Adler der Sonne von Maliondarin (OST # 005) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war fünf Stunden her, seit der Flieger sich donnernd in die Luft erhoben hatte. Eigentlich hätten die 66 Passagiere bereits vor einer Stunde das Flugzeug verlassen sollen, doch noch immer sitzen sie in ihrem nächtlichen Gefängniss. Majestätisch glitt der stählerne Vogel durch den schwarzen Himmel, während Sturmböen gegen seine Flanken schlugen und Eiskristalle sich an seinen Augen festbiss. Dem Pilot war es nahezu unmöglich, durch die vereisten Scheiben die Welt zu erkennen, eine Landung schien in diesem Moment unmöglich. Das Lachen der Stewardess schlängelte sich geqäult durch die Reihen der Passagiere. Ihre Stimme hatte Mühe, die weinenden Babys und unruhig nörgelnden Männer zu übertönen, ganz zu schweigen davon, dass Furien aus den Reihen heraus mit ihren giftigen Worten nach dem Rockzipfel der Begleiterin züngeltn. Ein leises Knacken folgte. Durch rauschenden Lärm und Knistern dröhnte die beruhigende Stimme des Kapitäns, die noch immer keine Ruhe in das vom Winter gefesselte Flugzeug bringen konnte. Ein monotoner Ton mischte sich unter die turbulente Gesellschaft und lud durch seine hohe Frequenz zum kollektiven Aufschrei ein. Der Pilot beendete seine Durchsage und mit dem Klang seiner Stimme verblasste auch aller anderer störender Lärm. Nun war es Zeit, wieder zu schreien, zu nörgeln und dem Sitznachbar vorzuwerfen, er habe höchst persönlich das Flugzeug verhext. Die Stewardess schob einen kleinen Servierwagen durch die Reihen und bot als Ausgleich für die verlorene Zeit einen Schokoriegel an. Hier und da willigten genervte Mütter seuftzend in das ungenügende Angebot ein, streckten die haselnussbraune Süßigkeit ihren Kindern entgegen, die es genüßlich in einer Sekunde herunter schlugen. Ein paar Augen schweifen über die groteske Szene. Ihre türkisblaue Farbe spiegelt das Getöse des Windes und auch das Preschen des Eissturms wirbelt Flöckchen über ihre Iris. Ein Kleinkind schien eine lebensbedrohliche Attacke auf seine Eltern für besonders lustig zu halten, denn sein glockenhelles Lachen war über den gesamten Gang zu hören, als seine Mutter fluchend zur Bordtoilette rannte, um seine Windeln zu wechseln. Ein lauter Knall ließ die Insassen aufhorchen, als eines der Triebwerke meinte, es könnte in das reine Lachen des Kindes einstimmen. Ein leises Surren erklang, als eine Böe das Flugzeug durcheinander wirbelte und der Motor unter dem Druck zu ächzen hatte. Hellrot prangt ein Paar Lippen in einem faltigen Krater über dem weißen Gesicht einer alten Frau. Langsam öffnen sie sich, ehe ein verzerrtes Lächeln auf ihnen zu sehen ist. Erneut war das Knacken und Knistern des Lautsprechers über jedem Kopf zu hören. Das Störgeräusch mischte sich unter die Passagiere und schlängelte sich lachend durch die Sitzreihen. Sein eiskalter Griff ließ die Seelen reihenweise erfrieren. Nicht einmal die wärmende Stimme des Piloten konnte die Verlorenen aus seinem Bann befreien. "Wir verlassen das Unwetter nun.", es war eher eine kleine Pause, die Ruhe vor dem Ende. Denn den Sturm hatten sie bereits um sich. Der Vogel breitete seufzend seine Schwingen über den nun nachtblauen Himmel aus und ein paar Sterne spiegelten sich in seinem metallischen Federkleid. Als der Blick der Insassen nach draußen zu entkommen versuchte, wurde er von einem Lichtspiel begrüßt, welches Seinesgleichen zu suchen schien. Hellblaue und violette Fäden zogen sich über das Himmelszelt und woben einen Teppich aus Frohsinn über die abstoßende Weite. Fast wie ein Weg aus Licht, welcher den verglühten Seelen einen Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit bieten könnte. Dunkelgraue Haare, verhüllt von einem bunten Tuch mit floralem Muster, zieren das kränkliche Gesicht. Die gebückte Gestalt thront über der versammelten Meute. Doch sogleich hatte die unbarmherzige Wahrheit das Flugzeug erneut ergriffen. Der Atem des Eisdrachen hüllte es ein und ließ dessen Herz schwerer werden. Ein Röcheln war zu hören, als es ruckelnd an Höhe verlor. Das Herz des Vogels schien mit einem Schlag zu altern und vermochte es kaum noch, den Körper in der Luft zu halten. Es begann ein lautstarker Kampf zwischen dem Adler und seinem frostigen Wiedersacher. Der Gegner schlug mit vereisten Krallen und spitzen, kristallenen Zähnen nach dem König der Lüfte, der sich mit dem Gewicht seines stählernen Panzer und den scharfen Augen zur Wehr setzte. Die Bucklige sah seufzend auf ihre Familie hinunter. Ihre Finger hielten einen kleinen Gegenstand, an dem sie bereits die gesamte Zeit herumgespielt hatte. War sie es, die den Eisdrachen befehligte? Mit einem letzten Aufschrei stürzte der Adler zu Boden, er hatte den Kampf verloren und mit ihm auch all jene, die auf seinen Sieg angewiesen waren. Alle Passagiere hatten ihren Sicherheitsgurt angelegt und die Atemmasken vor ihrem Mund, als könnten diese Kleinode ihrem Leben Schutz gewähren. Eine feurige Explosion erschütterte das Heck des Vogels, katapultierte den stählernen Friedhof ein Stück über das Himmelszelt und immer weiter dem Horizont entgegen. Die türkisblauen Augen verengen sich, ein Fluch verlässt die hellroten Lippen und es scheint, als könnten selbst die Falten der Frau in hasserfüllte Bewegung geraten. In einem letzten Kraftakt riss der Pilot das Steuer hoch und brachte das Flugzeug in eine waagerechte Position. Sein Leib war schweißgebadet und selbst die sonst lächelnde Stewardess klammerte sich panisch an einen kleinen Haltegriff. In einem blutigen Spektakel kroch die Sonne über den Horizont und tauchte ihren treu Ergebenen in goldenes Licht. Rubinrot säumte sie seine Flanken und wärmte den geschundenen Körper. Japsend und wimmernd schraubte er sich der Erlöserin entgegen, immer näher an die rettende Küste. Sie war seine Göttin, die dem Eisdrachen die Stirn bieten konnte. Ihre Liebe nährte ihn und vertrieb den Schrecken hinter ihm. An einer orange leuchtenden Küstenlinie gab der Adler seinen letzten Lebenszug hin, dunkle Rauchschwaden stiegen in den Himmel, vereinten sich mit seiner Göttin und zogen über das Firmament dahin. Das Frack wurde von 65 Personen verlassen. Sie alle hatten es überlebt und vor ihnen breitete sich saftiges Grün aus. Eine Palme wog sich im Atem des Windes und spendete ein wenig Schatten. Der tosende Kampf trug sich noch immer zu und ungeahnt verloren unzähle Vögel ihr Leben im Kampf mit dem Drachen. Die Sonne kam zu spät, der Winter hatte die Welt in seinem Griff tyrannisiert und gefoltert. Die letzten Reserven waren aufgebraucht und das Sonnenvolk hatte sich resignierend ergeben. Erst als der Frühling, als Bote der Göttin, seinen Weg durch das frostige Reich kämpfend eroberte, marschierten die Truppen auf, sie waren es, die nun die Welt zurückerobern würden, mit aller Macht und Härte. Die alte Frau schwebt wie ein Koloss über der gestrandeten Gesellschaft. Als sechsundsechzigster Passagier war sie in das Flugzeug gestiegen, doch das Lachen ihrer Familie hatte sie nicht sichern können. Die kleine Voodoo-Puppe, die sie malträtiert hatte, war nicht in der Lage gewesen, dem Adler Kraft zu spenden, doch ihre Bemühungen hatten ihm gezeigt, dass es sich lohnte zu kämpfen. Als ein schwarzer Rabe rauschend über den Himmel saust, verblasst das Gesicht langsam. Die grauen Haare verfärben sich nachtblau, die roten Lippen schliesen sich und entlassen ein letztes wehklagendes Geräusch, getragen von türkisblauen Augen, die wie Sterne in den Himmel aufsteigen. Sie hat sie beschützt und wirde nun in die Ewigkeit eingehen. Ein Jahr später stand eine kleine, vierköpfige Familie an einem Grab. Das schwarz-weiße Photo am oberen Ende des Grabsteines zierte eine kämpferisch blickende Frau und jeder hier wusste, dass sie es war, die dem Reich der Sonne die Kraft gegeben hatte, sich gegen den Winter zu erheben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)