An der Kreuzung links von Corab ================================================================================ Kapitel 1: Initium ------------------ 03:00 Ortszeit, Tokyo, Bezirk Shinagawa Eine ungewöhnlich kühle Nachtluft umschmeichelte die Gestalt, die auf dem Dach des Wolkenkratzers stand, was ein Grinsen auf ihr Gesicht meißelte. Um diese Zeit war die Luft kalt und klar, unberührt von dem Smog des Großstadtverkehrs, der sie tagsüber verpestete. Das perfekte Jagdwetter. Sie lächelte und warf einen weiteren Blick auf ihre teure Digitaluhr. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln – wenn sie sich nicht verschätzt hatte oder er erwischt worden war. Aus der Innentasche ihres Mantels kramte die Gestalt eine Packung Zigaretten hervor. Was dachte sie da bloß? Mit einem Lächeln nahm sie eine der weißen Stangen heraus, steckte den Mund und ließ sie entflammen. Er wurde nie erwischt. Sie ließ ihren Blick schweifen und entdeckte den weißen Schleier schließlich erwartungsgemäß am Horizont. Da bist du ja. Auch, wenn sie es auf die Distanz nicht erkennen konnte, so war sie sich doch sicher, dass niemand ihm folgte. Seit seiner Tat waren 30 Minuten vergangen, mehr als genug für jemanden seines Formats, jegliche Verfolger abzuschütteln. Zeit, dass er auf sie aufmerksam wurde. Die Gestalt griff in ihre Handtasche und zog einen Feuerwerkskörper hervor, den sie behutsam auf dem grauen Beton abstellte. 10, 9... Ihre Hände zitterten – wurde sie in den letzten Augenblicken etwa doch nervös? Ihr Magen fühlte sich leicht flau an. Für einen kurzen Moment erwog sie, die ganze Sache abzublasen, doch das konnte sie nicht tun. Ihr Stolz und ihre Entschlossenheit hatten sie zu dem gemacht, was sie jetzt war, hatten ihr stets den rechten Weg gewiesen. Sie konnte diese Dinge jetzt nicht einfach aufgeben. Sie musste erreichen, was sie erreichen wollte. Niederlagen waren inakzeptabel. ...8, 7... Ein tiefer Zug an ihrer Zigarette half zwar, sie zu beruhigen, doch immer noch waren ihre Hände nicht ruhig. Wie eine berauschende Droge jagte das Adrenalin durch ihren Körper, ließ ihre Fingerspitzen kribbeln. Ihre Gefühle waren verwirrend. Einerseits verspürte sie erregendes Glück, andererseits hatte sie das Gefühl, sich jeden Moment vor Aufregung übergeben zu müssen. ...6, 5... Plante sie wirklich das Erpressen eines der größten Meisterdiebe in der Menschheitsgeschichte? Oh ja, das tat sie, und es fühlte sich gut an. Wunderbar. Sie begann, sich wieder auf das Ziel zu fokussieren, schließlich war ihr Zeitplan eng gestrickt. Leise vor sich hin kichernd kramte sie erneut ihr Feuerzeug hervor und entzündete die Lunte des Feuerwerkskörpers, die vergnügt spratzelte und damit an ihren Gemütszustand erinnerte. ...4, 3... Die Lunte war bereits zur Hälfte herunter gebrannt. Zeit für ein letztes Stoßgebet. Möge alles gut gehen. Kaum hatte sie den Gedanken vollendet, begab die Gestalt sich in sichere Entfernung und schloss die Augen. ...2, 1... Wie ein Raubtier fraß sich die Flamme gierig an der Lunte entlang, bis sie diese schließlich vollends verzehrt hatte. Für einen kurzen Moment geschah nichts... ...0. ...dann brach der Sturm los. Binnen weniger Sekundenbruchteile explodierte der Feuerwerkskörper in ein rotes Lichtermeer, sprühte Funken in alle Richtungen und verwandelte sich in einen riesigen Feuerball. Der weiße Schleier am Horizont, der dem Hochhausdach mittlerweile um Einiges näher gekommen war, konnte nicht umhin, das Spiel der Flammen zu bemerken. Ein Magier wird von dem Spektakel angezogen, das ist fast ein Naturgesetz. Nicht wahr, Kaito Kid? Tatsächlich wendete der weiße Gleiter sofort und steuerte jetzt den Wolkenkratzer an. Alles lief nach Plan. 19:00 Uhr Ortszeit, Paris, Quartier Latin „Warum sind wir noch einmal hier, Vermouth?“ „Um eine der einflussreichsten Diplomatinnen Frankreichs auszuschalten.“ Die platinblonde Frau sah den grimmigen Mann neben ihr lächelnd an. „Und um etwas Spaß zu haben, natürlich.“ Gin ignorierte ihr spitzbübisches Lächeln und ließ seinen Blick missmutig über den place de la Sorbonne schweifen. Gerade waren nicht viele Menschen anwesend, was ihm eigentlich gelegen kam. Einerseits riet ihm sein geschäftlicher Instinkt, Orte mit vielen Menschen zu meiden, andererseits war seine Stimmung schlichtweg nicht die beste. Obgleich eiskalt, war der Killer trotz allem ein Gewohnheitstier und hatte sich anders als die viel reisende Schauspielerin noch nicht ganz von dem Jetlag erholt, der seine schlechte Laune zu verantworten hatte. „Das ist mir schon klar. Aber seit wann nehmen wir bitte Aufträge fremder Organisationen an?“ Vermouth schüttelte theatralisch den Kopf „Seit fremde Organisationen uns im Gegenzug Drogen verkaufen. Und dieses Geschäft ist extrem lukrativ. Du müsstest dann keine lächerlichen Bankraube mehr organisieren. Das Geld würde uns praktisch von alleine in die Taschen fließen.“ Der Killer gab ein abwertendes Zischen von sich. Auch, wenn er Befehle üblicherweise nicht hinterfragte, gefiel ihm die Idee nicht. „Drogen. Nicht gerade stilvoll, oder?“ Stil und Klasse waren ihm schon immer wichtig gewesen. Nur deshalb fuhr einen ebenso teuren wie alten Porsche. Nur deshalb trug er stets feine, schwarze Mäntel. Nur deshalb trug er seine Haare so lang. Dies alles war ein Gebot seiner Macht. Denn wenn die Mächtigen verkamen, was würde dann erst der Pöbel tun? „Ich bin auch nicht gerade begeistert“, Vermouth lächelte matt. „Aber wir sollten Anokatas Ordern einfach akzeptieren.“ Gin spie seine Zigarette auf den gepflasterten Boden und zertrat sie, sodass rote Glut austrat. „Sicher. Trotz allem ist es sinnlos, nach Paris zu fliegen, wenn sich Charlize Beaumont gerade mit anderen Botschaftern in Japan trifft.“ „Du weißt genau so gut wie ich, dass unser Boss nicht möchte, dass das Verbrechen mit einer japanischen Organisation verbunden wird. Wenn die Sache hier in Frankreich passiert, ermitteln sie gar nicht erst gegen uns.“ Hinter dieser Aussage steckten Implikationen, die dem Organisationsmitglied nicht gefielen. „Als wenn ich bisher eine schlechte Arbeit darin geleistet hätte, Spuren zu uns zu verwischen.“ „Sieh unsere Anwesenheit hier doch einfach positiv,“ Sie schenkte ihm ihr verschwörerischstes Lächeln. „Du bist weit weg von deiner Frau. Kannst dich hier nach alternativen Beschäftigungen umsehen.“ Sie kam ihm etwas näher. „Was hältst du von Martini?“ Zum ersten Mal gönnte auch er sich ein gehässiges Lächeln. „Ach, Vermouth, das hatten wir doch alles schon. Und bereits beim letzten Mal war ich eher geschüttelt als gerührt.“ „Schade,“ Ihr Gesicht zeigte zu keiner Zeit Enttäuschung, entweder, weil sie außergewöhnlich gut schauspielerte, oder, was wahrscheinlicher war, sie einfach nur mit ihm zu spielen gedachte. „regt sich denn bei dieser herrlich roten Abendsonne gar nichts Romantisches in dir?“ „Blutrot ist schöner.“ „Na ja, auch davon werden wir wohl etwas sehen, sobald Beaumont erst wieder in Frankreich ist.“ 03:05 Ortszeit, Tokyo, Bezirk Shinagawa Kaito Kid hatte sofort auf das Feuerwerk reagiert. Zwar war er ein Verbrecher, doch das Flammenspektakel, das auf die Entfernung wie ein Gebäudebrand ausgesehen hatte, war doch in der Lage gewesen, ethische Grundsätze in ihm wachzurufen. Mittlerweile war ihm zwar klargeworden, dass keinerlei unmittelbare Gefahr bestand, doch die Gestalt auf dem Dach hatte sein Interesse geweckt, wie maskierte Menschen es um drei Uhr morgens auf Häuserdächern üblicherweise taten. Seine Verfolger waren ohnehin abgehängt, sodass eine kurze Pause riskiert werden konnte. Ohne größere Mühe ließ er seinen Flugdrachen auf dem Beton niederkommen. „Willkommen, Kaito Kid.“ Der junge Mann stutzte etwas. Zwar sprach die Frauenstimme einwandfreies Japanisch, doch ihr haftete ein Akzent an, der ihm vage bekannt vorkam, sich aber nicht recht zuordnen ließ. „Hallo, Wer-auch-immer-Sie-sind.“ „Oh, ich?“, säuselte sie, was hörbar war, obwohl die Maske vor ihrem Mund den Ton dämpfte. „Ich bin nur eine glühende Verehrerin, man könnte sagen, begeisterte Fanatikerin deiner Kunst.“ Er wollte antworten, entdeckte dann jedoch, was sie in ihrer rechten Hand hielt. Für einen kurzen Moment kam sein überraschtes Gesicht durch, dann verbarg er es mit der Professionalität eines Magiers hinter einem Lächeln und geschlossenen Augen. Langsam nahm der Dieb ein paar Schritt nach hinten, um wieder an der Kante des Daches zu stehen. Er würde einen ebenso schnellen wie überraschenden Start brauchen. „Normalerweise pflegen meine Fans aber nicht, ihr Gesicht zu maskieren.“ Sie zeigte auf ihre Stoffmaske. „Oh, das?“ Immer noch dieser säuselnde Tonfall. „Das ist wegen - “ „Dem, was Sie in der rechten Hand halten?“ „In der Tat,“ Er konnte ihr Grinsen förmlich hören. „deswegen.“ Sie hob ihre rechte Hand, während Kid die Augen wieder öffnete. Der Lauf der silbernen Waffe war jetzt genau auf Kid gerichtet. „Behandelt man so sein Idol?“ Der Dieb gab sich alle Mühe, seine Nervosität zu verbergen. Ein Schweißtropfen perlte von seiner Stirn neben seinem Auge entlang. Er musste blinzeln. Seine Anspannung war gerechtfertigt. Auch nach einem Sturz vom Hochhausdach wäre die Frau immer noch in der Lage, ihn zu treffen, bevor er außer Reichweite war. Und seine Blendgranaten und Rauchbomben hatte er in seinem Scharmützel mit der Polizei aufgebraucht. Immer dein Pokerface bewahren, Kaito, gemahnte sein Vater in seinem Kopf. „Keine Sorge,“ Die Frau lachte auf und entsicherte die Waffe. „Das ist nur - “Sie drückte ab, doch riss die Automatikwaffe im letzten Moment zur Seite. Der Schuss hallte wie ein einsamer Schrei in der Straßenschlucht wider. „ein Scherz.“ Kaito atmete aus, doch gab sich die Mühe der Mäßigung. Auch seine Erleichterung durfte als Teil seines Pokerfaces nicht gezeigt werden, ebenso wenig wie seine Anspannung. „Witzig.“, kommentierte er daher bloß. „Ach, nicht eingeschnappt sein.“ Glucksend ließ die Frau die wieder gesicherte Waffe fallen. „Das war eh bloß eine Platzpatrone.“ „Warum haben Sie die Waffe dann zur Seite gerissen?“ „Auch bei Platzpatronen können kleine Papierkügelchen entweichen, die tödlich sind.“ „Auf diese Entfernung?“ „Besser Vorsicht als Nachsicht, oder?“ Kid schüttelte ungläubig den Kopf. „Und für diesen schlechten Scherz brennen Sie hier so ein Feuerwerk ab?“ „Nicht nur deswegen.“ Ihr Tonfall war herausfordernd und spitzbübisch. „Ich möchte Ihnen auch einen Auftrag geben.“ „Auftrag? Sehe ich aus wie ein Detektiv?“ „Nein.“ Sie lachte. Wieder dieses Lachen. „Kriminalisten sind langweilig, Diebe sind Künstler.“ Ein wenig neugierig machte ihn das Angebot doch. „Also soll ich etwas stehlen?“ „Ja. Das wohl bekannteste Gemälde der Welt. Die Mona Lisa.“ „Bedaure, aber Gemälde interessieren mich nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich stehle nur Juwelen.“ „Wie außerordentlich schade. Aber nun ja, da kann man wohl nichts machen. Sollten Sie es sich anders überlegen, mein Name ist Charlize Beaumont. Kontaktieren Sie mich.“ „Ein schöner Name, aber das werde ich kaum tun.“ Kid lachte. „Bitte um Vergebung, Madame.“ Mit einem beherzten Sprung warf er sich vom Gehäusedach. „Sollte ein Polizeihelikopter vorbeikommen, sagen Sie einfach, ich wäre nach Osten geflogen.“, rief Kid ihr mit einem Lachen zu, während er gen Westen segelte. Das werde ich. Schließlich soll die Polizei dich nicht vor mir finden. Mit einem Grinsen warf Beaumont einen Blick auf den Peilsender. Alles läuft nach Plan. Wie außerordentlich amüsant. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)