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Bittersweet

von

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I'm giving up the ghost of love...

Du bliest dir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, den Blick aus dem Fenster schweifend. Die Bäume waren noch nackt und eine eisige Kälte fegte durch ihre kahlen Zweige. Der Winter lag über dem Land, aber zum Glück rückte Ostern schon in greifbare Nähe. Einige Wochen dauerte es noch, aber die Kinder auf der Station freuten sich wie verrückt auf die Eiersuche, die von den Pflegern organisiert wurde.

Dies war dein Zuhause seit fast einem Jahr. Eine Einrichtung für Kinder mit psychischen Krankheiten. Du selbst warst zwar kein Kind mehr, aber auf deinen Wunsch durftest du hier bleiben. Erwachsene waren dir ein Rätsel, ganz besonders die, die krank waren. Hier auf der Kinder- und Jugendstation gab es meist Diagnosen wie Autismus, Aggressionsstörungen oder wirklich gefährlichen Dingen wie Depressionen oder Essstörungen. Deine Diagnose war auch nicht ganz ohne: Paranoide Schizophrenie. Du wusstest nicht, wie lange du schon so krank warst, aber in deinem Kopf war es ein 'schon immer', also seit du klein warst. Stress riefen bei dir Anfälle hervor, die für dich schlimmer als alles andere waren. Es zog dich aus deiner Realität in eine andere Welt, eine Welt voller Hass, Angst und Leid. Die 'Dunkelwelt' nanntest du sie, ganz nach ihrem Aussehen getauft. Dunkelheit umschloss dich dort wie eine zweite Haut und dir fremde Stimmen redeten auf dich ein. Sie kommentierten deine Gedanken, dein Handeln; versuchten dich immer weiter in die Dunkelheit zu locken. Meist hocktest du dich zu Boden, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen und weintest, bis die Realität langsam wieder in deinen Kopf kam. Es war kein schönes Leben das du hier führtest, aber immerhin musstest du keinen Hunger leiden und hattest ein warmes, weiches Bett. Auch wenn die Gesellschaft etwas gewöhnungsbedürftig war in dieser Klinik.

Die kleineren Kinder saßen nach dem gemeinsamen Abendessen im Spielraum, wo sich Kinderbücher, Brett- und Kartenspiele stapelten. Vier der Kinder saßen zusammen im Kreis, zwischen ihnen ein Bilderbuch. Gelangweilt gingst du auf sie zu, du hattest eh nichts anderes zu tun, und setztest dich zwischen Camille und Jackie.

„Was lest ihr denn da?“, fragtest du Camille, die große Augen machte und begann in ihren Haaren zu fummeln und diese Haar für Haar heraus zu reissen. Sie hatte eine Zwangsstörung, aber im Grunde war sie ein sehr umgängliches kleines Mädchen. Du nahmst ihre kleine Hand aus ihrem blonden Haar und sie lächelte verlegen.

„Das ist eine Geschichte über den Osterhasen und den Weihnachtsmann. Und die Zahnfee!“, erzählte sie freudig und zeigte dabei auf die jeweiligen Bilder im Buch. „Oh, und der Sandmann!“

Du hörtest brav ihren Erzählungen zu. Die Kinder kannten das Buch schon auswendig, erklärten dir jedes Bild ganz genau und machten dich sogar auf die kleinen Details aufmerksam. Was sollten sie denn auch den lieben Tag lang tun, wenn sie doch hier gefangen waren, genau wie du? Sie malten oft, zeichneten die Bilder aus den Büchern ab und dachten sich ihre ganz eigenen Geschichten aus, um mit sich selbst fertig zu werden.

„Und wer ist das?“, fragtest du und zeigtest auf das Bild einer schwarzen Gestalt. Ein Mann, mit schwarzen Gewand und einem diabolischen Grinsen. Jackie zog ihr Haarband enger und sah dann mit ihren wässrigen, blauen Augen zu dir hoch.

„Kennst du ihn nicht?“, fragte sie ernst und du nicktest als Antwort. Das Mädchen war dir ein bisschen unheimlich. Sie lachte nie und war immer todernst. So waren Erwachsene, aber keine kleinen Kinder...

„Das ist doch der Boogeymann!“, erklärte Thomas dir genervt und rollte überzogen mit den Augen. „Er heißt Pitch Black, das weiß doch jeder!“

Ja, jeder außer dir. Deine Mutter hatte dir nie irgendwelche Geschichten vor dem Einschlafen erzählt, woher solltest du denn so etwas auch kennen?!

„Pitch Black, achso. Glaubt ihr denn an ihn?“, fragtest du in die Runde der Kinder und alle quietschten und lachten auf.

„Nein!“, schrien sie im schiefen Chor und sprangen auf. „Er ist nur ein böser Traum!“ Lachend begannen die Kinder zu toben und zu hüpfen, bis Pfleger herbei geeilt kamen und die Rasselbande wieder beruhigten. Du starrtest auf das Abbild des Schwarzen Mannes herab und spürtest eine Vertrautheit seinem Namen gegenüber. Pitch Black... Du last den kurzen Kommentar unter der Zeichnung und dein Magen drehte sich um.

'Pitch Black, der König der Albträume, verbreitet Angst in den Träumen der Kinder. Er lauert unter den Betten, im Schatten, wo niemand ihn sehen kann und er doch alles sieht.'

„König der Albträume...“, murmeltest du und schlugst das Buch zu. Deine Krankheit und die gewaltigen Ängste, die du damit zu kompensieren versuchtest, gaben dir einen Gedanken vor, der sich in dein zerstörtes Hirn bohrte: Pitch Black existierte.
 

Dunkelheit schlich um dich herum wie eine jagende Katze. Düstere Worte drangen auf dich ein, Befehle, Beleidigungen und kleinere Sinnlosigkeiten. Diese Schwärze verschluckte alles, jeden kleinsten Funken Selbstachtung oder positiver Gefühle. Da war nur Angst, Verzweiflung und Einsamkeit. Dieses Gefühl war so immens, dass dein Atem zu brechen drohte. Dieser Druck, als würde das Leid der ganzen Welt auf deinen Schultern und auf deiner Brust liegen.

„Du hast Angst.“ Du hobst den Kopf von deinen angezogenen Knien an. Diese Stimme war neu, sie war dir absolut fremd. Wer war das? Diese Stimme war nicht in deinem Kopf, sie kam von außerhalb. „So ängstlich wie ein kleines Kind, dass sich vor dem Monster im Schrank fürchtet.“

„Wer bist du?“, fragtest du in die erdrückende Stille hinein und wartetest auf eine Antwort – wenn denn eine kam. Ein höhnisches Lachen folgte dem, kalt und rau.

„Du weißt wer ich bin.“ Eine Gestalt trat aus dem Dunkel und du erkanntest die schemenhaften Züge.

„Du bist Pitch Black.“, stelltest du nüchtern fest und versenktest das Gesicht wieder in den Armen. „Was willst du hier, in meiner Dunkelwelt?“

„Dunkelwelt? Was für ein passender Name.“ Das schwache Licht, das von dir ausging, ließ dich sein Gesicht wage zwischen deinen Fingern erkennen. War er auch nur eine Halluzination? Sicherlich war er das, denn was könnte er schon von dir wollen. Angst und Albträume hattest du mehr als genug... Jeder Tag war eine Qual für dich, ausnahmslos. Du versankst in deiner Krankheit, hoffnungslos. Als hätte man dir Steine an die Beine gebunden sankst du immer weiter, mit jedem Atemzug in deinem Leben. Doch die Angst war das einzige worauf du dich verlassen konntest. Sie war konstant, immer vorhanden und alles was du hattest. Deine Ängste umfassten alles, von ganz banalen Dingen wie Spinnen bis hin zu der Angst vor Menschen oder dem Tod. Also was wollte Pitch dir noch geben? Welche Angst könnte dich noch schockieren? Deine Frage sollte beantwortet werden, denn er streckte seine Hand nach dir aus, gab dem Albtraumsand unter seinen Füßen damit einen Befehl. Der Sand umschlang dich, drückte deinen Körper schmerzhaft zusammen, bis du keinen einzigen Atemzug mehr tun konntest. Panik ergriff dich, berauschte jeden deiner Gedanken und ließ dich jämmerlich wimmern.

„Hör auf!“, flehtest du bettelnd und Pitchs kaltes Lachen drang an deine Ohren. Er genoss es in vollen Zügen, dich so ängstlich und verzweifelt zu sehen. Mit einer fahrigen Handbewegung erlosch das Leben im schwarzen Sand und dein Körper war wieder befreit. Schluchzend rolltest du dich wieder zu einer Kugel zusammen und versuchtest das Beben in deinen Muskeln unter Kontrolle zu bringen.

„Warum tust du das Pitch“, jammertest du deinen Kniescheiben entgegen. „Warum? Warum ich?“

Sein Gesicht nahm einen abschätzigen Ausdruck an, als er dich zu dir herunter beugte.

„Weil du eine der letzten bist, die an mich glaubt. Niemand kann mich mehr sehen – außer dir.“, flüsterte er deinem Haarschopf entgegen und erhob sich wieder. Lautlos verschwand er in den Schatten deines Verstandes und ließ dich weinend zurück.

„Du bist nur eine Illusion!“, schriest du ihm nach. „Du bist nicht real, das macht alles mein Kopf!“

Pitchs diabolisches Lachen kam aus der Dunkelheit und umwaberte dich wie kalter Nebel.

„Red dir das nur ein! Aber ich verspreche dir, ich werde wiederkommen...“ Seine Stimme war wie ein Dolch in deinem Herzen. Er würde wiederkommen... Einerseits brachte dir das ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, andererseits war er der erste, der in deine Dunkelwelt vorgedrungen war. Niemand hatte dich hier je erreichen können und er schien diese Fähigkeit zu besitzen.

Ja, dachtest du unter Tränen. „Bitte Pitch, komm mich besuchen in meinen dunkelsten Stunden.“

..and a shadow is cast on devotion...

Bei deinen nächsten Besuchen in der Dunkelwelt war er nicht da, um dich zu quälen. Nicht einmal seine Stimme drang bis zu dir durch, auch wenn du dir sicher warst sein Flüstern hören zu können. Aber dafür stecktest du viel zu tief drin, du warst gefangen und konntest weder hinaus noch ein anderer konnte hinein. Das Gefühl der absoluten Einsamkeit hielt dich in seinem Bann und in diesem Moment wünschtest du dir, dass Pitch wenigstens seinen schwarzen Sand schickte, um dir Angst einzujagen. Doch nicht ein Sandkorn fand seinen Weg zu dir, nichts.Die Tage und Wechsel zwischen Realität und Dunkelwelt zogen an dir vorbei, alles verwischte vollkommen ineinander. Die Grenzen waren gebrochen und das konnte nicht rückgängig gemacht werden. Deine Krankheit fraß dich bei lebendigem Leibe.

So begannst du, dir immer wieder Pitchs Stimme in Gedanken zu rufen. Einfach nur, weil sie nicht von dir selbst war. Er war eine willkommene Abwechslung zum Schmerz in dir, so einfach war das. Doch je öfter du dich an seine Stimme zu erinnern versuchtest, desto mehr schwand sie aus deinem Gedächtnis. Schon nach wenigen Tagen konntest du dich fast garnicht mehr an sie erinnern und das stimmte dich unglaublich traurig. Verzweifelt versuchtest du, dich von dieser Enttäuschung zu distanzieren, aber das war ein Ding der Unmöglichkeit. Diese kurze Erfahrung mit dem Meister der Albträume hatte dir etwas gezeigt – etwas das du schon vor langer Zeit aufgegeben hattest: Deine Gefühle nicht mit aller Kraft zu unterdrücken, sondern sie einfach geschehen zu lassen. Der kurze Schock, den er dir mit seinem schwarzen Sand zu erleben gegeben hatte, weckte dich aus einer Art Trance. Du wolltest fühlen, spüren, lachen und weinen! Jede Facette der menschlichen Emotionen war immer ein Rätsel für dich gewesen, doch endlich hattest du wieder Blut geleckt – und du wolltest mehr!

Natürlich war Angst immer für dich da gewesen, du wolltest sie nicht missen. Angst war solch ein starkes Gefühl, kompromisslos und nicht aufzuhalten. Es war so unglaublich kraftvoll und niemand konnte behaupten dass er keine Angst hätte. Innerlich entschiedst du dich für das Dunkle, das Unbekannte – Angst sollte dein Leitfaden sein. Angst war wundervoll, die Angst war ein immenser Teil von dir!

„Natürlich ist sie das.“ Erschrocken fuhrst du zusammen, als Pitch Black aus dem Schatten deines Zimmers hervor trat. Konnte er Gedanken lesen?

„Deine schon.“ Du schlucktest und sankst zu einem kleinen Häufchen Elend zusammen. Er sah auf dich herab, hoch gewachsen und mit einer Aura von Respekt.

„Dummes Mädchen.“, seufzte er. „Dir ist bewusst dass ich nur deiner Fantasie entspringe?“

Du schütteltest den Kopf. Natürlich, deinem Verstand war wirklich alles zuzutrauen, aber er wirkte so... echt.

„Natürlich wirke ich echt!“, rief Pitch und verdrehte genervt die Augen. „Sonst hätte das ja gar keinen Sinn dass ich hier bin! Weißt du überhaupt irgendetwas über deinen eigenen Verstand?“

„Ist ja gut.“, knurrtest du, inzwischen etwas genervt. Toll, jetzt fantasiertest du dir auch noch den Schwarzen Mann in dein Zimmer, um nicht so einsam zu sein. Wo sollte das denn noch hinführen?

Mit einem Ächzen des Bettes ließ sich Pitch neben dir auf die Matratze nieder und hielt sich in Schweigen. Er faltete die Hände und wartete, dass du etwas tatest.

„Also... Wenn ich dich mir nur einbilde... Kann ich dich dann tun lassen was ich will?“, fragtest du kleinlaut und er zuckte schwerfällig mit den Schultern.

„Das musst du ganz allein herausfinden. Ich bin nur ein Hirngespinst, also was hab ich schon dazu zu sagen?“, antwortete er gelangweilt und begann etwas schwarzen Sand über seiner Handinnenfläche kreisen zu lassen.

Diese Situation war wirklich seltsam. Du saßt zusammen mit einer Halluzination auf deinem Bett und unterhieltest dich mit ihm, als wäre das etwas recht alltägliches. Andererseits warst du nun nicht allein und das konnte dir nur recht sein. Er konnte dir Gesellschaft sein, bis der echte Pitch Black dich irgendwann wieder in deinen Träumen oder in der Dunkelwelt besuchen würde.

Außerdem: Dagegen tun konntest du so oder so nichts.
 

Nach zwei weiteren Wochen hatte der echte Pitch sich immer noch nicht sehen lassen. Du musstest dich mit seinem von dir geschaffenem Abbild zufrieden geben. Er war vorlaut, kommentierte oft auf sarkastische Weise deine Taten und nichts schien ihm zu entgehen. Am meisten störte es dich wenn du unter der Dusche standest. Er stand da, an der Wand gelehnt und musterte dich jedes mal. Seltsamerweise wurde er nie nass, selbst wenn er mitten im Wasserstrahl stand. Aber wie denn auch, immerhin war er nicht echt. Er besaß keinen Körper, wie sollte er denn da nass werden?

„Guck weg!“, zischtest du, als er an einem langweiligen Montag wieder neben dir in der Dusche stand, die Augen auf deinen nackten Körper gerichtet. Das tat er jedes mal, aber daran gewöhnen konntest du dich nicht.

„Wieso, immerhin bin ich doch nur eine Halluzination.“, erwiderte er süffisant und verschränkte die Arme vor der Brust. Er schien in höchstem Maße amüsiert, so wie seine Augen schelmisch funkelten.

„Du nervst, verschwinde!“ Keine Chance, er würde nicht verschwinden – er verschwand nie. Das Essen war eine Tortur, wenn er jeden Bissen kommentierte und von deinen Toilettengängen war garnicht erst zu sprechen. Nachts lag er neben dir im Bett und starrte an die Decke, wartend dass du wieder erwachtest. Zugegeben, das war schon irgendwie niedlich, deine Halluzination wartete brav bist du wieder wach wurdest. Oder vielleicht verschwand er ja während du schliefst? Du würdest es wohl nie erfahren.

Selbst in deine Dunkelwelt folgte er dir, saß neben dir wenn deine Seele wieder zu leiden hatte, geplagt von Einsamkeit und Trauer. Wenn es besonders schlimm war strich er dir besänftigend über den Rücken. Manchmal half es, manchmal auch nicht.

Aber so wie dein Wesen sehr wechselhaft war, war er es auch. Der falsche Pitch konnte innerhalb von Sekunden aus der Haut fahren, dich beschimpfen und im nächsten Moment wieder sanft wie eine schnurrende Katze mit dir auf dem Bett sitzen und dir die Haarsträhnen aus dem Gesicht streichen. Er hatte dir eines Abends ins Ohr geflüstert dass er deine Haare mochte und das hatte dir einen Anfall von Gänsehaut eingebracht. Er konnte so liebevoll sein, wusste seinen Charme voll einzusetzen und noch schlimmer – du gingst darauf ein. Oft musstest du dir selbst sagen dass er nicht real war, dass er dich nicht mochte und es auch nie so sein würde. Aber dein dämliches Herz hatte seine Entscheidung schon lange getroffen und du hattest großen Gefallen am falschen Pitch gefunden. Sein Hang zum Sarkasmus, die gelegentlich schroffe Art und unter der harten Schale war er so liebevoll!

Du verfluchtest dich selbst und drücktest dein nach Weichspüler duftendes Kissen auf dein Gesicht. Pitch saß wie immer neben dir, beobachtete eine Amsel vor dem Fenster und schien begeistert vom schwarzen Gefieder des Tieres. Du hattest eine Vorstellung im Kopf laufen, deine eigene Fantasie brannte wieder einmal völlig mit dir durch. Bilder zeigten sich dir, wie du Pitch küsstest, er nach deiner Hand griff und dir Liebeserklärungen ins Ohr flüsterte. Dein Herz fühlte sich an als wäre es mit Helium gefüllt und würde gleich abheben! Du hattest schon einige Male versucht per Gedanken deinen eingebildeten Begleiter zu unsinnigem Zeug zu zwingen, als Test ob du ihn wirklich kontrollieren konntest, doch das hatte nicht geklappt. Wie solltest du denn deine Halluzinationen kontrollieren wenn du nicht einmal dich selbst im Griff hattest?

„Pitch?“, fragtest du zögerlich und lugtest unter deinem Kissen hervor. Er wandte seine Augen zu dir und las wieder mal deine Gedanken. Er lachte kurz auf und schüttelte den Kopf.

„Nein.“, war die Antwort auf deine Stumme Frage und du zogst enttäuscht einen Schmollmund. Gut, keinen Kuss für dich. War ja zu erwarten gewesen, aber immerhin warst du so mutig und hattest einen Versuch gestartet.

Mit einem lauten Gähnen risst du den Mund auf und drücktest dein Kissen noch enger an dich. Es war schon spät – Zwei Uhr nachts um genau zu sein – und deine Augen wollten einfach nicht offen bleiben. Es war ein inneres hin- und her in dir, wenn es Zeit zum Schlafen war. Schlafen bedeutete für dich Dunkelwelt, Albträume und ein ungutes Gefühl beim Aufwachen. Andererseits hattest du wieder die Chance den echten Pitch zu treffen, nicht seinen Abklatsch, der gerade aufstand um den Vogel von näherem zu betrachten. Ehe du dich versahst warst du von deiner Müdigkeit überrannt worden und fandest dich in der Dunkelwelt wieder.
 

Schwarze Schatten drängten sich um dich und neben dir saß der falsche Pitch, wie jede Nacht. Er schien völlig entspannt und das zu recht; es war ja nicht sein Leiden welches ihn jede Nacht quälte und seine Seele auseinander riss. So saß er da, die Finger in deinen Haaren und mit dem amüsierten Glitzern in den sonst so kalten Augen. Hin- und wieder genoss er es regelrecht, dich so leiden zu sehen. Aber das war höchstwahrscheinlich dein eigener Masochismus. Immerhin war er inzwischen eine deiner wechselnden Persönlichkeiten geworden. Er kommentierte wie die anderen Stimmen auch, gab zu allem seinen Senf dazu und behinderte dich im Alltag. Hättest du diese Stimmen nicht, wärst du ganz normal und gesund. Aber leider waren sie da. Immer.

„Immer noch wahnsinnig, hm?“ Pitchs Stimme ließ dich aufsehen von deinen angezogenen Knien und du runzeltest die Stirn. Vor dir standen nun zwei in schwarz gekleidete Männer, die sich gegenseitig mit leichtem Erstaunen musterten.

„Hast du mich so sehr vermisst?“, fragte der Linke gehässig und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Mit einem Keuchen fielen dir die kleine, feinen Unterschiede auf. Der falsche Pitch war ein Stück kleiner, die Augen viel goldener als beim Linken und seine Haut einen Hauch zu hell.

Dort stand er, der Linke und sah seine Kopie mit leichter Neugierde an. Der echte Pitch war hier, in deiner Welt und schien sich köstlich über deine Halluzination zu amüsieren.

She is the one that I adore...

„Warst du wirklich so verzweifelt? Dass du einen billigen Abklatsch von mir geschaffen hast?“, fragte der echte Pitch und umrundete deine Halluzination mit einem schiefen Lächeln. „Bei den Feinheiten scheinst du dir ja nicht sehr viel Mühe gegeben haben.“ Sein spöttischer Blick traf deine Augen und du errötetest leicht. Was konntest du denn bitte dafür, dein Kopf hatte das ohne dein Zutun fabriziert!

„Was willst du hier?“, fragtest du leise und erhobst dich vom Boden deiner eigenen, düsteren Welt. „Du hast mich wochenlang nicht besucht.“

Seine Augen verengten sich ein wenig, doch das Lächeln verschwand nicht aus seinem Gesicht. Pitch stoppte seinen Gang und zog aus dem Schatten hinter ihm seine Sense aus schwarzen Sand.

„Aber Albträume hattest du trotzdem, nicht wahr?“ Er hob die Sense an und ging einen Schritt auf dich zu. „Aber jetzt wollen wir dafür sorgen dass es keinerlei Verwechslungen mehr gibt.“ Die Waffe traf auf den falschen Pitch und zerschnitt ihn unterhalb des Herzens. Lautlos zerrieselte er zu schwarzen Sand, der sich in einer plötzlich aufkommenden Brise verlor.

„Nein!“, hauchtest du und strecktest die Hand aus – aber schon war dein attraktives Fantasiegebilde fort und würde sicher nie wieder kommen. Deine Gesellschaft der letzten Wochen war einfach weg, vom Wind dahin getragen.

„Warum hast du das getan?!“, fauchtest du Pitch an, der nur amüsiert lachte. Die Sense zerbarst zu eine Wolke aus feinstem Albtraumsand und sank zu Boden. Mit den Zehen wischtest du etwas davon zur Seite, traurig. Du mochtest deinen Pitch, der der deinem Kopf entsprungen war und dich liebevoll behandelt hatte. Aber das war zu ende, jetzt hattest du nur noch den Pitch der hier vor dir stand und sich von deinem Leid nährte.

„Was erwartest du von mir?“, fragte er mit ruhiger, doch rauer Stimme und streckte die Hand zu dir aus. Er wusste ganz genau dass du sie nicht ergreifen würdest, doch war es eine Geste der Überlegenheit für ihn. Du starrtest ihn an, verstandest kaum die Frage.

„Ich mag dich.“, begannst du und verschränktest fröstelnd die Arme vor der Brust. „Du bringst den Menschen Angst, du lebst von Angst – du bist die Angst.“

Er zog die Hand zurück, etwas irritiert.

„Mich mögen? Du musst verwirrter sein als ich dachte.“ Sein Blick wich deinem aus, ihm schien diese Art Gespräch unangenehm zu sein, denn so konnte er nicht dominieren. „Red dir nichts ein, du weißt nur nicht wie du mit deinen Gefühlen umzugehen hast. Du hast nur Angst.“

„Ja, das habe ich.“, erwidertest du und gingst einen Schritt auf ihn zu, was er misstrauisch beobachtete. „Und das ist gut so! Ich hatte mein ganzes Leben lang Angst. Angst ist die einzige Konstante in meinem spärlichen Leben. Dieses Gefühl ist das, was mir Sicherheit gibt – weil es immer da war!“

Er starrte dich an, wortlos. Ihm war anzusehen dass er mit so etwas nicht gerechnet hatte als er hierher gekommen war. Es war dir klar, dass er mit Zuneigung nicht umzugehen wusste, woher denn auch? Er war sein langes Leben unsichtbar gewesen oder gemieden. Wer mochte schon den Schwarzen Mann, der nichts als Angst und Albträume über die Welt brachte. Ein Stich im Herzen ließ dich kurz seufzen. Es war schon fast traurig, dass er so einsam war. Kaum jemand kannte dieses Gefühl so gut wie du! Diese innere Leere, die durch nichts gefüllt werden konnte und sich Tag für Tag mehr in dich hinein fraß. Er lebte auch so und das hatte nicht einmal der Boogeyman verdient.

„Und was willst du mir damit sagen? Dass du gern Angst hast?“, fragte er, mit einer stillen Drohung in der Stimme. Sein Tonfall war kalt und herablassend, doch auch leicht brüchig – er war verunsichert.

Noch einen Schritt machtest du auf ihn zu. Er blieb zwar an Ort und Stelle, doch du konntest eine kurze Muskelbewegung bei ihm beobachten. Er spannte sich an, machte sich ein Stück größer und dir wurde klar dass du soeben den dominierenden Part dieser Unterhaltung eingenommen hattest.

„Versteh mich nicht falsch“, du begannst nun ihn zu umrunden. „Kein Mensch hat gern Angst. Nun, ich bin da vielleicht etwas anders. Ich liebe meine Angst, weil sie der einzige Freund ist den ich je hatte.“

Pitch trat endlich einen Schritt zurück, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Wut war in seinen Augen zu lesen, auch wenn du nicht verstandest warum. War es denn so schlimm für ihn, von einem Menschen gemocht zu werden? Er schien absolut nicht zu verstehen dass er die einzige Gesellschaft war die du hattest. Sicherlich, die Pfleger waren nett zu dir und ihr unterhieltet euch manchmal, aber Freunde zu haben war etwas ganz anderes! Freunde hatten mit dir Spaß, mochten dich für deine guten und schlechten Eigenschaften. Und sie wechselten nicht deine Bettbezüge oder begleiteten dich zum Bad wenn du duschen wolltest.

„Mag ja sein dass du dich mit deiner Angst arrangieren kannst... Aber warum solltest du mich mögen?“; fragte Pitch misstrauisch. Innerlich musstest du lächeln, er verstand es also wirklich nicht.

„Weil du Angst zu mir bringst. Und weil du genauso einsam bist wie ich.“ Den letzten Satz hattest du eigentlich garnicht sagen wollen, doch er war dir so heraus gerutscht. Das schien dem König der Albträume nicht zu gefallen, er verzog das Gesicht in Wut und drehte dir den Rücken zu.

„Tu was du willst, dummes Mädchen.“, knurrte er. „Aber erwarte nicht dass ich auf deine kindischen Spielchen anspringe!“ Mit einem weiteren Schritt war er in der Dunkelheit deiner Welt verschwunden und du standest allein da. Augenblicklich setzten die Stimmen deiner Selbst wieder ein und flüsterten auf dich ein. Erst jetzt fiel dir auf dass du kein Wort von ihnen gehört hattest, als du dich mit Pitch unterhieltest. Doch nachdem er verschwunden war, fielen sie wieder über dich her, mit ihrem Kreischen und Schimpfen. Ein dumpfer Schmerz kroch in deinen Magen, doch du versuchtest ihn zu ignorieren.

Enttäuschung überrannte dich mit einer Plötzlichkeit, dass du aufstöhntest. Dein Verhalten war ziemlich frech, wenn du genau drüber nachdachtest mit wem du dich da eben angelegt hattest. Jetzt würde er sicher nicht wieder kommen, nachdem du dir so viel heraus genommen hattest...
 

Und tatsächlich, Monatelang träumtest du nichts. Keine Albträume, warst wieder vollkommen allein nur mit dir und deinen Stimmen. Hättest du nicht die Kinder auf der Station zum Ablenken gehabt, wärst du sicher wahnsinnig geworden, davon warst du überzeugt. Die Kinder hielten dich oft auf Trab, aber in den letzten Wochen hatten sie sich verändert. Sie schlichen durch die Gänge der Einrichtung, mit eingezogenen Köpfen und schreckten bei jedem lauteren Geräusch auf. Du entschlosst dich, Nachts heimlich aus deinem Zimmer zu schleichen und nach Camille zu sehen, wenn sie schlief. Das süße Mädchen mit den Zwangsstörungen war dir ans Herz gewachsen, wie sie jeden Abend von dir verlangte, dass du ihr Geschichten erzähltest, sei es vom Osterhasen oder der Zahnfee. Alle Kinder glaubten fest an all die Gestalten aus Märchen und so warst du nicht davon verschont geblieben.

War es denn wirklich so abwegig, dass Der Weihnachtsmann und der Sandmann existierten? Nein, und darum fandest du nach und nach deinen Glauben an die Festtage wieder.

Ehe du dich versahst war es Frühling geworden, Krokusse und Narzissen steckten ihre Köpfe aus dem Boden und begrüßten dich bei jedem Morgenspaziergang mit ihren schönen Farben. Die Vögel waren zurück ins Land gezogen, brachten ihre Lieder mit sich und zum ersten Mal seit langem fühltest du dich etwas weniger schlecht.
 

„Keine Eier... Nirgendwo...“, flüsterte Camille mit Tränen in den Augen. Möglichst beruhigend strichst du zart über ihr Haar, doch das schien sie nicht im geringsten aufzuheitern. Keine Eier, das war in der Tat sehr seltsam. Dir war klar, dass die Pfleger immer ein paar Eier versteckt hatten, aber der Großteil der farbenfrohen Beute war jeden Ostersonntag auf eine magische und unerklärliche Weise im Garten versteckt worden. Zur Freude der Kinder, die laut jubelnd und quietschend durch den Klinikgarten jagten, die geflochtenen Körbchen in den Händen und – das war am wichtigsten- sie konnten sich endlich einmal normal fühlen. Nicht wie Sonderlinge, wie Patienten oder Ausgestoßene. Zu Ostern war es hier auf der Station fröhlich, die Pflegerinnen bastelten Fensterschmuck mit den Kleinsten und es gab leckere hartgekochte Eier.

Doch dieses Jahr war es anders. Wie traurige, kleine Geister schlichen die Kinder durch die Flure, keinen Funken Freude oder Hoffnung in ihren Augen. Vielen ging es sogar noch schlechter, die Pfleger hatten schon begonnen jeden Abend Beruhigungsmittel auszugeben, wegen der Albträume.

Keiner konnte wissen wer dafür verantwortlich war, du hingegen hattest einen starken Verdacht. Und so sehr dich deine Stimmen auch nervten, saßt du auf deinem Bett, die Beine übereinander gekreuzt und konzentriertest dich darauf zu denken.

Was mit dem Osterhasen los war, konntest du dir zwar nicht erklären, aber die allnächtlichen Albträume konnten nur von einem kommen! Jeremy, ein kleiner Junge mit Hornbrille aus 12D, hatte dir mit großen Augen verraten, dass er Nachts ein kaltes und hohes Lachen gehört hatte. Aber keiner der Pfleger hatte ihm glauben wollen, da hatte der arme noch mehr Schlafmitte in Tropfenform bekommen. Aber dass er ein Lachen gehört hatte, unter seinem Bett! Das bestätigte dich nur noch in deinem Verdacht und dir wurde klar, dass Pitch Schuld sein musste. Du wusstest nicht genau warum, doch sicherlich hatte er auch etwas mit diesem spärlichen Ostern zu tun. Diese Vermutung war nur ein Gefühl in deinem Bauch, aber dein Gefühl hatte dich selten betrogen!

Aber wie kamst du nur zu ihm? Wie kam man an den König der Albträume heran? Und wo lebte er?

So viele Fragen... Und Antworten hattest du keine einzige.

Frustriert fiel dein Kopf auf dein Kissen, die Haare wild zerwühlt und du hattest einen so plötzlichen Müdigkeitsanfall, du hättest schlafen können wir Dornröschen. Es war mehr ein Dösen als Schafen, doch dein Gehirn begann von ganz allein zu arbeiten: Die Stimmen in dir wurden leiser, immer leiser und verstummten. Ein Bild brannte sich in dich ein, wie eine nach langer Zeit wiedergefundene Erinnerung. Ein Wald, kahl und mit Tannen bevölkert. Umrisse von einem Holzgebilde, im sanften Mondschein. War das …? Ja, das war ein Bett! Zerbrochenes Lattenrost, und direkt darunter... Ein Loch!

Du schrecktest hoch, die Stimmen setzten wieder mit ihrem zarten Geflüster ein und du wusstest wo du hin musstest. Du kanntest diesen Wald! Diesen Wald hattest du wirklich schon einmal gesehen! Und auch die Lichtung, wo dieses alte Bett stehen müsste. Der Entschluss brauchte gar keine lange Überlegung, du griffst nach deinem Rucksack unter dem Bett und warfst die nötigsten Dinge hinein. Du würdest aus dieser Anstalt ausbrechen, noch heute Nacht!



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  LuziferAngel
2013-05-09T10:19:44+00:00 09.05.2013 12:19
Hej hab es gelesen und finde es echt klasse.^^
Ich gebe zu wenn Pitch darin vorkommt und es auch um ihn geht find ich alles klasse.
Jedenfahls bitte mach mehr.

GLG gaasakura =^w^=
Von:  Lunitari
2013-03-15T15:22:07+00:00 15.03.2013 16:22
*A*
Mehr davon!
Bitte!
Von:  LuziferAngel
2013-02-10T21:57:49+00:00 10.02.2013 22:57
Ich bin begeistert! Pitch Black ist einer meiner Liebinge.^^ Bitte mach so Schnell wie möglich weiter. ^w^
Von: abgemeldet
2013-01-16T10:26:46+00:00 16.01.2013 11:26
Oooh das gefällt mir. Ich finde es toll, wie du manche Sachen beschreibst. Man kann sich alles super gut vorstellen. Bitte schreib bald weiter! Pitch ist aber auch cool :)


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