt, gehe ich nicht davon aus, dass sie in akuter Lebensgefahr schwebt.“

„Was sich ändern könnte, wenn wir versuchen, sie zu retten, was wissen wir?“, fragte Thira und Karana sträubten sich bei ihrer ätzenden Monotonie die Haare.

„Kannst du mal aufhören, so gelangweilt zu gucken, während wir gerade über das Leben meiner Schwester reden, Thira?! Du... machst mich wahnsinnig mit deiner Zuyyanerart!“

„...tut mir auch leid, ich kann nichts für das, als was ich geboren wurde, Karana.“

„Himmel und Erde, wir haben jetzt keine Zeit zum Streiten!“, rief Simu erbost dazwischen, „Yarek hat vollkommen recht, er sollte das Kommando übernehmen und wir alle – auch Karana und Zoras – werden auf ihn hören, weil er von uns allen am besten die Gefahrenlage überblicken kann!“ Karana schnaubte.

„Gut, das mal alles außen vor gelassen.“, schnarrte er dann und verschränkte die Arme, um sie irgendwie zu bewegen und dem Juckreiz zu widerstehen. In seinem Kopf pochte es... er wusste nicht, was es war, aber irgendein Gefühl, dass etwas Wichtiges direkt vor ihnen lag, machte ihn nervös. Er erntete einen strengen Blick seiner Frau, die seine Unruhe vermutlich nur zu deutlich spürte. „Woher wissen wir, dass Yamuru auf Thiras Einladung eingeht?“

„Er will die Karte und die habe ich.“, sagte die Zuyyanerin, „Es wäre dumm von ihm, nicht anzunehmen.“

„Angenommen, er tut es.“, sagte Iana und verschränkte ihrem Gatten gleich die Arme, womit sie beide nebeneinander stehend mit derselben Haltung ziemlich lächerlich aussehen mussten, wie Karana dachte. „Ist er so dumm, nicht zu wittern, dass es nicht so leicht ist, wie es sich anhört?“

„Yamuru ist kein Idiot.“, sagte Thira, „Natürlich wird er nicht ernsthaft glauben, dass ich ihm einen Tee und die Karte anbiete für nichts. Vermutlich wird er sogar wissen, dass ich ihn nur herlocke, damit ihr freie Bahn habt. Ich gehe aber positiv davon aus, dass ihm das egal ist.“

„Wieso sollte es? Verrät er Scharan damit nicht, wenn er zulässt, dass wir ihn angreifen?“, fragte Iana und Thira schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht, was Yamurus echter Plan ist, aber ich weiß, dass er nichts mit Manha zu tun hat. Was immer dieser Typ vorhat, er benutzt Manha vermutlich nur für die billige Überfahrt. Yamuru ist Zuyyaner, Yamuru ist verdammt noch mal Großmeister des Eises, er ist der Erbe des Westreiches Ngurrha und damit Angehöriger eines der mächtigsten Clans der Zuyya. So jemand wie er hat es für gewöhnlich nicht nötig, niedere Ziele wie Größenwahn und Macht anzustreben oder zu unterstützen.“ Darauf hatte niemand etwas zu sagen, aber Karana spürte den Unmut seiner Kameraden genauso deutlich wie seinen eigenen. Das alles klang zu einfach; was genau hatte Thira da gerade gesagt? Wenn Yamuru nicht für Scharan kämpfte, sondern ihn bloß benutzte, war er dann nicht eigentlich auf ihrer Seite? Aber wieso kämpfte er dann gegen sie? Oder er hatte völlig andere Ziele, die nichts mit Scharan, aber auch nichts mit der Rettung der Welt zu tun hatten... Karana wurde es leid, darüber nachzudenken, und er griff sich fluchend an den Kopf und zog dann sein Schwert aus der Scheide, als wollte er gleich auf seine eigenen Kameraden losgehen.

„Je länger wir hier herum palavern, desto länger kann Manha mit Neisa sonstwas anstellen, dass wir spüren, dass sie lebt, heißt nicht, dass es ihr gut geht! Thira hat recht, wir haben keine Wahl. Sprich mit deinem Vetter, Thira, jetzt sofort! Und wir anderen machen uns bereit – das muss zeitlich genau abgestimmt sein. In dem Moment, in dem Yamuru kommt, musst du, Tayson, das Schiff so nah wie möglich an ihres heran bringen, und in dem Moment muss Ryanne uns rüber teleportieren. - Hast du zugehört, Seherin?!“ Die blonde Seherin schreckte aus ihren Gedanken und starrte ihn blöd an.

„Was?! Um Himmels Willen, wer zum Geier bist du?!“ Sie erntete eine Kopfnuss von Simu.

„Denk nicht mal dran, du musst uns teleportieren, Ryanne.“ Karana beobachtete Thira dabei, wie sie mit ihrer Reikyu offenbar mit Yamuru kommunizierte; was genau sie da machte, konnte er nicht erkennen, eigentlich starrte sie nur auf ihre glühende, unheimliche Kugel; aber nach einem Moment hob sie den Kopf, ließ abrupt die Kugel verschwinden und zog stattdessen ihre Waffe, die Kouriha.

„Gib Gas, Tayson.“, befahl sie, „Es geht los.“
 

Es war zeitlich fast perfekt abgestimmt; nicht ganz, stellte Zoras fest, denn in dem Moment des Teleports schrie Tayson plötzlich am Steuer auf und riss das Schiff zur Seite, weil ein quer schießender Eisbrocken von der Größe eines Palastes ihnen beinahe gegen die Frontscheibe geknallt wäre. Durch diesen kurzen, minimal weiteren Abstand zu Scharans Schiff, das sie in Windeseile eingeholt hatten, schneller als jeder Pilot, der da drüben sitzen mochte, hätte reagieren können, landeten sie nach dem erfolgreichen Teleport der bekloppten Seherin nicht dort, wo sie alle Neisa wahrnahmen, sondern irgendwo an einem von allen Geistern verlassenen Teil am Heck der Tari Randora Zwei, mit nichts umgeben als Stahlwänden und Treppen. Sie gingen sofort alle in Gefechtsposition, aber da war kein Gegner, der sie angriff. Karana schnaubte zuerst.

„Zum Geier, wir sind falsch!“, bemerkte er und deutete in Richtung einer Treppe, die hinaufführte. „Wir müssen in diese Richtung!“

„Der Eisberg war Schuld.“, beschwerte sich Ryanne und richtete sich seelenruhig ihre Frisur, als hätten sie sonst keine Probleme. Zoras umklammerte wutentbrannt seine Hellebarde, ehe er ohne weitere Kommentare an den anderen und Karana vorbei stampfte, die Treppe hinauf.

„Warte!“, hielt Yarek ihn scharf auf, „Sei vorsichtig, hinter jeder Ecke könnte ein Hinterhalt lauern. Wir sind hier auf fremdem Territorium, vergiss das nicht.“ Zoras hörte die Worte, schlug sie aber in den Wind und stampfte weiter.

„Ich mache erst Halt, wenn ich meine Frau habe und es ihr gut geht!“, grollte er und spürte jede Faser seines Körpers vor Zorn zittern, und wie es mit jedem Schritt schlimmer wurde, den er tat. Allein der Gedanke an das, was diese Hurensöhne seiner Frau angetan haben mochten, machte ihn fast wahnsinnig vor Wut, und er ignorierte die züngelnden Blitze, die an der Klinge seiner mörderischen Waffe auftauchten, hervorgerufen durch seine bloße Willenskraft, die er kaum zurückhalten konnte; diese Mordlust.

Er wollte sie töten, er wollte sie zerfetzen, diese Bastarde, die seiner Frau auch nur ein einziges Haar gekrümmt haben mochten, sie würden bluten für die Schande, die sie ihr gebracht hatten, schwor er sich ergrimmt, als er durch den fahl erleuchteten Korridor stampfte und hinter sich die rennenden Schritte der anderen hörte. Irgendwer rief nach ihm, es war ihm egal, und um nicht von ihnen eingeholt zu werden begann er zu rennen, blindlings vorwärts, immer nur in die Richtung, in die sein Instinkt ihn trieb, der Neisa so perfekt orten konnte. Es war nicht nur, weil sie seine Frau war. Der Instinkt zog alle Angehörigen der Sieben zu Neisa, zu der, die eine von ihnen war, die es zu retten galt. Es war, als wären sie, die Sieben, gar keine Menschen, sondern eine eigene Art, die allein fähig war, ihre Artgenossen so präzise zu orten und zu finden. Er hatte das noch nicht lange entdeckt, dass er das konnte... es war wie eine Extrafähigkeit, die erst jetzt auf der gefährlichen Reise durch Vater Himmel selbst zu ihnen gekommen war.

Karana holte ihn ein und packte ihn derart unsanft am Handgelenk, dass es schmerzte. Zoras fuhr fluchend zu seinem Schwager herum und schlug wutentbrannt nach ihm, Karana wich jedoch völlig konzentriert aus, drehte ihm auf bestialisch schmerzende Weise den Arm auf den Rücken und rammte ihn gegen die stählerne Wand, sich finster über ihn beugend.

„Hast du den Verstand verloren?!“, fuhr der Ältere ihn gedämpft an, „Wenn du gleich in einen Speer oder Zauber rennst, ist Neisa damit nicht geholfen, also reiß dich zusammen und zügle deinen verfluchten Zorn!“

„Was weißt du schon?!“, fauchte Zoras und versuchte sich loszureißen, „Es ist meine Frau, deiner geht es ja gut hier! Ich werde sie zerfetzen, diese Hurensöhne, jeden von ihnen, der es wagt, sich mir in den Weg zu stellen, jeden, der es gewagt hat, Neisa auch nur eine Wimper zu krümmen!“ Karana stieß ihn ein weiteres Mal brutal gegen die Wand und dann wurde der Größere von Yarek und Iana gemeinsam von Zoras weggezerrt und seinerseits festgehalten.

„Sie ist verdammt noch mal meine Schwester und mir genauso wichtig wie dir, das gibt dir noch lange nicht das Recht, so dermaßen durchzudrehen! Wir müssen alle zusammenhalten, Zoras, wenn wir sie befreien wollen, wenn du alles im Alleingang machst, werden wir nur alle verrecken!“

„Seid ihr beide jetzt völlig übergeschnappte?“, stöhnte Simu, der mit Ryanne und Eneela zu ihnen kam, „Wenn wir noch mehr Krach machen, werden sie uns doch nur alles noch schwerer-...“ Er wurde unterbrochen, weil plötzlich von der anderen Seite eine inzwischen bekannte Stimme ertönte.

„Ah, und ich habe schon geglaubt, meine Instinkte spielen mir Streiche. Was für ein Zufall, ich hab mich schon gefragt, wo ihr bleibt... um die kleine Schlampe zu retten.“ Zoras fuhr herum, um sich Kanau gegenüber zu sehen, dem rothaarigen Idioten aus dem Nomae-Clan. Er war flankiert von Rok dem Telepathen, Daku dem Erdmagier und Turo dem Heiler, der allerdings mehr im Hintergrund stand. Der Schwarzhaarige zischte und packte seine Hellebarde fester, während Yarek und Iana Karana losließen und ihrerseits auch die Waffen zogen.

„Das habt ihr ja toll gemacht, Karana und Zoras.“, spottete Letztere grantig, „Und es hätte so einfach werden können.“

„Bringt sie um, allesamt.“, befahl Kanau kaltblütig und im nächsten Moment stürzten sich alle Schergen von Scharan auf die Kameraden. Zoras fluchte, riss seine Waffe herum und schleuderte einen gigantischen Blitz quer durch den Korridor auf die Welle der Angreifer, als der Zorn erneut in ihm aufflammte.

„Du hast meine Frau Schlampe genannt, du Hurensohn?!“, brüllte er und stürzte sich bebend vor Hass auf den rothaarigen Kanau, „Niemand... nennt meine Frau ungestraft eine Schlampe, du Elender!“

„Wenn sie doch eine ist.“, grinste Kanau und blockte den Blitzschlag mit einem Schwall aus Feuermagie, „Wie sie für andere die Beine breit macht, finde ich schon sehr schlampig.“

„Dass du es wagst, auch nur an ihre Beine zu denken!“, schrie der Kleinere ihn an und schlug wie ein Berserker auf ihn ein mit seiner Waffe, schleuderte wie wahnsinnig Blitze in alle Richtungen und hatte nur im Kopf, diesen Bastard umzubringen – er wollte ihn töten für das, was er gesagt hatte, dass er auch nur wagte, so etwas Abscheuliches zu denken. Obwohl Kanau viel größer war als Zoras, schaffte der Geisterjäger es binnen weniger Augenblicke, ihn zu Boden zu schlagen, und er zitterte bereits in der Ekstase des Triumphs und des Blutrausches, als er mit der Hellebarde ausholte, um Kanau den Schädel mit einem Blitz zu zerschmettern – da wurde ihm die Waffe urplötzlich aus den Händen gerissen und er sah fassungslos zu, wie eine unsichtbare Macht die Hellebarde weit von ihm weg zurück durch den Korridor schleuderte.

Telekinese... verdammt!

Es fiel ihm schwer, richtig zu denken, in seiner Mordlust unterbrochen, und heftig keuchend fuhr Zoras auf und starrte verbiestert in das euphorische Grinsen von Rok.

„Ganz so einfach ist es nicht, ohne Sinn und Verstand drauf loszuprügeln wird dir nichts nützen... Chimalis.“

Der Telepath war schnell. Zoras konnte nicht mal mit bloßen Händen eine Demora beschwören und viel mehr konnte er, seiner Waffe beraubt, sowieso nicht, da packte ihn ein weiterer Telekineseschlag und schleuderte ihn durch den Korridor gegen die Wand, wo er krachend aufkam und hustend zu Boden rutschte. Er spürte keinen Schmerz, obwohl der Schlag gegen die Wand so heftig gewesen war, dass ihm glatt irgendwas hätte brechen müssen, und fluchend sprang er auf die Beine, um es dem Bastard heimzuzahlen. Doch als er dieses Mal eine Demora nach Rok warf, teleportierte der Sack sich weg, um kurz darauf direkt hinter Zoras wieder aufzutauchen.

„Es ist einfach, in dir zu lesen, was du tun wirst.“, stöhnte der Blonde dabei gelangweilt, „Dein Geist ist wie ein offenes Buch, voller Wut und Mordlust, das ist ja die Härte.“

„Und du wirst es sein, an dem ich meine verdammte Mordlust befriedigen werde!“, fuhr Zoras ihn an, schlug nach ihm und erwischte ihn wieder nicht, stattdessen steckte er einen weiteren Telekineseschlag ein und schlitterte jetzt ein Stück auf dem Rücken über den Boden, bis er mit dem Kopf gegen die Wand stieß, was ein blechernes Bong verursachte. Der Schmerz war nicht zu spüren, was ihn kurzzeitig verwirrte – mehr Zeit hatte er nicht zum denken, denn schon griff Rok ihn wieder an und Zoras versuchte fluchend mit einem Dutzend Demoras, den Bastard zu erwischen, traf ihn aber nie; einmal erwischte er allerdings Daku, der darauf schreiend durch den Korridor flog. Die nächste Telekinese von Rok schmetterte den Geisterjäger wieder zurück zu Boden und dieses Mal landete er dicht genug an seiner Hellebarde dran, um sie sich zu greifen, mit ihr wieder aufzuspringen und den Idioten jetzt endlich den Garaus zu machen. Ein Donnern erfüllte das ganze Schiff und dann wurde es plötzlich dunkel, als der Schatten des Seelenfängers, die pure Macht der Todesvögel, die Zoras beherrschte, alles Licht zu verschlucken schien, das in der Tari Randora Zwei existierte. Zoras hörte das Rauschen von Blut in seinem Kopf, er spürte das Kribbeln der Magie in jeder Faser seines Körpers, die Macht, die in seinem Inneren auf eine so heftige Weise pulsierte und lebte, dass er glaubte, sie würde sich selbstständig machen, ihn als sterbliche Hülle zurücklassen und sie alle hier töten...

Es wäre gut so.

„Niemand... nennt meine Frau... eine Schlampe!“, grollte Zoras, und er hörte irgendwo vor sich das Geräusch von Menschen, die zu Boden stürzten, ebenso das Klirren von Waffen auf Metall. Und hinter ihm lachte Ryanne, die Seherin, ihr betörendes und psychotisches Lachen.

„Du willst sie töten... dann tu es.“, raunten die Himmelsgeister in Zoras' Kopf und er keuchte heftig, die Hellebarde gerade nach vorne streckend. Die Schatten kamen... die Stimmen seiner Vergangenheit. Das schwarze Loch, das sich von seinem Hass nährte, das immer noch da war, das niemals fortgehen würde, wenn er nicht gegen es kämpfte. „Sie sind Ungeziefer. Töte sie... du willst es. Jeder Muskel von dir will es, jede Zelle deines Körpers will es... nicht wahr... Zoras Chimalis? Die Hurensöhne, die deine Frau... gedemütigt haben. Haben sie es nicht verdient, dass du sie zum Himmelsdonner schickst?“

„Ja...!“, stöhnte er in seiner Ekstase und riss den Kopf zurück, umgeben von den Geistern der Schattenvögel, die seine Seele bereits so intensiv besaßen, dass er glaubte, selbst einer zu werden – ein Vogel mit schwarzen Federn, ein Aasgeier, der sich auf die Toten stürzte und sie für immer vernichtete.

„Zoras!“, hörte er irgendwen hinter sich brüllen, „Hör auf, Himmel noch mal, d-du wirst uns alle zerfetzen! Lass sie los, die Geister! Zoras, bitte!“

Lass sie los.

Das hatte Neisa oft gesagt. Die Gedanken an seine Frau bremsten seine Ekstase und er senkte den Kopf keuchend wieder, als der Schatten verschwand, mit ihm die Vögel und das Rauschen in seinem Kopf. Als er wieder klar sehen konnte, lagen die anderen um ihn herum verteilt am Boden des Korridors. Manche sahen bewusstlos aus, manche zuckten, irgendwer hatte sich erbrochen. Zoras atmete heftig ein und aus und starrte auf das, was seine bloße Macht der Schatten angerichtet hatte; die bloße Ausstrahlung der Macht eines Seelenfängers zwang diese Leute einfach in die Knie. Selbst Karana... und er erinnerte sich, dass er Karana schon einmal auf so eine Weise in die Knie gezwungen hatte auf Zuyya. Jener Karana war es, der ihn jetzt, auf allen Vieren bebend am Boden kauernd, anstarrte, die grünen Augen in blinder Panik weit aufgerissen und irgendwie um Kontrolle kämpfend.

„Himmel... lass sie los...“, stammelte er dabei und Zoras strauchelte. Yarek kam zuerst wieder auf die Beine und schlug den Gegnern, die am Boden kauerten oder lagen, das Bewusstsein aus dem Leib, bis sie alle reglos dalagen.

„Wir können sie töten.“, sagte Ryanne lasziv und rappelte sich auf, als wäre nie etwas gewesen, dabei ihr Dekolletee zurecht rückend. „Wozu lassen wir die Hunde leben?“

„Genau das ist der Grund.“, sagte Yarek, der sich eine Kippe ansteckte, und Zoras sank jetzt heftig hustend zu Boden, ließ die Hellebarde fallen und schlug sich die Hände vor den Mund, als die plötzliche Erschöpfung ihm Übelkeit verschaffte. „Sie sind Hunde. Der Herr ist es, den wir töten müssen, damit sie aufhören zu kläffen. Was immer Manha denen versprochen hat... oder Kyeema, die nicht da ist... es ist nicht ihre Schuld, was sie hier tun.“

„Dass ausgerechnet du so ein Pazifist bist.“, seufzte Simu beeindruckt und Zoras versuchte unter Stöhnen, sich aufzurappeln.

„Nein.“ sagte Karana kalt, der auch aufgestanden war und seine Fassung zurück hatte, „Den Herrn töten nicht wir... sondern ich. Es ist meine... Bürde als Erbe des Lyra-Clans. Er ist mein Urgroßvater. Ich werde das zu Ende bringen, was meine Vorfahren bei Kelars Tod begonnen haben. Dieses Mal... muss auch die Seele zerstückelt werden.“

„Wo willst du hin?!“, fragte Simu und Zoras starrte Karana an, der auf ihn zu und an ihm vorbei ging, erst langsam, dann fester und schneller. Er kletterte über die bewusstlosen Schakale hinweg und wurde noch schneller.

„Ich suche Manha.“, grollte Karana, „Wenn er gerade müde ist, ist das eine Chance. Rettet Neisa und verschwindet von hier. Zur Not setze ich das Schiff in Brand.“

„Bist du verrückt geworden?!“, keuchte Simu und Zoras brauchte dank seiner Benommenheit etwas, um zu begreifen, was sein Schwager vorhatte. „Du kannst dich ihm nicht alleine stellen, das ist glatter Selbstmord! Denkst du, Iana würde das wollen?! Und nur, weil sie gerade ohnmächtig ist, lässt du sie links liegen!“

„Das ist meine Aufgabe!“, brüllte Karana durch den Korridor, „Niemand von euch kann mir dabei helfen, Simu! Nicht einmal du... mein Bruder.“ Zoras hatte sich aufgerappelt und seine Waffe ergriffen, jetzt sah er zu Karana, der sie alle blöd angrinste. Wie er dieses Grinsen immer gehasst hatte... es weckte selbst jetzt noch in ihm einen unruhigen Schatten, eine Nervosität, die ihn besorgte.

Etwas war falsch. Etwas würde passieren... irgendetwas.

„Irgendwie geht das schon.“, sagte Karana grinsend und winkte, „Ich gehe jetzt, passt auf Iana auf. Und Zoras...“ Zoras konnte nicht antworten, sondern nur starren. Karana kehrte ihnen den Rücken und setzte seinen Weg bereits fort. „Beherrsch dich... und bleib weg von den Schatten. Tu es Neisa zuliebe, wenn du es schon nicht um deinetwillen tun willst, du Vollidiot.“
 

Sie hatten keinen Widerstand mehr. Keiner der Lianersklaven ließ sich blicken, was Yarek etwas komisch vorkam. Weniger eigentlich, dass die Sklaven sie nicht aufhielten, als sie alle Zoras durch den Korridor folgten, sondern mehr, dass nicht alle Schakale da gewesen waren gerade. Der Typ mit den Pflanzen, Yatli, hatte gefehlt, und Kyeema, die Lianerin, die sie bisher erst einmal gesehen hatten. Yarek witterte an jeder Ecke irgendeine Falle, irgendetwas, das sie übersahen, aber sie gelangten tatsächlich ohne weitere Störungen bis dorthin, wo Neisa war. Die Tür war zu; ein Schlag von Yareks Masamune und das Problem war behoben. Der Söldner spürte nicht diese Instinkte, die die anderen hatten und die ihnen sagten, dass Neisa hier war; er war letzten Endes nur ein Mensch. Ein Nichtmagier, der dazu auserkoren worden war, Magier zu beschützen, was ihm immer noch abstrus erschien. Er stellte Chenoas Worte niemals in Frage. Chenoa irrte sich nicht und sie hatte keine Vorteile davon, ihn anzulügen in diesem Punkt. Wenn sie einen Idioten gebraucht hatte, der ihre Schäfchen beschützte, hätte sie einen Magier nehmen können, so jemanden wie Yamuru zum Beispiel, wenn er nicht gerade auf Scharans Seite gewesen wäre. Falls er das wirklich war. Was Thira über seine Ziele gesagt hatte, hatte ihn nachdenklich gemacht. Es gab da etwas, das er wusste und übersah, irgendetwas in seinem Hinterkopf, das ihn immerzu irritierte... er konnte nur nicht benennen, was es war.

„Neisa!“, riss Simus Stimme ihn aus seinen Gedanken und er hob den Kopf, erstaunt darüber, dass er gar nicht überrascht war, Karanas Schwester wirklich in dem Raum vorzufinden, den er gerade brutal geöffnet hatte. Die junge Frau kauerte apathisch auf einer Pritsche und wandte jetzt wie in Trance den Kopf, um ein unweltliches, bizarres Lächeln von sich zu geben.

„Ihr seid gekommen... in den Schatten.“, wisperte sie und Yarek wusste genau, was es war, das ihn an ihrer Ausdrucksweise störte. Sie klang wie die Seherin; sie klang weit entfernt, als wäre sie gar nicht Neisa, sondern irgendeine Hülle, durch die die Geister sprachen... er schauderte unwillkürlich, als Iana sich auf seiner Schulter rührte. Da sie bewusstlos geworden war, hatte er sie sich über die Schulter geworfen, während Simu die ebenfalls benommene Eneela trug.

„Wir gehen jetzt hier raus.“, sagte Zoras zu seiner Frau, und Yarek beobachtete, wie der Kleinere in den Raum hastete, Neisa in die Arme schloss, an sich drückte und energisch küsste. „Was haben sie dir angetan?! Sprich, Frau! Ich werde jeden zerfetzen, der es gewagt hat...!“

„Wir können nicht weg.“, sagte Neisa apathisch, umarmte ihren Mann aber auch; sie teilten einen weiteren Kuss, den Yarek mit einem Husten unterbrechen musste.

„Könnt ihr das nachher beenden? Wir müssen schleunigst hier weg, es gibt noch genug Halunken hier, die uns aufschlitzen wollen könnten!“

„Karanachen ist fort.“, flötete Neisa und Ryanne kicherte hinter Yarek – verdammt, musste er sich jetzt mit zwei solchen Horrorfrauen herumschlagen?! Und die Worte der kleinen Heilerin hatten Iana aus ihrer Ohnmacht gerissen. Sie strampelte so heftig auf Yareks Arm, dass er sie loslassen musste und nur mit Mühe schaffte, sie richtig herum hinzustellen.

„Was ist passiert?!“, keuchte die Schwarzhaarige und strauchelte alarmiert, „W-wo ist Karana?!“

„Er ist gegangen, um sich dem Dämon zu stellen, der Dummkopf.“, grinste Ryanne wissend und Iana erbleichte. Yarek hatte das Bedürfnis, den Kopf gegen eine Wand zu schlagen.

„Das hättest du dir jetzt sparen können, Ryanne. - Bist du wohlauf, Neisa?! Vielleicht kann Ryanne immerhin dich schon mal rüber bringen, wir anderen suchen Karana und kommen nach.“

„Das dauert doch alles viel zu lange!“, schrie Iana und rannte bereits los, Yarek wusste gar nicht, woher sie wissen wollte, wohin sie rennen musste. „Ich gehe und suche ihn, ich habe ein ganz schlechtes Gefühl... etwas Schlimmes wird passieren, Karana darf Manha jetzt nicht begegnen! Es ist noch zu früh!“ Der Rothaarige runzelte die Stirn. Noch zu früh? Was meinte sie damit und was wusste sie denn, was sie alle nicht wussten?

„Verdammt!“, rief Simu, der die wieder wache Eneela zu Boden stellte, „Wieso macht hier eigentlich jeder, was er will, wie soll das denn so funktionieren?!“

„Hinterher!“, ordnete Zoras barsch an, der Neisa von der Pritsche und hinter sich her zerrte, „Iana hat recht, ich habe das schlechte Gefühl auch. Es ist der Schatten er... er ist überall!“

„Flieg, Vögelchen.“, tirilierte Ryanne, als die Gruppe sich umgehend rennend in Bewegung setzte, Iana folgend, die längst außer Sichtweite war. „Flieg, Vögelchen, flieg heim... dein Nestlein brennt, die Kindlein schrei'n... der Schattenmann hat sie... gefressen, ei.“

Er kam nicht dazu, sich zu fragen, was das sollte, was sie da trällerte. Als sie um die Ecke kamen, die in den nächsten Korridor führte, schossen aus dem Schatten dahinter aus heiterem Himmel dutzende von Ranken, die sie packten, in die Luft rissen und zu zerquetschen drohten, ehe sie auch nur die Chance gehabt hätten, ihre Waffen zu ziehen. Yarek schnappte nach Luft, als er kopfüber an einem Bein bis zum Rumpf hinauf von einer Pflanzenranke umschlungen im Korridor baumelte und die Masamune zu Boden fiel, ebenso wie manch andere Waffe.

„Keinen Schritt weiter, ihr... Arschlöcher.“, grollte Yatli am Boden, der die Hände weit von sich gestreckt hielt, aus denen die Ranken kamen, deren giftgrünes Glimmen in der Dämmerung des Korridors eine dämonische Wirkung hatte. „Ich werde euch zerfetzen... das schwöre ich euch.“

„Ah, Yatli.“, machte Yarek genervt, „Dann fehlt ja nur noch Kyeema.“

Sie kam, als hätte sie auf seinen Satz gewartet. Er sah nur ihre Füße, weil er kopfüber war, aber an der Stimme war unverkennbar, dass sie es war... die Lianerin, die für Scharan kämpfte.

„Ihr wollt meinem Vater an den Kragen.“, grollte sie in einer Tonart, die selbst Yarek schaudern ließ. „Dafür werdet ihr... hier und heute sterben.“
 

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Ja, keine Ahnung mehr was hier passiert ist, weils so lange her ist dass ich das geschrieben hab x__x

Thiras Schwäche

Die Zeiten waren gut aufeinander abgestimmt gewesen. In dem Moment, in dem Thira wusste, dass die anderen auf Scharans Schiff waren, spürte sie die Tari Randora merklich kälter werden, während sie durch den Korridor rannte. Sie fand Yamuru durch bloße Instinkte; als sie ihrem Cousin letztlich irgendwo in der Nähe des Hecks der Tari Randora gegenüber stand in einem der Korridore, die Kouriha bereits gezogen und darauf vorbereitet, ihn auseinanderzunehmen, lächelte er sie an. Es war dieses überlegene, arrogante Lächeln, das sie an ihm so verabscheute; diese Fratze, in der immer dieses Amüsement steckte, das sie verspottete, ohne dass ihr Vetter auch nur ein Wort sagte. Keuchend hielt sie an und umklammerte ihre Waffe, ihren Hass auf ihn herunter zwängend; wer mit Hass kämpfte, hatte vielleicht mehr Schlagkraft, war aber auch blind. Sie wusste, wieso die Zuyyaner seelenlos genannt wurden. Weil Emotionen beim Kampf nur behinderten und die Sicht auf das Ziel blockierten. Das war der Grund, aus dem jedem zuyyanischen Krieger eingebläut wurde, seine Emotionen zu verschließen... und den Schlüssel wegzuwerfen.

Und Yamuru konnte das nicht... er war wie ein offenes Buch. Das war der große, vielleicht einzige Fehler, den dieser Mann besaß... der einzige Punkt, an dem sie ihn treffen könnte.

„Du bist allein gekommen.“, stellte sie kalt fest, „Dann hältst du dich an die Abmachung.“

„Wir wollen ja fair bleiben.“, sagte er lächelnd, „Ich habe nicht vorgehabt, dir eine lange Nase zu drehen. Hast du geglaubt, es würde für deine... Kameraden so leicht, Neisa zurückzuholen, nur, weil ich jetzt nicht da bin? Ich bin nicht der einzige Kämpfer da.“

„Aber der gefährlichste.“, sagte sie und erntete schallendes Gelächter von ihm.

„Du rührst mich. Dein Respekt ehrt mich, Cousine.“

„Für die anderen der gefährlichste, weil du zwei Reikyus hast.“, addierte sie schnarrend und zog mit einem kurzen Zischen ihre Waffe hoch, „Ich werde mit dir fertig. Du magst Großmeister sein, aber du hast etwas, das dich töten wird, Yamuru Mirrhtyi... etwas, das ich nicht habe.“

„Mir fallen da mehrere Dinge ein, die ich habe und du nicht, mit denen ich dir zumindest wehtun könnte.“ Sie ging nicht darauf ein und stürzte sich ohne weitere Umschweife frontal auf ihn. Mit einem Satz zurück hatte er jedoch seine Sanhari gezogen und mit ihr den Schlag der Kouriha geblockt, dass es laut klirrte. Thira verzog keine Miene und schlug noch mal nach ihm, er jedoch ließ aus einer Waffe Eissplitter schießen, denen sie haarscharf ausweichen musste, um nicht skalpiert zu werden. Mit einem Schwung ihrer eigenen Waffe zerschmetterte sie den letzten Eiszapfen direkt vor ihrem Gesicht und versetzte ihrem Vetter einen Hieb, der ihn tatsächlich zurückdrängte.

„Hier drinnen nützen dir die Eismassen da draußen, die danach lechzen, dir zu dienen, gar nichts!“, keuchte das junge Mädchen und wirbelte herum, als er einen Gegenangriff startete und sie mit seiner Sanhari zurück schleuderte. Wieder krachten beide Eiswaffen klirrend aufeinander.

„Oh, ich könnte sie herein zitieren. Aber das würde die Tari Randora demolieren, das wäre ein Jammer. Chenoas Vater hat sich so viel Mühe gegeben, sie zu bauen, und ich weiß ja jetzt, wie Nervenaufreibend so eine Fertigung ist.“ Es folgte ein rasanter Schlagabtausch beider Fronten, bei dem noch diverse Eissplitter durch den Korridor jagten und sich teilweise tief in die Wände bohrten oder zumindest mit ätzendem Geräusch riesige Kratzer hinterließen.

„Hast du geglaubt, ich gäbe dir die verfluchte Karte tatsächlich, wenn du kommst?“, fragte Thira ihren Cousin, als die Klingen erneut aufeinander stießen und er sich plötzlich so dicht zu ihrem Gesicht herab beugte, dass sie beinahe mit ihrer Nase die seine berührt hätte. „Dumm von dir, Yamuru.“

„Ich habe nie geglaubt, du würdest sie mir geben.“, grinste er sie an und kam noch etwas näher, während sie mit der Klinge der Kouriha gegen seine Waffe drückte und versuchte, ihn weg zu stoßen. „Aber kriegen werde ich sie trotzdem... weil du schwach bist.“

Sie riss die Kouriha mit einem gewaltigen Ruck nach oben und traf ihn am Arm. Er war zwar überrascht, wie es aussah, aber keineswegs beunruhigt, denn das alberne Grinsen wischte ihm der Angriff nicht aus dem Gesicht, als er zurückfuhr und einem neuerlichen Angriff seiner Cousine geschickt auswich. Sie schlug nach ihm und glaubte bereits, sie würde seinen Hals erwischen... dann bewies er ihr, dass er in allen Punkten vor ihr war. Er war größer als sie, kräftiger, schneller, und er seinerseits schien genau zu wissen, was er machen musste, um sie zu kriegen... was sie von sich nicht behaupten konnte, wie sie gerade leicht verärgert feststellte. In dem Moment, in dem er sie packte und rückwärts gegen die Wand des Korridors stieß, in dem Moment, in dem er ihr die Sanhari gegen die Kehle presste und mit einer einzige Bewegung seines linken Reikyu-Auges dafür sorgte, dass sie ihre eigene Waffe klirrend fallen ließ, war Thira plötzlich klar, dass er die ganze Zeit nur gespielt hatte. Dass er sie hatte glauben machen wollen, sie könnte ihn schlagen, und jetzt machte er auf einmal ernst und sie war entwaffnet.

Wie eine gefangene Kriegerin reckte sie das Gesicht trotzig in die Höhe und begegnete seinem intensiven Blick voller Kälte und Abscheu. Sie würde ihm ins Gesicht sehen... sie würde nicht demütig vor ihm kriechen, egal, was auch immer er ihr mit seinem Auge antun würde. Es war noch nichts verloren, auch, wenn es gerade schlecht aussah. Keuchend schnappte die Grünhaarige nach Luft und sah Yamurus Lächeln verschwinden, als sie in seine verschiedenen Augen starrte. Die Farbe seines rechten Auges war Magenta... die Farbe von Macht, die Farbe von Magie. Magentafarbene Augen waren selten und soweit Thira wusste insbesondere eine Eingenart der Blutsverwandten des Mirrhtyi-Clans. Ihre eigene Mutter, selbst ein Abkömmling der Mirrhtyis, hatte ebenfalls magentafarbene Augen gehabt.

„Siehst du... schwach.“, amüsierte sich der junge Mann und beugte sich drohend über sie, als sie gegen ihren Willen schauderte. Was war es, das ihr so eine Gänsehaut verschaffte? Die Waffe an ihrer Kehle, mit der er sie jeden Moment aufschlitzen könnte? Oder doch eher sein Gesicht, das ihrem für ihren Geschmack etwas zu nahe kam...? Im nächsten Moment fuhr sie zusammen, als seine Hand ihren Oberarm losließ, den sie gerade noch gegen die Wand gepresst hatte, und stattdessen zu ihrem Oberschenkel glitt und den Saum ihres kurzen Kleides streifte –

„Du wirst sterben, Yamuru! Noch einen Schritt näher... und ich töte dich!“, fuhr sie ihn an und riss mit aller Kraft den Blick von seinen Augen los, als sie das Bein empor schnellen ließ und es ihm zwischen die Beine rammte. Er keuchte und wurde sichtlich bleich im Gesicht, der Moment seiner Pein reichte ihr, um ihre Arme loszureißen und die Reikyu zu beschwören... doch kaum einen Moment später packte Yamuru sie etwas gröber am Handgelenk und rammte sie erneut mit einem brutalen Stoß gegen die Wand in ihrem Rücken, sodass sie aufkeuchte und sämtliche Reikyus vergaß. Er machte keinen Hehl daraus, dass ihr Tritt ihm ziemlich wehgetan haben musste und ihn erzürnt hatte, und sie fragte sich, ob sie ihn jetzt zum ersten Mal wütend sah statt blöd grinsend.

„Ah-ah-ah, nicht so eilig.“, tadelte er sie in der Manier eines Vaters, der mit seinem Kleinkind schimpfte, und sie sah ihn innerlich wüst gegen den brutalen Schmerz in seinen Weichteilen kämpfen. „Berechnend, Cousine... wir sind hier noch lange nicht fertig. Gibst du mir die Karte freiwillig?“ Sie schnaubte ihn an und wich seinem Gesicht aus, das ihrem schon wieder zu nahe kam.

„Geh mir vom Leib!“, blaffte sie ihn an, „Komm nur noch näher und du wirst es bereuen!“

„Verstehe, ist wohl das erste Mal, dass dir irgendein Mann so nahe kommt. Die Männer auf Tharr früher waren wohl nicht sonderlich nett zu dir...?“ Sie zischte. Da war es wieder, sein Lächeln. Obwohl sie ihn nicht ansah, spürte sie es deutlich... wie schnell hatte der bitte seine Schmerzen überwunden? „Vergib mir, dass ich so grob bin, Thira. Aber da du geschworen hast mich zu töten, müsste ich um mein Leben fürchten, würde ich es sanfter angehen... von daher bleibt mir ja keine andere Wahl. Ja, ich habe mich an die Abmachung gehalten. Jetzt wird es Zeit, dass du das auch tust. Gib sie mir, Thira. Dann wird es weniger schmerzhaft.“

„Du kannst mich mal. Hol sie dir, wenn du dich traust.“, entgegnete sie kaltblütig und als sie wieder in sein Gesicht sah, schauderte sie – das Grinsen, das sich auf seine Lippen schlich, unterschied sich irgendwie von dem üblichen. Sie wusste nicht, auf welche Weise... sie begriff nicht, was in ihm vorging, und zum ersten Mal stellte sie fest, dass Emotionen, wie er sie so offen ausstrahlte, sie absolut verwirrten. Er fühlte irgendwas, er dachte sich irgendwas, genau jetzt, und was es war, konnte sie einfach nicht erfassen... sie wäre ohnehin nicht dazu gekommen, denn im nächsten Moment packte er sie, riss sie von der Wand weg und stieß sie zur Seite, um sie frontal mit der Sanhari anzugreifen. Ihrer Kouriha beraubt blieb ihr nichts anderes übrig als ihm auszuweichen, aber als sie herum wirbelte, war er plötzlich wie aus dem Nichts wieder vor ihr, versperrte ihr den Fluchtweg, packte sie abermals und schmetterte sie mit einem gewaltigen Stoß gegen die nächste Wand, die daraufhin aber nachgab. Thira merkte noch während sie rückwärts zu Boden stürzte, dass es keine Wand, sondern eine Tür gewesen war, gegen die er sie geschleudert hatte, und als sie in den Raum dahinter hinein gefallen war und sich aufrappelte, folgte er ihr in das Zimmer und knallte die Tür zu. Thira keuchte heftig und spürte den Schmerz in ihrem Kopf und Rücken nur geringfügig, während sie zusah, wie ihr Cousin mit einer simplen Bewegung seiner Waffe einen Schwall Eis auf die Türklinke und das Schloss schleuderte, worauf beides einfror.

„So.“, behauptete er wieder seelenruhig, „Jetzt kannst du nicht raus und keiner rein, bis ich den Zauber auflöse. Ich habe alle Zeit der Welt, Thira. Du wirst hier nicht rauskommen und ich nicht gehen, bis ich die verfluchte Karte habe. Und deine Kouriha liegt draußen, ich habe eine Waffe und eine Reikyu mehr als du, du bist geliefert. Also, wie geht es weiter?“

Er verspottete sie. Sein ganzes Sein veräppelte sie, sein zufriedenes Lächeln, mit dem er sie jetzt musterte, als wäre sie ein Stück Fleisch, sein magentafarbenes Auge, sein anderes Auge erst recht. Sie spürte Zorn in sich und verdrängte ihn... sie musste kalt bleiben, wenn sie nicht wollte, dass er sie angreifen konnte. Nirgends war der Mensch leichter anzugreifen als an seinen Gefühlen... und obwohl Yamuru seine so offen ausspielte, als hätte er gar nichts zu verlieren, war es ihr noch nicht gelungen, ihn zu schlagen. Irgendetwas übersah sie... irgendwie.

Sie trat zwei Schritte rückwärts im Raum, weg von Yamuru.

„Du wirst mich töten müssen, wenn du die Karte willst.“, schnarrte sie giftig. „Ich werde sie dir nicht geben, Yamuru.“

„Immerhin warst du so vorausschauend, sie tatsächlich bei dir zu tragen, statt sie irgendeinem deiner Kumpels anzuvertrauen.“, amüsierte er sich und putzte mit zwei Fingern imaginären Dreck von der Sanhari. „Ich meine, eigentlich ist das doch ziemlich dumm von dir.“

„Die Karte gehört mir.“, grollte Thira, „Und ich beschütze sie mit meinem Leben. Das ist meine Bürde und nicht die der anderen. Die haben genug zu tun.“

„Nein, daran liegt es nicht.“, behauptete Yamuru und wurde plötzlich ernst. „Du vertraust ihnen nicht. Du vertraust niemandem, weil du Gefühle... verabscheust. Und vertrauen kannst du nur Maschinen. Wie du eine bist... eine seelenlose Puppe. Ich bedaure dich... Cousine.“
 

Ihre Reaktion zu beobachten war köstlich. Sie zuckte; nur ganz kurz und so unscheinbar, dass er es fast übersehen hätte, aber er wusste genau, dass die Worte an der Stelle trafen, wo er sie hatte haben wollen. Sie trat einen Schritt zurück und stieß gegen die Wand des Raumes. Yamuru verkniff sich das triumphierende Grinsen, er wollte sie nicht ansehen wie ein Löwe, der gerade froh darüber war, sein dummes Beutetier in eine Sackgasse getrieben zu haben. Dieser Vergleich mit dem Löwen und dem Lamm war irgendwie auch völlig überholt. Thira war kein Lamm. Thira war ein Ungeheuer... dessen wahre Macht allerdings erst mal aufgerüttelt werde musste.

„Du... bedauerst mich?“, schnarrte sie, und er ergötzte sich regelrecht an ihrem verzweifelten Kampf um Selbstbeherrschung. Er spürte ihre Furcht – sie hatte Angst. Ob vor ihm, ob vor seinen Worten, ob vor der Wahrheit, er wusste es nicht, aber er spürte, dass ihr die Angst aus jeder Pore drang. „Wie rührend.“

„Eine Seele ist das, was uns Menschen von Steinen unterscheidet.“, belehrte er sie mit einem gönnerhaften Lächeln, das er sich einfach nicht verkneifen konnte. „Sie macht uns lebendig, sie macht uns zu Individuen, weil jeder eine Seele hat. Oder haben sollte... du bist zu lange unter Chenoas Fittichen gewesen. Chenoa hat keine Seele mehr... deswegen hat sie dir deine ebenfalls entfernt.“

„Wovon redest du da?!“, fuhr sie ihn an und als er das Gefühl hatte, sie würde sich gleich in bestialischer Manier auf ihn stürzen und ihm die Kehle zerfetzen, packte er sie blitzschnell an den Oberarmen und rammte sie mit Gewalt gegen die Wand, sodass sie keuchte. Er verhinderte, dass sie fliehen oder ihn noch mal treten konnte, und spürte wieder die Angst in ihr, als er sein Gesicht so dicht zu ihrem herab senkte, dass sich beinahe ihre Lippen berührt hätten. Ihre Nähe elektrisierte ihn. Sie machte ihn ganz hibbelig, je länger sie einfach nur da war, und diese Furcht, die sie hatte, machte alles nur noch schlimmer.

Es gab keinen Grund für sie, ihn zu fürchten...

„Jeder hat eine Seele, wenn er geboren wird.“, sagte er zu seiner hübschen Cousine und grinste, als sie versuchte, den Kopf wegzudrehen, um seinem Gesicht zu entkommen. „Manche verlieren sie, wenn sie zu viel Schlimmes erleben. Die Seele macht uns lebendig, aber auch verwundbar... sie ist gleichzeitig unsere Stärke und auch unsere größte Schwäche. Deine Seele allerdings ist nicht tot, Thira... sie ist nur versperrt, weil du zu viel bei Chenoa warst. Du hast eine... ich kann es dir beweisen.“

„Versuch es und ich werde dich töten!“, schwor sie wütend, „Ich werde dir weder die Karte noch meine Seele überlassen! Ich werde nicht zulassen, dass du irgendetwas mit mir machst, das mich schwach macht. Und die Seele ist es, die uns sterblich macht, Yamuru. Was meinst du, warum wir Zuyyaner so begnadete Krieger sind? Weil wir fähig sind, unsere Sterblichkeit... zu verschließen.“

„Macht uns das wirklich stark, wie... Steine zu sein?“, grinste er amüsiert. „Steine lachen nicht, wenn ihnen die Sonne den Rücken wärmt. Sie weinen nicht, wenn einer ihrer Brüder von einem Blitz zerschlagen wird. Sie sind einfach nur... da. Willst du sein wie ein Stein? Was passiert, wenn man einen Stein ins kalte Wasser wirft? Er geht unter, statt zu kämpfen und an der Oberfläche zu bleiben. Wenn ich dich in den Schatten werfe, Thira... wirst du untergehen... etwa so wie ein Stein.“

Er griff mit einer Hand ihr Kinn, um es wieder zu sich herum zu drehen, ehe er den Abstand zwischen ihnen überwand und sie küsste. Es war eine heikle Sache gewesen, diesen Schritt zu machen, aber es war notwendig – und es erzielte genau die Wirkung, die er erwartet hatte. Thira erstarrte, als seine Lippen ihren Mund verschlossen, und er spürte trotz geschlossener Augen, dass sie ihn anstarrte. Sie wehrte sich nicht, sie starrte nur und war wie eingefroren, bis er begann, sie etwas energischer zu küssen und mit der Zunge zwischen ihre Lippen zu fahren. Dann zitterte sie, aus ihrer Starre erwacht wie ein Frosch im Frühling, und es musste reiner Instinkt sein, der sie dazu trieb, den Mund zu öffnen und ihm entgegen zu kommen. Und sie erwiderte seinen Kuss mit einer verboten berauschenden Leidenschaft, die er ihr gar nicht zugetraut hätte, die ihm aber nur zu Gute kam, als er sie heftiger gegen die Wand drückte, den Kuss intensivierte und ihr Kinn losließ, um die Hand stattdessen auf ihren Oberschenkel zu legen und unter ihren kurzen Rock zu gleiten, bis er fand, was er gesucht hatte.

Als er sich zufrieden von ihren Lippen löste, keuchte sie und starrte ihn fassungslos an, während auf ihre Wangen eine verlegene Röte schlich, die definitiv bewies, dass sie nicht seelenlos war. Yamuru grinste, als er die Hand unter ihrem Kleid hervor zog und ihr die Karte unter die Nase hielt, die er von ihrem Schenkel montiert hatte, wo sie sie versteckt und festgebunden hatte. Wenn man zwei Reikyus hatte, war es nicht schwer, das Ding zu finden, selbst unter der Kleidung.

„Tadaa.“, machte er stolz und sah sie erbleichen, „Ich habe doch gesagt, ich kriege die Karte. War das etwa dein erster Kuss? Bedauerlich.“

Ihr Gesicht wandelte sich von fassungslos in wutentbrannt, und sie riss sich von ihm los und schlug nach ihm – er wich ihr blitzschnell aus und schleuderte die Karte samt seiner Sanhari von sich weg gegen die Wand neben der Tür, wo die Waffe das Pergament aufspießte und gegen die Wand nagelte, außerhalb ihrer beider Reichweite. Thira zischte.

„Das wirst du büßen... das wird dir leid tun, Yamuru!“

„Na, na, du hast wohl doch eine Seele. Immerhin wirst du wütend.“, grinste er und wich einem neuerlichen Schlag von ihr aus, ehe er sie mit Leichtigkeit wieder zu fassen bekam und sie abermals gegen die Wand rammte, sich so dicht gegen ihren Körper pressend, dass sie keuchend nach Luft schnappte und wieder errötete. „War ja auch hinterhältig von mir, dich zu küssen, nur um die Karte zu klauen. Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich dich geküsst hätte, weil ich dich liebe?“

„Es wäre mir am liebsten, wenn du mich überhaupt nicht geküsst hättest.“, erwiderte sie bebend und er schmunzelte.

„Ah, sicher? Das war aber nicht sehr überzeugende Abscheu gerade eben.“ Sie spuckte ihm ins Gesicht und er packte mit einer Hand ihre Kehle, drückte nur so fest zu, dass sie ins Keuchen kam, aber nicht lebensbedrohlich verletzt wurde, ehe er sich wieder zu ihr herab beugte – sie erstarrte, als er direkt vor ihren bebenden Lippen inne hielt, und ihr ganzer Körper begann vor Spannung zu zittern, als er ihre Kehle langsam losließ und in diesem geringen Abstand vor ihr verharrte. Er spürte ihre Atem in seinem Gesicht, er spürte die Hitze, die durch ihren Körper schoss wie ein Fluss aus Feuer, den er entzündet hatte, er spürte die Panik in ihrem Inneren, gemischt mit Wut... und Neugierde.

„Nur ein Wort, Thira...“, flüsterte er und hob seine Hand, um durch ihre grünen Haare zu streichen, über ihre Schulter hinab über ihr Kleid, ihren Arm, ihre Hüfte... sie war wirklich begehrenswert. Jetzt, in diesem schwachen Moment, in dem sie ihm so dermaßen ausgeliefert war, mehr als jemals zuvor. Er wollte ihr nicht wehtun... er hatte sie doch lieb. „Ein Wort, warum du... nicht wegläufst. Oder mich tötest. Du hättest es längst tun können... und doch stehst du hier und zitterst... vor Erregung.“

„Lügner!“, fauchte sie und zerstörte damit fast die empfindliche Stimmung zwischen ihnen – ihre Wut war nicht überzeugend. Sie zitterte vor Unsicherheit... ihre Stimme war ein kaum ernst zu nehmendes Japsen.

„Nur ein Wort, Thira...“, raunte er, „Neugierde.“

Dann küsste er sie wieder, dieses mal heftiger.
 

Sie tötete ihn nicht. Sie hätte es gewollt, sie war sich so sicher gewesen, dass sie es gewollt hatte, aber sie konnte nichts tun... sie konnte sich nicht wehren, als er sie küsste und in ihr diesen Rausch auslöste, den schon der erste Kuss verursacht hatte. Sie spürte, wie ein heißer Schauer aus Verwirrung, sexueller Erregung und Furcht durch ihren Körper jagte, und es wurde schlimmer. Es war wie Feuer, und es verbannte sie, ließ sie keuchend nach Luft schnappen, als er von ihren Lippen abließ, um stattdessen ihren Hals zu küssen mit einer Hingabe, die sie fast um den Verstand brachte. Sie konnte nur heftig atmen, keuchen, während ihr ganzer Körper ihr nicht mehr gehorchen wollte, sie am ganzen Leibe zitterte, als litt sie an Schüttelfrost. Dabei war ihr alles andere als kalt. Sie versuchte wutentbrannt, die Emotionen zu zerschmettern, die Yamurus Berührungen in ihr auslösten, die sie so dermaßen verwirrten und unterwarfen, die ihren Körper zu seinem willenlosen Sklaven machten... sie versuchte, dagegen zu kämpfen, aber das Gefühl war zu mächtig. Es drückte sie zu Boden, es presste ihr die Luft aus den Lungen und ließ ihr Herz vor Ekstase rasen, als sie auch wörtlich zu Boden sank, weil ihre Beine nicht mehr fähig waren, sie zu tragen. Yamuru packte sie und hinderte sie daran, umzukippen, presste sie gegen die Wand und küsste sie abermals auf den Mund. Sie küsste ihn zurück, ohne zu wissen, warum oder was sie da tat. Sie küsste ihn – sie berührte ihn, die schlang wie in einem Wahn aus Fieber und Drogenträumen die Arme um seinen Nacken, ließ zu, dass er seinen Unterleib gegen ihren drückte, genau dort, wo die Quelle der Hitze lag. Stöhnend löste sie sich aus dem wilden Zungenkuss und er packte ihr Kinn, hinderte sie daran, das flammend errötete Gesicht wegzudrehen und sah ihr in die Augen. Seine Augen waren bildschön. Zum ersten Mal sah sie in sein Gesicht und das einzige, was sie spürte, war nicht die Abscheu von sonst, auch nicht die Furcht vor seiner gewaltigen, tödlichen Macht oder der seines linken Auges; das einzige, was sie spürte, als sie ihn ansah, war die Präsenz seiner Seele. Und sie war mächtig... sie überstieg Thiras Verstand und sie wusste nicht, was sie tun sollte – nicht mal, was sie denken sollte, als sie so in den Armen ihres Cousins an der Wand hing, das rechte Bein angewinkelt und den Fuß um seine Kniekehle geschlungen, um sich an ihm festzuhalten und ihn gleichzeitig am Weglaufen zu hindern.

„Du bist sehr überzeugend darin, deine Meinung über Leute zu ändern, wie es scheint, Cousine.“, stellte er fest und sah sie erstaunt an, ehe er seine Hand hob und ihr so andächtig über das Gesicht streichelte, dabei lächelnd, als wäre sie seine einzige Gottheit, auf die er seit Jahrtausenden wartete. „Ich kann sie sehen... seine Seele. Vielleicht wirst du doch nicht untergehen... wie ein Stein, hm?“

„Warum machst du das?“, wollte sie wissen und ihre Stimme war kaum mehr als ein Wispern. Der Ton war verschwunden – die ganze Welt war verschwunden, alles war weg bis auf diese brennende Hitze in ihrem Körper, dieses Gefühl, das sie mit aller Macht unterwerfen wollte. Sie versuchte verzweifelt, es zu verjagen, aber es kam immer wieder. Es ging nicht weg, egal, was sie machte. „Du hast die Karte. Ich bin unbewaffnet, du hast gewonnen, oder nicht? Reicht es dir nicht, Yamuru?“

„Ehrlich gesagt, nein.“, flötete er guter Laune und sein Grinsen machte sie rasend. Sie wollte ihn tot schlagen. Sie wollte ihn zerschmettern, sie wollte seine Seele zerreißen, diese Macht, die sie so faszinierte, die so unglaublich schön und... begehrenswert war. Gleichzeitig wollte sie, dass er sie wieder küsste, dass er sie berührte, dass er weiter machte und diese Flamme in ihrem Inneren so sehr schürte, bis sie daran zu Grunde ging – verdammt, sie musste sich beherrschen! Sie musste das unter ihre Kontrolle zwingen... wo war die Seelenkontrolle geblieben, derer sie sonst mächtig war? Es war, als hätten die paar Küsse ihr ganzes Können einfach weg gepustet. „Wir sind die letzten Kinder der Himmelclans, Thira. Die letzten, die... vom Westclan und Nordclan übrig sind. Wir sind die Kinder Kataris, der Gottes der Zuyya, unseres gemeinsamen Urahnen, und wir sollten... unsere höchsten Ahnen verehren, denkst du nicht?“ Sie schüttelte sich und wand sich in seinem Griff, versuchte mit aller Macht, sowohl seelisch als auch körperlich, von ihm loszukommen.

„Wenn du geglaubt hast, ich werde deine Frau und lasse dich die Erben deines Clans zeugen, dann hast du dich geschnitten!“, fuhr sie ihn an, „Du kannst mich nicht so unterwerfen, Yamuru!“ Er lachte zu ihrem Ärgernis.

„Du wirst deine Bestimmung noch finden, kleine Thira... und ich meine. Katari hat unser Schicksal bereits bestimmt. Und früher oder später wirst du diesem dir vorbestimmten Weg von ganz allein folgen. Dafür ist immerhin doch die… Trias da, oder?“

Sie erstarrte. Moment. Die Trias... er sprach davon. Von ihrem wahren Zweck, genau das, was sie nicht verstand. Das, wovon Karana geträumt hatte – verdammt, sie musste das erfahren, sie musste diese Antwort haben...

„Was ist die wahre Bedeutung der Trias? Was hast du neulich damit gemeint und… wozu wurde sie bitte gebaut, wenn nicht dazu, die Menschheit zu retten?!“

„Vielleicht dient sie ja dazu, die Menschheit zu retten.“, erwiderte er, „Chenoa hat dich also im Unwissen darüber gelassen, was… die wahren Pläne deines Großvaters und auch Alrik Jchrrahs waren…?“ Thira starrte ihn an.

„Wovon redest du, antworte endlich!“, zischte sie, „Ich bin es leid, dich zu löchern!“

„Wirst du meine Frau, wenn ich es dir sage?“, fragte er grinsend, und zur Antwort schnaubte sie ihn trotzig an.

„Niemals!“

„Auch gut, dann verrate ich es dir eben nicht...“, entgegnete er langsam, und sie keuchte, als er sich wieder zu ihr herunter beugte. Seine Hände ergriffen ihre Oberarme und er drückte sie mit sanfter Gewalt wieder gegen die kalte Wand, worauf sie nach Luft schnappte. Yamuru lächelte. „Sag mir… was fühlst du gerade, Thira? Ist dir warm…?“ Sie japste nur und starrte ihn trotzig an, ihm die Antwort schuldig bleibend.

Sie hätte ihn erschlagen sollen. Weglaufen sollen, irgendetwas tun sollen, aber sie konnte nicht. Sie konnte nur starren, direkt in sein Gesicht unmittelbar vor ihrem... direkt in seine so berauschende, mächtige Seele, die ihr Angst machte und in ihr gleichzeitig eine so heftige Erregung verursachte, dass sie leise stöhnte, als Yamuru sich zu ihrem Mundwinkel beugte, sie dort küsste und dann eine Spur von Küssen ihren Hals hinab bis zu ihrem Schlüsselbein setzte.

„Du antwortest ja gar nicht, Thira…“ machte er amüsiert, als er am Ausschnitt ihres Kleides angelangte. Sie schloss zitternd die Augen, versuchte krampfhaft, sich auf dieses Mysterium um die Trias zu konzentrieren, aber es gelang ihr beim besten Willen nicht, und nur noch weniger, als er eine Hand hob und sie vorsichtig auf ihre Brust legte. Sie schnappte nach Luft und öffnete die Augen wieder, um ihm abermals in das bildschöne Gesicht zu starren, das wieder vor ihrem war.

„Ich habe meine Kouriha nicht… aber wenn ich sie wieder habe, stirbst du für das hier…“ versprach sie ihm keuchend, und er grinste.

„Das werden wir ja sehen.“
 

Ihr war heiß. Die Hitze pulsierte in ihrem Inneren wie etwas Lebendiges, wie etwas, das seinen eigenen Willen hatte, als Yamuru sie ein weiteres Mal verlangend auf die Lippen küsste, auf eine Weise, die sie berauschte und alles andere aus ihrem Kopf verjagte. Sogar die Gedanken an den Zweck der Trias, den er ihr einfach nicht nennen wollte. Sogar die Gedanken an ihre Kameraden, die Gedanken daran, dass sie ihren Cousin töten sollte, statt sich ihm so an den Hals zu werfen... alles war weg, übrig blieb allein das Feuer, das sie eigentlich fürchtete. Sie hatte Feuer immer gehasst. Feuer war die letzte Erinnerung, die sie an ihre Eltern hatte, als sie noch gelebt hatten, denn im sengenden Feuer des Vulkanausbruches 989 war sie von ihrer Mutter in ein nach Tharr fliehendes Raumschiff gestoßen worden, damit sie in Sicherheit käme. Sie war ein Eiskind, Feuer war grundsätzlich ihr Feind. Aber jetzt ließ sie zu, dass der Feind sie berührte, sie verschlang mit Haut und Haaren, als sie Yamuru auf die Lippen küsste und seine Hände begannen, an ihrem Kleid zu nesteln, es ihr von den Brüsten zu ziehen und sie auf eine Weise dort zu berühren, die sie sich nie im Leben jemals hätte ausmalen können. Sie stöhnte und lehnte den Kopf gegen die Wand, als er mit routinierten, erfahrenen und doch irgendwo flatterhaften Bewegungen ihre Brüste sanft drückte, ihre Brustwarzen stimulierte, bis sie sich hart aufrichteten, und dabei ihre Kehle küsste, als würde er sie gleich beißen und wie ein Raubtier in Stücke reißen. Sie zog das rechte Bein etwas an und schob es unwillkürlich nach oben, um mit dem Knie an seinem Oberschenkel entlang zu reiben, gefährlich nahe an der Mitte, und sie spürte, dass er schauderte. Es war das erste Mal, dass sie so von einem Mann berührt wurde; oder dass sie einen Mann so berührte. Und Yamuru war ein Mann... definitiv, dachte sie verwirrt, berauscht und erregt zugleich, als sie das Knie noch etwas anhob und es gegen seinen Schritt drückte. Er war bereits hart vor Verlangen nach ihr und sie spürte ihn mit einem unruhigen Stöhnen etwas von ihr zurückweichen, sodass sie das Knie wieder sinken ließ, gleich darauf küsste er sie erneut und presste sich gegen ihren Körper, sodass sie seine unverkennbare Männlichkeit jetzt an ihrem Bauch spüren konnte. Keuchend riss sie sich aus dem Kuss los und lehnte den Kopf zurück, sah aber sofort wieder nach vorne und in Yamurus Gesicht; seine Wangen zierte ein etwas unseriöser Rotschimmer und er hüstelte.

„Ich bin... nicht hier, um dir wehzutun, Thira.“ Sie zischte und errötete ebenfalls, während die Erregung in ihrem Inneren brannte wie eine unlöschbare Flamme, die sie ganz verrückt machte und die in ihrem Inneren danach schrie, dass er weiter machte...

„Ich hasse... dich, Yamuru!“, japste sie schwer atmend und wurde mit jedem Wort lauter, ihre Stimme fester, als sie mit aller Macht gegen den Willen ihres eigenen Körpers anzukämpfen versuchte. „Ich hasse dich! Ich werde dich umbringen!“

Er packte sie an den Armen und rammte sie gegen die Wand, erneut. Und er beugte sich wieder über sie und küsste sie auf diese gierige, leidenschaftliche und irgendwie trotzdem sanfte Weise, die die Hitze in ihr wie eine Flamme ausschlagen ließ.

„Ja, tu das.“, raunte er gegen ihre Lippen, als er den Kuss beendete und das Gesicht so dicht an ihrem ließ, dass er sie durch die Bewegungen seines Mundes fast gleich wieder küsste, „Hasse mich, Thira Jamali, es sind Emotionen, es ist deine verdammte Seele! Ich will, dass du eine Seele hast, ich will, dass du brennst unter dem Feuer... deiner Seele!“ Und sie schrie beinahe, hätte er sie nicht wieder intensiv geküsst, als seine Hand unter ihren Rock und zwischen ihre Schenkel fuhr. Er ließ ihr die Unterwäsche an; aber die Art, in der er mit den Fingern selbst mit der Unterhose dazwischen über ihre empfindlichste Stelle rieb, machte sie fast wahnsinnig vor Lust. Sie fragte sich irgendwo in dem Nebel aus Erregung, der sie umgab, mit wie vielen Frauen er wohl schon geschlafen hatte. Er musste jedenfalls eine beachtliche Menge Erfahrung haben, er schien genau zu wissen, was er zu tun hatte, dabei wusste Thira selbst nicht mal, was sie am meisten erregte... sie hatte doch keine Ahnung von sowas. Es war das erste Mal, dass sie solche Emotionen erlebte, und es brachte sie um. Sie wand sich keuchend unter seiner Hand, unter seinen Küssen, sie wollte mehr, sie wollte, dass er mit ihr tat, was Männer nun mal mit Frauen taten – sie wollte sich diesem so tödlichen Feuer mit Entzücken hingeben und sich einfach gehen lassen, obwohl all diese Empfindungen, die plötzlich auf sie einströmten, sie so verwirrten und beunruhigten, dass an Entspannung gar nicht zu denken sein sollte... es fühlte sich an, als wäre sie gar nicht mehr Thira Jamali. Ja, sie war irgendwo weit weg, die, die hier auf dem besten Weg war, zum ersten mal in ihrem Leben Sex zu haben, und das mit ihrem Cousin, war eine andere, eine, die sie nicht kannte und die in ihr Panik weckte – aber es war eine berauschende, gute Panik, die ihr Verlangen nach diesem verdammten Mann so sehr steigerte, dass sie glaubte, sie müsste platzen –

Und in dem Moment hörte er plötzlich aus heiterem Himmel auf. Thira öffnete die roten Augen und starrte ihm keuchend ins Gesicht, als er sie losließ und sich zurückzog, als wäre nie etwas gewesen. Ihr Herz raste und alles in ihr kribbelte und zitterte vor Verlangen nach ihm, sie brauchte länger als nötig, um zu begreifen, dass er nicht vorhatte, weiter zu machen. Eigentlich schnallte sie es erst, als er bei der Tür angekommen war und seine Sanhari und die Karte aus der Wand zog, mit einer Handbewegung den Eiszauber von der Türklinke löste und dabei war zu gehen.

„Halt!“, schrie sie ihm nach, „W-was wird das hier?!“

„Deine Kameraden kommen zurück.“, flötete er und sie hatte das Gefühl, ihr Gesicht müsste verglühen vor Schamesröte, die ihr empor stieg, als sie daran dachte, dass dieser Typ sie gerade so unverschämt intim berührt hatte. Dass er jetzt offenbar unverrichteter Dinge abhauen wollte, schürte eine Wut in ihr, gepaart mit Demut und Scham über ihre eigenen Gefühle, dass sie hätte schreien können.

„Das wagst du nicht!“, blaffte sie ihn an und hatte Mühe, ihren Pragmatismus zurück zu gewinnen, als sie ihm nachsetzte in den Korridor, „Du wirst nicht mit meiner verdammten Karte davon kommen, Yamuru Mirrhtyi!“ Doch als sie ihn beinahe erreicht hatte, war er plötzlich im Nichts verschwunden, und noch immer benebelt von dem Rauschgefühl in ihr und dem Zittern ihrer Knie fuhr Thira herum, als sie seine Stimme plötzlich direkt neben sich vernahm, wohin er sich mit unmenschlicher Geschwindigkeit bewegt haben musste. Das konnte jeder Zuyyaner, der gut in Seelenkontrolle war, aber normalerweise konnte Thira diese Bewegungen vorher einschätzen und orten – dass sie jemand auf solche Weise überraschte, war eigentlich nicht möglich, hatte sie geglaubt. Sie verabscheute Yamuru für das, was er mit ihr machte – dieser Hurensohn. Er hatte genau gewusst, was für Wirkungen seine Berührungen haben würden, er hatte das alles gewusst und genau deswegen getan. Allein die Gedanken an das Erlebnis von eben lähmten sie vor gleichzeitiger Demut und dem immer noch flammenden Verlangen nach mehr, das sie verzweifelt zu unterdrücken versuchte.

„Keine Angst, wir haben uns bestimmt nicht zum letzten Mal gesehen, Thira.“, sagte Yamuru zu ihr und sie starrte ihn an, das Gesicht errötet vor Zorn und Verlegenheit über die Demütigung, die er ihr antat. „Du wirst... schon noch auf deine Kosten kommen. Du hast gelogen, weißt du? Du hast ja... eine Seele, ich habe sie genau gespürt. Eben gerade... war sie da.“ Er grinste sie an und fasste in beinahe ekelhafter Zärtlichkeit mit den Fingern nach ihrem Kinn. Sie ohrfeigte ihn und beschwor in rasender Wut ihre Reikyu herauf, bereit, ihn zu töten.

„Fass mich nicht an!“, schrie sie, „Du hättest mich um ein Haar vergewaltigt und klaust meine Karte und denkst, ich würde dich ziehen lassen?! Dann hast du meine Gutmütigkeit weit überschätzt, Cousin. Ich habe kein Mitleid mit dir, nur, weil du ein fehlgeleiteter Irrer bist.“ Er trat einen Schritt zurück, absolut unbeeindruckt von ihrer Ohrfeige, und grinste triumphierend.

„Na, na.“, machte er tadelnd, „Jetzt wirst du unhöflich. Ich weiß, du bist sauer, ich hab aufgehört, bevor du kommen konntest. Aber ich bin nicht scharf darauf, mich jetzt noch mit dem Rest eurer Bagage herum zu schlagen, vergib mir... Thira.“ Das war alles, was er sagte, und als sie wutentbrannt all ihre Macht darauf konzentrieren wollte, sein Unterbewusstsein mittels Reikyu brutal in Stücke zu reißen, verschwand er spurlos. Und sie blieb zurück auf dem mit kaltem Licht erhellten Korridor der Tari Randora, mit zitternden Knien und der Röte im Gesicht, die nicht weggehen wollte, die Reikyu in der Hand und mit diesen abscheulichen Gedanken, die sich nicht verjagen ließen... mit diesen Gedanken an das, was er eben mit ihr gemacht hatte, und an das Feuer, das in ihrem Inneren verzweifelt brannte, so heftig, dass es ihr Angst machte. Und zum ersten Mal in ihrem Leben verspürte Thira eine so wahnsinnige Todesangst davor, an diesem Feuer zu verbrennen, dass ihr die Tränen kamen.
 


 

______________
 

Muh! oô

Die Seele des Dämons

Karana rannte. Die Tari Randora Zwei war eigentlich genauso aufgebaut wie die Tari Randora, logischerweise, aber er wusste trotzdem nicht im entferntesten, wo in diesem verdammten Schiff er war, noch wusste er, in welche Richtung er rannte. Richtung Bug, vermutete er, aber er konnte sich auch irren – alles, was er tat, war seinen Instinkten folgen, der Eingebung, dass die Geister ihn in diese eine Richtung zogen, dass sie wollten, dass er hier war und rannte. Sie zischten in seinem Kopf und es schmerzte, weil sie zu viel auf einmal sagten, was er nicht verstand.

„Lauf, Karana, lauf und falle in den Schatten... wie es dein Schicksal ist, Urenkel von Kelar, dem Tyrannen.“

„Kehr um, Karana, es ist zu früh. Du wirst scheitern, wenn du zu früh läufst. Der Schatten ist mächtig... er ist zu groß, selbst für dich.“

„Ach, jetzt haltet die Klappe!“, fuhr Karana die Geister an, „Einigt euch oder seid still!“ Er blieb an einer Weggabelung stehen. Ein Korridor führte nach rechts und einer nach links, und er stand einen Moment unschlüssig da und versuchte sich zu erinnern, wo er hin musste. Seine Instinkte waren so aufgewühlt, sein Puls raste und sein Herz drohte jeden Moment auszusetzen aus einer Furcht heraus, die er tief im Inneren verspürte.

Der Furcht vor der Konfrontation mit Ulan Manha, dem Dämon, die ihm unmittelbar bevorstand. Er konnte ihn spüren... den Geist seines Urgroßvaters, den Geist des Dämons, der so mächtig und gefährlich war. Er war überall und es fühlte sich übel an, wie eine todbringende Seuche, die jeden befiel und zu Tode ätzte, wenn sie einen erwischte.

„Hör auf dein Herz.“, sagten die Geister und Karana stutzte, weil er die Stimme kannte. Sie war ihm so entfernt vertraut und doch ein so eingefleischter Teil von ihm selbst, dass es ihm töricht vorkam, sie nicht anzuhören... irgendwie. „Hör auf dein Herz und tu das Richtige, Karana. Du darfst die Furcht dich nicht einnehmen lassen... du musst sie verjagen, du bist stark genug dafür. Schließ die Augen... der Windgeist wird dir die Richtung zeigen, die dein Herz zu finden hofft... irgendwie tut er das immer.“

Karana gehorchte und schloss die Augen, und für einen Moment war es absolut still. Kein Mensch war ihm im ganzen Schiff begegnet; es war, als wären er und Scharan die einzigen Menschen auf diesem Schiff, was natürlich ein Irrtum war. Aber es war nur seine Präsenz, die er fühlen konnte... und sie kam von links. Karana öffnete die Augen wieder und wandte sich also dem linken Korridor zu, um weiter zu rennen. Die Geister waren verstummt in seinem Kopf – stattdessen hörte er das laute, beständige Pochen seines eigenen Geistes, das Rumoren des Schattens tief in seiner Seele. Es war so laut, als schlüge er mit einem Vorschlaghammer gegen die Metallwände, und es bereitete ihm wahnsinnige Kopfschmerzen, die er vehement zu ignorieren versuchte, als er das Ende des Korridors erreichte, an dem eine Tür war. Keuchend blieb er davor stehen und starrte sie an – es war in dem Moment, dass er den Schatten deutlicher und grauenhafter fühlen konnte als jemals zuvor. Der Moment, bevor er die Stimme hörte, nach der er gesucht hatte... und vor der er gleichzeitig panische Angst hatte.

„Ich habe gewusst, du würdest kommen... Karana. Und es ist gut, dass die Fäden... des Bannmals dich hergezogen haben, so, wie ich es wollte. Die Fäden, die mir die Macht geben... dein Schicksal zu bestimmen, Sohn von Puran Lyra, Herr der Geister und König... des Reiches Kisara.“ Karana fuhr herum, als aus dem Schatten des toten Winkels der Mann trat, den er erwartet hatte. Der Jüngere ballte unmerklich die Fäuste und griff mit einer Hand unwillkürlich nach dem Schwert von Mihn.

„Ulan Manha... oder sollte ich sagen... Tag auch, Urgroßvater?“
 

Es war etwas her, seit er Ulan Manha zum letzten Mal gesehen hatte. Seit sie aufgebrochen waren mit der Tari Randora, hatte er immer nur seine Schergen geschickt... Karana war es, als wäre seit der letzten, fatalen Begegnung mit diesem Mann Jahrhunderte vergangen, und dennoch hatte sich keiner von ihnen beiden ernsthaft verändert. Einen Moment standen sie einander nur gegenüber und sahen sich an, und Karana spürte die Spannung in seinem Inneren plötzlich so rapide und bedrohlich ansteigen, dass ihm die Luft wegblieb. Das war der Mann, der Schuld war an all ihrer Unbill. Der Mann, der so viele Geisterjäger ermordet hatte; Kohdars, Soras Vater, selbst Nalani, die Geisterjägerkönigin. Der Mann, der Schuld daran war, dass Karana und sein Vater jetzt dieses scheußliche Mal trugen, diesen Fluch, den sie zeitlebens nicht los würden... es sei denn, Scharan starb.

Dieser Mann, den Karana um jeden Preis vernichten musste, damit der Schatten seines Urgroßvaters für immer verblasste.

„Ich habe gewusst, du würdest kommen.“, wiederholte Manha seine Worte erneut und grinste ihn wissend an. Karana bebte vor innerer Unruhe, rührte sich aber nicht vom Fleck, auch dann nicht, als der Ältere einen Schritt auf ihn zu tat. Er konnte ihn spüren, den Schatten... deutlicher als je zuvor, und die Präsenz dieser finsteren Macht brachte ihn fast zum Würgen. „Und du bist nicht gekommen, nur um deine Schwester zu retten... was, Karana? Du bist nicht zu ihr... sondern zu mir gekommen.“

Der jüngere Mann riss sich aus seiner Starre und zog sein Schwert in einer einzigen, heftigen Bewegung, es seinem Kontrahenten ohne weitere Umschweife entgegen streckend. Er spürte die Macht, die es barg, er spürte die Macht, die sein eigener Geist auf es hatte, wie seine Seele eins war mit dem Schwert, diesem so alten, wichtigen Familienerbstück, das seit über dreihundert Jahren darauf gewartet hatte, dass er, Karana, es einmal führen würde. Und die Klinge glimmte im kalten Dämmerlicht des Korridors, als Karana sich auf die Magie konzentrierte.

„Ah... du willst kämpfen?“, feixte Manha ihm gegenüber und zog den Kopf vor dem zitternden Schwert etwas zurück, „Tapfer von dir... Karana.“

„Ich werde nicht kämpfen.“, schnarrte der Jüngere, „Ich werde dich töten. So sicher, wie die Sonne jeden Tag aufgeht... Dämon!“

Er stürzte sich vorwärts auf den Gegner und war davon überzeugt, es zu tun. Er würde ihn töten, er würde hier und jetzt alles beenden und dann wäre es gut. Er war davon überzeugt... bis zu dem Moment, in dem die Geister wieder flüsterten.

„Du wirst fallen... wie es dein Schicksal ist, Karana Lyra. Es ist zu früh.“

Er zögerte nur den Bruchteil eines winzigen Augenblicks – kaum so lange, wie man zum Blinzeln brauchte... aber es war genug. Er erreichte seinen Gegner nicht und schlug ins Leere, spürte die donnernde, grausame Macht des Windwirbels in seinem Inneren brodeln, als er durch einen Schlag purer geistiger Energie zurück geschleudert wurde und gegen die harte Wand prallte. Keuchend fuhr er hoch und packte seine Waffe, dann war Manha auch schon direkt vor ihm, so nah, dass sich beinahe ihre Nasenspitzen berührt hätten, und grinste ihm auf diese diabolische, wahnsinnige Art ins Gesicht, dass Karana das Blut in den Adern zu gefrieren schien.

„Schade, dass es... hier keine Sonne gibt, die aufgehen kann, was?“

Er ließ augenblicklich die Waffe fallen, als ein fürchterlicher Schmerz durch das Fluchmal stach und sich rasant über Karanas ganzen Körper ausbreitete, ihn schreiend in die Knie und ganz zu Boden gehen ließ, wo er keuchend nach seinem Unterarm fasste. Scharan stand über ihm und sah auf ihn herunter, in seinen Augen dieses Übermächtige, die ganze, geballte Macht des Schattendämons, der seine Seele besaß... der Schatten von Kelar Lyra, dem Tyrannen. Der Schmerz in Karanas Arm wurde so grauenhaft, dass er vorne über zu Boden kippte und schreiend seine Hand an den Unterarm krallte, als könnte er es so aufhalten, stattdessen wurde es immer mächtiger. Es drückte ihn zu Boden, es zerquetschte ihn unter seiner berauschenden Macht, dass er kaum noch klar denken konnte, als er wie am Spieß schreiend und fast blind vor Schmerzen am Boden lag und sich wand wie ein Fisch auf dem Trockenen, der dem qualvollen Tod ohne Wasser ausgesetzt war. Irgendwo sah er sein Schwert und er versuchte mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, daran zu kommen... es war zu weit weg. Der Schmerz war zu mächtig, und Karana schrie, als er die Hand von seinem brutal schmerzenden Arm löste und keuchend nach seiner Waffe zu angeln versuchte. In seinem Kopf rauschte das Blut, gepaart mit den Todesqualen des Fluchmals und dem Drang seines Geistes, zu überleben – er konnte nicht sterben! Er durfte nicht sterben, er wollte nicht sterben... seine ganze Seele wehrte sich dagegen, dass das Fluchmal ihn zerfetzte, obwohl sein Körper merklich rapide die Macht verlor, dagegen anzukämpfen...

Über sich in allem Schatten hörte er Manha lachen.

„Du willst dein Schwert? Hol es dir, strecke mich nieder, Karana. Ich habe keine Waffe... es ist keiner da, der mich retten wird. Nie wirst du es leichter haben als jetzt... oder?“ Der Schmerz ebbte ab. Karana keuchte und drehte sich am ganzen Leibe bebend auf den Rücken, um fassungslos hinauf zu starren in das hämische Gesicht seines Gegners.

„Tu es. Ich habe keine Waffe. Nie wird es eine bessere Chance geben als jetzt.“

Er rollte sich stöhnend herum und angelte verzweifelt unter den immer noch nicht ganz verblassten Schmerzen nach seinem Schwert. Er musste dagegen kämpfen – er musste den Schmerz ignorieren, nur so konnte er die Macht des Fluchmals unterdrücken – und er musste sie unterdrücken, wenn er Scharan töten wollte...

„Tu es.“, sagte der Mann über ihm und sah auf ihn herab, Karana spürte die stechenden, wahnsinnigen Blicke ganz deutlich, als er jetzt auf dem Bauch lag und stöhnend nach dem Schwert griff. Er berührte den Griff mit der Fingerspitze. „Spüre deinen... Hass auf mich, Karana. Spüre den... unbändigen Zorn, der in dir haust, du hast es schon einmal getan. Hasse mich, Karana... der ich dich so grauenhaft leiden lasse. Oder deinen Vater... nicht wahr?“

„Du... wirst... verrecken...!“, keuchte Karana und streckte sich trotz der Schmerzen mit aller Macht, um endlich seine Waffe zu packen, herumzufahren und sich mühsam strauchelnd auf die Beine zu rappeln. Der Schmerz pochte in seinem Unterarm wie eine züngelnde Flamme aus purer Bosheit; einer Bosheit, die aber nicht aus dem Arm stammte, sondern aus Karanas tiefstem Inneren, wie er keuchend feststellte, als er stand und mit beiden Händen das Schwert von Mihn umklammerte. Es bebte in seinem Griff und er spürte, wie die Macht in seinem Geist aufflammte wie ein gewaltiges Feuer...

Ein Feuer mit schwarzen Flammen aus purer Finsternis.

Der Schattengeist in deinem Inneren... er ist nicht verschwunden. Er ist noch da... der Dämon.

Ulan Manha vor ihm schenkte ihm einen herrischen, durchdringenden Blick und hob seinerseits die Hände, bereits zum Gefecht; er hatte keine Waffe, aber er war Schamane, als Magier brauchte man nicht zwingend eine.

„Ja... ich spüre deinen Zorn, Karana.“, sagte er gehässig, „Ich spüre diese... finstere Wut... weil ich es bin, der dir diese Bürde aufhalst... weil ich es bin, der dich auf Trab hält... der dich und deine Familie bedroht... hasse mich, lass ihn raus, deinen Zorn!“

„Ich werde dich töten!“, brüllte Karana ihn an und schwang das Schwert keuchend nach vorne, wobei es laut krachte, als sich der Windwirbel von der Klinge löste und auf den Mann zu fegte. Scharan riss seine Arme zur Seite und schleuderte dem Wirbel eine gigantische Flammenwand entgegen, gegen die Karanas Zauber prallte und mit einem ohrenbetäubenden Krachen samt dem Feuer zerbarst. Als Karana nach vorne starrte, war Manha verschwunden – genau in dem Moment war er wie aus dem Nichts plötzlich hinter ihm und Karana wirbelte herum, als der Mann ihn an der Kehle packte und rückwärts gegen die Wand stieß, so brutal, dass Karana irgendetwas in seinem Rücken laut knacken hörte und aufschrie, als ein weiterer, bestialischer Schmerz durch seinen Körper fuhr. Das Schwert fiel zum zweiten Mal aus seiner Hand und Karana schnappte hustend nach Luft, während Manha seine Kehle fest zudrückte und ihn gegen die kalte Wand presste, sein Gesicht so dicht vor seines beugend, dass Karana ihm direkt in die grünen Augen starrte, die vor seinen waren.

„Fürchtest du dich...?“, raunte der Ältere. „Bin ich es wirklich, der an allem Schuld ist... Karana? Bin ich es, der deinen Zorn verdient... der Schuld an deiner Last ist? Wer war es denn, der dir auftrug, mich umzubringen... der dir diese Bürde aufhalste? War ich das?“ Karana stöhnte und versuchte gelähmt von seinen Schmerzen irgendwie, sich zu befreien. Manha drückte nur fester zu und dem Jüngeren blieb die Luft weg. „War das nicht eher dein Vater, der das getan hat?“, fuhr der Sklavenkönig mit lauernder Stimme fort und Karana erstarrte, als sich ihre Blicke erneut trafen. Er spürte Manhas Atem in seinem Gesicht, er spürte das Pochen seines Pulses, die Macht des Schattengeistes, die ihn mehr lähmte als der Schmerz an sich – er spürte diese abgrundtiefe Bosheit, die dieser Mann ausstrahlte, diese Bestie, die es nicht wert war, am Leben zu bleiben.

„W-was soll das?!“, keuchte er stimmlos, „Was redest du jetzt über meinen Vater?!“

„Ich versuche nur, die Dinge ins richtige Licht zu rücken... war er es nicht, der dir die Bürde aufhalste? Die Bürde, die dir den Schlaf... und den Verstand raubt, seit ihr aufgebrochen seid? Diese Ungewissheit, ob du fähig sein wirst, die Aufgabe zu bewältigen...? Und was, wenn nicht? Wird Vati dann böse sein? Enttäuscht? So, wie er es immer ist, heißt das...?“ Karana weitete heftig atmend die Augen, als der Mann seine Kehle etwas lockerer ließ, ohne jedoch von ihm abzurücken oder ihn loszulassen. „Hat er nicht immer... zu viel erwartet von seinem Sohn? Hat er dich jemals gelobt oder war stolz auf dich? Hat er dich nicht immer nur getadelt... und dir klar gemacht, wie böse... du für ihn bist? Soll ich dir sagen, wieso? Es gibt einen Grund, aus dem dein eigener Vater... dich immer gehasst hat, Karana. Einen Grund für... alles. Einen Grund für den Moment, in dem wir hier stehen. Willst du ihn hören?“

„Du lügst!“, keuchte Karana und versuchte jetzt energischer, sich loszureißen, blieb aber erfolglos, weil der Mann vor ihm ihn wieder fester packte. Er spürte die Finsternis in seinem eigenen Geist empor schießen, die Panik, die ihn ergriff wie der Rausch eines zu mächtigen Zaubers, die seine Knie nachgeben und ihn fast zu Boden stürzen ließ, hätte Manha ihn nicht festgehalten und wieder brutal gegen die Wand gestoßen.

„Der Grund ist deine Seele!“, sagte Manha zu ihm, „Der Grund ist... dass wir beide, du und ich, uns nicht unähnlich sind... hör auf dein Innerstes. Du weißt, dass ich recht habe. Wir haben die gleichen, spitzen Zähne. Wir haben dieselben Vorfahren, wir sind vom selben Blut... wir sind vom Schicksal... zusammen geschweißt, Karana, weil wir eins sind. Weil wir uns... dieselbe Seele teilen, den Geist von Kelar Lyra, dem Tyrannen. Du bist ein Teil von mir, Karana... so wie ich einer von dir. Und der Schatten deiner Seele wird dich niemals... loslassen, egal, wie sehr du ihn niederzwingen magst!“

„Nein!“, brüllte Karana und schlug nach dem Mann, Scharan packte sein Handgelenk und stieß es so hart gegen die Wand, dass Karana spüren konnte, wie im Handgelenk irgendetwas brach. Er schrie gellend und Manha ließ ihn los, worauf er augenblicklich zu Boden stürzte. Der Schmerz flammte wieder durch das Fluchmal und er spürte den Schatten in seinem Inneren wachsen. „Du lügst, ich kann... das beherrschen! Ich habe es in der Geisterjägerprüfung auch gekonnt! Du hast keine Macht über mich, Kelar!“

„Doch, die habe ich... törichter Junge!“, hörte er die schnarrende Stimme des Dämons in seinem Kopf, und er schrie erneut und wand sich, als die Schmerzen ihn fast umzubringen schienen. „Weil du nach mir kommst, Sohn von Puran... weil du es willst. Die Macht... nicht wahr?“

Karana keuchte und hielt inne, während er am Boden lag und die Augen weit aufriss, so sehr, dass sie tränten. Der Schmerz war überall... aber das Schiff war verschwunden. Stattdessen war er in einem Loch aus Schatten, und vor ihm tanzte eine kleine Knochenspirale in der Dunkelheit.

Die Macht...?

„Du willst sie...“, raunte der Dämon und Karana spürte das Pochen des Schmerzes in der Finsternis versickern. „Die Macht, es zu bezwingen. Die Macht, mit der sie alle knien... selbst Zoras Chimalis. Selbst Neisa, deine illoyale Hure von Schwester. Selbst Simu, der immer klüger und braver war als du...“
 

„Selbst dein Vater, der dich dein Leben lang gehasst hat... für den Geist, den du trägst. Dein Vater, dem du nie gut genug warst... Missgeburt!“
 

„Lügner!“, brüllte der junge Mann und wand sich panisch schreiend in der Finsternis, die nach ihm griff und ihn zu ersticken drohte, „Mein Vater hasst mich nicht! M-mein Vater ist ein guter Mann!“

„Dein Vater wollte nicht, dass du jemals geboren wirst... weil er von Anfang an gewusst hat, dass du... die Wiedergeburt von Kelar sein würdest. Genau wie Manha... hör auf dein Herz. Du weißt es, Karana. Du hast es immer gewusst... warst du es nicht, der als Kind seinen Vater Hurensohn genannt hat?“

Die Worte waren ein brutaler Schlag ins Gesicht. Genau wie die Erinnerung an seinen Vater, dumpf, irgendwo in den Tiefen seines Geistes. Um ihn herum tanzten jetzt tausende von Spiralen, als er sich aufrappelte und den Zorn in sich empor kochen spürte, gemeinsam mit einer grauenhaften Abscheu, gemeinsam mit einer bitteren, unbändigen Wut über die Erkenntnis, dass die Geister niemals logen.

Er hatte seinen Vater einen Hurensohn genannt... er hatte so oft diese Dinge getan, die nicht er selbst gedacht und gewollt hatte. Es war Kelar gewesen... es war eine Verkörperung all seines Hasses, all seiner Wut, und er spürte, wie sie sich in seinem linken Unterarm manifestierte und so greifbar und gewaltig wurde, dass er das Gefühl hatte, sie wäre allgegenwärtig. Er spürte den Zorn... er spürte die Macht seines Vaters, die er immer hatte erreichen wollen. Er hatte immer so sein wollen wie er. Und sein Vater hatte ihm nie Stolz entgegen gebracht. Er hatte ihn immer getadelt... er hatte ihn skeptisch angesehen. Er hatte ihn gefürchtet... er hatte ihn gehasst, Karana wusste es.

Die Geister lachten in seinem Kopf.

„Töte!“, zischten sie, „Spüre den Zorn, lass ihn raus! Du kannst es... du bist wie ich, mein Urenkel! Du hast dieselbe Macht... die einzige Macht, die du deinem Vater voraus hast... du hast den Fluch, du hast die Kontrolle, wenn du es nur willst! Töte... beherrsche sie, spüre... die Macht!“

„Ich hasse... dich, Vater!“, brüllte Karana, „Ich hasse dich!“ Und das war der Moment, in dem er alle Macht von sich stieß, den gewaltigsten Zauber, den er jemals fabriziert hatte, so glaubte er, und er schleuderte die geballte, geistige Macht auf die Finsternis, auf die Knochenspiralen, weg von sich. Er hörte Schreie, er sah Fetzen von Bildern, die sich als blutiger Schwall voller Tod und Bosheit über ihn ergossen, gleichzeitig spürte er den grauenhaftesten Schmerz in seinem Unterarm und in dem Fluchmal, den er jemals erlebt hatte, sodass er schreiend wieder zu Boden stürzte... in dem Moment verschwanden die Knochenspiralen und der Schatten mit einem Mal, und Karana fand sich auf dem Boden der Tari Randora Zwei sitzend, an derselben Stelle wie zuvor, und vor ihm stand Scharan, der auf ihn herunter starrte und diabolisch grinste. Karana griff stöhnend nach dem brennenden Mal und kratzte an den verbänden, an der Haut, als könnte er es so los werden, und versuchte panisch schreiend rückwärts zu robben, als Scharan sich vor ihn hockte und mit ihm auf Augenhöhe kam.

„Schmerzt es...?“, raunte er, „Das Fluchmal ist die Quelle allen Übels, Karana. Es ist mein Fluch, meine Macht, die ich von meinem Großvater Kelar geerbt habe... die Macht, die auch du trägst. Du hast die Zähne... du bist fähig, dieselbe Macht zu erlernen, die andere... vor dir knien lässt, Karana. Wie ich sagte, wir... sind eins.“

„G-geh mir vom Leib!“, keuchte Karana und presste wimmernd die Hand auf den blutigen, schmerzenden Unterarm mit dem Mal, „D-du kannst das nicht! Komm nicht näher, ich werde dich töten!“

„Das denkst du, und doch bin ich es, der Macht über dich hat... hm?“, grinste sein Gegenüber und Karana keuchte und weitete in panischem Entsetzen die Augen. „Alles, was du tust, tust du durch meinen Einfluss, hast du... das noch nicht bemerkt? Du bist nicht hergekommen, weil die Geister es wollten. Du bist gekommen, weil ich dich gelenkt habe... weil ich Einfluss auf dich habe durch das Mal. Du hast Schmerzen, wenn ich es will, du wirst sterben... wenn ich es will. Und der einzige Grund, wieso du noch lebst, ist... dass du zu wertvoll bist, wo du doch... mir so ähnelst.“ Karana keuchte atemlos und spürte, wie er zitterte – wie der Schatten in seiner Seele tobte und ihn anschrie, er sollte aufstehen und ihn vernichten, er sollte sie alle vernichten, bis die ganze Welt ihm zu Füßen lag und niemand mehr da war, der ihn bezwingen könnte... die Gedanken machten ihm Panik und er versuchte halb bewusstlos vor Hysterie und Schmerzen, den Schattendämon seines Geistes irgendwie zurück in seine Fesseln zu zwängen, wie er es in der Geisterjägerprüfung getan hatte. Der Schatten war zu mächtig... es war wie im Lager von Ela-Ri. Er spürte, wie die Macht des Dämons wuchs mit jedem Wort, das Scharan sprach, mit jedem Schmerz, den er spürte, mit jedem Atemzug, den Karana tat, und im gleichen Moment wurde der Teil seines Selbst schwächer, der den Schatten zurückdrängen konnte.

„Gib nicht auf!“, versuchte er es in Karanas Inneren, „Kämpfe, verdammt! Hör nicht auf ihn, er lügt dich an! Er will dich nur benutzen, Karana, hör nicht hin!“

Scharan lächelte zufrieden.

„Du bist meiner Macht und meinem Erbarmen ausgeliefert, genau wie... jeder deiner Gefährten. Deiner Gefährten, die du in den Tod reiten wirst... wenn du weitergehst. Weil du unter meinem Einfluss stehst... werden sie alle sterben, das ist deine Schuld. Deine Schwester... deine Frau... und das ungeborene Baby in ihrem Bauch. Du wirst fallen, Karana, weil du... mit mir verbunden bist. Und wir dasselbe Schicksal teilen müssen... so ist der Wille der Mächte der Schöpfung.“

Der Jüngere erstarrte.

Ungeborenes... Baby? Iana...?!

„Er lügt, kämpfe, tu das nicht!“, rief die Geisterstimme in seinem Kopf und Karana schüttelte sie vehement ab, als er vorwärts auf die Knie fiel und bebend zu Scharan empor blickte, der grinsend auf ihn herab sah.

„D-du kannst das nicht!“, keuchte er und Manha lachte.

„Und ob ich kann. Ich beherrsche dein Fluchmal. Ich kann dich alles tun lassen... ich kann dich Iana töten lassen. Und Neisa. Alle. Ich kann es tun und du hast keine Chance, dich dagegen zu wehren... bis auf eine.“

„I-ich werde nicht zulassen, dass sie sterben! Du irrst dich, Dämon!“, brüllte Karana und spürte, dass der Widerstand seiner eigenen Seele schwand – und wie der Schatten in seinem Inneren die Kontrolle gewann. „Ich werde dich töten... Manha...!“, japste der junge Mann und drohte unter seinem eigenen Gewicht zusammenzubrechen – oder unter der Macht des Schattengeistes, die ihn zerquetschen würde, wenn er sich nicht wehrte.

„Ich kann sie dir beibringen... die Kontrolle des Fluchmals.“, grinste Manha, „Du hast gesehen, wozu es fähig ist... es kontrolliert nicht nur deine Schmerzen. Es kontrolliert dein Bewusstsein, deine Gedanken und deine Gefühle, wie ich es will, ich kann dich nach Lust und Laune manipulieren, Karana... wie eben gerade, als ich den Hass auf deinen Vater beschworen habe. Den Hass, mit dem ich dich... deine eigenen Eltern auf Zuyya habe ermorden lassen. Ist das nicht lustig, was ich alles kann?“
 

Der Junge erbrach sich vor seine Füße. Manha trat einen Schritt zurück, er hatte befürchtet, dass es so kommen würde, die Technik war grausam. Er genoss die Macht, die er über Karana hatte... Purans Sohn, in dem er den Geist des Tyrannen Kelar weckte, diese Quelle purer Bosheit, purer, bestialischer Zerstörungskraft und diesen Willen, zu töten. Diesen Willen, zu unterwerfen... das, worin sie beiden einander ähnelten. Karana schrie sich die Lunge aus dem Leib, er fuhr auf und versuchte absolut amotorisch, aufzustehen, er versuchte gleichzeitig nach seinem Schwert zu greifen und ihn, Scharan, irgendwie mit einer Katura zu erwischen, während er vor Wahnsinn fast verreckte bei den bloßen Gedanken, was er gerade eben mit Hilfe des Fluchmals angerichtet hatte. Manha betörte die Macht... Karana lag ihm zu Füßen, es bedurfte nur einer Handbewegung und eines Gedankens an das Mal, um den Jungen wieder auf den Boden zu zwingen, wo er sich noch mal erbrach und dann weiter schrie.

„Du lügst!“, brüllte er, „Das habe ich nicht, das ist nicht wahr!“

„Du musst nur auf dein Innerstes hören, Karana.“, sagte Manha und bemühte sich um die ehrlichste, tröstendste Stimme, die er aufbringen konnte, „Dann wirst du wissen, dass es wahr ist... nicht wahr? Seien wir ehrlich, sie haben es verdient... diese Scharlatane. Sie haben dich verschmäht... sie haben dich gehasst und gefürchtet, du brauchst sie nicht. Ich kann dich auch Iana töten lassen... und alle anderen...“

„Nein, bitte!“, schrie Karana heulend vor blinder Panik und riss den Kopf hoch; er war so kalkweiß, dass Scharan kurz glaubte, er würde gleich ohnmächtig umfallen, aber er hielt sich wacker. Der Mann grinste.

„Ich bringe sie dir bei... die Technik. Das ist der einzige Weg, deine Frau und dein Baby vor dem Tod zu bewahren... indem du selbst die Kontrolle erlangst. Dann habe nicht mehr ich die Macht über dich... dann hast du sie selbst. Wir sind ein Ganzes, Karana... wir sollten uns zusammentun, bevor es zu spät ist.“ Karana hustete und weitete in blankem Entsetzen die Augen; Scharan konnte ihn spüren, den Schatten in ihm. Er war wieder aufgewacht... es war einfacher gewesen, als er gedacht hatte. Weil es Karana war... und nicht Puran. Mit Puran hätte das niemals funktioniert, weil er nicht mehr zweifelte. Aber Karana bestand nur aus Zweifeln... Karana war unsicher. Es war einfach, das Gemüt eines unsicheren Menschen zu kippen. Ulan Manha war kein Geisterjäger und auch kein ernsthaft begabter Magier, der einzige Zauber, den er wirklich beherrschte, war das Fluchmal... das, was er noch besser beherrschte als das, war eigentlich die Gabe, Leute zu überzeugen. Es war nicht schwer, Karana zu seinen Füßen zu zwingen, wenn er wusste, was er sagen musste – auf welchen wunden Punkten er herum hacken musste. Das Fluchmal war definitiv nicht fähig, andere zu töten, er konnte Karana nie im Leben seine Eltern ermorden lassen. Aber er konnte ihm einbläuen, er könnte es... das war die Macht, die das Fluchmal barg. Die Gedanken an seine eigene Genialität ließen ihn fast schallend auflachen in seiner Euphorie.

Ja, binde dich an mich, Karana, lerne von mir und denke, du würdest es nutzen können! Der Schatten ist mächtig in dir... und er wächst, mit jedem Moment, in dem du atmest, mit jedem Moment, in dem du zulässt, dass er dich beherrscht. Und wenn wir den Abgrund der Schatten erreichen, wird er so mächtig sein, dass du statt mich alle anderen töten wirst... alle, gegen die ich dich aufhetze. Wie leicht es doch ist, mir selbst die Mühe zu ersparen... töte du Zoras Chimalis für mich. Töte Neisa, töte die Seherin, töte alle... der Sieben. Und wenn du vor Gram darüber, was du getan hast, am Boden liegst, töte ich dich... am Abgrund der Schatten werden die Götter nicht an euch heran kommen, um euch zu beschützen.

Er fuhr herum, als er plötzlich eine Macht hinter sich wahrnahm, die ihn erschreckte, doch zu spät bemerkte er die magische Flutwelle, die auf ihn zu jagte und ihn so heftig von den Beinen riss und durch den Korridor schleuderte, dass er unsanft gegen die Wand prallte. Er hörte Karana husten und wirbelte keuchend und jetzt nass herum in die Richtung, aus der der Wasserzauber gekommen war, und was er sah, ließ ihn erstarren – mehr noch Karanas Worte, die dieser von sich gab, ehe er vermutlich bewusstlos zu Boden kippte und liegen blieb:

„I-Ianachen... meine... Königin...“
 

Sie spürte einen wallenden, unglaublichen Zorn auf diesen Mann, der sich gerade wieder aufrappelte, der Schuld am Zustand ihres Mannes war. Sie sah nur flüchtig auf Karana, ihm konnte sie gerade nicht helfen, das müsste bis später warten. Scharan seinerseits hob herrisch den Kopf und trat entgegen seiner Kopfhaltung erbleichend rückwärts, sobald er sie sah. Irgendetwas war komisch an seinem Gesicht – war das Panik in seinen Augen?

„Du...!“, keuchte er und Iana spürte den Zorn mächtiger werden, während sie Kadhúrem umklammerte und die Macht des Kurzschwertes ganz deutlich fühlen konnte. So mächtig war es noch nie gewesen, jede Faser ihres Körpers bebte vor Anspannung und in der Ekstase, die in ihrem Körper wuchs – der Ekstase der Magie, die von Kadhúrem ausging. Das Schwert ihres Vaters, das ihr so heilig war... das Puran Lyras Mutter gehört hatte. Jetzt gehörte es ihr, sie spürte, wie die ganze Waffe mit Leib und Seele ihr gehörte, wie sie eins waren, wie sie bereit war, mit Kadhúrem zu töten. Sie spürte den Schatten, der sie umgab, der den Korridor ausfüllte, und sah Scharan zurück taumeln.

„Lass deine Finger von ihm, Manha. Deine Zeit ist abgelaufen... und du weißt es. Ich habe dafür gesorgt, dass du mir nicht entkommen wirst, und wenn du glaubst, du wärst mich losgeworden, irrst du... Koch aus Holia.“

„D-das kann nicht sein, du kannst nicht so sprechen!“, schrie der Mann und strauchelte zu Boden, sichtlich erbleichend, „Ich habe... ich habe dich umgebracht, du kannst das nicht!“

„Du hast dich mit Mächten angelegt, die zu groß für dich sind.“, sagte Iana – und wunderte sich im selben Moment über ihre eigenen Worte. Was sagte sie da? Das hatte sie niemals sagen wollen, oder gar denken – diese Worte waren noch nie in ihrem Kopf gewesen. Irgendetwas in ihr trieb sie aber dazu, so zu sprechen – irgendetwas in ihr, das auch den Wasserzauber gerufen hatte. Es war mächtig... ihr Blick fiel fassungslos auf das Kurzschwert in ihrer Hand.

Kadhúrem...?! Bist du das, das... mich besitzt?!

„Zu groß...?! Das werden wir ja sehen... du bist tot, Närrin! Ich werde nicht vor einer Toten kriechen... du kannst mir keine Angst einjagen!“ Das gesagt schleuderte er ihr einen Feuerzauber entgegen. Iana sprang keuchend zur Seite, riss Kadhúrem hoch und gleichzeitig die freie Hand, mit der sie dem Feuer abermals Wasser entgegen schmetterte. Krachend stießen die elementaren Zauber aufeinander und explodierten mit einem lauten Knallen im Korridor, der das ganze Schiff beben ließ. Den Moment der Apokalypse nutzte Iana, um nach vorne zu hechten und zu Manha zu gelangen, ihn zu packen und mit einem einzigen Schwung ihres Armes gegen die Wand zu schleudern, ehe sie ihm das Kurzschwert ihres Vaters an die Kehle hielt. Genauso plötzlich, wie ihre kleine Auseinandersetzung begonnen hatte, war sie vorüber, und der Mann starrte sie an, bleich vor Entsetzen, während sie die blauen Augen verengte und den Schatten spüren konnte... es war ein Gefühl wie von Tod.

Tod und Schatten... mit der Klinge des Schattenschwertes.

„Das... ist nicht möglich.“, keuchte Manha in ihrem Griff und sie spürte, dass er Angst hatte – Angst vor ihr? Keuchend fuhr sie zurück, ohne das Kurzschwert von seiner Kehle zu nehmen, und weitete die Augen wieder.

„Du wirst fallen... in den Schatten, in den du gehörst... Kelar.“, sagte sie mit einer Stimme, die nicht ihre war. Mit Worten, die nicht ihre waren, und sie fragte sich, ob es das Schwert war, das sprach...

„Du siehst ihr ähnlich... Akada. Pass auf es auf, es... ist wertvoll.“

„Das Kadhúrem des Kandaya-Clans ist... ein Gegner, gegen den du nichts ausrichten kannst. Du erkennst es wieder... nicht wahr?“

Manha bebte vor Zorn und Panik, als sie ihn losließ und er sich aufrappelte, um sofort Anstalten zu machen, davon zu laufen.

„Ich werde dich vernichten!“, schwor er verbiestert, „Dich und... deine Schattenklinge! Und wenn du kniest... werde ich lachen, bevor ich dir den Kopf abschlage... für immer!“

Dann verschwand er. Iana stand einen Moment wie angewurzelt einfach nur da, dann fiel ihr die Waffe klirrend aus der Hand und zu Boden. Keuchend sah sie auf ihre Hände, während sie sich fragte, was gerade geschehen war. Was war plötzlich mit ihr gewesen? Das war nicht ihre Stimme gewesen, es waren nicht ihre Worte gewesen, nicht einmal ihre Gedanken – nicht ihr eigener Geist. Und genauso plötzlich wie es gekommen war, war es vorbei, jetzt fehlte jede Spur von dem fremdartigen Geist, der sie besessen hatte. Sie sah auf Kadhúrem, das Schattenschwert, das sie von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte. Irgendwie wagte sie plötzlich nicht mehr, es anzurühren – was, wenn es wieder geschah? Sie fürchtete sich davor, die Kontrolle über ihre eigene Seele zu verlieren, wenn jemand anderes einfach so davon Besitz ergreifen konnte... so, wie es bei Karana immerzu war.

„Karana!“, keuchte sie, als ihr ihr Ehemann wieder einfiel, der noch am Boden lag. Sie hechtete zu ihm hin und rüttelte an ihm, doch er zitterte nur in seiner Bewusstlosigkeit auf eine Weise, die sie ernsthaft besorgte. Sein Arm mit dem Schmerzmal sah übel aus... was immer Scharan mit ihm angestellt hatte, es musste fürchterlich gewesen sein.

„Verdammt, wir müssen hier weg!“, stammelte sie und griff jetzt doch wieder nach Kadhúrem; in der Annahme, der komische Geist würde sie sofort wieder ergreifen, war sie fast überrascht, als das ausblieb. „Himmel Arsch, steh auf, Karana! - Wir müssen hier weg, d-die anderen sind doch schon auf dem Weg, soll Ryanne die ohne uns hinüber-... Karana, bitte!“ Sie schlug ihm gegen den Kopf, manchmal half das; heute nicht, er fuhr zwar zusammen, machte aber keinerlei Anstalten, aufzuwachen. Wütend steckte sie die Waffe an ihren Gürtel und warf sich ihn mit etwas Mühe über die Schultern, um ihn zu tragen wie eine tote Raubkatze. Zum Glück war er für seine Größe echt leicht, weil er so dünn war... aber lange würde sie das nicht mitmachen. Wenn sie die anderen nicht bald fand oder der Herr sich bequemte, selbst zu gehen, würde es nicht gut ausgehen...

Helft mir, Himmelsgeister... bitte! Ich denke, wir sind die Sieben... w-wir sind auserwählt! Dann schützt uns... irgendwie...

Sie war verblüfft, als sie eine Antwort bekam.

„Was glaubst du, was ich eben gerade gemacht habe mit dir, Iana Lynn... 'Akada'?“
 

Sie hätte sich nicht sorgen müssen, ob sie die anderen wiederfände; ihre Instinkte, die sie mit den anderen der Sieben verbanden, führten sie automatisch in die richtige Richtung, so, wie sie vorhin auch schon sie alle zu Neisa geführt hatten. Abgesehen davon waren sie schon aus meilenweiter Entfernung zu hören und das grelle Blitzen irgendwelcher todbringender Zauber zu sehen. Was immer die Anderen da machten, es war gewaltig. Als Iana keuchend mit dem immer noch bewusstlosen Karana auf den Schultern zu ihren Kameraden stieß, platzte sie mitten in das nächste Weltenende. Sie hatten nur zwei Gegner, aber einer davon war Kyeema, das überaus talentierte Lianermädchen, das eben seine Feuerbestie durch die Meute jagte und eine Schneise in die Kameraden schlug. Als der Feuervogel dann direkt auf Iana zukam, die mit beiden Händen damit beschäftigt war, Karana festzuhalten, blieb ihr nichts anderes als schreiend zur Seite zu springen, wodurch Lavia sie verfehlte.

„Iana, du bist zurück!“, begrüßte Neisa sie und blinzelte, „Himmel, was hast du mit ihm angestellt?“

„Wollen wir nicht erst verschwinden und danach Fragerunde machen?!“

„Würden wir gerne, aber Ryanne hat mal wieder vergessen, dass sie teleportieren kann...“ Iana stöhnte, legte ihren Mann etwas unsanft wie einen Sack Kartoffeln auf den Boden und packte ihn am Fußgelenk, um ihn hinter sich her zu schleifen, während sie zu Ryanne blickte – die Seherin hockte in irgendeiner Ecke, kratzte sich am Kopf, redete mit sich selbst und malte mit dem Finger sinnlose Strichmännchen auf den Boden. Das konnte doch alles nicht wahr sein, diese verdammte Frau, konnte die nicht einmal ihr verfluchtes Gedächtnis behalten? Iana glaubte inzwischen, sie machte das absichtlich, um sie alle zu ärgern... zutrauen würde sie es der intriganten Irren jedenfalls...

Sie kam nicht weiter zum Nachdenken, weil der Feuervogel zurück kam und sie und Neisa beinahe zu Asche gemacht hätte. Die Schwarzhaarige fuhr herum und riss reflexartig die Hände empor, um Lavia einen Schwall Wasser entgegen zu schleudern. Im nächsten Moment hörte sie hinter sich ein lautes, gellendes Schreien, dann wurde es plötzlich auf einen Schlag stockdunkel. Iana keuchte, als sie ein ohrenbetäubendes, dunkles Grollen aus dem Nichts vernahm, das ihren ganzen Körper beben ließ, und sie fuhr japsend herum; sowohl Lavia als auch das Wasser und sämtliches Licht des Korridors waren plötzlich wie weggewischt und sie fand sich in kompletter Schwärze wieder. In ihrem Kopf rauschte es und sie spürte, wie ein gewaltiger Druck aus purer, bestialischer Bosheit sich über sie legte und versuchte, sie zu Boden zu drücken.

„Aufhören!“, hörte sie irgendwo einen schrillen Schrei und sie vermutete, dass es Kyeema war, die schrie, denn die Stimme gehörte keinem ihrer Kameraden. „A-aufhören, bitte!“

„Dein 'Vater', wie du das Ungeheuer nennst, wird dir nicht helfen, du Ratte!“ Das war unverkennbar Zoras Derran, der irgendwo in dieser abgrundtiefen, boshaften Dunkelheit sprach. Iana wirbelte herum und versuchte, im Dunkeln nach irgendetwas zu tasten, dabei fest Karanas Fußgelenk umklammernd. „Und ich zeige keine Gnade mit denen, die es wagen, meiner Frau auch nur ein einziges Haar zu krümmen... nur eine einzige Wimper. Und da du es wiederholt versuchst, wirst du... jetzt verrecken.“

„Leg sie um.“, hörte Iana Neisa direkt vor sich, und sie ergriff den Arm der Heilerin, als sie ihn in den Schatten fand. Der Druck der Dunkelheit wurde so mächtig, dass ihr beinahe die Knie nachgaben, und sie schnappte keuchend nach Luft. Ihr ganzer Körper bebte vor Anspannung und einer wachsenden, immer mächtiger werdenden Panik, als mit dem steigenden Druck die Luft zum Atmen auch noch wegzufallen schien.

„W-was machst du, Zoras, verdammt noch mal?!“, japste sie hysterisch, „D-du bringst uns alle um damit!“

„Leg sie um!“, schrie Neisa neben ihr und in dem Moment, in dem Karana sich irgendwo am Boden zu bewegen begann (sie merkte es daran, dass sein Bein, das sie festhielt, plötzlich zuckte), sprachen die Geister.

„Wenn du in den Schatten fällst... such dir ein Licht, an das du dich klammerst, Iana... wenn alle anderen Lichter verblassen.“

Es war ein merkwürdiges, berauschendes Gefühl, das sie dann verspürte, das sie die Augen aufschlagen ließ; sie konnte sehen. Der Schatten war noch immer da, aber sie konnte durch ihn hindurch sehen, sie konnte die anderen ganz deutlich erkennen, aber die Welt war hinter einem Vorhang aus Schwärze, der sich wie boshafter Schatten auf die anderen und die ganze Tari Randora Zwei legte. Kyeema lag am Boden und schrie jetzt, sie hielt sich den Kopf und schien von der Dunkelheit noch viel mehr betroffen zu sein als alle anderen; nicht so Yatli, der zweite Schakal, der seine Arme irgendwie herumzureißen schaffte und seine Pflanzenranken durch die Schwärze blindlings auf irgendetwas zu werfen schien. Iana keuchte.

„Simu, hinter dir, duck dich!“ Der Angesprochene fuhr in ihre Richtung herum, wirkte etwas planlos, gehorchte ihrem Befehl aber umgehend und ließ sich zur Seite kippen, wodurch die Ranke ihn verfehlte und gegen die stählerne Wand krachte. Der Blonde riss seine eigene Waffe herum und durchtrennte damit Yatlis Rankenzauber mit einem einzigen, schwungvollen Hieb; vermutlich mehr zufällig in der richtigen Richtung, denn wie Iana an den orientierungslosen Blicken der Kameraden sehen konnte, sahen sie alle nichts; abgesehen von Zoras vermutlich, der für alles verantwortlich war und jetzt zu ihnen herum fuhr.

„Wirst du uns jetzt verdammt noch mal teleportieren, Ryanne?!“, brüllte er, „Ich kann diesen Scheiß nicht ewig aufrecht halten!“

Scheiß, sagte er, dachte Iana sich pikiert, und das zu diesem bestialischen Schattenzauber, der ein Gefühl purer Bosheit und Abartigkeit vermittelte, das das Lianermädchen am Boden schier in den Wahnsinn zu treiben schien.

„Mh... sag Bitte.“, forderte die Seherin, die sich aufrappelte, als hätte sie nichts weiter als eine verdiente Kaffeepause gemacht, und sich den Staub vom Rock putzte; zu Ianas Erstaunen schien sie ebenfalls sehen zu können und das für selbstverständlich zu halten. Nun, sie war auch die Seherin...

Leck mich, du Hure!“, brüllte Zoras wutentbrannt und Ryanne gluckste.

„Gut, das lässt sich einrichten.“ Sie hob die Arme und Iana hastete nach vorne, um die anderen zu erwischen und festzuhalten, in dem Moment erwachte Yatli plötzlich wieder zum Leben und schleuderte seine nächste blinde Attacke quer durch den Korridor. Dieses Mal traf er Zoras – das hieß, beinahe, denn der Zauber explodierte mit ohrenbetäubendem Krachen und einer Wolke aus Finsternis, die noch dunkler als der Rest des Schauplatzes war, und Iana fuhr keuchend zurück, während sie Karana am Boden japsen hörte.

„V-verdammt, was ist hier los?!“

„Halt die Backen, du Vollidiot, und rühr dich nicht.“, sagte Iana zu ihm und er japste erneut.

„I-Iana?! W-was ist mit meinem Fuß...?!“ Da gab es ein Grollen und die Dunkelheit verschwand. Zoras keuchte und riss seine Hellebarde wütend herum, um einen Blitz nach Yatli zu schleudern.

„Du elender Hurensohn gehst mir auf die Nerven!“, brüllte er laut und Iana riss Karana und Neisa zur Seite, die beinahe mit gegrillt worden wären; Yatli sprang in die Luft und setzte zum nächsten Angriff an, da war es Simu, der sich dazwischen warf und mit einem sauberen Schlag seines Tsukibos den Kerl wieder zu Boden riss. Irgendwo spritzte Blut und Yatli schrie wie am Spieß, als er am Boden aufkam und sich wand und krümmte. Den Moment seiner Wehrlosigkeit nutzte Iana, um zu den anderen zu gelangen, und Yarek packte sie, Eneela und auch Zoras bereits entnervt am Kragen, um sie alle festzuhalten, ehe sich auch Simu und Ryanne zu ihnen gesellten und die Seherin sie tatsächlich alle ohne weitere Beschwerden oder Probleme davon teleportierte.
 


 


 

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Öh ja.... Hm, was kam hier vor? Ach Scharans Gehirnwäsche und so?

Karanas Schatten

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Der Wille meines Vaters

Die Schwärze war fort. Iana zitterte, während sie am Fenster in der Kammer stand und hinaus sah in das goldene, Hoffnung bringende Licht, das sich über die ganze Unendlichkeit um sie herum ergoss und ihnen Wärme brachte. Was immer das für ein Gebiet war, das sie jetzt durchquerten, es war voller Leben und voller Hoffnung. Ein merkwürdiges Gefühl, das sie schon wieder beinahe vergessen hatte nach allem, was in der letzten Zeit passiert war.

„Was habt ihr eigentlich gemacht mit seinem Arm, Himmel und Erde?“ Die Frau schreckte aus ihren Gedanken auf und fuhr herum zu Neisa, die auf der Bettkante bei Karana hockte und wohl damit fertig war, seinen malträtierten Unterarm wieder ganz zu zaubern. Obwohl von seinem Arm kaum noch etwas übrig gewesen war, war Scharans Fluchmal noch – oder wieder – da, als wäre nie etwas passiert; Iana sah zu, wie ihre Schwägerin Karanas Arm verband. Er schlief oder tat so, sie wusste es nicht genau; seit er aufgewacht war, war er in einem eigenartig lethargischen Zustand, er sprach kaum, er wirkte unruhig und wie ein gehetztes Beutetier, das von allen Seiten von Räubern umzingelt war... sie schauderte selbst unwillkürlich bei der Erinnerung an die bizarre Szene, als er aus seinem Koma erwacht war, voller Wahnsinn und voller Schatten... sie hatte sie gespürt, sie hatten nach ihr geangelt und sie hatte Panik gehabt.

„Ich weiß nicht.“, sagte sie so nur eisern zu Neisa und die Heilerin schenkte ihr einen stummen Blick. Dann seufzte sie, ließ Karanas Arm los und erhob sich von der Bettkante.

„Seine Seele wandelt... im Schatten.“, sagte Neisa und Iana sah sie an, als sich die verschiedenen Augen der Kleineren auf ihr Gesicht hefteten mit einer Intensität, die sie in Neisas Augen noch nie gesehen hatte. Sie spürte, dass irgendetwas in ihr sich rührte, wie eine alte Erinnerung, die wach wurde bei dem durchdringenden Blick, und sie hatte plötzlich das Gefühl, dass ein Teil ihrer Seele Neisas Blick kannte... ihn gut kannte, ihn oft gesehen hatte und ihn vermisst hatte. Keuchend fuhr sie zurück, weil unmittelbar nach diesem Gedanken ein stechender Schmerz durch ihren Kopf fuhr. „Sei vorsichtig... mit Karanas Geist, Iana. Obacht, denn er ist... unberechenbar, wenn der Einfluss des Schattendämons... zu groß für ihn wird.“

Das sagte sie, dann war der seltsame Moment vorbei und Neisas Gesicht entspannte sich; Iana starrte sie an und fragte sich, ob diese Frau jetzt zu einer zweiten Ryanne mutierte. Neisa lächelte etwas verstört.

„Wie... wie geht es dir? Ich meine, du bist schwanger, du solltest auch auf dich acht geben... auf das Baby, das unter deinem Herzen wächst. Wenn du irgendetwas brauchst, komm ruhig. Ich... als Heilerin kenne mich von dem Chaotenhaufen hier wohl am besten damit aus... schätze ich.“ Sie ging, aber Iana konnte ihr keine Gedanken mehr schenken, als sie die Hand unwillkürlich auf ihren flachen Bauch legte. Darunter war das Kind... Karanas Kind, und der Gedanke verursachte in ihr zugleich Herzklopfen wie auch Angst. Sie wusste nicht, ob sie bereit war für ein Kind... für ein Leben als Mutter. Der Gedanke war seltsam... sie hatte schon so lange keine Familie mehr gehabt. Sie war zehn gewesen, als ihr Vater gestorben war... das war jetzt einige Jahre her. Und jetzt trug sie selbst ein Kind, dessen Mutter sie sein würde... wenn sie alle überlebten.

Sie senkte den Blick auf Kadhúrem, das Kurzschwert ihres Vaters, das an ihrem Gürtel befestigt war. Sie berührte es mit den Fingern und wusste nicht genau, was sie fühlen sollte... das Schwert war mächtig, das hatte sie gemerkt. Es hatte eine Art Macht über sie, über ihren Geist, wenn sie es benutzte... das verwirrte sie und sie wusste nicht, woher es eigentlich kam. Was passierte mit ihr seit neuestem? Es war schon einige Male passiert, dass Kadhúrem für sie gesprochen hatte... für sie gedacht hatte. Irgendetwas war in ihr, das nicht Iana Lynn war, nicht Akada, nicht die Tochter einer Lianerin und eines Magiers aus Kadoh. Irgendetwas Fremdartiges war in ihrem Inneren und der Gedanke macht ihr Panik. Sie drehte Karana den Rücken zu und sah wieder aus dem Fenster in das Hoffnung bringende Licht des seltsamen Gebietes, das sie mit dem Schiff durchflogen auf dem Weg dorthin, wo die Trias lag. Der Anblick beruhigte sie, obwohl sie tief im Inneren aufgewühlt blieb. In ihrem Kopf hallten Karanas Worte wider, die er in seinem Wahn nach dem Aufwachen gezischt hatte.

„Ich bin nicht deine Made, Scharan! Ich bin... ich bin Karana und ich... ich werde verdammt noch mal nicht vor dir kriechen! Du wirst fallen und ich... werde es sein, der dich hinein stößt in den Schatten!“
 

Nimm dich in Acht vor Karanas Schattengeist... er ist unberechenbar unter Manhas Einfluss.
 

Sie schauderte und sah an ihren Armen Gänsehaut entstehen, weil sie das Gefühl hatte, dass sie beobachtet wurde. Als sie sich umdrehte, sah Karana sie direkt an. Er hatte sich aufgesetzt und lehnte jetzt an der Wand, an der die Pritsche stand. Sie fühlte sich dumm, weil sie nicht bemerkt hatte, wann er aufgewacht war, aber ihr Mann sprach, ehe sie hätte weiter denken können.

„Ich war die ganze Zeit wach, Iana.“ Sie war gewohnt, dass er ihre Gedanken kannte, deswegen sagte sie lange nichts.

„Geht es dir besser?“, fragte sie dann und er zuckte die Achseln.

„Ich glaube schon. Mein Arm sieht wieder aus wie ein Arm und nicht wie ein von Hunden abgenagter Fleischrest... das ist ein Fortschritt.“ Dabei grinste er, als er auf seinen linken Unterarm sah, und Iana senkte den Blick.

„Ich meine nicht... körperlich besser, Karana.“, sagte sie dumpf, „Geht es dir... auch im Inneren gut? Weißt du wieder... wer du bist?“ Darauf erntete sie einen langen, schweigsamen Blick. Karanas Augen waren grün; er hatte schöne Augen, aber das lag daran, dass er Karana war, denn an ihm war alles schön, bis auf den Schatten in seinem Geist. Sie errötete bei den albernen Gedanken. Karana antwortete nicht auf ihre Frage und sie dachte sich, er würde nichts mehr sagen wollen, also setzte sie sich mit einem nervösen Seufzen zu ihm auf die Pritsche. Er hob den gesunden Arm und strich ihr versonnen durch die schwarzen Haare, über ihren Hals, ihre Schulter, hinab über ihren Rücken. Es waren zärtliche, einfühlsame Berührungen; in nichts ähnelten sie dem, was Karana noch vor kurzer Zeit verkörpert hatte – Hass und Schatten, eine Mischung aus purer Bosheit und einer perversen, obskuren Macht. Er war Karana... wenn sie so neben ihm saß und er sie berührte, spürte sie, dass er Karana war, nicht irgendjemand anderes.

„Was... was geschieht mit uns?“, stammelte sie, „Warum sind wir... so, Karana? Wieso ergreifen irgendwelche toten Geister von uns Besitz und warum sind wir nicht... stark genug, uns dagegen zu wehren? Ich... bin nicht ich, wenn ich Kadhúrem benutze. Es spricht... mit mir. Für mich... du hast es erlebt. Das macht mir Angst, ich weiß nicht, warum es das tut... und was... es überhaupt tut.“ Er sagte nichts, er streichelte sie nur, ihren Rücken hinab, dann zurück zu ihrem Arm, und er nahm ihre Hand in seine und hielt sie fest, ehe er doch noch antwortete.

Dabei lächelte wehmütig.

„Ah... ich weiß, was du meinst. Dann... bist du wie ich... meine Königin.“
 

Ryannes Zeichnungen waren überall, aber Ryanne war nirgends. Yarek zog in einer Ruhe, die er nicht spürte, an seiner Kippe und betrachtete eine Weile konfus das Wirrwarr aus Strichen, Kringeln und anderen geometrischen Formen, das an der Wand ihm gegenüber war und niemandem weiterhalf. Jede Höhlenmalerei war aufschlussreicher als das komische Gekrakel der Seherin, wenn sie nicht gerade einen detailgetreuen Penis zeichnete, die erkannte man verblüffenderweise immer. Es war egal, wohin er ging, er fand überall irgendwelche Kritzeleien an den Wänden der Tari Randora, auf den Fußböden der stählernen Gänge und manchmal sogar an den Decken. Er wollte nicht wissen, wie Ryanne an die Decke gekommen war, so groß war sie nicht, aber vermutlich konnte sie das per Teleport. Viel beunruhigender als die zahlreichen, irrsinnigen Zeichnungen war, dass die Seherin nirgends war. Yarek war nervös, wenn sie nicht da war, denn wer wusste, was sie für einen Mist baute, wenn sie mal wieder ihr Gedächtnis verlor oder ihre manischen Momente hatte. Diese Frau war echt kompliziert... er hätte sich nie mit ihr einlassen sollen.

Manchmal fragte er sich, wie er überhaupt hier gelandet war. Als er klein gewesen war, in Kuyala, wo es nichts gegeben hatte als Sand, Staub und Dreck, hatte er nicht im Traum geglaubt, er würde Kuyala einmal verlassen. Oder gar Tharr. Oder ganz Khad-Arza. Und jetzt stand er hier in einem Raumschiff, starrte auf Ryannes Gekrakel und fragte sich, wo die hirnamputierte Seherin stecken mochte.

Der Tabak schmeckte komisch, er war langsam alt. Yarek erinnerte sich noch daran, wie er zum ersten Mal geraucht hatte, er war noch ein dummer Junge gewesen und hatte nackt in Chenoas Bett gelegen, nachdem er zum ersten Mal mit ihr geschlafen hatte. Dann hatte sie eine geraucht und ihm eine angeboten. Die Gedanken an Chenoa waren ernüchternd... Chenoa war ein Mysterium, er hatte sie nie ganz verstanden; obwohl sie ihn sieben Jahre lang alles gelehrt hatte, was er heute wusste (fast), war sie immer zu komplex für ihn gewesen, letzten Endes war er nur ein Mensch... nur ein Nichtmagier.

„Meinst du... sie weiß überhaupt selbst, was all ihre Bilder bedeuten?“

Yarek fuhr vor Schreck zusammen, so aus seinen Gedanken gerissen, und ihm fiel seine Kippe aus dem Mund, als er fluchend herum wirbelte und seine heftige Reaktion sofort bereute. Vor ihm stand Eneela, die jetzt schaudernd zurückwich, offenbar zu Tode erschrocken, genau wie er.

„Verdammt, Mädel, schleich dich net so an, wat denkst'e dir?!“, murrte er und vergaß dabei, Hochsprache zu sprechen, er sammelte seine Kippe vom Boden auf und schob sie sich wieder zwischen die Lippen. Eneela starrte ihn an und er fragte sich, ob der Dialekt aus Kuyala so schwer für sie war, dass sie ihn nicht verstanden hatte; da sprach sie wieder.

„E-es tut mir leid... Yarek. Ich wollte dich nicht erschrecken... ich...“ Sie druckste verlegen herum und er seufzte, nahm die Zigarette aus dem Mund und blies den Rauch in den Korridor.

„Schon gut, wir leben noch.“

„Wer weiß, wie lange noch.“, murmelte Eneela erstaunlich finster und er sah sie dumm an.

„Dann denkst du, wir gehen unter, weil die Seherin immer von Schatten quasselt? Hör nicht auf sie, sie ist geisteskrank.“ Eneela errötete.

„Du schimpfst immer über sie. Aber sie hängt so an dir. Liebst du sie... Yarek?“ Er musste vor Verblüffung über diese Frage lachen.

„Was soll das denn jetzt werden? Ich wüsste nicht, was dich das angeht, Eneela. Du hast ja wohl genug eigene Sorgen.“ Jetzt wurde sie noch röter, aber er hatte langsam kein Mitleid mehr mit ihrer zart besaiteten Persönlichkeit. Es war an der Zeit, dass Eneela erwachsen wurde, weil man nicht alles mit Erröten und Stottern lösen konnte. Ihr das ins Gesicht zu sagen hielt er allerdings für taktlos; es war Simus Aufgabe, Eneela in den Arsch zu treten, nicht seine. Er war lediglich der Beschützer der Sieben.

„Wo ist sie?“, stammelte die Lianerin und Yarek zog an seiner Kippe und sah die Zeichnungen an.

„Wer, Ryanne? Keine Ahnung, ich suche sie schon. Und was ihre Bilder sollen, weiß ich auch nicht. Manchmal versucht sie, mir eins zu erklären, aber ich bin dafür nicht gemacht. Ich bin kein Seher.“

„Denkst du, sie... sie ist so... komisch, weil nie jemand sie versteht?“, fragte die Lianerin und das ließ ihn stutzen. „Ich meine... ist sie nicht einsam? In ihrem Kopf... sind diese ganzen Dinge, die nur sie versteht und die sie mit niemandem teilen kann...“ Yarek schwieg eine Weile, dann räusperte er sich.

„Ich glaube, ihr Kopf ist innen hohl.“

„W-was?!“

„Sie hat keine Erinnerung an ihr eigenes Dasein, zumindest meistens. Was in ihrem Kopf ist, sind nur temporäre Visionen, Dinge, die sie sieht oder so, die sind nicht immer da. Wenn sie weg sind, ist da nichts. Ich sage nicht, dass... das leichter ist. Ich möchte... nicht mit ihr tauschen.“ Darauf schwieg die Lianerin und sagte nichts mehr, bis er es leid war, sie schweigen zu hören, und er verabschiedete sich mit einem Grummeln und setzte seine Suche nach der durchgeknallten Seherin fort. So schwer konnte das doch nicht sein, das Schiff war so groß nun auch wieder nicht...
 

Es war finster. Kyeema sah aus dem Fenster und sah, dass Licht da war, aber es war trotzdem finster. In ihrem Inneren war alles finster, und sie zitterte und wusste nicht warum. Vor Kälte? Vor Zorn? Vor Panik? Vielleicht war es alles zusammen. Sie wusste gar nichts, nur, dass sie am Fenster stand und es finster war, obwohl es Licht gab. Und sie zitterte... in ihrem Kopf waren Stimmen. Garstige Stimmen, die immer da waren seit sie in den Schatten gefallen war, den dieser Bastard Chimalis auf sie gesprochen hatte. Sie wisperten und sie waren garstig... sie sprachen von Tod und Intrigen.

„Dein Leben ist eine einzige Lüge. Kennst du deine eigene Mutter? Nein. Es könnte jede Sklavin gewesen sein... und nicht zwingend die, die du dafür gehalten hast, bis sie tot war.“

Kyeema legte sich bebend die Hände auf die Ohren, sie wollte nichts hören. Die Stimmen lachten sie aus und in ihren Augen brannten Tränen, weil es so finster war. Es war so finster... sie hatte Angst im Dunkeln. Sie fragte sich, seit wann; soweit sie sich erinnerte, hatte sie das früher nicht gehabt.

Das war eine andere Dunkelheit gewesen. Das hier war Schatten, und er fraß sie auf, obwohl draußen Licht war. Kyeema wimmerte.

„Dummes Mädchen... kennst du deinen eigenen Vater? Kennst du deine eigene Schwester? Kennst du irgendwas?“ Sie presste die Hände fester auf die Ohren, aber das machte es nur schlimmer; die Finsternis zerrte an ihr, obwohl draußen Licht war, und die Lianerin japste verzweifelt und wollte sie vertreiben, wollte sie vernichten – sie würde Barak beschwören und sie alle zerfleischen, sie würde sie in Stücke reißen, die Geister, die sie so quälten...

„Dein Leben ist eine einzige Lüge. Und du weißt es... wenn du auf das Herz hörst, das du... vielleicht nicht hast.“

Sie fuhr zusammen, als sie plötzlich spürte, dass jemand hinter ihr war. Als sie sich umdrehte, stand vor ihr der Zuyyanertyp. Er war ein gutes Stück größer als sie, sodass sie den Kopf sehr anheben musste, um in sein Gesicht sehen zu können.

„Wovor hast du Angst... Kyeema?“, fragte der Mann sie grinsend und sie erbleichte, falls sie das konnte. Es war so finster. Sie presste sich japsend gegen die eiskalte Wand hinter ihr, neben das Fenster, aus dem Licht kam. Licht, obwohl es finster war. Sie hatte Angst... sie zitterte.

„Was... willst du?“, brachte sie gepresst heraus, „Lass mich... in... Frieden.“

„Nur nicht zu freundlich.“, sagte Yamuru Mirrhtyi und hob seinen Kopf noch etwas, wie um sie dazu aufzufordern, ihren eigenen noch mehr zu heben, wenn sie weiterhin sein Gesicht ansehen wollte, ihm dabei unfreiwillig die Kehle hinstreckend. „Ich sehe nach dir, weil der Meister keine Zeit hat. Leidest du unter Zoras Derrans Schattenfluch? Ja, ja, Hochmut kommt vor dem Fall.“

„Wenn du... gekommen bist... um... mich zu... demütigen... geh!“, zischte sie ihn und es fiel ihr schwer, sich zu artikulieren; sie schämte sich, vor ihm so schwach da zu stehen; sie war das Lieblingskind ihres Vaters. Des Mannes, der sie aufgezogen hatte, denn Ulan Manha war nicht wirklich ihr Vater. Sie war Lianerin und er war Schamane... aber zu ihr war er ein Vater gewesen, seit sie denken konnte. Seit ihre Mutter gestorben war. Sie bebte und es war so finster. Yamurus Gesicht war abartig schön; nicht, weil sie ihn anziehend gefunden hätte, überhaupt nicht, er war nicht ihr Typ. Und das, was er ausstrahlte mit seiner ganzen Existenz, ließ sich ihr die Nackenhaare aufrichten, weil sie spürte, dass er voller Bosheit war. Dass er gefährlich war... in seinem magentafarbenen Auge war eine Boshaftigkeit, die sie schaudern ließ, wenn sie ihn ansah... und das war noch harmlos im Vergleich mit seinem anderen Auge, dem Reikyu-Auge. Yamurus linkes Auge war der pure Tod... sie sah ihn an und wusste, dass sie sterben würde, sobald er es nur wollte. Nur ein Blick... und sie würde in den Schatten fallen und nie mehr zurückkehren.

Sie zitterte... weil er sie ansah, auf sie herabsah und sie genau wusste, dass er es genoss, mehr Macht zu haben als sie im Moment.

„Arme Kyeema...“, seufzte er und lächelte dabei, „So verzweifelt kämpfst du... um einen Stolz, den du längst verloren hast. Der Schattenzauber ist stark... er wirkt sich auf dein Gemüt aus, nicht? Er macht dich paranoid... du siehst überall Finsternis.“ Sie stockte, aber das Zittern kehrte sofort zurück. „Du willst sie vernichten... Zoras Derran... Karana... Neisa... all diese Wichte. Ist es nicht so?“ Sie zischte.

„Was geht... dich... das an?“

„Ich kann... dir helfen.“, flötete er und sie starrte ihn an. Ihr helfen? Den Zauber aufheben?

„Wie das? Du... bist... kein Schamane. Zuyyaner können nicht... Schamanenmagie aufheben.“

„Ich kann viel mehr, als du weißt.“, sagte er zu ihr, dann beugte er sich zu ihr herunter und sie drückte sich japsend mit wachsender Panik gegen die eisige Wand, als sie seinem abartig schönen Gesicht plötzlich direkt gegenüber war, Auge in Auge. Die Luft gefror, sie konnte es spüren, und sie wusste, dass er es war, der das Element Eis so manipulierte, dass es den Raum kalt machte. Sie schauderte und der Schatten in ihrem Inneren pochte. „Ich kann ihn verschließen... den Schatten. Und dir die Macht geben, sie alle zu zerfetzen... für deinen Vati, den du so... liebst. Ist das nicht was? Bin ich nicht gütig, Kyeema?“ Das war zu nett, um wahr zu sein, hatte sie das Gefühl. In ihrem Inneren brodelte es.

„Du lügst.“, sagte sie, und Yamuru grinste sie an.

„Willst du die Macht oder nicht? Willst du gefangen sein in deiner Paranoia, Kyeema? Oder willst du die Stärke finden, Vati stolz zu machen... kleines Püppchen?“ Er strich ihr durch die weißblonden Haare. Sie schlug seine Hand unsicher weg und errötete, als sie zischend das Gesicht abwandte. Die Finsternis pochte... die Stimmen kehrten zurück und lachten sie aus.

„Dummes Mädchen... eine einzige Lüge. Dein Leben... so wertlos.“

„Ich bin... nicht... wertlos!“, japste sie und der Zuyyaner lächelte sie von oben herab an.

„Soll ich ihn aufheben? Den Zauber... ich kann das machen. Du musst es wollen.“ Das junge Mädchen ballte ergrimmt die Fäuste.

„W-was... verlangst du?“ Er antwortete nicht gleich, sodass sie hoch sah in sein Gesicht; der Blick, den er ihr schenkte, übertraf alle Maßlosigkeit an Bosheit, die sie kannte, und er ließ sie straucheln, weil das Reikyu-Auge gefährlich blitzte.

„Küss mir die Füße.“

Sie erinnerte sich nicht an den Moment, in dem ihre Knie wie auf Kommando nachgaben. Sie erinnerte sich nur, wie sie plötzlich am Boden auf allen Vieren stand, den Kopf über seinen Fuß gebeugt, ohne den geringsten Widerstand, und der Schatten war verschwunden. In ihrem Kopf war das Licht... und es war grün wie die Farbe der Reikyu, die Yamuru mit seiner Hand beschworen hatte in dem Moment, in dem sie das Gesicht senkte und ihm die Füße küsste, wie er verlangt hatte.
 

Yamuru hatte kein ernsthaftes Interesse jeglicher Art an Kyeema, Scharans Lieblingswerkzeug. Aber sie hatte keine starke Seele. Sie zu brechen war irrsinnig einfach, erst recht dank Zoras Derrans nettem Schattenzauber, der das Mädchen paranoid gemacht hatte; wie leicht war es gewesen, sie dazu zu bringen, sich freiwillig zu seiner Sklavin zu degradieren? Yamuru war zwar Großmeister des Eises, aber nicht Großmeister darin, Menschen mit der Reikyu zu manipulieren; eine Art von Magie, die Zuyyaner oft beherrschten und die viel grausamer und effektiver war als physische Elementarmagie. Daran, dass er ohne auch nur den geringsten Aufwand Kyeemas Seele und ihr Unterbewusstsein in die Hand nehmen und drehen konnte, wie er es haben wollte, merkte er, wie schwach sie war... er hatte noch nie jemanden so einfach manipulieren können, das war fast schon zu einfach. Aber es war egal... es war immer von Vorteil, ein As im Ärmel zu haben, wenn es hart auf hart kam. Und Manha misstraute ihm zu sehr... der sollte sich hüten. Wenn Manha seine Schamanenbande gegen ihn intrigieren ließ, würde er Kyeema nehmen... so einfach war das.

Die Gedanken an Ulan Manha stimmten den jungen Mann nachdenklich, als er die paranoide Lianerin zurückgelassen hatte und etwas desorientiert auf dem Korridor stand, nicht genau wissend, was er als nächstes tun sollte. Sie hatten den Morgennebel erreicht... es war nicht mehr weit bis zum Yirana-Nebel, dem letzten Ort, oder mehr Unort, den sie passieren müssten, ehe sie die Trias fänden. Laut Thiras Karte zumindest. Und die Zeit lief... aber Scharan hatte genug Muße, sich über Karanas Frau aufzuregen; und wie er das tat. Plötzlich war Neisa, Karanas Schwester, die er doch so dringend gewollt hatte, unwichtig, viel schlimmer war plötzlich die Halblianerin, die Karanas Frau war... er fragte sich, warum Manha Angst vor ihr hatte.

Er war unaufmerksam gewesen, stellte er fest, als er nach rechts sah und sich fast darüber erschrocken hätte, dass dort jemand stand. Yatli, der Angsthase, Manhas kleines Wutventil. Er sah geschlaucht aus; Yatli war an sich schon eher klein für einen Mann, klein und schmächtig, aber jetzt wirkte er schlimmer als das. Yamuru wollte nicht wissen, was Manha mit ihm alles gemacht hatte in seinem Zorn, seit er Henac Emo nicht mehr für seine perversen Fetische hatte, der ihm zwanghaft zu Gehorsam verpflichtet gewesen war. Yatli war das nicht... Yatli hatte nur nicht die Macht, Scharan zu trotzen. Würde er es wagen, würde er sterben, und Manha war gut darin, Leuten ins Gehirn zu blasen, dass er ihr alleiniger Retter und Helfer war. So musste er es mit all diesen Schamanen getan haben, die ihm folgten und sich von ihm befehligen ließen... keiner von denen trug das Schmerzmal, das sie unter Scharans Befehle zwang. Sie folgten ihm freiwillig... aus irgendwelchen Gründen. Das sagte genug über ihre Charaktere aus, irgendwie verdiente doch keiner von denen das Leben. Nicht mal Turo, der ein Gehirn hatte – wenn er es an so ein Himmelfahrtskommando wie das hier verschwendete.

„Was suchst du denn bei Kyeema, Zuyyaner?“, wollte das Wutventil wissen und Yamuru war zu sehr Zuyyaner, um sein Erstaunen über die plötzliche Anwesenheit dieses Kerls irgendwie preiszugeben. Er lächelte unerschütterlich falsch.

„Nicht deine Angelegenheit, nicht wahr, Yatli?“

„Alles klar, mach keine Schweinereien mit Manhas Tochter. Ich meine, ist sie das etwa nicht? Hat Turo das nicht selber gesagt?“

„Hat er. Und wenn es das ist, was dich besorgt, sei beruhigt, Yatli... Zuyyaner und Tharraner sind nicht ernsthaft kompatibel.“ Der Kleinere runzelte dumm die Stirn und schien das nicht zu begreifen, so schenkte Yamuru ihm einen mitleidigen Blick. „Wenn du Zuyyaner und Tharraner kreuzt, kriegst du sowas wie die Ekalas. Dann kriegst du Schreckgespenster wie Salihah Lyra oder Ryanne der Yalla.“

Oder man bekam Simu Ayjtana, der sich dafür, dass er der Sohn einer tharranischen Dorfnutte war, echt gemausert hatte. Yamuru erinnerte sich nicht wirklich an Nodin Ayjtana, den obersten General des Imperators; als er hingerichtet worden war, war Yamuru selbst kaum vier Sommer alt gewesen. Seine Schwester hatte ihn aber geschätzt und gut von ihm gesprochen, Chenoa hatte das auch. Dinge, in denen Chenoa und Ngnhana einer Meinung gewesen waren, waren selten, das war bedeutungsvoll. Der Zuyyaner musterte Yatli einen Moment, ehe ihm ein Gedanke kam, der ihm vielleicht Fragen beantworten würde.

„Sag... kennst du die Geschichte von Iana Lynn, Karanas Frau, Yatli?“

Der Dunkelhaarige starrte ihn an und schwieg eine lange Zeit. Dann verengte er mürrisch die gehässigen Augen zu Schlitzen.

„Die Schattenkönigin, die Kadhúrem trägt?“, knurrte er dann, „Hör bloß mit ihr auf. Ihretwegen kann ich den Rest der Reise nicht mehr sitzen, der Kerl bringt mich um.“ Yamuru verkniff sich einen Kommentar.

„Dann kennst du sie also. Verrate sie mir. Was genau hat es mit ihrer Familie auf sich, dass Scharan solchen Schiss vor ihr hat?“ Yatli zischte.

„Warum sollte ich ausgerechnet dir das sagen, wenn der Meister es nicht selbst tut?“ Ohne seine Mimik zu ändern zog Yamuru die Hand hoch, um seine grüne Reikyu heraufzubeschwören, die im fahlen Licht des Korridors matt leuchtete. Yatli fuhr automatisch zurück.

„Nun, weil ich... da weitermachen kann, wo dein Peiniger gerade aufgehört hat... damit du niemals wieder sitzen kannst.“ Sein Gegenüber schauderte.

„Das... meinst du ernst? Ich wusste gar nicht, dass du so gepolt bist.“

„Oh, nicht doch. Natürlich tu ich dir den Gefallen nicht persönlich, sagen wir, eine gute Illusion in deinem Unterbewusstsein löst das Problem, ohne dass ich dich auch nur anrühren muss...“ Er sah zufrieden, wie der Kleinere erbleichte, dann unruhig nach links sah, zu Boden, wieder nach oben in sein Gesicht. Er bebte, als er sprach.

„Ich weiß nicht viel. Emo hat Dinge rausgefunden in irgendwelchen Annalen auf Tharr. Über ihren Vater. Er war... aus Kadoh, er war Schamane oder Halbschamane, Schwarzmagier. Seine Mutter stammte aus Dokahsan, sie kam als Kind nach Kadoh und ihr Sohn, Ianas Vater, wurde dort geboren. Sie hieß nicht Lynn, sie hieß irgendwie anders, keine Ahnung, aber der Clan, aus dem die Mutter, Ianas Großmutter, stammte, beherrschte wohl eine seltene Technik, die es... ihnen ermöglicht, mit Gegenständen, die sie Gegnern abnehmen, auch deren Mächte zu übernehmen, wenn sie die Gegner töten. Oder so. Eigentlich ist das alles, was ich weiß. Offenbar kann die Tusse das, ohne dass sie es weiß, und das macht ihn wütend.“ Yamuru runzelte die Stirn; es war gut gewesen, zu fragen, jetzt machte wirklich vieles mehr Sinn. Durch abgenommene Gegenstände die Techniken eines Gegners zu übernehmen war ziemlich gerissen für die Tharraner.

„Dann ist es Kadhúrem... dessen Techniken sie beherrscht.“, sagte er dumpf, „Die Frage ist nur... wessen Techniken das sind.“

Wem das Schattenschwert Kadhúrem einst gehört hatte, war zwar kein Geheimnis; das Problem war nur, dass es Ulan Manha gewesen war, der Nalani Lyra getötet hatte, und nicht Ianas Vater... und zu dem Zeitpunkt, zu dem die Schamanenkönigin, Puran Lyras Mutter, gestorben war, war Kadhúrem nicht mehr bei ihr gewesen.
 

Manchmal erinnerte sie sich. Es waren nur brüchige Momente, sie waren so empfindlich wie der Flügel einer Libelle, und wenn man sie zu doll berührte, brachen sie. Wenn sie sich dann nur ein klein wenig erlaubte, die Konzentration auf den Moment zu lockern, war es vorbei... so viel Konzentration konnte sie aber nie aufbringen. Es war zu schnell, zu spröde, immer wieder. Immer, wenn sie glaubte, sie hätte einen Fitzel ihrer Erinnerungen in den Händen, glitt er ihr wie ein schlüpfriger, wabbeliger Fisch durch die Finger.

Ryanne hasste Fische. Sie verabscheute Wesen aus dem Wasser, sie waren widernatürlich für jemanden, der in der Wüste geboren und aufgewachsen war. Fische waren für sie tote Tiere, die gar nicht lebten, die taten nur so... es gab kein grässlicheres, unheimlicheres Tier als den Fisch. Und sie verabscheute die Momente, in denen die Erinnerungen wie Fische an ihr vorbei schwammen und dann doch nicht greifbar waren... sie konnte kaum jemals begreifen, dass es eine Erinnerung war, die gerade kam, da war sie auch schon wieder weg und zurück blieb eine gähnende Leere in ihrem Inneren. Die Köpfe von Menschen waren voll mit Erinnerungen, je älter sie wurden, desto mehr wurden es, desto voller wurden ihre Köpfe. Ryannes Kopf war immer gleich. Einerseits war da nichts, was Menschen hatten, andererseits waren da Dinge, die die Sterblichen nicht besaßen. Sie hatte gleichzeitig gar nichts und doch viel zu viel auf der Welt gesehen, sie fühlte sich gleichzeitig wie ein kleines Kind, das nichts wusste, und doch wie eine alte Witwe, die tausend Zeitalter überdauert hatte und die der Leere überdrüssig wurde.

„Der Abgrund der Schatten... ist nahe. Versteckst du dich vor der Finsternis, der du nicht ausweichen kannst?“, wisperten die Fische in ihrem Kopf, die nicht greifbar waren, und sie starrte durch die Leere in ihrem Inneren in die Zukunft; die Zukunft, die alles war, was sie hatte, weil sie keine Vergangenheit hatte. Manchmal wachte sie auf und wusste nicht mehr, wie sie hieß.

Sie hatte zu viele Namen getragen... sie hatte zu viele Weltenenden gesehen.

„Ich habe keine Angst.“, sagte sie zu den Stimmen. „Wenn man tausend Zeitalter existiert, ist man über Angst hinweg.“

Dann verstummten die Stimmen und Ryanne hockte auf ihren Fußballen am Boden, irgendwo, allein mit sich und der Leere, die sie einschnürte und drohte, ihr den Körper zu zerquetschen. Woran hatte sie gerade gedacht? Warum saß sie hier? Sie dachte an Fann und die Wüste, in der sie aufgewachsen war, und wunderte sich im nächsten Moment, woher sie eigentlich wissen wollte, dass sie dort wirklich aufgewachsen war.

Fann... das war ein Wort. Ein Name... und sie wusste plötzlich nicht mehr, woher sie es kannte. Was es bedeutete. Oder warum sie überhaupt existierte. Keuchend riss sie den Kopf herum, als sie spürte, dass sie dem Schatten näher kamen... dem letzten, tiefsten Abgrund der Finsternis, an dem alles zu Ende war. Die Zuyyaner nannten es einen Unort und die Schamanen würden sagen, es sei der Himmelsdonner, der Ort, an dem Vater Himmels ewiger Zorn herrschte, der Ort, an dem Seelen zerschmettert wurden, die nichts anderes verdient hatten. Ryanne kannte alle Legenden und Sagen, in ihrem Kopf war aber eine eigene. Wenn das ein Ort war, an dem alles enden würde, vielleicht fand sie dort ihre Erinnerungen.

Vielleicht fand sie dort einen Grund, aus dem sie existierte... den sie nicht wieder vergessen würde.

Der Gedanke ließ sie euphorisch werden und sie lächelte; dann kicherte sie und schließlich lachte sie, weil die Vorstellung, sich an irgendetwas erinnern zu können, sie berauschte. Die Stimmen tadelten sie.

„Die Erinnerungen einer Sterblichen machen dich kaputt. Danach zu suchen ist vergeudete Zeit...“

Sie nannten sie beim Namen. Falls es ihr Name war, Ryanne wusste nicht mehr, was ihr wahrer Name war. Wie sie geboren worden war. War sie das überhaupt? Nein... genau genommen war sie da gewesen. Schon immer.

Das Schattenmädchen kam zu ihr. Sie sah es mit den inneren Augen, da die violetten Iriden des sterblichen Körpers, in dem sie wohnte, sie nicht sehen würden, ehe sie um die Ecke gekommen wäre; sie wusste lange, bevor Iana Lynn, Akada, in ihre Richtung blickte, dass sie zu ihr kommen würde. Sie wusste es, bevor Iana es selbst wusste, und als die Schwarzhaarige vor ihr stand und auf sie herunter sah, hob die Seherin mit einem apathischen Grinsen den Kopf.

„Verwirrt bist du... hast du vergessen, wer du bist? Geht mir oft so.“ Iana verengte ihre blauen Augen darauf und Ryanne kicherte. Schwarze Haare und blaue Augen, die Ähnlichkeit war verblüffend.

„Was zum Geier tust du hier, Ryanne?“

Ryanne. War das ihr Name? Es schien beinahe so... ihr vorübergehender, sterblicher Name. Die Blonde kicherte, ehe sie den Kopf senkte und begann, mit dem Finger auf den Stahlboden des Korridors zu malen. Sie hatte keine Farbe, aber sie selbst konnte sehen, was sie malte, obwohl sie nichts anderes tat als mit dem Finger über den Boden zu wischen.

„Wir sind bald da.“, orakelte sie dabei grinsend, ohne Iana anzusehen. „Am Ort, an dem ich meine Erinnerungen finden werde. Da, wo alles endet...“ Sie erntete Schweigen.

„Denkst du, wir... werden die Trias finden? Denkst du, wir... werden Manha töten und... es schaffen, was wir tun sollen?“

„Nö.“, flötete die Seherin und sie hörte das Schattenmädchen zischen. „Keine Ahnung. Ich sage, alles endet. Aber ich definiere nicht, was alles endet.“ Sie malte einen schönen, großen Fisch. Nein, Fische waren niemals schön, sie waren hässlich; sie waren Tiere des Todes. Tiere des Endes... ein würdiges Totemtier für den Ort des Endes von allem. Als sie sich gerade liebevoll den Schuppen des Totemtieres widmete, sprach Iana Lynn, Akada, das Himmelskind.

„Was... was siehst du... in der Zukunft, Ryanne? Siehst du überhaupt irgendwas oder veräppelst du uns nur?“ Darauf musste die Frau grinsen.

„Ich sehe... Tod und Schatten.“

„Was... siehst du in meiner Zukunft?“ Die Frage überraschte Ryanne nicht wirklich. Sie musste sie nicht ansehen, um zu wissen, dass Iana nervös und unzufrieden mit allem war.

„Du trägst ein Baby im Bauch.“, stellte sie sachlich fest. „Oh, Karana ist gut im Babys machen, so scheint es.“ Iana verstand das nicht. Natürlich nicht, sie wusste nicht, dass sie nicht die erste Frau war, die Karanas Baby erwartete. Karana wusste es ja nicht mal selber. „Sorge dich nicht um dein Baby. Sorge dich gar nicht. Nicht um andere, denn das macht uns abhängig. Ein Gotteskind darf nicht abhängig sein... sonst fällt es... Akada.“ Ryanne sah sie jetzt wieder an und Iana erstarrte. Sie zitterte, als sie sprach.

„Du kennst... den Namen, den mir mein Vater gab. Akada. Weißt du... was er bedeutet?“

„Er bedeutet Himmelskind.“, sagte die Seherin und widmete sich wieder ihrem Fisch, um ihm eine schöne, große Schwanzflosse zu malen. Nein, sie war hässlich. Sie sagte nichts mehr, denn Iana würde die Frage selbst stellen.

„Was... für einen Bezug habe ich zu Kadhúrem, das mir... mein Vater schenkte? Es... ist so seltsam, ich weiß, dass du das wissen musst. Wissen musst, wieso... ich diese Dinge tue. Wieso ich mit Wasser zaubere und wieso eine... andere Seele in mir lebt, manchmal, ohne dass ich Einfluss darauf habe. Es liegt an Kadhúrem... w-was... macht es?“

Ryanne hob den Kopf mit einer Geduld, die Gewohnheit war, um der anderen Frau in das bleiche Gesicht zu sehen.

„Schattenklinge... überträgt ihren Geist auf dich.“, sagte sie monoton. „Es ist dein Name. Der Name ist der Lebensgeist, oder? Wie ist dein Name, Akada?“ Iana schenkte ihr einen komischen Blick.

„Iana Lyra.“

„Dein Mädchenname. Dein Name war der Wille deines Vaters... Akada. Die Buchstaben waren der Wille deines Vaters, denn die Buchstaben sind die Tür... die ihr Geist nur zu durchwandern braucht, um dich zu führen... wie eine Puppe.“ Der Blick, den Iana ihr schenkte, war köstlich. Ryanne schenkte ihr keine Beachtung mehr und freute sich auf den Abgrund.

Auf den Moment, in dem sie vielleicht ein Ende dieser Seelenlosigkeit finden würde. In dem sie vielleicht Erinnerungen bekommen könnte... eine Vergangenheit, die sie nicht hatte.
 

Karana fand keinen Schlaf. Er wusste nicht genau, wie lange er weg gewesen war, aber es war auch kein Schlaf gewesen. In seinem Kopf waren die Schatten seiner Träume und in seinem Herzen die Panik, dass er irgendetwas tun musste... aber er konnte nicht sagen, was es war.

Irgendetwas übersehe ich. Irgendetwas entfällt mir... die ganze Zeit.

In seinem Inneren bebte alles, wenn er an Iana dachte... oder an das Kind, das er ihr gemacht hatte. Oder an Neisa und Simu, seine Geschwister. An seinen Freund Tayson und an all die anderen.

„Wenn du davon läufst, werden sie sterben... du weißt es, Karana. Wenn du die Macht nicht beherrschen lernst... wirst du sie töten, wie du deine Eltern getötet hast.“

„Nein!“, brüllte er und hielt sich keuchend die Ohren zu, wovon Scharans abstruses, kehliges Lachen aber nicht wegging. Der Fluch auf seinem linken Unterarm pochte und der Schmerz jagte durch Karanas Körper, sodass er japsend nach vorne kippte und sich bebend an der Pritsche abstützte, auf der er saß, heftig nach Luft schnappend auf die Decken starrend. Schatten... er sah ihn überall, er hörte überall Ulan Manhas Lachen – das Lachen seines Urgroßvaters. Er hörte die Worte, die er gesagt hatte, wieder und wieder, und sie machten ihn wahnsinnig.

„Komm zu mir... wir sind eins, du und ich, Karana. Wir sind dazu bestimmt... weil du einen Teil von Kelars Geist trägst. Hast du es nie gespürt... diese Macht in dir? Das Verlangen in dir... sie alle kriechen zu lassen?“
 

Selbst deinen Vater... das rundherum perfekte, allmächtige Genie Puran Lyra. Warst du es nicht, der sich gewünscht hat, er würde... fallen, Karana? Er würde vor dir kriechen... statt dich immer zu bemängeln?
 

Karana zischte und raufte sich stöhnend die braunen Haare, krallte seine Finger so brutal in seine Kopfhaut, dass er blutete; es war ihm egal, denn die Gedanken machten ihn verrückt.

„Du hast sie umgebracht... mit deiner bloßen Willenskraft. Dank des Fluchmals... ist das nicht großartig?“

„Nein!“, schrie er auf, „D-das ist eine Lüge, Manha! Ich habe... i-ich habe das nicht getan!“

„Und was sagen die Visionen? Lügen sie?“ Karana wusste es nicht. Sein Vater sagte immer, Visionen logen niemals. Er fing an zu schreien, als er die Augen zukniff in der Hoffnung, die brutalen Bilder von all dem Gemetzel würden aus seinem Hirn verschwinden; vergebliche Hoffnungen.

Naivität.

Er wollte die Geister fragen... er wollte Vater Himmel fragen, ob Manha die Wahrheit sagte. Er wollte wirklich... aber er konnte nicht, denn in seinem Geist war keine Kraft für eine Beschwörung der Mächte der Schöpfung. Da war nur Schatten... da war nur Manhas Lachen.

„Angst...“, schnarrte der Mann in seinem Kopf, „Angst macht uns sterblich. Sie macht uns schwach. Angst... um andere. Angst davor... die Wahrheit zu sehen, die man längst im Herzen gesehen hat. Fürchtest du um Iana? Um deinen Sohn, der in ihrem Bauch wächst? Fürchte dich, Karana... und du wirst scheitern.“

„Halt die Klappe...“, keuchte Karana und in seinem Inneren wütete der Schattendämon, riss an ihm, beschwor in ihm eine Wut, die sich anfühlte, als wäre sein Blut zu flüssigem Feuer geworden. Er wollte ihn zerreißen... den Bastard, der es wagte, ihn so zu unterwerfen. Den Hurensohn, der seiner Frau und seinem ungeborenen Kind schaden wollte... seiner geliebten Schwester, seinem Bruder, seinen Freunden.

Seinem Vater... dem Mann, den Karana von allen Männern der Welt für immer am meisten verehren würde.

„Ja... spüre deine Wut, Karana.“, lachte Manha in seinem Kopf, „Spüre deinen Hass, beherrsche ihn, wie er dich auch beherrscht. Die Macht... des Fluchs ist da, du fühlst es, nicht wahr? Du bist vom Blute Kelar Lyras... genau wie ich. Du hast die Zähne... die Fänge des Dämons. Genau wie ich. Hast du Angst... Karana?“

„Halt die Klappe!“, brüllte er lauter, und er riss den Arm zur Seite und schleuderte seine angestaute, geballte Wut mit einem Schrei auf die Wand der Kammer, wo sie sich in Form einer Katura entlud und eine kopfgroße Delle hinterließ, ehe der Windzauber sich mit einem Krachen auflöste und Karana bebend auf die Beine sprang. Manhas Stimme verstummte, aber das Mal auf seinem frisch bandagierten Arm flammte auf vor Schmerz, sodass er zischend nach der ewigen Wunde griff, sich zwingend, sie nicht schon wieder zu zerfetzen... es würde nichts bringen. Das Mal würde da bleiben, solange Manha lebte. Und wenn er nicht lernte, es zu beherrschen, würde es ihn um den Verstand bringen... und er würde in den Schatten fallen.
 

Fall, Karana... hinab in die Finsternis, die du selbst dir gebaut hast. Wenn du dich fürchtest... wirst du scheitern. Weil du schwach bist... mit nur einer halben Seele.
 

„Wir sind eins... und du weißt es, Karana.“
 

In der Finsternis in seinem schmerzenden Schädel tauchte die Seherin auf. Sie tanzte mit ihren anmutigen, erotischen Bewegungen durch seine Schattenwelt und Karana keuchte, als er sie in seinem Kopf kichern hörte.

„Letzten Endes ist es egal... ob du scheiterst, weißt du?“, flötete sie, „Ihr alle seid nicht mehr als Spielfiguren der Götter... und sie bestimmen den Weg, den ihr gehen werdet. Deiner ist schon längst bestimmt... der Zweck, für den du geboren wurdest... liegt in der Finsternis.“ Sie kam in seiner Vision auf ihn zu und grinste ihn in einer bizarren, surrealen Mischung aus Boshaftigkeit und Verlangen an, streckte die Hand nach seinem Gesicht aus – berührte ihn aber nie, weil sich alles von ihr, das ihm zu nahe kam, in schwarzen Rauch auflöste. „Armer Karana... hast du deine Seele verloren? Husch, geh sie suchen... flink, flink.“ Sie verschwand vor Karanas Augen mit einem unweltlichen Grinsen, und die Vision ergoss sich über seinen vernebelten Geist in Bildern von Iana, Saidah, Neisa, Bildern von Zoras Derran, der ihm den Tod schickte, Bildern von Thira und ihrem Cousin Yamuru, die ihm Hand in Hand den Rücken kehrten, Bildern von Ulan Manha, in dessen Hand eine Knochenspirale tanzte.

„Dreh dich, Schattenpüppchen.“, schnarrte Scharan mit der Stimme seines Urgroßvaters Kelar, „Dreh dich, bis ich sage Stopp... und dann falle, wenn ich es sage... wie sie alle gefallen sind. Wie Kohdars gefallen sind, Saidah Chimalis... und selbst Nalani, die stolze Königin der Kandayas. So... wie du fallen wirst... Karana, Schattenpüppchen.“
 

Ich kann dir helfen, deine Frau zu retten... oder ich kann sie für dich töten. Ganz wie du willst... es liegt an dir, Karana.
 

Als die Vision vorbei war, saß Karana am Boden, die Beine angezogen und den Kopf zwischen den Armen vergraben, die Hände in seine Haare gekrallt. Plötzlich war es still in seinem Kopf... bis auf das stete Pochen des Schmerzmals.
 

Yarek hatte die Suche nach der Seherin gerade aufgegeben, da fand er sie doch noch, als er auf dem Rückweg vom hintersten Winkel des Hecks der Tari Randora war. Manche Dinge lösten sich von selbst, wenn man aufhörte, nach ihnen zu suchen, so hieß es doch.

„Ah.“, sagte der Söldner und blieb in gehorsamem Abstand zur Seherin stehen, die mitten in irgendeinem der kahlen Korridore an der Wand am Boden kauerte und mit dem Finger hirnlose Kringel auf den Boden malte, „Da bist du ja.“

„Hast du mich vermisst?“, flötete Ryanne und Yarek brummte, eine Kippe aus der Tasche ziehend.

„Was siehst du... Ryanne?“, fragte er zurück und ließ ihre dumme Frage unbeantwortet, in seiner Tasche nach seinen Streichhölzern suchend. Verflixt, vorhin hatte er sie doch noch gehabt...

Er unterbrach seine Suche unfreiwillig, weil Ryanne plötzlich direkt vor seinem Gesicht aufgetaucht war und ihn mit einem einzigen, apathischen Blick zwang, sie anzusehen. Sie lächelte bizarr, als sie die Hand hob und mit Vaira seine Kippe anzündete, ohne ein Wort zu sagen; die andere Hand legte sie dabei in ihrer üblichen Art auf seiner Brust ab und schob ihn rückwärts gegen die stählerne Wand, den Blick nie von seinem Gesicht abwendend.

„Ich sehe... dich.“, raunte sie und er schauderte, weil er kein Zuyyaner war; er war nicht emotionslos. Wenn eine fast nicht angezogene Frau ihn so berührte und so einen Ton aufsetzte, fühlte er nun mal etwas. Ryanne wusste das und er hasste sie irgendwie dafür... oder sich selbst, weil er einen Hang dazu hatte, sich mit Frauen einzulassen, die irgendwie über ihm standen. „Den Söldner... der geboren wurde, um die Sieben zu schützen. Hast du dich nie gefragt, wieso... die Götter dich ausgewählt haben? Einen Nichtmagier, einen kleinen... Dorftrottel aus Kuyala mit null Fähigkeiten...?“ Sie lächelte anzüglich, als sie ihre Hand langsam über seine Brust hinab in Richtung seiner Hose fahren ließ, während er an seiner Zigarette zog, ohne Ryanne aus den Augen zu lassen. Ihre Hand war kalt, als sie unter sein Hemd glitt und seine Haut berührte, aber trotzdem war sie heiß, und er zischte, als sie sich so offensiv gegen ihn drückte, ihn dabei an die Wand hinter sich pressend.

„Das habe ich mich oft gefragt.“, sagte der Mann und sah zu, wie sie mit einer einzigen, fließenden Bewegung die Hand unter seinem Hemd hervor zog und dann in seinen Schritt fuhr. Er zischte. „Nun... bist du nicht die Seherin? Weißt du nicht die Antworten auf alles... was wir uns so fragen?“ Den Blick von ihr abwendend zog er abermals an seiner Kippe und pustete den Rauch aus, als in seinem Inneren das Verlangen wuchs, sie zu packen, umzudrehen und zu nehmen. Es wäre nicht das erste Mal. Irgendwie machte es ihn aggressiv, wenn sie so offensiv war. Aber was ihn eigentlich aggressiver machte war die Tatsache, dass sie einfach so in seine Vergangenheit sah und alles wusste. Kuyala... sein Heimatland. Er hatte es lange nicht gesehen... er würde es nie wieder sehen, weil es mit Tharr explodiert war.

Es war egal. Er hatte niemanden mehr dort gehabt.

„Gerade... weil du Nichtmagier bist...“, grinste sie ihn an, „Das macht... dich immun.“

„Immun?“, stöhnte er und lehnte den Kopf in den Nacken, als ihre Hand sich gegen seine Hose bewegte und er spürte, wie er hart wurde unter ihren Berührungen.

„Immun gegen... den Schatten des Abgrunds.“, grinste sie ihn an – und hörte dann genauso abrupt auf, ihn anzufassen, wie sie angefangen hatte. Er senkte das Gesicht wieder und starrte sie an, und sie zog sich mit einem wissenden, betörenden Lächeln zurück, sich kokett eine blonde Locke hinter das Ohr streichend. Die großen, goldenen Ohrringe an ihren Ohrläppchen klimperten; sie erinnerten ihn an Ela-Ri, weil dort alle mit Gold geschmückt gewesen waren. „Der einzige Vorteil, den Nichtmagier gegenüber Magiern haben... ist der, dass sie keine Magier sind.“, sagte Ryanne zu ihm und er packte sie unsanft an den Armen, riss sie herum und presste jetzt sie gegen die kalte Wand, sich dunkel über sie beugend. Sie verschwand unter dem Schatten seines Körpers, als er das Licht von ihr abschirmte, und im Dunkeln hatten ihre violetten Augen eine Farbe von Wahnsinn, die in ihm einen Schauer auslöste. Ryanne lächelte ihn an und hob die Hände, um sie gegen seine Brust zu pressen, und er spürte das Pochen ihrer unmenschlichen Seele in ihren Fingern. Es war ein Gefühl, das er nicht kannte, er konnte es nicht beschreiben... aber es waren wohl Instinkte, die ihm sagten, es war ihre Seele, die er fühlen konnte, und es fühlte sich grässlich an. Wie etwas längst verdorbenes, längst verfaultes, das nur durch einen irrsinnigen, falschen Zauber am Leben gehalten wurde.

„Du... bist nicht sterblich, Ryanne.“, keuchte er und das Lachen der Seherin klang fremd, als sie den Mund aufmachte, ihre Augen sahen nicht mehr nach Ryanne der Yalla aus; das war das, was er in ihren Augen sah, was er in ihren Fingern spürte. Es war nicht lebendig aber auch nicht tot, es war da und es war mächtig... und es ließ ihn erstarren und erfüllte ihn gleichzeitig mit einer solch heftigen sexuellen Erregung, dass er unwillkürlich nach Luft schnappte.

„Die Götter...“, raunte sie mit der Stimme, die in seinen Ohren ein fürchterliches Rauschen verursachte, weil sie nicht menschlich klang, „...beneiden euch um eure Sterblichkeit, Yarek Liaron. Ist nicht alles viel schöner... weil es irgendwann endet? Wirst du nicht niemals... berauschter sein, niemals größeres Verlangen nach mir haben als in diesem Moment... weil du eines Tages stirbst? Wir sind... so neidisch.“

Er küsste sie auf die Lippen. Er wusste nicht genau, warum er es tat, aber plötzlich war in ihm der Wunsch da gewesen, sie zu küssen. Nicht, weil er scharf auf sie war – das war er trotzdem, aber das war nicht der Grund. In dem Moment, in dem er sie innig küsste und sie mit einem leisen Stöhnen den Mund öffnete, um seinen Kuss zu erwidern, war der Augenblick ihrer Unmenschlichkeit vorbei. Yarek war froh darum, weil das ungute Gefühl von ihm abließ, das ihn überkommen hatte bei der Berührung ihrer Finger auf seiner Brust, direkt über seinem Herzen. Als der gruselige Moment vorbei war, war sie wieder Ryanne – das machte sie greifbarer für ihn, realer. Und er stellte zum ersten Mal fest, dass er an ihr hing... nicht, weil er Sex wollte. Nicht, weil sie halb nackt vor ihm an dieser Wand hing, weil sie den Schenkel anhob und um seinen Rumpf legte, während sie ihre wenigen Kleider zur Seite zog und seine Hose öffnete. Nicht, weil sie seinen Namen stöhnte, als er sie an der Wand nahm und sie die Arme keuchend um seinen Hals schlang, ihren so weiblichen, heißen und doch kalten Körper an ihn pressend. Er mochte sie, weil sie Ryanne war...

Vielleicht war es genauso Wille der Mächte der Schöpfung, dass er sie mochte, wie es ihr Wille war, dass er die Sieben beschützte.

Ihre Vereinigung war wie die anderen, schnell und intensiv, aber irgendwie auch anders, weil er dieses Mal nicht zuließ, dass sie über ihm war in irgendeiner Weise – nicht mal geistig. Als sie fertig waren, lehnte Ryanne sich keuchend und mit einem zufriedenen Grinsen gegen die Wand, während er seine Hose wieder zuknöpfte und die nächste Kippe aus der Tasche zog. Er sah sie an und sie hatte nichts von der exzentrischen Seherin, die so abgehoben und unmenschlich war. Sie war eine Frau... und nicht mehr als das, sie war einfach nur da. Als sie sprach, wunderte er sich kaum über die Frage.

„Öh, das war jetzt echt umwerfend, aber wer zum Geier bist du eigentlich?“ Yarek musste gegen seinen Willen lächeln... er begann zu verstehen, mit Hilfe von Neisas Erzählungen über Götter und Seelen, was eigentlich mit Ryannes Gedächtnis passierte. Wenn ein Seher die Seele eines Gottes trug, war in einem solchen Körper wohl kein Platz mehr für die Seele der Sterblichen, die Ryanne eigentlich war... es war doch kein Wunder, dass sie sich da an nichts erinnern konnte.

„Yarek Liaron.“, stellte er sich ihr so zum sicher hundertsten Mal vor, und er war selber verblüfft darüber, dass es ihn nicht mal nervte, das so oft tun zu müssen. Er lehnte sich ihr gegenüber an die andere Wand des Korridors und blies den Rauch in die Luft. Die blonde Frau rückte ihre wenigen Kleider zurecht und lachte.

„Ah, ich kenne dich. Ich hab dich im Traum gesehen, du bist der Mann mit dem Langschwert.“

„Das ist eine Masamune, kein Langschwert. Masamunen sind zuyyanische Schwerter, sie sind härter als das, was man auf Tharr Langschwert genannt hätte.“

„Du bist der Söldner aus Kuyala.“, flötete sie und er fragte sich, welche Teile von Ryannes Gedächtnis tatsächlich da waren und welche die zu große, zu mächtige Seele in ihr gefressen hatte... sie erinnerte sich an nichts von sich selbst, aber offenbar an vieles von ihm.

„Eigentlich... bin ich kein echter Söldner.“, seufzte er nur. „Ich bin eigentlich... nur ein Mann. Nichts weiter.“ Er erntete einen konfusen Blick, dann grinste sie ihn wissend an und fuhr sich ein paar Mal mit den Fingern durch die Haare. Sie atmete immer noch heftig und die Haut auf ihren üppigen Brüsten benetzte ein ganz feiner Schweißfilm.

„Eigentlich bin ich auch nur eine Frau.“, sagte sie, „Aber die Götter machen mich zu dem, was ich bin. Wäre ich keine Seherin, wäre ich Staub und Luft.“ Yarek schwieg eine Weile, bis sie wieder sprach; sie setzte sich mit zitternden Beinen auf den Boden im Korridor und pfriemelte an ihrer Kleidung herum. „Erzähl mir von dir.“

„Was? Warum?“

„Weil du eine Vergangenheit hast...“, murmelte sie, „Ich habe keine. Vielleicht teilst du... deine mit mir.“ Er sah sie an und sie sah nicht zurück. Plötzlich hatte er Mitleid, obwohl er wusste, dass Mitleid falsch war. Menschen verdienten kein Mitleid, denn Mitleid hieß, ihren Stolz zu begraben. Ryanne hatte Stolz... er wollte sie nicht bemitleiden für das, was sie war. Er wollte stolz darauf sein, dass sie trotzdem lebte. Ohne ein Wort zu sagen rauchte er zu Ende, trat die Kippe dann am Boden aus und schwieg weiter; es dauerte, bis er fortfuhr. Sie drängte ihn nicht und sagte auch nichts, sie sah ihn nicht an, sie malte mit dem Finger Kringel auf den Boden.

„Mein Vater starb, da war ich noch ein Säugling. Ich bin bei meiner Mutter und ihrer Schwester in Chawaj aufgewachsen, das war ein kleines Steppenkaff in Kuyala. Es war wirklich ein Kaff, es gab da nichts außer Sand. Aber es war meine Heimat und bis ich anderes kennenlernte, war es für mich der schönste Ort der Welt.“ Ryanne unterbrach ihn mit einem Kichern.

„Sand... in Kuyala gibt es viel Sand.“, sagte sie leise.

„Gab.“, korrigierte er, „Tharr ist explodiert.“ Die Seherin sagte nichts. Dann folgte nach unangenehmer Stille:

„Oh. Ach so. Ich sehe in deiner Zukunft Sand.“ Er fragte sich, ob das gut war.

„Als ich... sieben war, kamen die Zuyyaner.“, seufzte er. „Weil Krieg war und so. Sie brannten alles nieder, zuerst die Hauptstadt, Yathé. In unserem Landkreis wurde beschlossen, jeden Mann und Jungen, der fähig war, ein Schwert zu tragen, zum Krieger zu machen, um das Vaterland zu verteidigen. Wir mussten in ein Kriegslager ziehen und sie haben mich drei Jahre lang dort zum Krieger ausgebildet, bis ich zehn war.“

„Habt ihr gewonnen?“, fragte sie lachend und er lachte auch, weil die Frage lächerlich war.

„Was glaubst du denn? Dass eine Armee halb verhungerter Wüstenkinder gegen die perfekt trainierten Magier des Imperiums eine Chance gehabt hätte? Die meisten wurden geschlachtet und wer nicht getötet wurde, wurde gefangen. Sie haben mich auch gefangen und nach Zuyya geschleppt. Ich habe keinen Schimmer, wozu der Imperator uns in den Kerker brachte, was er mit uns wollte. Chenoa hat mir das nie gesagt. Vermutlich dienten wir als Testobjekte für was weiß ich, Medizin oder Zauber oder sonst irgendwas Abscheuliches. Ich war im Kerker und eines Tages kam Chenoa und hat mich raus geschmuggelt, hinter dem Rücken des Kaisers.“ Er erinnerte sich daran, als wäre es nur wenige Tage her, dabei war es ewig her... er war verdammte zehn Sommer alt gewesen, ein halbes Kind. Ein Kind, das zur Kampfmaschine gemacht worden war... mehr war er nicht gewesen. Er erinnerte sich an Chenoas bildschönes, eisiges Gesicht... Chenoa war so perfekt und emotionstot wie eine Puppe aus weißem Porzellan, wie reiche Mädchen sie manchmal besaßen. Sie war vieles für ihn gewesen... sie war seine Mutter gewesen, seine Mentorin, seine Beschützerin und Liebhaberin, als er alt genug für Sex gewesen war. In gewisser Weise war sie sogar eine Freundin gewesen... obwohl sie keine Seele hatte, weil sie Zuyyanerin war. Nahezu alles, was er heute beherrschte, hatte er von ihr gelernt; den Umgang mit der Masamune, das Reagieren auf zuyyanische Magie, lesen, schreiben, rechnen, Geschichte, er hatte alles gelernt. Er hatte Sex gelernt, und Chenoa war eine gute Lehrerin gewesen in diesen Dingen. Er erzählte Ryanne nicht von Sex; wenn sie das ernsthaft interessierte, würde sie es sowieso in seinen Gedanken sehen, denn er dachte mitunter daran. Er erzählte ihr von dem, was Chenoa ihn sonst gelehrt hatte und wie sie ihm die Aufgabe gegeben hatte, die Sieben zu beschützen. Er war kein richtiger Söldner, denn er bekam kein Geld für das, was er tat. Er tat es genau genommen nicht für Chenoa... sondern für die Mächte der Schöpfung, oder Geister, oder Götter, oder Katari, wer immer da die Gewalt beherrschen mochte... der war Schuld an allem.

„Ich frage mich...“, murmelte er dann, als er seine Erzählung beendete, „Wenn du eine Seherin bist und Chenoa auch eine ist, warum hat sie nicht dieselben Gedächtnislücken wie du?“ Ryanne sah von ihrer Malerei auf; er sah sowieso nichts davon, weil sie bloß mit dem Finger malte. In ihr Gesicht schlich das wissende Lächeln und er spürte, dass sie zurückkehrte... die unsterbliche Seele in ihr, die immer kurzzeitig verschwand und dann wieder auftauchte.

„Jeder sterbliche Körper... zerbricht auf andere Weise an der Seele, die zu mächtig ist.“, sagte sie und er schauderte, weil die Worte, wie abstrus sie auch klangen, ihn irgendwie gruselten. „Es äußert sich auf verschiedene Weise, weil es... verschiedene Körper sind. Vielleicht ist sie auf andere Weise wahnsinnig.“ Yarek brummte.

„Vielleicht, sagst du. Siehst du sie nicht in deinen Augen, die alles sehen, Seherin?“ Ryanne lächelte ihn bizarr an und unwillkürlich trat er einen Schritt zurück.

„Nein... sie ist aus meinen Augen verschwunden. Genauso wie... die anderen, die wir zurückgelassen haben. Vielleicht... ist niemand mehr übrig. In meinen Augen... sehe ich Tod und Schatten... und die zerrissene Seele des Dämons, der danach lechzt, sie zu seinen Knechten zu machen.“
 

Karana begegnete seiner Frau auf dem Korridor unmittelbar vor der Kammer, die sie sich teilten. Iana war verblüfft, ihn auf den Beinen zu seinen, wie es schien.

„Du bist auf? Hast du keine Schmerzen oder Träume mehr?“, fragte sie und er sah sie einen Moment an, während in seinem Inneren der Schattendämon vor sich hin grollte. Etwas in ihm zitterte bei Ianas Anblick; nicht vor Angst, sondern vor Zorn. Karana verwirrte das Gefühl, weil er nicht verstand, warum er zornig auf sie sein sollte... stöhnend raufte er sich die Haare.

„Geht schon. Ich komme klar und ich kann nicht ewig herumliegen. Mein Arm ist ja wieder heil. Ich suche die Seherin, weil... ich wissen muss, ob mein Vater und die anderen auf Zuyya in Ordnung sind.“ Er wollte an ihr vorbei gehen, aber Iana hielt ihn auf, indem sie mit ihrem rechten Arm seinen festhielt, sobald er neben ihr war.

„Was... lässt dich denn annehmen, sie wären nicht in Ordnung?“

Die Frage versetzte ihm einen Stich. Er wusste nicht, ob es sinnvoll war, ihr zu erzählen, was Manha so gesagt hatte... allein daran zu denken, dass das, was die Bilder seiner Visionen zeigten, wahr sein könnte, brachte ihm eine solche Übelkeit, dass er spontan mit sich kämpfte, um nicht zu würgen.

Es kann alles Manhas Einfluss sein. Das Mal. Vielleicht ist es gelogen... vielleicht sind sie am Leben.

In seinem Kopf lachte die kehlige Stimme ihn aus.

„Lauf, Karana... lauf vor deinem Schicksal davon und du wirst scheitern. Dann werden sie sterben... deine Frau und dein Baby. Nicht, weil ich es will... sondern weil du es entschieden hast. So, wie du... über deine Eltern entschieden hast.“

„Halt den Mund!“, zischte er und Iana starrte ihn an, er starrte zurück und sein Gesicht verfinsterte sich, während in seinem Inneren der Hass zu wachsen begann – es war wie in dem Moment, in dem er bei Scharan auf dem Schiff am Boden gelegen hatte und seinen Vater gehasst hatte. Es war sein Recht... es war seine Macht und die anderen sollten sich nicht anmaßen, zu glauben, er würde zulassen, dass auch nur einer von ihnen über ihm stand. Nicht einmal sie... nicht einmal Iana, seine eigene Frau.

„Sagst du zu mir, ich soll den Mund halten?“, fragte sie ihn nur konfus und er riss sich aus ihrem Griff los, bebte vor innerem, unterdrücktem Zorn und ballte krampfhaft die Fäuste, als sein Unterarm wieder zu pochen begann.

„Ich habe... Träume.“, stöhnte er, „Sie sagen... nichts gutes, Ianachen.“ Er merkte, wie es ihm schwer fiel, seinen Ton zu beherrschen, seinen Zorn zu beherrschen – irgendetwas zu beherrschen, und er verfluchte Ulan Manha und sein Fluchmal an seinem Arm, das flammend zu schmerzen begann, als er in Ianas Gesicht sah. Jetzt spürte er Verlangen nach ihr und er wich einen Schritt rückwärts – er hatte jetzt keine Zeit für sie. „Ich muss... Ryanne finden, Iana. Ich muss wissen, was mit meinen Eltern ist... mit allen anderen. Die Zeichen sind schlecht und die Zeit läuft uns davon. Wenn es Götter gibt... wie ihr gesagt habt... dann lassen sie uns wohl im Stich.“ Er sah sie schaudern, als er ihr einen zögernden Blick zuwarf und der Zorn in seinem Inneren wieder abflaute, als wäre er nur überkochende Milch gewesen und als hätte man jetzt den Topf vom Feuer genommen. Sie war so schön, seine Iana... er sah sie an und in ihm wuchs jetzt nur noch mehr das Verlangen, sie zu küssen und in die Arme zu nehmen, ihr zu sagen, dass er sich freute, dass sie ein Baby bekam. Es war sein Kind... ihr gemeinsames Kind, und der bloße Gedanke daran, bald Vater zu werden, erfüllte ihn plötzlich mit Stolz, Ehrfurcht vor seiner Frau und noch größerer Liebe zu ihr. Irgendwo in seinem Geist pochte das Fluchmal und Scharan kicherte, sodass es ihm schwer fiel, sich auf seine Glücksgefühle zu konzentrieren. Im Inneren herrschte noch immer die Panik um den Verbleib seiner Eltern...

„Ich... liebe dich, Iana.“, sagte er dumpf in Ermangelung einer Ahnung, was er jetzt sonst hätte tun sollen. Sie schwieg darauf. „Ich will... dass du das weißt. Egal, was in Zukunft mit mir geschieht... oder mit uns allen. Ich liebe dich für immer... meine Königin.“
 

Er war so dramatisch. Iana sah ihm nach, als er sie verzerrt angrinste und davon eilte... obwohl seine Worte so dramatisch gewesen waren, rührten sie sie im Inneren. Sie fasste unbewusst nach ihrem Bauch, in dem sein Kind heranwuchs. Der Gedanke machte ihr irgendwie Mut... während Karana sie jedes Mal nur verwirrte oder verunsicherte, wenn sie mit ihm sprach. Er war eigenartig, seit sie Neisa gerettet hatten... seit er Manha begegnet war. Dass es mit dem Mal und Manhas Einfluss auf ihn zusammenhing, stand außer Frage, aber was sollte sie dagegen tun? Konnte sie überhaupt irgendetwas tun? Mitunter schien er seinen eigenen Verstand zurück zu haben, aber es gab auch Momente, wo Iana glaubte, nicht Karana wäre es, der sie da ansah, anfauchte, anfasste, sondern der alte, finstere Dämon seiner Seele, der schon früher von ihm Besitz ergriffen hatte.

Sie hätte seinen Vater gerne danach gefragt. Puran als Herr der Geister wusste über solche Dinge besser Bescheid als sie oder irgendjemand anderes hier (Ryanne redete ja auch nur dann, wenn sie Lust dazu hatte)... sie fragte sich, was Karana damit gemeint hatte, irgendetwas könnte mit seinem Vater nicht stimmen.

Die Gedanken kamen von Karanas Vater zu ihrem eigenen, der längst tot war, und sie zog unwillkürlich das Kurzschwert aus der Scheide, um es zu betrachten, während sie an Ryannes kryptische Worte dachte.

„Dein Name war der Wille deines Vaters... die Buchstaben deines Namens.“ Sie fragte sich, was das bedeuten sollte... dummerweise konnte sie weder lesen noch schreiben; was sie also mit den Buchstaben ihres Namens anfangen sollte, wusste sie nicht.

Der Wille meines Vaters... was hat der Name, den ich bekam, mit Kadhúrem zu tun?

„Finde den Schatten deines Namens... dein Name ist dein Lebensgeist.“, sagten die Geister zu ihr und sie stutzte bei den so vertrauten und doch beunruhigenden Stimmen. Sie hörte sie seit neuestem öfter... es war die Stimme, die mit ihrem Mund sprach, wenn sie Kadhúrem benutzte. „Und dein Lebensgeist ist dein Band zu Kadhúrem, dem Schwert von Thayeran Kandaya... Iana Lynn, Akada.“

„Sag mir... doch deinen Namen, Geist.“, wisperte sie tonlos und die Geisterstimme in ihrem Kopf sagte lange nichts.

„Du kennst ihn schon.“, kam dann die Antwort, und sie spürte, dass die Geisterfrau lächelte. „Du kennst ihn schon, solange du lebst... in deinem Inneren. Hör auf dein Herz... dann findest du deinen Namen.“
 


 


 

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Woah! Wenn ich selber betalese weiß ich wenigstens wieder was hier vorkam o.o! Ich weiß gerade gar nicht ob noch mal jemand den leichten Irrtum über die Sache mit der technik von Ianas Familie erklärt, es ist nämlich etwas anders; aber irgendwie weiß das keiner. Höchstens Ryanne... hmm. Ich werde mich weiter durchpfriemeln :'D Ich mag Ryanne. xDD Sie ist die Beste ey. uû Man hätte das Kapi auch alternativ "Alle suchen die Seherin" nennen können... irgendwie will hier jeder zu Ryanne. xD

Der wahre Zweck der Trias

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Der Zorn der Götter

Die Tari Randora umfing eine unangenehme, kalte Schwärze, nachdem sie den Morgennebel weit hinter sich gelassen hatten. Plötzlich hatte man das Gefühl, durch nichts anderes als pure Dunkelheit zu fliegen, fern waren jetzt die warmen, glückverheißenden Lichter des Morgennebels. Weder Sterne noch Planeten noch sonst etwas kreuzte ihren Weg außer der ewigen Finsternis. Und nicht nur das; man hatte das Gefühl, mit jedem Zoll, den man vorankam, wurde die Dunkelheit finsterer.

„Ich kann nichts sehen da draußen!“, beschwerte sich Tayson und ruderte dabei mit den Armen, während er vor dem Steuer stand und hinaus starrte, „Es ist nur schwarz, kein verflixter Planet oder irgendwas, an dem man sich orientieren könnte-...“

„Dafür gibt es ein Radar.“, sagte Simu zu ihm und zeigte auf die Geräte im Steuerraum, die alle in irgendeiner Art der Navigation dienen sollten. Tayson war zu dumm dafür, er hatte von Technik keinen blassen Schimmer, von zuyyanischer schon gar nicht. Wo war Thira, wenn man die mal brauchte, konnte die nicht das Steuer übernehmen, jetzt, wo es so finster war? Sie sah bestimmt besser mit ihren Adleraugen...

„Verdammt, dann steuere du doch!“, fiel ihm dann empört ein und er zeigte auf den blonden Mann neben sich, „Du bist auch zur Hälfte Zuyyaner, oder nicht, Simu?“

„Keine Sorge, ich wollte dir nicht deine Arbeit wegneh-...“ Die beiden wurden unterbrochen durch ein ohrenbetäubendes Krachen von hinten, gefolgt von einer Erschütterung, die Tayson von den Beinen und gegen Asta schleuderte, die mit ihnen im Steuerraum kauerte und jetzt vor Angst aufschrie. Tayson fluchte und Simu strauchelte, packte das Steuer, als der Schwarzhaarige sich aufrappelte und sich empört bei Asta entschuldigte.

„W-was war das?!“, fragte diese nur erbleichend und Tayson sah auf seinen blonden Kumpel, der nur in Richtung des Rückfensters starrte und vermutlich versuchte, irgendetwas zu erkennen. Der Steuermann keuchte, aber er schaffte es nicht mal, zurück zum Steuer zu gelangen, denn in dem Moment krachte es noch einmal, lauter, und ein weiteres Beben erschütterte die ganze Tari Randora; einen Moment später kam Thira in den Steuerraum gestürzt und knallte die Tür mit solcher Wucht auf, dass sie gegen die Wand prallte und Asta abermals vor Schreck aufschrie.

„Verdammte Hurensöhne!“, schrie die Zuyyanerin, „Diese des Lebens nicht würdigen Bastarde, Scheiße! - Geh weg, Tayson!“

„Was zum-...?!“, keuchte der Mann nur entsetzt und wagte nicht zu widersprechen, als Thira zum Steuer hastete und volle Kraft durchstartete – oder es versuchte, denn irgendwie wurden sie nicht sagenhaft viel schneller. Tayson hörte rennende Schritte vom Korridor, wenig später stolperten nahezu gleichzeitig alle anderen der Truppe in den Steuerraum.

„Was ist passiert?!“, brüllte Zoras und Tayson fuhr wie immer zusammen bei der lauten Stimme; seit der Typ nur noch auf einem Ohr hörte, brüllte er jedes Mal, wenn er sprach, es war echt anstrengend...

„Diese Hurensöhne!“, schnarrte Thira, ließ das Steuer los und zog ihre Kouriha aus dem Gürtel, „Diese Bastarde, sie haben unser Heck gerammt, sie müssen uns volle Kraft hinten rein gefahren sein! Katari scheint uns zu segnen, dass sie nicht den Mechanismus der Schwerkraft hier drinnen gekappt haben dabei, oder gar die ganze Wand durchbohrt, scheiße noch mal!“ Sie stürzte an den anderen vorbei wieder hinaus aus dem Steuerraum, dabei warf sie noch über die Schulter: „Macht euch fertig, ich fürchte, sie greifen uns an.“

„Äh, was?“, machte Tayson reichlich langsam und fragte sich, wie so plötzlich so viel auf einmal geschehen konnte – dann brach auch schon Chaos im Steuerraum aus und alle riefen wild durcheinander.

„Verdammt!“, fluchte Karana und schob seine Frau zur Seite, „Du bleibst hier drinnen, bei deinem Zustand bist du wohl kaum eine Hilfe! Tayson, nimm das Steuer, bevor wir irgendwo gegen fahren!“ Er setzte Thira nach, Zoras, Neisa, Simu, Yarek und selbst Eneela verschwanden auch, und Tayson stand einen Moment belämmert im Steuerraum, bis es Asta war, die an seinem Arm riss.

„Hast du nicht gehört?“, keuchte sie, „Schnell, w-wir müssen aufpassen, steuere, Tayson!“ Er tat irgendwie, was er sollte, wie genau, wusste er im Endeffekt nicht mehr, weil ihn das alles verwirrte. Plötzlich wurden sie angegriffen, plötzlich rannten alle her und wieder weg – und alles war dunkel. Tayson fragte sich, wieso er eigentlich hier war... was machte er hier? Was konnte er machen, außer der Depp zu sein, der nichts kapierte... gemeinsam mit Asta Zinca, die vermutlich genauso wenig Peilung hatte wie er?

„Du bist... so simpel.“, flötete die Seherin, die noch da geblieben war, gemeinsam mit Iana, die nach ihrem Bauch fasste und verwirrt wirkte. Der junge Mann schenkte der verrückten Seherin einen kurzen Blick und sie grinste ihn an. „Das macht... es aus, weißt du? Haha. Abgesehen davon hast du einen Penis.“ Tayson starrte sie an und Asta errötete neben ihm, Iana zischte.

„Scher dich raus und mach dich nützlich, du Fanatikerin!“, schnaubte sie in Ryannes Richtung und Tayson wollte der Blonden noch irgendetwas antworten; aber sie war schon davon getänzelt auf diese betörende Art, auf die sie sich immer bewegte, und seine Gedanken hingen irgendwo bei ihr und ihrer knappen Bekleidung, als er sich konfus wieder zum Steuer umdrehte. Asta sah ihn an und es war ihm irgendwie unangenehm, ohne dass er wusste, warum.
 

Die Schiffe waren ineinander verkeilt. Thira stand auf dem Dach der Tari Randora am Heck, in knapper Entfernung hinter ihr die anderen mit gezückten Waffen; mehr als feststellen, dass Manhas Schiff ihnen tatsächlich ziemlich heftig hinten rein gefahren war und jetzt mit dem Bug in ihrem Heck steckte und offenbar nicht mehr los kam, konnte die Zuyyanerin nicht, denn im nächsten Moment gab es ein ohrenbetäubendes Krachen und eine Welle aus purer, zerstörerischer Macht erfasste das gesamte Oberdeck mit dem tosenden Brüllen aller Unorte in sich, das Thira rückwärts zu Boden straucheln ließ; aber es griff gar nicht sie an, sondern die Kameraden hinter ihr, es rauschte an ihr vorbei in einem pechschwarzen Blitz aus purer Mordlust und sie hörte Karana hinten schreien:

„Achtung, Scheiße!“, im nächsten Moment ertönte das nächste Donnern und alle fluchten. Thira rappelte sich auf die Beine und starrte in Yamurus Gesicht, der plötzlich direkt vor ihrer Nase aus dem Nichts auftauchte. Sie hatte ohne mit der Wimper zu zucken ihre Kouriha gehoben und in seine Richtung geschlagen, aber er blockte den Angriff gelassen mit der Sanhari.

„Was bei Katari und allen Mächten der Schöpfung soll das werden, wenn es fertig ist?“, schnarrte sie und war verblüfft über die Regungen in ihrem Inneren, wo sie schon wieder sein Gesicht sah, diese Macht roch, die er ausstrahlte, diese Bedrohung wahrnahm, die in seinen verdammten Augen lag.

Scheiße, er war so absolut anziehend. Und sie ohrfeigte sich innerlich, weil sie jetzt nicht an das denken wollte, was er mit ihr gemacht hatte gerade eben noch – um sie jetzt hinterrücks anzugreifen. „Du lügnerischer Bastard, du intriganter, des Lebens nicht würdiger Hurensohn, Yamuru Mirrhtyi!“, schrie sie ihn an, „Was macht euer scheißverdammter Bug in unserem Heck?!“

„Das war Kyeema, diese dumme Nuss hat den Piloten fast umgebracht in ihrem Wahnsinn, vergib mir.“, lachte er und allein die Tatsache, dass er lachte, während um sie herum ein Inferno aus allen magischen Elementen und Gebrüll purer Vernichtung und Mordlust entbrannte, machte sie rasend vor Wut. Ihr Inneres brannte aus einer Mischung aus Zorn und den Nachwehen des Aktes heraus, den sie mit Yamuru geteilt hatte, und sie hasste ihn, weil er hier war und sie angrinste und genau wusste, was er ihr angetan hatte – mit dieser verflixten Seele.

Sie hatte nie eine haben wollen... es war besser ohne gewesen. Es hatte weniger gebrannt.

„Kyeema!“, spuckte sie so, „Du schiebst ihr in die Schuhe, was du hier anrichtest?!“

„Es war alles ihre Idee.“, tat er das ab und Thira griff ihn frontal an, sie schlug nach ihm, schleuderte Eiszauber nach ihm, die natürlich reichlich uneffektiv waren im Kampf gegen einen Meister des Eises; er grinste immer noch so selbstgefällig, als er ihre Eiszauber mit seiner Sanhari mühelos manipulierte und sie gegen sie selbst zurück schleuderte. Das Eis gehorchte ihm mit jeder Faser, es schien geradezu danach zu schreien, Yamuru zu Füßen zu liegen, als erfülle es damit seinen einzigen Existenzzweck. Thira schauderte bei der Macht ihren Cousins und hechtete zurück über das vibrierende und tosende Deck, Yamurus Zaubern und Schlägen ausweichend. Er war schnell, aber sie hatte gut und viel gelernt bei Chenoa, sie war nicht viel langsamer als er, sie konnte mithalten.

Dachte sie, bis er sie schließlich nach einem rasanten Schlagabtausch am Oberarm packte und sie zu Boden schleuderte, sich über sie kniete und sie an die metallene Verkleidung der Tari Randora pinnte, die Sanhari an ihrer Kehle. Er schleuderte ihr die Kouriha aus der Hand und sie keuchte; um sie herum explodierte mit einem Tosen irgendein Zauber und sie hörte das markerschütternde Brüllen von Kyeemas gewaltigem Barak, der Windbestie.

„Ich könnte sie... daran hindern, hier alles in die Luft zu jagen, Thira.“, raunte er ihr ins Ohr und die Zuyyanerin schauderte in einer Mischung aus nackter Panik und dem unerhörten Verlangen, das in ihr wuchs, weil er seine Stimme senkte und weil sein Körper ihrem so nahe war wie vorhin. Seine Hand, die ihre Handgelenke festgehalten hatte, ließ diese los und strich ihr mit gespreizten Fingern über die gestreckte Kehle, fasste nach ihrem rasenden Puls, fuhr herab zu ihrem Busen, worauf sich Thiras Atem beschleunigte. „Ich kann sie aufhalten, wenn du willst... oder ich kann zulassen, dass sie Karana und Zoras und die anderen alle platt mäht und nichts... von ihnen übrig bleibt. Es ist deine Wahl... Thira.“

„Warum solltest ausgerechnet du eine wild gewordene Lianer-Kampfmaschine bändigen können?“, schnarrte Thira und wand sich nicht unter ihm, weil es nichts genutzt hätte. Er lächelte nicht.

„Weil ihre dumme, sinnlose Seele mir schon gehört... weil sie vor mir auf die Füße fallen und sie ablecken würde, würde ich es ihr befehlen.“ Thira keuchte.

„Du... hast ihre verdammte Seele kontrolliert?! Weiß Manha das?!“

„Wäre gegen meine Pläne, wüsste er es.“

„Was ist dein Preis?“, schnarrte sie, während sie zu ihrer Waffe linste, die außerhalb ihrer Reichweite auf dem Deck lag. „Dafür, dass du Kyeema zurück befiehlst...“ Ein blechernes Krachen und ein wüster Schrei von Zoras ließ sie schaudern. Sie musste hier weg, sie musste ihn hier runter kriegen, egal wie. Sie würde sich nicht von ihm kaufen lassen... ganz sicher nicht.

„Dann lass ich dich in Frieden.“, sagte er und sie fragte sich, ob er sie verarschte; das war kein Preis, das war ein Geschenk. „Für immer, und du wirst nie wieder etwas von mir hören. Du wirst vergessen, das ich lebe, und ich werde vergessen, dass du lebst.“ Er beugte sein Gesicht neben ihrem herab zu ihrem Ohr und sie spürte seinen heißen Atem auf ihrer Haut, sie sog den irgendwie eigenen, aber nicht unangenehmen Geruch seines Körpers ein, die Gefühle, die er auf sie ausstrahlte, die Erinnerungen an das, was sie vorhin so intim geteilt hatten, und sie spürte, wie ihr Körper unter ihm schwach wurde. Zwischen ihren Schenkeln staute sich eine ätzende Hitze und Feuchtigkeit, und sie wollte, dass er sie berührte, sie wollte, dass er sie nahm, sie küsste, sich mit ihr vereinte wie vorhin, sie wollte...

Sie wollte garantiert nicht nie wieder etwas von ihm hören, verdammt.

„Ich werde... dich zerreißen!“, schrie sie ihn an, und mit einer plötzlichen Kraft in sich, die sie selbst nicht zuordnen konnte, schlug sie ihn von sich runter, wobei seine Waffe sie am Kinn leicht verletzte. Es war ihr egal, sie spürte keinen Schmerz. Sie sprang auf die Beine und wirbelte herum, griff ihre Kouriha und schlug nach ihm. Er seinerseits sprang zurück Richtung Heck, sodass sie ihm folgte, und als er die Sanhari wegsteckte, glaubte sie schon, er würde fliehen; aber er hielt an, beschwor mit einer Hand seine grün schimmernde, eigene Reikyu herauf und lächelte sie an.

„Ah, also... da dir deine Kameraden egal sind... kann ich ja die Reikyu benutzen, um dich zu deinem Glück zu zwingen, was? Mal sehen, wessen Gehörsinn oder sonst etwas heute dabei kaputt geht... Zoras Derran ist sehr tapfer trotz seiner dauerhaften Behinderung, hm?“ Sie ballte die Fäuste.
 

„Was bist du doch für eine... gute Freundin und Gefährtin, Thira. Du lässt sie sterben... weil sie dir nichts nützen, im Gegensatz zu mir. Nicht wahr...?“
 

Der schwarze Barak wütete auf dem Deck und hatte kaum Mühe, alles zu zertrümmern. Die Macht und Bosheit, die die Lian ausstrahlte, kam aus Kyeemas Herzen, es war pure Mordlust, purer Hass, und Eneela schlug eine Welle aus nackter Finsternis gepaart mit tödlichem Wind entgegen, mit einer so unglaublichen Wucht, dass sie alle zusammen kaum etwas gegen Barak oder Kyeema tun konnten. Sie hörte Zoras irgendwo fluchen und sie hörte das Krachen von Zaubern, die aufeinander schlugen, sie sah irgendwo alles blitzen und leuchten; aber viel intensiver als dieses plötzliche, flammende Schlachtfeld um Eneela herum war die Wahrnehmung des gigantischen, todbringenden Barak, der Windbestie von Kyeema. Die junge Lianerin rappelte sich keuchend auf die Beine, nachdem eine Welle aus Macht und Wind und Bosheit sie zurück quer über das Deck geschleudert hatte, und sie sah keuchend auf Kyeema, das Mädchen, das für Scharan kämpfte.

Das Mädchen, das sein eigenes Volk verriet für den Bastard, der alle Lianer versklavt hatte.

Eneela ballte die Fäuste, ehe sie ihr Herz gegen die Welt verhärtete, so gut sie konnte. Sie war nicht zum Kämpfen geboren, und doch musste sie es dauernd tun... sie durfte auf keinen Fall zulassen, dass Kyeema oder ihr wild gewordener Barak aus purer Schlechtheit ihre Kameraden verletzte.

„Yolei!“, beschwor sie die Wasserbestie, die sie am liebsten hatte, weil sie ihr schon einige Male das Leben gerettet hatte. Sie wusste, auf die Beschwörung einer anderen Lian würde der tobende Barak aufmerksam werden, ebenso seine Beschwörerin... aber in ihrem Geist wuchs ein Mut, den sie von sich nicht kannte, als Kyeema in der Ferne zu ihr herüber starrte, die hellen, fast weißen Augen auf sie gerichtet, und ihr Hass und ihre Wut verfestigten sich, als sie die Fäuste ballte.

„Eneela Kaniy!“, hörte Eneela die andere aus der Ferne grollen, „Du... Missgeburt, du Ausgeburt des Himmelsdonners! Ich werde... dich zerreißen! Du des Lebens unwürdige... Schlampe! - Barak! Töte sie... töte sie alle! Ich will keinen von denen lebend hier raus kommen sehen, und am wenigsten sie!“

Eneela konnte nicht schnell genug reagieren, denn der Hass, den Kyeema ausstrahlte, machte sie fertig; sie spürte es so extrem, als würde sie mit Hass beworfen, und sie wusste, dass sie das schon mal gespürt hatte. Warum? Was hatte sie diesem Mädchen je getan?

„Y-Yolei!“, keuchte Eneela und es war wohl eine Mischung aus purem Glück und Zufall, dass ihre Wasserlian sie tatsächlich vor Baraks mörderischem Angriff beschützen konnte. Die nächsten Empfindungen gingen in Tosen unter; Eneela riss die Hände mehr instinktiv nach vorne, um Yolei Barak angreifen zu lassen, und sie hörte irgendwo in allem Krachen und Brüllen um sich herum jemanden nach ihr rufen. Sie hatte keine Zeit, sich umzudrehen.

„Den... nehme... ich!“, japste sie, zu wem auch immer, der wohl versuchte, ihr Arbeit abzunehmen, „Ihr Hass... gilt in erster Linie mir! Ich werde... das nicht... an euch abtreten! An niemanden von euch... dieses Mal werde ich... mich nicht retten lassen, egal von wem! - Urak!“ Als nächstes beschwor sie die Lian der Erde; sie spürte, wie die Macht in ihr raste, wie das Blut wie kochend durch ihre Adern schoss, als die Erdbestie mit den Ranken nach Barak griff und gewaltsam versuchte, den gigantischen Drachen zu Boden zu zerren, während Yolei ihn mit Wasser angriff.

Das war ihr Kampf. Was immer Kyeema für ein Problem hatte, es hatte mit ihr zu tun... und deswegen musste sie das lösen, nicht Simu, nicht Karana, nicht Zoras, nicht irgendjemand, sondern sie allein.

In ihren Adern pulsierte die Macht und es schmerzte, es trieb sie in einen Rausch, den sie nicht kannte, und Eneela keuchte, als die Erdlian es tatsächlich schaffte, den gewaltigen Barak hinab auf das Deck der Tari Randora zu zerren, ihn am Fliegen zu hindern. Doch der Triumph war nur von kurzer Dauer, denn mit einem einzigen, verheerenden Schlag der bestialischen Flügel zerschmetterte Barak Urak und tobte mit irrsinnigem Wahnsinn auf die Lianerin zu; Yolei wurde bei dem Versuch, Eneela zu schützen, ebenfalls in bloßer, finsterer Wut der Windlian zerfetzt und Eneela wusste, es waren nicht ihre Lians, die versagten... es war sie selbst, die nicht dieselbe, unnatürlich bösartige, geballte Willenskraft besaß wie Kyeema.

Lians waren Geister, die aus dem Willen und der Seele eines Beschwörers heraus entstanden. Kyeema war voller Wut, voll von abgrundtiefem Hass, auf sie, auf die anderen, Eneela wusste es nicht, aber die Wut in ihr machte Kyeema so gnadenlos und willensstark. Eneela keuchte und warf sich im letzten Moment auf den Boden des Decks, entkam Barak um Haaresbreite, der über sie hinweg fegte und mit einem markerschütternden Brüllen, das klang wie ein Schrei aus dem Himmelsdonner selbst, irgendetwas in der extremen Wut zerschmetterte.

„Bring sie um... bring diese des Lebens nicht würdigen Maden alle... um!“, kreischte Kyeema und die andere Lianerin am Boden sah japsend wieder auf, bebte, zitterte, als sie den Blick ihrer bösen Gegnerin fing. Sie glichen einander aufs Haar, sie sahen sich so ähnlich... wie alle Lianer einander ähnelten, und dennoch gab es zwischen diesen beiden Beschwörerinnen einen so klaffenden Unterschied, Eneela konnte ihn spüren, wenn sie Kyeemas von Wahnsinn und Mordlust verzerrtes Gesicht sah.

„Steh auf, Eneela Kaniy!“, schrie die Gegnerin ihr entgegen und sprang zurück, mit einer simplen Handbewegung dirigierte sie Barak wieder in ihre Richtung und beschwor mit der anderen Hand, als wäre es nichts weiteres, die Feuerlian Lavia ebenfalls herauf. „Steh auf, ich lasse mir meinen Sieg nicht von einer Missgeburt verunstalten, die zu feige ist, um zu kämpfen! Los, kämpfe! Bist du nicht die Tochter der großartigen Kaiya, hm?! Die Tochter der Hure, die als so toll und begabt und... willensstark galt?! Tss, diese Schlampe... es geschieht ihr recht, dass sie verreckt ist.“

Eneela spürte eine Flamme in sich, die sie selten bis nie spürte – es war auch teilweise die gleiche, die sie gespürt hatte in dem Moment, in dem sie geflohen war aus Scharans Anwesen auf Ghia; es war Panik... es war nackte, blinde Todesangst, als Kyeema Lavia und Barak von zwei Seiten zugleich auf Eneela zu schickte, aber das vorherrschende Gefühl in ihrem Inneren war dennoch ein anderes.

Es war Wut.

Sie rappelte sich auf die Beine und beide Arme riss sie bebend vor wachsendem Zorn empor und in Kyeemas Richtung, mit einem Emporschießen der Flamme in ihrer Seele und einem gleißenden Blitzen rief sie Shada, die Bestie von Blitz und Donner – sie tat es einfach intuitiv, ihr Körper reagierte einfach auf das, was ihre Seele fühlte, ohne dass ihr Verstand viel mitarbeitete. Sie spürte den Zorn, sie hörte die Worte von Kyeema, die ihre Mutter eine Hure nannten. Niemand nannte ihre Mutter eine Hure – niemand wagte es, die Frau zu beschmutzen, die Eneela das Leben geschenkt hatte – die Frau, die gestorben war, um ihr einziges Kind zu schützen.

Sie musste die andere Beschwörerin erreichen – die Lians zu besiegen brachte überhaupt nichts, wenn Kyeemas Hass und Wille nicht gebrochen wurden. Sie musste sie erreichen und niederschlagen, und sie würde, diese Schlampe hatte ihre Mutter beschmutzt...

Niemand... nennt meine Mutter eine Hure!“, zischte sie bebend, als sie die Arme herum riss und obwohl das Blut und der Schmerz der Anstrengung in ihr fast explodierte mit einem Krachen vor sich noch Lavia beschwor, um ihren Feuervogel gegen den von Kyeema auszusenden. „Niemand... nicht einmal du, Kyeema!“

Barak war die mächtigste der sechs Lians; Eneela war selbst zu sehr berauscht von ihren Empfindungen und dem neu entdeckten Willen in sich, etwas zu schaffen, etwas zu erreichen, um sich darüber zu wundern, dass Shada, eigentlich von geringerer Macht als der gigantische Drache von Kyeema, diesem unglaublich lange standhielt – letztlich war es dennoch der boshafte Drache, der die Blitzschlange zerfetzte, in dem Moment, in dem Eneela es schaffte, an den beiden kämpfenden Lavias vorbei zu Kyeema selbst zu gelangen. Sie packte das andere Mädchen an der Kehle, stieß es auf das Deck mit einer Gewalt, die sie von sich selbst nicht kannte, presste Kyeema voller Zorn und Entschlossenheit auf den Boden, die Hand an ihrer Kehle. Und Barak stoppte im Hintergrund, während um die Lianerinnen herum das Deck in Flammen des Kampfes aufloderte, weil alle anderen noch immer miteinander beschäftigt waren.

„Nenne mir... nur einen Grund, Kyeema.“, sagte Eneela zu der anderen Lianerin, während ihr die Augen tränten; nicht, weil sie weinte, sondern weil ihr Körper ihr zu entgleiten begann. Es war zu mächtig – sie verbrauchte so viel geistige Kraft für das, was sie tat, dass ihr Körper zu schwinden begann. Und dennoch sah sie den panischen Blick Kyeemas, sah in ihre fast weißen Augen und erkannte darin Furcht... für einen Moment, als stünde die Lianerin nicht ihrer Stammesschwester, sondern irgendeinem abstrusen Dämon aus dem Himmelsdonner gegenüber. „Nur einen Grund... warum hasst du mich so? Warum... hasst du meine Mutter? Was bewegt dich, für den Mann zu kämpfen, der unser Volk versklavt und entmachtet hat?! Antworte... du miese, dreckige Schlampe!“

Der Moment des Triumphs war so plötzlich vorüber wie die Flamme in Eneela empor geschossen war, denn genauso plötzlich war sie weg, als Kyeema mit einem Wutschrei voller Schatten und Abscheu Eneelas Griff entkam, sich losriss und stattdessen die andere zu Boden schleuderte; Lavia vernichtete Eneelas Lavia und Barak brüllte und wütete in dem Zorn, der in Kyeema wieder neues Leben erhielt – Eneela konnte die andere nur anstarren und sich nicht rühren, und außer sich vor Hass bebte die Kontrahentin, die ihre bleichen Fäuste ballte.

„Einen Grund...?!“, blaffte sie, „Mein Vater hat sich um mich gekümmert, mein Vater ist der einzige, der... mir Leben geschenkt hat! Mein Vater, der Mann, der mich geliebt und erzogen hat, der Mann, der erkannt hat, welche Macht ich besitze... es war doch die Hure von deiner Mutter, Eneela Kaniy, die meine leiblichen Eltern ermordet hat! Die Hure von deiner beschissenen Mutter, die mich ermorden wollte... weil nicht ihre Tochter das Mächtigste des Anwesen war, sondern ich! Scharan war es... den du eine Bestie nennst, der Mann, der mich davor bewahrt hat, von dieser Wahnsinnigen in Stücke gerissen zu werden... der Mann, der mich erzogen hat wie sein leibliches Kind, der Mann, dem ich alles verdanke, was ich bin! Sieh... ich habe einen Willen, den du nie haben wirst... Tochter von Kaiya!“ Kyeema lachte wie wahnsinnig, als Eneela sie nur anstarrte und in ihrem Inneren irgendetwas zerbrach in dem Moment, als sie das Gesicht der anderen Lianerin ansah.

Es war irgendetwas darin, das sie beunruhigte – etwas, das in ihr panische Angst weckte... nicht vor Kyeema, sondern um sie. Und die Gewissheit in ihrem Geist, dass das Mädchen sterben würde – so oder so, bald. Plötzlich wollte Eneela um sie weinen... und sie wusste nicht, wieso. Wieso wollte sie um eine Person weinen, die sie töten wollte... die Dinge über ihre Mutter sagte, die nicht wahr sein konnten?

„Du lügst...“, japste sie schwerfällig und Kyeema riss im Rausch lachend ihre Arme in die Höhe und schrie.

„Die Schlampe hat meine Eltern getötet – ich hasse sie... und dich dafür, dass du am Leben geblieben bist, obwohl ich wollte, dass ihr beide krepiert... an dem Tag, als ihr geflohen seid! - Barak!“ Barak brüllte und Eneela kämpfte sich auf die Beine, schlug nach der anderen, verfehlte sie. Sie strauchelte; in ihr war die Flamme, das einzige, was sie noch am Leben hielt, so fühlte es sich an, denn die Erschöpfung zehrte so mächtig an ihr, dass ihr Blickfeld verschwamm.

Sie durfte nicht fallen! Sie musste stehen bleiben, um jeden Preis.

„Was... sagst du da?!“ Eneelas Stimme zitterte, als sie sprach, und Kyeema verzerrte das wahnsinnige, weggetretene Gesicht.

„Glaubst du, ihr wärt je raus gekommen, wenn ich es nicht gewusst hätte? Euch nicht absichtlich den Weg geebnet hätte, um dafür zu sorgen, dass ihr kurz, bevor ihr glaubt, ihr hättet es geschafft... ermordet werdet? Schade... dass Vater nur Kaiya erwischt hat und du verblüffenderweise... fliehen konntest.“

Diese Eröffnung schlug in Eneelas Herz ein wie ein Donner – sie schlug ein und entfachte den Zorn von neuem, heftiger, tödlicher, plötzlicher als beim ersten Mal.

Diese Frau war Schuld am Tod ihrer Mutter – sie hatte dafür gesorgt. Scharan hatte sie letztlich getötet... aber es war Kyeemas Wille gewesen, Kyeemas Anordnung, Kyeemas Faden, der alles gezogen hatte... der ihr Gemüt jetzt überschattete mit einer abgrundtiefen Bosheit, die Eneela von sich nicht kannte.

„Du... elende Mörderin!“, keuchte sie – mehr war sie nicht fähig zu sagen, denn dann schaltete sich ihr Verstand aus in dem Moment, in dem das Feuer des Zorns in ihr hoch empor schlug und sie fast verbrannte... in dem Moment, in dem sie die Hände empor riss und die Macht in ihre Finger floss, als wäre sie flüssig.
 

Yamuru fragte sich, ob er Kyeema befehlen sollte, sich zurückzuziehen, denn es sah nicht gut für sie aus; aber er war sich nicht ganz sicher, ob er seine Seelenkontrolle soweit im Griff hatte, dass er ihr wieder befehlen konnte... ganz davon abgesehen, dass er geistig noch immer etwas aufgewühlt und genervt war von Dakus Störung von zuvor, musste er gerade darauf aufpassen, dass seine Cousine ihm nicht den Kopf abschlug. Sie war schnell, aber zu seinem Glück war sie genauso wenig bei der Sache wie er, wenn nicht sogar noch weniger, weil es für sie das erste Mal gewesen war; für sie war die ganze Empfindung neu gewesen, für ihn nicht, und den kleinen Vorteil ihr gegenüber nutzte er gekonnt aus, um sich davor zu bewahren, von ihr zu Hackfleisch verarbeitet zu werden. Es krachte, als die Druckwellen der beiden Reikyus erneut aufeinander trafen wie zwei Fronten aus gewaltigen Kriegern; unsichtbar für menschliche Augen waren sie, aber Yamuru konnte sie mit seinem linken Auge deutlich sehen, die Ströme aus purer Macht, aus purer Unsterblichkeit, denn die Magie starb niemals. Sie war ein Teil der Seele und Seelen währten ewig... daher waren sie ja so begehrt für die Produktion von Endlosbatterien. Die Endlosbatterie, mit der die Tari Randora betrieben wurde, beruhte allein auf der Ewigkeit der Seelen, aus denen sie gemacht worden war... Yamuru hatte sie gesehen in seinen Träumen, die Batterie.

Die Batterie, von der alles abhing, denn ohne sie konnten sie die Trias nicht aktivieren. Sie war mächtig gewesen... und er hatte die Seelen in seinen Träumen zu ihm sprechen gehört, die Seelen all der Opfer, die hatten verrecken müssen für die Genialität der Vier Reiche, für das Fortbestehen der Himmelclans.

Sei einer von uns, hatten sie gesagt, und der junge Mann schauderte unwillkürlich bei den Worten – das hätte ihn fast den Kopf gekostet, denn Thira stürzte sich mit seelischer Magie auf ihn und hätte ihn fast zerschmettert im Inneren durch pure Willenskraft. In just diesem Moment ertönte ein schauderhaftes Brüllen aus der Ferne, das lauter und extremer war als das von Kyeemas Barak bisher, und es ließ sowohl ihn als auch Thira in die Richtung herumfahren, wo alle anderen mitten in der Schlacht waren. Das gesamte Szenario fror ein, auch da drüben, und Yamuru keuchte.

„Was zum... jetzt sind es zwei Baraks!“

„D-das ist... das ist Eneelas?!“, japste Thira vor ihm und er verkniff es sich, das höllisch schmerzende linke Auge zu reiben, das nach viel zu intensiver Benutzung heute kurz davor schien den Geist aufzugeben. Der Violetthaarige starrte nur auf das, was da drüben vor sich ging, als ein zweiter Barak, nicht minder furchtbar und gewaltig als der von Kyeema, in den schwarzen Himmel stieg und dem von Kyeema in einer Bestialität und Stärke Kontra bot, die Yamuru noch nie zuvor bei irgendjemandem gesehen hatte, der gegen Kyeema antrat.

Kyeema war Manhas ultimative Kampfmaschine, seine perfekt ausgebildete Schlächterin, gegen die niemand ankam; nicht mal Kanau oder die anderen Tölpel würden es jemals wagen, Kyeema herauszufordern, denn sie war eine begnadete Meisterin des Beschwörens. Und Kyeemas Seele war seinem Willen unterworfen... wenn er nur genug Kontrolle darüber zurück erlangte.

Verdammt...

Wenn diese beiden Baraks, von ihren Meisterinnen in absolutem Verlust jeglicher Selbstkontrolle beschworen und gelenkt, gegeneinander anträten, würden sie alle zerfetzt, samt Tari Randora und Tari Randora Zwei und der Batterie, das war gewiss. Es wurde Zeit, sich zurückzuziehen... und der Moment, in dem seine Cousine fassungslos auf Eneela starrte, war vielleicht der einzige, den er nutzen konnte, um seine Konzentration mit aller Macht auf Kyeemas Seele zu richten.

Gehorche mir, knie mir zu Füßen, Kyeema, Tochter von Ulan Manha, ohne dass du dein Schicksal ahnst... dein Schicksal, das jetzt in allein meiner Hand liegt, nicht in Manhas, nicht in Eneelas... auch nicht in deiner eigenen. Du bist meine Puppe, wenn ich es befehle... und ich sage, kehr um. Es ist vorbei... du hast versagt, wie ich es vorausgesagt habe. Manha ist... ein Idiot.
 

Die Abgründe der Finsternis sind noch nicht erreicht.
 

Kyeemas Barak und auch Lavia und was sie sonst noch beschworen hatte verschwanden, als die Lianerin zusammenbrach. Yamuru verfluchte sich; nein, sie sollte nicht umkippen, sie sollte zurückgehen! Natürlich war ihr Körper an seiner äußersten Grenze angelangt... dann musste ihre Seele eben gezüchtigt werden, damit ihr Körper gehorchte.

„Zieht... euch zurück!“, schrillte die Stimme des Lianermädchens über das Deck der Tari Randora und Yamuru zog sie wie an unsichtbaren Fäden in Richtung ihres eigenen Schiffs, ließ ihren Körper sich nur durch bloßen Willen bewegen – eine Aktion, die sie durchaus umbringen konnte, wenn er ihren Körper zwang, wieder aufzustehen, obwohl er am Äußersten angelangt war. Was scherte es ihn... es wäre nicht so wild. Aber es wäre besser, würde sie noch etwas leben... er konnte sie sinnvoller benutzen, wenn er gut genug war.

Die anderen gehorchten Kyeema, weil sie glaubten, sie würde das befehlen. Yamuru würden sie an dieser Stelle nicht trauen... es war gut, dass er Kyeema nach seinem Willen sprechen lassen konnte. Zoras Derran fluchte irgendwo und versuchte, die Schamanen mit einem gigantischen Blitz zu erschlagen, doch Rok teleportierte sie schneller weg als er zaubern konnte. Kyeema rannte, obwohl ihr Körper dem Sterben nahe war, und Yamuru grinste zufrieden, als er Thira mit einem gekonnten Stoß seelischer Macht zurück stieß, sie daran hinderte, ihn aufzuhalten. Er sah sie an, als sie zu Boden stürzte und sich keuchend überschlug, und er traf ihren Blick aus den roten, feindseligen Augen, die trotzdem ausdrückten, dass sie ihn wollte. Genau wie er sie. Er musste dringend aufhören, daran zu denken...

„Du wirst kommen, Cousine.“, grinste er sie an, als er zurück sprang und Kraft seiner Seele fähig war, zu fliegen, während Kyeema rannte „Wenn die Zeit gekommen ist, kommst du freiwillig. Weil du von mir abhängig bist wie... die Pflanzen vom Licht.“

Er wich zurück, als sie wutentbrannt schreiend aufsprang und eine Welle aus Macht nach ihm schleuderte – viel gefährlicher als Thira war aber dann Eneela, die seine und Kyeemas Flucht auf das andere Schiff beinahe vereitelt hätte.

„Barak... lass sie nicht entkommen!“, keuchte die Lianerin fern jeden Verstandes und fern jeglicher Sterblichkeit, einfach nur eine Ballung von Macht und dem Willen der Götter, der Eneela überhaupt geschaffen hatte. Und der Barak stürmte auf Yamuru und Kyeema zu, als er die Lianerin hinüber auf die Tari Randora Zwei springen ließ... und er hätte Kyeema mit voller Wucht erwischt, sein tödlicher Windzauber genauso mächtig und verheerend wie die Windmesser von Karana, hätte Yamuru nicht instinktiv mit einem Schwenk seiner Sanhari einen Eissplitter in der Größe eines Faustkeils zielsicher durch Eneelas Brust gejagt. Als die junge Frau zusammensackte und irgendjemand schrie, wandte Yamuru sich ab und sprang Kyeema nach. Barak explodierte in einer Wolke aus purer Zerstörungskraft, und er verfehlte Kyeema und Yamuru dabei; die Macht der Wolke allerdings zerschmetterte das halbe Heck der Tari Randora und den Bug von Manhas Schiff, trennte beide ineinander verkeilten Schiffe wieder voneinander, worauf letzteres sofort nach unten abzudriften begann wie ein abstürzender Vogel.

Lauf!“, brüllte der Zuyyaner Kyeema an, als er sie am Arm packte und sie mit sich über das Deck schleifte, bis das Schiff nahezu senkrecht in die Tiefe stürzte, vermutlich sämtlicher Maschinen beraubt. Er erreichte die Luke, die nach drinnen führte, und packte ihren Griff, Kyeema immer noch an der anderen Hand festhaltend, die sich nicht mehr rührte – das Schiff stabilisierte seine Lage wieder, offenbar hatte der Pilot die Notstabilisatoren betätigt, die für den Fall eines überhitzten Triebwerks gefertigt worden waren.. Die Tari Randora war in der Schwärze verschwunden, als der Zuyyaner Kyeema unsanft ins Innere des Schiffes stieß, um ihr dann behände zu folgen. Jetzt waren sie vielleicht verschwunden... aber er würde seine Cousine eher wiedersehen, als ihm lieb war, hatte er das Gefühl, als er die Klappe hinter sich mit einem Krachen zu knallte.
 


 


 

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Blah? Viel Eneela dieses Mal o,o Und Yamuru. Man kann nicht genug Yamuru haben digger. xD

Schwarzer Donner

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Brennender Himmel

Das System der schillernden Planeten hatten die Wissenschaftler einst Kwomha genannt. Yamuru dachte sich, hätte er als Kind immer brav das Studium der Alten Runen gepflegt, hätte er jetzt gewusst, was Kwomha bedeutete, denn es waren meistens Namen der alten Sprache, die den entdeckten Planetensystemen und Welten gegeben worden waren, als die Zuyyaner zum ersten Mal die Weiten des Alls erkundet hatten. Yamuru fragte sich, wieso eigentlich, denn zu der Zeit, in der diese Namen vergeben worden waren, war die alte Sprache längst eine Antiquität gewesen. Vermutlich waren die letzten Suchin'g-Kaiser sehr traditionsbewusst gewesen und hatten unbedingt die alte Sprache ehren wollen... es konnte ihm egal sein. Die Suchin'g-Dynastie war seit vielen Jahrhunderten erloschen. Alle Dynastien waren erloschen, denn das Imperium ward zerschlagen.

„Bereust du irgendwas in deinem Leben, Kyeema?“

Er lächelte sie an, als er sprach, und lehnte sich lässig gegen die Wand ihrer Kammer. Die Lianerin hockte stoisch auf der Pritsche und sah ihn nicht an, sie umschlang ihre bebenden Beine mit den dünnen Armen.

„Sollte ich etwas bereuen?“, war die monotone Gegenfrage und Yamuru feixte.

„Du hast Eneela und ihre Mutter wissentlich in den Tod gejagt. Dumm nur, dass die Götter nicht wollten, dass Eneela stirbt, sonst wäre sie sicher genauso... umgekommen wie Kaiya. Bereust du gar nicht, dein eigenes Volk so hintergangen zu haben?“ Kyeema starrte noch immer an die Wand. Ihre Seele schwand, er konnte es spüren – noch nicht. Noch musste er sie festhalten, und wenn es sein musste mit Gewalt, denn Kyeemas Zeit war noch nicht gekommen. Yamuru fragte sich, wie weit er die Götter, die alles schufen und für alles verantwortlich waren, herausfordern dürfte.

„Ihr Zuyyaner hängt an... eurem Volk.“, schnaubte die junge Frau dann und drehte tatsächlich das aschfahle Gesicht zu ihm. Er ließ ihr ihre eigenen Gedanken, wenn er mit ihr sprechen wollte; wenn er ihre Seele so weit beherrschte, dass sie ihm nach der Zunge sprach, war es ja langweilig. Sie war ihm ohnehin verfallen, selbst, wenn sich in ihren Gedanken ein Funken Widerstand gegen seine Kontrolle befunden hätte, er hätte ihr nichts genutzt. Er war an sich kein herausragender Seelenmagier, aber er war der letzte Erbe des Westclans, der Mirrhtyis. „Ihr Zuyyaner findet immer, euer Volk wäre etwas besseres als alle anderen.“, fuhr Kyeema fort, „Ich... habe dieses Volksdenken nicht, weil ich kein Volk habe. Ich bin Lianerin... aber ich bin nicht wie die Sklavinnen, die unterdrückt und entmachtet werden, bis sie irgendwann verrecken, sei es an Altersschwäche oder Folter oder beidem. Ich finde nicht, das ich ihnen ähnlich bin... ich bin keine von ihnen, ich bin anders. Und das war ich von Geburt an, es war meine Bestimmung. Warum soll ich sie nicht verraten, wenn ich sie nicht leiden kann? Würdest du es nicht tun, nur, weil sie auch Zuyyaner sind?“ Er sah Kyeema einen Moment an und lächelte dann.

„Doch, ich würde. Wenn sie es verdienen, verraten zu werden.“ Aber wer es verdiente, verraten zu werden, gehörte in seinen Augen auch nicht zu seinem Volk.

„Also.“, sagte Kyeema gedehnt, „Dann sind wir wohl vom gleichen Schlag, du und ich.“ Er belächelte sie. Vom gleichen Schlag? Vielleicht... allerdings mit dem gravierenden Unterschied, dass ihre Seele verkommen und machtlos war.
 

„Meint ihr, er fickt sie?“, fragte Rok ungehalten und Kanau brummte, während er sich die Haare raufte. Dieser Vollidiot konnte nichts besser als zu reden, und das möglichst vulgär. Yatli war schwer von Begriff:

„Was, wer fickt wen, Rok?!“

„Na, Yamuru Kyeema. Er hängt seit einigen Tagen an ihr, irgendwie. Ich hab neulich gesehen, wie er in ihr Zimmer gegangen ist, was werden die da schon machen? Schweinehund.“

„Was soll es?“, fragte Turo gereizt, „Was interessiert uns das, Rok? Daku ist tot! Ganz mysteriös, einfach so, keiner will es gesehen haben oder etwas wissen, ist klar. Und alles, was dich beschäftigt, ist, ob der Typ Kyeema bumst. Ich glaube, er hat Daku ermordet.“

„Vielleicht, und wenn schon.“, machte Kanau gelassener als seine Kumpanen, „Es nützt Daku nichts, wenn wir debattieren, wer ihn umgebracht hat. Da er keine äußeren Verletzungen aufweist, kann es durchaus Yamuru gewesen sein; Zuyyaner verfügen über Mittel zu töten, die weder Schwert noch Elementarmagie brauchen. Aber wie gesagt, was soll es?“

„Was es soll?! Daku ist tot, Himmel Arsch, Kanau, ist dir das egal?!“, empörte sich der Heiler wütend und verschränkte die Arme, „Mir ist es nicht egal.“

„Nein, mir auch nicht.“, seufzte der Rothaarige und war von seinen immerzu streitenden oder meckernden Kumpanen leicht genervt, „Ich meinte damit mehr... was schert uns Yamuru? Im Moment brauchen wir ihn vielleicht noch, er als Zuyyaner und so weiß wohl besser, wie die Trias funktioniert, als wir alle zusammen. Davon abgesehen kann er noch nützlich dabei sein, die Sieben abzumurksen, dann haben wir weniger Arbeit. Der Meister sagt, wir dürfen ihn töten, wenn wir ihn nicht mehr brauchen, denn keiner von uns will den Zuyyanertypen auf der neuen Welt... oder irre ich mich?“ Er grinste, als er von Rok und Yatli zustimmendes Lachen erntete, nur Turo seufzte gereizt und verfinsterte seinen Blick ziemlich. Rok stieß ihn an.

„Hey, da steht wohl jemand auf den Schönling...“

„Halt die Fresse.“, stöhnte Turo und stieß den Telepathen angewidert von sich, „Ich frage mich nur, ob das so einfach wird, wie ihr euch das vorstellt, Yamuru töten. Wir wissen, was dieser Kerl ist.“

„Ja, eine verdammte, eitle Schwuchtel.“, schnaufte Rok und Yatli meckerte, Kanau ignorierte die beiden Deppen und sah auf Turo, der den anderen beleidigt den Rücken gekehrt hatte. Die nächsten Worte des Heilers stimmten ihn nachdenklich.

„Er ist ein pragmatisches, gnadenloses Monster.“, schnarrte der nämlich, „Er ist ein gewissenloser Massenmörder, der nicht davor zurückgeschreckt hat, die verdammten Gletscher absichtlich schneller wachsen zu lassen auf Zuyya, wodurch hunderte oder tausende von Menschen früher und grausamer starben als sie es sowieso getan hätten. Vergesst das nicht... wenn ihr mit dem Schwert nach ihm zu schlagen versucht. Was immer eigentlich sein Ziel ist, er will es mit allen Mitteln erreichen. Das ist es, was ich an ihm so schauderhaft finde... er ist ein Zuyyaner mit Seele. Das ist wie eine Puppe mit Leben in sich. Es ist falsch... und er ist nur zu dem Zweck geschaffen worden, uns alle ins Verderben zu stürzen, da bin ich mir sicher.“
 

„Die Trias wurde geschaffen, um eine neue Welt zu bilden, eine neue Welt für die neue Ära der Himmelclans. Bist du, Tochter von Akando Jamali, nicht eine Erbin der Himmelclans? Bist du nicht die Erbin... der Trias als letzte Nachfahrin ihres Schöpfers Honuk Jamali? Ein Teil der... besseren Teilmenge der Sterblichen, für die die Trias geschaffen wurde, Thira? Törichtes Mädchen... läufst davon vor deinem Platz, den die Götter dir vorbestimmt haben.“

Thira antwortete nicht auf die Stimmen, die aus der Reikyu kamen. Nur sie konnte sie wahrnehmen, da es ihre Reikyu war, und sie war froh darum, denn die anderen, die teilweise mit ihr hier versammelt waren, wären entsetzt gewesen über die Enthüllung des wahren Zwecks der Trias. Wenn es wirklich so war, wie Yamuru sagte, dann war die Trias nie zu dem Zweck geschaffen worden, die ganze Welt oder gar zwei Welten zu retten. Es ging nicht um Khad-Arza, es ging um die Himmelclans; eine Elite der Bevölkerung einer der einstmals drei Welten des Bündnisses Khad-Arza.

Thira fragte sich, ob es ein Khad-Arza überhaupt gegeben hatte... überhaupt gab. Ein Bündnis aus drei Welten, das nie ernsthaft eines gewesen war. Es hatte Tharr gegeben, Ghia und Zuyya. Jede Welt war für sich gewesen, aber verbunden waren sie nur durch den Schein geblieben... was hatte sie verbunden? Thira hatte auf Tharr den Hass der Tharraner auf ihr Muttervolk, die Zuyyaner, am eigenen Leib oft genug erfahren. Sie hatte auf Zuyya den Hass auf Tharr und auch auf Ghia erlebt, sie hatte die radikale Ausmerzung ganzer Ethnien miterlebt in der Reikyu – sie wusste sehr gut, dass Yamuru nicht log, wenn er Chenoa mitleidslos nannte, denn sie hatte die gesamte Ghia schamlos krepieren lassen, sie hatte initiiert, dass halb Tharr in einem Krieg gegen Ela-Ri draufging, letzteres war komplett ausgelöscht worden. Egal, wie grausam die Krieger von Ela-Ri gewesen waren, waren nicht auch sie Geschöpfe der Götter gewesen? Hatten nicht auch sie Frauen gehabt, die geweint hatten, als die Armada aus Tejal ihre kleinen Kinder zerschmettert und dann auch sie geschlachtet hatten? Sie hatte genug gesehen in der Reikyu. Hatte also irgendjemand, egal auf welcher Welt er aufgewachsen oder geboren war, jemals so etwas wie Verbundenheit zu einer anderen Ethnie als der seinen verspürt? Hatte jemals ein Tharraner Zuyyaner als Brüder und Schwestern betrachtet statt als Feinde? Oder andersrum? Und die Menschen von Ghia, die die Lianer, eine Ethnie von Tharr, so schamlos versklavt hatten, sie als Geschenk von Ulan Manha betrachtet hatten? Thira sah auf Simu und dachte an seine Eltern; einen zuyyanischen General und ein tharranisches Bauernmädchen, es gab wohl kaum eine Verbindung, die unmöglicher gewesen war als diese. Thira begriff, dass Nodin Ayjtana ein wirklich weiser Mann gewesen sein musste... einer, der sich über die Differenzen der drei Welten hinweg gesetzt und eine Frau geliebt hatte, die nicht von seinem Volk oder seiner Heimatwelt war. Simus Eltern waren der Inbegriff von Khad-Arza gewesen, stellte die junge Frau verblüfft fest; und damit waren sie eine der ganz, ganz wenigen Ausnahmen. Wo hatte es also das Khad-Arza gegeben, für das sie kämpfen sollten, sie, die Sieben? Letzten Endes hatte Yamuru recht behalten... die Trias war für die Elite geschaffen worden, nicht für ein Wunschdenken namens Khad-Arza, das nicht existierte.

Die Gedanken machten sie wütend und unsicher. Sie wusste nicht, wofür sie einstehen sollte, wofür sie hier war... was ihr Platz war, wie es Yamuru ausgedrückt hatte. Ihr Cousin machte sie nur noch wütender und unsicherer und die Erinnerung an die Vereinigung, die sie beide geteilt hatten auf Yinnlhey, ließ sie innerlich schaudern. Sie war erschöpft... sie wusste nicht, wie lange sie ihre Selbstbeherrschung aufrecht halten konnte, die den anderen verschwieg, was sie so dachte und fühlte. In ihrem Kopf war mehr Yamuru als Karana, den Neisa da vorne gerade zu heilen versuchte. Dabei dachte sie nicht absichtlich an ihn... es kam einfach immer wieder zurück und alles, was er zu ihr gesagt hatte, rumorte in ihrem Kopf herum und wollte verarbeitet werden. Sie bebte, als Neisa sich erhob und sprach. Iana, die an Karanas Bettkante saß, auf dem er lag, sah die Heilerin an, ebenso Simu, Eneela, Yarek und Zoras Derran, die mit Thira um die kleine Heilerin herum standen.

„Es sieht schlecht aus.“, sagte sie und wischte ihre Finger an ihrem Rock ab, „Ich kann keine Augen wieder einbauen, das geht einfach nicht. Ich weiß nicht mal, ob meine Mutter das könnte, und die ist Meisterheilerin... er wird zweifelsohne überleben, abgesehen von seinem rechten Auge ist nicht viel verletzt worden.“ Neisa sah auf ihren Ehemann, der etwas untröstlich wirkte, seinen Schwager so zerfetzt zu haben.

„Seid vorsichtig mit Karana.“, murrte er nur, „Ich habe das nicht getan, weil mir langweilig war, er wollte mich umbringen. In seinem Blick war die pure Mordlust, und... und sie galt nicht mir direkt, sondern... einem Teil meines Geistes, dem Teil, der mich mit den Chimalis' verbindet.“

„Du hast gesagt, er ist Manha in der Nacht begegnet.“, sagte Iana dumpf, „Meinst du, der hat ihm den Kopf verdreht, Zoras?“

„Vermutlich. Jedenfalls ist es Kelar Lyras Schatten, der aus seinen Augen gesprochen hat. Was immer er tut, wenn er aufwacht, seid wachsam. Das gilt für euch alle.“ Die Kameraden begannen zu diskutieren und Thira zog es vor, sich jetzt zurückzuziehen. Mit einem gemurmelten Abschiedsgruß an Yarek, der der Tür der Kammer am nächsten stand und an dem sie folglich als letztes vorbei kam, verließ sie die Meute, weil in ihrem Kopf noch immer die Gedanken um die Trias kreisten. Oder um Yamuru, oder um beides. Sie wollte Ruhe... sie wollte einen klaren Kopf bekommen, irgendwie. Tayson steuerte; bald würde sie ihn ablösen müssen und bis dahin müsste sie die Dinge geregelt haben. Es war nicht mehr lang... der Abgrund war schon zum greifen nahe. Und mit ihm die Trias... die sie alle retten sollte und es vielleicht gar nicht zu tun gedachte.

Sie durchquerten das Kwomha-System. An einem der Fenster im hinteren Korridor am Heck blieb Thira stehen und sah hinaus. Laut Karte war das die letzte Station vor dem Yirana-Nebel... dem Unort aller Unorte.

Die Karte. Der Mistkerl hat sie noch immer und ich hatte nicht den Schneid sie mir zurückzuholen.

Vielleicht war es das, was den Ausschlag dafür gab, dass sie die Tari Randora verließ. Sicher war sie sich nicht, denn vermutlich waren es bloß ihre verdammte Gedanken, die immer wieder zu Yamuru zurückkehrten.

Sie wollte ihn sehen... nicht wegen der Karte. Nicht wegen ihres Stolzes. Sie wollte ihn sehen weil ihre Seele, an der er allein Schuld war, sie zu ihm zog...
 

„Ich habe ja gesagt, du wirst kommen, Thira.“ Sie strafte seinen Hochmut mit einem Mörderblick, der ihm bloß warm werden ließ, als er seine Cousine mit angebrachter, nicht wirklich ernst zu nehmender Gewalt am Oberarm packte und in die nächste Kammer am Heck des Schiffes schubste. Dieses Mal achtete er darauf, mit der Sanhari einen Riegel aus Eis vor das Türschloss zu nageln, damit nicht wieder irgendjemand herein platzte wie Daku neulich.

„Ich bin nicht gekommen, weil ich dich vermisst hätte, du weißt, warum ich komme.“, schnarrte Thira erbarmungslos und Yamuru mochte ihre Erbarmungslosigkeit. Natürlich wusste er das. Als er ihr Gesicht hochzog und sie küsste, zog sie ihre Waffe und schlug nach ihm, er hatte aber damit gerechnet und mehr Kraft im Arm als sie, so war es nicht sonderlich schwer, ihr mit einem Hieb seiner eigenen Waffe die Kouriha aus der Hand zu schlagen. Thira zischte und versuchte sich in seinem Griff zu winden, gab aber schneller auf als er gedacht hätte, und sie küssten sich erneut. Da sie unbewaffnet war, hielt er es für fair, seine Sanhari wegzulegen, stattdessen griff er mit beiden Händen Thiras Wangen, indem er sie gegen die Wand drückte und sie stöhnend ein Knie anzog, um es gegen seinen Schritt zu pressen. Yamuru keuchte, als er den Kuss löste.

„Unnachgiebig, Herrin von Okothahp...“, raunte er gegen ihre bebenden Lippen, und die Art, in der sie die Luft einzog und dann den Kopf zurück gegen die kahle Wand der Kammer lehnte, steigerte nur sein Verlangen nach ihr. Ja, er hatte gewusst, sie würde von selbst kommen, und der Grund dafür war der Grund für alles, was sie in Bezug auf ihn tat...

Nur ein Wort... Neugierde.

Sie küsste ihn. Er wusste, sie war zu stolz, um in Worten zuzugeben, dass sie es genoss, wenn er sie auf diese Weise berührte, dass es ihr gefiel, wenn er mit ihr schlief, und Yamuru würde es auch nicht von ihr verlangen. Das hier genügte... sie würde sich mit ihrer Zunge immer sträuben, aber ihr ganzes Verhalten verriet sie und ihren Stolz hinterrücks. Sie darauf hinzuweisen wäre sicher sein Tod gewesen, und sie wusste selbst gut genug, dass sie nicht zu ihren Worten stehen würde.

Es an der Wand zu tun war zu anstrengend auf die Dauer, deswegen wechselten sie schnell die Position und landeten auf dem Fußboden. Sie ließen sich Zeit beim Liebesspiel, und als sie es taten, war in Yamurus Kopf die Gewissheit, dass dies sein Platz war, den Katari ihm zugedacht hatte, für den er geboren war. Sie keuchte unter ihm, bewegte sich mit ihm, nahm ihn in sich auf und umklammerte ihn, und er konnte in ihrem so mühsam emotionslos gehaltenen Antlitz ihre schöne Seele sehen, wie sie aus allen Poren ihrer bleichen Haut schimmerte – er wusste, dass nur er sowas sah, weil er die Reikyu seines Vaters im Auge hatte, eine zweite Seele, mit der er Dinge sehen konnte wie keiner außer ihm, vielleicht ausgenommen Chenoa oder Ryanne von den Yalla. Nichts an Thira war schöner als ihre Seele... dieser Teil an ihr, den er selbst sorgsam gepflegt und geweckt hatte, nachdem Chenoa sie beinahe für immer zerplittern lassen hatte. Chenoa war eine berechnende Hexe... er hasste sie für alles, was sie war. Er hasste sie und er liebte Thira und ihre hübsche Seele.
 

„Warum?“

Yamuru keuchte noch etwas und fuhr sich befriedigt durch die violetten Haare, als Thira sich neben ihm hoch zog und sich dann zu ihm auf den Boden setzte, sich gegen die kalte Wand lehnend. Die Vereinigung war gut gewesen und er hatte gute Laune; wenn Thira sie auch hatte, ließ sie es sich wie immer nicht anmerken. Ihre Seele war stark... und das würde sie auch sein müssen bei dem, was er in ihrem Schicksal gesehen hatte.

„Warum was?“, fragte er, als er sich neben ihr gegen die Wand lehnte und sie kurz betrachtete. Sie war noch nackt und ihre Haut war von einem ganz zarten Schweißfilm überzogen, ihre grünen Haare unordentlich nach der Vereinigung und ihre Augen unruhig.

„Warum... alles.“, murmelte sie, „Alles, was du tust, Yamuru. Du hast dir die Seele deines Vaters ins Auge transferiert... warum? Hattest du Probleme mit deinem Vater, dass du so etwas demütigendes tust, seine Seele als Waffe zu benutzen statt ihn zu ehren?“ Er sah sie verblüfft an und sie wich dem Blick aus. Einen Moment schwieg er, dann musste er lächeln.

„Du verstehst nichts von dem, was ich tue, Thira.“, stellte er klar.

„Nein, deswegen frage ich ja. Ich verstehe es nicht... die Trias ist... für die Vier Reiche da. Für den Wiederaufbau der Goldenen Ära. Ist alles... alles, was du tust, nur dafür? Dein ganzes Leben, dass du uns, Chenoa, die ganze Gesellschaft, verrätst und mit dem Schattendämon gemeinsame Sache machst... das du mich benutzt, was weiß ich, damit ich deine Frau und Mitbegründerin deines Clans werde? Ist es nicht das, was du von mir willst, Yamuru? Oder warum sonst schläfst du mit mir, hängst an mir... machst mich abhängig von dir, mit jedem Atemzug, den du tust, mehr?“ Er musste sie belächeln für ihre Denkweise.

„Du glaubst, ich benutze dich? Bitte, Thira, ich habe auch Gefühle.“

„Wer es glaubt. Pragmatischer Spinner.“ Es hatte wohl wenig Sinn, ihr seine Gefühle zu erklären. Noch nicht jetzt zumindest. Er beugte sich zu ihr und küsste zärtlich ihre Schläfe.

„Du bist... so schön.“, sagte er leise und sie sah ihn skeptisch an. „Deine... Seele. Ich begehre sie... Thira. Und am meisten von allem an dir sie.“ Seine Cousine sagte nichts; sie sah ihn nur an, und er sah, dass sie seine Worte akzeptierte und stumm wertschätzte.

„Warum, Yamuru?“, flüsterte sie dann, „Warum willst du... all das tun? Für eine Ära, die vorbei ist? Weißt du, ob sie wieder dieselbe würde, würden wir sie wirklich... neu gründen?“

„Dieselbe natürlich nicht; und was das anbelangt, das weiß nur Katari.“, sagte er, „Aber es war der Wille unserer Ahnen, Thira, es ist das, wofür unsere Ahnen seit Jahrhunderten kämpfen.“

„Die Ära ist zerfallen, Yamuru!“, zischte sie, „Hat es etwa keinen Grund gehabt, dass die Vier Reiche damals gefallen sind? Es war ein Zeichen Kataris, dass sie beendet waren, ich denke nicht, dass es richtig wäre, etwas altes, das vorbei sein soll, wieder empor zu zwingen!“

„Nun, und was wäre besser deiner Meinung nach? Ein neues Imperium?“ Das glaubte er nicht wirklich, aber ihre Antwort verblüffte ihn etwas.

„Ein neues... Khad-Arza, Yamuru.“

„Khad-Arza.“, seufzte er, „Ein Hirngespinst, das es nie gab, oder nicht? Waren die drei Welten wirklich jemals verbunden, waren sie eins, Thira?“

„Sie wurden gespalten im Zorn der Götter – so war doch deine Geschichte?!“, zischte sie, „Aber einst waren sie eins... und die neue Welt, die Trias... kann eine ganze Welt sein, Yamuru. – Lass mich ausreden, ich verstehe, dass du nicht daran glaubst. Ich weiß auch nicht, ob ich an Khad-Arza glauben soll... aber ich habe begriffen, ich muss es, denn ich... bin der lebende Beweis dafür, dass es es gibt. Ich bin eine der Sieben. Wir Sieben vereinen das Blut der Götter, die Khad-Arza schufen – wir... vereinen Khad-Arza, oder nicht? Ich weiß, es klingt idiotisch. Aber wenn ich daran denke, dass diese Aufgabe der Götter, Geister, Katari, wessen auch immer, mich dazu gebracht hat, mit Tharranern und Ghianern, Schamanen, Menschen und Lianern gleichermaßen so zu kooperieren, dann muss das für etwas gut sein.“ Er hörte sie reden und fand sie irgendwie gleichzeitig töricht und reizend für das, was sie da sagte... wie utopisch.

„Dann willst du eine neue Welt bauen und daraus eine... ideale Welt für alle Rassen machen?“, schmunzelte er, „Eine Welt, in der Zuyyaner, Schamanen, Nichtmagier und Lianer gemeinsam in Frieden leben? Klingt etwas nach einem Bilderbuch für Kinder. Das ist Utopie, Thira, das ist nicht möglich. Vielleicht für eine Weile, aber dann werden sich die Völker wieder gegenseitig an die Gurgel gehen. Es sind zu viele humanoide Rassen, Thira, zu viele Ethnien. Die können nicht alle nebeneinander koexistieren.“ Sie sah ihn kurz an und sagte dann nichts, drehte den Kopf nach unten. Yamuru seufzte. „Du bist wahrlich... bei den Tharranern aufgewachsen. Kein Zuyyaner würde je so etwas denken oder glauben.“

„Ich bin ein Teil der Sieben.“, murmelte sie, „Vielleicht bin ich anders.“ Das war sie definitiv... und er liebte sie dafür. Mit einem matten Lächeln strich er ihr über den Kopf, durch ihre Haare, und sie sah geradeaus, als sie sprach. „Erzähl es mir, Yamuru. Dein... dein Warum.“

Er zögerte einen Moment und atmete einfach nur. Als er sprach, war seine Stimme dumpf.

„Was ich will, Thira, ist leben. Egal um welchen Preis. Ich bin ein Prinz von Ngurrha, deswegen beharre ich natürlich auf den alten Traditionen der Vier Reiche und kämpfe für sie. Meine Familie war eine Kämpferfamilie, alle von ihnen. Keiner der Mirrhtyis starb je kampflos und ich blicke mit Stolz ins Antlitz meiner Ahnen, wenn ich daran denke. Deswegen kämpfe ich, statt herum zu sitzen und abzuwarten, dass etwas passiert, für die Ehre meiner Familie.“

„Ich kenne die Moral der Mirrhtyis.“, sagte sie, „Meine Mutter war die Schwester deines Vaters.“ Er lächelte.

„Ich habe Tante Pavati immer geschätzt, sie war voller Güte – die so sterblich und menschlich ist, und voller Stolz dennoch.“ Sie unterbrach ihn.

„Ich will dein Warum hören, Yamuru. Warum... für alles. Doch wohl nicht nur, um deiner Familie Ehre zu erweisen.“ Er seufzte. Als er sprach, streckte er seine Beine von sich.

„Nein, in erster Linie ist das Warum, dass ich meiner großen Schwester Ngnhana etwas versprochen habe, als sie in meinen Armen starb.“
 

Seine Mutter war im Kindbett wenige Wochen nach seiner Geburt gestorben. Als einziger Sohn von Chihnii Mirrhtyi, dem Herrscher des Clans und der Familienprovinz Ngurrha war Yamuru automatisch der Thronfolger, denn das einzige andere Kind, das der Herr zu Stande gebracht hatte, war Yamurus neun Jahre ältere Schwester Ngnhana, und eine Frau würde nicht Herrin eines Clans werden, das verboten die Gesetze. Da es keine Mutter gegeben hatte, hatte Ngnhana ihren kleinen Bruder zusammen mit der Amme und Hauslehrerin quasi selbst erzogen und Yamuru war sie der wichtigste und liebste Mensch der Familie. Es gab niemanden in Ngurrha, oder auf der ganzen Welt, der wichtiger war als Ngnhana, niemanden, den er mehr liebte als sie. Und sie beteuerte ihm jedes Mal, dass sie ihn ebenso liebte... wenn sie nicht gerade anderweitig zu tun hatte.

„Warum darf ich nicht mit zu der Versammlung?! Alle gehen hin, ich bin der Erbe der Familie, Ngnhana!“

„Du bist noch ein Kind, Yamuru.“, widersprach seine Schwester mit einem bedauernden Lächeln, „Alle, die alt genug sind, kommen, Yamuru. Das schließt dich leider aus.“ Der Junge schmollte.

„Ich bin schon acht!“

„Damit leider noch keine drei Hände voll alt, die dafür nötig wären.“, sagte sie und streichelte ihm den Kopf. Er hasste es irgendwie, wenn sie das machte, denn es war demütigend. Es war eine Geste, die hieß, dass er mal wieder zu klein dafür war und warten sollte, bis er älter wurde. Und er hasste es, wenn er zu klein war. Ngnhana war mit siebzehn schon erwachsen und sie war wichtig. Sie war eine begnadete Magierin und konnte wundervoll mit ihrer Reikyu und mit Eismagie umgehen – im Gegensatz zu Yamuru, der bei seinen Übungen immer eher ein Versager war. Was der Grund war, weshalb sein Vater ihn kaum bis nie beachtete...

„Du ruinierst meine Frisur!“, meckerte der Kleine also beleidigt, als seine Schwester ihm den Kopf streichelte, und er schlug ihre Hand weg, worauf sie lachte. Mit einer Liebe und Sorgfalt, wie nur Ngnhana sie besaß, entfernte sie seine Haarnadel und richtete seinen Haarknoten von Neuem. Sie war die einzige, die das durfte – nicht mal die Amme ließ er an seine Haare, denn keiner konnte seinen Haarknoten so schön und sanft machen wie seine Schwester. Er errötete, als sie ihm die Frisur richtete, weil er sich jetzt blöd vorkam, sie angeschrien zu haben, wo sie doch so lieb zu ihm war.

„Sei nicht zornig, Yamuru.“, flüsterte sie, sich zu ihm herab beugend, „Morgen habe ich wieder Zeit für dich. Diese Versammlung der Himmelclans ist sehr wichtig heute, sie alle kommen. Jamalis kommen, Chenoa Jchrrah kommt, unsere ganze Familie kommt ins Stammhaus. Es gibt Veränderungen in Himmel und Erde... du hast sie doch auch gespürt in deinen Träumen, Yamuru.“ Er nickte – das war es ja, deswegen wollte er so gerne mit dabei sein, wenn die Erwachsenen das alles besprachen! Er war nervös... in seinem Inneren sagte ihm etwas, dass es eine Veränderung geben würde, und zwar schon bald.

Es war der Kälbermond des Jahres 989, kurz vor dem Ausbruch des Riesenvulkans, der halb Zuyya in die Luft sprengen und Millionen von Menschen töten sollte.
 

Nachdem Ngnhana ihn abgespeist hatte, begegnete Yamuru auf dem Weg durch das Anwesen zu seinen Gemächern seinem Vater, Chihnii Mirrhtyi. Das Oberhaupt der Familie war ein groß gewachsener Mann mit wundervollen, langen violetten Haaren, die oberen davon auf seinem Kopf band er genau wie es alle in Ngurrha taten zum traditionellen Ngurrhaschen Haarknoten zusammen, der mit einer edel verzierten Haarnadel festgehalten wurde. Lange Haare galten als Schönheitsideal sowohl bei Männern als auch bei Frauen, Yamuru ärgerte sich manchmal, dass seine nur so knapp bis zu seinen Schultern reichten und einfach nicht länger wurden.

„Vater.“, grüßte der Junge seinen Erzeuger ordnungsgemäß mit einer knappen Verneigung und Chihnii Mirrhtyi würdigte ihn keines Blickes. Er ging einfach weiter und Yamuru blieb stehen, irgendwie enttäuscht; andererseits, was hatte er erwartet? Seinem Vater war er egal, wenn nicht schlimmeres. Vermutlich hasste der ihn, weil er nutzlos war, weil er unbegabt im Zaubern und allem anderen war und weil bei seiner Geburt seine Mutter, des Vaters geliebte Ehefrau, gestorben war. Einmal hatte Yamuru ihn mit Ngnhana darüber sprechen gehört. Sie hatte versucht, den Vater zu bitten, sanfter zu ihm zu sein. Was der Vater darauf gesagt hatte, hatte sich tief in Yamurus Herz gebrannt und es fraß an ihm, jedes Mal, wenn er seinen Vater traf.

„Ich wünschte, eure Plätze wären vertauscht... dass du der Sohn wärst, den ich brauche. Und dass Etsuya die Geburt überlebt hätte und das Baby gestorben wäre.“

Überraschend sprach der Mann ihn doch an und Yamuru fuhr vor Schreck herum, als er die dunkle, aber angenehme Stimme hörte. Angenehm, aber kalt und hart wie immer.

„Was streunst du hier herum, Yamuru? Sei brav und lerne deine Lektionen der Alten Runen. Wir haben eine Besprechung und ich erwarte, dass wir nicht gestört werden. Und dass du deine Runen morgen kannst, wenn ich dich abfragen lasse.“

„Ja, Vater.“

Das war alles, was er von seinem Vater zu hören bekam. Lerne die Runen. Sei keine Schande. Übe, trainiere, sei eine Ehre. Er hörte nie Ich liebe dich, mein Sohn. Er hörte nie Ich bin stolz auf dich, mein Sohn. Er war es gewohnt... er war es nicht wert, Erbe Ngurrhas zu sein und einstmals die Sanhari zu tragen, das älteste und mächtigste Erbstück seines Clans, das nur derjenige tragen durfte, der das Oberhaupt war.

Er lernte seine Runen nicht, denn er hasste Alte Runen, es gab nichts schlimmeres. Der Saal der Versammlung hatte an der Decke Fensterluken, die auf den oberen Korridor des Anwesens zeigten; die Klappen waren meistens offen, sodass der Junge ungestört vor den offenen Klappen sitzen und herunter sehen konnte auf die Versammlung, der er gerne beigewohnt hätte. Es gab so viel wichtigeres als die blöden Runen! Und durch das offene Fenster konnte er jedes Wort hören und jeden sehen. Die ganze Verwandtschaft war da, alle seine Onkel ersten bis sechsten Grades, seine Cousins ersten bis sechsten Grades, seine Neffen zweiten bis vierten Grades, seine Großonkel. Ein paar Frauen auch. Die Jamalis waren da; die Jamalis, der Clan des Nordreiches Okothahp, waren nur zwei Personen, von denen eine eigentlich eine Mirrhtyi war – Yamurus Tante Pavati, die jüngste Schwester seines Vaters. Ihr Gemahl war Akando Jamali, der letzte Erbe des Nordclans. Akando Jamali war ein seltsamer Kerl. Waldgrüne, kurze Haare hatte er und er hatte fast ständig eine Pfeife im Mund – Männer mit kurzen Haaren waren an sich nur die, die der Armee gedient hatten, und der Mann seiner Tante war tatsächlich ein Kader der Provinz gewesen einige Jahre. Damit hatte er zwar dem Imperium gedient – das Schlimmste überhaupt, was man als Angehöriger eines der vier Himmelclans tun konnte – aber er hatte es zum Schutz seiner Familie tun müssen, denn der Kaiser wusste genau, dass die vier ältesten und mächtigsten Clans der Zuyya nicht erfreut über seine Regentschaft waren. Yamuru fragte sich, ob sie planten, den Kaiser zu stürzen.

„Katari zürnt uns, Chihnii.“, sagte Akando Jamali unten, stopfte irgendwelche Krümel in seine Pfeife und sah dann seinen Schwager an. „Entweder wir vernichten das verfluchte Imperium vor Beginn des Kirschmondes oder es wird uns sehr schlecht ergehen. Auf der anderen Seite des Himmels habe ich Tod und Schande gesehen, und es kommt sowohl von unten als auch von oben.“

Der Mann von Yamurus jüngster Tante war ein guter Seher. Ngnhana sagte, Akando würde aber nicht durch die Reikyu so viel sehen, sondern durch das komische Zeug, das er in seiner Pfeife rauchte, Yamuru verstand das nicht.

„Wie soll das gehen?“, fragte Chihnii Mirrhtyi beunruhigt.

„Keine Ahnung.“

„Wie sollen wir das Imperium so schnell vernichten?“, fragte einer von Yamurus Onkeln, „Das wird nicht möglich sein, Jamali, ihr seid immerhin diejenigen, die schon zweimal versucht haben, die Vier Reiche wieder aufzubauen, als eure Vorfahren einst Kaiser waren! Und sie sind gescheitert.“

„Es funktioniert selten mit Gewalt.“, entgegnete der Herr von Okothahp scharfsinnig. „Wir müssen rasch sein, Genossen. Was immer Katari vorhat, es wird verheerend sein, und es kommt rasch.“ Yamuru spürte sein Herz klopfen – das klang schlimm. Dass es richtig schlimm war, wusste er, als Chenoa sprach.

Chenoa Jchrrah, die einzige Überlebende des Clans des Südreiches Yamxieh, war unvergleichbar schön. Er war erst acht, er verstand nicht so viel von Frauen, aber er wusste, dass sie bildschön war, und dass viele erwachsene Männer das ebenso sahen. Dennoch war Chenoa unverheiratet, es hieß aber, dass all die Männer, die sie begehrten, trotzdem mal eine Chance bekämen, so zu tun, als wäre sie ihre Frau... was immer das heißen mochte.

„Kataris Strafe wird die Zuyya vernichten.“, sagte sie dann und lenkte so die Aufmerksamkeit aller auf sich. „Ich habe es gesehen. Wir werden fliehen mit der Tari Randora und die Trias suchen, das ist unser Schicksal.“

„Und was wird aus Oola Ar-Khajh und ihrem Sohn?“

„Sie haben andere Möglichkeiten. Wenn wir nicht die Tari Randora nehmen, wird sie vielleicht vernichtet und dann sind wir verloren. Es war mein Vater, der sie gebaut hat, und sie dient nur diesem Zweck.“ Die anderen sahen Chenoa eine Weile an. Dann sprach Yamurus Vater.

„Chenoa hat immer recht!“, sagte er ernst. „Und sie spricht klug, wenn sie Flucht sagt. Das verdammte Imperium wird auch ohne uns zum Himmelsdonner gehen.“ Er erntete zustimmendes Gemurmel. „Wann, Chenoa?“

„In einer Woche.“, sagte die Weise Frau kalt, „Dann beginnt der Kirschmond. Länger können wir nicht warten.“
 

Thira unterbrach ihren Cousin mit einer Handbewegung.

„Was wurde denn aus Ar-Khajhs?“, fragte sie, „Die Leute vom Ostclan sind nicht dabei gewesen, als ihr das geplant habt?“ Yamuru schüttelte den Kopf.

„Der Kaiser hat sie so sehr reduziert, dass nur noch die Alte und Kwok übrig waren – Kwok ist im selben Jahr geboren wie ich, er ist ihr jüngster Sohn. Den Vater und die beiden älteren Kinder ließ der Imperator hinrichten, und er hat ihr gedroht, wenn sie es wagt, sich auch nur mit einem Wort dem Imperium zu widersetzen, würde er ihr auch den letzten Sohn nehmen. Sie hat gespurt. Vermutlich haben sie die zwei beschatten lassen, sie hatten keine Möglichkeit, mit uns anderen Kontakt aufzunehmen.“ Thira sagte nichts, nickte dann aber.

„Und was ist aus Kwok Ar-Khajh und seiner Mutter geworden? Sind sie auf Zuyya?“ Er sah sie kurz an.

„Keine Ahnung, ob sie noch leben.“, meinte er kaltblütig. Es scherte ihn im Moment nicht – er log sie an, denn er wusste sehr gut, dass sie beide am Leben waren. Und er mochte den jungen Erben des Ostclans nicht so richtig, obwohl er ihn niemals getroffen hatte... er konnte nicht erklären, wieso.

„Was haben sie gemacht?“, wollte Thira wissen, „Sie haben es durchgezogen... aber sie müssen gescheitert sein, denn der Tag des Vulkanausbruchs war der, an dem ich nach Tharr geschickt wurde. An dem meine Eltern verhaftet und dann später hingerichtet wurden... niemand hat die Tari Randora benutzt.“ Er nickte.

„Genau so ist es. Niemand hat die Tari Randora benutzt... und das Land war pures Feuer und Verderben.“
 

Der Tag, an dem Katari die Welt in Stücke riss, brannte sich in Yamurus Gedächtnis ein für immer, das wusste er schon in dem Moment, in dem noch alles geschah, in dem er zusammen mit Ngnhana und vielen seiner Tanten und Cousinen ersten bis wie-auch-immer-vielten Grades Ahrgul erreichte, das Herz des Imperiums. Er konnte kaum denken, weil alles voller Feuer und Lärm war, er sah Menschen schreiend durch die Stadt rennen, hinein, hinaus, in alle Richtungen, er sah die Garden des Imperators, die hochrangigen Generäle und Soldaten und Kader, völlig die Kontrolle über die Panik im Volk verlieren, und Yamuru wusste, als er die schreienden, fliehenden Menschen sah, als er die bebende Erde unter seinen Füßen spürte und das Feuer vom Himmel regnen sah, dass die Welt untergehen würde. Das war Kataris Strafe an die Zuyya, von der die Erwachsenen auf der Versammlung gesprochen hatten.

Ngnhana packte ihn an der kleinen Hand und zerrte an ihm.

„Trödele nicht, Yamuru!“, rief sie, „Wir müssen uns beeilen! Wenn die Krieger von unserer Familie und Akando Jamali die Tari Randora gesichert und bereit gemacht haben, werden wir alle zum Hohen Berg rennen und fliehen! Hast du mich verstanden? Egal, was auch geschieht, bleib auf jeden Fall hinter mir!“ Er konnte kaum atmen. Die Luft war heiß und voller Tod, als seine Schwester ihn im Eilschritt durch die panikende Stadt riss, um sie herum alle Tanten und Cousinen und kleineren Kinder des Clans. Bei ihnen waren kaum erwachsene Männer, die meisten davon waren als Krieger voraus gegangen, um die Garden des Kaisers zu erschlagen, die die Tari Randora bewachen sollten. Ngnhana hatte ihm erzählt, dass alles geplant war – während die Männer sich durchkämpften, hatten die Frauen und Kinder der Himmelclans später freie Bahn zum Raumschiff, das sie alle retten sollte. Auf dem Weg dahin wurde jeder Soldat des Imperiums, der versuchte, sie aufzuhalten, erschlagen, soweit es ging. Yamuru sah auch von seinen Cousinen und Tanten welche im Kampf niedergemetzelt werden, er hatte keine Zeit und keine Nerven, das zu bedauern. Alles war aus Feuer und in ihm war eine blinde Panik, die es ihm schwer fallen ließ, irgendetwas anderes als sie wahrzunehmen – und Ngnhanas Hand in seiner, die seine fest umklammerte. Sie würde ihn beschützen, das wusste er – und er hatte trotzdem panische Angst.

Seine Schwester hielt an, gemeinsam mit dem Pulk aus Menschen, die von ihrem Clan zusammen mit ihnen nach Ahrgul gekommen waren. Dann fuhr ein Schreien durch die Menge und Yamuru erkannte erst wieso, als von vorne einer seiner Onkel zweiten Grades auf sie zu gerannt kam, eilig, erschrocken, und er winkte mit den Armen.

„Verschwindet!“, schrie er, „Es hat nicht geklappt, man hat uns verraten! D-der Kaiser wusste Bescheid, sie haben die Kämpfer auf dem Hohen Berg niedergemetzelt, fast keiner konnte entkommen, lauft! Lauft, die Tari Randora wird uns nicht überlassen, vergesst den Plan! Lauf-...!“ Er wurde im Satz abgeschnitten – wortwörtlich, denn als nächstes flog sein Kopf von seinem Hals und der enthauptete Körper stürzte vor Ngnhanas Füße. Sie keuchte und fuhr zurück, stieß Yamuru rückwärts; und er konnte die Soldaten des Imperiums sehen, die dem Onkel gefolgt waren und sich jetzt auf sie stürzten.

Sie konnten nicht fliehen, denn sie waren schneller umzingelt als die Frauen und wenigen Männer begreifen konnten, wie der Plan hatte scheitern können. Yamuru wurde von einem Kerl gepackt und von Ngnhanas Arm losgerissen. Er schrie nach ihr, aber dann wurde er von dem Soldaten zu Boden geschlagen und spuckte Blut; irgendetwas in seinem Arm knackte, als er mit brutaler Gewalt auf die steinernen Straßen Ahrguls geschmettert wurde, und kurz war ihm schwarz vor Augen – als er wieder sehen konnte, war vor ihm seine einzige Cousine, die nicht Mirrhtyi hieß. Sie war Tante Pavatis Tochter, die einzige Tochter von Akando Jamali, und ihre grünen Haare zeichneten sie; das kleine Mädchen, kaum fünf Sommer alt, sah ihn nicht mal, es schrie nach seiner Mutter und wurde von einem der Soldaten gepackt und zurück geschubst. Weiter denken konnte der Junge nicht, denn während er noch am Boden lag, erklang plötzlich die donnernde, gewaltige Stimme des Mannes, der die Macht hatte, das alles hier sofort zu beenden.

„Halt, sagte ich!“

Die Kader gehorchten und standen stramm, in ihrer Mitte die Gruppe aus hauptsächlich Frauen und Kindern der Mirrhtyis – die einzigen Jamalis unter ihnen waren Tante Pavati und ihre kleine Tochter. Yamuru sah seine Tante, die sich bebend nach ihrer benommenen Kleinen bückte, und es war in dem Moment, dass er wusste, dass Akando Jamali oben auf dem Berg erschlagen oder zumindest gefangen worden sein musste. Und gefangen war so gut wie erschlagen, denn von ihrer Sorte würde der Kaiser, der jetzt in den Kreis seiner Soldaten trat, niemanden übrig lassen.

Ngnhana zerrte Yamuru auf die Beine und schubste ihn hinter sich. Er fragte sich, ob sein Vater auch gefangen oder tot war.

„Ihr lehnt euch gegen mein Regime auf – gegen das Regime des Imperiums, nicht das meiner Person – seit die Ära eurer Vorfahren vorbei ist.“, schnarrte der Kaiser und Yamuru hustete, weil er Rauch eingeatmet hatte. Um ihn herum brannte das Land. Um sie herum schrien immer noch Menschen und die Welt ging unter – und der Imperator hatte alle Ruhe und Zeit der Welt, hier noch über Blasphemie zu reden. „Aber eine derart offene... Herausforderung bin ich ehrlich gesagt nicht... gewohnt von euch, Mirrhtyis. Die Tari Randora, das Geschenk Kataris, ist ein Heiligtum des Imperiums und eine Insignie der Glorie – allein die Gedanken daran, sie zu stehlen, sollten euch alle pfählen lassen für eure... Blasphemie, euer Vergehen an Katari selbst, dem Schöpfer unserer Welt!“

Ngnhana spuckte dem Imperator vor die Füße und Yamuru bewunderte sie für ihren Mut – in dem Moment, in dem der Kaiser seine Schwester voller Bosheit und Zorn anstierte, wusste er, Ngnhana würde für diese Frechheit einen grausamen Tod sterben. Noch heute Nacht.

„Blasphemie, sagt er!“, rief sie und die Verwandten murmelten zustimmend, „Wir, die Erben der Vier Himmelclans, sind die Kinder Kataris – wer übt sich denn hier in Blasphemie, dass er Kataris Kindern die Köpfe abschlagen lässt in purem Wahnsinn?!“ Die Verwandten riefen laut, stimmten ihr zu – manche sprachen laut miteinander.

„Wie konnte er es überhaupt erfahren?! Sollte Chenoa sich nicht darum kümmern, dass er abgelenkt ist, sollte sie nicht als seine persönliche Beraterin die beste Position haben, um ihn aufzuhalten, damit wir freie Bahn haben?“

„W-was ist schief gelaufen?!“

„Wie kann es angehen, dass Chenoa versagt hat? Sie ist doch Chenoa, sie kann alles!“ Yamuru fragte sich das auch – aber nur einen Moment, denn dann tauchte Chenoa hinter dem Imperator auf. Und augenblicklich verstummten alle Gespräche, alle Stimmen. Selbst das Dröhnen des Himmels, selbst das tödliche Feuer und das Beben schienen einen Moment lang die Luft anzuhalten... und Yamuru sah im Gesicht der Weisen Frau keinerlei Barmherzigkeit, keinerlei Güte.

„Das Schicksal... der Vier Reiche liegt nicht in meinen Händen.“, sagte sie mit einer Stimme, die nicht menschlich klang – nicht einmal sterblich, und Yamuru fürchtete sich vor ihrer Stimme, vor ihrem so entsetzlich schönen Anblick, denn der Eindruck war einfach zu mächtig. Er taumelte und Ngnhana hielt ihn am Arm fest, als sie rückwärts trat. Sie zitterte.

„Du hast... uns verraten, Chenoa!“, keuchte sie, „Du hast nichts gemacht... um ihn aufzuhalten, oder? Und du hast gewusst, wir würden ins offene Messer laufen!“ Chenoa sagte nichts, aber allein ihr Anblick und wie sie in einer unmenschlichen, gnadenlosen Kälte das bildschöne Gesicht empor reckte, war Antwort genug. Ngnhana schrie. „Bringt sie alle um! Lauft – wenn ihr könnt!“

Es war ein Signal zum Angriff und der erfolgte direkt darauf. Plötzlich schossen Yamuru Feuer- und Eiszauber um die Ohren, er sah das Blitzlicht von Reikyus, gleichzeitig bebte die Erde mit einem wütenden Brüllen und mit einem ohrenbetäubenden Lärm krachte ein brennender Felsbrocken von der Größe eines Palastes auf die Stadt. Yamuru spürte, dass er gepackt und herum geschleudert wurde, es ging alles zu schnell. Die Gruppe löste sich auf, durchbrach die Umzingelung. Der Kaiser tobte. Was war mit Chenoa? Er hatte noch immer ihr kaltes, herzloses Gesicht vor Augen und ihm wurde kalt, als er daran dachte, dass diese Frau sie alle verraten hatte – und Schuld war an den Toden so vieler am heutigen Tag, wenn es wahr war.

Er wusste nicht mehr, wann es vorüber war... irgendwann hörte die Erde auf zu Beben und das Herabfallen von Feuer, Lava und Steinen aus dem Himmel ließ nach. Es war laut um ihn herum, als er auf dem Boden lag und irgendetwas Weiches auf ihm. Yamuru wurde sich erst bewusst, dass es Ngnhana war, die auf ihm lag, als sie über ihm keuchte und sich zitternd aufzurichten versuchte.

„N-...Ngnhana!“, schrie er panisch, „W-was hast du, bist du verletzt?! Sind sie weg?!“

„Shht...“, keuchte sie, „Beweg dich... n-nicht, Yamuru. Die Kader sind fort... offenbar ist dem Kaiser doch wichtiger... sich selbst vor dem In-...ah... Inferno zu retten-...“ Sie keuchte und Yamuru starrte sie panisch an. Sie presste sich die Hand auf den Bauch und er sah, dass sie blutete. Ohne ein Halten fing er an zu weinen, er wollte nach ihr tasten, aber in seinem vermutlich gebrochenen Arm pochte bei der bloßen Bewegung seiner Hand ein so übler Schmerz, dass er aufschreien musste. Ngnhana setzte sich keuchend auf und Yamuru kam mühsam ebenfalls zum Sitzen. Der Schmerz betäubte ihn und er wimmerte, als seine Schwester heftig atmend nach seinem Arm fasste. „Shht... nicht weinen. Er ist gebrochen, das... das müssen wir... schienen...“ Sie lächelte, während sie sprach, aber aus ihren Augen quollen Tränen, die über ihre mit Blut und Schmutz verschmierten Wangen rannen. Um sie herum lagen Yamurus Verwandte, zerstückelt, verbrannt, erschlagen. Tanten, Cousinen, Cousins, sie alle gleichermaßen. Er konnte Tante Pavati und die kleine Thira nicht sehen – manche hatten es offenbar geschafft zu fliehen. Oder waren eine Ecke weiter von des Kaisers Soldaten eingeholt und geschlachtet worden. Um sie herum war ein Chaos der Verwüstung und Zerstörung... von der prächtigen Stadt war kaum etwas übrig und immer noch rannten die Menschen panisch umher, schrien, weinten um die Toten, flehten Katari um Gnade an. In Yamurus Kopf pochte es.

Seine Schwester sackte in sich zusammen und ihr Kopf kippte gegen seinen Bauch. Er weinte. Ngnhanas Finger krallten sich in seinen Unterarm und sie zitterte, als sie wieder lag und den Kopf heftig atmend zur Seite drehte.

„Versprich mir etwas...“, flüsterte sie, „Yamuru... bitte. Sieh mich an.“ Er wimmerte und sie hob die Hand bebend, streckte sie nach seinem Gesicht aus. Er sah in ihre purpurnen Augen und erkannte den Schmerz darin... nicht den Schmerz der Wunde, sondern den des Abschieds. „Mein süßer... kleiner Yamuru. Ich war dir... keine gute Mutter. Ich war dir... alles, was ich sein konnte. Versprich mir, dass... du weiterlebst, ja? Du wirst leben für... f-für die Familie und... für dich selbst, Yamuru. Versprich es mir... lebe. Egal wie. Lebe.“

„Aber du... du wirst doch bei mir sein!“, wimmerte er und sie sah ihn an und lächelte; ihre Hand sank zu Boden. Er wusste, dass sie sterben würde... und es brach ihm das Herz, denn ohne seine Schwester war er verloren.

„Ich werde bei dir sein.“, flüsterte sie. „Auch, wenn du mich nicht sehen kannst. Ich werde… in deiner Seele weiterleben, Yamuru.“

Das waren die letzten Worte seiner Schwester. Er versprach ihr, was sie verlangt hatte, als sie die Augen für immer schloss.
 

Thira starrte ihn an und er wusste, ihr Entsetzen galt weniger dem Tod seiner Schwester.

„Chenoa hat uns nicht verraten!“, keuchte sie, „Wie kannst... wie kannst du das sagen?! Sie tut alles, was sie tut, für Khad-Arza, für die-...!“

„Jetzt mach mal halblang.“, unterbrach er sie forsch, „Ich sagte dir doch, Chenoa ist eine berechnende Hure. Sie hat uns verraten, du kannst es leugnen oder mir glauben, ich weiß, was ich gesehen und erlebt habe. Ich habe kürzlich darüber nachgedacht und möchte einräumen, dass es vielleicht... nur teilweise ihre Schuld ist. Ich komme später noch mal zu ihr zurück... Chenoa und mich verbindet eine Geschichte die etwas intensiver ist als dieser Augenblick im Inferno, glaub mir.“ Sie stierte ihn an, abschätzend, aber sie schwieg und duldete seine Worte.

„Was ist mit deinem Vater passiert?“

„Mein Vater war am Leben. Er kam, nachdem Ngnhana tot war; er hatte als einer der wenigen vom Hohen Berg fliehen können und soweit ich bis heute weiß ist er der einzige, der das überhaupt überlebt hat. Was mit deinem Vater geschah weißt du, und mit deiner Mutter, nachdem sie dich in eine Fähre mit Fliehenden nach Tharr gestoßen hatte. Ich habe an dem Tag einfach alles verloren. Ngurrha war verbrannt, meine ganze Familie verreckt, die Welt lag im Sterben. Aber ich habe auch etwas gewonnen... seltsamerweise. Und zwar meinen Vater.“ Er machte eine Pause, um zu Atem zu kommen. „Er kam und fand mich in den Trümmern, und er nahm mich mit. Und ich weiß noch, wie glücklich ich war, ihn zu sehen... ich war noch nie in meinem Leben froh gewesen, diesen Mann zu sehen, für den ich nichts als eine unfähige Schande war. 'Ich bin froh, dass du da bist, Vater.', habe ich zu ihm gesagt, und er hat mich angesehen. 'Das hast du noch nie zu mir gesagt, denn ich war... ja nie für dich da, mein Sohn.' Das hat er gesagt und ich war glücklich... weil ich zum ersten Mal sein Sohn war.“
 

Die Flucht vor dem Kaiser führte sie nach Westen, immer weiter, und durch totes, verbranntes Land. Yamuru bekam nur sporadisch etwas von der Reise mit, denn sein gebrochener Arm schmerzte so wahnsinnig, dass er kaum etwas anderes im Kopf hatte als die Schmerzen. Sein Vater eilte ihm voraus und er musste ihm folgen, wenn er ihn nicht verlieren wollte. Aber sein Vater war auch angeschlagen, er machte oft langsamer für ihn, das wusste der Junge, und dann schämte er sich, dass er so nutzlos war und nicht mithalten konnte. Chihnii Mirrhtyi sprach kaum ein Wort, aber jetzt empfand Yamuru sein Schweigen als angenehm. Er wollte nicht sprechen. Wenn er nicht an seine Schmerzen dachte, dachte er an Ngnhana, die ihn mit ihrem Leben beschützt und für ihn gestorben war.

Sie kam zu ihm in seinen Fieberträumen, wenn er zu schwach zum Weitergehen war und sein Vater ihn auf seinem Rücken trug. Sie rief nach ihm und Yamuru wollte ihr antworten, aber aus seiner Kehle kam kein Ton.

„Halt durch.“, hörte er seinen Vater irgendwo in der fiebrigen Dunkelheit seiner Träume murmeln, und er spürte seine Hand schwer auf seiner glühenden Stirn ruhen. „Bitte, halt durch. Wir müssen fort, weit fort, so weit wir nur können. Der Imperator wird nicht dulden, dass wir noch leben, wenn der uns findet, sind wir erledigt... Ngurrha ist gefallen. Wir müssen unser Heimatland verlassen... und das so schnell wir nur können.“

Das war alles, was Yamuru von seinem Vater hörte, manchmal, wenn er bei Bewusstsein war – und das wurde immer seltener, je länger sie unterwegs waren. Er hatte kein Zeitgefühl mehr und er wusste nicht, wie lange sie gebraucht hatten, bis sie zum ersten Mal in ihrer Odyssee nach Westen auf Menschen trafen. Er hatte mitbekommen, dass sie das Meer überquert hatten, aber er wusste nicht, was hinter dem Meer sein sollte. Wo waren sie gelandet, wenn sie das Meer überquert hatten und jetzt an Land waren? Wie weit waren sie von Ngurrha weg, ihrer Heimat, ihrem Anwesen... von Ngnhana?

„Ngnhana... ich vermisse dich so sehr.“, murmelte der Junge, und er spürte die betäubenden, brutalen Schmerzen, die sich inzwischen nicht nur in seinem Arm, sondern überall in ihm befanden, und wie sein Vater ihn an sich presste. Es verschlimmerte die Schmerzen und ein heißer Stich ging durch Yamurus Körper. Er dachte, er würde schreien, aber vermutlich stöhnte er nur, weil er keine Kraft zum Schreien hatte.

„Bitte helft uns, ich flehe euch an!“, hörte er den Vater dumpf, weit weg, irgendwo sagen. Warum klang er so weit weg, wenn er ihn doch gegen seine warme Brust presste? Als Yamurus Bewusstsein endgültig seinen Dienst versagte, war das Letzte, das er wahrnehmen konnte, die Hand eines Fremden, die auf sein Gesicht zukam und ihn an der Stirn berührte. Dann war es dunkel.
 

Als er erwachte, fand er sich auf einer Bastmatte liegend, mit einer kratzigen Decke zugedeckt. Die Schmerzen waren fast weg und sein Kopf fühlte sich komisch an, wieso, konnte er nicht erklären. Er hatte keinen Schimmer, wo er war und er setzte sich desorientiert auf – da fing er die Aufmerksamkeit von zwei Kindern, einem Jungen mit flammend roten Haaren und einem kleinen Mädchen mit rosa Zöpfen, die an der komischen Matte knieten, auf der er jetzt saß. Sein Arm war verbunden worden und er trug keine zerfetzte, blutige Kleidung mehr – genau genommen trug er gar keine Kleidung und keuchend riss er die widerlich kratzige Decke wieder höher über seine entblößte Brust.

„Wo bin ich?! Wer seid ihr, w-was... was ist hier los?!“, pflaumte er die fremden Kinder ungehalten an – das hier war nicht Ngurrha. Die Einrichtung war schlicht, wenn nicht gar barbarisch, das hier war eine Art kleiner Verschlag. An den lehmigen Wänden stapelten sich Töpfe, Krüge, Gefäße und Säcke, es gab einen Vorhang, der wohl eine Tür ersetzte, und keine Fenster.

„Langsam, Bursche.“, sagte der Junge zu ihm; er war etwas größer als Yamuru und musste knapp älter sein. „Du bist in Sicherheit und dein Fieber ist weg. Alles wird gut! Ich bin Shihaya, das ist meine kleine Schwester, Rymhah. Unsere Mutter hat dich verarztet, weil dein Vater sie darum gebeten hat.“

„Deine Mutter? Was, wie, w-wo sind wir denn?!“, schrie Yamuru panisch und irgendwas an seiner Stirn störte ihn. Die beiden neben ihm waren schlicht gekleidet – oh, Katari, das waren Bettler, garantiert! Schäbige, dreckige Obdachlose, und von solchen ließ er sich verarzten?! Er war ein Prinz von Ngurrha, wie konnte er nur so tief sinken?

„Wir sind in Rayiya.“, lachte Shihaya, oder wie er hieß, „Also, in dem, was von dem Land übrig ist nach der Explosion. Können von echt großem Glück reden, dass wir überlebt haben, um uns herum ist alles in die Luft geflogen. Das ist ein Zeichen von Katari, genau. Er sprengt des Kaisers Ländereien, aber nicht unser Quartier, na, wenn das kein Omen ist.“ Yamuru verstand nichts von dem, was der Kerl sagte – er fasste nach seiner Stirn, um zu prüfen, was ihn da so störte, und er fand Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht hingen. Es waren seine eigenen... wieso waren da Haarsträhnen?

Und vor allem, warum so kurz, dass sie ihm auf die Stirn hingen?

Ein gellender Schrei ließ Shihaya und Rymhah zurückfahren, als Yamuru auf seinen Kopf fasste.

„M-meine... meine Haare!“, kreischte er aufgebracht, als er plötzlich bemerkte, was passiert war. „Mein Haarknoten, w-wo ist mein Haarknoten?! Wo sind meine Haare?!“ Er sprang auf und plötzlich war ihm egal, dass er splitternackt war und diese Barbaren seine nackte Haut sehen konnten. Er rannte zu einem der riesigen Töpfe aus Messing oder Kupfer, darin sah er sich verschwommen gespiegelt. Seine Haare waren ruiniert! Diese Barbaren hatten seine schönen Haare abgeschnitten, jetzt war auf seinem Kopf nur noch ein Durcheinander aus violetten Fransen, die nicht mal mehr ernsthaft seine Ohren bedecken konnten, so schrecklich kurz waren sie. „Was... was habt ihr Bastarde getan?!“, fluchte er und fuhr wütend herum, „Was habt ihr verfluchten, verdammten-...?!“ Er wurde unterbrochen, als der Vorhang, der die Tür war, aufgezogen wurde und da eine Frau stand. Sie hatte die gleichen Haare wie Rymhah, vermutlich war das die Mutter.

„Ach, er ist wach!“, lächelte sie freundlich, „Du solltest lieber noch liegen bleiben, Yamuru, deine Verletzung und das Fieber haben dich sehr schwach gemacht...“

„Ihr Barbaren!“, flennte der Junge, „Meine Haare, ihr habt meine Haare abgeschnitten, ihr elenden...!“

„Das haben sie getan, weil ich es angeordnet habe, Yamuru... es war nötig, mein Sohn.“

Er erkannte Chihnii Mirrhtyis Stimme – aber er hätte seinen Vater beinahe nicht erkannt, denn dessen Haare waren auch verschwunden und fast genauso kurz wie seine eigenen. Kein Haarknoten, keine edlen, gepflegten, langen Haare wie es schön war in Ngurrha... nur Fransen. Yamuru heulte und warf sich an Vaters Beine, der Mann seufzte und strich ihm über die hässlichen Fransen.

„Was hat er denn bloß?“, fragte Rymhah, das Mädchen, im Hintergrund scheu, „Ich finde, er sieht viel hübscher aus so als mit seinem komischen Zopf...“

„Deine Haare sind ja auch weg, Vater!“, flennte der Junge, immer noch nackt, und sein Vater seufzte erneut.

„Ja, das ist nötig, Sohn. Wir sind nicht mehr in Ngurrha, Ngurrha ist gefallen. Niemand vom Clan is übrig außer dir und mir... und wir sind hier freundlich aufgenommen worden. Wir sind hier keine Herren, Yamuru, wir sind zwei von vielen, genauso viel oder wenig wert wie alle hier. Genau wie alle... Feinde des Kaisers, Geächtete des Imperiums. Nicht mehr. Deswegen gibt es keine Extrawürste mit Frisuren mehr.“

Die Nachricht schockierte ihn irgendwie; er löste sich von seines Vaters Beinen und sah die beiden Kinder und dann die Frau an, die lächelte.

„Was... w-was ist das für ein Ort, Vater?“

„Ein Quartier einer Rebellengruppe.“, antwortete Chihnii Mirrhtyi ernst. „Nichts besseres hätten wir finden können – diese Menschen stammen aus hunderten Familien, aus vielen Ländern, und sie haben sich hier zusammengetan, um gegen den Kaiser zu kämpfen. Und da auf unsere Köpfe – oder wenigstens meinen – sicher ein Lohn ausgesetzt ist, ist es das, wozu ich berufen wurde, Yamuru, und du ebenso. Wir sind eine Kämpferfamilie... uns wurde zwar unser Land genommen, unser Titel, unsere Familie. Aber niemand nimmt einem Mirrhtyi seinen Kampfgeist. Ich habe beschlossen, diesen Rebellen zu helfen im Kampf gegen das Imperium... es wird untergehen, das ist unbestreitbar. Wenn es einen Weg gibt, Kataris Zorn zu besänftigen, dann diesen... das Imperium zu zermalmen für das, was es den wahren Kindern Kataris angetan hat.“ Yamuru starrte seinen Vater an, und was er sagte klang gut... alles, was den Kaiser hasste, war gut! Er sah entschuldigend zu den beiden Kindern, de er zuvor angeschrien hatte, und errötete, als ihm einfiel, dass er immer noch nackt war. Was niemanden zu kümmern schien, ihn aber trotzdem beschämte.

„Der Kaiser hat meine Schwester ermorden lassen.“, murmelte Yamuru, „Und so viele andere.“ Shihaya lächelte ihn verständnisvoll an.

„Ich weiß. Er hat meinen Vater auch ermorden lassen vor ein paar Jahren. Mein Onkel Quaias führt diese Rebellengruppe an. Wenn ich groß bin, werde ich ihr Anführer, dann werde ich meinen Vater rächen. Und die Millionen anderen Menschen, die das Imperium sinnlos geschlachtet hat.“ Yamuru fand, das war eine gute Sache... er würde Ngnhana genauso rächen, wenn er groß war.
 

Thira sah ihn einen Moment an.

„Dann bist du... bei den Rebellen aufgewachsen seitdem?“, fragte sie und Yamuru nickte.

„Ich habe bei ihnen gelebt bis der Ela-Ri-Krieg kam auf Tharr. Vom Land Rayiya ist nach dem Vulkanausbruch nicht viel übrig geblieben, es war eine recht große Insel, auf der das Quartier stand. Meistens haben sie die Provinzkader angegriffen, die Jawohlmänner des Kaisers, die im ganzen Imperium postiert waren und seine Interessen verfochten. Die Rebellen waren keine gnädigen Menschen, sie waren radikal in dem, was sie taten, erwarte also nicht die ultimativen Gutmenschen. Sie kämpften für ihre Freiheit, teilweise für die Rache an denen, die ihre Familien und Besitztümer geschlachtet hatten... als die Gletscher nach Rayiya kamen, sind sie weiter nach Süden geflohen. Ich war damals schon nicht mehr bei ihnen, aber meine Reikyu hat mir gezeigt, dass sie zumindest noch unbeschadet waren, als wir Zuyya verlassen haben.“ Seine Cousine sah auf den Boden.

„Was ist aus Shihaya und Rymhah geworden?“

„Shihaya wurde mir ein guter Freund, vielleicht der beste und einzige, den ich je hatte. Dasselbe... na ja, quasi, gilt für Rymhah. Hat mir leid getan, die beiden und auch Quaias, ihren Onkel, zurückzulassen, sie waren wundervolle Menschen.“

„Hattest du was mit dieser Rymhah?“ Die Frage überraschte Yamuru nicht ernsthaft – mehr aber der bissige Unterton in Thiras Stimme. Er schmunzelte.

„...willst du das wirklich wissen?“

„Das heißt wohl Ja.“

„Ich denke, du hasst mich und denkst, ich würde dich sowieso bloß benutzen? Warum dann die Eifersucht, Thira?“, neckte er sie und sie schenkte ihm einen Mörderblick, für den er sie am liebsten noch einmal genommen hätte, jetzt sofort. Sie erregte ihn, wenn sie so guckte und er in ihrer Seele eindeutig das pulsierende Verlangen sehen konnte, das sie gerade zu verstecken versuchte.

„Ich bringe dich um, du Armleuchter.“
 

Die Welt war in den Schatten gefallen, seit die Explosion gewesen war. Asche und Qualm verdeckten fortan die Sonne und der ewige Winter begann auf Zuyya. Dass es Zuyyas letzter Winter sein sollte, dass es Zuyyas Ende einläuten sollte, wusste Yamuru damals nicht... er wuchs zum Mann heran und jedes Jahr hoffte er, genau wie so viele andere, dass sich die Asche wieder auflösen und die Sonne wieder freigeben würde.

Aber Katari erhörte ihre Gebete nicht und es blieb Winter.

Es war das Jahr, in dem Yamuru siebzehn geworden war, in dem die Imperialisten das Quartier der Rebellen in Rayiya fanden. Die Hauptarbeit der Rebellen, die sich nicht an den Staatsstreichen und Überfällen auf die Kader beteiligten, galt dem Schutz der Insel, die sie bewohnten. Doch sie konnten so viele Wachen aufstellen, wie sie wollten, dass der Kaiser sie eines Tages entdecken würde war vorprogrammiert gewesen; als sie dann kamen, war es zwar nicht unerwartet, aber dennoch machte es allen Angst. Alle hatten befürchtet, dass das Lager früher oder später gefunden würde, aber mit dem Aufmarsch, den der Kaiser ihnen bot, hatten sie nicht gerechnet.
 

„Schiffe?“, machte Quaias der Rebellenführer entsetzt, als die Späher von der Küste gerannt kamen, um Bericht zu erstatten.

„Tausende.“, keuchte einer von ihnen. „Eine ganze Armada von ihnen, Quaias. Sie haben das Quartier entdeckt, das ist sicher… und sie kommen nur, um uns alle dem Erdboden gleich zu machen! Sie kommen von überall her, das ganze Meer ist voll von ihnen!“ Die anderen starrten die Späher fassungslos an, Quaias erbleichte, ebenso tat es Chihnii Mirrhtyi. Yamuru sagte kein Wort, während er neben Shihaya und Rymhah im Hintergrund stand und mit anhörte, was die Späher berichteten.

Das war ihr Untergang – und er konnte tief in seinem Inneren mit Hilfe der Reikyu spüren, dass sie Tod und Verderben erwartete... sie alle.

„Das können wir nie aufhalten.“, war Quaias‘ Kommentar, und die anderen sahen sich beunruhigt an. Rymhah schlug die Hände vor ihren Mund.

„D-das heißt, wir werden alle…?!“

„Nein, niemand stirbt.“, sagte Quaias, „Wir fliehen durch den Tunnel auf die andere Insel. Rasch, packt das Nötigste zusammen und wir brechen sofort auf, ehe sie hier landen! Los doch!“

Nach seinem Schrei brachen Hektik und Panik aus im Lager. Die Menschen rannten durcheinander, sammelten ihre wichtigsten Sachen, Lebensmittel und die kleinen Kinder ein. Quaias beauftragte seinen Neffen Shihaya damit, die Menschen durch den Tunnel zu führen. Schon vor langer Zeit hatten sie einen Tunnel gebaut, der ihr einziger Fluchtweg aus dem Quartier war. Er führte zu einem anderen Flecken des Landes Rayiya; bei der Explosion war ein Teil der Landoberfläche über diesem Fluchtweg weggefegt worden, sodass er jetzt halb unter Wasser lag. Die ersten waren gerade in den Tunnel gerannt, als plötzlich ein ohrenbetäubendes Krachen die Luft erfüllte und die, die noch draußen waren, herumfuhren.

„Sie greifen an!“, rief Quaias, „Schnell, lauft! Ich gehe zuletzt und vernichte das Quartier von hier aus, damit sie den Tunnel nicht finden und uns nicht folgen! Lauft, rasch!“

„Aber was wird aus dir?!“, rief Yamuru und etwas in ihm schlug Alarm, als er in Quaias' verhärtetes Gesicht sah. Der Mann war tapfer, mutig und ein guter Anführer. In den Jahren, die er hier gelebt hatte, hatte Quaias oft gemeinsam mit Yamurus Vater viele Staatsstreiche geführt... er war ein guter Mann, es wäre schlimm, würde er umkommen. „Du könntest dabei sterben oder sie erwischen dich!“

„Pff!“, machte Quaias, „Du rennst jetzt auch – hey, wo willst du denn hin?!“ Letzteres galt nicht Yamuru, sondern seinem Vater, der plötzlich vor Quaias trat. Er hatte die Sanhari gezogen. Und Yamuru starrte seinen Vater an, inzwischen mit ihm und Quaias der letzte im alten Quartier, während das Volk durch den Tunnel floh, und er spürte das Gefühl von nahendem Tod und Verderben erneut, dieses Mal heftiger, schmerzhafter. Er keuchte und wusste genau, was sein Vater vorhatte... und er brachte kein Wort heraus, er konnte nur starren in das noch immer nicht recht alte Antlitz seines Vaters, der ihn als Kind so verabscheut hatte. Der ihn alles gelehrt hatte, den Umgang mit Waffen, den Umgang mit Magie, den Umgang mit der Reikyu.

„Das tust du nicht, Vater!“, war alles, was er hervorbrachte, und er wusste, dass es ungehörig war für einen Sohn, der noch nicht mal verheiratet war, so mit seinem Vater zu sprechen. Chihnii Mirrhtyi würdigte ihn keines Blickes und sprach zu Quaias.

„Ich beherrsche das Eis. Wenn sie über das Wasser kommen, ist das für mich von Vorteil. Ich habe viel bessere Möglichkeiten sie zu töten als du. Außerdem…“ Und jetzt verfinsterte sich sein Gesicht zu einer furchteinflößenden Grimasse, die Yamuru erstarren ließ; etwas veränderte sich in seinem Vater, das spürte er. Er konnte es nicht beschreiben, aber es war da. „Außerdem habe ich lange schon auf den Tag gewartet, an dem ich mich beim Kaiser erkenntlich zeigen kann dafür, dass er… vor Jahren meine gesamte Familie ausgelöscht hat!“ Er fuhr herum und Yamuru starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, ebenso wie Quaias. „Sohn! Ab jetzt… wirst du das Oberhaupt des Mirrhtyi-Clans sein. Und du wirst es mit Stolz und unserer Familie ein würdiger Erbe sein. Das sind keine Anforderungen eines Vaters an seinen Sohn, das… sind Fakten.“

Yamuru fand seine Sprach wieder und schrie ihn an.

„D-das kannst du nicht, Vater! I-ich will das nicht, ich lasse nicht zu, dass du-...!“ Er wurde unterbrochen – erstaunlicherweise dadurch, dass sein Vater ihm die Sanhari gab, das wertvollste Familienerbstück, das Schwert des Clanoberhauptes. Er starrte auf die Waffe und Chihnii Mirrhtyi zischte.

„Nimm sie, Yamuru!“, fuhr er ihn an, „Das Oberhaupt trägt die Sanhari – ich werde sie nicht mehr brauchen. Nimm sie und verehre sie, wie sie von den Ahnen verehrt wurde!“

„Du darfst nicht sterben, Vater!“, schrie Yamuru panisch, als er gegen seinen Willen die Waffe ergriff, die sein Vater ihm gab, der ihm den Rücken zukehrte. Er hob die Hände und Yamuru stutzte, als er zusah, wie sein Vater aus seiner Tasche eine alte Haarnadel zog und seine inzwischen wieder recht langen Haare zum traditionellen Haarknoten band.

„Wenn ich sterbe, dann als Herrscher von Ngurrha, auch wenn ich weit weg von meinem Land bin.“, gab er zu hören, „Und die Ahnen werden mich sehen und stolz sein. Ich wünschte, ich wäre dir ein besserer Vater gewesen. Wir waren nicht immer derselben Meinung, aber… ich möchte dir noch eines sagen, bevor ich gehe. Ich habe mir… niemals wirklich gewünscht, dein Platz und der deiner Mutter wären vertauscht. All das war… Kataris Wille, den ich respektiere. Und ich war froh… dass nach Etsuyas Tod dein kleines Gesicht mich… jeden Tag an sie erinnern konnte.“ Ein Beben erschütterte die Insel und es krachte erneut. Quaias fuhr herum, als plötzlich mit viel Lärm eine Feuerkugel auf das Dach des Quartiers krachte und es in Brand steckte.

„Rasch!“, schrie er, „Yamuru, geh jetzt! Ich werde das Quartier sprengen… es ist ein ehrenhaftes Ende für meinen guten Freund, Chihnii… Respektiere seinen Entschluss, ich tue es auch, wenn auch schweren Herzens. Aber die Kontrolle über das Eis könnte allen anderen Rebellen das Leben retten.“ Er sah seinen Freund an, der ihm zunickte und sich dann noch einmal an seinen Sohn wandte, der von Quaias zum Tunnel gezerrt wurde.

„Nein, Vater!“, schrie er, „Du darfst das nicht!“

„Wenn du kannst, komm zurück, sobald es vorüber ist, und nimm meine Reikyu an dich, wenn ich tot bin, Yamuru. Ich werde dich nicht allein lassen, versprochen. Lass nicht zu, dass meine Seele zu einer Batterie verarbeitet wird. – Jetzt verschwindet endlich, ihr beide!“ Es krachte erneut und der Schein des Feuers erhellte die Gesichter der Männer. Yamuru schrie, als Quaias ihn gewaltsam zum Eingang des Tunnels zerrte und ihn hinein stieß.

„Nein! lass mich los, Quaias! Lass mich raus! Vater! Vater, nicht!“

Ein Beben der Erde riss sie beide von den Beinen und sie stürzten schreiend zu Boden. Quaias rappelte sich auf, packte Yamuru und warf ihn sich über die Schultern. Der Junge zappelte und strampelte und versuchte mit aller Kraft und lauthals schreiend, sich loszureißen, als der ältere Mann mit ihm den Tunnel entlang rannte.

„Du kannst nicht umkehren, Yamuru!“, rief er laut, „Sei vernünftig und hör auf zu zappeln!“

„Nein, lass mich runter! Lass mich sofort runter, Quaias!“, schrie Yamuru außer sich und zappelte und strampelte, bis sie den Tunnel durchquert hatten und er von dem Mann hinaus gestoßen wurde. Er stolperte hustend zu Boden und spürte, dass jemand nach ihm griff, an ihm zog, vermutlich war es Rymhah. Als er herum fuhr, schleuderte Quaias einen gewaltigen Feuerzauber mit bloßen Händen zurück in den Tunnel, durch den sie gekommen waren, sodass das gesamte Gerüst des Fluchtwegs in Flammen aufging und zusammenfiel; jetzt war der Weg hierher für alle Verfolger vernichtet, und ebenso für Yamurus Vater, denn seine Rückkehr war nicht zu erwarten. Der junge Mann starrte auf das Loch, aus dem er gerade noch gestoßen worden war und das jetzt mit einem Grollen in sich zusammen fiel, dabei spuckte es Erde und Rauch und Funken aus.

In der Ferne dröhnte der Donner des Krieges, als die Schiffe des Imperiums die Insel angriffen und sein Vater irgendwo dort war, um die Ehre ihrer Familie zu verteidigen... und das Leben jener zu beschützen, die für ihn und Yamuru da gewesen waren, als sie es am dringendsten gebraucht hatten. Und wieder hatte ihn der liebste Mensch, den er auf der Welt hatte, mit einem Versprechen zurückgelassen.
 

„Ich verstehe.“, war Thiras Kommentar, als er eine Pause machte. „Dann hast du deines Vaters Reikyu also wirklich nach der Schlacht geholt und... sie dir mit einem Zauber ins Auge gesetzt.“ Er nickte ermüdet vom vielen Reden.

„Es war sein Wille und ich habe mich dem gebeugt, weil ich keine Wahl hatte.“ Sie hatte begonnen, sich anzuziehen, und er sah ihr einen Moment zu.

„Ich begreife aber noch immer nicht, warum du hier bei Manha bist. Warum du... zur Trias willst, warum du das alles tust. Du willst leben, weil du es Ngnhana versprochen hast, aber dafür hättest du auf Zuyya bleiben können.“

„Wie gesagt... ich komme aus dem Mirrhtyi-Clan und der ist eine Kämpferfamilie. Ich bin nicht der Typ, der herum sitzt und wartet. Aber ehrlich gesagt war der oberste Grund, der Hauptgrund dafür, dass ich Manha die Pläne gezeigt habe, dass ich ihm diese Tari Randora Zwei ermöglicht habe, der, dass ich Chenoa niemals wieder vertrauen werde. Und sie... hatte nun mal die Obhut über euch Sieben. Als ich von der Legende erfuhr und über das, was diese Wahnsinnige so getrieben hat, war mir klar, dass ich nicht Chenoas Plänen die Zukunft der Vier Reiche überlassen konnte... Kwok Ar-Khajh war nirgends aufzufinden und du warst bei den Sieben... Die einzige warst du also, mit der ich mich hier zusammentun konnte, die ich überzeugen kann von dem, was wichtig ist. Was sollen wir machen, Thira? Du bist ein Kind der Vier Himmel, genau wie ich... während Chenoa uns verraten hat und Kwok Ar-Khajh nicht da ist, bleiben nur wir zwei übrig, oder?“

„Chenoa hat uns nicht verraten!“, zischte sie unnachgiebig, indem sie sich fertig anzog, „Sie hat mich alles gelehrt was ich weiß – fast. Sie war mir wie eine Schwester, als ich auf Zuyya bei ihr gelebt habe! Würdest du zulassen, dass man deine Schwester als Verräterin beschimpft?!“

„Wenn Chenoa also keine Verräterin ist, warum hat sie dann den Kaiser damals nicht aufgehalten, als wir bei der Explosion fliehen wollten, so wie es abgemacht war?“, schoss er zurück, „Schweig, ich kenne die Antwort inzwischen vermutlich selbst. Dennoch hast du Chenoa zu verdanken, dass ich jetzt bei Manha sitze und euch das Leben schwer machen muss.“ Sie sagte nichts und er seufzte, als er seine Hosen ebenfalls anzog und ein letztes Mal zum erzählen ansetzte. „Ich bin zu ihr gegangen, als ich die Rebellen verließ; das war während des Ela-Ri-Krieges, kurz bevor sie aufgebrochen ist nach Tharr, um mit Saidah Chimalis nach Tejal zu reisen. Es war das erste und einzige Mal, dass ich in ihrem Haus gewesen bin.“
 

Der Salon war groß, aber nicht riesig. Er war edel eingerichtet mit sündhaft teuren Möbeln und Teppichen, und nach all den Jahren bei den Rebellen erschien es Yamuru seltsam, wieder in dem Haus reicher Leute zu sein. Es fühlte sich dennoch nicht vertraut an... das hier war nicht sein Haus, es war Chenoas Haus, das Haus der Verräterin, die Schuld war an allem Übel.

An Ngnhanas Tod, indirekt, das würde er ihr niemals vergeben.

Er umklammerte die Sanhari, die an seinem Gürtel steckte, obwohl die Weise Frau nicht aussah, als würde sie sich gleich auf ihn stürzen. Sie war emotionslos wie immer, als sie ihm gegenüber stand, ein Stück überragte er sie jetzt, da er erwachsen war. Und Chenoa sah genauso aus wie damals, als das Feuer vom Himmel gefallen war... genauso entsetzlich bildschön, auf eine betörende, ungute Weise schön. Verdammt, er war auch nur ein Mann, und diese Frau war verdammt noch mal erregend, er konnte es nicht ändern.

„Du greifst nach deiner Waffe.“, stellte sie fest und sah nicht mal herab an ihm, sondern starrte ihm kalt ins Gesicht. „Wenn du beabsichtigst, mich zu töten, Yamuru Mirrhtyi, muss ich dich enttäuschen. Ich sterbe nicht so leicht.“

„Ich komme, um mit dir zu sprechen, Chenoa.“, schnarrte er, „Als Erbin... des Südclans, als Teil der Vier Himmel. Du bist genau wie ich ein letzter Nachkomme eines der vier Himmelclans. Eigentlich wollte ich dich tatsächlich gern töten... für deinen Verrat von damals hast du nichts besseres verdient, du Schlampe. Aber ich habe in meiner Reikyu Dinge gesehen, die mich verwirren... und ich weiß, dass nur du die Antworten auf die Fragen kennst.“ Sie zog eine Augenbraue hoch und ein weiterer Blick in ihr makelloses Gesicht machte ihn nervös. „Die Zeit der Zuyya nähert sich dem Ende, Chenoa. Wir beide wissen das, du sicher besser als ich. Und damit rückt die Zeit der Tari Randora näher – die Zeit der Trias, die du 989 vereitelt hast.“ Jetzt verengte sie die gelben, dämonischen Augen, dann schloss sie sie und seufzte.

„Ja, die Zeit wird kommen, Yamuru, ganz ohne Zweifel.“

„Das Imperium muss fallen, bevor wir aufbrechen. Ich werde im Namen meiner Familie und auch im Namen der Ar-Khajhs und der getöteten Jamalis nicht zulassen, dass das Imperium sich der Tari Randora bemächtigt, die dein eigener Vater für einen Zweck gebaut hat, den du vernichtet hast. Sag mir wieso, Chenoa... vielleicht hilft es mir, mein schlechtes Gewissen auszuschalten, dass ich dich leben lasse.“

Sie lächelte humorlos.

„Du verstehst nichts... von meiner Seele, Yamuru. Du verstehst nichts von dem, was ich tue, denn alles hat seinen Grund. Auch das damals... du verstehst das nicht.“

„Warum?!“, blaffte er sie an, „Hat Akando Jamali dich nicht selbst bei sich aufgenommen, dich beherbergt, als du als junges Mädchen weg wolltest aus Ahrgul?! Du hast ihn genauso verraten wie Ngnhana, genau wie mich, wie uns alle, du hast ihn und Tante Pavati zum Tode verurteilt! Warum, verdammt?!“ Es regte ihn auf und er schrie sie an. Chenoa blieb die Ruhe selbst.

„Kein Grund, zu schreien.“, sagte sie monoton, „Das ändert nichts an dem, was geschehen ist. Du... bist zu emotional, Sohn von Chihnii und Etsuya. Du solltest lernen, deinen Zorn, deine Seele zu beherrschen, sonst läuft sie dir weg.“ Er spuckte ihr vor die Füße, ein Zeichen purer Verachtung.

„Du kannst mich mal, du hast ja nicht mal eine Seele, Chenoa! Du hast sie wissentlich sterben lassen, Menschen, die dich unterstützt haben, und jetzt tust du so, als wäre ich der Dumme!“

„Dann wirst du scheitern an deiner Aufgabe, Yamuru... wenn du deine Seele nicht beherrschst. Gefühle sind... Dinge, die uns verletzlich machen, Yamuru, hast du den Lehren deines Vaters nicht zugehört?“ Er wollte nicht über seine Erziehung sprechen, sondern über die Zukunft.

„Ich habe Schriften gelesen. Über die Sieben, die Legende. Du weißt davon, nicht wahr? Ich habe es in Träumen gesehen... ich habe gesehen, dass das Schicksal der Sieben mit dem meinen, dem deinen und noch vielen anderen verknüpft ist. Was... tun die Sieben, Chenoa?“

„Sie tun das, was die Legende besagt... sie suchen eine neue Welt. Dies ist nicht dein Schicksal, Yamuru Mirrhtyi. Ebenso wenig der Untergang des Imperiums... er wird kommen, und das bald.“

„Ich habe lange genug auf den Tod des Kaisers gewartet!“, fuhr er sie an, „Ich habe lange genug gewartet und ich werde ihn töten, wenn du es nicht tust und uns, deinen Vorfahren, Katari, allen den Rücken kehrst!“ Chenoa sah ihn lange an und schien etwas zu erkennen; was, verriet sie ihm nicht, aber sie sprach. In ihrer Stimme lag kein Mitleid und kein Bedauern, aber eine Art Müdigkeit, die ihm seltsam vorkam bei ihr.

„Dann wirst du sterben... Yamuru. Wenn du den Kaiser tötest... wirst du ganz sicher auf unnatürliche Weise den Tod finden.“

„Durch deine Hand?“, spottete er, und sie lächelte wiederum humorlos.

„Nein, das nicht. Sterben dennoch... höre auf meine Worte, Yamuru. Du magst anders denken, aber ich bin nicht dein Feind oder der der Himmelclans. Des Imperators Tod würde ich genauso begrüßen wie du, glaub mir. Es ist nicht unsere Aufgabe, Yamuru.“ Er zischte – er wollte von ihrem Gefasel nichts mehr hören.

„Dann warte auf das Ende, Chenoa. Ich tue es nicht, denn von warten alleine kommt nichts. Ich bin ein Sohn Kataris, ein Sohn von Ngurrha. Und ich werde nicht kampflos aufgeben... nicht einmal dann, wenn ich sterben muss.“ Er wandte sich ab, um zu gehen – sie hielt ihn mit Worten auf, die ihn tief in seinem wütenden, aufgebrachten Inneren verletzten.

„Dann wirfst du das Versprechen an deine Schwester in den Wind... ist das nicht derselbe Verrat, dessen du mich beschuldigst?“

Er ließ ihre Worte unbeantwortet, beschloss aber im Inneren, dass er nicht einfach sterben würde. Dann würde er ums Überleben kämpfen... egal mit welchen Mitteln. Er hatte es Ngnhana versprochen... und es gab niemanden, für den er sterben würde, außer seiner geliebten Schwester.

„Ich finde heraus, was du im Schilde führst und was die Aufgabe der Sieben ist, Chenoa.“, schwor er ihr verbiestert, „Ich finde das mit oder ohne deine Hilfe heraus. Nur ohne dauert es vielleicht länger. Verlass dich darauf, ich... vergebe dir nicht, seelenlose Kreatur.“

Das waren bis auf weiteres die letzten Worte, die er mit Chenoa Jchrrah der Wahnsinnigen sprach.
 

„Du hast gesagt, du wüsstest inzwischen die Antwort auf Chenoas Verrat.“, sagte Thira und ihre Stimme war unsicher. Er wusste nicht genau, ob sie aufgegeben hatte, ihm zu widersprechen, was Chenoa anging, oder ob sie ihm wirklich glaubte. Er seufzte, inzwischen wieder komplett angezogen, als sie sich zum kleinen Fenster der Kammer wendete und verbissen hinaus starrte.

„Die Antwort ist einfach. Sie ist eine Göttin, Thira. Oder zumindest hat sie die Seele einer Göttin, sie ist eine Seherin. Seher sind auf die Welt gekommene Götter, unsterbliche Seelen in sterblichen Hüllen. Die Seelen sind zu mächtig und zu groß für die Sterblichen, deswegen zerbrechen alle Seher an ihrer Bestimmung und werden auf irgendeine Weise früher oder später wahnsinnig – sieh dir Ryanne an. Für Chenoa gilt dasselbe.“

„Du meinst, sie hat den Kaiser damals nicht aufgehalten, weil sie wahnsinnig ist?“, fragte Thira, „Das klingt mir etwas zu einfach für eine Entschuldigung, wenn du sie akzeptierst.“ Yamuru schüttelte den Kopf.

„Nein, es ist schlimmer. Ich meine – Chenoa hatte eine Seele, eine sterbliche Seele, und als sie geboren wurde, kam die göttliche Seele quasi dazu und seitdem hat sie zwei. Die Seherin in ihr ergreift Besitz von ihr, übernimmt die Kontrolle, in manchen Momenten, und die Seele eines Sehers ist purer Pragmatismus in unseren Augen. Keine Güte, keine... Entscheidung für eine Seite, sie sind neutral, sie vertreten nur ihren eigenen Willen. Und der Wille der Götter – Kataris – war nicht, dass wir an jenem Tag die Tari Randora benutzen. Vermutlich wegen der Legende der Sieben... das heißt, ich vermute, dass in dem Moment, in dem Chenoa uns helfen sollte, einfach die pragmatische, unsterbliche Seele die Kontrolle ergriffen und sie daran gehindert hat. Die Götter sind weder für uns aus den Himmelclans noch für das Imperium, sie vertreten weder Tharr noch Zuyya noch Ghia, sie vertreten nur sich selbst – höchstens Khad-Arza als Ganzes, denn das war ihr Baby, ihre Schöpfung. Ich habe es begriffen, als ich mir vor Augen führte, wie sie mich angesehen hat... damals, als sie kam mit dem Kaiser, als wir umzingelt waren, als Ngnhana mich schützte. Chenoas Blick war nicht sterblich, er war... ein Zusammenspiel aus purer, reiner Macht und absolutem Wahnsinn. Und in Verbindung dazu dachte ich an deine Eltern, die Chenoa als jungem Mädchen geholfen haben. Von Tante Pavati hat sie ihre Naginata bekommen, ihre Waffe, die sie in höchsten Ehren hält. Deinen Vater hat sie verehrt wie einen großen Bruder. Ich meine damit... ich vermute, dass es sie wahnsinnig gemacht haben muss, als sie die Kontrolle über sich selbst zurück hatte und feststellte, dass sie diese Menschen, die sie gemocht hat, selbst auf den Scheiterhaufen gebunden hatte... ich weiß nicht, ob ich ihr ernsthaft die Schuld an allem geben kann, Thira. Vergeben habe ich ihr nicht, aber ich bin unsicher.“ Seine Cousine schwieg und starrte aus dem Fenster.

„Denkst du, sie hatte recht und du wirst sterben? Du hast den Kaiser getötet, oder nicht?“ Ja, das hatte er. Ihre Frage ließ ihn schmunzeln und er wartete mit seiner Antwort, bis sie ihn wieder ansah.

„Ich denke, du willst mich sowieso töten, Thira? Dann hat sich die Frage ja beantwortet.“ Sie errötete ertappt und er grinste – als sie schnaubend an ihm vorbei stampfte in Richtung der Tür, folgte er ihr und löste mit Hilfe der Sanhari den Eiszauber von der Klinke, der die Tür verschlossen hatte. Er würde sie nicht gegen ihren Willen festhalten, das machte keinen Spaß. Außerdem wusste er, dass sie an ihn gebunden war und wiederkommen würde.

„Ja, ich werde dich töten.“, schnarrte sie mit unverhohlener Bosheit und er lachte leise. „Irgendwann. Aber nicht jetzt.“

Statt sie darauf hinzuweisen, dass sie ihre dumme Karte immer noch nicht zurück hatte, küsste er sie auf die Lippen. Sie wollte seinen Kuss erwidern, aber er ließ schon wieder von ihr ab, denn in dem Moment schlug irgendetwas in ihm Alarm – im selben Moment ertönte plötzlich in unmittelbarer Nähe ein ohrenbetäubendes Krachen und danach das Brüllen von mehreren Männern, die offenbar kämpften. Thira fuhr zurück und Yamuru blinzelte.

„Ich vermute, du kriegst Besuch, meine Liebe.“, feixte er und sie starrte ihn an. Er musste die Tür nicht öffnen, denn sie flog mit einem lauten Krachen wie von selbst auf und ihnen entgegen, und mit der Tür fiel Simu Ayjtana in ihre Kammer, zusammen mit einem Schwall Wasser, der aus seiner Waffe kam, und irgendwelchen Pflanzenranken von Yatli. Yamuru amüsierte der Blick des Blonden, der sich keuchend vom Boden aufrappelte, während auf dem Korridor alle Kämpfe und Geräusche verstummten. Er sah die meisten der Sieben und Scharans Niemande, und alle, allen voran Yatli, der direkt vor der Tür stand und offenbar Simu hatte bekämpfen wollen, starrten Yamuru und Thira entgeistert an. Dann war es Yarek Liaron, der Beschützer, der sprach, dabei drehte er völlig gelassen seine Zigarette in seinem Mund.

„Ah. Da bist du, Thira. Wir haben dich gesucht.“
 


 

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Öh... ja? :'D Hatte das schon fertig und keinen Bock zu warten.... Yamurus Kindheit kriegt noch immer eines der längsten Kapitel, aber es wurde extremst gekürzt. Da war so viel Randomkack drin... wen interessiert wie der im Rymhah rummacht oder wie seine Kumpels drauf sind und so? o_O Das war ja n ganzer Filler-Arc damals ey oô' Als ob Fm noch Filler bräuchte, es ist so schon lang genug! Hatte ich erwähnt dass mein eigentliches Hatefuck-OTP Yamuru und Chenoa sind....? wtf ey oô Aber irgendwie springen die mich jedes Mal an wenn ich mit denen hier lese x___x All the black romance! ALL of it!

Kadhúrems Schatten

Sie beobachtete, wie Thira Jamali von Okothahp die Tari Randora verließ und sie wusste ganz genau, wohin die Zuyyanerin gehen würde. Bebend presste sie sich die Hände auf den Mund, um das Kichern zu unterdrücken, das ihr zu entweichen drohte, weil das alles ungeheuer witzig war. Die violetten Iriden sahen innerlich zu, wie das Mädchen, das sich unbemerkt glaubte, verschwand, erst, als Thira die Tari Randora ganz verlassen hatte, erlaubte Ryanne sich, zu kichern, dabei wippte sie auf den nackten Fußballen vor und zurück, auf denen sie im Korridor hockte.

„Haha, ja, wir wissen genau, wo du hingehst, Prinzessin des Nordreiches.“, giggelte die Seherin, „Geh nur, geh und habe Spaß. Denn bald kommt der Abgrund und da wird dein Spaß... scheitern.“ Sie kicherte immer noch und wippte weiter auf ihren Fußballen herum. Dabei fiel ihr ein, wenn sie den Abgrund erreichten, würde es dunkel werden. Sie sollte sich selbst aufschreiben, was sie zu tun hatte, wenn sie da wären – denn wenn es erst soweit war, würde sie sich nicht mehr erinnern können und dann wäre die ganze Arbeit umsonst. So dachte sie noch, und im nächsten Moment hatten ihre Gedanken einen Riss. Als sie wieder denken konnte, war Yarek vor ihr. Wie immer steckte zwischen seinen Lippen eine Zigarette und er sah etwas irritiert auf sie herunter.

„Was grinst du denn so debil? – Halt, warte, das tust du immer. Aber wieso wackelst du hier mutterseelenallein auf dem Korridor herum?“ Er nahm die Kippe nicht aus dem Mund, wenn er sprach. Ryanne erhob sich und grinste ihn an, sah hinauf in sein Gesicht. Ihr Unterarm schmerzte und sie wusste nicht wieso – erst, als Yareks Blick direkt darauf fiel und sich seine Brauen hoben, bemerkte sie die blutverschmierten Wunden in ihrem eigenen Arm und blinzelte ein paar Mal.

„Huch! Was ist denn das?!“

„Hast du versucht, dich umzubringen?“, fragte Yarek, „Reichlich erfolglos.“

„Ich glaube auch – na ja, mit einer unsterblichen Seele ist das schwer.“ Das sagte sich leicht, aber sie hatte keinen Schimmer, warum ihr Arm blutete... was hatte sie gemacht? Hatte sie das gemacht?
 

Der Teil in ihr, den sie nicht bändigen oder verjagen konnte... der Teil in ihr, der ihre Erinnerungen fraß.

Sie hasste ihn... wie hieß sie eigentlich?
 

„Da steht irgendwas, oder?“, fragte Yarek, die Kippe zwischen seine Finger genommen, und sah auf ihren blutenden rechten Unterarm. „Das sind Schriftzeichen... schneidest du dir Buchstaben in den Arm, Seherin?“ Sie fand, die Frage war überflüssig, andererseits wusste sie es auch nicht besser. Und wenn sie es getan hatte, war sie so umsichtig gewesen, in einer Schrift zu schreiben, die sie nicht lesen konnte. Bei näherem Hinsehen sah es wirklich nach Buchstaben aus... aber es war nicht die Einheitsschrift von Tharr...

Sie unterbrach ihre Gedanken, weil sie wieder kichern musste. Yarek zog die Brauen wieder hoch, als sie ihren verwundeten Arm mit merkwürdigen Buchstaben ignorierte und ihn anstrahlte.

„Willst du nicht wissen, wo Thira ist?“

„Wieso Thira?“, fragte er, „Hast du sie gerade gesehen?“

„Vielleicht.“, sagte sie und giggelte, als sie an die Zuyyanerin dachte, „Fort ist sie, fort, fort!“

„Super. Sie ist sicher schlafen gegangen.“

„Sie hat die Tari Randora verlassen.“, grinste Ryanne und es amüsierte sie, wie Yareks Gesichtszüge auf einen Schlag ernst wurden. Sie tänzelte um ihn herum und das Kichern machte ihr Spaß, obwohl sie nicht wusste warum und ihr Kopf höllisch schmerzte. Yarek verfolgte sie mit seinen Blicken argwöhnisch. „Guckst du aber böse!“, sagte sie zu ihm und er hielt ihr Handgelenk fest, das noch vom herab gelaufenen Blut ihres Arms verschmiert war.

„Antworte. Wann ist sie weggegangen?“ Der Ton in seiner Stimme ließ sie schaudern, aber es war ein gutes Schaudern. Sie sah ihn an und sah seinen Geist... und das Schicksal, das er hatte, der Mann ohne Zukunft.

Sie war die Frau ohne Vergangenheit. Sie beide gaben ein tolles Paar ab, fand sie, und der Gedanke machte sie euphorisch.

Sie hätte ihn gerne geküsst, aber er schob sie von sich weg und schien nicht sehr willig.

„Antworte.“

„Schläfst du dann mit mir?“, freute sie sich und er murrte.

„Das würde ich auch so, aber nicht jetzt. Antworte.“

„Kaum wenige Momente her.“ Ja, sie konnte sie genau sehen, sie sah genau, wie Thira auf dem anderen Schiff war, was sie machte... die Bilder ließen sie kichern. „Ja, ja, ei, böse Thira, Blutschänderin.“

„Blutschänderin?“, wiederholte Yarek und ließ ihr Handgelenk ungalant los, ehe er zurück trat, „Was genau soll das heißen? Wohin ist sie gegangen?“ Ryanne wiegte sich hin und her.

„Die Frage ist viel wichtiger, wieso? - Wohin ist ja wohl kein Rätsel – wie viele Orte gibt es hier, an die sie wollen könnte?“ Sie sah dem Mann ins Gesicht und sah seinen Scharfsinn, und sie wusste, dass er es auch wusste. Yarek sagte einen Moment nichts.

„Yamuru, ihr Cousin.“, sagte er dumpf und Ryanne kicherte, weil er gut im Raten war. Oder wissen – er war ein kluger Mann ohne Zukunft. Vielleicht sollte sie seine Seele aufessen.

Aber nein, dann hätte sie nichts mehr von ihm und seinem Scharfsinn.

„Was... will sie bei ihm?“, fragte der Söldner und sie lächelte unsterblich – sie beide wussten, wie überflüssig die Frage war, denn Ryanne verriet ihm die Antwort bereits mit einem eindeutigen Blick.

„Fragst du das noch?“
 

Karana zischte und stieß Neisa von sich, als der Verband fest saß. Sein rechtes Auge schmerzte bis zum Himmelsdonner – er fragte sich wutentbrannt, wie es schmerzen konnte, wenn da gar kein Auge war. Da war nur eine matschige Masse gewesen, die Zoras' Zauber übrig gelassen hatte, und er verfluchte Neisa und ihren verdammten Gatten für das, was er ihm angetan hatte.

„Fass mich nicht an!“, fuhr er sie an und seine Schwester verengte die verschiedenen Augen zu schmalen Schlitzen. In ihm regte sich irgendein Gefühl, als er ihren Zorn sah, gepaart mit Sorge, aber ihre Blicke erweichten ihn nicht mehr.

Er begehrte sie nicht... diese Verräterin, die ihn mit ihrem vermaledeiten Liebhaber zusammen in den Abgrund schmeißen wollte. Er würde sie zwingen, vor ihm zu knien, sie, Zoras Chimalis, sie alle... wie Würmer würden sie kriechen, wenn er es befahl, denn die Macht über das Fluchmal war sein allein!

Auch du wirst kriechen, Manha... wenn ich dich töte, bin ich der einzige Erbe von Lyrien. Der einzige, dem die Ehre gebührt... und vor dem die Geister kriechen werden!

Er fasste zischend nach dem Verband, der die Wunde verdeckte, als er sich aufsetzte und der Schmerz pochend wie eine Strafe sämtlicher Geister durch sein malträtiertes Gesicht fuhr. Verdammt, sein Gesicht! Sein schönes, makelloses Gesicht, wäre er eine Frau oder sein Vater, hätte er jetzt gern geheult.

Sein Vater war Geschichte... jetzt war er der Herr der Geister, denn er war es gewesen, der mit Hilfe des Fluchmals seinen Vater ermordet hatte. Wer den Herrn der Geister im Kampf schlagen konnte, trat an seine Stelle... als höchster Vertreter der Geister. Der Gedanke berauschte den Mann, als er sich schwankend erhob und sein Blick auf Iana fiel, die in seine Richtung griff und ihn am Arm festhielt.

„Du solltest liegen bleiben.“, sagte sie zu ihm und er schnaubte und riss sich unwirsch los.

„Gib mir keine Befehle!“, fuhr er sie an, „Fort mit euch! Bringen wir es endlich zu Ende... finden wir die Trias und dann zerfleischen wir Manha und seine Hunde!“

„Du hast gerade ein Auge verloren, wie willst du da jemanden zerfleischen?“, hörte er Neisas Stimme, und er wollte ihr gerade antworten, da unterbrach Yarek Liaron seine wütenden Gedanken, der zusammen mit der Seherin zur Tür seiner Kammer zurückkehrte.

„Es gibt da vermutlich etwas, das wir im Auge behalten sollten.“, war die Ankündigung des Söldners und er erntete von den Anwesenden ungeteilte Aufmerksamkeit. Karana spürte seinen Kopf schmerzen und wie alles in ihm vor Zorn zitterte aus einem Grund, den er nicht mal richtig kannte. Er spürte Ianas bohrenden Blick in seinem Rücken und er wusste nicht, warum er plötzlich so ein seltsam beklemmtes Gefühl bekam, als er ihrer kalten Blicke gewahr wurde... fast wie Angst.

Ich habe doch keine Angst vor meiner eigenen Frau! Ich bin der Erbe von Lyrien... der König aller Magier!

„Was gibt es denn, Yarek?“, hörte er Iana fragen und er verkrampfte sich irgendwo, als er dem Größeren in das ernste Gesicht starrte. Yarek nahm seine Kippe aus dem Mund – doch ehe er sprechen konnte, tat es Ryanne, die kichernd an ihm lehnte und mit den Händen spielerisch an seiner Hose fummelte. Karana starrte auf ihre Hände und Yareks Hose und lauschte ihren Worten nur halb:

„Thirachen geht hinter eurem Rücken weg und amüsiert sich mit ihrem klugen Cousin.“, trällerte sie und der Moment, in dem sie Yamuru erwähnte, ließ Karana aus seinem Zorn fahren – in dem Moment erinnerte er sich plötzlich an einen Traum, den er unlängst gehabt hatte. Einen Traum, in dem Thira ihm mit Yamuru an der Hand den Rücken gekehrt... und sie alle verraten hatte.

„Was... sagst du da?!“, keuchte er und während Iana hinter ihm die Luft einzog, offenbar erstaunt, grinste die Seherin ihn wissend an... und ihm war klar, dass sie seine Gedanken gesehen hatte.

„Richtiges... schändliches... Vergnügen.“, raunte sie, indem sie Yarek mit der Hand auf der Hose in den Schritt fuhr, bis er ihre Hand festhielt und wegschob, genervt irgendetwas murrend. „Wie du es kennst, Karana... nicht wahr? Ich sehe... dich. Und deine Gedanken... von früher.“ Er hatte nicht mal die Nerven, zu erröten oder irgendetwas zu denken, weil sie vermutlich auf Neisa anspielte, seine Schwester, die er vor kurzem noch wie eine Frau begehrt hatte.

„Wenn sie uns mit diesem Penner hintergeht... reiße ich sie... in Stücke!“, zischte er und bebte, als der Schmerz in grauenhafter Stärke in sein Gesicht zurückkehrte. Er beherrschte das Fluchmal... er würde keine Schwierigkeiten haben, Thira Jamali zu töten, nicht einmal dann, wenn sie Zuyyanerin und von mächtigem Blut war.

Er war der Herr der Geister. Der Herr über die Geister von Himmel und Erde... der Herr über den Schatten, vor dem er ewig weggelaufen war. Jetzt war der Schatten sein Verbündeter... Manha hatte recht gehabt, mit ihm war er stärker. Mächtiger. Die Gedanken machten ihn euphorisch und er lachte laut auf, als er die Seherin am Arm packte, der irgendwie verletzt aussah, worauf sie zischte.

„Dann bring uns... rüber auf Manhas Schiff!“, grollte er, „Ich werde sie finden, und wenn sie mit ihrem Cousin Blutschande treibt und uns hintergeht auf so... schmutzige Weise... wird sie sterben! - Yarek! Ruf die anderen zusammen, wir gehen rüber! Dieses Mal werden sie kriechen... dieses Mal entkommen sie mir nicht! Nicht Thira und Yamuru... nicht Kanau, Rok und die anderen Deppen... nicht Kyeema, nicht einmal Ulan Manha! Jetzt... werden sie sterben, noch bevor wir am Abgrund sind, und ich werde der König aller Dinge sein, noch bevor die Sonne der neuen Welt aufgegangen ist!“ Er nahm kaum Notiz von dem, was seine kleine Schwester grollte, als der Rausch aus purer Macht durch seine Adern strömte wie ein gewaltiger Fluss, als alles in ihm nur danach lechzte, die neue Macht einzusetzen, sie alle zu zerfetzen mit seinem Fluchmal, dem Schatten, den er jetzt ein für allemal beherrschte, der ihn nie wieder in die Knie zwingen würde... sie war ihm egal. Sie war Neisa... und dafür, dass sie ihn so schändlich verraten hatte, würde er sie bluten lassen, schwor er sich wutentbrannt, als die Macht in ihm zunahm.
 

„Wenn du das tust... wird es keine neue Welt und keine Sonne geben, Kelar.“
 

Weil sie eine Einheit waren, konnten sie einander orten. Zoras konnte Thiras Anwesenheit ganz deutlich spüren und die Richtung benennen, aus der sie kam, als sie mit Hilfe von Ryanne (und Tayson, der sie schwungvoll und tatsächlich verblüffend geschickt nahe genug an Manhas Schiff heran manövriert hatte) auf das feindliche Schiff geraten waren und den Korridor hinab jagten auf der Suche nach ihrer verschollenen Kameradin. Zoras wusste, die fünf anderen spürten es genauso, vielleicht tat es auch Ryanne, sie war die Seherin. Aber viel einnehmender als Thiras Präsenz war eigentlich die von Karana, und sie machte ihn fast wahnsinnig – er hatte es für klug gehalten, seinem Schwager nach dem Desaster mit seinem Auge weitläufig auszuweichen, denn wenn Karana ihn bisher nur gehasst hatte, würde er jetzt keine Gnade mehr kennen. Vielleicht nicht zwingend wegen des Auges, denn eigentlich besaß der Karana, mit dem Zoras quasi aufgewachsen war auf Tharr, immerhin den Stolz eines Kriegers und jammerte nicht über so etwas. Aber das hier war nicht der Karana von Tharr... das war der Dämon, und er war ebenso wenig berechenbar oder gutherzig wie Ulan Manha, oder Kelar Lyra, wer immer er sein mochte... Karana war ein Stück von beiden, irgendwie. Und er war so absolut hasserfüllt und voller Zorn, dass er wie ein Berserker durch die Korridore stampfte, allen voran, selbst der militärisch ausgebildete Yarek hatte kaum eine Chance, ihn einzuholen, und er schien sich mächtig darüber zu ärgern. Zoras, ganz am Ende der wilden Truppe, umklammerte nervös seine Hellebarde und überlegte wie wahnsinnig, was er tun sollte, würden sie Thira finden – denn in dieser Stimmung würde Karana sie in Stücke reißen, ehe sie auch nur zu einer Erklärung ansetzten könnte, und das wäre schlecht für sie alle.

Es würde schon einen Sinn haben, dass sie Sieben und nicht Sechs sein sollten.

„Und wer weiß? Vielleicht hat es ja einen Sinn, dass Karana einen an der Klatsche hat?“ Zoras fuhr herum, als er plötzlich Ryannes Stimme direkt neben seinem noch funktionierenden Ohr hörte, und vor Schreck sprang er zur Seite und hätte ihr beinahe mit der Hellebarde den Kopf abgeschlagen. Die Seherin grinste ihn an mit diesem Blick, der ihn immer nur gruselte, während sie weiter hasteten, mehr oder minder Karana nach, der eine Aura purer Mordlust ausstrahlte. „Ich meine, wissen wir es, Zoras Chimalis? Wenn wir alle einen Grund haben, geboren worden zu sein, muss auch alles, was wir tun, einen Sinn haben, oder nicht?“

„Du weißt es ja wohl am besten. Du bist die Seherin.“, schnarrte er und sie kicherte.

„Wir wissen nicht alles... nur das meiste.“ Er wollte sie fragen, seit wann sie von sich selbst in der Mehrzahl sprach, aber dazu kam er nicht, denn ihr Rennen durch die Korridore wurde jäh unterbrochen.

„Weiter kommt ihr nicht!“, brüllte Kanau irgendwo vorne angriffslustig, „Heute werdet ihr verrecken!“ Das waren wirklich beeindruckende Worte, fand Zoras genervt, und kaum einen Moment später schleuderte Karana den Gegnern einen monströsen Windzauber aus purer Mordlust entgegen, dem die komischen Schakale von Scharan nur zufällig oder mit viel Glück entgingen, indem sie sich schreiend nach allen Seiten retteten.

„Ihr werdet Thira nicht beschützen, ich werde die Blutschänderin finden und zerfetzen für ihren Verrat!“, schrie Karana, „Ich bringe euch um, geht mir aus dem Weg!“

„W-was, Thira?“, empörte sich Rok irgendwo, „Was soll das heißen, wir haben mit ihr nichts zu-...!“

Angriff!“, brüllte Kanau, und schon brach das Chaos aus – Zoras war ganz hinten und bekam nicht viel mit, außer dass sich plötzlich jeder auf jeden stürzte und Karana um jeden Preis versuchte, weiter nach vorne zu preschen, woran Kanau ihn hinderte. Kyeema war auch da, dieses durchgeknallte Lianermädchen, das Scharan für seinen Vater hielt, und plötzlich fegte ein brennender Vogel über Zoras' Kopf hinweg und sengte ihm die Haarspitzen an, worauf er fluchend herum fuhr und seine Waffe genervt fester packte. Die Seherin war plötzlich verschollen und er fluchte ungehalten – der Feuervogel kehrte zurück und griff ihn an, er schleuderte die Lian mit einem Blitz aus der Hellebarde zurück durch die Luft. Verdammt, er hatte keine Zeit dafür! Keiner von ihnen hatte Zeit dafür, sie waren kurz vor dem Ziel, sie mussten Thira wiederfinden, egal, was immer sie hier getrieben haben mochte, es war jetzt vorbei und allem voran mussten sie irgendwie Karanas Wahnsinn stoppen – dachte Zoras, einen Augenblick später legte einer dieser irren Windzauber den halben Korridor in Fetzen, ohne Rücksicht auf Verluste fegte Karana Kanau und Yatli vor sich weg, um dann mit einem irren Schrei herum zu fahren und dabei das Schwert von Mihn empor zu reißen.

„Ihr... werdet... alle sterben!“, keuchte er und lachte dabei wie ein Geisteskranker, und Zoras konnte ihn nur anstarren, spürte, wie Karanas Blick direkt auf ihm lag, wie er ihn durchbohrte und wie in den grünen Augen eine Aggression und ein so gewaltiger Zorn war, dass Zoras das Bedürfnis verspürte, zurückzutreten oder auf die Knie zu fallen. Es war erdrückend, der Blick spießte ihn regelrecht auf und er konnte die Finsternis in Karanas Geist sehen... wie sie sich fest um seinen Verstand klammerte und nicht losließ, es sei denn, man zwang sie dazu.

Und diesen Schatten in Karanas Herzen in die Knie zu zwingen erforderte eine Gewalt, über die er nicht verfügte... nicht mal als Seelenfänger und Herr der Schattenvögel.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als der Kampf auf dem Korridor plötzlich ein abruptes Ende fand – und nicht etwa durch Karanas Zerstörer, der alles zerfetzte, sondern durch Simu, der in einem Gefecht mit dem Rankenheini Yatli gegen eine etwas entferntere Tür geschleudert wurde, die darauf aufsprang. Und sämtliche Blicke lagen auf der jetzt offenen Tür, in der Yamuru aufgetaucht war... zusammen mit seiner Cousine, die etwas verblüfft wirkte. Nicht mehr als alle anderen Anwesenden, hieß das, und Zoras keuchte – hatte die Seherin also doch nicht gelogen mit ihren Worten von Blutschande? Yamuru und Thira waren zwar angezogen, machten aber nicht den Eindruck, als hätten sie in der Kammer da bis eben noch versucht sich gegenseitig die Kehle zu zerfetzen... eigentlich wollte er es nicht wissen.

„Ah, Thira... da bist du.“, unterbrach Yarek die Stille, in aller Ruhe, wie er eben Yarek war. Als täte es nichts zur Sache, dass Karana völlig die Kontrolle über jeglichen Menschenverstand zu verlieren drohte und Thira gerade irgendetwas Ominöses mit Yamuru getrieben hatte, was keiner wissen wollte. „Wir haben dich gesucht.“

„Was... geht hier vor?!“, fragte Turo dann, der Heilertyp, und zeigte auf Yamuru, der sich mit Thira aus der Kammer bequemte, während Simu wieder aufsprang und sein Tsukibo defensiv gegen den Zuyyanerkerl richtete, ohne ihm jedoch zu nahe zu kommen. Yamuru lachte.

„Wonach sah es denn aus?“

„Lass die Witze, was treibst du hier mit der Tussi von den Sieben ohne die Zustimmung des Meisters?!“, fuhr Rok auch auf und Thira verengte die Augen zu Schlitzen, Yamuru wurde jetzt plötzlich ernst und zog seine Waffe empor.

„Dein... Meister... hat mir nicht zu befehlen, wie ich meine Freizeit verbringe, Rok. - Was ist denn mit euch los hier? Gibt es was zu feiern?“

„Was... hast du hier verloren, Thira?“, fragte Yarek trocken – doch die Zuyyanerin kam gar nicht zum Antworten, denn augenblicklich hatte sie Karanas Schwert an der Kehle. Zoras fuhr zusammen – Moment, wie war der so schnell zu ihr herüber gekommen, er hatte gar nicht gesehen, dass er sich bewegt hatte... und sein Blick strotzte vor Macht und Wahnsinn auf eine so furchterregende Art, dass selbst Scharans Schakale zurück wichen. Karana fletschte die Zähne wie ein Raubtier, als er Thira anstarrte mit einem Blick voller abgrundtiefer Finsternis – es war der Schattendämon, er war überall in ihm, in jeder Faser seines erhitzten Fleisches, und Zoras keuchte und umklammerte bebend die Hellebarde, weil er dachte, er müsste irgendetwas tun – verdammt, er musste irgendetwas tun, sonst wäre es zu spät!

Beweg dich, Derran. Jetzt, sofort!

Aber seine Beine gehorchten ihm nicht.

„Du... wirst sterben für deinen Verrat, Zuyyanerschlampe!“, brüllte Karana Thira an, „Ich hatte einst einen Traum... in dem du uns mit Yamuru zusammen den Rücken gekehrt hast! Damals habe ich dir davon erzählt und du hast gesagt, du würdest uns nie verraten. Lüge... alles an dir ist doch bloß Lüge! Ich werde dich zerreißen für diese... Blasphemie!“

„Blasphemie?!“, keuchte Yamuru irgendwo und klang amüsiert, „Nun seht euch den an, der redet ja wie der Imperator. Vorsicht mit deinen Worten, Karana Lyra. Noch bist du nicht Herr der Geister, hüte dich vor zu schnellem Handeln.“ Karana blieb auf Thira fixiert und schenkte ihrem Cousin nur ein verächtliches Schnauben.

„Willst du sie jetzt beschützen, Blutschänder, nachdem du sie gefickt hast?!“

„Manhas Einfluss auf dich ist wirklich destruktiv.“, sagte Yamuru trocken, „Wie eine Puppe... was passiert, wenn man die Puppe zu Boden schmeißt? Dann zerbricht sie... zerbrichst du auch, Karana?“

Die Lage würde eskalieren. Zoras wusste es in dem Moment, in dem Karana sich mit einem wutentbrannten Schrei auf Thira stürzte, allen Ernstes bereit, sie zu ermorden mit einem einzigen Hieb seines verdammten Schwertes, gleichzeitig riss Yamuru in bedrohlicher Manier seine Waffe empor und Zoras wusste in dem Augenblick, in dem die ganze Welt des Vater Himmel, durch die sie reisten, den Atem anzuhalten schien, was Ryanne zuvor gemeint hatte damit, dass es vielleicht einen Sinn hatte, dass Karana seinen Verstand verlor.

Noch war er nicht weg... es war noch nicht verloren, den Schattendämon zu bezwingen. Er erinnerte sich plötzlich an die Vision, die er am Tag ihres Aufbruchs von Yinnlhey gehabt hatte – an die schwarze Kondorfeder, die vom Wind getragen wurde, an Ianas Schattenschwert Kadhúrem, das Manhas Finsternis vernichtet hatte. Und er holte Luft und schrie, als die Lage aus allen Rudern zu laufen schien –

Iana!“
 

Um die Macht des Schattens zu bannen, der auf Karana lag, musste er lernen, ihn zu begreifen... das war der einzige Weg, Manhas Fluch zu bezwingen. Und der einzige Grund, warum Karana von ihm den Fluch hatte lernen müssen... Ryanne hatte nicht gelogen.
 

Es wurde finster. Zoras gewann seine Fassung wieder – er konnte im Dunkeln hervorragend sehen und Kadhúrems Finsternis, die das gesamte Szenario eingehüllt hatte, ängstigte ihn nicht – im Gegensatz zu den Schakalen oder Eneela, die vor Panik fiepte und zu Boden stürzte. Simu rief nach ihr, konnte sie aber nicht sehen, und ungesehen von den Idioten rannte Zoras nach vorne zu Karana, der das Schwert von Mihn mit einem blitzenden Zauber purer Zerstörung in die Wand direkt neben Thiras Kopf gerammt hatte. Die Zuyyanerin keuchte und Yamuru zerrte sie mit einem gemurmelten Fluchen irgendwo hin zur Seite, weg von dem Irren, der sein Schwert aus der Wand zerrte und wütend brüllend wie ein Amok laufender Bär herum fuhr, in Zoras' Richtung – und Ianas Richtung, die Kadhúrem erhoben und in Karanas Richtung gestreckt hatte.

„Das wagt ihr nicht!“, schrie Karana, „Komm raus, Wachtel, komm und stell dich mir frontal! Los, komm, wage es nicht, mich so zu hinterge-... argh!“ Zoras hatte seinen Schwager erreicht und packte ihn an den Armen, stieß ihn brutal zu Boden und trat ihm das Schwert aus der Hand. Karana hustete und spuckte Blut, es war egal. Verdammt, der Wahnsinn musste aufhören!

„Sperr ihn ein, los!“, fuhr er Iana an, die zu ihm herüber kam, „Schatten bannt Schatten, du bist die Einzige, die Karanas Verstand jetzt noch zurückholen kann! Und wenn du es jetzt nicht tust, ist dein Mann verloren, du weißt das!“

„Geh zur Seite.“, sagte Iana mit eisiger Stimme zu ihm und Zoras trat gehorsam einen Schritt zurück, um Karana seiner Frau zu überlassen. Der Mann rappelte sich gerade wütend zischend auf und schlug blind in der Dunkelheit nach irgendwas – sein Zerstörer donnerte neben Yarek gegen die Wand und verschonte den Rothaarigen wohl durch puren Zufall. Zoras konnte sich nicht darum scheren, denn sein Blick lag auf Karanas Frau, die vor ihrem wütenden Gatten zum Stillstand kam und ihn nur anstarrte, nichts sagte und nichts tat. In ihrem Gesicht war eine Autorität wie die einer Geisterjägerin – wie sie Saidah gehabt hatte, wie sie Saja Shai hatte, es war die Würde und Macht einer Königin, und Zoras keuchte und fragte sich, warum ihm der Blick der Frau so vertraut vorkam – bekannt, aus einer längst vergangenen Zeit... so wie Neisas manchmal. So wie Karanas Wahnsinn, Manhas kehliges Lachen. Es waren Insignien längst vergangener Zeiten und Personen, die durch sie alle sprachen... vor ihm war nicht Karana, sondern Kelar, der Tyrann. Und Iana war nicht Iana – nicht jetzt. Sie war eine Herrscherin, und obwohl sie nur zur Hälfte die Gene der Schamanen hatte, strahlte sie eine solche Überlegenheit aus, dass Zoras die Luft weg blieb.

Sie war die Königin der Schatten... die Herrin von Kadhúrem.

Die Herrin des Kandaya-Clans... dem Kadhúrem gehörte.

Karana.“, war alles, was sie sagte – und es war nur ein einziges Wort, aber es reichte. Karana hielt mitten in der Bewegung inne und sie konnte ihn am Unterarm packen – an die Stelle, an der sein Fluchmal saß. Er schrie auf, als wären ihre Finger aus Feuer, und stolperte zu Boden, ohne dass seine Frau ihn losließ. Er schrie wie am Spieß und wehrte sich, verfluchte sie und warf Zauber nach ihr, die sie verfehlten, und Iana pinnte seinen linken Unterarm gewaltsam am Boden fest, ehe sie mit der anderen Hand Kadhúrem griff und empor hob.

„Ich werde nicht vor dir knien, Wachtel!“, brüllte Karana und spuckte und schrie und fauchte, „Ich werde nicht... demütig den Kopf hinhalten, damit du mir die Kehle durchschneidest!“

„Karana!“, schrie sie zurück, „Karana, kämpfe! Los, mach die Augen auf, das ist nicht dein Wille! Es ist Manhas, du brauchst ihn nicht, Karana! Kämpfe... los, kämpfe dagegen!“
 

„Tabari! Kämpfe!“
 

Es war ein Kampf. Der Kampf fand in Karanas Innerem statt und Zoras konnte nur zusehen, wie Iana ihrem Mann ihr Schwert in das Fluchmal bohrte, dass es blutete. Karana kämpfte, er kämpfte gegen die Macht des Dämons in ihm, gegen den überwältigenden Schmerz, den das Schattenschwert ihm bescheren musste, und Zoras zitterte, als er seine Hellebarde umklammerte und nichts anderes tun konnte als zusehen.

Das war nicht sein Kampf – das war ein Kampf, den Karana alleine ausfechten musste, niemand der Sterblichen konnte ihm dabei helfen.

Und es war Ryanne, die half – und ihre Seele war nicht sterblich, wenn wahr war, was Yamuru Neisa über die Götter erzählt hatte. Es waren nicht ihre Worte, als sie sprach – es war, als sprächen die Geister durch ihren Mund. Geister, die weit entfernt auf sie alle warteten.
 

„Kämpfe... Sohn. Zwing ihn in die Knie, dann hast du das geschafft, worin ich immer versagt habe.“
 

„V-Vati?!“, schrie Neisa und wimmerte, und Zoras keuchte, denn obwohl es Ryannes Stimme war, waren es Purans Worte – das war unverkennbar gewesen, und was immer in Karanas wahnsinnigem Kopf angekommen war davon, es hatte gewirkt, denn der Kampf war vorbei. Karanas Körper erschlaffte unter Ianas Griffen und als die Frau sich erhob und ihr Schwert zurückzog, war er bewusstlos. Der Schatten verschwand und Zoras taumelte. Die anderen saßen – Yamuru und Thira waren verschollen. Zoras' Aufmerksamkeit kam jetzt zu Neisa, die am Boden unweit von ihm saß und weinte.

„Vati – Vati hat mit uns gesprochen!“, schluchzte sie und lachte und weinte zugleich vor Freude darüber, wie es schien, „Vati passt... auf uns auf, ich kann es spüren! Wenn er mit den Geistern spricht auf Zuyya... sieht er uns vielleicht zu! Ich vermisse ihn...“ Sie wimmerte und Zoras seufzte, als er sich zu ihr herab beugte und ihr durch die blonden Haare strich, um sie zu beruhigen. Er sah zu Ryanne, die ein verpeiltes Gesicht machte und dumm guckte.

„Was ist hier denn los?!“, keifte sie dann in die Stille hinein, „Warum starren alle so herum?!“

„Was... war das?!“, japste Kanau irgendwo erbleichend, „G-glaubt ja nicht, dass uns das abschreckt! Jungs, macht sie fertig! Wir sind hier noch nicht am Ende aller Welten... wenn ihr gedacht habt, ihr kämet ungeschoren hier weg, habt ihr euch geschnitten!“
 

Auf dem Deck am Heck der Tari Randora Zwei war kein Mensch; Thira bebte, als sie sich gegen eine kastenförmige Erhebung auf dem Deck lehnte und Yamuru vor ihr stand und ihr die Sicht auf alles hinter ihm versperrte. Sie wusste nicht, wieso sie bebte... sie wusste an sich überhaupt nichts mehr, sie atmete nur, starrte ihn an und versuchte, die vielen Dinge in ihrem Kopf zu sortieren.

Verblüffenderweise war ihr egal, was die anderen jetzt wohl dachten – ob sie wussten, was sie getan hatte, ob sie wussten, dass ihr Cousin mit ihr Dinge tat, die ihren Kopf so durcheinander brachten, dass sie nicht mal mehr sprechen konnte.

Irgendwo weiter am Bug ertönte Lärm. Sie wunderte sich erst nach einer ganzen Weile darüber, in der sie Yamuru ins Gesicht gestarrt hatte, heftig atmend vom schnellen Rennen hierher und von allem, was davor gewesen war.

„Warum implodieren sie nicht, wenn sie die schützende Hülle des Schiffs verlassen ohne Schwerkraftzauber?“ Yamuru seufzte.

„Meine Schuld. Ich hab die Blase um das ganze Schiff gelegt, als wir eben raus gekommen sind, das ist weniger anstrengend. Davon profitieren natürlich alle, die raus kommen, nicht nur du und ich.“

„Wie bitte, wieso ist es anstrengender, den Zauber nur auf dich anzuwenden, als auf das ganze, verdammte Schiff?“, wollte sie empört wissen und er lachte verlegen – und irgendwie kleinlaut, als er den Kopf senkte und sie sein Lächeln erkannte, obwohl er ihrem Blick auswich.

„Ich bin ein Sohn von Chihnii Mirrhtyi – in mir ist großes Potential zum Zaubern, die Macht ist da – ich bin nur unglaublich unpräzise und das heißt, es fällt mir weniger schwer, etwas so großes zu bezaubern, als den Zauber auf einen genauen Punkt zu konzentrieren... da ist schon etwas lächerlich.“ Sie sagte nichts und er trat einen Schritt vor ihr zurück, worauf sie sich irgendwie unbehaglich fühlte. Moment – seit wann wollte sie seine Nähe so sehr, dass sie ihn vermisste, wenn er zurücktrat? „Meine Familie bestand aus lauter großartigen Magiern.“, lachte er dumpf, „Und ausgerechnet ich, der schlechteste von ihnen, ist jetzt noch als einziger übrig. Ironie nenne ich das.“ Thira schüttelte den Kopf.

„Es war Kataris Wille – er hat uns hierher gebracht. Dich auf Scharans Seite... und mich...“ Sie brach den Satz wissentlich ab, weil ihr Stolz ihr eins reinwürgte – das konnte sie nicht sagen, es zuzugeben wäre der Tod ihrer Würde und sie beide wussten das.

Und, dass sie es nie so weit kommen lassen würde, denn sie war mit Stolz eine Tochter von Okothahp.

Und mich zu dir, Yamuru.

Er hatte ihre Worte auch ohne dass sie gesprochen worden waren verstanden – er schenkte ihr ein amüsiertes, aber höfliches Lächeln, das ihren Stolz zu würdigen versuchte, ehe er ihr Kinn hochzog und sie küsste.

„Sei ganz still...“, murmelte er, als er sich von ihren Lippen löste und den Kopf zu ihrem Hals senkte, den er mit seinen eigenen Lippen zu berühren und liebkosen begann. Thira seufzte und legte zitternd die Arme um seinen Nacken – sie wollte nicht sprechen. „Dann merken die anderen vielleicht nicht, dass wir hier sind.“

Und seine Finger glitten so zielstrebig unter ihren kurzen Rock, dass ihr schwer fiel zu glauben, er wäre unpräzise mit dem, was er tat.
 

Eneelas Kopf dröhnte. Es fühlte sich an wie ein Hammer, der immer wieder gegen ihre Schläfen schlug, als sie sich duckte und Kyeemas Yolei auswich, die sie anzugreifen versuchte. Auf dem Deck von Scharans Schiff tobte ein Krieg. Es war wie Ela-Ri – obwohl viel, viel weniger Kämpfer anwesend waren als bei den Schlachten gegen das Ostreich in Kisara, kam es ihr genauso vor. Brutale Geräusche von aufeinander krachenden Zaubern, Brüllen von Gegnern, das Rauschen von Blut in ihrem Kopf, ihrem ganzen Körper erfüllte ihre Ohren mit Schmerz. Sie war zu abgelenkt von all ihrem Entsetzen, um sich dem Rückschlag von Yolei entgegen zu setzen, die von hinten kam und sie mit einem schmerzhaften Wasserschwall von den Beinen schleuderte. Eneela keuchte, als sie quer über das Deck geschleudert wurde und hart gegen einen Kasten schlug. Die Wasserbestie war jetzt direkt vor ihr und holte zum Schlag aus, hielt aber inne und starrte nur auf Eneela herab, als die junge Frau sich mühsam auf Hände und Knie stützte. Sie bebte... um sie herum war so viel Lärm, so viel Grauen. Sie wusste nicht, wie es den anderen erging... was machte Simu? Was machten Neisa, Zoras, Iana, Yarek, all die anderen? Waren sie verletzt oder ging es ihnen gut? Sie konnte nicht atmen und nur in Yoleis Gesicht starren, das wie alles an ihr aus Wasser bestand. In dem Gesicht von Kyeemas Yolei war Hass... die Lians spiegelten das wider, was ihre Beschwörer spürten. Eneelas allererste Lian, die sie je beschworen hatte, war auch Yolei gewesen... damals, als ihre Mutter gestorben war. Sie hatte sie nur so weit beschworen, dass ihr Element sie geschützt hatte, die richtige Gestalt angenommen hatte sie damals nicht, aber dennoch wusste die Lianerin genau, dass sie bei ihrer Yolei keinen Hass spüren konnte. Sie spürte den Willen, sie, Eneela, zu beschützen, und sie fühlte sich verbunden mit diesem Geschöpf des Wassers, das ihr das Leben gerettet hatte...

Yolei verschwand und Eneela hob zitternd den Kopf, als ihr jetzt die Beschwörerin selbst gegenüber stand. Kyeemas Blick war voller Abscheu, voller Zorn und Hass, und Eneela fühlte sich verletzt durch die Blicke der anderen, ohne zu begreifen warum eigentlich. Und plötzlich dachte sie, dass sie Kyeema hassen müsste. Diese Frau hatte ihre Mutter getötet... indirekt. Diese Wahnsinnige hatte sie umgebracht und wollte auch Eneela töten, diese Irre hielt Scharan, das Monster, den Dämon, für ihren Vater. Sie sollte Kyeema hassen für alles was sie war... aber sie konnte nicht.

Sie konnte nur starren.

„Steh auf, Tochter von Kaiya!“, schnarrte Kyeema und trat einen Schritt zurück, der ganze Körper bebte vor Zorn. „Steh auf, ich lasse mir meine Ehre nicht stehlen von dem Metall auf dem du kriechst! Steh auf, Eneela... kämpfe! Ich werde mich nicht dadurch demütigen lassen, dich zu töten während du armselig gekrochen bist wie ein Mehlwurm!“ Eneela bebte nur und starrte sie an. Sie konnte nicht aufstehen, ihre Beine zitterten zu sehr... Kyeema verfluchte sie und riss die Hand in die Luft, schleuderte mit einem Schrei einen Eishagel auf ihre Kontrahentin, der von der Eislian Sai ausgehen musste. „Los, kämpfe! Soll ich mir sagen lassen ich wäre es nicht wert, die Tochter meines Vaters zu sein, weil du so eine Memme bist?! Steh auf!“

„...warum?“, keuchte Eneela nur wimmernd und Kyeema stierte sie wütend an.

„Warum was?! Warum ich dich hasse?! Das habe ich dir erklärt! Steh auf und kämpfe, jetzt! – Barak!“

Beschwöre eine Lian.

Eneela konnte nicht auf ihr Unterbewusstsein hören, das ihr das riet. Sie wusste genau, dass sie sich verteidigen musste, als Kyeema ihren gefürchteten schwarzen Barak rief und der Drache, die wildeste und fürchterlichste aller Bestien, über ihr erschien mit dem finsteren, markerschütternden Brüllen des Todes. Wenn sie nichts tat, würde Barak sie zerreißen... aber sie konnte nicht, sie konnte nur da sitzen und zittern.

„Warum... k-kann... ich dich nicht angreifen?“, wimmerte sie mehr zu sich selbst als zu Kyeema, die sie im Tosen ihres Rausches aus Macht und Zorn vermutlich nicht mal hören würde. „Warum kann... ich nicht, obwohl ich dich hassen sollte? Du hast meine Mutter getötet... du greifst mich an. Und ich kann dich... nicht... töten.“

„Wenn du nicht von selbst kämpfst, Eneela... werde ich dich zwingen!“, schrie das andere Mädchen sie wie wahnsinnig an, als es Barak wutentbrannt auf sie hetzte, und in dem Moment, in dem Eneelas Blick den von Kyeema traf, fror etwas im Inneren der am Boden kauernden ein. Sie wusste nicht, was es war – aber plötzlich verstummten die Geräusche der Welt, denn da war nur noch das schmerzhafte Dröhnen in ihrem Kopf, das sich zu einem Rauschen und dann einem schrillen Piepen steigerte, und es füllte Eneela ganz und gar aus, als sie Kyeema in die weißlich-blauen Augen starrte und wusste, sie würde durch Barak sterben, wenn sie nichts tat...

Sie konnte nicht. Irgendetwas in ihr zog sich zusammen bei dem bloßen Versuch, daran zu denken, und sie wusste nicht, was es war...

Jemand rief ihren Namen... es waren Kyeemas Worte, aber nicht Kyeemas Stimme, die schrie.

Eneela, steh auf!

Dann wurde es plötzlich finster.
 

Das Gefühl war ungut. Ulan Manha spürte, dass der Schatten schwankte, als er das Innere des Schiffes verließ und das Spektakel vom Oberdeck aus beobachtete. Karana war nicht dabei – er konnte dennoch seine Anwesenheit spüren und nach einigem Suchen fand der Mann seinen Schützling, der reglos an der Wand nahe der Tür lag, die ins Innere des Schiffes führte, bei ihm war Neisa Lyra. Wenn Karana kampfunfähig war, war die Erschütterung stärker als er angenommen hätte, die der Schatten erlitten hatte, denn verdammt, das war Karana. Wenn den jemand hatte ausschalten können, obwohl er von Zorn und Machtgier wie ein Berserker unbesiegbar hätte sein sollen, war das ein schlechtes Omen. Manha verengte die grünen Augen bebend zu Schlitzen, als er die Brüstung des Oberdecks umklammerte, an der er wütend lehnte und zusah, wie Kyeema die absolut wehrlose Eneela Kaniy attackierte und Barak beschwor.

Fürchtest du dich... Kelar?“, wisperten die Geister im Spott und Manha verfluchte sie für ihre Spielchen.

„Wartet nur. Dann ist Karana eben gerade am Ende, macht nichts. Ich werde ihn töten, wenn ich ihn nicht mehr brauche, denn die Welt braucht nur einen König!“

„Fürchten solltest du dich, oh großer König... vor den Schatten der Vergangenheit.“ Und während sie sprachen, zeigten die Geister ihm Bilder – er sah die vom Wind getragene Kondorfeder, überschattet von der Finsternis Kadhúrems, das sich aus dem Abgrund herab direkt in seine Seele bohrte, bis sie splitterte wie ein spröder Knochen...

Kadhúrem!

Er kam nicht dazu, weiter zu denken, denn in dem Moment wurde es plötzlich dunkel; sämtliches Licht, das das Schiff ausstrahlte, verschwand, und Kyeema schrie irgendwo. Er konnte nicht an seine Kampfmaschine denken, denn viel schlimmer als Kyeemas Schreien war das Gefühl dieser absoluten Finsternis, das Gefühl des Abgrunds aller Schatten, das ihm plötzlich wie ein Schlag ins Gesicht entgegen prallte und ihn zusammen fahren ließ – zusammen mit der Stimme der einzigen Person, die er fürchtete, weil er wusste, dass die die Mittel und Wege finden würde, die Vision seines Todes Realität werden zu lassen.

Du...!“, keuchte er nur – dann verschluckte der Schatten seine Stimme genau wie er Kyeemas gewaltigen, monströsen Barak verschluckt hatte, direkt vor seinen, Kyeemas, vor aller Augen.

Barak war einfach weg – plötzlich war er in den Schatten gefallen, der gekommen war aus Kadhúrems Klinge in einer monströsen Bosheit, die selbst Manha erschaudern ließ.

„Komm runter... Ulan Manha, Dämon von Canulo!“, rief sie von unten und ihre Stimme ließ ihn erbleichen und irgendetwas in seinem Inneren beben – er hatte keine Angst vor einer Frau... normalerweise.

Aber diese Frau war nicht irgendeine Frau. Und obwohl es Salihah gewesen war, seine eigene Gemahlin, die ihn, Kelar, ermordet hatte, war es nicht sie, die er am meisten von allen fürchtete... denn Salihah war an ihn gebunden für immer und ewig, das war ihre Schwachstelle. Der Grund, wieso sie ihn nicht noch einmal töten können würde.

Das galt nicht für sie hier... das galt nicht für Iana Lynn, Akada, die Tochter des Mannes, dem Nalani Kandaya Kadhúrem vermacht hatte. Er hatte es lange gewusst... und hatte nichts dagegen getan, weil er zu spät begriffen hatte, dass das sein Ende prophezeien würde.

Sie hatte genau gewusst, was sie getan hatte, als sie Kadhúrem diesem Mann gegeben hatte und nicht ihrem eigenen Sohn oder sonst irgendwem, der der Waffe würdiger gewesen wäre als ein Wilder aus dem Bergvolk von Kadoh. Sie hatte es gewusst... damals schon, lange bevor Ulan Manha sich selbst einen Namen gemacht hatte, lange bevor Karana, Iana, irgendeiner von den hier Anwesenden überhaupt geboren gewesen war. Und es war pure Berechnung gewesen, von Anfang an. Und er war sich sicher, als er jetzt Iana Lynns Blick fing – ihren Blick – dass sie genau wusste, dass es bald enden würde.

„Komm runter!“, verlangte sie und riss ihre Waffe herum, „Komm runter und ich reiße dich... in Stücke, Kelar, für das, was du meiner Familie angetan hast! Du wirst sie... nicht kriegen, und wenn es mich tötet – du wirst meinen Sohn nicht kriegen und du wirst Karana nicht kriegen, denn ich werde es sein, die dich richten wird, Schattengeist! Komm runter!

„Vater, nein!“, kreischte Kyeema außer sich in blinder Panik, als er ihrem Befehl Folge leistete – ganz sicher nicht, weil er sterben wollte. Sie war nicht so dumm, zu glauben, er würde ihr brav die Kehle hinhalten, da war er sicher, sie war eine kluge Frau. Die anderen hatten mit dem Kämpfen aufgehört und starrten geschlossen zu ihnen herüber, als Manha mit gehörigem Abstand Iana gegenüber auf dem Deck stand. Hinter ihr war Eneela Kaniy am Boden, leichenblass und bebend, ein Stück weiter zur Seite war Kyeema... diese Versagerin, die es nicht einmal mit Barak geschafft hatte, diese elende Frau aus dem Weg zu räumen.

Dafür werde ich dich ganz sicher töten... du nutzloses Balg.

„Dann willst du mich... herausfordern... Königin?“, fragte er Iana kalt und die Schwarzhaarige verengte die verdammten blauen Augen zu diabolischen Schlitzen. „Letztlich bist du nur eine... Hülle, die du beherrschen kannst, oder? Während du Ianas Willen lenkst... ist sie dein. Aber darüber hinaus wohl kaum.“ Sie hob wortlos Kadhúrem und schlug mit Schattenmagie nach ihm auf eine bestialisch zielstrebige Art – ohne Gnade, ohne den Hauch eines Willens ihn zu verschonen, und er keuchte und riss die Hände selbst empor, um Karana den Garaus zu machen mit einem einzigen zucken seines kleinen Fingers, würde Iana es wagen... doch es kam alles anders.

Die Frau stürzte sich auf ihn und ehe er sich hätte verteidigen oder sie mit Karanas Leben erpressen können, warf sich unerwartet jemand direkt vor ihn, breitete die Arme aus und schrie die Angreiferin an.

„Du krümmst ihm kein Haar... deine Gegnerin bin ich, Akada!“ Es war Kyeema, die vor ihm stand - und Manha hätte sie fast empört niedergeschlagen für die Demütigung, ihn beschützen zu wollen, aber Iana kam nicht dazu ihn anzugreifen, weil seine kleine Lianerin hier ihr den Feuervogel Lavia entgegen schleuderte mit einer Entschlossenheit und Willenskraft, die Manha verblüffte. Iana hielt an und riss das Schattenschwert herab, stattdessen hob sie die Hand und löschte Lavias Feuer mit einem gigantischen Schwall Wassermagie. Kyeema keuchte und die Schwarzhaarige blieb zwei Schritte von ihr entfernt stehen, die Hand noch ausgestreckt und die Augen argwöhnisch verengt.

Sieh an.“, sagte sie mit der Stimme, die Manha im Inneren vor Grauen schaudern ließ – es war die unsterbliche Geisterstimme der Vergangenheit. „Du stellst dich vor ihn? Das wird dir nichts nützen... Kyeema. Geh aus dem Weg, du bist es nicht, die ich töten muss.

„Das wirst du müssen, wenn du meinem Vater ein Haar krümmen willst!“, schrie das Mädchen und Manha starrte sie an für den Heldenmut, den sie gerade aufwies – was war in sie gefahren?

Iana Lynn lächelte herzlos.

Deinem Vater... dem Mann, der dir das Leben geschenkt hat, wie du es gesagt hast, was?“, fragte sie und das ungute Gefühl, das Manha gerade bekam, schnürte ihm die Kehle zu und verhinderte, dass er irgendetwas tun konnte außer in Kampfposition zu stehen und zu starren, wie so ziemlich alle anderen außer Kyeema auch. „Du weißt wenig über den Mann, den du so verehrst.

„Genug um zu wissen, dass ihm mein Leben gehört!“, zischte Kyeema, „So wie deines vielleicht deinem Mann gehört.“

Vielleicht. Mein Mann hat viel kaputt gemacht... so wie dein Vater, was er dir natürlich nie sagen würde. Der Mann, der deine Mutter ermordete und dich nur zu dem Zweck großzog, dich für ihn schlachten und meucheln zu lassen.

Lüge!“, schrie Kyeema und fasste sich an den Kopf, und Manha starrte auf Ianas Gesicht, als die herrisch den Kopf hob und nicht ihn ansah, sondern Kyeema, die Augen wieder weitend.

Du weißt genau, dass ich recht habe. Bist du etwa etwas anderes als eine Mörderin im Auftrag eines Wahnsinnigen, der dir väterliche Liebe vorgaukelt, die er nicht empfindet? Für ihn bist du Dreck, eine Waffe, die verhätschelt wird, solange sie funktioniert. Und wenn sie es nicht mehr tut, wird sie ausrangiert.

„Du lügst!“, schrie Kyeema, „Mein Vater liebt mich, er sagt es mir oft! Kaiya Kaniy war es, die meine Mutter in den Tod getrieben hat, nicht er!“ Manha sagte nichts, als die Lianerin zu ihm herum fuhr und ihn anstarrte, in seinem Gesicht Wahrheit suchte, Widerspruch gegen die Worte der anderen Frau.

Widerspruch, den er ihr nicht geben würde, weil es nichts nützte.

Kyeemas Leben war an dieser Stelle zu Ende, es war egal, was sie wusste. Er hielt die Königin nicht auf, als sie lieblos auflachte und Kyeema die Worte sagte, die sie zerbrechen lassen würden.

Kaiya Kaniy hat deine Mutter nicht getötet, Kind. Kaiya Kaniy war deine Mutter... und Eneela deine Zwillingsschwester.
 

Eneela glaubte einen Moment, ihr Herz würde aussetzen; und es war nicht, weil sie diese Worte hörte. Es war nicht mal, weil sie überrascht gewesen wäre... sie war selbst verwirrt darüber, dass sie es nicht war. Irgendetwas in ihr hatte es gespürt... von Anfang an. Sie starrte auf Kyeema, die mit den Händen in ihre hellen Haare gekrallt wie versteinert da stand und auf Iana blickte, die sich nicht rührte. Etwas in Eneelas Innerem zitterte beim Anblick ihrer Schwester – ihrer Schwester! Der Gedanke ließ sie benommen straucheln und irgendwer griff nach ihrem Arm. Sie wusste nicht, wer es war, sie konnte gar nicht denken. Sie konnte nur starren... und die Erkenntnis dessen, was diese Worte, die Iana mit dieser fremden Stimme gesprochen hatte, mit dieser Stimme voller Schatten und Macht, noch bedeuteten, ließ sie keuchen.

Wenn Kyeema ihre Schwester war... und sie ihre Mutter getötet hatte... hieß das doch, dass sie ihre eigene Mutter...? Der Gedanke war zu fürchterlich und als sie sich selbst keuchen hörte, fuhr sie unwillkürlich zusammen vor Gram.

„M-...Mutter...!“, stammelte sie und spürte die Hitze der Tränen, die in ihrem Inneren empor stiegen und drohten, ihr aus den Augen zu rinnen, als ihre Knie nachgaben und die Welt finster wurde, „Hast... du das gewusst?! Warum hat mir nie jemand... ein Wort gesagt?“

Es war eine Stimme aus dem Nichts, die ihr antwortete... sie hatte sie noch nie gehört und dennoch war sie irgendwie vertraut, als sie sprach.

Weil es überflüssig gewesen wäre. Du hast es selbst gewusst... in deinem Inneren, Eneela. Du hast es gewusst, als du ihr zum ersten Mal in die Augen gesehen hast... weil in dir die Gene der Götter sind. Weil du eine der Sieben bist.

Das war das Letzte, was sie mitbekam, ehe ihr Körper sie gänzlich im Stich ließ.
 

„W-wie... kann das sein?!“, jammerte Kyeema und hielt sich bebend den Kopf. „Wie kann... Kaiya kann nicht meine Mutter sein! Meine Mutter starb durch Kaiyas Hände, ich weiß es! Vater... Vater, sag doch etwas! Sie lügt, Vater! Sag es ihr! Sag es... m-mir...“

Iana wusste, dass ihr Vater nichts sagen würde, während sie eben dem in das verhärtete Gesicht starrte, Auge in Auge mit der Bestie, die an allem Schuld war. Nein, eigentlich war es nicht Iana, die das wusste, sondern die andere. Die, die von ihr Besitz ergriff, die, die Kadhúrem beherrschte, und Iana sah aus dem Inneren ihres Geistes heraus zu und konnte nichts dagegen tun. Sie war im Schatten gefangen und die andere war da, sie pulsierte in ihrem Inneren wie eine abstruse, dämonische Kraft, fähig, ganze Welten zu zertrümmern, wenn sie nur wollte... und dennoch ließ sie Scharan leben und tat nichts. Iana verstand das nicht. Manha hatte Angst vor ihr, er kroch vor ihr, er hatte Panik – und die andere tat es einfach nicht. Jetzt war doch der perfekte Moment für einen Angriff, genau jetzt!

Nein.

Es war die Stimme der anderen in ihr, die Iana auffahren ließ.

Nicht hier. Der einzige Ort, an dem der Geist dieses Dämons zerschlagen werden kann, liegt noch vor uns.

Iana konnte nicht antworten. Iana konnte nur zusehen, was geschah, als Kyeema schreiend herum wirbelte in Manhas Richtung und die Arme hoch riss.

„Sag es mir, Vater!“

„Es gibt nichts zu sagen.“, schnarrte Ulan Manha mit einer Ruhe, die er nur vortäuschte. Er ließ Iana nicht aus den Augen, während er sprach, und seine Stimme war voller Zorn gemischt mit Furcht. Er versuchte sie zu verbergen. „Als Kaiya die Zwillinge bekam, habe ich beschlossen, eines der Mädchen für mich zu behalten. Das stärkere, ältere, dich. Du warst vielversprechend und ein Naturtalent, genau wie deine störrische Mutter. Wenn du jetzt Schwäche zeigst, Kyeema, war die ganze Arbeit umsonst. Kaiya ist tot, es ist egal. Du warst es doch, die wollte, dass sie stirbt.“

„Da wusste ich nicht, dass sie meine Mutter ist!“, schrie das Lianermädchen panisch, „Das kann nicht sein, du lügst – ihr alle lügt!“

„Wie gesagt.“, machte Manha gedehnt, „Es ist egal. Du bist hier... und deine Mutter nicht. Vielleicht war Kaiyas Tod ein notwendiges Opfer. Denn hättest du nicht den Zorn... und Hass eines Waisenkindes gehabt, wärst du nicht die geworden, die ich haben wollte.“

Eine Kampfmaschine ohne Gewissen, meinte er... Iana verengte die Augen, oder die andere tat es für sie. Was Kyeema angetan worden war, war nicht mal mehr bedauernswert... es war Abschaum.

Manha war Abschaum... weil er die ganze Welt wie welchen behandelte.

Und deshalb... werde ich dich auch ganz sicher töten.

Kyeemas gellender Schrei signalisiere ihr den Moment, in dem das bemitleidenswerte Geschöpf den Verstand verlor. Er fiel hin und zersplitterte irgendwo im Schatten... Iana konnte es spüren, dann zog sich die andere genauso plötzlich von ihrer Machtposition zurück und ließ Iana ihren Körper wieder kontrollieren.
 

Thira sah teilnahmslos von der Brücke herab auf das Geschehen unter ihnen. Sie war ganz ruhig, und sie hörte jedes Wort, das gesprochen wurde. Es überraschte sie nicht wirklich – es war, als hätte eine Eingebung ihr schon vor langer Zeit gesagt, wie es um Kyeema und Eneela stand.

„Du wusstest das die ganze Zeit.“, sagte sie zu ihrem Cousin, der neben ihr stand und mit einem dämonischen, entrückten Lächeln ebenfalls hinab sah. Er war mit den Gedanken wo anders – vermutlich bei dem, was sie bis eben noch hinter dem Kasten getrieben hatten – aber er antwortete, als wäre er völlig bei der Sache.

„Natürlich wusste ich es. Es tut nichts zur Sache, da spricht er wahr.“

„Wenn Kyeema aber Manhas leibliche Tochter ist... ist Eneela das doch nicht etwa auch?“

„Nein.“, erwiderte Yamuru, „Eneelas Vater war Dak Kaniy. Von ihm kommen die Gene, die sie zu einer der Sieben machen. Kyeema hat sie nicht... deswegen ist sie keine der Sieben.“ Thira sagte nichts. Es wunderte sie, dass es offenbar möglich war, dass eine Frau Zwillinge von zwei verschiedenen Männern bekommen konnte, aber wenn sie ehrlich war, hatte sie sich mit dem Kinderkriegen bisher nie befasst.

„Was würdest du machen, wenn du an Kyeemas Stelle wärst?“, fragte sie ihn dumpf und Yamuru zuckte die Achseln.

„Ich bin zu sentimental für so etwas.“, lachte er, „Wenn mir jemand erzählte, ich hätte meine eigene Mutter ermordet, dann würde ich mich kurz entschlossen selbst umbringen, ganz sicher.“

„Trotz deines Versprechens an Ngnhana, zu überleben?“, staunte sie perplex, und er kicherte und strich ihr zärtlich durch die grünen Haare, ohne zu antworten. Er wartete lange, sie weiter streichelnd, bis er fortfuhr.

„Manchmal liegt diese Entscheidung nicht in unserer Hand.“ Er sah sie lächelnd an und sie zwang sich, keine Miene zu verziehen, obwohl sie beim Anblick seines Gesichtes das Verlangen verspürte, ihn zu küssen. Nein, für heute reichte es, verdammt.

Kyeema schrie und Thira sah, wie Yamuru sein Kinn empor reckte und das linke Reikyu-Auge mit einem bedrohlichen Glimmen aufleuchtete. Sie schauderte, als sie wie durch Telepathie wusste, was er tun würde... sie würde ihn nicht aufhalten.

„Denkst du, dein Plan funktioniert?“

„Vermutlich nicht. Macht aber nichts.“, grinste er und seine Stimme hatte sich verändert. Die Kontrolle, die er Kyeemas zerstörter Seele aufzwang, nahm ihn mit, Thira konnte seine Erschöpfung genau fühlen, als er den Blick genau auf das Mädchen richtete und Kyeema wie eine Wahnsinnige schreiend herum fuhr in Manhas Richtung, die Arme empor reißend. Ihr Verstand war zerschlagen... es gab nichts einfacheres als die Kontrolle über eine zerschlagene Seele, was immer Yamuru sie tun lassen wollte, jetzt würde es keinen Widerstand mehr geben. „Einen Versuch ist es wert und ich habe nur diesen einen.“ Thira zuckte bei diesen Worten mit der Braue. Sie sah ihn nicht an, als sie leicht lachte und sprach:

„Du klingst, als hättest du vor, bald zu sterben.“ Yamuru grinste.

„Würdest du um mich weinen, Thira?“

Sie starrte ihn an und wollte ihm erst eine schnippische Antwort geben, aber dann überlegte sie es sich anders und senkte den Kopf.

„Ich fürchte, ich habe… das Weinen auf Tharr verlernt.“

Yamuru sah sie nicht an, aber seine Hand glitt in ihre Richtung, strich durch ihre Haare in einer Geste purer Zärtlichkeit auf eine Art, die sie schaudern ließ... nicht vor Furcht oder Grauen, sondern vor Wohlgefallen. Und genauso taten es seine Worte.

„Ah… das ist mein Mädchen.“, sagte er leise und lächelte. „Ich liebe dich, Thira.“
 

Er ließ sie Yolei rufen. Yamuru hatte sich lange überlegt, mit welcher Lian er Kyeema am besten Manha angreifen lassen sollte, wenn die eine einzige Gelegenheit käme; er hatte sich hauptsächlich deswegen für die Wasserlian entschieden, weil Manha als einziges Element das Feuer beherrschte, ein wenig, und Wasser das Feuer löschte; abgesehen davon fürchtete Manha die Frau, die Wasser beherrschte, die in Iana Lynn lebte, oder in Kadhúrem, oder vermutlich in beiden, und wenn von Kyeema Wasser käme, brächte es vielleicht zusätzlich den Schreckeffekt.

Der Effekt kam, aber er war zu kurz, Yamuru wusste schon als Manha zurück sprang und fluchend die Arme herum riss, im Angesicht des sicheren Todes durch die verdammte Lianerin, die er aufgezogen und zur Mörderin ausgebildet hatte zum reinen Eigennutz, dass der Plan schiefgehen würde – aber es war ein Versuch gewesen.

„Zu berechnend... Kyeema!“, zischte der Schamane unten und riss die Hände nach vorne, um wirklich Feuer auf sie zu schmeißen trotz Yolei – Yamuru war kein Lianer, er konnte die Bestie nicht auf dieselbe Weise von einer völlig seelen- und willenlosen Frau lenken lassen wie es eine Lianerin bei Sinn und Verstand vermocht hätte. Als Manhas Feuerstrahl das untröstliche Ding durchbohrte wie ein Speer, quer durch die Brust, fühlte er den Riss in der Seelenkontrolle in dem Moment, in dem Kyeema keuchend auf den Boden geschleudert wurde und Yolei wie von selbst sofort verschwand. Die anderen da unten stoben auseinander wie gescheuchte Herdentiere und Iana sprang samt Kadhúrem zurück. Eine lichterloh brennende und verreckende Spielfigur wieder aufzurichten war ein Stück Arbeit, aber Yamuru schaffte es noch zweimal, Kyeemas Körper wieder aufstehen zu lassen, egal, was für abartige Schmerzen sie haben musste – ihr Leben war vorbei, es war egal. Sie würde gleich tot sein, ob sie ihre letzten Momente eines absolut sinnfreien, erbärmlichen Lebens voller Lügen nun in Qual oder Frieden verbrachte machte keinen Unterschied. Es war Thira, die ihn aufhielt, als Manha seine leibliche Tochter zum dritten Mal voller Wut und vermutlich in blinder Panik, weil sie einfach nicht starb, mit einem Feuerzauber niederstreckte, der ihren zerschundenen Körper brennen ließ. Kyeema schrie und wand sich, als Yamuru den Arm seiner Cousine an seinem spürte.

„Hör auf, bitte!“, keuchte sie, „Das ist abartig, d-du quälst sie unnötig mehr als Manha es getan hätte! Das hat sie nicht verdient... die Chance ist vertan, Yamuru!“ Es war weniger die Bitte selbst, die ihn aufhören ließ, als mehr die Tatsache, dass sie von Thira Jamali gekommen war... dem Mädchen, das Chenoa zu einer seelenlosen Schlächterin hatte machen wollen, das gerade bewies, was für eine prächtige, funktionierende Seele es hatte...
 

Menschlichkeit... das, was uns von Steinen unterscheidet.
 

Er senkte den Kopf und ließ Kyeemas Seele gehen, Thira zuliebe, die einen Schritt zur Seite trat und bebte, als er sie ansah. Kyeemas Schreie verstummten mit dem Auflodern der Flammen, die ihre Seele und ihren zierlichen Körper zu den Unorten schickten.

„Unorte.“, feixte er, „Da wollen wir doch alle hin. Vielleicht sehen wir sie ja wieder. Du solltest zu deinen Kameraden gehen, Thira... wenn du nicht willst, dass sie noch argwöhnischer werden.“ Er wartete nicht auf ihre Antwort, denn sie würde zweifelsohne tun, was er sagte, und ging seines Weges hinab und in Richtung der Tür, die ins Innere des Schiffes führte. Für heute war es genug – Manha würde über all das zu erschüttert sein um etwas tun zu wollen und Karana hatte sich auch erledigt. Es blieb nur noch ein kurzer Weg bis zum Abgrund... an dem sich alles entscheiden würde.

Der Abgrund, der über seinen Träumen schwebte wie ein hungriger Schatten, bereit, ihn zu verschlucken, sollte er es wagen, näher zu kommen.
 

Wir warten auf dich... Yamuru Mirrhtyi. Lauf nicht davon... du kannst nicht zurück.
 

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Irgendwie war das Kapitel weird.... irgendwie ist dieser ganze Eneela-Kyeema-Kram weird. Irgendwie hat Fm zu viele Charas die einfach nutzlos und unwichtig sind oô Und lol, Karana kriegt auf die Fresse, das ging aber flott oô' Ich weiß doch nicht mehr was hier so drinsteht alter D= Und kann mal einer zählen wie oft in GANZ Fm die Wörter Schatten, Finsternis und Dunkelheit vorkommen...?

Unort

Die Finsternis kam näher, aber sie machte ihr keine Angst. Es war vielmehr eine Gewissheit in ihrem Geist, dass sie sich dem näherten, für das sie geboren worden waren... dem Abgrund der Schatten, dem Ende von allem, wenn es so sein sollte. Iana fragte sich, ob sie sich nicht doch fürchten sollte... war sie anormal, wenn sie es nicht tat?

„Hach.“, murrte sie zu sich selbst, während sie auf der Bettkante kauerte und zum Zeitanzeiger starrte. „Vermutlich ist es wieder so ein Kadhúrem-Ding. Dieses Schwert... scheint sehr viel mehr von mir auszumachen als nur ein Erbstück meines Vater zu sein.“

„Redest du... mit dir selbst, Iana?“

Sie fuhr herum und hätte fast vor Schreck geschrien, weil sie Karanas Stimme hörte. Er lag auf der Pritsche und war jetzt offenbar wach, jedenfalls war sein Auge offen und er schenkte ihr ein spitzbübisches Grinsen, als er sie beobachtete – auf eine Art, die sie sehr lange nicht mehr an ihm gesehen hatte.

Ein Karana-Grinsen... keine dämonische Fratze, aus der Gier oder Wahnsinn sprach, sondern ein amüsiertes Lächeln wie das eines Vaters, der seinem kleinen Kind grinsend zusah, wie es Blödsinn und sich zum Affen machte.

„Du hättest sagen können, dass du wach bist, Karana.“, begrüßte sie ihren Gatten genervt und heimlich erfreut oder irritiert von seinem Grinsen. „Statt da zu liegen und den Toten zu spielen.“

„War ich lange weg? Ich erinnere mich kaum. Eigentlich...“ Er stutzte und schien eine lange Zeit sehr nachdenklich oder er haderte mit sich selbst, Iana wusste es nicht genau; es war auch egal, er setzte sich auf und schob dabei die Decke von seinem Oberkörper, als sie sich ihm zuwandte. „Wir... werden bald da sein. Am Abgrund... und bei der Trias, wenn die Götter... oder Geister... das wollen.“ So sprach er plötzlich ein völlig anderes Thema an und die Frau verengte die blauen Augen.

„Wie fühlst du dich? Wir haben dich erschlagen, oder ich habe das, weil du wahnsinnig warst. Das ist zwei Tage her, sagt Zoras jedenfalls, der wohl als einziger noch ein Gefühl für Zeit hatte, als du weg vom Fenster warst.“ Die Schamanen hatten da oftmals einen Instinkt für; Iana als halber Schamane offenbar nicht, Ryanne war nie zurechnungsfähig, jetzt weniger denn je, und Neisas Instinkte schienen auch nicht dafür auszureichen. Sie sah auf den Zeitanzeiger und das letzte Licht, das darin glühte. Bald würde auch es erlöschen... dann müssten sie umkehren.

Sie fragte sich, wie sie hier so ruhig sitzen konnte.

„Ähm.“, war Karanas geistreiche Antwort, als er an sich herunter sah, „Abgesehen davon, dass ich nackt bin, geht es mir ganz gut.“ Sie schnaubte.

„Hätte ich dir deine Sachen anlassen sollen? Ich dachte, ich nutze die Gelegenheit und wasche sie.“ Er feixte.

„Was für eine gute Frau du doch bist, Ianachen.“ Es war merkwürdig, mit ihm so unbefangen zu sprechen... und ihn noch grinsen zu sehen. Iana errötete gegen ihren Willen bei seinem Blick, ehe sie den Kopf wegdrehte. Da war kein Dämon... da war keine Finsternis in Karanas Gesicht, nicht dieser Wahnsinn oder Zorn, der da neulich noch gewesen war.

Der Dämon in ihm, Manhas Einfluss, war verschwunden... obwohl das Mal an seinem Unterarm noch da war, war nichts an Karana mehr Manha oder Kelar Lyra oder wer immer das alles sein mochte, der ihm den Kopf verdrehen wollte. Übrig war Karana... der Mann, zu dem sie sich gebunden fühlte, dieser Vollidiot, den sie geheiratet hatte. Der Gedanke erfüllte sie mit Liebe. Sie sagte nichts zu ihm... sie wusste, was er getan hatte und sie kannte jetzt auch den Grund. Als sie zurück auf die Tari Randora gekehrt waren, hatten sie Karana, der kaum mehr als ein totes Tier gewesen war, auf die Pritsche verfrachtet und Zoras hatte seine Schwippschwägerin zur Seite genommen.

„Wenn er Manhas Fluch auf seinem Arm irgendwie beherrschen können will, muss er lernen, ihn zu begreifen.“, hatte der kleine Mann finster gesagt, „Wenn du den Schatten zerschlagen willst, musst du... erst lernen, wie man in der Dunkelheit sehen kann, das ist der Grund. Das ist der Grund, weshalb er zu Manha gegangen ist und diesen scheißverdammten Zauber lernen musste... der Zauber hat ihn eingenommen, er musste es nur wieder schaffen, sich aus dem Strudel zu reißen. Das... hast du für ihn erledigt, jetzt wird es gut sein. Die Zeit ist... bald vorbei.“

„Du hast dein Wort gehalten, Karana.“, sagte Iana dumpf und ihr Mann lachte leise. Er betastete die Augenbinde, die die scheußliche Wunde verbarg, als bemerkte er sie zum ersten Mal, obwohl sie schon ein paar Tage da war, aber er beschwerte sich nicht. „Du hast gesagt, du kommst zurück... und du bist wirklich zurückgekommen. Ich bin beeindruckt.“

Dem gab es nichts mehr hinzuzufügen, so beugte er sich vor und küsste sie leidenschaftlich. Es war ein Kuss auf eine Weise, wie sie ihn lange nicht mehr geteilt hatten, und Iana öffnete den Mund und ließ zu, dass er sie herunter auf die Pritsche drückte und sich auf sie rollte. Er hatte ihr gefehlt... und dem Baby, das in ihrem Bauch wuchs.

„Das ist alles, was ich erreichen wollte... meine Königin.“, murmelte er gegen ihren Hals, als er von ihren Lippen abgelassen hatte und sich jenem widmete, und sie umarmte seinen nackten Oberkörper, während seine Hände unter ihre Bluse fuhren und ihre Haut berührten. Seine Finger waren warm...

Seine Seele war wieder warm, weil der Zorn weg war.

„Sei zärtlich, Karana... tu dem Baby nicht weh.“
 

Der Korridor war finster, in dem sie kauerte. Sie konnte gut sehen, noch – ihre Sicht schwand, weil sie sich dem Abgrund näherten. Ihr Arm schmerzte und sie wollte daran kratzen, hinderte sich aber daran, um die Notizen nicht zu verwüsten, die sie extra mühevoll gemacht hatte. Sie würde sie vermutlich bald brauchen... sie konnte sie jetzt nicht lesen, aber wenn sie erblindet war, würde sie es können.

„Bald... fallen wir in den Schatten, hahaha.“

Sie kicherte und fixierte ihren Blick auf Zoras Derrans mickrige Gestalt, als er in der Dunkelheit bei ihr auftauchte. Zoras Derran war ein viel zu kleiner Mann, seine Größe schrumpfte die Imposanz seines Auftrittes enorm, dabei war seine Seele eine der gewaltigsten, die sie in diesem Zeitalter gesehen hatte.

„Du hast eine große Seele... Zoras Chimalis, Herrscher des Kondorclans.“, schnarrte sie mit einem süffisanten Grinsen, „Zu groß für deinen Kleinjungenkörper.“ Er sah nur auf sie herunter, wie sie da kauerte, und obwohl sie saß und er stand, wirkte er für sie dennoch so... winzig. Er war rastlos, das war er immer, eine ruhelose, gepeinigte Seele war er... das war schon die Bestimmung des Letzten gewesen, der so geheißen hatte wie er.

Zoras Chimalis, Sohn von Myron dem Genie, Vater von Enola und Großvater von Pakuna, Liebhaber von Salihah Lyra... der letzte Mann namens Zoras war definitiv größer gewesen.

„Wärst du nicht so klein, würde ich echt gern mit dir schlafen.“, grinste Ryanne ihn an und Zoras murrte.

„Dann ist es ja Glück für mich, dass ich daran gar kein Interesse habe, Seherin. Du singst hier herum, wir werden alle in den Schatten fallen. Heißt das, wir scheitern?“

„Ungewiss ist der Ausgang eures... Schicksals.“ Sie erhob sich und stützte sich mit dem gesunden Arm an der kahlen Wand hinter sich ab, um jetzt auf den Mann herab zu blicken, den sie im Stehen überragte. Seine Augen waren ungewöhnlich schmal und dämonisch, sie waren das mit Abstand morbideste und gleichzeitig schönste an ihm, von seiner unverkennbaren Zeichnung am Rücken abgesehen, denn die trug er ja nicht von Geburt an. Er verabscheute die Tätowierung der Männer, die ihn als Kind gefoltert und geschändet hatten wie ein Mädchen, Ryanne kannte alle seine Gedanken und alle seine Gefühle. Sie kannte die Gedanken und Gefühle von allen hier, und nicht nur hier, auch die derer, die auf Zuyya geblieben waren, die derer, die sonst noch irgendwo leben mochten...

Die einzigen Gedanken, die sie nicht zu erfassen vermochte, waren die von ihresgleichen.

„Das kannst du gut.“, sagte Zoras Derran und reckte herrisch das Kinn, „Vage Antworten geben, die niemandem helfen. Deine Gedächtnislücken werden größer, je näher wir kommen, was?“

„Wenn wir den Yirana-Nebel erreichen, werde ich euch nicht mehr helfen können.“, kicherte die Seherin und tänzelte auf nackten Füßen um ihn herum, er verfolgte sie mit dem Blick. „Dann bist du gekommen, um Dinge zu sagen, die ich schon weiß? Nein... ich kenne deinen Kopf, Zoras Derran.“ Er schwieg einen Moment. „Ich kann dir nicht sagen, ob Manha... sterben wird. Oder ob ihr... siegen werdet oder scheitern. Das ist eine Frage, die im Schatten liegt, an den... kommen wir nicht an.“

„Es ist nicht nur Manha.“, sagte er kalt. „Da sind noch die Niemande – sie mögen Niemande sein, aber sie sind gut trainierte Niemande, die uns das Leben und das, was uns bevorsteht, vermutlich schwer machen wollen. Yamuru allen voran...“ Ryanne lachte.

„Yamuru!“ Sie stöhnte den Namen enthusiastisch und fand, der Zuyyaner war ein bildhübscher Kerl, und seine Seele war eine Menge wert. „Um Yamuru sorge dich nicht. Er wird dir nicht im Weg sein.“

„Und den anderen?“

„Sorgst du dich um die anderen oder um dich?“, grinste sie, „Es ist schon bestimmt... welches Schicksal welches Niemands mit den euren verbunden ist... wer stört dich am meisten, hm? Turos Gehirn gehört mir. Er ist nämlich der einzige, der eins hat.“ Zoras schien ihre Worte nur halbherzig aufzufassen, dann schnappte er nach Luft und ballte eine Faust.

„Der Telepathentyp.“, sagte er dann, „Ich habe ihn jetzt ein paar Mal an der Backe gehabt und er ist schneller als ich. Alle Macht nützt mir nichts, wenn ich ihn nie erwische, weil er sich wie ein Haken schlagender Hase herum teleportiert.“

„Flink, flink.“, kicherte Ryanne, blieb stehen und lehnte sich gegen die Wand, „Eine Mauer brauchst du. Hast du Steine oder Mörtel?“

„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest!“, fauchte er – oh, er war nervös und gereizt, er amüsierte sie mit seinem Zorn. „Was für eine verdammte Mauer?!“

„Eine Seelenmauer.“, grinste sie und sein Zorn verrauchte, weil er verstand. „Die Magie der Telepathen ist Seelenmagie – Telepathie bedeutet Gedanken lesen. Rok liest deine Schachzüge und sieht sie voraus, bevor du sie überhaupt zu Ende geplant hast, deshalb ist er schneller. Die einzige Waffe gegen einen so ausgebildeten Seelenmagier ist... deine Seele hinter einer Mauer zu verschließen... damit er sie nicht mehr sehen kann.“ Zoras antwortete darauf mit einem langen, stummen Blick.

„Wie funktioniert das?“, fragte er dann und sie lächelte ihn an.

„Besorgst du es mir, wenn ich es dir sage?“

„Kommt drauf an, ob sich deine Antwort lohnt.“, war seine kaltherzige Antwort und sie kicherte.

„Wie pragmatisch von dir. Und Neisa... deine Liebste? Würde sie nicht böse werden?“

„Wenn von deiner Antwort mein und ihr Leben abhängt, ist es mir das wert.“, schnarrte er, „Aber es wäre besser, wenn ich dich auf andere Weise bezahlen könnte. Antworte.“

„Du wirst verblendet... Chimalis.“, sagte sie dumpf und seine schmalen Augen verengten sich noch mehr. „Du weißt die Antwort längst. Geh in dein Inneres... in die Schatten, zu denen du gehörst. Du weißt, dass dein Schicksal ist, zu ihnen zu gehen... weil das der Preis ist, den du für die Loyalität deiner Vögel bezahlt hast. Geh in deinen Schatten und frag sie dort... deine Seele oder das... was von ihr übrig ist.“ Er sagte nichts und die Seherin beugte sich zu seinem Gesicht, hielt so dicht davor inne, dass ihre Lippen beinahe seine berührt hätten. Sie atmete tief seinen Geruch ein, spürte seine Rastlosigkeit und den Schatten auf seiner Seele, der sich dort eingenistet hatte wie ein Parasit und der sich gleichzeitig von ihm und auch ihn ernährte. Er war interessant... Zoras' Schatten. „Hat wehgetan, hmm?“, raunte sie und er rührte sich nicht, obwohl sie so dicht vor ihm war, dass sie ihn beinahe geküsst hätte. „Als sie dich gefickt haben... hm?“

„Ich bezweifle, dass ich es dir beweisen könnte, indem ich es mal mit dir so mache.“, schnarrte er zurück, „Du perverse Kuh stehst da vermutlich noch drauf.“

„Was hat mehr wehgetan? Von erwachsenen Männern durchgenommen zu werden oder tätowiert zu werden?“

Musst du jetzt darin herumrühren, Ryanne?“

Geh in deinen Schatten!“, befahl sie ihm barsch und jetzt fuhr er zurück, vermutlich erschrocken von ihrem Schrei, „Geh, Zoras, egal, wie sehr... es dich beschämt! Vorbei an deinen... Kindheitstraumata bis in den Abgrund, dann findest du... deine Mauer. Du musst sie mitnehmen... das ist der einzige Weg, den du gehen kannst.“ Er starrte sie an und keuchte, dann drehte er verbissen den Kopf zur Seite.

„So weit reinzugehen ist gefährlich. Wenn ich abtreibe vom... Geisterstrom... bin ich für immer verloren.“

„Dann schwimm, so sehr du kannst.“, flötete sie guter Laune und griff nach ihrem schmerzenden, zerfetzten Arm und den Botschaften, die sie nicht lesen konnte. „Such dir... ein Licht, an das du dich klammerst, so tief... so tief drinnen, wo alle anderen Lichter... ausgehen.“

Und er sah sie an mit einem Blick, der ihr deutlich zeigte, dass er verstanden hatte, was zu tun war. Er hatte eine große Seele... er würde weit und tief schwimmen müssen im Strom.
 

Sie fragte sich, wie oft sie jetzt hier aufgewacht war, und Simu war an ihrer Seite und passte auf sie auf. Als Eneela dieses Mal aufwachte, fehlte etwas. Sie konnte gar nicht benennen, was es war, aber etwas war anders... an allem. An ihr. Und als sie sich wortlos aufrichtete und in Simus aschfahles Gesicht sah, erinnerte sie sich an Kyeema und an den Tag, an dem sie auf Manhas Schiff gekämpft hatten.

An den Tag, an dem Kyeema sich gegen den Mann gewendet hatte, dem sie so treuherzig gefolgt war bis dahin, und dann hatte er sie ermordet.

„Sie ist wirklich tot, oder?“, flüsterte die Lianerin in die Stille der Kammer, während sie ihre Hände in ihren Schoß presste und nicht wusste, wohin damit. Wohin mit sich, mit allem. Simu saß auf dem Boden vor der Pritsche an der Wand und drehte gedankenverloren seine Waffe in den Händen. Er schenkte ihr einen langen Blick.

„Kyeema? Ja. Tut es dir leid um sie?“

Wenn sie das gewusst hätte.

„Ich habe sie nicht gekannt. Und sie hat versucht uns alle umzubringen... aber sie hat es nicht verdient.“, wisperte sie so unsicher und sie sah ihn die Augen verengen. „Nicht... n-nicht so, Simu. Sie hat gebrannt, sie war am Sterben und... ist immer wieder aufgestanden, in hellem Wahnsinn, w-was für... was für Dämonen haben sie nur plötzlich besessen, so etwas zu tun?!“ Das war doch absurd... Kyeema musste besessen gewesen sein von dem Willen, Scharan zu töten... aber geglückt war es ihr nicht. Eneela erinnerte sich gut an sein Gesicht... an diese dämonische Fratze voller Bosheit und ohne jede Spur von Gnade. In diesem Mann gab es nicht sowas wie Nächstenliebe oder überhaupt irgendeine Art von Zuneigung... nicht einmal dieses Mädchen, das ihm treu als Mörderin gedient und ihn Vater genannt hatte, hatte er verschont. Der Moment hatte Eneela Angst gemacht... weil ihr plötzlich wieder bewusst geworden war, dass sie sich fürchtete.

Vor Manha... vor dem Ende, das sie alle erwartete.

„Ich bin nur ein halber Zuyyaner und kenne mich mit deren Magie kaum aus.“, begann ihr blonder Begleiter dann unschlüssig und rappelte sich auf, während Eneela die nackten Füße auf den kalten Boden stellte. Sie schauderte vor Kälte. „Aber die Zuyyaner... beherrschen Seelenkontrolle. Sie sind fähig... einer Seele zu befehlen, was sie tun soll. Und soweit ich weiß... sind besonders schwache Seelen, die ihren eigenen Willen verloren haben durch einen Schock, deren Glaube an... irgendwas so tief erschüttert wurde, dass sie gelähmt sind... solche Seelen sind... besonders anfällig für diese zuyyanischen Techniken.“ Eneela starrte ihn an.

„D-du meinst, sie... sie wurde von irgendwem... gesteuert?“

„Ich sagte ja, ich habe keine Ahnung davon, aber ich weiß, dass es sowas gibt und ich weiß nicht genau, wie viel Skrupel ich Yamuru Mirrhtyi zutrauen soll, Thiras merkwürdigem Cousin.“ Die Lianerin schwieg auf diese Ansage einen Moment. Der Gedanke, dass jemand einem Menschen so Grausames antun konnte, ließ sie schluchzen, und sie konnte nicht aufstehen. Simu kam zu ihr und setzte sich neben sie, und sie suchte seine Nähe, schmiegte sich an seine Seite und ließ sich umarmen, obwohl sie die Berührungen von Männern verabscheute und fürchtete.

Simu war anders.

„Es tut... mir leid.“, sagte er und Eneela presste keuchend das Gesicht gegen seine Brust, als er sich zu ihr umdrehte. Sie atmete seinen Geruch ein und seine Wärme, die zärtliche Liebenswürdigkeit, die er verkörperte... bei ihm fühlte sie sich sicher und hatte kaum noch Angst.

„Ich weiß... was Iana über Kyeema gesagt hat.“, sagte sie und bebte, als sie sprach. Sie spürte, wie Simu zuckte. „Ich habe es gehört... und ich will... es nicht registrieren, weil es... weil es... wehtut.“

„Das verstehe ich gut.“ Sie antwortete nicht und drückte nur das Gesicht gegen seine Brust und war froh, dass er da war... sie fühlte sich nutzlos. Nutzlos bei dem Gedanken, den sie nicht zulassen wollte und der dennoch kam...

Kyeema war ihre Schwester gewesen. Und sie... hatte sie sterben lassen.

„Es ist nicht deine Schuld, Eneela.“, sagte Simu zu ihr und strich ihr mit einer Ruhe und Sanftheit durch die Haare, dass sie errötete. „Kyeemas... Schicksal war eben bereits besiegelt. Es lag nicht in unseren Händen, du hättest nichts tun können.“

„Weißt du, was das Dümmste ist?“, wisperte sie, „Ich... habe es irgendwie... schon vorher gespürt. Bevor Iana das gesagt hat... habe ich Kyeemas Augen gesehen und konnte sie nicht töten. Ich... konnte nicht, weil... irgendetwas in mir... dagegen war. Es war deswegen... ich weiß es.“

Eneela löste sich von Simus Brust und sah ihm in sein hübsches Gesicht. Er lächelte sie an... und es war sein Lächeln in diesem einen Moment, das ihr klar machte, wie gern sie ihn hatte... wie wichtig er für sie geworden war.

Es war kein Bedauern oder Mitleid in seinem Lächeln... kein Herabsehen auf sie armselige Gestalt, die ja so bedauernswert war. In seinem Lächeln war nur aufrichtige Zuneigung. Und plötzlich fragte sie sich, ob sie wirklich so blind gewesen war, das bisher nie so zu sehen... obwohl sie Angst vor Männern hatte.

Simu war anders. Vielleicht war Simu der einzige Mann, vor dem sie keine Angst hatte.

Sie erinnerte sich hinterher nicht mehr, wie es geschehen war, aber sie küssten sich. Es war sanft und warm, es fühlte sich gut an und es gab Eneela ein Gefühl, das sie nicht kannte... es gab ihr Hoffnung.

Hoffnung darauf, dass sie überleben könnten... dass Scharan sterben würde. Hoffnung darauf, dass Kyeemas gepeinigte Seele Frieden finden würde im Geisterreich. Hoffnung darauf, dass am Ende dieser Finsternis, die vor ihnen lag, ein Licht auftauchen würde. Als sie sich voneinander lösten, war er errötet und drehte etwas verlegen das Gesicht weg; sie tat es auch und sie schwiegen eine lange Zeit, denn für diesen Moment gab es keine passenden Worte. Das Schweigen sagte genug... es gab ihnen genug Wärme. Schließlich war es Simu, der wieder sprach, nachdem er sich geräuspert hatte.

„Ich frage mich... woher Iana all diese Dinge eigentlich wusste. Du dich nicht auch?“
 

Die Dunkelheit, die sie alle umfing, war schleichend gekommen – plötzlich war sie da gewesen, und als sie es war, wusste Yarek nur, dass er nicht gemerkt hatte, wie sie gekommen war. Aber er wusste, dass sie jetzt den Abgrund der Schatten erreicht hatten, den letzten Ort des tiefsten Himmelsdonners, den letzten aller Unorte, wie die Zuyyaner sagen würden; das Gebiet nannten sie auch Yirana-Nebel, und Yarek fragte sich, warum die Zuyyaner einem solchen Ort voller Bosheit und Finsternis einen ganz normalen Namen wie jedem anderen blöden Gebiet auch gegeben hatten. Er hätte gerne die Seherin gefragt, aber die Seherin war plötzlich zu nichts mehr zu gebrauchen – noch weniger als jemals zuvor. Spätestens jetzt hätte der Söldner gewusst, dass Neisa – und Yamuru, von dem sie alles hatte – nicht gelogen hatte, denn all das Gerede von Göttern ergab einen Sinn, wenn die Seele eines Sehers wirklich die Seele eines Gottes war – und der Abgrund der Ort, an den selbst die Götter nicht mehr ankamen. Denn Ryannes sehender Geist war absolut vollkommen verschwunden. Zurück blieb eine gestörte Frau mit null Gedächtnis... das hieß, beinahe.

„Ich will Sand!“, heulte die Seherin, die momentan keine Seherin war, und grub ihre Fingernägel plärrend in ihr blondes Haar, während sie sich zusammenkauerte auf dem Boden des Steuerraumes und niemandem ins Gesicht sehen wollte. Die ganze Gruppe war hier versammelt und der Schatten, durch den sie jetzt fuhren, war überall. Thira steuerte und starrte dabei stoisch geradeaus, die anderen wirkten entweder verstört oder waren ganz versunken in ihrer eigenen Finsternis. Zoras war nur körperlich anwesend und Neisa ließ ihn nicht aus den Augen, ihrerseits wirkte sie wahnsinnig angespannt, autoritär und nicht so, wie Neisa normalerweise war. Yarek erinnerte sich, während er sich eine Zigarette ansteckte, an Ryannes Worte; er war ein Nichtmagier und gegen die Schatten immun. Vermutlich lag es daran, dass er nichts spürte... abgesehen von der Veränderung in allen anderen. Ein Blick auf Tayson und Asta sagte ihm, dass es den beiden wohl wie ihm ging... sie waren Nichtmagier.

„Hier ist kein Sand, du blöde Kuh!“, meckerte Tayson Ryanne gerade an, „Bist du auf den Kopf gefallen, Seherin?!“

„Ich sehe gar nichts!“, plärrte Ryanne, krallte ihre Fingernägel in ihre Kopfhaut und wimmerte wie ein Kleinkind, „Ich will Sand und die Hitze von Fann zurück! Das ist nicht Fann, das ist schlecht! Das ist abartig, das ist der Tod! Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht!“

„Als hätte sie jemand ausgetauscht.“, sagte Simu dumpf, „Was hat sie eigentlich plötzlich?“

„Was viel lustiger ist.“, sagte Karana eiskalt, „Plötzlich erinnert sie sich... an Fann.“ Er hockte sich vor die verstörte Seherin und Yarek ließ ihn erst mal gewähren. „Wo ist dein Heimatort, Ryanne?“ Die Frau sah ihn konsequent nicht an und schrie nur schrill.

„Verschwindet, verschwindet! Ich will euch nicht sehen, ihr seid Dämonen!“

„Erinnerst du dich an deinen Heimatort, Ryanne?“, fragte Karana sie, „An Fann und den Sand?“

„Ich erinnere mich an Chatirah!“, zischte sie, immer noch ohne jemanden anzusehen, das Gesicht auf ihre angezogenen Knie gelegt. „Ich erinnere mich an Hitze und Sand, hier ist es eisig und aus Metall, es ist schlecht! Es ist tot hier, es ist ein schlechtes tot!“ Yarek hörte sie schreien und lamentieren und fragte sich, wo es denn ein gutes tot gäbe. Schließlich fasste er Karana am Arm und zog ihn von ihr weg. Der Schamane schenkte ihm einen dummen Blick und Yarek nahm die Kippe aus dem Mund, ehe er antwortete.

„Lass sie. Ihre Seele ist jetzt weg – hier ist der Abgrund. Die Götter kommen... nicht an uns an. Das heißt, wenn der Teil in ihr, der eine Göttin ist, weg ist, bleibt nur das übrig, was sie eigentlich mal war... und das ist ein Mädchen aus Fann. Mich wundert es, dass sie die Einheitssprache sprechen kann.“ Andererseits, was wusste er schon? Was wusste er, wie viel in ihr wirklich die Seherin und wie viel ein Mädchen aus Fann war. Vielleicht war es inzwischen, wo sie seit ihrer Geburt diese zweite Seele mit sich herum schleppte, so verwachsen in ihrem Inneren, dass sie die Einheitssprache immer noch konnte... wer wusste es?

Es ist einerlei.“, sagte Neisa plötzlich, worauf sie von allen außer Thira, die verbissen steuerte, die Aufmerksamkeit erntete. Yarek sah sie nur kurz an, sein Blick schweifte über Neisas Gatten, der nicht zuzuhören schien, dann glitt er zum Fenster des Steuerraumes hinaus in die endlose Schwärze. Es war so abgrundtief dunkel, dass nicht einmal der Hauch von irgendetwas zu erkennen war da draußen. Kein Stern, kein Planet, kein gar nichts. Da draußen war es einfach nur abgrundtief dunkel... Yarek war sicher, wäre er ein Magier, würde er irgendetwas spüren. Etwas, das anders war. Er zog an seiner Kippe, als Neisa fortfuhr. „Wir sind hier... hier, wohin uns die Geister von Himmel und Erde geführt haben. Wir sind ganz nah am Ziel... die Trias ist schon zum Greifen nahe. Wir müssen nur die Hände ausstrecken...“ Hier machte sie eine Pause und ihr Blick wurde hohl, apathisch. Ihre verschiedenen Augen hatten eine fremde Nuance und Yarek verengte die Augen zu Schlitzen bei Neisas Anblick.

Was war mit den Geistern? Wenn die Götter hier nicht ankamen... taten es die Geister, um durch die Schamanen zu sprechen?

Neisa fuhr fort und jegliche Gnade war aus ihrer Stimme gewichen – wenn es jemals hieß, Heiler wären für Leben zuständig, für die Heilung, so gab Neisa Derran in dem Moment das grottigste Beispiel für eine Heilerin ab, denn aus jeder ihrer Poren drang nur Schatten und Tod auf eine Weise, dass es selbst Yarek wahrnahm.

Du bist eben die Gemahlin des Seelenfängers... was?

Und den Dämon... zerschmettern müssen wir.

Das sagte sie gut. Yarek sah auf seine Schützlinge, die Sieben, die irgendwie in das Schicksal von Ulan Manha verwickelt waren... genau wie er, weil er sie schützen musste. Ulan Manha zu vernichten, wie Neisa sagte, war nicht die Tötung irgendeines Kerls. Es hieß, den Geist von Kelar dem Tyrannen zu zerschmettern... der Söldner fragte sich, ob sie dazu fähig waren.

Neisa schien seine Gedanken zu kennen, denn sie sah ihn jetzt direkt an und lächelte bizarr – irgendwie hatte sie was von der Seherin, kam Yarek prompt, und er sah zu Ryanne, die immer noch jammernd den Kopf in den Aren vergrub und nach Sand schrie.

„Haben wir nicht was, wovor Manha Angst hat?“, flötete Neisa, zu Yareks Verblüffung nicht mehr mit dieser apathischen Stimme, „Wir haben Iana.“

„...Iana?!“, machte Karana empört und Yarek sah zu der Schwarzhaarigen, die jetzt den Kopf gehoben hatte.

„Oder war es etwa nicht blinde Panik, die ihn gepackt hat... wenn er Ianas Kadhúrem gesehen hat? Schattenklinge haben sie es genannt, das Schwert... von Nalani Kandaya.“

„Das stimmt.“, fiel Iana ein, „Es ist merkwürdig, aber... es liegt an Kadhúrem, nicht an mir.“

„Du bist ihr ähnlich.“, lächelte Neisa, „Das haben sie immer alle gesagt... ich habe erst jetzt begriffen, als ich das neulich auf Manhas Schiff erlebt habe, was sie alle gemeint haben. Du hast... mit Schatten gezaubert – du hast Wasser gezaubert. Du benutzt Kadhúrem wie einen Teil deiner Seele... und dieser Teil deiner Seele lässt dich mitunter Dinge sagen, die nicht aus deinem Kopf kommen. An sich ist es logisch... wir hätten früher darauf kommen können.“

„Wovon redest du?!“, keuchte Tayson irgendwo und Karana sah erst Neisa, dann Iana dumm an.

„Ähm – häh?!“, machte er dabei konfus und Iana senkte die Brauen.

Sprich... Seherin.“, sagte sie, und ihre Stimme war nicht die von Iana. Yarek sah zu, wie sie sprach und mit Seherin keineswegs Ryanne zu meinen schien, sondern Neisa.

„Die Frau, die Manha fürchtet, war diejenige, die als erste von Kelars Geist in ihm wusste... ein Geheimnis, das sie mit ins Grab genommen hat, dafür hat Manha gesorgt... vor Jahren. Die Herrin der Kandayas hat deinem Vater, Iana, Kadhúrem gegeben... ist es da nicht nur logisch, dass ihre Seele sich Kadhúrems bemächtigen kann... um deinen Körper zu kontrollieren? Wir alle haben geglaubt, es wäre Saidah, der du ähnelst, aber dass Saidah zufällig auch ähnlich aussah, war nicht die Hauptsache. Viel interessanter... und Wille der Geister wird es sein, dass du, Iana Lynn, Akada, unweigerlich ein Teil von Nalani Kandaya bist... und ihr dann noch wie aus dem Gesicht geschnitten bist.“
 

Iana sah Neisa eine Weile schweigend an und fragte sich, ob sie jetzt erschrocken sein sollte – entsetzt? Verblüfft? Irritiert definitiv. Moment, sie sah gar nicht Saidah ähnlich, sondern Karanas Großmutter? Und Saidah sah nur zufällig auch so aus? Eigentlich war das das einzige, was sie in dem Moment ernsthaft umhaute, denn das andere war jetzt, wo Neisa es ausgesprochen hatte, wirklich logisch.

Sie hatte Kadhúrem, die Waffe von Puran Lyras Mutter, die diese ihrem Vater einst geschenkt hatte. Kadhúrem war ein Schattenschwert und wenn Iana es benutzte und Schatten zauberte... wenn sie diese Dinge tat, die nicht sie waren, dann war es nicht Iana, die agierte, sondern Nalani Lyra – die Herrin von Kadhúrem. Das war so offensichtlich und logisch, warum hatte sie das nicht früher vermutet?

„Es ist dein Mädchenname, du dumme Nuss, Akada. Iana Lynn.“

Die Seherin hatte sie ausgelacht und Iana runzelte die Stirn, als sie zu begreifen begann, was sie gemeint hatte. Ihr Mädchenname war Iana Lynn. Akada... der Kosename, den ihr Vater ihr gegeben hatte.

Verdammte Scheiße.

„Moment mal!“, rief Karana jetzt und zeigte auf Neisa, „Wie jetzt, Iana... ist vom Geist unserer Großmutter besessen?!“

„Nicht besessen, Nalani ist fähig, Ianas Körper zu kontrollieren durch Kadhúrem, aber nur zeitweilig. Das heißt, Iana bekommt ihre Fähigkeiten... und kann Zauber anwenden, die sie als Halbschamane nie können dürfte.“

„Und woher weißt du das so genau?!“, keuchte Karana, „Willst du mich veräppeln?! Nalani, Nalani, wie jetzt, häh?!“

„Du bist eben wie immer der Letzte, der es schnallt.“, sagte Iana zu ihrem Mann und er schnaufte.

„Du wusstest davon?!“

„Nein, aber es ergibt Sinn, denkst du nicht? Es ist mein Name. Mein Mädchenname... Iana Lynn, und Akada, mein Kosename. Es hat einen Grund, dass mein Vater mich so genannt hat, denke ich... Akada. Himmelskind... er muss gewusst haben, dass Kadhúrem das kann.“

„Wie, dein Name?!“, fauchte Karana und war sichtlich konfus – Neisa erhob sich, ließ mit einer Handbewegung einen Eissplitter in ihrer Hand erscheinen und wandte sich der Wand zu, an der sie gelehnt hatte. Iana sah zu, wie die andere Frau Schriftzeichen in die Wand ritzte mit dem Kristall, der vermutlich ein einfacher Eiszauber war, den jeder Schamane konnte. Als sie fertig war, trat Neisa zur Seite und zeigte auf die Schriftzeichen an der Wand.

„Dieselben Buchstaben.“, sagte sie und Iana wusste nicht, was die Zeichen bedeuteten; sie hatte nie lesen gelernt.

Krickelkrakel!“, schrie Ryanne aus ihrer Ecke und als Iana zu ihr sah, erschrocken über den Aufschrei, riss die Seherin sofort wieder den Kopf auf ihre Arme, um ihr Gesicht zu verbergen. Zweifelsohne hatte sie aber eben aufgesehen, als es niemand bemerkt hatte. „Kann ich nicht lesen, lalala!“ Niemand beachtete die dumme Seherin, stattdessen lagen alle Blicke auf Neisas Schriftzeichen.
 

IANALYNNAKADA

NALANIKANDAYA
 

„Ah, ich verstehe!“, sagte Simu erstaunt, „Wenn wir die Buchstaben Iana Lynn Akada in eine andere Reihenfolge bringen, kann man mit ihnen auch Nalani Kandaya schreiben. Neisa, das... hast du so schnell einfach gewusst?!“

„Nein, die Geister haben es mir gesagt.“, sagte die Heilerin, „Was ich mit allem sagen will... Manha fürchtet niemanden mehr als Nalani. Das hat er schon zu ihren Lebzeiten getan – deswegen hat er sie ja aus dem Weg geräumt. Wenn sich jemand vor einer Frau so fürchtet... hat er wohl Grund anzunehmen, dass sie ihm gefährlich werden könnte. Das heißt... wenn wir Manhas Geist zerschlagen wollen, muss Iana maßgeblich beteiligt daran sein.“

„Und ich?!“, empörte sich Karana, „Ich meine... w-war es nicht meine Aufgabe?“

Deine Aufgabe...“, schnarrte Neisa und Iana schauderte, weil sich die Stimme der Heilerin plötzlich wieder veränderte. „Und wirst du sie bewältigen... oder scheitern? Dieses Mal reichen... keine halben Sachen, Tabari. Dieses Mal kann ich nicht für dich den Rest erledigen... denn das Schicksal von Neisa ist ein anderes.

Die Tatsache, dass Neisa von sich selbst in der dritten Person sprach, wunderte Iana weniger als die Tatsache, dass sie sich gar nicht wunderte.

Die Geister... haben viel Einfluss auf uns alle. Und besonders... auf Karana und Neisa... wenn durch mich der Geist von Nalani spricht und Karana irgendwie genau wie Manha ein Teil von Kelar ist, ist Neisa auch irgendwer...

Die Geister antworteten Iana netterweise.
 

„Die Geliebte des Seelenfängers ist sie... Kelars Gemahlin, Salihah von den Ekala.“
 

Der Yirana-Nebel war ein Loch aus purer Bosheit. Es war ein Ort der Verdammnis, ein Ort, der sie alle um den Verstand bringen würde – es schien Karana, als würde die absolute Finsternis da draußen sich von allem Licht ernähren, das sie finden konnte, es ihnen absorbieren wie Mücken Blut saugten. Er konnte spüren, wie sie an ihm nagte, als er auf einem Korridor am Heck saß, gegen die Wand gelehnt, die Beine angezogen und die Hände ähnlich wie Ryanne in seine Haare gekrallt. Er konnte spüren, wie die Bosheit in jede seiner Poren drang, jede Faser seines Körpers schwarz färbte, jedes Glücksgefühl aus seinem Inneren saugte. Zurück blieb ein schwarzer Haufen Elend, so kam er sich vor, als er heftig ein und aus atmete und versuchte, auf das Wispern der Geister zu lauschen. Die Geister sprachen in Rätseln... er wollte es doch nur wissen, und sie lachten ihn die ganze Zeit aus. Er verfluchte sie und schlug mit einer Faust wutentbrannt gegen die Wand, an der er lehnte. Es gab ein blechernes Klong.

„Iana... Iana!“, blaffte er den leeren Korridor und die Geister in seinem Kopf an, „Dann ist es ihre Sache, Scharan zu töten?! Ich bin der Erbe... von Lyrien, oder?! Es ist meine Aufgabe... ich bin der einzige, der den Schatten gesehen und begriffen hat, ich bin nicht länger Manhas Spielzeug mit seinem scheißverdammten Fluchmal! Wieso... also?! Antwortet... werden wir scheitern?!“

Wir, fragte er... und meinte Ich.

Werde ich scheitern, Geister? Und wenn ich scheitere... wenn ich sterbe bei dem Versuch, die Aufgabe zu erfüllen... ist es dann Ianas Aufgabe?

Er wollte nicht sterben. Er war noch viel zu jung zum Sterben, verdammt... und er würde bald Vater werden. Er wollte das Gesicht seines Sohnes sehen, er wollte hören, wie er ihn zum ersten Mal Vati rief, er wollte sehen, wie er versuchte zu gehen. Er wollte seine Frau in den Armen halten und nie wieder loslassen, er wollte sich bei Neisa für alles entschuldigen, was er in der Vergangenheit so getan hatte. Er wollte seinem Vater sagen, wie sehr er ihn verehrte und liebte... er wollte so viel... irgendwie.

„Irgendwie... wird dir dieses Mal nicht helfen, Tabari.“

So sprachen die Geister und Karana stöhnte, als ein pochender Schmerz durch seinen Kopf fuhr. Wütend krallte er sich in seine Haare und kniff die Augen zusammen, um die Bosheit des Abgrunds auszublenden.

„Sprecht mit mir... bitte! Sagt mir... was ich tun soll! Was wir... tun sollen!“

Er vermisste seinen Vater, fiel ihm auf. Jetzt von Manhas boshaftem Einfluss befreit wusste er, wenn er auf sein Innerstes hörte, dass seine Eltern die ganze Zeit am Leben gewesen waren... es war Manhas giftige Zunge gewesen, die ihm das eingebläut hatte, allein dafür würde er ihn mit Sicherheit töten. Als die Geister doch noch antworteten, war es nicht ganz das, was er hatte hören wollen... aber besser als nichts.

„Bevor du geboren wurdest, gab es eine Vision, Karana. Eine Vision, die dein Vater... und seine Mutter beide zur selben Zeit hatten. Sie handelte von dir – und deiner Konfrontation mit Kelar, dem Tyrannen. Sie beide wussten, es würde Purans Sohn sein, der dem Schattendämon gegenüber stehen würde... eines Tages. Nur wie es ausgehen würde... waren sie verschiedener Meinung.“ Karana lauschte den Worten angespannt und spürte, dass etwas in seinem Inneren sich verkrampfte, weil der Schatten zu mächtig auf seine Seele drückte. Es war der verdammte Nebel... er machte ihn wahnsinnig, er machte ihn nervös und unsicher und er wusste plötzlich mit Gewissheit, dass er scheitern würde – plötzlich war das Wissen einfach da und er konnte nicht mal sagen, warum und woher es gekommen war.

Oder ob es auch Lüge war... so wie so vieles in seinem Leben.

„Was... waren ihre Ansichten?“, murmelte er, noch immer den Kopf in den Händen, und die Geister kicherten.

„Deine Großmutter war optimistisch. Sie hat gesagt, die Vision bedeutet, du würdest ihn erschlagen... den Schattendämon. Dein Vater... hat zeitlebens in seinem Inneren die panische Furcht gehegt, du würdest eins sein mit Kelar... und du wärst es, der die Vernichtung der Welt einleitet, indem du Kelars... Schatten bist. Er hat dich gehasst für diese Furcht, an der du schuld bist... er hat dich gehasst, wenn du Anzeichen von Ähnlichkeit mit dem Dämon gezeigt hast, erinnerst du dich, Karana? Es war die Liebe deiner Mutter zu ihrem ungeborenen Kind, die zugelassen hat, dass du geboren wirst... wäre es nach deinem Vater gegangen, wärst du... niemals am Leben gewesen.“

Die Geister hatten eine sadistische Art, mit sowas umzugehen, hatte Karana gelernt, und die Botschaft, die sie ihm überbrachten, hörte irgendwann in seinem Inneren auf, anzukommen.

Dein Vater hat dich gehasst.

Dein Vater wollte nicht, dass du je geboren wirst... weil du eins bist mit dem Schatten.

Das warf ein ganz neues Licht auf den Mann, dem Karana sein Leben verdankte, zu dem er sein Leben lang aufgesehen und den er wie einen Gott bewundert hatte... und das Bitterste war, Karana konnte ihn verstehen... wenn er so darüber nachdachte. Ja, war Vati nicht immer böse geworden, wenn er seine dunkle Ader ausgegraben hatte? Hatte Vati ihn nicht getadelt, wenn er herrisch und sadistisch gewesen war, wenn er gewollt hatte, dass alle am Boden zu seinen Füßen lagen?

War er denn etwa nicht genau das, wovor sein Vater solche Angst hatte... was nie hätte geboren werden dürfen?

Karana lachte dumm. Er war ein Idiot... er hätte die Bilder deutlicher sehen müssen... plötzlich war es alles so klar. Plötzlich ergab es einen Sinn... einfach alles, was er je getan hatte. Dass sich sein ganzes Leben nur deswegen so abgespielt hatte, damit er jetzt hier landete... hier, am Abgrund aller Abgründe, in der tiefsten Tiefe des Himmelsdonners, auf der Schneide seines eigenen Schicksals. Er war für das hier geboren worden... alles an ihm war nur so, wie es war, damit er seine Aufgabe erfüllen konnte.

Er war ein Teil der Sieben – und der Legende nach erschufen die Sieben eine Welt für sie alle. Der Legende nach verjagten die Sieben die Finsternis aus dem Abgrund. Seine Aufgabe war Manha... Kelars Geist, den er konfrontieren musste. Der junge Mann lachte immer noch leise vor sich hin, als er sich taumelnd erhob, plötzlich im Kopf so klar wie nie zuvor.

„Vater...“, murmelte er beklommen und grinste für sich, „Ich habe... endlich begriffen, warum du... immer so warst, wie du bist. Ich werde das tun... was ich tun soll, denn das ist mein Schicksal. Wenn es das ist... Manha zu konfrontieren und dabei zu sterben, dann sei es so. Aber... glaubt ja nicht, Geister, ich werde mich kampflos geschlagen geben!“ Er wusste plötzlich so genau, was er tun musste. Was er sagen musste... plötzlich war es einfach da – und die Finsternis des Yirana-Nebels rauschte an ihm vorbei und schadete nicht länger. „Ich bin Karana Lyra, Purans Sohn, Enkel von Tabari dem Windmeister, Thronerbe von Kisara, Erbe des Lyra-Clans! Ich habe... keine Angst vor dem, zu dem mich... die Geister gemacht haben! Höre mich... Vater!“
 

Eines Tages... werde ich dir ins Gesicht sehen und du wirst sagen... dass du stolz auf mich bist, Vater. Ob nun in dieser Welt... oder im Himmelsdonner.
 

Der Abgrund war genau das, was Yamuru erwartet hatte – ebenso waren es die Reaktionen der anderen Anwesenden auf ihn. Sie waren gereizt, nervös, aggressiv, und er selbst amüsierte sich königlich darüber. Wie Kanau genervt brummte, wenn man ihn ansprach. Wie Rok mehr fluchte und schimpfte denn je. Wie Turo gar nichts mehr sagte und nahezu traumatisiert in einer Ecke saß, die blauen Augen vor blankem Entsetzen geweitet. Wie Yatli wimmerte, während Manha ihn offenbar etwas gröber als sonst rannahm im Nebenzimmer; Yamuru wollte es nicht wissen. Manha hatte schlechte Laune, seit Kyeema tot war – dabei war er selbst es gewesen, der sie getötet hatte. Von der kleinen Lianerin war nichts übrig geblieben und Yamuru war sie völlig egal. Er stand am Fenster des Raums, in dem er mit den Schakalen hockte (abgesehen von Yatli), und wartete geduldig auf das Ende der Finsternis. Sie näherten sich dem Ziel... er konnte es spüren, weil die Reikyu es ihm sagte. Er lächelte... es fühlte sich gut an. Es machte ihn irgendwie euphorisch... denn wenn sie am Ziel waren, würde sich das Schicksal erfüllen, für das sie alle geboren waren. Auch seines...

Die Schatten riefen nach ihm.

„Hey! Yamuru! Bist du taub oder träumst du was Perverses?!“ Yamuru blinzelte, als es Rok war, der sich vor ihm aufgebaut hatte und ihn wütend anstarrte. „Was grinst du?!“, fauchte der Blonde und Yamuru lächelte weiter.

„Wir sind fast da.“

„Das kann man so gut sehen da draußen, meinst du?!“, schnaubte Rok, „Dass ich nicht lache!“

„Wenn du so weiter hier herum brüllst, bringe ich dich um!“, schrie Kanau ihn an und Rok meckerte, Yamuru grinste nur weiter und sah aus dem Fenster in den Abgrund. Es war ein schauderhaftes Gefühl...

„Kyeema war Manhas leibliche Tochter.“, murmelte Turo aus seiner Ecke, während Kanau und Rok zu streiten begannen, und der Zuyyaner sah den Kleineren schmunzelnd an. „Er weiß es immer noch nicht... oder?“

„Willst du es ihm sagen?“, feixte Yamuru in Turos Richtung, „Würde es etwas ändern? Ich denke, er hätte sie auch getötet, wenn er es gewusst hätte. Er ist der Dämon... und ich hätte ihn dazu gezwungen, wenn es nötig gewesen wäre.“ Der Heiler schenkte ihm einen apathischen Blick und der Zuyyaner fragte sich, ob er ahnte, dass er, Yamuru, Kyeemas Seele gelenkt hatte, sie gezwungen hatte, zu tun, was sie getan hatte. Es war Verschwendung gewesen... irgendwie. Aber es war ein Versuch gewesen. Dumm von ihm anzunehmen, er könnte sich herausnehmen, das Schicksal anderer zu erfüllen. Manha zu töten war nicht seine Aufgabe... seine Aufgabe war die Trias.

Seine Aufgabe war Ngurrha... seine Heimat, für die er kämpfen und sterben würde, wenn es sein müsste, denn als ihr letzter Erbe war er dazu verpflichtet.

Letzter Erbe... hmpf. Sieh mich an, Thira... meine hübsche Cousine. Würdest du um mich weinen... wenn ich fiele?

Vermutlich würde sie nicht... es war ihm gleich. Dann würde er eben nicht fallen. Nicht für Ngurrha... oder Ngnhana. Vielleicht würde Thira weinen, wenn er es für sie täte.

Er lächelte, als er aus dem Fenster sah.

„Sieh, Turo. Wir... sind da. Da hinten ist sie.“

„W-was?!“, keuchte Turo, und auch Rok und Kanau wurden jetzt aufmerksam und gesellten sich zu ihnen und dem Fenster. In der Schwärze des Abgrunds war Licht aufgetaucht – es war so dunkel und schwach, dass es kaum wahrnehmbar war, und Yamuru bezweifelte, dass die Schamanen viel sehen würden – er konnte sie deutlich ausmachen in den Schatten, die Landeplattform und die riesige, Kugelförmige Maschine, auf die sie zuhielten – und die Tari Randora, die ihnen ein gutes Stück voraus war und zuerst landen würde.

„Ich sehe gar nichts!“, schnaubte Turo, „W-wie soll denn der Pilot was sehen?!“

„Die Reikyu wird ihm helfen.“, sagte Yamuru, „Sonst tue ich es... ich sehe sie deutlich. Wir sind da... dann wird sich unser aller Schicksal also entscheiden.“
 


 

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Yeeaaaahh wir steuern endlich auf den Endkampf zu! Mann, das ist aber auch alles so theatralisch hier... immer diese dramatischen "..." mitten in den Sätzen. Und hey, Eneela und Simu hatten eine Kussszene? Wow. Und haben wir jetzt also mal offiziell von jedem Charakter den Helfenden Elf Geist vorgestellt? Ne, es wurde nicht offiziell erklärt, dass Karana Tabari ist. Aber ja, öh, er ist Tabari. Ich mag Tabari. Der aussieht wie Minato.... lol. Und irgendwie ist diese ganze geistersache echt weird. Ich meine, MICH würde es mega ancreepen wenn ich erfahre dass ich vom Geist meiner Oma gelenkt werde und auf einen Kerl stehe, der den Geist meines Opas trägt... ich meine...... eew? Ja, also, das ist nichts neues in Fm, aber... eew? o_o' Irgendwie waren die Originale, also die die jetzt Geister sind, aber sehr viel epischer als diese Spaddel hier. Ich vermisse Tabari irgendwie, er war so ein Geilo o,o

Schicksalsgeister

Es war dunkel und sie konnte nichts sehen. Das ärgerte sie, sie wusste aber nicht, warum. Warum war sie der Meinung, sonst mehr zu sehen? Sie starrte auf ihre eigenen Hände vor ihren violetten Augen und fragte sich, ob sie mehr als das sehen sollte – wenn ja, tat sie es definitiv nicht.

Sie wollte Sand. Sie wollte nach Hause... sie wusste weder, wo sie hier war, noch, warum eigentlich – und auch nicht, was sie hätte sehen sollen, aber nicht konnte. Ihr Kopf schmerzte; es hämmerte darin, als würde jemand ihr Gehirn zu einer Sandburg zurecht klopfen wollen, und keuchend fasste sie sich an den Kopf und vergrub das Gesicht in ihren angezogenen Knien. Der Boden, auf dem sie saß, fühlte sich falsch an... aber das Vibrieren hatte aufgehört. Es war so eiskalt hier... und dunkel. Sie hatte Angst, wusste aber nicht wovor.

Es war still geworden vor einer Weile – oder war es länger her? Vielleicht waren es schon Tage, oder Jahre, Ryanne wusste es nicht.

Ryanne... war das ihr Name? Das war ihr Name, sie war sicher, aber was sie hier sollte, wusste sie nicht; das wäre hilfreicher gewesen.

Jemand kam. Sie wusste nicht, wer, und als sie nackte Füße sah, die direkt vor ihr stehen blieben, wusste sie nicht, wie das Mädchen hieß, das die merkwürdig rötlichen Haarspitzen hatte. Eigentlich wusste sie bei kaum jemandem, wie er überhaupt hieß oder was er hier sollte. Oder was sie hier sollte.

„S-Seherin...? Wie lange willst du da noch sitzen?“, stammelte das junge Mädchen vor ihr und Ryanne zischte. Dumme Stimme, zu naiv, zu schwach. Moment, was dachte sie da? Woher kamen diese Gedanken? Ihr Arm schmerzte höllisch und sie verstand nicht warum.

Seherin, sagten sie oft. Wer war denn das? Sie? Sie war keine Seherin, sie sah doch gar nichts.

„So lange, bis ich tot bin!“, fauchte sie das Mädchen an und es fuhr wimmernd zurück. Lachhaft und dumm. „Mir ist kalt und ich habe keinen Sand, das ist der Tod, jawohl!“, meckerte sie weiter und hörte das Mädchen keuchen. Irgendetwas sollte sie wissen, dachte sie, sie wusste aber nicht was. Irgendetwas sollte in ihrem Kopf sein, das sie jetzt sagen sollte... aber da war gar nichts, nur Dunkelheit. In ihrem Inneren pochte es und sie kauerte sich fluchend noch mehr zusammen, als sie hörte, wie das Mädchen weglief.

„Ich hole dir eine Decke... v-vielleicht wird dir dann warm!“, sagte sie dabei, aber Ryanne antwortete nicht. In ihrem Kopf pochte es und ihr Arm schmerzte und irgendetwas war, was sie wissen sollte, etwas, wovon viel abhing... aber sie kam einfach nicht drauf.

„Erinnerungen... wolltest du haben, dumme Kuh.“

„Häh?! W-wer war das?!“, schrie sie und fuhr mit dem Kopf hoch, als sie plötzlich Stimmen hörte. Da war aber keiner – das komische Mädchen war weggelaufen, in den hinteren Teil des Schiffs, und außer ihr war sonst nur der schwarzhaarige Typ vom Steuer an Bord – die anderen waren weggegangen und deshalb war es ruhig. Wer sprach also? „Wer?!“, fragte sie laut, „Antwortet!“

„Sieh auf deinen Arm, der wehtut.“ Wie jetzt? Wer sprach? Ryanne rappelte sich keuchend auf die Beine und strauchelte, als ihr schwindelte. Sie wusste nicht, warum sie dem Rat folgte und auf ihren Arm sah... verblüfft stellte sie fest, dass sie bisher nie auf den Gedanken gekommen war, ihn anzusehen und sich zu fragen, warum er schmerzte.

Da waren Schriftzeichen in ihrem Fleisch. Es waren fannische Buchstaben... sie wusste nicht, woher sie kamen, aber als sie den Arm hob und auf die Zeichen starrte, wusste sie plötzlich genau, warum sie hier war... und was sie zu tun hatte.
 

Nimm dir seine verdammte Seele.
 

Viel weiter denken konnte sie nicht, denn in dem Moment gab es ein Donnern von oben und dann eine Erschütterung von solchem Ausmaß, dass sie Ryanne zu Boden schleuderte, und es wurde schwarz.
 

Die Trias war von außen eine Kugel; eine gigantisch große Kugel, und Thira hatte sich, obwohl sie zuvor bereits Bilder in der Reikyu von ihr gesehen hatte, nicht ausmalen können, wie groß sie war... sie war riesig. Es gab einen kleinen Landeplatz, auf dem sie die Tari Randora abgestellt hatten, und während die ohnehin nicht zurechnungsfähige Ryanne mit Tayson und Asta zurückgeblieben war, waren alle anderen hinaus gegangen, um die Maschine zu betrachten, die sie so lange gesucht hatten. Das Gefühl von Schatten und Bosheit war überall und Thira fröstelte, als sie mit Hilfe ihrer Reikyu die versiegelte Tür öffnete, die ins Innere der Kugel führte. Sie war riesig... alles war riesig. Aus was genau die Trias bestand, konnte sie nicht sagen... und erst recht nicht, wie sie einen Planeten erschaffen können sollte.

„Das... ist sie?!“, keuchte Neisa irgendwo und die Zuyyanerin eilte zielstrebig ins Innere, die Reikyu über ihrer Hand, und versuchte, die Schatten auszublenden, die sie zu besitzen versuchten, seit sie den Yirana-Nebel erreicht hatten... den Unort, den Abgrund aller Abgründe. Es war, als wäre die Luft voller Pech und es triefte in ihre Seele, mit jedem Atemzug, den sie tat, mit jedem Moment, den sie hier war, und es war kalt.

Sie fröstelte... sie als Erbin eines Eisclans sollte Kälte mehr gewohnt sein, dachte sie sich, als sie stehen blieb und sich umsah, die ganze Bagage hinter sich. Sie konnte nicht sprechen... sie konnte kaum atmen, weil die Finsternis ihr die Luft abschnürte, weil dieses böse Gefühl, das hier alles durchdrang, jede Pore penetrierte, jede Faser ihres Körpers verseuchte, und ein Schauer lief durch ihren Körper... es war Yarek, der sprach und die angespannte Stille brach.

„Beeindruckendes Bauwerk. Und wie setzen wir sie in Gang?“

„D-das ist alles, was du zu sagen hast?!“, empörte sich Eneela irgendwo, „Das ist... ich habe sowas noch nie gesehen!“ Thira konnte ihr nur zustimmen. Das Innere der Kugel war wie ein gigantisches Labyrinth aus Licht und Schatten und Treppen, die ins Nichts führten; was genau das hier war, konnte sie nicht bestimmen, es war irgendwie surreal, als wäre nichts hiervon etwas, was man anfassen könnte, als wären sie hier gefangen in einem riesigen, schlimmen Traum voller Macht und Abartigkeit. Sie schnappte nach Luft, als sie sich zwang, vorwärts zu gehen – worauf ging sie? War das hier wirklich echt? Die Treppe, die sie erreichte, fühlte sich als einzige wirklich an... sie war echt, sie ließ sich anfassen, bei allem anderen um sie herum war Thira sich nicht sicher.

Und es war groß... viel zu groß für sie kleine Sterbliche.

Die Treppe führte sie hinauf auf eine Plattform mit Geräten. Während die anderen hinter ihr standen und sich umsahen, war Thira ziemlich schnell klar, was sie zu tun hätte.

„Die Batterie.“, sagte sie, „Die Batterie der Tari Randora, wir müssen sie hier in das Gerät einfügen und da drüben den Hebel ziehen, das setzt sie in Gang. Es ist ganz einfach... wir haben nur keine Zeit.“ Sie wollte zurück zur Treppe gehen, da war es abermals Yarek, völlig rational, der sie aufhielt.

„Wie kommen wir zur Zuyya zurück, wenn die Antriebskraft der Tari Randora hierfür verbraucht wird?“

Das war eine berechtigte Frage, schoss es ihr in den Kopf, in dem sich die Schwärze zu einer dicken, undurchdringlichen Masse verfestigte. Etwas pochte und sie spürte plötzlich, dass Gefahr drohte – sie kam näher, und spontan waren ihre Gedanken bei Yamuru, den sie eine schmerzlich lange Zeit nicht mehr gesehen hatte... verdammt, was dachte sie da? Als ob sie ihn vermissen würde, diesen Verräter, der sie alle ans Messer liefern würde...

Sie würde ihn töten. Vielleicht...

„Würdest du sterben trotz deines Versprechens an Ngnhana, zu überleben, Yamuru?“
 

„Manchmal liegt diese Entscheidung nicht in unserer Hand.“
 

„Es... gibt eine Rettungskapsel.“, sagte die Zuyyanerin mit dünner Stimme zu Yarek, der sie einfach nur ansah und als einziger nicht so vom Schatten besessen zu sein schien wie alle anderen. Er war Nichtmagier... auf ihn hatte der Unort keinen Einfluss. „Sie wurde extra dafür konstruiert, wir werden mit der Rettungskapsel zurückfliegen.“

„Und die ist groß genug, dass da alle, die auf Zuyya übrig geblieben sind, reinpassen?“, fragte Yarek skeptisch; Thira hatte für seine Fragen gerade keinen Kopf. Etwas näherte sich – schnell. Und der Tod und der Schatten in ihrer Seele wurden mächtiger, als sie instinktiv auf der Plattform herumfuhr in die Richtung eines weiteren Hebels, den sie mit einer simplen Handbewegung betätigte. Die anderen fuhren zurück, als in allem surrealen Licht und Schatten der Trias eine Tür neben der Plattform aufging – wenn es eine echte Tür war, vielleicht war es nur ein Loch aus... irgendwas. Hinter dem Loch erblickten sie die Rettungskapsel... oder das, was sie nur sein konnte, denn eine andere Möglichkeit gab es nicht. Und Thira sah das Ding an, das sich da vor ihnen auftat, und konnte nur starren, während die Finsternis überall war und in ihr pochte und schmerzte.

Neisa sprach.

„Das... soll alle auf Zuyya transportieren? Das trägt doch keine vier Dutzend Menschen! Ist das wirklich alles, Thira?!“

Sie war zu klein. Die Rettungskapsel war im Verhältnis zur Trias oder auch zur Tari Randora, mit der sie gekommen waren, winzig – Neisa hatte recht, und sie war nicht die einzige. Das war der Moment, in dem Thira vor der viel zu kleinen Rettungskapsel stand und wusste, was Yamuru gemeint hatte mit dem wahren Zweck der Trias.

Sie... war nie dafür gedacht, so viele Leute zu tragen, die Kapsel. Es ging nur... um die Himmelclans. Oder vielleicht nur die Elite derer... es ging die ganze, verdammte Zeit nur um die Himmelclans.

Sie keuchte, weil die Erkenntnis sie traf wie ein Donnerschlag. Als sie Neisas Blick konfrontierte, spürte sie durch alle Schatten, dass die Heilerin genau wusste, was in ihr vorging... sie wusste Bescheid. In Karanas Blick war es auch, in Zoras' Blick, sogar in Yareks Augen war es, und sie alle standen da und wussten, dass diese Kapsel keinen von ihnen retten würde.

„Wie...wieso?!“, schrie Karana dann auf und fuchtelte mit den Fäusten, „Das kann doch nicht sein, wozu sind wir die Sieben, wenn wir jetzt, wo wir endlich da sind, scheitern?! Das kann nicht sein, wir müssen etwas übersehen haben!“

„Tod... und Schatten, Karana!“, blaffte Zoras ihn scheinbar ohne Zusammenhang an und Thira wirbelte herum, denn er hatte recht – seine Worte bezogen sich nicht auf Karana, sondern auf das Geräusch, das sie unmittelbar danach von draußen hörten; ein ohrenbetäubendes Krachen und ein schrilles Quietschen, wie wenn man Metall gegen Metall rieb. Kräftig, mit viel Druck... als sei ein großer Haufen Metall auf einen anderen Haufen Metall geknallt.

„Manha!“, sprach Yarek es aus, zog seine Masamune und war schon die Treppe wieder unten, ehe ihn jemand aufhalten konnte. Die anderen rannten ihm nach – Thira blieb, wo sie war, und starrte auf die nutzlose Rettungskapsel, auf die Plattform, auf der sie stand, auf das unwirkliche Lichtspiel in der Trias – dieser Kugel, die eine Welt erschaffen konnte.

Sie brauchte die Batterie der Tari Randora. Sie sollte sich bewegen... sie wusste das und konnte dennoch nicht. In ihrem Inneren pochte der Schatten des Unorts... er rief nach ihr und wollte, dass sie starb.

Schritte. Thira drehte sich nicht um, denn sie wusste genau, wer kam. Als er hinter ihr stand und sie die Hitze seines Atems in ihrem Nacken spüren konnte, bekam sie eine Gänsehaut... und es war nicht aus Furcht, sondern vor Euphorie darüber, dass er da war...

Sie war bescheuert.

„Yamuru...“, wisperte sie seinen Namen, und sie spürte seine Hand an ihren grünen Haare, an ihrem Nacken, seine Lippen an ihrem Ohrläppchen, und sie begehrte ihn so sehr, dass sie errötete.

„Wo ist sie?“, schnarrte er ihr ins Ohr, als er sie von hinten umarmte und seine Finger spielerisch über ihren Unterbauch glitten. Sie wollte nicht schwach sein und war es dennoch... und sie konnte gar nichts dagegen tun. Ihre Knie bebten.

„Wo ist wer?“

„Die Batterie, Dummchen. Ohne sie läuft der Laden hier nicht...“ Er küsste ihr Ohr und sie schauderte.

„Sie ist noch in der Tari Randora, wir haben... sie da gelassen. Wir wollten erst mal nur... alles erkunden...“

„Dann haben wir ein Problem.“, flötete Yamuru, „Denn wenn wir Pech haben, hat Manha die Batterie gerade zu Püree gemacht, als er sein Schiff direkt auf eures gekracht hat... das wäre wahrlich zum Heulen.“

Jetzt verstand sie, warum Zoras Tod und Schatten gesagt hatte... sie fuhr herum und starrte ihren Cousin geistesabwesend an.

Was... hast du da gesagt?!“

„Gehen wir nachsehen. Ohne die Batterie können wir uns gleich in unsere Schwerter stürzen.“ Und er nahm ihre Hand und sie ließ es zu... in ihrem Kopf war so viel Schatten. Eine unheilvolle Vorahnung, dass es zu viel Tod geben würde...

Sie hatte zum ersten Mal in ihrem Leben panische Angst... und wusste nicht mal genau, wovor sie sich fürchtete.
 

„Verdammte Scheiße!“, rief Yarek ungehalten, als er vor dem Schrotthaufen stehen blieb, der mal die Tari Randora gewesen war, auf der jetzt Scharans Schiff stand, als hätte es alles recht dazu. Was dachten diese Spinner sich, auf ihrem Schiff zu landen?

„Tayson! Oh mein Himmel, Tayson, Asta und Ryanne waren noch da drin!“, schrie Simu hysterisch und rannte vor, ehe Yarek ihn aufhalten konnte, um irgendwie in den Schrotthaufen zu krabbeln. Die zerstörte Elektronik blitzte und zischte und der Rothaarige brüllte Simu nach, er solle weg von da kommen – verdammt, der würde sich einen tödlichen Schlag holen! Fluchend setzte er ihm nach, allein um den blonden Kerl besorgt und weniger um Tayson, Asta und die Seherin – verdammt, war ihm doch egal, aber die Sieben durften jetzt nicht krepieren!

„Simu – Simu, warte! Du kannst denen nicht helfen, weg von da!“, fuhr er seinen Schützling an, aber er wurde ignoriert, kaum einen Moment später rannte Eneela an ihm vorbei, absolut fern jeden Verstands und jeder Scheu, die sie doch sonst besaß, Simu hinterher. Er wurde durch ein neuerliches Donnern von oben unterbrochen, das aber nicht aus der kaputten Tari Randora stammte – als er herum fuhr, bekam er gerade noch Zeit, seine Waffe empor zu reißen und damit Yatlis Pflanzenranken zu zerhacken, die ihn beinahe erwischt und zerquetscht hätten. „Auch das noch.“, stöhnte der Söldner und versuchte irgendwie die Sieben im Auge zu behalten, was sich als völlig unmöglich erwies. Die Welt versank im Chaos und plötzlich waren überall um ihn herum Zauber aller Elemente, überall ertönte Kampfgebrüll und das Klirren aneinander schlagender Metallwaffen. Yarek fluchte. Er hatte es so satt... das alles. Er hoffte, er würde hier entweder sterben oder zumindest danach niemals wieder einen Krieg erleben, denn davon hatte er echt genug gehabt in seinem Leben. Seit er sieben war, hatte er nur von und im Krieg gelebt, er hatte sein Leben lang nichts anderes getan als zu kämpfen, als hätten die Geister dafür gesorgt, dass er nur zu diesem einen Zweck geboren worden war...

Vielleicht war es so.

Konzentriere dich... befahl er sich grimmig und zerschlug eine weitere Ranke, blockte irgendein heran sausendes Messer und versuchte, sich zur Tari Randora durchzuschlagen. Simu und Eneela waren verschwunden. Wie sie reingekommen waren, wusste Yarek nicht, aber sie mussten irgendwie da drinnen sein – der Schrotthaufen hatte ein von Ranken aufgehaltenes schwarzes Loch in der Seite. Eneelas Erdlian Urak, vermutete er, und er hechtete auf das Loch im Haufen zu – beinahe hätte er Tayson erschlagen, der darin auftauchte, bis auf einige Beulen, Blutergüsse und Kratzer unversehrt.

„Scheiße, Yarek!“, schrie der Mann ihn an, „D-die sind auf uns gelandet!“

„Unübersehbar, was zum Geier hast du hier verloren?! Wo sind Eneela und Simu?!“

„Asta ist verschollen!“, jammerte Tayson zurück, „S-sie war im Heck und jetzt ist sie weg, kein Lebenszeichen! Die Seherin ist auch weg, aber keine Ahnung-...“

„Gut, vergiss es! Bring dich irgendwo in Sicherheit, aber zuerst machst du dich nützlich und holst Simu und Eneela da wieder raus!“, schrie Yarek, fuhr herum und entkam so gerade eben noch einem Feuerschwall von Kanau, den dieser nach ihm warf. „Ist mir egal, was mit Asta ist, tut mir leid für sie, aber das ist nicht meine Sache! Rette sie, wenn du musst, aber ich muss hier arbeiten!“

„Wie soll ich sie retten, keiner kommt ans Heck!“, schrie Tayson, „E-es ist völlig Mus, da ist nichts übrig, verdammte Scheiße!“

„Das ist ungünstig!“, hörte Yarek plötzlich eine bekannte Stimme hinter sich und als er sich umdrehte, waren hinter ihm Thira und Yamuru. Dass sie zusammen kamen, sagte genügend aus und der Rothaarige hatte keine Lust oder Zeit, darüber Worte zu verlieren. „Denn genau da müssen wir eigentlich hin... denn am Heck sitzt die Batterie.“, erläuterte der Violetthaarige da und sein linkes, totes Auge hatte ein seltsames Glühen. Yarek tauschte einen Blick mit Tayson, der erbleichte.

„Oh Scheiße...“, stammelte Letzterer und der Söldner trat zur Seite.

„Wie immer ihr da rein kommt ist mir einerlei, Thira. Holt die Batterie, wenn sie noch ganz ist, sonst können wir auch gleich das Handtuch werfen. Nicht nur, dass wir kein Schiff haben, mit dem wir zurückfahren können, ohne Batterie geht nichts hier.“

„K-kein Schiff, wie?!“, keuchte Tayson und Yamuru schnaubte, drängelte sich forsch an ihm vorbei durch das Loch ins Innere der Tari Randora und sah über die Schulter zurück.

„Gibt genug Schiffe hier, über eurem ist doch noch eins.“, schnarrte er und war dann weg. Thira fluchte und setzte ihm nach, gefolgt von Tayson, und Yarek blieb zurück.

Vermutlich würden sie alle krepieren. Na ja, was sollte es, dachte der Mann sich und sah sich Kanau Nomae gegenüber, der die Hände kampfbereit erhoben hatte und in ihnen bereits Flammen entstehen ließ.

„Es hieß in allen Visionen, das hier wäre das Ende von allem... dann werden wir sehen, wer hier sterben und wer leben wird.“, schnarrte der Schamane vor ihm und Yarek zog an seiner Kippe, die Masamune erhoben, wie ein Fels in der Brandung, während um sie herum das Inferno aus Kämpfen um Leben und Tod brannte. Yarek hatte keine Angst vor Kämpfen... er verabscheute sie nur. Und dennoch waren sie Teil seines Lebens, solange er denken konnte.
 

„Was machst du, wenn du deine Aufgabe erfüllt hast, Yarek Liaron?“, hatte Ryanne ihn einst gefragt... er hatte keine Antwort darauf.
 

„Vermutlich wird es dein Ende, Kanau.“, sagte er zu dem anderen Rothaarigen, ehe er den Rest seiner Kippe zu Boden fallen ließ und seine Waffe erhob. „Zumindest, wenn ich nicht unterbrochen werde; wenn ich mit dir fertig bin, wirst du das Ende kennen.“
 

Die Seherin war verschollen – Simu war die Seherin im Moment verblüffend egal, denn er traute ihr eher zu, erstaunlicherweise noch zu leben, obwohl das verdammte Schiff von Manha auf die Tari Randora geknallt war, als doof krepiert zu sein. Sie war Ryanne, sie war unzerstörbar, oder so. Er fragte sich, ob mit seinem Kopf alles in Ordnung war, dass Asta ihm auch völlig gleichgültig war, während Tayson ihm ins Ohr brüllte, er wüsste nicht, wo sie wäre und ob sie das überlebt hätte – das einzige, wovon ihr aller Leben abhing, selbst Astas, falls das noch existierte, war die verdammte Batterie.

Sie kamen nicht in den hinteren Teil des Schiffs, denn der war blockiert von der eingekrachten Decke mitten im Korridor, durch die die Unterseite von Manhas Schiff lugte. Simu fand sich nebst der panisch wimmernden Eneela und dem hysterischen Tayson zusammen mit Thira und Yamuru vor einem Haufen Metallschrott und keiner kam weiter. Von draußen ertönte donnerndes Krachen und das Zischen von Blitzen, die Geräusche von aufeinander knallenden Naturgewalten aller Art.

„Wir könnten uns hier durch säbeln mit ein wenig Eis.“, sagte Yamuru trocken und sah auf die Blockade aus Schrott vor ihnen, „Dummerweise wird dann das Schiff da oben gänzlich herunter krachen und dann sind wir alle Mus-...“ Er wurde unterbrochen, denn plötzlich ertönte irgendwo hinter der Schrottblockade eine dünne, verstörte Stimme, die Simu herumfahren ließ.

„S-seid ihr das, Tayson...?! B-bitte helft mir, ich komme hier... nicht raus!“

„Asta!“, machte Tayson verdutzt und sprang auf den Boden, legte sich hin und deutete auf den Schrott. „Hey, h-hier ist eine handbreite Lücke, ich kann sie sehen! Asta! Passt du da durch?!“

„So dünn ist niemand, nicht mal die.“, schnarrte Thira und hockte sich ebenfalls hin, um wie Tayson unter dem Müll durch zu sehen. Simu tat es ihnen gleich – tatsächlich, da hinten war Asta. Zerkratzt, aber am Leben, und die junge Frau weinte vor Freude darüber, dass man sie sehen konnte, wie es schien. Der Blonde keuchte.

„Kommst du an die Batterie?!“, fragte er sie, ehe er sich aufhalten konnte, „Die muss hinten am Heck sein, von uns kommt da gerade keiner hin durch den Schrott – wenn du ankommst, kannst du sie unter dem Müll hier durch rollen...“

„W-wartet!“, japste Asta, „Ich versuche es mal, wartet! Lauft nicht fort!“ Als ob sie weggelaufen wären, dachte Simu angespannt und er spürte, dass Yamuru ihn verblüfft anstarrte, als er sich erhob und ein ohrenbetäubendes Krachen sie alle zusammenfahren ließ. Ein Beben erschütterte die Tari Randora und es knarrte blechern, weil Manhas Schiff sich noch mehr in das vernichtete Deck und die ganze Oberseite bohrte. Asta schrie irgendwo.

„Und da haben sie immer gesagt, du seist sanft wie ein Lamm.“, feixte Yamuru in seine Richtung und Simu umklammerte sein Tsukibo, ohne den Zuyyaner groß anzusehen, dessen Worte ihm einen Knoten im Hals verschafften. „Übelster Pragmatiker, hmm? Bist eben doch der Sohn eines Zuyyaners.“

Der Gedanke war nicht so verstörend, wie Simu gedacht hatte... diese Tatsache fand er eigentlich viel verstörender. Warum machte es ihm plötzlich nichts mehr aus, zur Hälfte Zuyyaner zu sein? Einer von diesen gewissenlosen, pragmatischen Eisklötzen ohne Seele?

Falsch... niemand hat keine Seele, nicht mal Zuyyaner. Wer keine Seele hat, ist ein Stein... irgendwie.

Ein neuerliches Beben erschütterte die Reste der Tari Randora und Simu keuchte, als Eneela gegen ihn prallte und sich plötzlich unmittelbar neben ihnen ein Feuerstrahl durch die Wand bohrte und sie alle beinahe geröstet hätte. Simu fluchte und fuhr herum – verdammt, sie durften keine Zeit verlieren! Sie mussten da raus und ihren Kameraden helfen, die Gegner waren viele... ein Schatten drückte auf Simus Seele, als der Mann sich umdrehte und zu Thira sah, während von hinter dem Schrotthaufen Asta rief.

„Du kümmerst dich um die Batterie, Thira.“, befahl er ihr, „Die Trias zu aktivieren ist etwas, was außer dir niemand können wird von uns. Tu es also... wir halten dir solange den Rücken frei. - Tayson! Rette Asta, wenn du kannst, aber mischt euch auf gar keinen Fall da draußen ein! Die Schicksale von uns allen sind... bereits geknüpft worden, bevor wir geboren oder gar gezeugt worden sind... und das Schicksal der Sieben ist auf eine Weise verbunden mit dem der Niemande, die... deines nun einmal nicht hat. Pass auf dich auf, mein Freund.“ Tayson sah ihn blöd an, aber Simu hatte keine Zeit mehr für Abschiede, als er zusammen mit der kreidebleichen Eneela hinaus rannte auf die Landeplattform, auf der sich die anderen bereits bekämpften.

Sie waren hier am Ende aller Dinge... vielleicht würde niemand von ihnen überleben. Der Schatten drückte auf seine Seele und er wusste nicht genau, warum... Dinge, die kamen, würden nicht schön sein.

Als erstes begegneten ihnen draußen Karana und Iana, die auf dem Weg zu Scharans Schiff waren. Simu blieb stehen und sah seinen Bruder an, der nicht sein leiblicher Bruder war, und Karana hielt ebenso inne und starrte mit seinem einen, heilen Auge zurück, ehe er vor Simu den Kopf neigte.

„Tod und Schatten, Bruder.“, wünschte Karana ihm mit einem Grinsen, das nicht im Entferntesten von Schatten oder dem Dämon oder Manhas Einfluss sprach... er war in diesem einen Moment so ganz und gar Karana, dass Simu beinahe gelächelt hätte, hätte er nicht noch andere Sorgen gehabt.

„Nicht für uns, Karana... für die anderen.“, war alles, was er erwiderte, ehe er die beiden passieren ließ und gemeinsam mit Eneela auf das Inferno aus Magie und Waffen zu rannte. Weit kamen sie nicht, denn schon kurz darauf war ihnen Yatli im Weg, der mit seinen Ranken nach ihnen beiden warf und offenbar Karana und Iana verfolgt hatte. Simu zerschlug die Ranken mit seinem Tsukibo und schob Eneela instinktiv hinter sich, obwohl er wusste, dass sie fähig war, sich alleine zu wehren.

„Verschwinde von hier, Eneela!“, rief er ihr zu, „Den Kerl übernehme ich, geh du Neisa mit dem Heilertypen helfen, die wird dich mehr brauchen als ich.“

„Aber ich kann-... Simu!“, kreischte Eneela und er fuhr nach vorne, als Yatlis Ranken abermals auf ihn zu schossen und er mit einem etwas wackeligen Sprung in die Luft den meisten entkam – eine packte sein Fußgelenk und zerrte ihn in die Luft, ehe er sie mit dem Tsukibo zerschlug und wieder zu Boden stürzte. Er wollte Eneela anschreien, sie sollte verschwinden, aber von der Seite wurden sie samt Yatlis Ranken beinahe von einem Schwall glühender Lava überspült, der aus dem Nichts kam, und irgendetwas am Boden ging zwischen ihm und Eneela in Flammen auf und trennte sie voneinander. Simu keuchte. Das musste Kanau sein, und irgendwo hörte er Yareks Stimme und Eneelas Fiepen. Yatli forderte seine Aufmerksamkeit zurück und der Blonde schlug nach den neuen Ranken, die auf ihn zu sausten und ihn getötet hätten, wäre er nicht wieder ausgewichen. Sein Ausweichmanöver rettete ihn allerdings nur kurz, denn beim nächsten Schlag seines Gegners packten ihn die Ranken und fesselten ihn, rissen ihn in die Luft und ließen ihn da hängen, über Kopf, und zurrten sich mit jedem Atemzug fester und schmerzhafter um seine Glieder und seinen Rumpf. Simu japste und fixierte Yatlis Gesicht, so voller Zorn und Abscheu... dieser kleine Typ da unten sah so hasserfüllt aus, dabei hatte er, Simu, ihm nie etwas ernsthaftes getan. Er fragte sich, wie viel Seele diese Niemande noch übrig hatten, dass sie Manha so blind folgten und in ihr eigenes Verderben rannten... viel konnte es nicht sein.

„Ich räche mich jetzt für den Finger, den du mir abgehackt hast, du Elender!“, schnaubte Yatli unter ihm und ließ die Ranken sich fester zusammenziehen. „Ich bring dich verdammt noch mal um, das kann ich auch mit neun Fingern! Ihr verdammten Zuyyanerschweine… ich hasse euch!“ Simu klammerte sich an sein Tsukibo und versuchte, sich seelisch fallen zu lassen, während die Ranken seinen Körper immer weiter umschlangen. Sie schnürten seine Beine zusammen, umfassten seinen Rumpf und krochen hinauf zu seiner Brust.

Ja, er stammte vom zuyyanischen Volk ab. Es war das erste Mal, hier am Ende aller Enden, dass er sich dessen nicht schämte... es vermachte ihm Seelenkontrolle auf eine Art, die nur Zuyyaner beherrschten... er würde hier nicht sterben, schwor er sich verbiestert und verhärtete sein Herz gegen das, was er tun müsste... er war kein gewaltsamer Mensch.

„Ihr... tut mir leid... wenn ihr nichts in euch übrig habt als Hass auf irgendetwas... das ihr selbst kaum begreifen könnt. Wie kaputt... hat Ulan Manha euch gemacht? Ihr seid... erbärmlich, Yatli.“

Mehr musste er nicht sagen... er konnte ihm in die vor Panik und Hass geweiteten Augen starren, in denen keine Seele mehr war, sondern nur Blindheit, die Manha ihnen eingeprügelt hatte... er konnte Yatlis Seele befehlen, er könnte sie aufessen, wenn er wollte, und er befahl ihr, die Ranken zu lockern, damit er das Tsukibo losreißen und sich selbst befreien konnte. Mit einem Poltern landete er wieder auf der Plattform und sprang hoch, die Seelenkontrolle wieder lösend. „Fürchtest du dich?“, fragte er grimmig, „Das solltest du jedenfalls.“ Er fuhr herum und schmetterte die Klinge des Tsukibos herunter auf seinen Gegner – und der Schlag hätte jeden Schädel zerspalten, wäre Yatli nicht rechtzeitig ausgewichen und hätte erneut mit Ranken nach Simu geworfen, denen er ausweichen musste. Verdammt, es war nicht einfach, ihn zu erwischen, Yatli war schnell… der Blonde zog das Tsukibo aus dem Metall des Bodens, in das er es gerammt hatte, um gerade rechtzeitig noch mehr Ranken auszuweichen; jetzt waren sie größer und trugen mächtige Dornen, was Simu kurz stutzen ließ. Offenbar zog sein Gegner in blinder Panik nach dem Vorgeschmack der zuyyanischen, bestialischen Seelenmagie jetzt alle Register, um irgendetwas zu tun, ihn irgendwie zu ermorden, egal wie.

Simu wollte, dass es aufhörte... es sollte vorbei sein.

Die nächste Ranke packte seinen rechten Arm und er schrie auf, als sie ihn umschlang und sich die spitzen Dornen in sein Fleisch bohrten. Er taumelte und spürte sofort einen mächtigen Schmerz durch seinen Körper strömen; verdammt, diese Dinger waren giftig, verstand er bald, als er in Yatlis euphorisches, wahnsinniges Gesicht starrte, während die Ranke ihn zu Boden riss und er seine Waffe aus der Hand verlor. Keuchend versuchte er sich loszureißen, doch der Schmerz kroch von der Wunde blitzschnell durch seinen ganzen Körper, lähmte ihn, machte ihn lethargisch.

Verdammt... verdammt!

„Die Götter, falls es sie gibt... kommen hier nicht an... und verschaffen euch somit auch keine... Unsterblichkeit!“, lachte Yatli wie besessen, „Ihr könnt mich mal... ich werde dich zerstückeln, Simu Ayjtana, du wirst verrecken und dir wünschen... um Gnade gefleht zu haben!“ Simu keuchte und rief sich innerlich zur Ruhe, konzentrierte sich auf das einzige, was ihm jetzt noch helfen würde, außer Reichweite seiner Waffe; seinen Geist.

„Armseliger... Niemand.“, sagte er zu Yatli und lächelte, obwohl die Schmerzen so rapide zunahmen, dass er glaubte, er müsste schreien.

Reiß dich zusammen. Beherrsch das... du bist Zuyyaner. Du brauchst keine Gefühle... nicht jetzt.

„Ein Narr ohne Seele... die wahre Definition eines... Niemands, Yatli.“

Er schnappte sich seine Seele. Eine Seele mit Hilfe einer Reikyu zu kontrollieren erforderte keine körperliche Bewegung. Es erforderte Macht des Geistes... und er spürte, dass er in den Schatten schwand, weil das Gift mächtig war... dennoch besaß er noch genug Kontrolle über seine eigene Seele, die Reikyu, um Yatlis Geist zu schnappen wie einen zappelnden Fisch im Fluss.

Töte ihn... dreh sie ihm um, seine nichtexistente Seele, befahl er seinem eigenen Können, ehe er auf dem Boden zusammenbrach in dem Moment, in dem Yatlis Ranken seinen Arm losließen. Das Gift betäubte ihn bereits und er nahm nur durch einen dumpfen Schleier wahr, wie der Schamane zu Boden stürzte und sich die Seele aus dem Leib schrie, immer lauter und schriller und noch lauter, bis sein Geschrei in einem kurzen, abgehackten Laut endete, als wären seine Stimmbänder geplatzt – oder mehr seine Seele in seinem Inneren. Simu sah verschwommen die Silhouette des Kerls in einiger Entfernung vor sich auf der Plattform liegen, ohne jedes Lebenszeichen, und er wusste, da war nichts mehr, was er tun konnte... er sorgte sich um Eneela, aber er hatte nicht die Kraft, noch einmal aufzustehen, weil alles so schwer war. Irgendwo ganz weit entfernt, so schien es ihm, als es dunkel wurde, hörte er sie schreien... er hörte ihren Mut, er wusste, dass sie es schaffen würde. Er sah sie strahlen... ein einziges, letztes Mal, als er mit einem Stöhnen die Augen schloss und sie erst wieder öffnete, als er Neisas panische Stimme direkt über seinem Kopf hörte.
 

„Tu mir den Gefallen und übernimm den Idioten für mich, Eneela.“, war Yareks Kommentar, als er an ihr vorbei hastete, „Ich werde anderswo gebraucht. Was hat Chenoa sich dabei gedacht, einen Mann auf sieben Leute aufpassen zu lassen? Scheiß Götter.“ War das nicht Blasphemie, fragte die Lianerin sich konfus und kam nicht dazu, auch nur noch einen Gedanken zu fassen, da war alles um sie herum in Flammen aufgegangen. Sie hatte Simu aus den Augen verloren und Yarek war jetzt auch weg, plötzlich stand sie mitten im Inferno und vor ihr Kanau, in beiden Händen wabernde Kugeln aus purer, glühender Lava, den Blick auf sie gerichtet mit einer Nuance, die sie zurückweichen ließ.

Nicht zurückweichen! Kämpfe!, befahl sie sich, aber sie konnte nicht; sie konnte nur starren, während es um sie herum krachte und toste und über ihr ein Geflacker aus grellen Blitzen, irgendwelchen Zaubern und sonstigen Todesstößen herrschte. Um sie herum war nur Feuer... wie an dem Tag, an dem ihre Mutter gestorben war. Wie an dem Tag, an dem Kyeema gestorben war, dieses Mädchen, das irgendwie ihre Zwillingsschwester gewesen war.

Sie verabscheute Feuer... sie fürchtete sich so wahnsinnig vor dem Feuer, denn es hatte ihr einst genommen, was ihr am liebsten gewesen war... Feuer war das Element, das Scharan benutzte, und sie hasste Scharan... den Mann, der ihrem Volk die Freiheit geraubt hatte.

Kämpfe!

„Wie ich sehe, bist du eingeschüchtert und ergibst dich freiwillig.“, sagte Kanau schon großkotzig, „Umso besser, spart Zeit... Eneela Kaniy.“

Er schleuderte seine Magie auf sie und Eneela riss schützend die Arme vor ihr bleiches Gesicht – als ob das genutzt hätte. Sie wusste nicht, wie sie Yolei beschworen hatte, aber als das Feuer sie hätte zerreißen und grillen sollen, hörte sie nur ein Zischen direkt vor sich und starrte direkt auf eine Wand aus Wasser, die sich vor ihr aufgetan hatte und in der Kanaus Lava vernichtet wurde. Der Schamane ließ sich nicht weiter irritieren und ließ neue Feuerbälle entstehen.

„Gib es auf, Eneela!“, zischte er, „Dieses Mal wird sich Kaiya nicht vor dich werfen und für dich sterben können... dieses Mal wirst du es sein, die stirbt!“

„Yolei!“, schrie die Lianerin außer sich in blinder Panik und sie fragte sich einen Moment später, ob sie das wirklich geschrien hatte oder ob es Einbildung gewesen war – aber die Lian des Wassers schoss nach vorne und griff an, schleuderte Wassermagie auf den Kerl, der ihren Tod wollte, der aber gekonnt dem Zauber auswich, um seinerseits frontal anzugreifen. Das nächste, was Eneela wusste, war, dass sie auf dem Rücken lag und alles schmerzte – und alles brannte. In ihrem Geist war ein Loch, sie erinnerte sich nicht daran, wie sie zu Boden geschleudert worden war, oder wo Yolei hin war, plötzlich lag sie da und alles brannte. Sie schrie, sie hatte Angst. Sie hörte das Krachen um sich herum nur noch dumpf wie aus weiter Ferne, als wäre sie gar nicht wirklich anwesend, und sie strampelte und schrie und in blinder Panik und dem Glauben, sie würde sterben, schlug sie wie eine Wahnsinnige um sich und nach den Flammen, die sie zu greifen versuchten, ohne irgendetwas zu treffen. Sie hatte keine Schmerzen... brannte sie selbst überhaupt? Die Welt stand in Flammen... irgendwo über ihr tauchte die Fratze des Dämons auf, der sie höhnisch angrinste.

„Du wirst sterben... dieses Mal wird sich Kaiya nicht vor sich werfen können. Dieses Mal wird niemand für dich sterben... dieses Mal wird das Feuer dich erwischen.“

Sie wollte nicht sterben.

Das war der einzige Gedanke, den sie fassen konnte, und fern jeden Verstandes riss sie die Arme in die Luft und schrie, legte in ihren Schrei all ihren Willen, zu überleben, alle Macht, die sie aufbringen konnte – woher hatte sie jetzt noch Macht? Irgendwo aus den Tiefen ihres Geistes, als wäre dort eine unerschöpfliche Energiequelle wie die Endlosbatterie, die sie so dringend brauchten... sie schrie und spürte, wie das Feuer zurückwich, wie die Macht, die sie ausschrie, die Fratze des Dämons über ihr zerfetzte... war sie das? Was tat sie da? Als sie wieder richtig sehen konnte, wich das Feuer zurück und über ihr schwebte Barak, die mächtigste aller Lians, die Bestie des Windes.

Sie konnte nicht denken – in ihren Adern pulsierte die pure Macht einer Beschwörerin, in ihr pulsierten die Gene eines Götterkindes, das sie war als Teil der Sieben... es war in dem einen Moment, in dem sie sich erhob und Barak befahl, Kanau zu töten, dass sie es zum ersten Mal bewusst wahrnahm. Plötzlich hatte sie keine Angst mehr vor dem Feuer... oder Scharan, oder Kanau, oder wem auch immer. Plötzlich wusste sie, dass ihre Mutter gestorben war, damit sie hier heute stehen konnte – und ihre Angst vor den Flammen überwinden konnte, erwachsen sein konnte... die Macht erlangen konnte, den Schatten zu vertreiben, der sich auf ihr Herz legen und sie bändigen wollte.

Ich werde niemals, niemals wieder eine Sklavin sein! Weder Scharans, noch die meiner eigenen Furcht... oder die der Schatten, die uns alle zu besitzen versuchen.

„Dieses Mal, Kanau... brauche ich auch niemanden... der sich vor mich wirft und mich rettet. Weder meine Mutter... noch Simu, Karana oder irgendjemanden von denen.“ Ihre Stimme war belegt und voll mit einem Gefühl, das sie nicht kannte... sie war voller Mut.

Sie wollte den Mut haben, ihre Furcht zu zerschlagen... sie wollte den Mut finden, das hier zu überleben, egal wie. Sie war nicht so weit gekommen, um jetzt zu scheitern... niemals! Und sie sah in Kanaus wahnsinnigen Augen, dass er es wusste... sie sah, dass er wusste, sein Weg wäre hier zu Ende. Eneela belächelte ihn... sie hatte Mitleid, denn es war nicht seine eigene Schuld, dass er hier gelandet war.

„Die Götter... sind grausam zu uns allen, Kanau.“, sagte sie flüsternd, und das Inferno aus Flammen und anderen Zaubern um sie herum verschluckte ihre Stimme... bis sie Barak befahl, denn in dem Moment schwiegen die Flammen – für einen Moment, als würden sie für sie, Eneela, die Luft anhalten.
 

„Bring ihn um, Barak.“
 


 

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Yeah! Simu und Eneela hatten ihre Poserszenen XDJa, hm, was noch? Ich mag Yarek und Tayson irgendwie gerade, sie sind so.... normal XD

Seelen im Schatten

Neisa war keine geborene Kämpferin. Heiler waren grundsätzlich nicht ernsthaft dafür da, um zu kämpfen, sondern waren mehr für das Heilen zuständig; es gab Methoden, zu kämpfen, selbst für Heiler, und was sie von ihrer Mutter gelehrt bekommen hatte, rettete ihr vermutlich jetzt das Leben – dennoch spürte sie, dass der Heiler, gegen den sie hier kämpfte, definitiv auf eben das bisschen Kämpfen, das Heiler beherrschen konnten, abgerichtet worden war, dass er darauf gedrillt worden war, besonders die offensive Ader seiner Magie zu trainieren. Vermutlich konnte er besser angreifen als heilen, aber es konnte ihr egal sein.

In ihrem Rücken war die Wand der geschrotteten Tari Randora und keuchend riss sie den Kopf zur Seite, um Turos Faust zu entgehen, die nach ihrem Gesicht schlug. Er war ausdruckslos und wirkte keine Spur angestrengt, als er seine Hand zurück zog, nicht mal verärgert, weil er sie nicht getroffen hatte, und seine Art beunruhigte sie auf eine Weise, die sie nicht begreifen konnte.

„Was willst du, Turo?“, schnarrte sie, als sie strauchelnd zur Seite schwankte und die Hände empor riss, bereit, gegen seine zu schlagen und jegliche Art von Nerven- oder Lähmungszauber abzuwehren, den er auf sie schmeißen würde. Heiler waren Nahkämpfer – sie konnten durch bloße Handschläge Impulse aussenden, die des Gegners Muskeln zerfetzten, ohne dass offene Wunden entstanden, man konnte auf diese Weise auch Nerven und gar Knochen zerstören; das Gefährlichste an Heilern war, hatte ihre Mutter Neisa oft erzählt, dass sie anders als die meisten Telepathen oder Schwarzmagier über perfekte Kenntnisse der menschlichen Anatomie verfügten und genau wussten, wohin ein Schlag zu setzen war, der tödlich enden sollte. Und außerdem wurden sie unterschätzt... Heiler heilten, sagte man. Die meisten Schwarzmagier oder auch Telepathen hielten sich für etwas Besseres oder vor allem Offensiveres, weil sie fälschlicherweise annahmen, Heiler taugten nur zum Heilen. „Was versprichst du dir davon, mich zu töten? Bringt dir das Respekt von deinem Meister?“, fragte die junge Frau kalt und wich einem neuerlichen Schlag ihres Gegners aus, ehe eine Erschütterung der Landeplattform gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen sie beinahe von den Beinen gerissen hätte.

„Manha? Der ist nicht mein Meister, mein Meister bin ich selbst.“, sagte Turo ohne großartige Gefühlsregung und Neisa schnaufte, als sie versuchte ihn anzugreifen und feststellte, dass er viel schneller war als sie. Er stieß sie zurück und sein Handschlag traf ihren Schenkel, worauf sie schrie und zu Boden stürzte. Natürlich könnte sie den Muskelriss sofort heilen, das Dumme war nur, dass das Zeit kostete – die sie nicht hatte, kam ihr in dem Moment, in dem der Kerl plötzlich über ihr war und sie sich mit einer aus Reflex hervor geschleuderten Katura gerade noch seine Hände vom Hals halten konnte. Japsend versuchte sie trotz des Wissens, dass dies unmöglich sein würde, auf die Beine zu kommen, was natürlich nicht gelang. In ihrem Inneren zog sich etwas zusammen in der blinden Panik, die in ihr aufstieg, weil sie das Gefühl bekam, sie würde hier sterben. Der Schatten nagte an ihrer Seele und sie sorgte sich um ihren Ehemann – verdammt, sie hatte andere Sorgen!

„Wenn du dein eigener Herr bist, warum kämpfst du für ihn?!“, fragte sie Turo durch das Tosen des Infernos um sie herum und der junge Mann kam vor ihr zum Stehen, die Hände kampfbereit erhoben, in aller Ruhe und ohne große Anstrengung; klar, es würde ihn kaum etwas kosten, ihr jetzt die Kehle zu zerfetzen, wo sie nicht mehr aufstehen konnte. Wenn sie ihn mit Reden hinhielt, bekam sie eventuell die Zeit, ihr Bein zu heilen.

„Ich könnte es auch lassen.“, sagte er dumpf, „Ich habe keinen Grund, Neisa. Kein tolles, atemberaubendes Ziel, für das ich kämpfe, für das ich mich sogar so einer Schweinerei wie der von Manha hingebe, oder so. Ich bin einfach, wo ich bin, es hat keinerlei Sinn und es hat nie einen gebraucht. Warum bist du da, wo du bist, Neisa? Hast du einen Sinn im Leben? Hat es einen Sinn, dass du die Seele deiner Urgroßmutter verkörperst, dass du Zoras Derran geheiratet hast, dass du hier bist, am Ende aller Enden?“

„Wenn nichts für dich einen Sinn hat... warum lebst du dann überhaupt?“, antwortete sie und er sah sie an und zuckte die Achseln, irgendwie grinsend. Er war verrückt, dachte sie, und sie hatte ihr Bein gerade geheilt, da stürzte er sich frontal ganz plötzlich auf sie und schlug sie wieder zu Boden, schaltete mit gezielten Handschlägen ihre Beine aus und machte sie so unfähig, wegzulaufen. Einen Schlag auf ihre Brust und damit ihr Herz verhinderte sie mit einem reflexartigen Konter mit ihrer eigenen Hand, keuchend nach Luft schnappend und in sein Gesicht starrend, als er über ihr war und sie am Boden lag, unfähig, sich zu regen. Ihre Beine schmerzten und in ihrem Kopf pochte der Schatten... plötzlich hatte sie Angst vor ihm.

Er war kein Mensch... er war ein Niemand. Ein Typ, der kein Leben hatte, kein Ziel, keinen Grund – vielleicht hatte er Verstand, aber nichts mehr als das.

„Ich bin da... wo ich gelandet bin, Neisa. Genau wie du... wie wir alle.“, schnarrte er und riss seine Hand hoch, schlug ihre fort und ließ seine Finger auf ihre Kehle zu sausen, ehe sie sich wehren konnte. Er packte sie und würgte sie, bis sie wimmerte, aber er benutzte keine Magie, um ihren Hals zu zerfetzen... sie fragte sich, wieso er sie nicht umbrachte.

Er war ein Niemand... er war einfach nur da. Plötzlich tat er ihr leid... obwohl sie wusste, dass sie gleich durch seine Hände sterben würde.

„Verlorene Seelen seid ihr...“, zischte sie mit der Stimme, die nicht ihre war, „Vielleicht findet ihr niemals heim. Deine Seele... endet hier, Turo Ankti.“

Er starrte sie an und hielt inne – der eine Moment des Zögerns wurde ihm zum Verhängnis. Es war nicht Neisa, die ihn angriff, sondern Yarek, der aus dem Nichts herbei geschossen kam, sich wie ein Wolf auf Turo stürzte und ihn in einem atemberaubenden Hechtsprung von Neisa herunter riss. Die Heilerin japste und konnte nur starren, als Turo zu Boden flog und hustete, sich aufrappelte und zurück angriff. Yarek konnte ihn sich mit seiner Masamune problemlos vom Hals halten und die kleine Heilerin beobachtete heftig atmend, wie sich der Heiler und der rothaarige Söldner einen erbitterten Kampf lieferten, in dem es niemand schaffte, den anderen zu erschlagen – und dann kam die Seherin.

Sie war plötzlich da, hinter Turo, und als Yarek sie sah, hielt er abrupt inne, ebenso wie Turo, obwohl er sie im Rücken hatte und vermutlich nur durch Instinkte wahrnahm, dass sie da war. Neisa starrte Ryanne an... wenn es denn Ryanne war, die da stand, und nicht nur ein Schatten der Seherin, die sie alle kannten. Denn die blonde, dunkelhäutige, fast nackte Frau dort sah zwar aus wie Ryanne, aber in ihren Augen war nicht das Wissen der Seherin... in ihren Augen war eine Klarheit und ein Verstand, den sie niemals besessen hatte, so, als wäre sie ein völlig normaler Mensch...

Nicht das Gefäß für eine göttliche Seele, die sie langsam von innen heraus zerschmetterte. Ryanne sprach... und sie sprach eine Sprache, die Neisa nicht verstand.

Salihah in ihrem Kopf verstand sie gut und konnte für sie übersetzen.
 

„Deine verlorene Seele gehört mir... Turo. Und ich werde sie mir zurückholen... weil ich mich dann vielleicht erinnern kann.“
 

Turo drehte sich zu ihr herum und starrte sie aus weit aufgerissenen, blauen Augen an. Die Tatsache, dass er ihre Worte verstand, Worte in einer Sprache von einem kleinen Teil im Wüstenreich Fann, die kaum jemand auf Tharr beherrscht hatte, war ihr Antwort genug, dass er der Richtige war.

Der Typ, dessen Seele sie fressen würde, wenn sie den Kampf gegen die Unsterblichkeit gewinnen wollte, die sie zerstören würde. Das würde sie sowieso, denn die Seele der Seherin würde zurückkehren, wenn sie den Abgrund verließen oder vernichteten. Aber wenn sie seine Seele zurück bekäme, wäre sie besser fähig, der Götterseele zu trotzen... ihren eigenen Willen zu haben.

Sie würde länger leben... und sie hätte eine Vergangenheit.

„Ryanne... von den Yalla.“, keuchte er sie an und erbleichte, während sie ihn betrachtete und lächelte. Sie wusste nicht, wie alt er war, er war jung. Sicher kaum älter als sie. Falls überhaupt, er wirkte vermutlich noch jünger als er war.

„Du hast gewusst, ich würde kommen.“, sagte sie lächelnd und ihr Arm hob sich wie von selbst in seine Richtung. Er lief nicht fort, er stand nur da und starrte sie an. „Weil das Schicksal wollte... dass ich komme. Genau genommen gibt es einen Grund, weshalb du... keine Gründe und Ziele hattest, dein Leben lang. Kein Leben hattest... weil du keine Seele besessen hast, die dein eigen war, sondern den Teil von meiner, den die verdammte Seherin mir ausgerissen hat, als ich zu sehr protestiert habe. Ich kann es spüren... diesen Teil von mir, jetzt, ganz nah, wenn ich so dicht vor dir stehe, es macht mich euphorisch.“

„Geh mir vom Leib!“, schrie er sie an und riss abwehrend die Hände hoch – er hatte Angst vor ihr, sie wusste es. Sie wusste, seine Seele wusste genau, dass er sterben würde.

Hier und jetzt.

„Ich bin fast neidisch auf dich. Aber wo ich meine halbe Seele gleich wieder haben werde, werde ich ja die Empfindungen erinnern, die du so gehabt hast... hach. Ich wollte immer mal einen Penis ganz für mich alleine haben, und die halbe Seele in dir hatte das jahrelang. Wie glücklich du bist, Turo... wie ist es so mit einem Penis?“

Penis?!“, schrie er sie an, „D-du willst mich töten, warum in aller Himmel Namen redest du von Penissen?!“

Sie war zu dicht vor ihm. Er hielt inne, als sie sich zu ihm beugte und ihre Gesichter kaum wenige Zoll trennten, sämtliche Farbe war aus dem seinen gewichen, während ihres vor Euphorie und Erwartung errötete.

Sie spürte sie... sie spürte ihre Erinnerungen, sie spürte den Teil, den man ihr abgerissen hatte wie einen Arm, er war da und er pulsierte, er zog sich zu ihr, er wollte zu ihr zurück, sie war wie ein mächtiger Magnet. Ihre Finger strichen unter Turos Kinn und er wimmerte in blinder Todesangst.

„Meine sterbliche Seele kämpft immerzu gegen die der Seherin.“, flötete sie und starrte in sein panisches Gesicht. „Als ich noch klein war, war sie schon zu mächtig und die Seherin hat mich gespalten... um die Kontrolle zu kriegen. Hihi. Jetzt ist sie fort und kann mir gar nichts, jetzt hole ich sie mir zurück. Du hast in Dhimorien gelebt auf Tharr... einst, ehe du nach Ghia kamst, zu Ulan Manha... und als deine Seele zerschmettert ward eines Tages... flüchtete meine halbe, irrende Seele in deinen Körper und gab dir Leben. Sei mir dankbar, denn ohne mich... wärst du seit Jahren tot. Du bist ein reizendes Gefäß gewesen, Turo Ankti. Ich mag dich, du bist nett.“ Das sagte sie und strahlte ihn an, und er starrte zurück und ihre Augen verharrten lange schweigend aufeinander. Er sagte nichts mehr, in seinem Gesicht blieb als Letztes nur das Verständnis, dass sie wahr sprach... er wusste Bescheid. Vielleicht hatten die Geister ihm zugeflüstert... Ryanne war es egal.

Als sie ihn tötete, tat sie es mit einem Schlag Telekinese auf seine Kehle, die seine Aorta zerfetzte. Es ging schnell... sie konnte sie spüren, sie konnte spüren, wie ihr Kopf vor Schmerzen zu bersten drohte im Moment der Vereinigung in ihrem Inneren... und die Erinnerungen fluteten durch ihren Körper wie eine Überschwemmung in der Wüste nach seltenem Regen... wie lauter zappelnde Fische, diese Todestiere, die sie so hasste... sie hasste und begehrte sie irgendwie gleichermaßen.

Plötzlich wusste sie wieder, wer sie war... das Gefühl war so berauschend, dass es um sie herum schwarz wurde, als sie zu Boden sank und auf ihre Lippen das Schlaflied kam, das ihre Mutter ihr immer vorgesungen hatte. Ein Lied von Sand und Feuer, das am Horizont elendig brannte und niemals erlosch...

Genau wie die fischförmigen Erinnerungen in ihrem Inneren.
 

Es war nicht vorüber. Es war eine Gewissheit in Zoras' Kopf, die einfach da war und nicht wegging, während er zum wiederholten Mal versuchte, Rok Wirake zu erwischen, der sich um ihn herum teleportierte und egal, wie sehr er sich konzentrierte, immer schneller war als er. Er hörte, dass der Telepath irgendetwas sagte, aber er nahm es nicht wahr, er verstand die Worte nicht mal, denn sein Inneres war zu weit weg vom eigentlichen Geschehen, um etwas mitzubekommen.

Schatten... sie waren überall. Sie waren in seiner Seele... nachdem er sie mühevoll hervor gewühlt hatte, aus seinem tiefsten, verborgenen Inneren ausgegraben, ließen sie ihn nicht mehr los und wisperten in seinem Kopf, als er abermals herum fuhr und mit der Hellebarde einen Blitz ins Leere schleuderte. Sie waren da, die Schatten, sie klammerten sich an ihn genauso wie er sich an sie, und an diesem Punkt, hier am Ende aller Enden, hatte Zoras keine Angst mehr vor ihnen oder seiner Vergangenheit.

Die Schatten waren der Preis, den er gezahlt hatte für die Loyalität der Todesvögel... weil sie ihm dienten mit Schatten, würde der Schatten seine Seele fressen, wenn es soweit wäre. Er fragte sich, ob dieser Zeitpunkt jetzt gekommen war.

„Was du brauchst, ist eine Seelenmauer.“ Das hatte die Seherin gesagt, und er war zu tief in den Schatten geschwommen, um ihren Rat noch befolgen zu können. So tief hinein, bis er die Antwort fand, hatte sie gesagt, er müsste ins allertiefste Innere seiner Seele vordringen, hinter seine Traumata, hinter seine verdammte Kindheit –

Hinter die Räuber, hinter die Vergewaltigungen, hinter die Tätowierung. Hinter die Demütigung, hinter den Hass seines Vaters, hinter seine eigene Unfähigkeit, seine Mutter vor Unheil zu beschützen auf eine Weise, die ihrer gebührte. Er war hinter all das gedrungen, bis in die tiefste Schwärze des Lochs in seiner Seele, das an ihm fraß, seit er ein Kind war... jetzt hatte er Angst, es würde ihn verschlucken... weil Neisa nicht da war, um ihn aus dem Strom zu reißen, wenn er zu weit abtrieb.

Er war unsagbar weit vom Ufer entfernt, das seinen Verstand vielleicht hätte retten können... als er das nächste Mal wie ein Wahnsinniger auf Rok einschlug und ihn verfehlte, verlor er das Ufer aus den Augen und um ihn herum war komplette Dunkelheit.

Irgendetwas traf seinen Rücken und schleuderte ihn zu Boden. Irgendwo hörte er düsteres Gelächter, aber er nahm es nicht wahr. Er schmeckte Blut in seinem Mund und in seinem Kopf wisperten die Geister von Schicksal und Schatten.

Am Ende werdet ihr fallen... in die Schatten, Zoras Chimalis. Am Ende... der Welt, von dem du so gerne träumst.
 

Schwimm!
 

Er versuchte es, aber er war nicht stark genug. Er hatte die reißende, tödliche Mündung des Ankin durchschwommen auf Tharr auf seiner Reise nach Fann – die Überquerung eines der größten Flüsse auf Tharr war ihm leichter vorgekommen als gegen die Geisterstrom anzuschwimmen, der ihn packte und fortreißen wollte, hinab in eine Tiefe, die er nicht kennenlernen wollte.

Sie griffen nach ihm, die Geister der Vergangenheit, sie berührten ihn und taten ihm weh, sie verfluchten und belächelten ihn zugleich, sie schmeichelten ihm und sagten Willkommen, Mörder.
 

Schwimm, Zoras! Stärker!
 

Die Hellebarde bewegte sich in seinen Händen wie von selbst und er schlug nach der Finsternis, wand sich, trat mit den Beinen nach Staub und Luft und traf nicht einmal die. Er musste zurück ans Ufer, er musste fort von der Trance.

Es war zu mächtig, es drückte ihn auf den Boden und wollte ihn unterwerfen... verdammt, er durfte das nicht zulassen!

Der Wind, der die Kondorfeder trug und die Knochenspirale aufspießte. Er erinnerte sich deutlich an die Vision, die er auf Yinnlhey gehabt hatte, er sah sie so klar vor sich, als würde es vor seinen Augen wirklich geschehen, und er sah Ianas Schattendolch Kadhúrem aus dem Nichts kommen und alles beenden... er musste hier raus.

Das hier war nicht sein Schicksal. Das hier war nicht seine Zeit, zu sterben.

„Kniet... vor mir, Todesvögel!“, zischte er, „Seid... meine Diener, ich habe euch... meine Seele gegeben... ihr habt mir Treue geschworen, erfüllt euren Eid! Seid meine Diener... so wie ich der eure sein werde, wie mein Körper und meine Seele euch gehören im Austausch für eure... grenzenlose Unterwerfung! Ich... bin Zoras, Sohn von Pakuna, Enkel von Enola, Urenkel von Zoras Chiamlis, Herr von Tuhuli, Herrscher des Paktes! Ich bin Zoras Chimalis, der Seelenfänger... Erbe des Clans der Kondorgeister! Ihr... seid mein, wie ich euer bin!“
 

Also... gehorcht mir, ihr Bastarde, oder ich werde euch zerreißen...
 

Sie gehorchten. Er konnte die Macht spüren, die zurückkehrte – irgendetwas explodierte in seinem Kopf und er versuchte mit aller Macht, die er aufbringen konnte, sich zu konzentrieren auf die Mauer, die Rok abhalten würde... als er zurück in die Realität fand, zurück ans Ufer stieß mit einem Schwung, den er mit bloßer Willenskraft aufbaute aus der dunkelsten Finsternis heraus, schlug er Rok Wirake das stumpfe Ende seiner Hellebarde ins Auge und zerschmetterte es. Der Telepath schrie und wurde zu Boden geschleudert, und Zoras strauchelte. Ihm war schwindelig... in seinem Inneren pochte und schmerzte alles, eine ungeahnte Übelkeit kam in ihm auf und ließ ihn beinahe kollabieren, sodass er seine Waffe vor sich in den Boden rammen und sich daran stützen musste wie an eine Gehhilfe. Das war kein Schwimmen gewesen... sondern ein Hechtsprung, sein Körper fand nicht witzig, was Zoras mit ihm trieb. Verdammt, er durfte jetzt nicht nachgeben... nicht jetzt, wo er die Macht hatte, die er haben wollte, in aller Finsternis, die er von sich stieß, sodass sie an ihm abperlte wie Wasser an Wachs. In seinem Kopf waren die Geister seiner Kindheit, die ihn hänselten... er konnte sie ignorieren, er konnte alles ignorieren, denn seine Seele war eins mit den Dienern der Finsternis, die ihm ihre Dienste angeboten hatten. Als sein Körper sich beruhigt hatte, griff Rok ihn an; halb blind und eine Hand vor Wut schreiend auf den blutigen Matsch seines zerstörten Auges gepresst, schlug der Blonde mit Telekinese um sich wie ein Berserker, bereit, alles und jeden zu zerfetzen, was ihm in den Weg käme.

Zoras hatte keine Probleme, ihn zu blocken – plötzlich konnte er ihn treffen, plötzlich war der andere nicht mehr fähig, auszuweichen, denn er war schneller... letzten Endes war er Geisterjäger und Rok nicht.

„Du kannst... du kannst... mich treffen...!“, zischte der Telepath voller Groll, „Wieso kann ich dir nicht mehr ausweichen und vorhersehen, was du tun willst?!“

„Weil du... nicht auf derselben Stufe stehst wie ich, Rok.“, war Zoras' Antwort, und er sah den anderen erstarren, als er ihm in sein malträtiertes Gesicht starrte, ehe er seine Waffe empor riss. In seinem Kopf wisperten die Geister... sie sprachen von Schatten.

Er fürchtete de Dunkelheit nicht... er fürchtete nicht mehr das schwarze Loch seiner Seele, das sich von seinem Hass nährte... und es pulsierte und lebte in ihm, es war bereit, ihn zu verschlingen mit Haut und Haar.
 

Noch nicht.
 

Mit einem Schrei stieß Zoras seine Hellebarde, den Speer von Yamir, nach vorne und auf Rok in einer Gewalt und Bestialität, der der andere nicht ausweichen könnte, nicht einmal dann, wenn er auf höherem Niveau gewesen wäre. Er fing Roks Blick ein, bevor er ihn mit einem Blitz in tausende Stücke riss. Er fing den Blick aus diesem so dumpfen, seelenlosen Gesicht ein... das Gesicht eines Niemands, der keinen Sinn in der Welt gehabt hatte. Von seinem Geist würde nichts übrig bleiben... dafür hatte er gesorgt. Zoras keuchte, als die Fetzen seines Gegners am Boden lagen, und er senkte die blutüberströmte Klinge seiner Waffe zu Boden, sodass es ein leises Klirren gab, als das Metall des Himmelssteins an das der Landeplattform stieß.

Die Hellebarde bebte... Zoras konnte es spüren und er wusste, dass es nicht vorüber war, obwohl plötzlich angenehme Stille einkehrte auf der Plattform... die Niemande waren erledigt. Irgendwo sah er, wie Neisa sich um Simu kümmerte, der verwundet zu sein schien, irgendwo wimmerte Eneela. Yarek rauchte, die Seherin war verschollen. Er, Zoras, stand nur da und starrte auf das Blut an seinen Händen, das nicht abgehen würde... es war Teil seiner finsteren Seele, die er den Geiern schenken würde, wenn seine Zeit gekommen war.

Er würde lange genug davor weglaufen... noch war seine Zeit nicht gekommen.

„Die Zeit, die gekommen ist, Seelenfänger... ist eine andere.“, sagten die Geister zu ihm und er wusste das, konnte sich aber nicht rühren. Er musste gehen... er musste sich beeilen und sein Schicksal konfrontieren, von dem er geträumt hatte. Karana und Iana waren gegangen, um sich Ulan Manha zu stellen... dem Dämon, der ihnen allen den Schatten gebracht hatte, an dem sie beinahe gescheitert wären.

Und noch immer könnten sie scheitern... denn hier war der Abgrund, der Himmelsdonner, hier war der tiefste aller Schatten, tiefer, bösartiger und gefräßiger noch als Zoras' schwarzes Loch. Hier hatten die Götter von Khad-Arza keinen Einfluss auf sie... oder ihre Legende, die sie geschaffen hatten. Hier trugen sie ihr Schicksal selbst... und wenn es zu schwer war, würden sie scheitern.

„Geh.“, befahlen die Geister, „Und wirst du scheitern, Zoras Derran... dann sei es so.“

„Ich weiß.“, schnarrte er zurück, „Und eben deswegen bleibe ich. Ich bin nämlich kein Märtyrer.“

„Nein, das warst du nie. Aber du wurdest geboren... mit einer Aufgabe, mit dem Drang, sie zu erfüllen. Einem Drang, den niemand abschalten kann... er ist in dir und du kannst es nicht verhindern. Geh... in den Schatten, Zoras, in den du geboren wurdest.“ Er sagte eine Weile nichts.

„Wieso macht das nicht irgendein anderer Arsch? Sind genug von uns da.“

„Weil du... der einzige von ihnen bist, der in der Finsternis sehen kann... als Schattenkind, das über die Vögel des Todes befehligen kann.“

Er sagte kein Wort und er spürte, wie seine Waffe zitterte in seiner Hand. Sie wollte zu ihren Geschwistern... Mihns Schwert und Thayeran Kandayas Kadhúrem, die zur selben Zeit aus demselben Stein geschmiedet worden waren. Er wusste es und er sträubte sich dennoch...

Er hatte es satt. Wenn er hier fertig war, würde er dafür sorgen, dass die Götter zerschmettert wurden... er war keine Schachfigur und er würde niemals wieder eine sein.

„In der nächsten Welt... werdet ihr verrecken, egal, wie viele Räuberhöhlen ich dafür vernichten muss. Egal, wie viele Tätowierungen ich kriegen muss, egal, wie viele Männer mich wie eine Frau zu schänden versuchen, ich werde euch zerschmettern... eines Tages wird niemand mehr wissen, dass es Götter gegeben hat. Und dass sie uns Sterbliche für ihre Spiele benutzt haben, weil sie Langeweile hatten... das hier ist nicht mein Kampf, sondern eurer. Für den ihr nur zu faul seid... ich verabscheue euch.“

So sprach er, und er spürte das Loch in seiner Seele an ihm nagen und ihn ein Stück weiter auffressen... er wusste, der Schatten wuchs. Und eines Tages würde er ihn verschlucken... wenn es soweit war.

Vorher würde er seiner Frau noch sagen, dass er sie begehrte... er sagte es viel zu selten mit Worten.

Er schenkte ihr keinen Blick und den anderen auch nicht, als er Roks Reste hinter sich ließ, genau wie die Plattform und vermutlich sein Leben, ehe er über den Schrotthaufen in Ulan Manhas Raumschiff kletterte – hin zu dem Ort, an dem die letzte Schlacht zwischen dem Dämon und seinem kleinen Zwilling Karana geschlagen werden würde. Es war sein Schicksal... und der einzige Weg, den er gehen konnte.

Er verabscheute sie alle so sehr... er verabscheute die Welt und alle Götter, die Schuld an ihr waren.
 


 

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Mann sind die alle kryptisch und mystisch und so x___x einer schlimmer als der andere oô'

Perfektion

„Weißt du, wohin du läufst, Karana?“

Karana ignorierte die Frage gekonnt und rannte weiter geradeaus. Sie näherten sich dem Bug und kamen über kurze Treppen immer weiter hinauf in Richtung Brücke.

„Karana, warte!“ Er blieb keuchend stehen und Iana holte ihn ein, ging an ihm vorbei und sah ihm skeptisch ins Gesicht. „Kehr mir nicht den Rücken.“, verlangte sie scharf. „Wie soll ich dir helfen, wenn du wegrennst? Hör auf deinen Geist!“

„Das tue ich und würde es weiterhin tun, wenn du mich nicht gerade aufhalten würdest.“, antwortete er überraschend kaltherzig und sie zog eine Braue hoch. In seiner Stimme klang kein Schatten mit – kein übler Einfluss des Abgrunds wie noch kurz zuvor, in diesem Moment war er Karana, durch und durch; als wäre der Schattengeist in ihm verschwunden. Sie traute dem Frieden nicht so ganz.

„Karana, sieh mich an!“ Sie zog sein Gesicht zu sich herum und er hielt kurz die Luft an, als sich ihre Blicke begegneten. Ihre Stimme wurde jetzt ruhiger, als sie flüchtig über seine Wange strich. Sie war kühl… „Wir sind zusammen.“, erinnerte sie ihn. „Ich lasse dich das hier nicht alleine machen. Ich will, dass du das weißt, du sturer Bock.“ Er seufzte kleinlaut.

„Ich wünschte, ich könnte dir das ersparen... das ist kein Ort für eine Königin.“

„Versuch nicht, wegzulaufen... Tabari.“, schnarrte sie mit der Stimme, die nicht ihre war, und sie sah ihn sein Auge weiten, während das, was kein Auge mehr war, unter dem Verband versteckt war. Ihr Mann lächelte plötzlich und sie sah ihn erstaunt an, als er ihre Hand nahm und weiterging, erst langsam, dann rascher.

„Ich laufe nicht weg.“, verkündete er, „Ich... laufe hin.“
 

Er ließ sich von seinem Geist führen, ohne den Weg mit eigenem Auge zu kennen. Aber seine Seele wusste genau, wohin er gehen musste, wo Manha war. Als sie den relativ geräumigen Platz vor dem Steuerraum erreichten, fanden sie den Mann. Und er stand da wie angewurzelt mitten im Raum und schien auf sie gewartet zu haben.

„Ihr seid spät dran... Karana.“, sagte der Dämon und Karana hatte innerlich den Drang, seine Frau hinter sich zu schieben, um sie zu schützen, aber Iana dachte wohl nicht daran, in zweiter Reihe zu stehen. Sie zog unvermittelt ihre Waffe und stellte sich neben ihn, als er nach dem Heft seines Schwertes an seinem Gürtel fasste. „Tapfer von dir... mich herauszufordern, Sohn von Puran Lyra. Du hast wohl noch nicht genug von mir.“

„Oh, doch, mehr als genug.“, entgegnete Karana und zog sein Schwert, „Hier ist das Ende aller Abgründe, Manha. Hier wird... das alles enden. Das ist die Aufgabe, für die... ich geboren wurde.“ Manha lächelte.

„Denkst du. Ich schätze, dein Vater war... anderer Meinung, ehe du geboren warst, hm? Haben dir... die Geister nicht gesagt, dass er dich töten wollte? Ich wusste schon lange, wir beide würden einander einmal so gegenüber stehen... genau wie dein Vater... genau wie Nalani... habe ich nicht recht?“ Sein Blick schweifte jetzt auf Iana und Karana spürte, wie sich irgendetwas in ihm zusammenzog, als seine Frau herrisch den Kopf hob und ihm einen kalten Blick schenkte.

„Und wir wissen alle... wie das hier enden wird.“, sagte sie mit der Stimme der Geisterfrau und Karana schauderte, wenn er diese Stimme hörte. Sie war so voller Macht... sie war zugleich unheilvoll und dennoch gab sie ihm das Vertrauen, das er haben musste, und mit einem Zischen riss er sein Schwert empor in die Luft und ließ die Klinge aufflammen in einem Wirbel aus purer, geistiger Energie, die er auf sie lenkte.

Das war seine Aufgabe – das war der Grund, für den er geboren worden war. Er würde den Dämon konfrontieren und entweder vernichten oder bei dem Versuch verrecken. In diesem Moment war es ihm gleich... er war jenseits der Schatten des Yirana-Nebels, jenseits von Manhas Einfluss durch das Bannmal... er war sein eigener Herr, Manha konnte ihm gar nichts.

„Ich habe keine Angst... im Gegensatz zu meinem Vater habe ich aufgehört, wegzulaufen, Scharan.“

Mit diesen Worten stürzte er sich mit seinem Zerstörer auf den anderen Mann und griff ihn an.

Das Krachen, das ertönte, als der Ältere sich mit einer Wand aus tosenden Flammen wehrte und versuchte, Karanas Windzauber irgendwie Einhalt zu gebieten, zerfetzte beinahe Karanas Trommelfell. Der vermutlich einzige Grund, aus dem er Manha mit seinem plötzlichen Angriff nicht erwischt hatte, war sein dämliches Auge... er verfluchte Zoras, er würde den Kerl häuten und seine Haut an seinen Hund verfüttern, wenn das hier vorüber war, verdammt noch mal, er hatte nur noch ein Auge! Und ihm wurde gerade klar, wie behindernd dieser Umstand war, als Manha lachend herumfuhr und nach ihm schlug mit einem Zauber, dem Karana eigentlich problemlos hätte ausweichen können – hätte er sehen können, so knallte er gegen die Wand und Manhas Flammen schleuderten ihn zu Boden, entrissen ihm sein Schwert und versuchten ihn zu ermorden. Irgendwo hörte er Iana schreien, er hatte keine Zeit, sich um sie zu kümmern, verdammt noch mal, das war so nicht einkalkuliert gewesen... Fluchend wand er sich, löschte seine verkohlten Haare mit einem Alara-Zauber und fuhr hoch, strauchelte und bekam im nächsten Moment Manhas nächsten Zauber ins Gesicht, den dieser nach ihm warf. Dieses Mal konnte er sich rechtzeitig ducken und entkam dem Anschlag um ein Haar, seines Schwertes beraubt riss er die Hände empor und versuchte es mit dem Windzauber Katura. Als das Inferno aus Zaubern erloschen war, war Manha verschwunden, und Karana hatte genau einen Augenaufschlag lang Zeit, auf die Stelle zu starren, an der der andere bis eben gestanden hatte, dann hörte er Ianas Warnung.

„Karana, hinter dir!“

Zu spät, dachte der junge Mann sich empört und fuhr herum, im nächsten Moment hatte er ein Kurzschwert oder ein Stilett oder so etwas im Bauch und stürzte keuchend wieder zu Boden. Er hatte nicht mal Zeit, sich wirklich fallen zu lassen, denn der Mann packte ihn am Kragen und zerrte ihn zu sich heran, bis ihre Gesichter nur noch ein winziger Spalt trennte; Karana konnte seine grünen Augen sehen – dieser Mistkerl hatte noch zwei, im Gegensatz zu ihm selbst – und den Zorn in ihnen gemischt mit der Euphorie über seinen Triumph, er sah den nackten Wahnsinn des Dämons, die grinsende Fratze von Kelar Lyra... dieses Gesicht, das ihn sein Leben lang bis in seine Träume verfolgt hatte.

„Dein Schicksal wird das meine teilen, Karana...“, schnarrte der Mann, „Weil wir... eine Person sind, oder nicht? Hast du es noch nicht begriffen? Du bist ein Teil von mir und ich einer von dir... wenn du mich tötest... wirst du sterben.“ Der Jüngere keuchte und er konnte die Macht spüren, die Anziehung, als würde der verborgene, schattige Teil seiner Seele sich zu dem Rest von Kelars verkorkstem Geist hingezogen fühlen, und irgendwo an seinem linken Arm begann das Mal, das er überwunden geglaubt hatte, zu pochen und zu schmerzen.

Nein... steh darüber, Karana! Steh darüber, verliere dich nicht im Schatten! Vernichte ihn... los, vernichte ihn! Reiß dich los!

„Fürchtest du dich... hm?“, grinste der Ältere und Karana starrte ihn an, während irgendetwas in seinem Bauch ziepte, und er erinnerte sich an die Stichwunde – mehr denken konnte er nicht, denn plötzlich überfiel ein gewaltiger, blutrünstiger Schatten den Mann, der ihn angriff, riss ihn von Karanas Kragen fort und schleuderte ihn zu Boden. Karana stürzte, Manha brüllte vor Schmerz und irgendwoher kam der Geruch von Blut. War es sein eigenes wegen der Wunde, oder Manhas...? Beides vermutlich...

„I-Iana...!“, keuchte er und griff stöhnend nach seiner Wunde – verdammt, sie war tiefer als sie sich angefühlt hatte... er war grottig im Heilzauber Lira, aber wenn er es schaffte, die Blutung wenigstens aufzuhalten, bis er mit dem Dämon fertig war, könnte Neisa den Rest machen... später.

Wage dich, Ulan Manha...“, schnarrte die Schattenfrau irgendwo weit weg und Karana konnte ihre Stimme zwar deutlich hören, aber nicht die Richtung orten, aus der sie kam. Ihm schwindelte, vermutlich durch den Blutverlust gemischt mit dem dämlichen Adrenalin, und keuchend rollte er sich auf den Rücken und versuchte, seinen Bauch mit Lira zu heilen. Als er den Kopf zur Seite drehte, fand er sein Schwert unweit von sich entfernt am Boden... das war gut. Er würde es brauchen.

„Misch dich nicht ein, Nalani!“, blaffte Manha seine Frau irgendwo an und Karana hörte Zorn und Wahnsinn in seiner Stimme – und die nackte Panik, die jedes Mal gekommen war, wenn die Schattenfrau gekommen war. Er fürchtete Nalani Kandaya ernsthaft... „Oder soll ich... lieber Wachtel sagen, weil es vertrauter ist?“

Charmant... Kelar. Oder sollte ich Schwiegervater sagen, weil es vertrauter ist?

Sie griff ihn an – Karana konnte nicht viel sehen, als er sich keuchend aufrappelte und bebend nach seinem Schwert angelte. In seinem Kopf pochte ein so gewaltiger Schmerz, dass er kaum denken konnte, geschweige denn irgendetwas anderes tun – verdammt, er musste aufstehen. Er musste das beenden... jetzt. Er durfte seine Frau nicht im Stich lassen... oder das Baby.

Das Baby... seinen Sohn.

Das Mal an seinem Unterarm schmerzte heftig, als Karana sein Schwert packte und auf die Beine kam, und als er herum fuhr, sah er Manha mitten im Kampf gegen seine Frau inne halten und ihn angrinsen.

„Oh... was für ein guter Gedanke, Karana... dein Sohn. Ich hab dir gesagt... sei ein Teil von mir, oder... dein Sohn und deine Frau werden sterben. Und nicht mal Nalani Kandaya... wird das verhindern!“

Er sah Iana die blauen Augen in blankem Entsetzen aufreißen, oder Nalani, er wusste es nicht genau, und sie schleuderte ihrem Gegner mit einem Japsen eine Welle aus Schatten und purer Bosheit entgegen mit einem einzigen Hieb von Kadhúrem – aber auch wenn sie Nalanis Seele hatte, Ianas Körper war nicht der einer Geisterjägerin... Ianas Grenzen waren straffer als Nalanis.

„Nein! Nein, nicht!“, schrie Karana und wollte rennen, aber er konnte nur einen Schritt tun und dann in dem Moment wieder stürzen, als Manha den Augenblick, in dem Ianas Körper sich unter den Auswirkungen der für sie viel zu extremen Schattenzauber weigerte, Nalanis Befehlen zu gehorchen, ausnutzte, um sie mit einem Feuerzauber zu Boden zu schleudern und in Flammen aufgehen zu lassen.
 

Karana schrie sich die Seele aus dem Hals. Manha konnte sich darum nicht scheren; ob er die Wachtel getötet hatte, konnte er nicht sagen, das Feuer erlosch bald, aber sie rührte sich nicht mehr, und er hatte noch mehr zu tun. Mit einem gehässigen Glucksen überwand er den Abstand zu Karana und packte seinen Kragen erneut, zerrte ihn hoch und stieß ihn dann wieder von sich, während sein Gegner immer noch schrie.

„Steh auf, Karana...“, schnarrte er, „Steh auf, oder soll ich mir meine Ehre vom blechernen Boden dieser verdammten Maschine stehlen lassen?! Du bist mein... deine Seele gehört mir und ich werde nicht zulassen, dass... du mit ihr davon kommst, du missratener... kleiner Dreckskerl!“

Er warf Feuer nach ihm, aber in dem Moment hatte der Jüngere seinen Kampfgeist zurück, denn er fuhr mit einem Elan herum, den Manha noch nie bei ihm gesehen hatte, riss sein Schwert hoch und zerschlug seine Flammen mit einem Wirbel aus geballter Macht von solchem Ausmaß, dass der Ältere beinahe unwillkürlich auf die Knie gegangen wäre. Der Blick aus seinem verbliebenen Auge war voller Zorn... und er wusste, dass er die Wachtel verletzt oder gar getötet hatte, musste Karanas Zorn beschworen haben...

Er hatte ihn nie mit einer dermaßenen Wut gesehen wie in diesem Moment. Nie mit einem Blick, der ihn getötet hätte, hätte ein bloßer Blick aus einem einzigen Auge das vermocht. Und Ulan Manha stand da und starrte ihn an, starrte in diese wütende, wahnsinnige Mordlust, diesen abgrundtiefen Hass, den Karana ihm entgegen brachte... und musste lachen.

„Sieh dich an... du bist eben... ein Teil von mir. Hass mich... Karana! Hass mich, bring ihn auf, den Willen... zu töten, na los! Du weißt, du willst es... und du kannst es! Töte... mich, was hält dich auf?“ Er breitete die Arme breit grinsend aus und erwartete den Todesstoß, erwartete irgendeinen Zerstörer, das Schwert von Mihn, irgendwas... nicht. Er wusste, Karana würde es nicht tun, als sich ihre Blicke ein weiteres Mal trafen...

Er zweifelt... weil er weiß, dass es sein eigener Tod wäre.

„Na... liebst du deine Frau... Karana?“, grinste der Mann und Karana strauchelte... er bebte, er ließ das Schwert sinken und schien mit sich zu hadern, schien es zu hassen, schien den Zwiespalt in ihm genau zu spüren, den Spalt zwischen seinen vielen Geistern im Inneren... „Liebst du... dich selbst mehr, sodass du statt sie zu rächen... lieber mein Diener wirst? Zu schwach bist du gewesen... immer, Tabari. Unter der Fuchtel deiner eigenen Ehefrau, unter der Fuchtel deiner verdammten Mutter, unter jedermanns Fuchtel – du bist nicht fähig, zu herrschen! Komm, Karana... ich gebe dir Stärke... damit du es besser kannst als Tabari!“

Karana starrte ihn an... das war der Moment, in dem er den Jüngeren frontal angriff. Er wehrte sich nur halbherzig, er war verwirrt, als die Klingen ihrer Waffen gegeneinander schlugen, wieder und wieder. Er trieb ihn, hetzte ihn, stieß ihn mit einem brutalen Schrei gegen die blecherne Wand des Schiffs und hätte ihn flambiert und zum Himmelsdonner gejagt, ergriffen von der Ekstase seiner puren Macht, dem Einfluss, den er auf Karana hatte, egal, wie er sein Mal beherrscht haben wollte... Karana war und blieb sein Spielzeug. Karana war nicht fähig, ihm zu entkommen, wenn er es nicht aus ganzem Herzen wollte... und um das zu wollen, war er einfach zu erbärmlich.

„Stirb... Karana, und deine Seele kehrt zu mir zurück... mit der Macht, die du nicht haben willst!“, schrie der Mann, als er mit dem Stilett nach dem Jungen hieb und ihn erstochen hätte, wäre nicht in dem Augenblick aus dem Nichts ein gewaltiger Blitz gekommen, der ihn mit einem ohrenbetäubenden Krachen erfasste und zurück zu Boden schleuderte, ihn durchbohrte und irgendetwas in seinem Inneren zerschmetterte... das nächste, was Manha sah, war die Klinge von Yamirs Speer direkt über seiner Brust.

„Ich habe die Nase voll davon, dir den Arsch retten zu müssen... Karana!“, blaffte Zoras Chimalis über ihm und Manha keuchte, starrte ihn an... der Jüngere sprach zwar zu Karana, sah dabei aber ihn an mit einer Entschlossenheit und Bestialität, dass er selbst einen Moment schauderte... dieser Mann kam direkt aus den tiefsten Abgründen des Himmelsdonners, er war der pure Tod in Person... es war in diesem einen, so kurzen Moment, in diesem einen Moment, in dem er diese wahnsinnige, obskure Macht wahrnahm, die der andere ausstrahlte, eine pure Präsenz aus geballter Bosheit und abgrundtiefer Finsternis, dass er mit einem Mal verstand, warum Salihah diesen Kerl ihm vorgezogen hatte...

Er war das, was er selbst nie gewesen war und immer hatte sein wollen... dieser Hurensohn.
 

Er war perfekt... er war der Sohn, den sein Vater sich gewünscht gehabt hätte.
 

Karana rappelte sich keuchend auf die Beine und sein Kopf protestierte und sagte, er sollte liegen bleiben, sonst würde er straucheln. Er tat es und ihm war speiübel, aber er musste sich mit aller Macht zusammenreißen und dagegen kämpfen – er musste!

„I-Iana...!“, stöhnte er haltlos und taumelte, als Zoras zurücktrat und zischend die Hellebarde herunter riss, „I-Iana, geht... es ihr gut?! Er hat... er hat sie...!“

„Sie scheint zu leben, eben hat sie noch gezuckt.“, schnaufte Zoras Derran vor ihm voller Selbstbeherrschung, „Reiß dich zusammen, Iana würde nicht wollen, dass du um ihretwillen flennst, sei ein Mann und stell dich deinem verdammten Kampf! Deinem... nicht meinem, Karana!“ Er trat zurück und Karana japste. Manha erhob sich.

„Warum bist du hier?“, fragte der junge Mann seinen Schwager und Zoras schnaufte abermals, dabei pustete er sich einige etwas zu lang gewordene schwarze Haarsträhnen aus den Augen.

„Um dir den Arsch zu retten vermutlich. Ich bin der Seelenfänger, das heißt, ich bringe die Geister ins Totenreich – und wer hier von euch krepiert, ist mir im Grunde egal, aber ich will seine Seele. Los, mach weiter, ich schnorr mir von Yarek 'ne Kippe und geh eine rauchen.“

Er war völlig im Einklang mit sich selbst – sein kleiner Körper und seine gewaltige Seele waren absolut im Einklang, Karana konnte es sehen, und er war verblüfft über diese abartige, übermenschliche Selbstbeherrschung, die Zoras gerade an den Tag legte... dieser Typ hatte immer hinter ihm gestanden. Er war der Sohn von Niemanden... aber er war definitiv, das war nicht mehr zu leugnen, der Nachkomme eines Geisterjägerclans. Er war der Erbe der Chimalis... und er strahlte eine solche Autorität aus, dass Karana nur erbleichen und ihn anstarren konnte... diesen Kerl, den er immer gehasst hatte.

Der mir meine Schwester weggenommen hat... und meine Würde.

Manha griff ihn mit Feuer an und Karana fuhr brüllend zu ihm herum und wehrte sich. In sich spürte er einen Zorn aufflammen, den er nie zuvor empfunden hatte, und er wusste nicht, ob er Manha oder Zoras galt oder noch jemandem anderes – er schlug wie ein Berserker auf seinen Gegner ein, er schleuderte pure Macht auf ihn, Windmesser, die ihn beinahe enthauptet und die Wände des Schiffs fast in Fetzen gelegt hätten, er legte all seinen Zorn auf die ganze Welt in seine Bewegungen, in seine Klinge, in seine Zauber... er war Karana! Er war der Sohn von Puran Lyra, er war der Erbe von Lyrien... niemand, verdammt, niemand, weder Kelar, noch Manha, noch Zoras, würde jemals vor ihm stehen... niemand!

„Sind wir nicht eins... Karana? Wir sind vom selben Schlag... du bist ich und ich bin du. Wir sind eins... nicht wahr?“ Kelars kehlige Lache hallte in seinem Kopf wider und Karana stöhnte, als ein so mächtiger Schmerz durch seinen verfluchten Unterarm schoss, dass er zu Boden stürzte und Manhas nächster Angriff ihn fast skalpiert hätte.

„Du bist immer... zu schwach gewesen. Ich gebe dir Macht... wenn du nur willst.“

Ich will...

Karana!“, hörte er Zoras irgendwo schreien, und er sah mit seinem einen Auge, wie sein Schwager seine Waffe wegstellte und stattdessen die Feder von seinem Umhang riss, die den Pakt mit den Todesvögeln besiegelt hatte – Saidahs Feder... die Feder der Chimalis'. „Karana, steh auf! Kämpf dagegen, du bist nicht seine verdammte Beute! Steh auf!“

Ich will... die Macht finden...! hallten seine eigenen Wünsche und Hoffnungen in ihm wider und er wand sich; er wollte aufstehen, er konnte nicht. Irgendein Feuerzauber schleuderte ihn zurück gegen die wand und er schrie auf, als der Schmerz heftiger wurde... Manha lachte irgendwo.
 

Bist du zu schwach... zum herrschen... über Schatten, Tabari?
 

„Ich will... die Macht finden...!“, keuchte Karana und rappelte sich auf, als die Angriffe stoppten... er stand seinem Gegner gegenüber und es war, als stünde er vor dem Spiegel... er sah nicht Manha, oder Kelar, er sah sich selbst. Er stand da, in einer Hand Feuer, in der anderen das Stilett, und in den Augen war nur Zorn... in den Augen war der Dämon, der ihn besaß, immer, seit er lebte, der in ihm lebte und der immer wieder versuchte, ihn ganz und gar zu unterwerfen...

Und er war Karana, er stand sich selbst gegenüber... dem dunklen, boshaften Teil von sich, und er hatte noch nie so klar die Trennlinie ziehen können zwischen sich selbst... und dem anderen Karana.

Sie waren nicht eins... sie waren zwei Welten, zusammen in einen Körper gesteckt... sie konnten nicht beide überleben. Er riss das Schwert von Mihn hoch und er spürte, wie Zoras irgendwo schräg hinter ihm den Arm wortlos nach vorne schnellen ließ in dem Moment, in dem sich Karana mit einem wüsten Schrei frontal auf Ulan Manha stürzte... auf sich selbst, auf den Dämon, auf das in sich, was er verdammt noch mal so sehr fürchtete und hasste...

Nicht mehr, niemals wieder.

„Die Macht finden... dich zu vernichten, Dämon von Lyrien!“, brüllte er, und als er sein Schwert tief in den Rumpf seines Gegners bohrte, spürte er den Schmerz auch selbst, im Unterarm, wo das Mal saß, wie auch irgendwo in seinem Kopf, als etwas explodierte in seinem Geist, als würde es wie Glas zerspringen. Er war noch nie so eindeutig... Karana gewesen wie in diesem Moment... und irritierenderweise war es dieser Moment des Todes und des brutalsten, fürchterlichsten Schmerzes, als er über Manha saß und der unter ihm zusammenfuhr und einen letzten, markerschütternden Todesschrei ausstieß, als Zoras' Paktfeder seine Brust zerschmetterte, dass Karana spürte, wie sich Ianas Lebensgeist bewegte... sie war am Leben, genau wie das Baby, er konnte es spüren... es ging ihnen gut.

Manha röchelte, als er seine letzten Worte sprach... und seine Augen bohrten sich auf eine Weise in Karanas Seele, die den jungen Mann niemals in seinem restlichen Leben mehr loslassen würde, die ihn bis an sein Lebensende verfolgen würde...

Sie riefen nach ihm... Hinab in den Schatten, sagten sie.

„Kelars Geist... ist... nicht sterblich genug... f-für dich... Tabari.“

Das sagte er, dann spuckte er Blut und verendete auf dem metallenen Boden des Raumschiffes.
 

Iana wachte auf und hatte kaum Schmerzen. Das Feuer war weg – sie erinnerte sich an das Feuer, wusste aber nicht, wo es hin war. Sie lag auf dem Boden und es war kalt... und die Geisterfrau sprach mit ihr.

„Vergib mir, Iana. Ich verlange viel von deinem sterblichen Körper... es erschöpft dich.“ Iana antwortete nicht und war auch nicht sicher, ob sie gekonnt hätte... sie war so müde. Ihre Lider waren schwer und dennoch erhob sie sich plötzlich – nein, nicht sie, es war, als zögen Fäden von der Decke sie empor, lenkten sie, rissen sie aus dem schmerzfreien Schlaf. Als sie sich bewegte, schmerzte jeder Muskel und fühlte sich an, als würde er reißen, und sie bebte und keuchte... Nalani Kandaya wisperte in ihrem Kopf und sie klang angespannt. Iana hatte keine Angst... sie hatte nur verdammte Schmerzen. „Ich konnte nicht mehr tun, Iana.“, sagte Nalani zu ihr, „Als er dich angegriffen hat mit Feuer, habe ich dich und dein ungeborenes Kind mit Wasser geschützt... da das aber heißt, dass dein Körper sich mehr anstrengen musste als ich gewollt habe, wird es schwerer. Halt durch... noch kurz. Du hast noch eine Aufgabe, Iana... nur noch eine, dann lasse ich dich gehen. Das... ist die Letzte.“ Iana atmete – auf viel mehr konnte sie sich nicht konzentrieren, aber sie sah geradeaus und dahin, wo Manha am Boden lag, ein blutiges Gemetzel irgendwo an seinem Rumpf, irgendwo kauerte Karana – und hinter Karana stand Zoras Derran, die Arme wie in Trance von sich nach vorn gestreckt und am ganzen Leib bebend, als kämpfte er gegen einen Widerstand an, der aus seinem Inneren kam... und es war in dem Moment, in dem Ianas Kontrolle über ihren eigenen Geist wieder schlafen ging und Nalani machen ließ, dass sie Zoras' Blick fing... und aus seinen grünen, schmalen Augen stierte Manhas purer, abgrundtiefer Wahnsinn.
 

Zoras erzitterte am ganzen Körper, ergriffen von der unglaublichen Macht des Geistes, und er keuchte und versuchte empört, nicht umzufallen. Manhas Schattengeist war mächtig... verdammt, er war der Seelenfänger! Es war seine Aufgabe, ihn zu vernichten... er hatte gewusst, dass er es hasste.

„Ich werde dich töten, Geist!“, schnappte er, „Du wirst nicht entkommen und wiedergeboren werden! Das lasse ich nicht... zu...!“ Er spürte das Blut in seinem Inneren brodeln, den Schatten seiner Seele empor kochen wie überschäumende Milch und wie es immer schwerer wurde, zu stehen, als würde er versuchen, ein wildes Pferd zu bändigen. Die Seele riss an ihm und drohte, ihn zu zerreißen – da spürte er plötzlich Hände, die sich auf seinen Kopf legten. Ein dunkler, unheilschwangerer Schatten überkam ihn und er hörte eine Frauenstimme direkt neben einem Ohr.

Lass auf keinen Fall los, Zoras… halte noch einen Moment durch! Ich bin die Herrscherin der Schatten, die letzte Tochter des Kandaya-Clans. Ich werde Kelar Lyras Geist für immer im Schatten einsperren und in Stücke reißen!

„Du bist… Nalani Lyra…?!“, stöhnte Zoras und sah bebend zu Iana, die neben ihm aufgetaucht war; ihre Augen waren so voller Macht, so voller Dunkelheit und dennoch voller Licht… das Licht einer wahren Königin. Sie ließ seinen Kopf los und riss die Arme empor, darin hielt sie den Dolch, Kadhúrem.

Schattenklinge!“, rief sie ihre Waffe, und mit einem erneuten Krachen wurde es dunkel im Raum. „Bring mir Dunkelheit, bring mir Verderben! Zerschmettere den Geist, der nicht zurückkehren darf!

Ein ohrenbetäubendes Donnern aus dem Himmel, den sie nicht sehen konnten, folgte. Zoras keuchte. Die Seele, die er in den Händen hielt, versuchte mit aller Kraft, sich loszureißen; aber sie versuchte nicht, vor ihm zu fliehen, sondern in seinen Körper zu flüchten…

„Schnell!“, schrie er verzweifelt, „I-ich kann den Geist nicht mehr halten, e-er ist zu stark!“ Er fuhr herum und wurde von der Macht ergriffen und zu Boden geschleudert, weiterhin versuchend, den Geist zu fesseln. Es schmerzte… plötzlich spürte er die schwarze Leere in seinem Innersten wieder, der er vorhin noch entkommen war… das schwarze, alles verschlingende Loch seiner grauenhaften Kindheit, das sich von Hass ernährte.

Nein! Ich darf nicht dagegen verlieren!, sagte er sich entsetzt und schrie und wand sich auf dem Boden im Kampf gegen die Seele – gegen seinen eigenen Hass, den Kelars Geist wieder hervorbrachte.

Halt durch... Zoras!“, hörte er Iana irgendwo, oder Nalani, er wusste es nicht und er konnte sich nicht konzentrieren, und er griff schreiend an seine eigenen Schläfen und wand sich, wollte sie ignorieren... die Geisterstimmen, die auf ihn einredeten und seine Seele vergiften wollten.

„Was denn, so schwach... Chimalis?“, gackerte Manhas Seele und er spürte, wie ihm die Kontrolle über diesen Geist zwischen den Fingern zerrann wie Sand in der Wüste von Fann, „Fürchtest du dich...? Du willst hassen… du willst töten! Das ist deine Bestimmung, zu morden und zu hassen! Nur Dunkelheit und… Hass!“

„Nein!“, brüllte Zoras und er griff nach der Seele, er stürzte sich mit aller geistigen Macht, die er hatte, wieder auf sie und packte sie, hielt sie fest und riss den Kopf in Ianas Richtung herum, während er sich auf dem Boden wand und versuchte, der brutalen Gewalt irgendwie zu widerstehen, die an ihm riss und ihn zerfetzen wollte. „Verdammt... tu es doch endlich, Schattenkönigin!“, brüllte er, „Ich kann sie nicht halten, sie ist zu mächtig!“

„Wage dich, Wachtel!“, geiferte Kelars Geist in seinem Inneren und Zoras schrie, seine Augen weiteten sich in blanker Panik, als er Ianas oder Nalanis Blick fing...

Und er war erleichtert, weil sie wusste, was er wollte.

„Verdammt, tu es! Jetzt, bring ihn um! Es war dein Dolch, der ihn zerschmetterte in meiner Vision!“

„W-was... was?!“, japste Karana irgendwo und Zoras hatte keine Zeit, den Idioten zu beachten.

„Ersteche mich, dann ist es vorüber... Iana!“

Und sie tat, wie er ihr befohlen hatte, und als sie Kadhúrem, die Schattenklinge, in seine Brust rammte, spürte er kaum Schmerz... da war ja auch kaum eine Seele, sondern bloß ein schwarzes Loch. Und dennoch würde das reichen... es war vorüber.
 

Karana traute seinen Augen nicht und glaubte, er hätte irgendetwas verpasst – da war Zoras am Boden, halb aufgerichtet, und Iana kniete vor ihm, ihren Dolch bis zum Anschlag in seinen Oberkörper gerammt. Er selbst saß immer noch über Manhas Leiche und war von oben bis unten voller Blut, es stank nach Tod und... was zum Geier passierte hier, wieso tötete Iana Neisas Mann?!

„W-was... was ist mit dir, bist du verrückt gew-...?!“, japste er, aber sie fiel ihm ins Wort, als sie sich erhob; Zoras keuchte und brach Blut spuckend zusammen, als sie die Schattenklinge aus seiner Brust zerrte; es musste pures Glück sein, dass sie mit den Widerhaken an der Spitze nichts Wichtiges herausgezerrt hatte. Wobei das bei dem tiefen Stich nebensächlich sein dürfte...

Ich spüre die Seele!“, sagte Nalani, „Ich… zerfetze dich… und du wirst niemals zurückkehren, Kelar!“ Karana starrte sie an, als sie Kadhúrem mit solcher Wucht in den Boden vor sich rammte, genau zwischen sich selbst und Zoras, dass ein mächtiges Loch im Metall entstand. Der junge Mann keuchte und wagte nicht, sich zu rühren.

Plötzlich wurde es merkwürdig still, abgesehen von Zoras‘ rasselndem Atem und dem stockenden Keuchen, das Karana von sich gab. Iana ließ den Dolch los und rappelte sich zitternd auf die Beine – nein, es war noch immer Nalani, die da stand.

Karana.“, sprach sie kalt, und er erschrak sich so sehr, dass er zu wimmern anfing wie ein kleines Kind, das aus einem Alptraum erwacht war.

„N-nein!“, schrie er, „W-was… i-ist… ist Kelars Geist…?!“

Sein Geist wurde im Schatten zerfetzt.“, sagte die Frau. „Du musst seinen Körper in Stücke reißen. Das ist nicht meine Aufgabe, denn du trägst das zerstörerische Schwert von Mihn. Reiß Scharans Körper in Fetzen und wirf sie hinaus in den Himmel. Die Dunkelheit des Abgrunds wird die Stücke verschlingen.

„D-du hast… was ist mit Zoras?! Wie konntet du…?!“

Es war sein Wille und die einzige Möglichkeit, Kelars Geist zu fassen.“, entgegnete Nalani unbarmherzig. „Lebe damit, Karana. Tu deine Pflicht.“ Dann verschwand sie – plötzlich wurden Ianas Augen wieder klar; aber ehe ihr Mann etwas sagen konnte, brach sie stöhnend in sich zusammen und blieb bewusstlos liegen. Karana jammerte.

„Was mache ich denn nur?!“

Er hörte Schritte und einen Moment später tauchte quasi die Hälfte der Mischpoke bei ihm auf, mit der er hergekommen war – da waren Yarek, Simu, Eneela, Neisa, selbst Ryanne, sie alle waren wohlauf und als sie kamen, waren die Reaktionen unterschiedlich.

„Er ist tot!“, japste Simu als Erstes, während Eneela fiepte und sich anhörte wie ein erschrockenes Eichhörnchen – und Neisa tat das einzige, was Karana in dem Moment von ihr erwartet hatte.

„Zoras!“, schrie sie und stürzte zu ihrem Mann, und er verübelte es ihr nicht und zog es vor, nachdem er mühsam und sehr wackelig auf die Beine gekommen war, sich um seine Frau zu bemühen, zu der er herüber taumelte. Ihr Puls war schwach, aber sie schien zu leben... vermutlich tat Neisa recht daran, Zoras zuerst zu versorgen, schließlich hatte er...

Verdammt.

Er hörte sie heulen und schreien, als er zu ihr und Zoras herüber linste, und irgendetwas in ihm zog sich vor Gram zusammen, als er seine kleine Schwester vor Panik weinen hörte. Er hatte Zoras nie gemocht... so gar nicht. Er hatte ihn gehasst, verabscheut, aber Neisa liebte ihn... wenn er jetzt starb, würde Neisa eingehen, das wusste er.

Und wenn seine eigene Frau daran Schuld war...

„Scheiße!“, schrie er wie wahnsinnig, als Simu neben ihn kam und ihm eine Hand auf die Schulter legen wollte – er schlug sie weg und fluchte ungehalten über all seine Unbill und die von Neisa oder Iana oder selbst Zoras – dann war direkt vor ihm die Seherin, die ihn anstrahlte mit einem Blick, den er noch nie bei ihr gesehen hatte.

Sie war nicht... verrückt. Zum ersten Mal war sie nicht verrückt.

„Hör auf zu flennen. Du bist ja wie dein Vater.“, sagte sie zu ihm und zeigte auf Neisa, „Sie ist nicht umsonst Heilerin, du Schafskopf.“ Und er starrte auf Neisa, die sich über ihren Gatten gebeugt hatte und mit den Händen die Wunde in seiner Brust... schloss. Dieses gewaltige Loch, wo gerade noch Kadhúrem gesteckt hatte, es schloss sich und verschwand, und Karana starrte sie fassungslos an, sah ihre Anstrengung, sah die Verbindung ihrer Seele mit den Geistern der Mutter Erde... es waren Geister, die Leben schufen. Sie keuchte, als sie von Zoras' Brust abließ und zitternd mit den Fingern über sein mit Blut bespritztes Kinn strich.

„Du... bist rau.“, wisperte sie, „Du hast... wohl vergessen, dich zu rasieren.“

Und er öffnete ein Auge und murrte sie an, und Karana starrte zu ihnen herüber, als Zoras eine Hand hob und sich ans Kinn fasste, dann verdrehte er seine Augen wieder und ließ den Kopf zurück zu Boden kippen.

„Ich bin vom Rasieren geschädigt, Neisa, halt die Klappe.“

Karana starrte nur dumm herüber, vermutlich taten alle anderen das gleiche... Neisa lächelte. Sie war so erwachsen... zum ersten Mal, seit sie lebte, sah Karana sie an und sah nicht mehr seine kleine Schwester oder irgendeine begehrenswerte Frau dieser Welt... sie war richtig erwachsen, und sie strahlte eine Anmut und einen Stolz aus, gleichzeitig eine so innige und aufrichtige Liebe zu ihrem komischen Mann, dass er spontan verwirrt war, wie er sich je zwischen diese beiden hatte stellen können...
 

Sie waren perfekt.
 

„Willkommen zurück... am Ufer, Liebster.“, sagte sie zu ihm, und Zoras brummelte irgendetwas Unverständliches über Fann und Rasieren vor sich hin – sein Gemurmel wurde unterbrochen, als von draußen, aus Richtung der Trias, ein gewaltiges Krachen ertönte – ein Grollen wie aus dem tiefsten Schlund der tiefsten, finstersten Erde, und Karana fuhr zusammen, als etwas in ihm Alarm schlug... er konnte nur nicht sagen, was es war.
 


 

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Öh.... epische Dramatik für alle? Irgendwie hätte es die Geschichte fast interessanter gemacht wäre Karana gestorben, also, weil es dauernd erwähnt wurde er würde sterben wenn Manha stirbt, blabla, und dann passiert das gar nicht oô Überhaupt sterben irgendwie zu wenige... eines Tages mache ich eine erwachsenere Non-Disney-Version in der alle sterben. uû Oh ja. - na gut, nicht alle. Aber irgendwie weird dass alle ihre Kämpfe überleben und so o,o

Noch zwei Kapitel, yeah!

Leben

Ein zylinderförmiger Gegenstand, an den Enden mit Gold eingefasst, in ihm eine wabernde Art Flüssigkeit, hatte Thiras komischer Cousin gesagt. Asta starrte auf das Ding in ihren zerkratzten Händen, das sie aus dem verbeulten Heck der Tari Randora geangelt hatte, und glich es in Gedanken mit der Beschreibung ab; das musste sie sein. Sie schien intakt zu sein, das war gut – ohne diese Batterie wären sie alle verloren. Allerdings hatte Asta wenig bis gar keine – eher letzteres – Ahnung von zuyyanischen Dingen, oder gar Endlosbatterien, wer wusste, ob sie doch kaputt war?

„Ich habe sie!“, schrie sie unter dem Schrott durch, der über ihnen bebte und einzustürzen drohte, und sie sah auf der anderen Seite des Haufens Thiras angespanntes Gesicht.

„Dann rolle sie hier unten durch, rasch!“, schrie die Zuyyanerin, „Und mit Schwung, damit sie nicht stecken bleibt!“

„Meinst du, das Ding passt da durch?!“, japste Tayson, „U-und wie kriegen wir Asta da raus?!“

„Das ist mir im Moment völlig egal!“, blaffte Thira mit einem Zorn und einem Elan in der Stimme, dass Asta ihre harschen Worte kaum bezweifelte – sie war es gewohnt. Sie war allen egal, sie war sogar sich selbst egal.

Wer war sie denn? Asta Zinca, Tochter eines Vergewaltigers und Mörders, ein dummes Mädchen aus Holia, das weder irgendetwas konnte noch zu irgendetwas taugte. Thira war eine große, wichtige Person, wie sollte sie sich um jemanden so Unwichtiges wie sie scheren? Es war nicht einmal Selbstmitleid, was sie empfand, als sie die Batterie mit allem Schwung, den sie haben konnte, über den holprigen, zerrissenen Boden rollte; sie stand zu ihrem Schicksal, sie war nicht groß. Sie war nicht dafür geboren, groß zu sein, und sie war zufrieden damit, sehr klein zu sein...

In Holia schon wäre sie am liebsten nicht nur klein, sondern unsichtbar gewesen...

Die Batterie blieb irgendwo unter dem Schrott stecken.

Asta starrte auf das Ding, das sich nicht mehr bewegte, und irgendwie war es so klar gewesen – warum war sie nicht einmal dafür zu gebrauchen, die verdammte Batterie zu Thira zu schaffen?!

„Sieht nicht gut aus.“, sagte Thiras seltsamer Cousin, der auf der anderen Seite neben ihr auftauchte, „Also mit der Hand kommt niemand von uns mehr an sie heran.“

„Was machen wir denn jetzt?!“, jammerte Asta panisch und wurde ignoriert, aber Thiras Cousin schien unkaputtbar zu sein, jedenfalls zog er seine Waffe, eine Art Dolch mit drei Klingen, und schleuderte einen Eiszauber auf die Batterie; Asta fragte sich erst, ob er bescheuert war, aber dann erkannte sie, dass er so eine Verbindung aus Eis zwischen seiner Waffe und dem Gegenstand geschaffen hatte, mit so einem verlängerten Arm konnte er die Batterie mit offenbar einiger roher Gewalt und einem Ruck, dem ein grausames Knirschen von oben folgte, unter dem Schrott heraus zerren. Die junge Frau japste vor Erleichterung, obwohl sie das alles an sich kaum tangierte – war sie nicht sowieso egal?

„Habt ihr sie?!“, fragte sie überflüssig, und Thira hatte sich bereits mit ihrem Cousin erhoben.

„Rasch, zurück zur Trias.“, ließ jener verlauten, dann wandte er sich offenbar an Tayson: „Und du, sieh zu, dass du hier raus und ins andere Schiff kommst, denn das hier wird vermutlich in Kürze zusammenbrechen und jeden, der noch hier drinnen ist, begraben.“ Das sagte er und dann erklangen Schritte, die sich entfernten. Asta saß japsend am Boden und starrte unter dem Müll hindurch auf die Stelle, wo gerade noch Thira und ihr Vetter gewesen waren; jetzt waren da Taysons Füße – und sein Kopf, als er sich wieder herab beugte.

„Ich hole dich da raus, egal wie!“, schwor er ihr ernst, „Ich lasse dich nicht verrecken, bleib wo du bist! I-ich versuche mal, mich von außen rein zu schlagen!“ Dann rannte er weg und Asta schnaufte irritiert – Bleib wo du bist, der war witzig. Wo sollte sie denn hin?
 

Thira schnappte nach Luft und sah auf die Batterie in ihren Händen, während Yamuru langsam hinter sie trat. Das Gefühl, in der Trias zu stehen, vor sich das kleine, kastenförmige Gerät, in das die Batterie sollte, war überwältigend. Es war zu mächtig für sie und sie spürte, dass ihre Knie weich wie Gummi waren, während sie da stand. Sie spürte Yamurus Atem in ihrem Nacken und seine Nähe elektrisierte sie, als würde die ganze Präsenz dieser riesigen, sagenumwobenen Maschine ihre Anziehungskraft zwischen ihnen beiden mit aller Kraft wirken lassen wollen.

„Steck sie rein.“, sagte Yamuru kalt und sie schauderte; klang zweideutig. „Je eher, desto besser, wir müssen schließlich noch zurück zur Zuyya... und das rasch.“

„Wir?“, fragte sie ungläubig, dann errötete sie. „Du… wir… du meinst, wir bleiben… jetzt zusammen? Ich weiß nicht, ob ich dir vergeben kann.“

„Musst du nicht.“, sagte er und strich ihr flüchtig über die grünen Haare. „Rasch, steck sie rein, wir fangen gleich an!“ Thira nickte und sah auf die Batterie, deren Licht immer mehr verblasste.

Verblasste?

„Yamuru!“, keuchte sie, als sie die Batterie in ihrer Hand drehte und erkannte, wieso das glimmende Licht verblasste, „Sie... sie hat einen Sprung!“

Das Glas war gesprungen; die wabernde Substanz trat aus dem Inneren und benetzte bereits Thiras Hand, und sie starrte noch fassungslos auf das, was da auf ihren Fingern klebte und sich dann in einem surrealen Licht auflöste, da schnappte Yamuru ihr die Batterie bereits weg und schob sie in den Kasten, in den sie gehörte – er schloss sich, als er einen Knopf betätigte, als hätte er seit Jahren gewusst, wie diese Maschine zu bedienen war, und Thira starrte ihn einen Moment an... er hatte die Augen geweitet und wirkte einen Augenblick lang apathisch, als er auf den Kasten starrte. Thira schauderte und in ihrem Inneren breitete sich ein fürchterliches Gefühl der Unruhe aus – etwas lief schief.

Sie hätte niemals springen dürfen... war es zu viel für die Batterie gewesen, unter dem Schrott hervorgezogen zu werden?

„Ich habe es nicht bemerkt bis eben!“, keuchte sie und hatte das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen; Yamuru fiel ihr ins Wort.

„Jetzt wird nicht mehr der Energie austreten, wo sie im Kasten verschlossen ist.“, kommentierte er sein Handeln, „Versuchen wir, sie zu aktivieren, jetzt gleich. Hoffentlich ist nicht zu viel ausgelaufen...“ Er machte eine Handbewegung mit der Sanhari, die er hielt, „Los, zieh den Hebel, Thira!“

Sie tat es... und es geschah nichts.
 

„W-was…?! Es hat nicht funktioniert?!“, machte sie perplex. Yamuru sah schweigend auf den Hebel. Sie drückte ihn hoch und versuchte es noch einmal; eben hatte es noch kurz gesurrt, jetzt tat es nicht mal mehr das. Sie keuchte und wurde hektisch.

„Sie hat zu viele Seelen verloren.“, sagte Yamuru und es war nicht so, dass er es nicht irgendwie geahnt hätte. „Hat Chenoa dir ihre Baupläne vermacht?“

„Was?!“, schrie sie ihn an, „Was soll mir das jetzt helfen?! Wenn diese Batterie nicht funktioniert, funktioniert die Trias nicht!“

„Vielleicht können wir eine andere Energiequelle anzapfen, die uns den Rest gibt, der der Batterie jetzt fehlt.“, erläuterte er seine vorige Frage und sah sich in dem surrealen Ding um, in dem sie standen. Das einzig handfeste hier schien die Plattform zu sein, auf der sie standen, mit all ihren Geräten. Er fragte sich, wie Honuk Jamali diese Maschine gefertigt haben mochte... es war ein gutes Stück Magie in ihr.

Alte Magie... Magie der Altvorderenzeit. Magie der Götter von Khad-Arza.

„Können wir nicht einfach die Seelen von Manhas Schakalen nehmen?!“, fauchte Thira aufgebracht, und ihre Emotionalität hätte ihn erfreut, hätte er nicht gerade andere Sorgen gehabt.

„Sie sind zu lange tot, Thira.“, sagte er, „Das funktioniert nicht, ihre Seelen sind längst verblasst. Falls sie welche hatten, oder so. „Also, hast du die Pläne? Vielleicht hat der gute Alrik Jchrrah irgendetwas vermerkt über die Energiegewinnung, immerhin gehört das Konzept der Tari Randora mit dem der Trias unvermeidlich zusammen.“ Er holte seine eigene Reikyu herauf und versuchte, die Menge der Energie abzumessen, die fehlte. Hinter ihm wühlte Thira in ihren Kleidern und zog tatsächlich die Pläne unter ihren Rock hervor, die Kanau aus dem Palast gestohlen, Emo gegeben und ihn wieder zurück zum Palast hatte bringen lassen. Wäre auch reichlich dumm von Chenoa gewesen, sie Thira nicht mitzugeben.

„Energiequelle, Energiequelle... h-hier steht nichts von Energiequelle!“, stammelte sie und wühlte in den Pergamenten, vollkommen neben sich und fahrig. Sie bebte und er spürte, dass der Schatten ihre Unruhe verstärkte...

In ihrem Inneren wusste sie genauso wie er, wie das hier enden würde, wurde ihm klar, und er musste gerührt lächeln über die Art, in der sie es auf keinen Fall wahrhaben wollte.

„Tod... und Schatten.“, murmelte er mit einem Kopfnicken, und sie fuhr hoch.

„Was hast du gesagt?!“

„Such nach Energiemangel.“, schlug er ihr vor, „Ersatzenergie, oder so. Alles, was damit zu tun haben könnte, vielleicht können wir die boshafte Energie des Abgrunds anzapfen, immerhin ist auch boshafte Energie Energie...“ Schnapsidee, es sei denn, man wollte eine Welt, die rundherum die Aura des Yirana-Nebels versprühte. Gab sicher eine super Stimmung da... der Gedanke hätte ihn lachen gelassen, aber er war so pietätvoll, Thiras Panik-Modus nicht zu zerstören.

Er begehrte sie... jetzt noch mehr als je zuvor, kam ihm, weil er spürte, wie ihre kleine Seele die Schale abwarf wie ein schlüpfendes Küken. Sie war so schön...

Sie war sein.
 

Die Tari Randora war zwar Mus, allerdings waren die Außenwände mit nur einem Schwert unmöglich zu zerstören, stellte Tayson Marih beklommen fest, als er um das Wrack herum rannte und irgendwie versuchte, am Heck hinein zu gelangen und Asta zu befreien. Verdammt, sie konnten sie doch nicht hier lassen... er wusste gar nicht, ob es ihm echt um Asta ging oder ob er nicht einfach einen Heldenkomplex hatte, der ihn dazu trieb, unbedingt zu beweisen, dass er etwas konnte. Er hatte das schon immer gehabt... er hatte es bei Neisa auch gehabt.

Neisa... die ihn verraten hatte und jetzt Zoras Derrans Frau war, pff. So ganz vergeben hatte er ihr immer noch nicht und würde es vielleicht auch nie, und verstehen, was sie an diesem Pimpf fand, tat er auch nicht... das war sicher so eine Schamanensache, verbundene Geister und so... ihm war das zu hoch. Er war nur ein Mensch... er war kein Magier. Vielleicht hing er darum an Asta... sie war wie er. Sie gehörte nicht hierher, sie war nur da und wurde meistens ignoriert. Er hatte sie nie ignoriert, seit sie aufgebrochen waren mit dem Schiff. Er wusste nicht, ob sie es gemerkt hatte... er hatte sie manchmal angesehen, wenn sie ihm im Steuerraum Gesellschaft geleistet hatte. Sie war oft da gewesen, einfach nur da, und sie hatten kaum geredet, denn es gab nichts zu sagen. Aber er war froh gewesen, dass sie da gewesen war... er hatte das Gefühl, ihr das nie gesagt zu haben.

Er musste sie unbedingt retten, sie durfte nicht sterben! Er mochte sie doch...

Der Gedanke ließ ihn kurz verblüfft schnaufen, denn unmittelbar nach ihm entdeckte er eine ziemlich schmale Lücke zwischen den Trümmern der zerquetschten Außenwand des Hecks, die ins Innere des Schiffes führte. Sie war ein gutes Stück über dem Boden und er musste klettern, um hin zu gelangen... aber er kam ins Schiff. Die scharfen Kanten des Risses im Schiff zerschnitten ihm Hände, Kleider und Beine, aber Tayson ignorierte den Schmerz tapfer, während ihn der Gedanke irritierte, dass er Asta gern hatte... er war immer so ein oberflächlicher Typ gewesen. Nie hätte er ein hässliches Mädchen für interessant befunden. Asta war etwas anderes... sie war ein wertvoller Mensch, man sah es von außen vielleicht nicht so, weil sie nicht auffiel... oder es kam gerade deswegen.

„Asta!“, rief er sie, als er sich irgendwie durch den Schrott kämpfte, „Asta, ich bin hier! Kannst du hierher durch kommen?! Hier gibt es einen Ausgang... Asta!“ Er schlug mit seinem Schwert eine verbeulte Tür zur Seite und dann konnte er sie sehen. Die junge Frau kroch durch den eingekrachten Korridor auf ihn zu und als sie ihn erreichte, fiel sie ihm um den Hals.

„Du hast... du hast mich nicht hier verrecken gelassen...“, stammelte sie und Tayson schnaubte.

„Hallo? Sowas würde ich niemals tun!“ Sie errötete.

„Bin... doch bloß ich... ich hatte Angst.“ Er nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her zurück zum Spalt in der Außenwand.

„Ich frage mich ja bloß, was wir ohne das Schiff machen!“, sagte er empört, „Ich meine, wie kommen wir zurück?“

„Mit Manhas Schiff?“, fragte sie zaghaft und er drehte sich um und sah sie dumm an. Moment... was sagte sie da? Moment, Yamuru hatte so etwas auch gesagt...

„Wie jetzt?“, fragte er verwirrt, als er ihr aus dem Spalt half – sie schnitten sich beide und Asta schrie, als sie draußen aus dem Loch auf die Plattform knallte, und er schalt sich einen Deppen, weil er vergessen hatte sie zu warnen, dass es da ein Stück herunter ging...

„Na ja, die Tari Randora funktioniert ohne die Batterie sowieso nicht!“, erklärte sie scheu und er zwängte sich keuchend und ächzend auch noch mal durch den Spalt. „Aber Manhas Schiff läuft auch mit einer Batterie, oder? Vielleicht w-war es Schicksal, dass Manha sich auch ein Schiff bauen konnte... denn ohne ihn wären wir nie... in der Lage gewesen, zurückzufahren!“ Tayson ließ sich das durch den Kopf gehen. Moment, sie hatte recht... irgendwie...

„D-dann, was ist denn mit der Mannschaft?! Also, Manha, seine Schergen... ob die wohl dafür sind, dass wir mit ihnen mitfahren?!“

„Idiot.“, sagte Asta verblüffenderweise zu ihm und er starrte sie an, als sie gemeinsam um die Schiffe herum rannten, zurück zum Eingang der Tari Randora Zwei. „Von denen wird, wenn wir das überleben, niemand übrig sein, oder? Karana wird Manha töten und... die Schakale werden vermutlich von den anderen erschlagen.“

„D-du... du redest so skrupellos über das Morden von Menschen, als wäre das für dich ein alltägliches Thema, und ich dachte, du wärst die Unschuld vom Lande!“, keuchte Tayson irritiert, aber irgendwie auch beeindruckt von ihrem Schneid, und Asta schenkte ihm ein etwas klägliches Lächeln.

„Ich bin in Holia als Tochter von Arlon Zinca aufgewachsen... vergessen?“
 

Die Plattform war bereits leer und tot, als sie wieder zurückkehrten, das Krachen hatte aufgehört. Die Schakale waren wirklich tot, fand Tayson heraus; von manchen sah er die Reste, von Manha war keine Spur – aber soweit er wusste, war der in seinem Schiff geblieben. Der junge Mann zögerte etwas, ehe er mit Asta in die Tari Randora Zwei kletterte, durch die sperrangelweit geöffnete Eingangstür ins menschenleere, düstere Innere des noch intakten Raumschiffes. Er hörte keinen Ton... war der Kampf vorbei? Wo waren die anderen?

„Was ist mit den Lianern?“, fragte Asta ihn gerade und unterbrach seine Gedanken, und er schenkte ihr einen kurzen Blick.

„Häh?“

„I-ich meine, Manha hatte doch Sklaven... sie müssen doch hier an Bord sein!“ Er sah sie an und fand, dass sie recht hatte... richtig, Scharan, der Sklavenkönig, hatte doch viele Lianer unter seiner Fuchtel gehabt... aber er kam abermals nicht zum Weiterdenken, und dieses Mal war es Yarek, der ihn unterbrach.

„Sucht nicht nach ihnen, von denen ist nichts übrig.“

Tayson starrte den rothaarigen Mann an und Asta neben ihm schauderte.

„Sind sie tot?“, fragte sie und Yarek steckte sich eine Kippe an – dass die nie alle waren – und pustete den Rauch in die Luft, ehe er antwortete.

„Niemand hier an Bord war noch am Leben abgesehen von Manha selbst, zumindest, als wir rein kamen; inzwischen ist der auch hinüber, die anderen sind im Steuerraum. Manha muss die Sklavinnen selbst geschlachtet haben, warum, fragt mich jetzt nicht... vermutlich in einem Anfall von akutem Wahnsinn, oder so.“ Tayson schauderte.

„E-er hat sie... alle umgebracht?! Einfach so?!“

„Reichlich kontraproduktiv, soll man meinen.“, stammelte Asta und er starrte sie an; was kannte sie bitte für komplizierte Worte? Kontra... was?!

„Etwas.“, gab Yarek zu und blinzelte. „Vor allem, weil das die Anzahl der noch lebenden Lianer auf vermutlich ein Dutzend oder so reduziert, wenn überhaupt, und eine davon ist Eneela. Die sind echt eine bedrohte Art, katastrophal irgendwie.“

„Und der Großteil dieses Dutzends wird auch sterben, wenn wir nicht bald umkehren zur Zuyya.“, bemerkte Asta, „W-was ist mit Thira? Hat sie die Batterie eingesetzt, die Trias gestartet, oder so?“

„Genau genommen warte ich nur noch auf sie.“, entgegnete Yarek, „Geht ihr zwei zu den anderen; ich warte weiter. Abgesehen von Yamuru ist niemand mehr am Leben von der Truppe hier, ich glaube nicht, dass der ihr... eine Gefahr ist.“

„Was?!“, rief Tayson alarmiert, „Sie ist mit dem Kerl alleine da drinnen?! Was, wenn er sie erpresst, oder getötet hat, oder...?!“

„Tayson...“, seufzte der Mann und der Schwarzhaarige schnaufte bei dem bedauernden Blick, den er da bekam – hey, bemitleidete dieser Penner ihn?! „Du kriegst nicht viel mit, was? Vertrau mir, es gibt sicher einiges, was Yamuru von Thira will, aber ich glaube nicht, dass es ihr Tod ist.“

Tayson war verwirrt. Den sollte mal jemand verstehen... dass Asta irgendwie errötete und beschämt wegsah, signalisierte ihm, dass sie es verstanden hatte – häh? Warum war sie intelligenter als er? Gemeinheit...
 

Es gab keine andere Energiequelle.

Yamuru und Thira standen eine Weile still schweigend auf der Plattform der Trias mit den Plänen der Tari Randora. Sie hatten sich tausende Möglichkeiten überlegt, die Energie zu verlegen, irgendetwas zu tun… aber es gab keine Lösung. Es gab nicht genug Energie… sie würden die Trias nicht benutzen können beim aktuellen Stand.

„Das… das ist ein Scherz! Und ein verdammt schlechter!“, schrie das Mädchen plötzlich und brach die Stille. Sie stampfte im Kreis herum und schnaubte wütend. „W-wir sind den ganzen Weg hergekommen, weil wir dachten… weil wir glaubten, so neues Leben erschaffen zu können! Und jetzt funktioniert es nicht, wie… wie kann Katari uns das antun?! Katari hat uns… verraten!“

„Nein… das hat er nicht.“, machte Yamuru gelassen, und sie fuhr herum und starrte ihn wutentbrannt an. Er zuckte. In ihren Augen waren Tränen der ehrlichen Verzweiflung.

„Was soll ich den anderen sagen?!“, schrie sie und fing an, zu weinen, „Wir alle werden sterben! Es wird kein neues Leben geben! Wir haben einfach keine Energie für die Trias! Die Batterie der Tari Randora Zwei brauchen wir, um nach Zuyya zu kommen und wieder hierher! Die Batterie der Rettungskapsel ist nicht mit der anderen kompatibel! Wie kannst du da stehen und das einfach geschehen lassen, Yamuru...?!“ Er sah ihr erstaunt zu, wie sie weinte, aber lange konnte er das nicht ertragen, so schloss er sie seufzend in die Arme und drückte sie liebevoll gegen seine Brust.

„Du hast tatsächlich gelernt, was Gefühle sind…“, sagte er grinsend und küsste sanft ihren Kopf, ehe er sie sanft von sich schob. Sie hatte zu weinen aufgehört. „Du irrst dich, Thira… ihr werdet nicht sterben, es gibt noch eine Lösung.“

„Was für eine?!“, keuchte sie und ließ ihn los, er senkte den Kopf und zog langsam die Sanhari aus seinem Gürtel, sie eine Weile betrachtend.

„Ich habe die Reikyu meines Vaters.“, sagte er. „Eine… zweite Seele in meinem Körper. Zwei Seelen… müssten reichen, um das zu ergänzen, was der Batterie fehlt, Thira. Du wirst die Trias aktivieren und sie… wird funktionieren, wenn ich ihr meine beiden Seelen schenke.“
 

Sie starrte ihn an und hörte für einen Moment zu atmen auf. Was sagte er da? Meinte er das ernst?

„Du-…?!“, keuchte sie fassungslos und er schnaubte und hielt ihr die Sanhari hin.

„Es ist der einzige Weg.“, meinte er, „Willst du etwa einen deiner Freunde opfern? Dann ja wohl lieber mich, hey, ich bin schließlich der Feind.“

„Spinnst du?!“, machte sie, „N-nein! Das darfst du nicht, das erlaube ich dir nicht!“ Sie breitete die Arme aus und stellte sich zwischen ihn und den Kasten mit der Batterie. Yamuru seufzte.

„Geh aus dem Weg. Tu, was ich dir sage. Ich habe… in meinen Träumen gesehen, dass es so kommen würde. Es ist wie… bei meinem Vater…“ Er lächelte plötzlich seltsam und Thira erstarrte abermals. „Er hat… gewusst, dass er sterben würde. Und er hat es getan und dabei alle Rebellen vor dem Tod bewahrt. Es… wird ihn stolz machen… wenn ich es für das Trias-Projekt tue. Nimm die Sanhari, Thira! Wenn du einst Kinder bekommst, kannst du sie ihnen vermachen… die letzte Erinnerung an den Mirrhtyi-Clan.“

„D-du bist der Letzte von ihnen!“, schrie sie entsetzt, „D-deine Schwester, du hast Ngnhana versprochen, zu überleben… d-dafür bist du doch extra losgezogen! Wie kannst du dann… wie kannst du dein Versprechen jetzt brechen?!“

„Ngnhana wird sich geehrt fühlen, weil es eine gute Sache ist, Thira.“ Er sah sie an, als sie erzitterte und weiß im Gesicht wurde. Dann lächelte er sanft. „Hey… weine nicht. Tief in deiner Seele spürst du… weißt du… dass ich recht habe. Und dass es der einzige Weg ist, den wir gehen können.“

„Ich werde es mit dir tun.“, sagte sie stockend und er lachte laut auf.

„Auf gar keinen Fall! Du musst leben. Wenn ich es nicht kann, musst du es für mich tun, Thira. Oder soll Kwok Ar-Khajh etwa Chenoa heiraten als letzte Frau der Himmelclans? Die ist doch viel zu alt für ihn.“ Er gluckste, aber Thira war nicht zum Lachen zumute. Sie zitterte und senkte keuchend den Kopf so weit, dass sie ihn nicht mehr sehen konnte.

Kwok Ar-Khajh... der Erbe des Ostclans Ngrrchah.

„Die Ar-Khajhs leben also noch…? Du hast gesagt, du wüsstest es nicht…“

„Ich weiß, dass sie leben.“, antwortete er. „Sie waren in Lamiya, mit ziemlicher Sicherheit. Sie werden auf anderem Wege zum neuen Planeten gelangen, denn auch in Lamiya gab es ein Fleckchen, an dem keine Gletscher waren. Vielleicht sind die Rebellen ja auch mit dabei. Es würde mich freuen… ich hätte sie gerne noch einmal gesehen.“ Thira erzitterte.

„Tu nicht so, als wäre deine Idee jetzt beschlossene Sache, Yamuru, ich lasse das nicht zu!“, schrie sie ihn an und sie wunderte sich, warum sie so panisch war.

Sie wollte ihn nicht verlieren... der Gedanke schmerzte und ließ etwas in ihrem Inneren sich fürchterlich verkrampfen, sodass ihr schlecht wurde. „Yamuru, bitte!“

Sie schämte sich nicht, weil sie ihn anflehte... sie schämte sich nicht mal dafür, dass sie weinte, denn es war zu verwirrend für sie.

„Lügnerin.“, flüsterte er vor ihr und nahm ihre Hand in seine. Er gab ihr seine Sanhari, schloss ihre Finger um den Griff, zwang sie, sie festzuhalten. „Du hast gesagt, du würdest nicht um mich weinen.“

Sie hatte geglaubt, keine Tränen mehr übrig zu haben… weil sie auf Tharr so viel geweint hatte. Weil sie so viel traurig gewesen war. Jetzt merkte sie, wie viele Tränen sie übrig hatte… egal, wie traurig sie je gewesen war, noch nie hatte sie so aus tiefstem Herzen geweint wie in diesem Moment.

„Du wolltest… d-doch, das ich deine Frau werde…“, schluchzte sie aufgelöst, „Ich sollte deine Kinder gebären… w-wir sollten zusammen sein! Du hast es selbst gesagt, d-das Band, das Katari zwischen uns gebunden hat… i-ist so stark! Ich spüre es… ich habe versucht, dagegen zu kämpfen, aber ich habe verloren… ich spüre es! Und ich will nicht, dass es reißt…“

„Das wird es nicht.“, versprach er ihr. „Ich werde bei dir sein… auch, wenn du mich nicht sehen kannst. Ich werde… in deiner Seele weiterleben, Thira…“ Er stutzte und sah plötzlich überrascht aus. Dann lächelte er wieder. „Oh… das hat… meine Schwester zu mir gesagt… als sie starb…“ Thira schluchzte und eine Träne tropfte von ihrer Wange auf den Metallboden.
 

Was machte sie hier?

Sie war hier falsch... sie beide sollten gar nicht hier sein. Sie sollten wo anders sein, irgendwo, wo die Sonne schien... wo nicht dieser abartige Schatten herrschte.
 

Yamuru sah sie an, bevor er sich mit ihr herumdrehte, sodass er nun vor der Batterie stand. Fest umklammerte die junge Frau die Sanhari und bebte am ganzen Körper vor Schluchzern, als Yamuru mit den Händen über ihre Wangen streichelte. Dann beugte er sich zu ihr herunter und küsste sie. Sie teilten einen langen, innigen Kuss so voller Liebe, voller Zärtlichkeit und Verbundenheit, dass Thira nur noch mehr zu weinen begann, als er sich von ihr löste.

„Nein…“, wisperte sie tonlos und schluchzte heftig, als Yamuru sie sanft wegschob.

„Geh.“, sagte er zu ihr. „Aktiviere die Trias. Sobald du den Hebel gezogen hast, übergebe ich die Seelen… der Batterie.“ Er legte beide Hände auf den kleinen Gegenstand und Thira strauchelte.

„Wie ironisch…“, murmelte sie benommen, „Ich habe… geschworen, dich zu töten… und indirekt… tue ich es jetzt wirklich.“

„Schwüre sind mächtig…“, erwiderte Yamuru grinsend, „Überlege nächstes Mal eher, bevor du etwas schwörst! Katari hat gute Ohren.“ Und sie sah ihn an und sein bescheuertes Grinsen, das sie so lange gehasst hatte... sie hatte ihn so sehr gehasst, diesen Verräter, und sie hatte die ganze Zeit gewusst, dass sie sich das bloß einredete, um gegen das Band zu kämpfen... das Katari zwischen sie gebunden hatte.

Oder die Götter von Khad-Arza... wer auch immer.

Sie hatte Angst gehabt... seit sie den Unort erreicht hatten, hatte sie panische Angst gehabt und hatte nie gewusst, wovor genau. Jetzt verstand sie... dass es dieser eine Moment war, den sie aus ganzem, tiefsten Herzen gefürchtet hatte... lange, bevor sie gewusst hatte, dass er kommen würde.
 

Sie legte die Hände an den Hebel. Lange standen sie beide so da, Thira schluchzend und zitternd, Yamuru ganz ruhig und sie schweigend beobachtend.

„Tu es.“, forderte er. „Du… bist mein Leben, Thira. Lebe! Lebe und sei glücklich… du hast es dir verdient.“ Ein liebevolles Lächeln. Sie sah apathisch herüber zu ihm, die Hände regungslos an dem Hebel. Sie erzitterte abermals, als ihre roten Augen ihn anstarrten, sein hübsches Gesicht, sein warmherziges Lächeln. Als sie sprach, war es kaum mehr als ein Flüstern. Aber nichts, was sie jemals gesagt hatte, war so tief aus dem Innersten ihrer Seele gekommen.
 

„Ich liebe dich, Yamuru… ich liebe dich… so sehr!“
 

Er lächelte breiter, ehe er die Augen schloss und sich auf seine Seelen zu konzentrieren begann.

„Ich weiß.“

Sie zog den Hebel.
 

Ein tiefes Grollen und ein darauf folgendes, mächtiges Beben erschütterten die gesamte Trias und hätten Karana beinahe vom Rand der Plattform geworfen. Er keuchte und taumelte rückwärts, bevor er zu Boden stürzte.

„Was zum-…?!“, rief er erschrocken und sah zu der bebenden Maschine und zur Tür, durch die sie vorhin hineingegangen waren. Aus der Tür drang ein gleißendes Licht, das ihn blendete, und alarmiert rappelte er sich auf die Beine. Dann sah er einen Menschen aus dem Licht auf ihn zu rennen.

„Thira!“, erkannte er das Mädchen perplex, und sie starrte apathisch zu ihm herüber, die roten Augen geweitet und anders, als er sie je gesehen hatte. War das Schmerz in Thiras Augen? Wo sie doch sonst so kalt war? Und was war das für ein merkwürdiger Dreizack, den sie in der Hand hielt...? War das nicht Yamurus ultimative Familienwaffe, oder so? Und wo war der abgeblieben?

„Karana, schnell!“, rief sie und wirkte erzwungen gefasst, „Wir müssen sofort aufbrechen! Ich habe sie aktiviert, sie wird sich jeden Moment auflösen und einen neuen Planeten erschaffen!“ Karana blinzelte.

Ach ja, da war ja was gewesen.

Er beeilte sich, zusammen mit ihr in Scharans Schiff zu eilen, während das Licht immer gleißender wurde und das Beben stärker.

„Tayson!“, rief er dann keuchend, als sie die Brücke wieder erreicht hatten, „Schnell, fahr uns weg von hier, sonst fliegen wir zusammen mit der Trias in die Luft!“ Iana war auch wieder zu sich gekommen und starrte auf ihren Mann, der japsend in der Tür stand, von oben bis unten blutverschmiert.

„W-was ist denn mit dir geschehen…?!“, fragte sie, während Tayson seiner Arbeit nachging und das Schiff startete. Es schien intakt zu sein, jedenfalls hatte es keine Startprobleme, und langsam erhoben sie sich von der Plattform. Karana seufzte.

„Ich habe… ich meine, Scharan ist jetzt beseitigt. Sowohl sein Leib als auch sein Geist.“ Iana sagte nichts. Sie verstand wohl. Langsam nickte sie und nahm dann schweigend seine Hand in ihre. Er war zu müde zum Lächeln… aber er hätte es normalerweise getan.
 

Sie verließen die schützende Atmosphäre um die perlenförmige Trias und tauchten wieder ein in die Dunkelheit, inzwischen wurde die ganze Trias von dem hellen Licht erfasst und sie konnten das Grollen trotzdem noch hören. Die Kameraden beobachteten fassungslos das Schauspiel, während sich das Schiff immer weiter von der Trias entfernte. Sie war wie ein Ball aus Licht und das Licht wurde zu einem gewaltigen Feuer, einem Inferno, das Karana noch nie in seinem Leben gesehen hatte, und sein eines Auge dankte ihm das gleißende, blendende Leuchte da vorne nicht so wirklich. Es tränte und schmerzte, bis er den Blick keuchend abwandte, wie es auch die meisten anderen taten, abgesehen von Thira. Karana sah sie an und sie wirkte verändert... er konnte nicht sagen, woran es lag, aber seine ermatteten Instinkte sagten ihm, dass die Tränen in Thiras Augen nichts mit dem blendenden Licht zu tun hatten... er war erstaunt darüber, dass sie weinen konnte.

„Wo hast du deinen Vetter gelassen?“, fragte Tayson sie dumpf, während er das Schiff irgendwie durch den Schatten manövrierte, der all seine Schrecklichkeit verlor durch das gleißende Feuer da draußen, das die Trias verbreitete. Das Licht war so hell, dass es Karana vorkam, als wären sie direkt an eine Sonne heran gefahren, etwa genauso heiß war es auch im Inneren des Schiffes und er strauchelte gegen die Wand, ehe Thira seine Aufmerksamkeit und die der anderen wieder auf sich zog, indem sie keuchend den Kopf herab riss und bebend die komische Waffe umklammerte.

„Yamurus Seelen sind... jetzt Teile der Trias.“, wisperte sie und Karana starrte sie an; Moment, was sollte das bedeuten? Dann war er...?

„Häh?“, machte Tayson taktlos und es war Yarek, der ihm Einhalt gebot, indem er ihm Rauch auf den Kopf pustete, worauf Tayson hustete.

„Halt einfach die Fresse, du Vollidiot. Nur für diesen Moment, bitte.“

Asta riss die anderen aus ihrer bedrückten Starre.

„Seht doch! Die Trias!“ Karana fuhr wieder herum nach vorne, und das Licht verblasste, als hätte es nur auf ihn und sein eines Auge gewartet... und als das Licht erloschen war, sah er vor sich den neuen Planeten.

Er sah zu, wie aus der glühenden Kugel eine pechschwarze wurde. Winzige Blitze wurden auf der Oberfläche erkennbar und nach einer Ewigkeit, die sie starrten, wie es ihnen schien, riss die schwarze Hülle aus Gaswolken plötzlich auf und darunter war der Planet blau und grün.

„Zuyyanische Magie ist einfach die Härte.“, sagte Yarek irgendwo, „Dass die fähig sind, so etwas... zu schaffen.“

„Seht nur!“, keuchte Asta, „D-das Blaue ist Wasser! Das Grüne sind Pflanzen... seht doch nur, es... es ist eine richtige, echte Welt, ein... ein neuer, kleiner Planet!“

„Das Zusammenspiel von Magie und zuyyanischer Technik hat hier jedenfalls einen Meisterstreich getan...“, war Zoras' monotoner Kommentar, „Ich kann die Sonne sehen... zu der sie gehört, eure Welt.“

„Der Abgrund verblasst...“, stammelte Eneela, „Ich kann richtig spüren, wie der kleine Planet da allen Schatten von mir zieht, es... es ist so schön, dass ich weinen möchte...“ Sie tat es und Simu stützte sie, und Karana starrte immer noch geradeaus auf die Welt, die sie geschaffen hatten... sie, die Sieben. Oder am ehesten Thira, denn sie hatte die Maschine aktiviert.

„Und seht... dort, diese zwei kleineren Planeten, die drum herum fliegen...?!“, schrie Tayson auf und Zoras schnaufte.

„Das sind keine Planeten, sondern Monde, Tay-Tay. Unsere neue Welt hat zwei Monde!“

„So wie Tharr früher...“, japste Asta und schien kurz davor, wie Eneela zu heulen anzufangen... Karana hatte keine Tränen, er wusste gar nicht, was er empfinden sollte...

Sie hatten es tatsächlich geschafft. Sie hatten ihre Aufgabe gemeistert... irgendwie fühlte es sich... leer an in seinem Inneren. Er senkte den Kopf, als er spürte, wie Iana seinen Arm berührte; den linken Unterarm, auf dem das Zeichen von Ulan Manha verblasst war... denn der Fluch war mit dem Tod des Urhebers erloschen. Es war das erste Mal seit langem, dass er nirgends Schmerzen hatte, kam dem jungen Mann, und er musste hohl lächeln, noch nicht fähig, zu erfassen, dass all das wirklich vorüber war.

„Wie willst du sie nennen... Thira?“, fragte er in den Steuerraum hinein und sofort sahen ihn alle an, abgesehen von Thira, die geradeaus starrte und nur halb anwesend zu sein schien.

„Wieso Thira allein?“, jammerte Tayson, „Nennen wir ihn doch Tharr!“

„Weil sie es war, die die Karte hatte, und weil sie es war, die diese Maschine bedient hat.“, erklärte Karana gelassen, „Also, Thira... sprich.“

„Es gibt nur einen einzigen Namen, der für diese Welt Sinn ergibt.“, entgegnete die Zuyyanerin in ihrer kalten, gewöhnlichen Monotonie, die so gar nicht zu ihrem Erscheinungsbild passen wollte, wie Karana fand; sie sah nicht aus, als wäre ihr all das so egal, wie sie gerade klang. „Khad-Arza.“, fuhr sie fort, „Denn es ist der Neuanfang eines Bündnisses dreier Welten... wie es einst zwischen Tharr, Ghia und Zuyya bestand. Wir als Sieben... sind geboren worden, um ein neues Khad-Arza zu schaffen... es gibt keinen anderen Namen, den diese Welt tragen kann, denn die Götter haben... bereits dafür gesorgt, dass sie... so heißt.“ Sie erntete Schweigen und dann sah Karana überall zustimmendes Nicken.

„Dann ist es beschlossen.“, sagte Yarek stellvertretend für alle, „Ein angemessener Name. Was ist mit den beiden Satelliten?“ Wieder richteten sich alle Blicke auf die grünhaarige Frau und Thira schien unter den Blicken zu schrumpfen, obgleich sie sich nicht rührte. Sie atmete unkoordiniert und wirkte nicht, als wäre sie gesund... als sie sprach, bebte sie.

„Den kleineren... nenne ich Chihnii. Und den großen... nenne ich Yamuru. Es sind die Namen zweier ehrenwerter Männer... die ihr Leben gegeben haben, um das von vielen zu retten. Und es waren Yamurus Seelen... seine eigene und die seines Vaters, die er in Form einer Reikyu in seinem Auge trug... die uns alle gerettet haben, denn ohne sie hätte die Energie nicht gereicht. Ich verlange... dass ihr die Namen dieser Männer fortan ehrt.“

Das bedurfte keiner weiteren Worte, fand Karana ernüchtert und er spürte, wie die anderen einander, teilweise ihn und auch Thira anblickten, ohne dass jemand Worte fand, die angebracht gewesen wären. Es war eine stumme Übereinkunft, die sie trafen, und Karana fand, Thira hatte die Namen würdig gewählt. Damit wäre auch geklärt, wo ihr Cousin geblieben war... seine Seele war jetzt ein grüner Mond und umkreiste die neue Welt.

„Du hast mein Wort darauf... dass wir sie ehren werden, Thira.“, sagte er leise, und er wusste, dass sie ihn gehört hatte, obwohl sie sich immer noch nicht bewegte und nur starrte, während die Welt und die beiden Monde immer kleiner und ferner wurden, bis sie in der Schwärze des Alls verschwunden waren.
 

Die Reise zurück würde lang und anstrengend werden, denn ihnen voraus flog die Angst um jene, die sie zurückgelassen hatten auf Zuyya. Iana hatte niemanden, den sie ernstlich vermisste; ja, Karanas Eltern waren jetzt eigentlich ein Teil ihrer Familie, denn sie war Karanas Frau... aber so innig war die Bindung zwischen ihr und ihren Schwiegereltern bisher nicht gewesen, dass sie mehr als betrübt über deren Ableben sein würde; was sie Karana natürlich nie ins Gesicht sagen könnte.

Karana pennte wie ein Stein. Sie saß seit einer Weile wach und vermutlich war es das Baby in ihrem Bauch, das ihr keine Ruhe ließ. Schweigend lehnte sie an der Wand, an der die Pritsche stand, und strich über ihren flachen Bauch, während Karana neben ihr lag und schnarchte. Die Tari Randora Zwei war logischerweise genauso aufgebaut wie es die Tari Randora gewesen war; vielleicht gab es das ein oder andere Manko, immerhin hatten die Arbeiter, die die Tari Randora gebaut hatten, einfach viel mehr Zeit und Material gehabt als die, die Manha, oder Yamuru, oder wer auch immer beauftragt hatte, diese Schrottmühle zu bauen. Iana beschwerte sich nicht, sie erkannte keinen Unterschied zur echten Tari Randora. Raumschiffe waren für sie alle Schrottmühlen, sie hielt sie für eine überflüssige Erfindung; zumindest einerseits, denn ohne sie wären die Zuyyaner nie nach Tharr gekommen, es hätte nie Kriege gegen Zuyyaner gegeben, die waren verheerend gewesen. Andererseits wären sie ohne Raumschiffe alle verreckt, als Tharr und Ghia explodiert waren... manchmal fragte sie sich, ob das nicht leichter gewesen wäre.

Was beschwerte sie sich... sie hatten es hinter sich. Sie würde, wenn sie die neue Welt wieder hatten, nie wieder in ein Raumschiff steigen. Sie wollte auf der Erde leben, sie wollte zusammen mit Karana ihre gemeinsamen Kinder großziehen und all das vergessen, was gewesen war. Es war, als läge ein Zeitalter hinter ihr, und sie kam sich alt vor. Seufzend schloss sie die Augen und lauschte, ob die Geister etwas zu ihr sagten... oder Nalani, Karanas Großmutter, die irgendwie durch sie sprechen konnte.

Ich habe dir gesagt, eine letzte Aufgabe, Iana.“, sagte die Schattenfrau in ihrem Kopf, „Dann... lasse ich dich gehen. Jetzt ist der Dämon besiegt... jetzt habe ich Ruhe und ihr auch.

„Für immer?“, fragte Iana dumpf, und sie hörte Nalani Kandaya in ihrem Kopf leise lachen.

Für immer... ist eine lange Zeit. Ich bin mir nicht sicher, ob... es ein Für immer wirklich gibt.“ Das waren ihre Worte, danach schwieg sie und ließ Iana mit ihrem ungeborenen Baby und dem schlafenden Karana alleine. Die Schwarzhaarige seufzte, als sie die Hand ausstreckte und seinen Unterarm berührte, dort, wo die Haut gereizt und vernarbt war, weil das Fluchmal ihn in den Wahnsinn getrieben hatte. Das Mal war fort... die Narben würden bleiben und ihn und sie und alle immer an das erinnern, was sie erlebt hatten.

Sie wünschte ihrem ungeborenen Sohn, er würde so etwas nicht erleben müssen.

„Schlaf... Karana.“, murmelte sie, beugte sich über seinen Kopf und küsste seine Schläfe, worauf er im Schlaf leise ein und ausatmete. „Jetzt weiß ich... dass du Karana bist... und nicht Kelar oder irgendjemand sonst. Ich bin... so froh, dass du bei mir geblieben bist.“ Sie errötete über ihre schnulzigen Worte und schämte sich etwas; er würde sie nicht gehört haben, das war vielleicht auch besser so. Karana, Kelar, Manha oder wie auch immer, dieser Typ bildete sich viel zu schnell zu viel auf Liebesbeweise ein.

Der Zeitanzeiger war verschollen mit der Tari Randora; jetzt waren die letzten Lichter ohnehin erloschen. Sie wusste nicht, wie lange sie unterwegs waren... wie weit es zur Zuyya war. Sie hatte absolut kein Gefühl mehr für Zeit... für irgendetwas anderes abgesehen von der Leere, die plötzlich in ihrem Inneren war, weil die Aufgabe erloschen war. Wer war sie? Wozu war sie da, jetzt, da sie als Sieben nicht mehr gebraucht wurden?

Sie war Iana Lynn, Akada – sie war Iana Lyra, Frau von Karana und bald Mutter seines Sohnes. Es war das erste Mal, dass sie auf diesen Umstand stolz war... auf den Umstand stolz war, Karanas Frau zu sein. Der Gedanke ließ sie lächeln... er gab ihr Wärme, die sie lange vermisst hatte.
 

Thira hatte Yamurus Sachen gefunden; da dies das Schiff war, in dem er zur Trias gekommen war, hatte sie lange Zeit damit verbracht, die Kammer zu suchen, die seine gewesen war; sie wusste nicht mal genau, wozu. Was sollte sie mit dem, was er hinterlassen hatte? Sie lag auf dem Bett, in dem er geschlafen hatte, sie atmete seinen Geruch ein, sie betrachtete ein einzelnes, dunkles Haar von ihm, das auf der Pritsche gelegen hatte, als wäre es der Schlüssel zur Unsterblichkeit. Er hatte nicht viele Dinge bei sich gehabt, das einzige, was sie andächtig betrachtete, war die kunstvoll verzierte Haarnadel aus Ngurrha, mit der er vermutlich als Kind seinen geliebten Ngurrhaschen Haarknoten getragen hatte. Sie hatte ihn nie damit gesehen... und in ihrem Kopf war auch kein Bild davon, wie er wohl ausgesehen haben musste, obwohl sie durchaus wusste, wie der Haarknoten aus dem Westen gemacht wurde. Viele Zuyyaner in westlichen Provinzen, die vor Jahrtausenden mal zu Ngurrha gehört hatten, hatten die Frisur getragen, es war nicht ungeläufig.

Ngurrha... das Westreich war mit Yamurus Tod erloschen, denn er war der letzte Erbe gewesen und hatte keine Nachkommen hinterlassen. Ein Stich fuhr ihr ins Herz, als sie daran dachte, wie er gefeixt hatte, er hätte sie gern zur Frau gehabt und mit ihr Kinder bekommen.

„Ich möchte... auch...“, stammelte sie, presste die Haarnadel an sich und bebte, weil das Brennen in ihrer Kehle zu neuen Tränen führte. Sie wollte nicht weinen... es tat immer so weh, sie hasste es. Sie kam sich lächerlich vor, als sie allein und hinter verschlossener Tür in Yamurus Kammer hockte, neben sich seine Sanhari, in ihren Händen die Haarnadel, die er so geliebt hatte. „Du Idiot, ich... hätte... es doch gewollt...!“, keuchte sie weiter und die Gedanken an ihn zerrissen ihr Inneres auf eine Weise, die jeden Schmerz übertraf, den sie je gespürt hatte.

Sie vermisste ihn... sein dämliches Grinsen, seine Stimme, seine verschiedenen Augen. Die Präsenz seiner unwirklichen, monströsen Macht – er war ein begnadeter Magier gewesen, einer der besten, die sie jemals gekannt hatte unter ihresgleichen. Sie vermisste, wie er sie anfasste, wie er ihren Namen sagte. Wie er durch ihre Haare fuhr, wie er sie begehrte und liebte... und sie musste weinen, weil sie dachte, ihm nie genug gesagt zu haben, dass sie ihn genauso begehrt hatte wie er sie. Sie fühlte sich leer... es war, als würde ein Teil von ihr fehlen, der nie wieder zurückkehren würde. Sie war kein Ganzes mehr... sie war eine Hälfte.

Thira zitterte, als sie die Haarbänder aus ihren Haaren zog und den Kopf schüttelte, bis ihre grünen Haare ihr offen über den Rücken fielen. Sie waren lang geworden... es war gut, dass sie lang waren. Ohne ein Wort griff sie die oberen Haare auf ihrem Kopf und steckte sie mit der Haarnadel zum Ngurrhaschen Haarknoten zusammen, während der Rest ihres Kopfhaars offen herab hing. Sie war keine Prinzessin von Okothahp mehr... sie war die letzte Kaiserin von Ngurrha, und sie würde es mit Stolz sein.

In ihrem Inneren hörte sie Yamurus Stimme wie eine verblassende Erinnerung an alte Zeiten. Er lachte... sie hörte seine Stimme und spürte seine Finger, die durch ihre so ungewohnt offenen Haare strichen, spürte die sanfte Wärme seiner Lippen an ihren wie einen Windhauch, obwohl sie genau wusste, dass da niemand war.

„Tapfere Thira...“, sagte er zu ihr und sie schauderte, als durch ihren ganzen Körper eine Flut aus Empfindungen floss, die sie ängstigte und irgendwie auch betörte. „Mach dich nicht zur verbiesterten Witwe wie Chenoa Jchrrah... du bist noch jung. Lebe... für mich, Thira. Ich habe es Ngnhana versprochen... ich habe ihr versprochen, der Clan würde leben. Er wird es... wenn du es tust, Thira.“ Etwas an diesen Worten irritierte sie, aber sie wusste nicht, was es war, als sie seiner Stimme lauschte, seine Berührungen spürte, als wäre er wirklich da, wie sie es sich wünschte... sie wünschte sich so sehr, er würde sie in den Arm nehmen.

„Dann werde... ich leben, Yamuru.“, wisperte sie, „Ich verspreche... es dir, wie du es einst Ngnhana versprochen hast.“

Sie fühlte ihn lächeln... und sie fühlte einen ganz winzigen, unscheinbaren Teil in ihrem Inneren, der lebte, als wäre das, was sie eben noch verloren geglaubt hatte, zurückgekehrt in ihre Seele. Es war da und nistete sich ein und lebte, sie konnte es genau spüren...

Als hätten seine bloßen Worte ihr Leben zurückgegeben.

„Ah...“, hörte sie ihn schmunzeln, „Das ist mein Mädchen.“
 


 


 

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Dööööh. Milch Gänse! Ein Kapi noch zur Abrundung, dann Epilog. YEAH.

Khad-Arza


 

Einige Monde später
 

Der Himmel war lila. In der Morgendämmerung war er leicht rötlich und die Sonne schob sich in dem, was sie Osten genannt hatten, wie ein Ball aus glühendem Feuer über den Horizont. Iana dachte, als sie an diesem Tag den Sonnenaufgang ansah, während sie alleine mit Karanas Hund vor dem Zelt saß, in dem sie mit Karana lebte, wie seltsam es doch war, dass die Sonne da hinter dem Horizont aufging und dennoch kein Grashalm verbrannt war. Es gab viel Gras in der neuen Welt... sie war so groß. Iana hatte geglaubt, Tharr wäre groß gewesen – das hier war größer als Tharr, sie war sich sicher. Und es war seltsam, auf dieser Welt zu leben und zu wissen, dass man einfach das allererste Volk war, das hier jemals gelebt hatte... später würden Menschen sie als Urväter, Vorfahren, Ahnen bezeichnen, als die ersten Menschen von Khad-Arza verehren... der Gedanke war schräg. Und noch schräger, dass ihr Sohn einer der ersten Menschen sein würde, der hier in dieser Welt geboren wurde.

Sie streichelte schweigend ihren inzwischen ziemlich runden Bauch und starrte nach Osten in die flammende Sonne, die sich über den Gräsern erhob und der Welt eine Wärme schenkte, die Iana nach Tharrs Explosion für immer verloren geglaubt hatte. Auf Zuyya hatte es keine Sonne gegeben und danach waren sie ewige Wochen in einem Raumschiff gewesen... Iana würde niemals wieder ein Schiff betreten, hatte sie sich verbiestert geschworen, als sie die Tari Randora auf einer Anhöhe mitten im Grasland zurückgelassen hatten, um in die neue, unberührte Welt zu ziehen, die sie geschaffen hatten. Das war lange her... wie lange wusste sie nicht, aber damals war ihr Bauch noch weniger prall gewesen als er es jetzt war...

Das Baby strampelte, als sich hinter ihr im Zelt etwas tat, kurz darauf kam Karana etwas verpennt aus dem Schlaflager gekrochen und raufte sich die zerzausten Haare.

„Du bist schon auf?“, stöhnte er und sie feixte.

„Elender Langschläfer. Ich war schon vor Sonnenaufgang auf. Dein Sohn tritt mich, Karana, so kann ich nicht schlafen.“ Karana sah sie dumm an, dann ihren runden Bauch, grinste und streichelte letzteren zärtlich, ehe er den Kopf zu Ianas Gesicht neigte und ihre Schläfe küsste.

„So zeigt er eben seine Liebe, er kommt nach seiner Mutter.“ Diese Aussage ließ sie tatsächlich schmunzeln, sie versuchte es aber zu verbergen, ihn zu viel anzulächeln tat ihm nicht gut. Auch, wenn der Schattendämon in seinem Herzen verschollen schien, er war Karana. Iana war darauf getrimmt worden, wachsam zu sein, seit sie mit ihrem Vater außerhalb des verdammten Lianerdorfes gelebt hatte, es war nicht einfach, abzuschalten... dabei war doch jetzt alles gut.

Sie hatten einen Himmel und eine Erde, auf der sie leben konnten. Sie hatten eine große Familie, einen Stamm, der zusammenhielt, und sie hatten ein großes, unendlich weites Grasland, das allen Menschen unter der neuen Sonne gehörte. Es gab kein zuyyanisches Imperium und keinen Krieg, keinen Ulan Manha, der sie beherrschen oder vernichten wollte... es gab keine Schatten mehr in ihren Seelen.

„Im Moment. Eines Tages werden sie vielleicht zurückkehren... sei wachsam, Akada.“

Sie nahm die Worte der Geister sehr ernst, als sie sich erhob und Karana einen Klaps auf den Kopf gab.

„Beweg dich, fauler Sack.“, seufzte sie dabei, „Ich werde das Feuer in Gang bringen, wird Zeit für das Frühstück. Geh deine Mutter wecken, vielleicht kann sie mir etwas helfen, irgendwie wird es schwierig, sich mit dem Bauch viel zu bewegen.“ Karana verdrehte die Augen, kam aber auch schwerfällig auf die Beine und klopfte sich den Staub des Lagerbodens von der Hose, ehe er gehorsam davon trottete. Aar folgte ihm treuherzig und Iana war froh darum; irgendwie würde sie sich nie an dieses riesige Haustier gewöhnen, das Karana da hatte, egal, wie treudoof das Vieh gucken konnte. Tier blieb Tier... für sie. Bei Karana war das anders.
 

Das Lager war erheblich geschrumpft in den vergangenen Monden; Karana kam der Weg so kurz und leer vor, den er zwischen den Zelten und provisorischen kleinen Hütten hindurch nahm zu der kleinen Behausung seiner Eltern und Pakuna. Zuerst hatten quasi sämtliche Menschen, die von Zuyya aus mit der Tari Randora gekommen waren, in diesem Lager gelebt – es lag an einer guten Stelle nahe eines kleinen Flusses und nicht weit vom Wald; es gab Holz, es gab Wasser, es gab Wild im Grasland, auf das die Männer Jagd machen konnten, und jetzt, wo der Frühling kam, gab es Kräuter, die vor allem für die Heiler wichtig waren. Nach und nach hatten sich immer mehr Gruppen von ihnen abgesetzt und waren ausgezogen, um die endlose Weite von Khad-Arza zu bevölkern, eigene Jagdgründe zu finden, eigenes Land. Jetzt waren hauptsächlich die Geisterjäger und ihre Familien übrig... dazu der Rest der Sieben und alle, die an ihnen gehangen hatten, wie Tayson und Asta, die neuerdings zusammen in einem Zelt lebten, was Karana echt verblüfft hatte. Vor einem halben Mond hatte sich die Gruppe aus Tejal von ihnen getrennt, wie zuvor die Regierung von Janami und Intario und alle möglichen anderen; es waren plötzlich echt wenige Zelte, fand der junge Mann, und er seufzte. Der Boden war warm und staubig; er hatte vergessen, Schuhe anzuziehen, fiel ihm auf, als er auf seine jetzt dreckigen Füße blickte, die Aar auch gerade nicht sehr beeindruckt musterte.

„Iana bringt mich um, wenn ich mit den Dreckfüßen ins Zelt gehe.“, stöhnte er, „Ich bin ein Idiot, Bruder Hund.“ Das große, schwarze Tier sah ihn an mit einem feixenden Blick, als würde es ihm sagen, dass es das längst wüsste, und Karana schnaufte gespielt empört und verschränkte im Gehen die Arme. „Gut, dass du so zu mir hältst, Aar, echt...“ Der Hund antwortete nicht, sondern drehte den Kopf mit aufgestellten Ohren nach vorn, und Karana hielt an, als ein Schatten auf ihn fiel, den die Morgensonne warf, weil plötzlich jemand in seinem Weg stand. Er blinzelte, als er sie erkannte, und die junge Frau vor ihm sah ihn an mit ihrem durchdringenden Blick so voller Wissen und Berechnung auf eine Art, die ihm immer noch Schauer über den Rücken jagte.

„Chenoa...“, grüßte er sie mit einer Kopfneigung und die Zuyyanerin sagte einen Moment nichts und stand einfach nur da.

„Ich denke, es wird Zeit... dass wir eure Gruppe auch verlassen.“, kam dann und Karana sah sie groß an.

„Wir? Wer wir?“

„Thira und ich. Es wäre am besten, wenn wir die Helligkeit des Tages für die Reise nutzen könnten, deswegen verabschiede ich mich jetzt schon.“

„Ihr... ihr wollt auch gehen?“, wunderte sich der Schamane irritiert; nicht, dass er Chenoa vermissen würde, sie war unheimlich, aber Thira? Thira gehörte zu ihnen, sie war eine der Sieben...

„Thira... muss jetzt ihren eigenen Weg betreten, Karana.“, murmelte Chenoa und richtete ihre gelben, schmalen Augen auf seinen Hund. „Die Legende der Sieben ist erfüllt. Was euch verbunden hat, wird es auch weiterhin tun, und es wird dafür sorgen, dass sich eure Wege eines Tages noch einmal kreuzen werden. Doch dieser Tag, Karana... ist noch fern.“ Er sah sie an und wusste, dass ihre Worte wahr waren... natürlich waren sie das, sie war die Seherin der Zuyya und ihre Augen sahen alles. Mit einem Nicken trat er zur Seite und setzte dann seinen Weg zügiger fort.

„Wartet. Ich wecke meine Eltern und die anderen, ich denke, die meisten werden sich verabschieden wollen.“ Sie erwiderte nichts und sah ihm nach, bis er den Blick von ihrer schmalen, so bildschönen und doch furchtbaren Gestalt abwandte und sich beeilte, die Hütte seiner Eltern zu erreichen.

Die Beraterin des zuyyanischen Kaisers war nicht nur ihm gruselig, sondern vermutlich nahezu jedem hier; sie wusste zu viel, sie war eine Seherin, aber anders als bei Ryanne war in Chenoa irgendwie gar nichts Menschliches mehr... nichts Sterbliches. Meistens war sie apathisch und unnahbar, wenn sie sprach, hatte es Gewicht, ansonsten machte sie den Mund gar nicht erst auf. Sie alle verdankten der seltsamen Zuyyanerin eine Menge, denn wäre sie nicht gewesen, wären sie alle mit Tharr explodiert. Karana tendierte dazu, sie zu ehren, obwohl man munkelte im Stamm, dass Chenoa definitiv kein Gutmensch war und dass sie vielleicht auch an so manchem, was sie erlitten hatten, die Schuld trug, mehr Schuld als sie ihnen durch die Rettung vor der Explosion vergolten hatte. Karana wollte die Anschuldigungen nicht hören, es war ihm gleich. Es war egal, es spielte keine Rolle, was Chenoa vielleicht einst getan haben mochte. Es war auch egal, ob sie es für puren Pragmatismus oder die Legende der Sieben oder sonst so etwas getan haben mochte, es spielte keine Rolle, wie viele Menschen ihretwegen gestorben waren, egal zu welcher Zeit oder Gelegenheit. Es war vorüber – jetzt waren sie hier und es war nicht mehr nötig, dass derlei Dinge geschahen. Und sie war eine Seherin – Seher waren wie eine andere Art Mensch, sie dachten anders und das, was sie taten, war auch anders. Für ihn war alles, was auf Tharr, Ghia oder Zuyya passiert war, Vergangenheit, ein Abschnitt, der hinter ihnen lag. Das hier war wie ein Neunfang für die Menschheit – sie begannen ganz von vorne, ohne alles, ohne Werkzeuge, ohne Städte, ohne Technik, nur in Hütten und Zelten aus Tierhäuten und ein bisschen Holz, mitten im Nirgendwo, irgendwo in der Weite des Graslandes. So, wie er aufgewachsen war, in der Zivilisation, hatte Karana nie geglaubt, er würde sich so leicht an diese Umstellung gewöhnen... es war ein Leben, wie er es niemals zuvor geführt hatte, und auch keiner sonst, den er kannte.

Aber es war ein Leben. Und es war gut... es fühlte sich richtig an... für die Geburt der neuen Welt so zu leben wie die Menschen zur Geburt der Menschheit gelebt haben mussten. Es war, als hätten die Geister ihnen ein völlig neues Leben geschenkt... sie würden alle von vorne anfangen. Und wenn einst, in viele Jahrhunderten, oder Jahrtausenden, oder noch mehr, die Welt Khad-Arza wieder am Abgrund stünde, würden vielleicht neue Sieben kommen... und es würde von vorne beginnen.

Das würde er nicht mehr erleben... aber die Gedanken waren interessant.
 

Leyya seufzte neben ihm und er schob mit einem kurzen Murren ihr Gesicht von seinem Hals.

„Shht... du wirst Pakuna noch wecken, Liebes... das reicht jetzt, es ist schon hell draußen.“

„Seit wann spielst du denn den Diskreten, Puran...?“, feixte sie und schmiegte sich unter der Decke dichter an seinen Körper heran, während ihre Hände über seine Brust strichen. Er linste auf die andere Seite der kleinen Hütte zu seiner zweiten Frau, die ihnen den Rücken kehrte und friedlich zu schlafen schien. Pakuna war nicht in diesem Sinne seine Frau, wie es Leyya war... Leyya, die Mutter seiner beiden Kinder, war schon sehr lange seine Frau. Pakuna war es erst seit einer Weile und das hatte nur ihrem Schutz gedient im Lager auf Zuyya. Pakuna hatte viel durchgemacht in ihrem Leben und ihr erster, eigentlicher Mann war schon seit einer Weile tot; Puran hatte genauso wenig sexuelles Interesse an ihr wie sie an ihm, das war nicht das Problem, problematisch war mehr, dass er manchmal das Gefühl hatte, es wäre schlecht, wenn Pakuna zu viel von dem mitbekäme, was er mit seiner anderen Frau so machte; wer hörte denn anderen gerne beim Sex zu? Er jedenfalls nicht...

„Was heißt hier diskret, ich nenne es Rücksichtnahme...“, murmelte er und drehte sich mit einem Seufzen auf den Rücken, während seine Frau sich doch wieder auf ihn rollte und seinen Hals zu küssen begann. Er hob eine Hand, um ihre dunklen Haare zu streicheln; sie waren lang geworden... wie lange lebten sie schon in der neuen Welt? Irgendwie war es immer noch nicht so ganz bei ihm angekommen.

„Dein Hals ist besser geworden...“, wisperte seine kleine Frau an seiner Halsbeuge und er spürte ihre weichen Lippen, die seine Haut berührten; die ätzende Narbe, hieß das, die der Fluch von Manha dort zurückgelassen hatte. Eigentlich konnte er von Glück reden, dass er noch einen Hals hatte, denn der Fluch hatte ihn fast um den Verstand gebracht; immer wieder hatte er reflexartig mit den Fingern an der Stelle gekratzt, als wäre das hilfreich gewesen, und das Mal war geblieben, egal, wie blutig und zerfetzt alles drum herum gewesen war... nachdem den Fluch verschwunden war, hatte seine Frau als Heilerin alles gegeben, um die entzündete Stelle zu regenerieren, aber eine Narbe würde wohl bleiben, dafür reichten keine Heilerfähigkeiten. Es war ihm gleich... er hatte diverse Narben, er war kein junger Mann mehr. Und die Narben zeugten eben von dem, was er getan hatte... sie waren wie ein Pergament Geschichtsschreibung für seine persönliche Geschichte, deswegen waren sie akzeptabel.

Manchmal fragte sich der Herr der Geister, ob es außer ihm irgendjemanden gab, der eine so haarsträubende Karriere hinter sich hatte. Als Sohn mächtiger Magier und Geisterjäger geboren in eine Familie allerhöchsten Ranges war ihm immer Großes bestimmt gewesen – und er hatte es immer gehasst und lange versucht, davor wegzulaufen. Jäger hatte er werden wollen, er hatte sich geweigert, das ihm angeborene Talent in der Magie irgendwie zu benutzen; natürlich war alles anders gekommen und dann war er Geisterjäger gewesen, letzten Endes sogar Herr der Geister – Vorstand eines Rates, dessen es so in der neuen Welt gar nicht mehr bedurfte. Und er hatte klein und unbedeutend sein wollen, und wo war er dann gelandet? Im Senat von Thalurien, als einer der einflussreichsten Politiker seines Heimatlandes, als quasi Liebling des Königs von Kisara – was ihn letztlich nach dessen Ableben selbst zum König befördert hatte, was ihm definitiv nicht nur Freunde gemacht hatte damals. Er war König von Kisara gewesen – dann Herr eines Reservats auf Zuyya, da Kisara explodiert war, und nachdem sie hierher gekommen waren, war er plötzlich quasi das, was er hatte sein wollen – nichts.

Er war einfach da, er hatte seine Frau, seine Kinder, seine Familie, seine Kollegen und Freunde, das Leben war ein gutes Leben hier. Es gab keine politischen Strukturen – noch nicht, sie würden kommen im Laufe der Zeit. Auf Tharr waren sie auch gekommen, und die Enkelkinder seiner Enkelkinder, oder vielleicht auch eher deren Enkelkinder oder Urururenkelkinder, würden eines Tages wieder in festen Städten leben, sie würden einen Herrscher haben und alles würde sich so ähnlich entwickeln wie es auf Tharr gewesen war. Oder Zuyya, oder auch Ghia. Aber sie waren die ersten Menschen... sie standen ganz am Anfang, in einem unberührten Land, das sie nicht kannten, in einer Sonne, die sie nicht kannten... er war jetzt kein Senator mehr, und auch kein König oder Kriegsherr, es gab kein zuyyanisches Imperium, das sie bekämpfen mussten, es gab keine Schatten der Angst in ihm, was aus Karana und Neisa werden würde – sie waren alle hier und es war gut.

„Entspann dich, Liebling...“, flüsterte Leyya über ihm und beugte sich herunter, um ihn zu küssen. „Es ist noch früh am Tag... wir haben Zeit.“ Er musste lächeln, ehe sich ihre Lippen in einem neuerlichen Kuss fanden und er eine Hand hob, um sie über Leyyas nackten Rücken hinab zu ihren Hüften und Oberschenkeln gleiten zu lassen. Zeit... etwas, das er wohl noch nie in seinem Leben so massiv besessen hatte.

„Denk dran... leise.“, seufzte er und sie schnaubte, als sie sich etwas aufrichtete und er jetzt beide Hände hob, um ihre zierlichen kleinen Brüste zu berühren.

„Als ob du nie laut wärst.“

Er kam nicht zum Antworten, weil just in dem Moment, in dem Leyyas Finger in eine ganz bestimmte Richtung wanderten, die Haut zur Seite gezogen wurde, die die Tür der Behausung darstellte, und Karana hereinplatzte.

„D-du hättest klopfen können!“, empörte sich Leyya und fuhr errötend zu ihrem Erstgeborenen herum, während Puran sie hüstelnd von sich herunter schob und sich, sich murrend die Haare raufend, aufsetzte.

„Ist was passiert, Karana?“

„Nicht ernsthaft – aber Chenoa sagt, sie und Thira wollen gehen. Ich wollte euch Bescheid sagen, damit wir uns alle verabschieden können...“ Puran runzelte die Stirn, während auch Pakuna sich jetzt auf ihrem Lager aufsetzte und seine erste Frau neben ihm kurz ein merkwürdiges Gesicht machte, als würde sie angestrengt über etwas grübeln. Ehe er sich fragen konnte, was sie hatte, war es vorüber, und Leyya rollte sich unter der Decke hervor und suchte nach ihren Kleidern.

„Das ist lieb von dir, dass du das sagst, Karana.“, erklärte sie, „Natürlich werden wir alle kommen... Puran, hoch! Ich gehe die anderen wecken, sieh zu, dass du angezogen bist, bis ich zurückkehre.“ Er sah ihr verblüfft nach, als sie sich erhob und raus ging; plötzlich so voller Elan? Hach, da sollte einer die Frauen verstehen.
 

„Dein Entschluss steht, was, Seherin?“, fragte Yarek seine blonde Begleiterin, während er sich eine Zigarette ansteckte. Die Sonne war jetzt aufgegangen und er beobachtete aus dem Augenwinkel, wie sich alle anderen Bewohner des Lagers versammelten, um Chenoa und Thira zu verabschieden. Er stand abseits der Traube, aber wenn er tun wollte, was er beschlossen hatte, würde er gleich hinüber müssen, aus Pietät zumindest. Am liebsten wäre er einfach gegangen, ohne jemandem etwas zu sagen, er hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, wenn ihn alle ansahen und am besten noch versuchten, ihn aufzuhalten.

„Es ist doch deiner.“, flötete die Wüstenfrau und grinste, indem sie sich hin und her wiegte und ihre wenigen Kleider im Wind flatterten.

„Deiner, mich zu begleiten, ich bitte dich nicht darum.“

„Nicht mit Worten, aber mit deiner Seele schon.“, sagte Ryanne. „Du würdest mich vermissen, du hängst an mir. Weil ich dir... das gebe, was du nicht hast. Eine Zukunft.“

„Ach so, Zukunft. Ich dachte jetzt an erster Stelle an guten Sex, den habe ich ohne dich tatsächlich nicht.“ Er scherzte, dabei lächelte er aber nicht, und Ryanne lachte glockenhell. Sie war seltsam... wenn sie auf ihre perverse Art irgendwie recht hatte. „Gut, dann komm schon... wir sollten gehen, während die anderen labern, bevor die das zweimal machen müssen. Sich versammeln und so.“ Das gesagt schlenderte in Richtung der Traube, die die anderen Bewohner des Lagers bildeten, größtenteils Geisterjäger und ihre Familien und sonstigen Anhänger. Da war Karanas ganze Familie, samt Pakuna und Zoras, samt Simu und Eneela, da waren Tayson und Asta, da waren Shais, da waren Tare Kohdar und Puran Lyras Cousine Alona, da waren Dasan Sagal und seine blonde Tochter Chitra. Das waren alle, die übrig geblieben waren von der großen Menge an Menschen, die die Tari Randora hierher gebracht hatte.

„Die anderen Schiffe sind gekommen in der vergangenen Nacht.“, erklärte Ryanne kichernd, „Der Grund, weshalb Thira fort geht, zum Teil.“

„Hm.“, war Yareks trockene Antwort und er zog abermals an seiner Kippe. Ryanne hatte oft gesagt, dass mehr Raumschiffe kommen würden mit Überlebenden von Zuyya – Leute aus Lamiya von einem Flecken, der ebenfalls von den Gletschern verschont geblieben war bis zum Schluss. Wie sie ohne Thiras Karte her gefunden haben mochten, wusste der Söldner nicht, aber vielleicht halfen ihnen ihre Reikyus. Er war kein Zuyyaner, er kannte sich nicht aus und wenn er ehrlich war, wollte er das auch gar nicht wissen.

„Bist du... neugierig?“ Er hielt an, als er Ryannes Stimme sich hinter ihm verändern hörte. Als er über die Schulter zu ihr zurück sah, waren ihre violetten Augen von einem Glanz erfüllt, den er oft gesehen hatte... die Götterseele, die in ihr lebte, die zu ihm sprach und ihn ansah mit einer Intensität, die ihm eine Gänsehaut verschaffte... diese Momente waren ein Grund, warum er sich nicht von ihr trennen wollte. Sie fesselten ihn... irgendwie an sie. Auf eine Weise, die er akzeptierte – und er hatte Fesseln noch nie akzeptiert ansonsten.

„Worauf?“, fragte er sie mit demselben Ernst, den auch sie plötzlich inne hatte. Ryannes Lächeln war verschwunden.

„Auf deine Zukunft. Was wirst du tun... jetzt, ohne Aufgabe?“

Das war eine berechtigte Frage. Er hatte sein Leben lang für andere gekämpft – andere beschützt oder es versucht. Als Kind zum Soldaten ausgebildet hatte er gegen Zuyyaner gekämpft; und er war kläglich gescheitert. Er hatte seine Familie nicht schützen können und sich fest vorgenommen, daran zu wachsen, um diesen Fehler eines Tages wieder gut zu machen.

War es jetzt gut? Er hatte die Sieben erfolgreich zu ihrem Ziel gebracht und beschützt... sie alle lebten noch, wenn auch Karana nur noch ein Auge hatte und Zoras auf einem Ohr taub war.

„Ich bin zufrieden...“, sagte er ruhig und wandte sich wieder ab, um weiter zu gehen. „Ich bin... nicht gescheitert.“

Er würde niemals wieder für irgendjemanden kämpfen oder jemandem dienen. Er war jetzt frei... er würde diesen Ort verlassen, um herauszufinden, was Freiheit war. Was auf ihn zukam, wusste er gar nicht genau... er wusste nur, dass diese Leute jetzt hinter ihm lagen... und es Zeit wurde, einen eigenen Weg zu beschreiten. Yarek kannte das; er würde jetzt seinen Weg gehen und irgendwann würde er vermutlich einfach wieder zu Karana und den anderen zurück führen. Es war in Ordnung... er rechnete damit, dann war es in Ordnung.

Er lächelte doch, als er Ryanne noch einen Blick zuwarf.

„Gehen wir... Ryanne.“ Es war selten, dass er ihren Namen sagte... jetzt tat er es einfach. Ihm war danach gewesen.
 

„Ihr wollt wirklich gehen?“ Neisa wusste, wie überflüssig ihre Frage war – das waren Chenoa und Thira, die würde niemand von ihnen aufhalten können. Während Chenoa wie immer emotionstot wirkte, machte ihre Schülerin einen etwas verhalteneren Eindruck, schien aber ebenso überzeugt davon zu sein, dass sie gehen wollte.

„Es wird Zeit, dass sich unsere Wege trennen, Neisa.“, sagte Thira nämlich, „Wir haben viel zusammen erlebt – aber die Legende ist jetzt erfüllt und wir werden... nicht gebraucht auf diese Weise. Ich sehe meine Zukunft an einem anderen Ort und bei anderen Menschen, ohne das böse zu meinen.“

„Was willst du machen?“, fragte Zoras unverblümt und wirkte teilnahmslos, während er neben seiner Frau stand und die Arme verschränkte. Neisa stieß ihn entrüstet an; musste er immer so herzlos sein? Er könnte wenigstens so tun, als wäre er bekümmert über den Abschied. Aber nein, Zoras Derran war nie bekümmert über Abschiede, er war es bei den vielen zuvor auch nie gewesen.

„Man sieht sich im Leben sowieso immer zweimal.“, hatte er dazu gesagt und mit den Achseln gezuckt, „Kein Abschied ist für immer, und wenn das nächste Treffen eben in der Geisterwelt ist. Ich bin der Seelenfänger und für die Weiterleitung von toten Seelen zuständig, ich treffe die sowieso alle noch mal.“ Das sagte er gut, der Spinner; Neisa würde das lieber unkommentiert lassen, hatte sie beschlossen.

Thira warf ihnen beiden einen apathischen Blick aus ihren roten Augen zu.

„Die anderen Schiffe sind gekommen – ich werde meine Landsmänner suchen, denn dies ist mein Schicksal. Meine Aufgabe... für Okothahp ist noch nicht beendet.“ So sprach sie, ehe sie sich verneigte, und Neisa wusste nicht genau, ob sie den Sinn hinter Thiras Worten verstanden hatte. Was immer es war, es war eine Zuyyanersache – es ging sie nichts an und sie konnten nicht helfen.

„Wenn das so ist, passt auf euch auf.“, hörte Neisa ihren Vater stellvertretend für alle im Stamm sagen, „Vielleicht begegnen wir einander noch mal in diesem Leben oder im nächsten.“ Chenoa tat etwas Seltsames; sie lächelte, als sie mit dem Kopf nickte.

„Darauf habt Ihr mein Wort, Majestät.“

„Ach, Himmel noch mal, nennt mich doch nicht andauernd so!“, empörte sich Vati und Neisa musste schmunzeln über seine Aufregung. Sie alle wurden unterbrochen, als plötzlich Yarek und Ryanne aus der Menge traten und sich zu Chenoa und Thira gesellten, worauf alle verstummten. Neisa starrte sie an – obwohl die Geste eindeutig war, tat Yarek ihnen allen den Gefallen und sprach:

„Wir beide werden sie ein Stück begleiten... und dann ebenfalls unserer Wege gehen. Also auch von uns... an dieser Stelle Lebewohl.“

„Waaas?!“, schrie Karana empört, „Wieso haut ihr alle ab?!“

„Echt mal, stinken wir?!“, jammerte Tayson und Zoras schnaufte.

„Du schon, geh dich waschen.“ Tayson schien ihn nicht gehört zu haben und Neisa verdrehte die Augen – das war so albern mit den Männern mitunter! Yarek nahm seine Kippe aus dem Mund und pustete gelassen wie immer den Rauch in die Luft.

„Es ist, wie Thira gesagt hat – unsere Wege trennen sich hier, es wird Zeit dafür. Der nächste Abschnitt unseres Lebens... sieht eben nicht vor, dass wir zusammen bleiben.“ Darauf erntete er kurz Schweigen; Neisa nickte dem rothaarigen Mann und der verrückten Seherin lächelnd zu, ehe ihr Vater wieder sprach.

„Nun... dann will ich euch nicht aufhalten, Yarek. Ich muss mich bedanken... dafür, dass du die Sieben beschützt hast mit deinem Leben.“

„Keine Ursache. Das war meine Aufgabe, ich wurde für diesen Zweck geboren, oder nicht?“, entgegnete der Söldner, der keiner mehr war, und schmunzelte. „Manche werden eben geboren, um zu herrschen... und manche, um anderen den Arsch zu retten. Das ist jetzt vorüber – ich wünsche mir für die Zukunft, nie wieder jemandem den Arsch retten zu müssen, Majestät.“ Neisa hörte ihren Vater grollen, weil er schon wieder mit Majestät angesprochen wurde. Ihr kam in den Sinn, dass sie sich nie als Prinzessin gefühlt hatte, solange ihr Vater de facto König gewesen war... es war ja auch nicht lang gewesen. Die Gedanken an alles, was hätte sein und werden können, wäre Tharr nie explodiert, waren ernüchternd, und sie senkte den Kopf, als der Herr der Geister das Wort wieder an Yarek richtete.

„Das wünsche ich dir auch, Yarek Liaron. Ich werde die Geister bitten, eure Reise wohin auch immer gut verlaufen zu lassen... passt auf euch auf, alle vier.“

„Wir sehen uns.“, antwortete Chenoa und wandte sich bereits zum Gehen, Thira folgte ihr und Yarek schloss sich den Zuyyanerinnen mit einem letzten Kopfnicken ebenfalls an. Ryanne hockte einen Moment da und malte mit dem Finger Kringel in den Sandboden vor ihren Füßen, während die versammelte Mannschaft sie anstarrte.

„Deine Reisegruppe rennt gerade weg, Seherin.“, machte Zoras sie dann darauf aufmerksam und die Blonde hob ihren Kopf – ihr Blick galt aber nicht Zoras, sondern Neisa, die neben ihm stand, und die junge Frau fuhr unmerklich zusammen, als die violetten Iriden ihre verschiedenen Augen trafen und beider Blicke für einen Moment aneinander haften blieben. Ryanne sprach... und irgendetwas in ihrem Kopf sagte Neisa, dass es die Seele der Seherin war, die sprach, auf irgendeiner Sprache, die Ryanne nie sprechen würde – und es war auch nicht Neisa, die sie verstehen konnte, sondern Salihah Ekala in ihrem Inneren, die über ihren Geist wachte – die vom selben Blut war wie Ryanne, die auf dieselbe Art eine Seherin mit unsterblicher Seele gewesen war.
 

„Du kennst das Schicksal deiner Zukunft... Neisa, Gemahlin des Todesgottes. Lauf nicht davor davon... auch, wenn es dich schmerzen wird. Es würde mehr schmerzen, sich zu weigern... den Weg zu gehen, der dir vorbestimmt ist. Sie wächst bereits unter deinem Herzen, hmm...? Deine... Zukunft.“
 

Neisa weigerte sich, nach ihrem Unterbauch zu fassen, als sie die Worte vernahm, die nur an sie gerichtet waren, sie sah Ryanne nur an – und dann war der Moment vorbei und die Seherin sprang auf die Füße, winkte ausschweifend und rannte dann johlend hinter Yarek, Chenoa und Thira her in die Weite der Pampa. Der Stamm blieb zurück und Neisa spürte ihr Herz klopfen, als eine eiserne Stille über dem Lager lag und sie die Blicke der anderen auf sich fühlen konnte. Es war Zoras, der seine schmalen Augen auf sie richtete und zu noch schmaleren Schlitzen verengte, ehe er sie ansprach.

„Was... zum Geier hat sie zu dir gesagt? Ich habe kein Wort verstanden von dem, was sie gemurmelt hat – gibt es diese Sprache überhaupt, in der sie gesprochen hat?!“ Neisa blinzelte nur ein paar Mal, während die anderen zu murmeln begannen und offenbar ebenso verwirrt waren wie ihr Gemahl.

„Sprache vergangener Welten vor den ersten Enden.“, half ihr Salihahs Geist auf die Sprünge. „Die kennt niemand außer den Göttern, denn vor den ersten Vernichtungen der alten Welt hat keiner der heute lebenden Menschen gelebt.“ Neisa dachte sich, das behielt sie mal lieber für sich, und sie schenkte ihrem Mann ein kurzes Lächeln, ehe sie die Hand doch auf ihren Unterbauch legte und spüren konnte, wie der kleine Geist darin sich entwickelte und stärker wurde. Sie würde mächtig sein... ihre kleine Zukunft.

„Wir werden bald ein Kind bekommen, Liebster... ich bin schwanger.“
 


 

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Omg, letztes Kapitel o-O Argh dann muss ich ja hinter den Epilog so viel Abschiedsblabla schreiben.... boah näh, zu müde gerade x____x Ja, gut getrante chwangerschaften ftw... dieser kryptische Kram geht mir sowas von auf die Nerven, ich bin froh dass ich durch bin gerade! x_____x

Epilog

Thira wusste nicht, ob sie das, was sie vorhatte, wirklich könnte. Rein physisch, ohne Frage. Kwok Ar-Khajh zu finden wäre nicht schwer, sie hatte Instinkte und eine Reikyu. Aber es fühlte sich falsch an daran zu denken, einen Mann zu suchen, denn ihr Herz gehörte bereits einem anderen. Mit diesen Gedanken schweifte ihr Blick hinauf zum grünen, größeren der beiden Monde der neuen Welt – dem Satelliten, den sie Yamuru genannt hatte. Wie lange war das jetzt her? Lange genug – es war gut, dass sie gegangen waren, denn nur wenige Tage länger und die anderen hätten es langsam sehen können.

Als Chenoa hinter sie auf die Anhöhe trat, auf der sie in der Nacht alleine stand und den Mond anstarrte, rührte die junge Frau sich nicht, aber sie spürte die Nähe ihrer Mentorin deutlich, obwohl sie genug Abstand bewahrte.

„Ich bin die Frau und Kaiserin von Yamuru Mirrhtyi.“, murmelte Thira, „Wäre er noch am Leben, wäre ich es zumindest, und damit Herrin von Ngurrha. Du weißt das, Chenoa...“

„Manchmal müssen wir Dinge opfern, um dem Willen Kataris gerecht zu werden.“

„Was hast du geopfert?“, fragte sie die Ältere dumpf und sie wartete lange auf Chenoas Antwort.

„Meine Familie; meine Eltern und meinen geliebten kleinen Bruder. Meinen ersten und meinen zweiten Mann und das ungeborene Kind in meinem Leib. Und ebenso... meine zweite Familie, deine Eltern. Es war nicht meine Entscheidung, denn in den Momenten, in denen Wichtiges passiert, hat meine Seele keinen Einfluss darauf. Es sind die Götter, die durch mich handeln und sprechen... ich kann dagegen nichts tun und es hat einen Teil von mir vernichtet. Du, Thira... bist keine Seherin. Du hast mehr Wahl als ich jemals hatte. Und es war doch deine Entscheidung, Kwok Ar-Khajh zu suchen und seine Frau zu werden – als Frau des letzten männlichen Nachkommens eines Himmelclans.“ Thira sagte lange nichts.

„Ich trage Yamurus Sohn in meinem Bauch... wenn er geboren ist, wird er der Erbe von Ngurrha sein. Ich werde... ihn nicht aufziehen und ihm nie eine Mutter sein können, wenn ich gehe, das weiß ich und es bricht mir das Herz... Yamuru wird immer ein Teil meiner Seele gehören, egal, ob ich Kwok je finde.“ Sie machte eine Pause und holte Luft, ehe sie fortfuhr. „Aber ich weiß, dass Katari... dass... die Götter von mir verlangen, dass ich das tue. Dass es wichtig ist... dass ich das tue. Das ist der einzige Grund... aus dem ich es tue, Chenoa.“ Sie sah die Ältere an und Chenoa lächelte. Es war ein ehrliches Lächeln, es kam direkt aus irgendeiner Scherbe ihrer kaputten Seele und es rührte Thira, dass Chenoa sie anlächeln konnte – so etwas wie Rührung hatte sie nie empfunden, bevor Yamuru ihr ihre Empfindungen geschenkt hatte... sie war ihm dankbar, denn es machte sie zu etwas Größerem als es ein Stein war.

„Du tust es, weil du Yamuru versprochen hast, dass du leben wirst.“, sagte die Weise Frau ruhig, „Das hat mit den Göttern... nichts zu tun.“ Thira dachte einen Moment über die Worte nach, ehe sie nickte und dem Mond endlich den Rücken kehrte – für jetzt zumindest. Es wurde Zeit, schlafen zu gehen.

„Wirst du Yamurus Sohn wie deinen eigenen aufziehen und beschützen, wenn ich fort bin, Chenoa?“ Sie erntete einen langen, stummen Blick, dann ein stoisches Nicken.

„Ich werde den Mann aus ihm machen, der er wird sein müssen für das, was die Götter ihm vorbestimmt haben... das verspreche ich dir, Thira.“

Und Thira ging an ihr vorbei und lächelte sie an... sie war ihr dankbar, dass sie existierte. Yamuru mochte sie Intrigantin und Verräterin geschimpft haben... Thira wusste, dass Chenoa eine Seele hatte, genau wie sie selbst. Irgendwo, vergraben – vielleicht hatte Yamurus Sohn dasselbe Talent wie sein Vater und die Fähigkeit, diese Seele zurückzuholen... sie wünschte es sich.
 


 

_____________________
 

Booyah. Es ist zu Ende, endlich! XD Kurzum: ich bin mit Buch 3 absolut nicht mehr zufrieden, so gar nicht. Ich habe es jetzt beendet, so gut es ging, aber Buch 3 ist absoluter Müll o_o An sich ist auch Buch 2 schon nur so halb zufriedenstellend, dieses ganze Heckmeck auf Zuyya war schon blöd, aber der Raumschiffkram ist und bleibt einfach vollkommen weird und nervig. x____x Eigentlich ist dieser ganze Planetenkack völlig doof, dass Tharr und Ghia überhaupt explodieren und ein neuer Planet gebraucht wird und so.... meh. Na jaaa... es ist vorbei (bei-bei-Junimooond... boah nee dieses Lied!) :D Danke wie immer an -Izumi- als mein Betababy und für die Ratschläge und Kritiken! Leider war Buch 3 am Ende so in sich verfahren, dass es schlecht machbar war da noch Dinge zu verbessern, aber wenn daraus mal etwas Brauchbares werden soll, wird das in jedem Fall mit beachtet werden ^^'



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Kommentare zu dieser Fanfic (30)
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Von:  -Izumi-
2022-03-01T11:42:29+00:00 01.03.2022 12:42
Und der Epilog. Döh.

Ah, okay, da wird noch mal auf Thiras Schwangerschaft eingegangen. Gut versteckt oder so. Und Chenoa kann herzen. Ein bischen. Aww.

>„Ich werde den Mann aus ihm machen, der er wird sein müssen für das, was die Götter ihm vorbestimmt haben... das verspreche ich dir, Thira.“
Ich bin ganz überzeugt davon, dass Thira sich den besten Babysitter der Welt ausgesucht hat! Warum ihr Baby nicht trotzdem bei ihr bleiben konnte, werde ich aber wohl nie verstehen.

Oh ja, und bitte. Immer gern gebetat.

So, jetzt ist es vorbei. Muss ich jetzt als nächstes das letzte Eiszeitbuch lesen oder was? Ne... ne. So viel Nostalgie will ich mir erhalten.

FM war das erste Buch von dir, das ich je ganz gelesen habe... damals noch die alte Version. Die erste Geschichte nach SK, ich weiß noch, wie ich damals ganz fasziniert auf der Homepage alles angeguckt habe und mega fasziniert war!
FM war mit ein Grund, weshalb ich überhaupt mit Schreiben begonnen habe. Es wird für immer mein Schatz bleiben, auch wenn du damit nicht mehr zufrieden bist. Danke! <3
Von:  -Izumi-
2022-03-01T11:34:02+00:00 01.03.2022 12:34
Se last wonn.

>später würden Menschen sie als Urväter, Vorfahren, Ahnen bezeichnen, als die ersten Menschen von Khad-Arza verehren... der Gedanke war schräg.
Ja, definitiv! Ich glaube, deren Nachkommen in fünfzig Generationen oder so müssen doch mit dem Obermindfuck leben. Ich meine, man kann sich ja wohl kaum vorstellen, dass die Vorfahren vor ein paar hundert oder tausend Jahren mal von einem anderen Planeten kamen, oder? XD

Aww, Aar ist auch da. <3
Oh, hallo Chenoa! Stimmt, die gab es auch noch. Haha, die hat ja theoretisch noch ihre eigene Lovestory vor sich mit ihrem Toyboy. XD
Ja, Chenoa war definitiv kein Unschuldslamm, aber ich kann Karana verstehen. Da auf der neuen Welt jetzt herumzustreiten würde halt auch niemandem was bringen. Von daher, weise Entscheidung.

Ach ja, Puran und Leyya haben derweil ein bisschen Spaß, so mehr oder weniger. XD
>Und die Narben zeugten eben von dem, was er getan hatte... sie waren wie ein Pergament Geschichtsschreibung für seine persönliche Geschichte, deswegen waren sie akzeptabel.
Das ist ein schöner Gedanke.
Aber schon krass, was Puran so denkt. Er war ja echt ganz oben und dann plötzlich ist er gar nichts. Ich kann aber verstehen, dass das irgendwie erleichternd ist... so ein Leben ist zwar beschwerlich, aber es fehlt auch sehr viel, was früher selbstverständlich den Alltag belastet hat.

Ach, Yarek und Ryanne, die waren auch lustig. Stimmt, die sind dann ja auch weg gegangen!
>„Gehen wir... Ryanne.“ Es war selten, dass er ihren Namen sagte... jetzt tat er es einfach. Ihm war danach gewesen.
Awww. Kawaii. Die beiden waren sehr cool.

>„Echt mal, stinken wir?!“, jammerte Tayson und Zoras schnaufte.
„Du schon, geh dich waschen.“
Awww, schön. XDD

Ryanne ist noch ein letztes Mal gruselig und Neise kriegt ihr Baby, aww. Und vorbei. Wie seltsam!

>Ja, gut getrante chwangerschaften ftw... dieser kryptische Kram geht mir sowas von auf die Nerven, ich bin froh dass ich durch bin gerade!
Stimmt, Thira ist doch auch schwanger und das wurde Null erwähnt... ich meine, die hingen doch da schon ein paar Monate herum, ist das keinem aufgefallen? XD
Von:  -Izumi-
2022-03-01T10:56:12+00:00 01.03.2022 11:56
ÖÖÖÖÖY Asta. Und Thira, die super sympathisch ist.
Argh, und klar, bleibt die Batterie stecken. XD Wäre mir auch passiert. Aber auf Tayson ist Verlass. Die Zuyyaner mal wieder... ich meine ja, Welt retten und so. Aer trotzdem.

>Sie hätte niemals springen dürfen... war es zu viel für die Batterie gewesen, unter dem Schrott hervorgezogen zu werden?
Nein, bestimmt nicht. Die Dinger werden ja eigentlich für den Weitwurf hergestellt. Moment, wo hat Thira die Pläne gerade rausgezogen? Will man das wissen?

Aww... Yamuru ist ein Süßer. Ich weiß ja, was gleich passieren wird... es ist schon fies. .__.
Tayson ist derweil ein Ehrenmann. Ich mag ihn. Und Asta.

>„Vor allem, weil das die Anzahl der noch lebenden Lianer auf vermutlich ein Dutzend oder so reduziert, wenn überhaupt, und eine davon ist Eneela. Die sind echt eine bedrohte Art, katastrophal irgendwie.“
XDD Ja scheiße Mann, was hat der Ülan sich denn dabei gedacht? XD
Aww, und Tayson hat gar nicht gerafft, was mit Yamuru und Thira lief... =')
Zwischeneinwurf: ich liebe zuyyanische Namen. Ich hatte ganz vergessen, wie schön und wohlklingend die einfach sind. Ngrrchah, geil.

Ach... es ist echt traurig. Thira erlebt ja auch nur Scheiße.
>Sie war hier falsch... sie beide sollten gar nicht hier sein. Sie sollten wo anders sein, irgendwo, wo die Sonne schien... wo nicht dieser abartige Schatten herrschte.
Ja, gut gesagt/gedacht.

Und sie hat es getan. Aww... und trifft dann gleich auf Karana, der gerade vom Leichenfleddern kommt, pflichtbewusst, wie er ist. Traurig.

Babywelt wird geboren. Strampelt.

Muss schon eine komische Fahrt zurück sein. Irgendwie haben sie es geschafft, aber ob überhaupt noch jemand zum Retten da ist, weiß halt auch keiner.
>Es war das erste Mal, dass sie auf diesen Umstand stolz war... auf den Umstand stolz war, Karanas Frau zu sein.
Ist halt auch verwunderlich, dass sie das überhaupt mal geschafft hat.

Arme Thira, sie ist so fertig. Da in Yamurus Kammer zu hocken ist ja auch end-traurig...
>Sie war keine Prinzessin von Okothahp mehr... sie war die letzte Kaiserin von Ngurrha, und sie würde es mit Stolz sein.
;___; Wie süß.

Und vorbei. Ja, ganz weg ist Yamuru nicht... aber trotzdem, so traurig.
Von:  -Izumi-
2022-03-01T10:12:00+00:00 01.03.2022 11:12
Ich dachte, nach einer kleinen Pause lese ich mal weiter. Kann ja nicht sein, dass hier die Kommis fehlen, tse!

Iana ist immer noch treu und macht Iana-Sachen. Ob sie das ohne all die toten Leute in ihr und Karana wohl auch tun würde? Da sollte man mal ein Abhandlung drüber schreiben.
Oh, der Ülan ist auch da, moin! Epische Begegungsszene, uuh.
Oh, okay, ja. Das Nicht-Auge. Ja gut, mit nur einem Auge zu kämpfen ist natürlich gewissermaßen belastend, das sehe ich ein.

>Du bist ein Teil von mir und ich einer von dir... wenn du mich tötest... wirst du sterben.“
Ja Ülan, du hast ihm auch gerade ein Messer in den Bauch gerammt. Merkste selber, ne?
Iana to the rescue! Oder Nalani, wie auch immer. Ach, die sollten bumsen. Also Iana und Ülan. Warum hat da damals keiner dran gedacht?

>Karana konnte nicht viel sehen, als er sich keuchend aufrappelte und bebend nach seinem Schwert angelte.
Ja ne, wie auch? XD
Ach, aww. Irgendwie ist er auch gerade zu nichts zu gebrauchen.
Aww, Zoras to the rescue! Und Ülan ist ein bisschen schockverliebt. Ahahaha.

>Los, mach weiter, ich schnorr mir von Yarek 'ne Kippe und geh eine rauchen.
XDDDDDDD Was.
Ach, läuft einfach nicht bei Karana. Wie frustrierend.

fhwifpoq nein, du hast Ülan getötet! Ich bin so empört und überrascht! Hättest den doch mal gewinnen lassen können!
Haha, lol, Karana kann er nicht haben, also versucht er es bei Zoras? XD Oh, ein kaputter Zoras. Mensch, wie verdrießlich.
Und Karana soll erst mal Leichen fleddern. Lecker.
Yay und zuletzt Neisa to the rescue! Auf sie ist Verlass! Hurra!

>Überhaupt sterben irgendwie zu wenige... eines Tages mache ich eine erwachsenere Non-Disney-Version in der alle sterben. uû
Ich warte.
Von:  -Izumi-
2014-08-22T21:23:19+00:00 22.08.2014 23:23
Dööööh. Neisa hatte also auch ihren Kampf. Und konnte nicht gewinnen, na ja, ist zu Abwechslung auch nicht schlecht, dann konnte Yarek immerhin beweisen, dass er einen Sinn hat. Yarek. ♥
Diese Sache mit Ryanne und Turo verstehe ich nicht ganz. Wird das noch mal etwas genauer erläutert? Ich meine, okay, Turo hatte offenbar aus irgendeinem Grund einen Teil ihrer Seele... aber wieso... weshalb... hä? Hoffentlich kommt dazu noch mehr, ich finde das cool.
Und dann Zoras. Ich finde es gut, dass du nicht mehr jeden Kampf haarklein ausschreibst, das macht das ganze interessanter und weniger langatmig. ^^
Was mir bei Zoras' ganzen kryptischen Gedanken da auffiel: Zoras Chimalis hatte diesen Vogelpakt doch auch, oder? Hätte seine Seele dann nicht nach dessen Tod auch vernichtet werden müssen? Ich meine, eigentlich hätte der doch gar nicht wiedergeboren werden können... oder?
Jedenfalls sind die Niemande jetzt weg und ich bin ein bisschen traurig, weil ich sie mochte. Gefallen hat mir aber, wie Zoras sich am Ende über die Götter aufgeregt hat... ich meine, recht hat er. ='D
Fand gut! ^o^
Von:  -Izumi-
2014-08-14T20:08:16+00:00 14.08.2014 22:08
Boah, viel Kampf. Da kann ich nicht so viel schreiben. óo
Ich bin jedenfalls auf Ryanne gespannt, was die jetzt vorhat. Ich meine... was sie sich da in den Arm geritzt hat, klingt... interessant. oô
Schön auch, dass selbst Asta jetzt noch einen kleinen Sinn hat. Und dass sie und Tayson überhaupt vorkamen. Ich habe mich zwischendurch im übrigen gefragt, wer für dieses Kampfinferno überhaupt verantwortlich ist. Da gab es eine Stelle, die hat mich mega irritiert diesbezüglich.
Yamuru, Thira, Asta und Tayson waren im Raumschiff, Yarek unmittelbar davor. Simu und Eneela rennen gerade raus, Karana und Iana kommen ihnen entgegen. Meine Frage: Wer hat da gerade um sie herum gekämpft? Ich meine, vielleicht übersehe ich auch wen, aber von deren Gruppe sind doch nur noch Zoras und Neisa übrig in dem Augenblick? Und auch wenn Zoras ziemlich aufdrehen kann, der belustigt doch nicht das ganze Schlachtfeld allein? XD Also nicht, dass das jetzt schlimm wäre, aber es fiel mir halt auf. ^^
Aber mal der Reihe nach, zuerst waren ja alle entsetzt, weil die Zuyyaner arrogante Drecksäcke sind. Tjaha, dumm gelaufen. Ich hab btw. gleich zu Beginn gedacht, Moment, wenn da eine Landeplattform für EIN Raumschiff ist, dann kriegen die definitiv ein Problem. XD Haha, und wie. The Drama!
Dann gab es natürlich in erster Linie Simu. Simu ist cool, denn Simu ist badass. Und Badass-Leute sind bekanntlich sehr sympathisch. Ich fand das sehr schön, wie er "ja" zu sich gesagt hat und der arme Yatli... na ja, war sicher nicht angenehm. Aber egal, Simu durfte poser und ein eviliger Zuyyaner sein und das ist es doch, worauf es ankommt, oder? =D
Und Eneela, die definitiv ein Angst-Problem hat. Oder hatte, sie hat es ja offenbar endlich überwunden. Gut für Eneela, schlecht für Kanau. ='D Haha, ich hab jetzt auch ein Angst-Problem (verstört fürs Leben). Das hat nix mit dem Kommi zu tun, aber im Flur saß eben die größte Spinne seit... äh... keine Ahnung. Sie war in etwa so groß wie eine Kuh, jedoch weniger süß. Wäääääh... *zu verstört zum weiter schreiben*
Von:  -Izumi-
2014-08-13T16:49:40+00:00 13.08.2014 18:49
Badass-Karana... ich vermisse ihn q___q Er war doch so liebenswürdig! D= Manno...
Die Szene mit Ryanne und Zoras war irgendwie episch. Und... erotisch. Irgendwie. XDD Irgendwie fand ich die mega cool... und Ryanne war nützlich! Yeah.
Und dann ey... die Szene, die mich fertig gemacht hat. Ohne Scheiß, sie hat mich verflüssigt und dann bin ich unter den Schreibtisch getropft. Und da bilde ich jetzt eine Pfütze.
Kussszene! Simu und Eneela! KAWAIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII */////////////////////////*
Hach, da hab ich mich echt doll drüber gefreut. >////< ♥♥♥
Ryanne war in diesem Kapitel aber insgesamt sehr sympathisch, irgendwie tat sie mir am Ende voll leid. Ich meine... sie war so verwirrt und wollte nach Hause. ó_o Aww...
Yarek soll sie mal liebevoll trösten.
Ach ja, und dann kam ja die Szene mit den trölf Geistern, ich dachte auch so, schön, dass die Hälfte der Versammlung eigentlich tot ist, yay. =D
Um mal auf das einzugehen, was du da am Ende im Nachblabla geschrieben hast; ja, irgendwie waren die Originale epischer. Nicht unbedingt cooler oder als Charaktere besser, aber epischer. Ich meine, Salihah zum Beispiel war DIE Poserin überhaupt. Neisa ist und bleibt das mehr oder minder süße Heilermädchen. Nalani war voll badass und alle hatten Angst vor ihr. Iana ist... äh... sympathisch XD. Kelar war auch badass - Karana kann das ja sein, aber es wurde leider ausgemerzt. Was bleibt, ist Tabari und der ist halt auch nur ein toter Hokage ohne Arme - ach ne, falsch. Du weißt aber, was ich meine. Also die jetzige Belegschaft besteht halt doch aus Teenies, die irgendwann einmal ein relativ unbedeutendes Leben in ihrer nicht mehr existenten Heimat geführt haben und für die sich kaum einer interessiert hat. Die Geister, die sie beherrschen, waren ihrer Zeit erwachsen, irgendwie adlig und politisch und gesellschaftlich hoch angesehen, natürlich haben die viel mehr hergemacht, das waren einfach imposantere Persönlichkeiten.
Das ist dann allerdings etwas, was ich an dieser ganzen Geisterkiste doch mag. Ich meine, diese ganzen krassen Leute werden von diesen auserwählten "Randoms" repräsentiert, das ist irgendwie cool. Mal so viel dazu.
Und die letzte Szene. Ach, ich mag die ganzen Niemande, sie sind cool. Und der arme Yatli wird schon wieder durchgenommen. XDD Aww!

Mochte aber ^^
Von:  -Izumi-
2014-08-12T20:42:07+00:00 12.08.2014 22:42
Boah, also das Kapitel war voll blöd. D=
Ne, der Reihe nach.

>„Ihr... werdet... alle sterben!“, keuchte er und lachte dabei wie ein Geisteskranker, und Zoras konnte ihn nur anstarren, spürte, wie Karanas Blick direkt auf ihm lag, wie er ihn durchbohrte und wie in den grünen Augen eine Aggression und ein so gewaltiger Zorn war, dass Zoras das Bedürfnis verspürte, zurückzutreten oder auf die Knie zu fallen.

Grünes AugE, er hat ja nur noch eines. ='D Und wegen dieses fatalen Fehlers war das ganze Kapitel scheiße und der Kommi endet hier. So.
Ne, war nur Spaß. Zunächst einmal hatte ich ein wahnsinniges Problem, mich in dem Kapitel zeitlich und räumlich zurecht zu finden. Ich meine, am Anfang waren sie alle irgendwo in dem Raumschiff, Thira und Yamuru kommen da gerade aus dem Raum, dann wird der arme Karana fertig gemacht, Thira und Yamuru sind plötzlich irgendwo anders und der Rest ist plötzlich draußen und... wtf, seit wann fliegen die denn bitte wieder? o_O Im ernst, wann sind die abgehoben, ich dachte die sind noch auf dem einen Planeten da, die wollten doch erst am nächsten Tag starten, oder nicht? x__x Verwirrung pur, ich hab es irgendwann aufgegeben und hingenommen.
Daaann... ach ja, worüber ich mich noch geärgert hab. Badass-Karana, ja? Badass-Karana ist mein Lieblingschara. Also jetzt nicht so wie Ram, aber du weißt, was ich meine. Und du machst den schon nach einem Kapitel wieder fertig. Und wtf, was ich mich jetzt nicht nur hier gefragt habe, sondern was ich mich irgendwie grundsätzlich immer frage, warum haben immer alle Leute so 'nen Schiss vor Nalani? Ich erinnere mich dunkel daran, dass sie damals, als sie zu Kaisers Zeiten selbst mal aktuell war, der einzige Fm-Chara überhaupt war, der von sich behaupten konnte, von mir nicht gemocht zu werden. Und ich muss sagen, in den Hauptbüchern hat es sich nicht geändert. Mit Iana an sich hab ich komischerweise kein Problem, vielleicht, weil sie meiner Meinung nach eigentlich keinerlei Gemeinsamkeiten mit Nalani hat, so lange sie sie selbst ist, aber Nalani wird ja jetzt immer präsenter und arrrrrgh, sie regt mich auf. Versteh das nicht falsch, das ist jetzt mehr meine empörte eigene Meinung als Kritik an der Story, also Herz. XD
Aber die Angst, die immer alle vor Nalani haben, hab ich nie richtig kapiert. Ich hab mich damals schon gefragt, warum Kelar ihr nicht einfach den Hals umgedreht hat, weil sie so böse gucken konnte? O_o Gilt auch für Ülan und alle anderen, die immer so entsetzt von ihrer Aura des... ja was ist das eigentlich? Die entsetzt von ihrer Aura der unberechtigen Überlegenheit oder so sind. Ne, ich mag sie nicht. Ich bin sauer, dass sie mir Badass-Karana schon wieder genommen hat.
Herz aber für Zoras, der seine vernünftige Schiene friedlich weiter fährt. Sehr gut, auch seine Reaktionen, irgendwie verlieb ich mich grad wieder ein bisschen in ihn als Charakter (zeitweise war er auch mehr anstrengend, wenn auch recht unterhaltsam dabei XD).
Was gab es denn noch, ein bisschen Yarek und Ryanne. Ich weiß nie, ob ich von denen mehr fordern soll oder nicht... einerseits sind sie mein altes Lieblingspairing. Andererseits kann ich mit Ryanne irgendwie einfach nichts mehr anfangen. Wobei sie wenigstens nicht so destruktiv ist wie Nalani. x__x *schimpft*
Ach ja, und dann kam ja die ganze Geschichte mit Kyeema und Eneela. Ich fand es ehrlich gesagt etwas enttäuschend, dass weder Kyeema, noch Ulan jemals erfahren haben, dass er echt ihr Papa ist. Das hat irgendwie gefehlt, finde ich. Ansonsten gut gemacht... Kyeema ist so arm, ich hab sie lieb. ._. Und Eneela auch. Aww...

Ja... also nicht unbedingt schlecht, das Kapitel, aber ich hab mich beim Lesen ständig geärgert D=
Von:  -Izumi-
2014-08-11T18:08:37+00:00 11.08.2014 20:08
Du immer mit deinen komischen englischen Sätzen am Ende... tsetse.
Thira ist ja irgendwie lieb und süß. Auf ihre Thira-Art. Ich meine, wie sie einfach eigentlich voll friedlich verliebt ist und immer wieder zu Yamuru rennt... aww. ♥ Voll niedlich ^///^
Und Yamuru freut sich immer, wenn er Besuch bekommt XD Logisch, was auch sonst.
Ich mag total, wie die sich eigentlich friedlich anlieben. ♥
Die Türklinke vereisen ist natürlich eine lustige Idee, da hätte er auch früher drauf kommen können. ='D Haha.
Und da war also Yamurus Flashback. Der immer noch lang war, wie du auch schreibst, aber 10000000 Mal kürzer als in der alten Version. War irgendwie seltsam. Also nicht schlecht, es war auf jeden Fall besser als früher, so, wie es jetzt ist, es beschränkt sich halt auf das wichtigste. Das alte war ja echt ein Fillerarc, wie du sagst. XD Aber schon eigenartig, dass plötzlich Personen, die ich eigentlich als gar nicht so unwichtig im Kopf hatte, plötzlich vollkommen random geworden sind. XD Dabei weiß ich noch, dass ich eigentlich voll der Fan von Shihaya war. Der war cool.
An das mit Chenoa konnte ich mich gar nicht mehr erinnern. War das früher auch schon so? Sie ist echt ein Chara, der es einem schwer macht. Wobei ich sagen muss, obwohl ich normalerweise ein Problem mit starken weiblichen Charakteren habe, hat mich Chenoa was das betrifft nie genervt. Das einzige, was ich an ihr immer komisch finde, ist, dass es heißt, sie sei allwissend, dann aber sagt, sie hätte ihre Seele vernichtet, was aber physikalisch betrachtet ja irgendwie nicht funktionieren kann, denn eine Seele ist ja Energie und Energie lässt sich nur umwandeln, nicht vernichten. Ach, was bin ich kleinkariert! XD Na egal.
Jedenfalls fand ich es gut, dass das alles etwas gekürzt wurde. Besonders gefiel mir aber die Szene während des Vulkanausbruchs, die war schön dramatisch beschrieben, die Stimmung kam sehr gut rüber. Und auch die kleinen Unterredungen mit Thira zwischendurch fand ich schön gemacht. Und die random Anmerkung, dass Yamuru Kwok irgendwie nicht mag, fand ich auch episch. XD
An das, was als nächstes kommt, kann ich mich irgendwie auch gar nicht mehr erinnern. Na mal sehen. ôo
Von:  -Izumi-
2014-08-10T18:42:41+00:00 10.08.2014 20:42
Döööö.... dieses Kapitel war so lang, dass mein Kommi sicher kurz wird.
Im ernst, ich hab mir das doch nicht alles gemerkt und scrollen ist ohne Maus so anstrengend D= (Ich nehm die nicht mehr mit. Die funktioniert nach der Reise immer nie.)
Wie auch immer, zuerst stirbt Eneela. Also nein, tut sie nicht. Aber fast. Simu war irgendwie voll süß in der Szene... okay, Simu ist immer süß. XD Aber da besonders. Weil ich dir Reihenfolge eh nicht geappelt bekomme bleiben wir gleich bei denen, später gab es ja auch eine Szene mit der wieder erwachten Eneela. Ich finde es echt gut, dass du der Beziehung zwischen den beiden dieses Mal auch etwas Beachtung zukommen lässt und auch auf Eneelas Gedanken über Männer eingehst. Ich meine, ihre Bedenken sind natürlich völlig verständlich, gleichermaßen ist sie aber auch ein intelligenter Mensch und da ist es dann schon angebracht, dass sie anerkennt, dass Simu etwas besonderes ist und sie sich bei ihm ruhig geboren fühlen kann. ^^
Da fällt mir auf, irgendwie wurden in diesem Kapitel unheimlich viele Pairings bedient, vielleicht daher die Länge. XD Na ja, Iana hatte ja nicht so viel Erfolg. Sie ist eh ein Opfer... ich hab an der einen Stelle, wo Karana selbst noch darüber nachgedacht hat, wie scheiße er sie grundsätzlich immer behandelt hat und behandelt, noch gedacht, Mann Mädchen, bist du doof. XD Nicht im bösen Sinne, aber ohne Scheiß, ich kann gar nicht beschreiben, wie tief ich einem solchen Kerl meine spitzesten Stiefel in den Hintern rammen würde. ='D Da hat Karana (den ich immer Kawara nennen möchte) ja Glück, dass seine Frau eigentlich doch vergleichsweise lammfromm ist.
Davon aber mal ab: Karana mein Schatz. ♥ Er ist so scheiße und evil und ich liebe ihn dafür! Kyaaaaaaaaaaaaaaaaaah! ♥_____♥ Ganz, ganz herrlich die Szene, wie er da vor Ülan gekrochen ist und der ihm dann das arme Lianermädchen zum Fraß vorgeworfen hat... Gott, das arme Ding. Ich will gar nicht so genau machen, was Karana mit ihr angestellt hat... obwohl? XD Das ist etwas, was ich an Fm liebe, der Hauptheld ist auf irgendeine Weise immer mal wieder abgrundtief böse. Maaaag. *_____* Hoffentlich verpasst er das blöde Mal noch irgendwem... XD Hihi.
Yamuru und Thira gab es auch noch, die waren ja fast das friedlichste an dem ganzen Kapitel, ich meine... die hatten sich einfach lieb und waren auf ihre abstruse Art niedlich dabei! Und endlich wurden sie mal nicht gestört, haha. XD Aww... ich mag die beiden total... ich trauere dann schon mal um Yamuru...
Uuuund zum Schluss, Zoras und Neisa. Die hatten immerhin ein bisschen Spaß, so lange, bis Iana kam. XD Psycho-Neisa irritiert mich irgendwie etwas... das ist ja auch immer mein Problem, das ich mit Ryanne habe. Und das ich auch mit Seroia noch bekommen werde, ich merke es jetzt schon... hach. Aber sehr angetan war ich in diesem Kapitel von Zoras. Normalerweise ist er ja doch eher der aggressive Hitzkopf gewesen, aber man merkt deutlich, dass er doch reifer geworden ist. Die Szene, in der er erst einmal Ewigkeiten gezögert hat, die Hellebarde zu ziehen, fand ich super. Mir gefällt, wie er immer mehr den Platz des ruhigen Gegenpols einnimmt, während Karana immer wahnsinniger wird. Die beiden gleichen sich gut aus.
Dass es dann Zoras war, der Karana das Auge nimmt, hat mich verblüfft... aber ich denke, da kann ihm keiner Vorwürfe machen, was hätte er denn anderes tun sollen? Entsprechend bewegend fand ich dann auch die Szene am Schluss, als er Iana in den Arm genommen und getröstet hat. Das war irgendwie schön. Karanas Seele darf aber gern noch eine Weile da bleiben, wo sie jetzt eingesperrt ist... ich mag Psycho-Karana. XD

Jedenfalls ein seeehr tolles Kapitel, ich hab nichts daran auszusetzen. ^^



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