L2 von Kathey (Messed up kid that I was...) ================================================================================ Prolog: Zero ------------ "But there's a story behind everything. How a picture got on a wall. How a scar got on your face. Sometimes the stories are simple, and sometimes they are hard and heartbreaking.  But behind all your stories is always your mother's story, because hers is where yours begin." ― Mitch Albom "John, übernehmen Sie sich nicht damit." Mama Alenkos besorgte Stimme folgte ihm die Kellertreppe nach unten, und echote von den Wänden wieder, sodass er sie sogar noch hören konnte, während er am anderen Ende des Kellers vor den vielen Kisten stand, die sich seit der Renovierung des Hauses hier stapelten. Sich nicht übernehmen, sagte sie... Als ob ein paar Kartons mit Fotos und anderen Erinnerungsstücken ihm gleich zu viel wären. Und warum versuchte eigentlich die gesamte Familie, ihm zu sagen, dass er sich besser zurückhalten sollte? Sicher, ab und an waren seine Bewegungen noch etwas unpräzise und die Kinetik spielte noch nicht immer in dem Maße mit, in dem sie mitspielen sollte, aber er war schon so gut wie wiederhergestellt, es ging ihm wirklich gut. Was zu großen Teilen Miranda Lawson zu verdanken war. Und Kaidan sowieso. John wischte sich den Schweiß von der Stirn, und schob die Ärmel seines N7-Hoodies wieder hoch über die Ellbogen. Das war mindestens die zwölfte Kiste, die er nun nach oben trug, vielleicht sollte er wirklich eine Pause in Erwägung ziehen. Eine kurze, ehe er dann weitermachen würde! Er nahm die nächste Kiste und stieg die Stufen wieder nach oben. Mama Alenko stand bereits neben der Tür und betrachtete ihn besorgt. Es war beeindruckend, dass er diesem Bitte-hör-doch-auf-mich-Blick genauso wenig standhalten konnte wie dem ihres Sohnes. Manche Dinge blieben wohl einfach in der Familie. Dasselbe schwarze Haar (nur mit noch mehr grauen Strähnen als das von Kaidan) und derselbe besorgte Blick. Nur dieses Mal baten ihn dunkelgrüne Augen hinter den Brillengläsern anstatt der üblichen braunen. "Setzen Sie sich einen Moment." Sie ließ ihm kaum eine andere Wahl, nachdem er den Karton abgestellt hatte, schob sie ihn sanft aber bestimmt in Richtung der dunkelbraunen Eckcouch und ließ ihn darauf Platz nehmen, ehe sie ihm ein Glas Wasser in die Hand drückte. Es war wirklich lieb, dass sie sich Sorgen um ihn machte, aber es ging ihm gut, wirklich! Es war nun wirklich kein Problem, dabei zu helfen, alle Sachen aus dem Keller in das frisch renovierte Haus zu bringen. Gott sei Dank hatten die Reaper den Großteil dieser Gegend in Ruhe gelassen und so waren es wenige Schäden gewesen, die das Haus der Familie Alenko davongetragen hatte. Die emotionalen... nun, die waren wieder etwas anderes. "Sie müssen sich nicht so um mich Sorgen, Ma'am", meinte John und sah sich im Wohnzimmer um. Ein paar Bilder hingen schon wieder an den Wänden, zeigten Kaidans Eltern und Kaidan selbst. Hier bei seiner Einschulung, dort beim Schulabschluss... "Und dann meinem Sohn sagen müssen 'Tut mir leid, Kaidan, leider wollte dein Freund nicht hören und ist deswegen zusammengebrochen'?" Sie hob eine Augenbraue in seine Richtung, ehe sie in der Kiste wühlte. "Zur Not muss ich Sie wohl anbinden..." John verkniff sich ein Lächeln, stur war also auch die gesamte Familie. Brav trank er von seinem Wasser, als er Kaidans Mutter erstaunt "Da ist es!" rufen hörte. Schweigend ging er zu ihr hinüber, blickte über ihre Schulter und sah ein kleines, blaues Fotoalbum. Das Lächeln der stolzen Mutter sprach Bände. "Kaidan wird mir böse sein, wenn ich Ihnen das zeige", meinte sie mit einem Seitenblick auf John, der nur die Schultern zuckte. "Was er nicht weiß...", merkte er unterdrückt grinsend an. Mama Alenko ging hinüber zur Couch, setzte sich und klopfte mit der freien Hand auf das Polster, eine stumme Aufforderung für John, sich ebenfalls zu setzen. Er konnte wohl wirklich von Glück reden, dass sie ihn mehr als freundlich aufgenommen hatte. Eigentlich hatte er geglaubt, dass lange und peinliche Gespräche folgen würden, aber kaum ein paar Tage, nachdem er im Krankenhaus wieder einigermaßen auf den Beinen war, war sie zu Besuch gekommen, ihren Sohn mit ziemlich rotem Kopf im Schlepptau und hatte ihn herzlich umarmt. John hatte nur fragend über ihre Schulter zu Kaidan gesehen und ihr dabei unbeholfen den Rücken getätschelt. Er hatte wirklich einen Moment nicht gewusst, was er davon halten sollte, aber kurz darauf war er aufgeklärt worden. Nun, zumindest schien ihn Mama Alenko zu mögen. Und es schien ihr auch gleich zu sein, wen genau ihr Sohn da mit nach Hause brachte, "Hauptsache, er ist endlich glücklich". Und nun saßen sie hier, auf der Couch im Haus der Alenkos, und sie zeigte ihm ein Album mit... ja, womit eigentlich? Er sah zu, wie das Album aufgeschlagen wurde, und schon das erste Bild ließ ihn grinsen. Ein Neugeborenes, das Gesicht etwas verzogen, als wolle es darum bitten, nicht fotografiert zu werden, und neben dem Bild standen Name und Geburtsdatum des Kleinen. Kaidan Alenko. Nun, das war nicht überraschend. Kaidans Mutter erklärte ihm, dass sie die Technik zwar schätzte, aber diese Fotos hier, die seien etwas, was ihr nie verloren geben würde. Und lieber sah sie sie sich in einem Album an, als irgendwo auf einem Bildschirm. "Wissen Sie, John." Die sanfte Stimme brachte ihn dazu, sich vom Bild loszureißen und zu ihr zu sehen. Die Frau sah mit einem fast schon traurigen Lächeln auf das Bild, die Finger strichen sanft über die Buchstaben auf dem Papier. "Mein Junge bedeutet mir alles." "Verständlich." "Man hat mir mehr als einmal nahe gelegt, die Schwangerschaft abzubrechen. Die Risiken seien zu groß, die Auswirkungen des E-Zero auf das Ungeborene nicht bekannt. Acht von zehn Babys würden bereits mit Krebs geboren werden."   Mama Alenko seufzte leise und schüttelte den Kopf. John hatte den drängenden Impuls, ihr eine Hand auf die Schulter zu legen. Im Moment wirkte sie so zerbrechlich, so traurig, dass er ihr gerne irgendeinen Halt hätte geben wollen. Aber gerade in dem Moment, als seine Hand zu ihrer Schulter wanderte, da hob sie den Kopf und sah zu ihm. Und sie lächelte. "Aber nicht mein Kaidan."   Sie sahen das Fotoalbum weiter durch. Kaidan bei seinen ersten Gehversuchen, bei seiner Einschulung. Fotos vom Familienurlaub, von Kaidan mit seinem Vater, von ihm zu der Zeit, als er die L2-Implante bekommen haben musste. Zumindest war die Narbe am Hinterkopf unverkennbar, über die gerade wieder Haare zu wachsen begannen. John kam nicht umhin, Kaidan für seine Familie zu beneiden. Er hatte selbst nie erfahren, wie es war,  von den Eltern geliebt zu werden, aber es musste sich verdammt gut anfühlen. Zumindest, wenn er sah, wie stark dieses Band zwischen Kaidan und seiner Mutter war. Aber wahrscheinlich war das bei diesen Umständen nicht ungewöhnlich. Und wahrscheinlich hatten sie noch mehr kämpfen müssen, als ihm jetzt im Moment bewusst war. Es war ein Bild, das aus dem Album fiel, das ihn aufmerken ließ. Geräuschlos glitt es zu Boden, blieb mit der bedruckten Seite nach unten liegen. Schweigend hob John es auf und drehte es um. "Oh." Auf dem Foto musste Kaidan in etwa 17 sein. Oder genau 17. Die Haare waren etwas unordentlicher, als John sie von ihm kannte, und die Jacke schien fast schon eine Nummer zu groß für ihn zu sein. Als hätte er einmal in sie gepasst und wäre dann irgendwie etwas in sich zusammengefallen. Der Junge auf dem Bild lächelte zwar, aber... "Hat er Ihnen davon erzählt?" John sah nicht von dem Bild auf, während er nickte. "Ich wusste nicht, wie schlimm es war." Er hatte es sich vorgestellt, aber die Wirklichkeit übertraf alles, was er hätte erahnen können. Kaidans Gesicht war übersät mit blauen und roten Flecken, ein Auge schien er kaum richtig öffnen zu können. Die Lippen sahen aus, als wären sie fast schon fein säuberlich aufgeschnitten worden. Der längste Schnitt verlief vertikal über Ober- und Unterlippe. John kannte diese Narbe. Er hatte geglaubt, zu wissen, woher Kaidan sie hatte, aber dass es so ausgesehen haben musste... weitere, kleinere Schnitte verliefen über der Oberlippe und knapp unter Kaidans Mund. Sie schienen zu heilen, aber es war dennoch kein schöner Anblick. Die Hand, die Kaidan zum Gruß erhoben hatte, war bandagiert. Scheinbar waren auch zwei Finger gebrochen gewesen. Wahrscheinlich hatte es unter der Kleidung noch mehr Verletzungen gegeben. Und dennoch lächelte der Junge den Betrachter an, als wollte er sagen "Schau, gar nicht so schlimm!" "Verdammter Bastard", entkam es John leise, ehe er etwas dagegen tun konnte. Und Kaidans Mutter wusste genau, dass er nicht ihren Sohn meinen konnte. "Kaidan hat zwar etwas von einem Messer gesagt, aber ich wusste nicht, dass es so... nun, so schlimm war." "Wie könnten Sie auch?" Frau Alenko legte eine Hand auf seinen Rücken, eine ziemlich tröstende Geste, wenn John ehrlich war, und sie brachte ihn dazu, endlich wieder aufzusehen. "Das ist mein Junge. Er sagt 'Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht' und es ist so schlimm, wie es aussieht. Meist noch schlimmer. Seine Kopfschmerzen seien heute nicht so stark? Er hat immer gewartet, bis ich aus dem Raum war, ehe er auch nur gewagt hat, das Gesicht zu verziehen. Er hat sich nie auch nur ein einziges Mal beklagt. Als müsste er stark für mich sein, weil ich es für ihn war." Das klang für John ziemlich nach Kaidan. Machen Sie sich keine Sorgen, Sir. Ich habe Ihre Zeit genug in Anspruch genommen, Commander. Ich fühle mich gut genug, um mit auf Mission zu kommen, Shepard. Nicht ein einziges Mal hatte er sich beklagt. Und sich stattdessen immer um die anderen gesorgt. Geht es dir gut, John? "Er muss einiges mitgemacht haben dort auf Jump Zero", sagte John schließlich leise. "Ich kann Ihnen erzählen, was ich davon weiß. Und wahrscheinlich ist es dennoch 100 Mal schlimmer, als er es uns beiden weismachen wollte." Kapitel 1: One -------------- "Make a wish Take a chance Make a change And breakaway" ― Kelly Clarkson, Breakaway Jump Zero. Einigen war sie auch als Gagarin Station bekannt. Ein Planet, auf dem man all die Tests durchführte, die man nicht auf der Erde machen wollte. Forschung, Entwicklung, alles, was auf dem blauen Planeten keinen Platz fand, wurde hierher gebracht, um weiter untersucht zu werden.  Inklusive Biotikern. Das menschliche Wissen über Biotik war begrenzt bis kaum vorhanden und vor den Zwischenfällen in Singapur und einigen anderen Ländern der Erde, bei denen E-Zero ausgetreten war, hatte niemand sich näher mit menschlichen Biotikern beschäftigt, war das doch den Asari und den vielen anderen außerirdischen Rassen vorbehalten. Zumindest bisher.  Und jetzt? Jetzt hatten sie hier auf Jump Zero einige Kinder und Jugendliche zusammengebracht, aus aller Herren Länder, in vielen Altersstufen, um ihnen die Grundlagen der Biotik zu lehren. Um ihnen zu zeigen, wie sie diese Kräfte nutzen konnten, obwohl viele von ihnen sie nicht einmal als Segen ansahen. Im Gegenteil. Viele hatten nach dem Einsetzen der Implantate deren Nebenwirkungen zu spüren bekommen. Von Wahnvorstellungen bis Migräne war alles vertreten, mal schlimmer, mal besser, aber es gab kaum einen, der ohne irgendeinen nennenswerten "Tick" aus alledem hervorgegangen war.  Conatix Industries hatte diese Biotiker hierher gebracht. Wahrscheinlich hatten eines Tages bei jedem von ihnen ein paar Männer in schwarzen Anzügen vor der Tür gestanden und davon erzählt, dass sie eine einmalige Gelegenheit hatten, die Kinder mit der Biotik besser vertraut zu machen. Es klang auch wie ein Abenteuer. Ab in den Weltraum, zusammen mit anderen Leuten im selben Alter. Wie in einem Ferienlager - das die Station aber absolut nicht war. Zumindest machte sie allein vom Äußeren her schon den Eindruck eines Hochsicherheitstrakts, mit meterhohen Mauern um die Anlage und vergitterten Fenstern ab dem ersten Stockwerk.  Auf Kaidan wirkte alles ziemlich Grau in Grau. Er konnte sich wahrlich eine schönere Umgebung vorstellen, um den Umgang mit Biotik zu lernen, aber gut, man konnte es sich nicht aussuchen.  So weit er wusste, war die Station in den letzten Jahren weiter ausgebaut worden. Der Zugriff auf das Extranet war zwar beschränkt gewesen, aber die Grundinformationen waren dennoch zu finden gewesen. 2160 hatte die Ausbildung von Biotikern begonnen, vor allem durch menschliche Lehrer, doch durch das begrenzte Wissen der Menschheit hatte man die Tore der Gagarin Station auch für Außerirdische geöffnet. Conatix wollte Ergebnisse sehen und da Asari, Turianer und so ziemlich jede andere Rasse im Weltall mehr Ahnung hatte als sie selbst... nun, jedenfalls waren sie jetzt hier, um die neu angekommenen und bereits anwesenden Biotiker auszubilden.  BAaT, nannten sie es. Biotisches Akklimatisierungs und aktives Temperenz-Training. Was auch immer es sein würde, es würde sicher nicht leicht werden. Wo doch schon die Begrüßungszeremonie verlauten ließ, dass hier einige Dinge anders waren, als man sie von Schulen oder anderswo her kannte. Nicht umsonst brachte man nur die "Besten" her - diejenigen mit dem meisten Potenzial, die nicht durch Hirntumore oder Nebenwirkungen der Implantate vollkommen handlungsunfähig waren. Wenn man da auf zehn Kinder von Hundert kam, dann war das schon eine gute Auslese gewesen.  "Der Zugang zum Extranet ist auf das Gagarin Station abgeschalten." Die Stimme des Conatix-Sprechers hallte schon eine geschlagene viertel Stunde über den gesamten Platz wieder, auf dem die Neuankömmlinge versammelt waren. "Wir möchten, dass Sie sich voll und ganz auf Ihr Training konzentrieren können. In ihren zugewiesenen Zimmern finden Sie die Ihnen zugewiesenen Uniformen. Ruhen Sie sich aus, ich weiß, dass es für viele von Ihnen der erste Flug ins All war. Machen Sie sich mit Ihrer neuen Umgebung vertraut, ehe Sie ab morgen ihre Ausbildung beginnen werden."  Die Menge schwieg. Jeder von ihnen schien erst einmal verdauen zu müssen, was sie gerade gehört hatten. Aus dem amüsanten Flug ins All war so ziemlich ein gefühlter mehrmonatiger Aufenthalt in einem Gefängnis am Rande des Universums geworden. Kein gutes Gefühl.  Heute Abend würden sie alle noch einmal die Gelegenheit bekommen, mit ihren Eltern zu sprechen, zumindest für ein paar Minuten. Und dann würde es erst wieder in einigen Wochen so sein, damit man auch ja nicht zu viel Heimweh bekommen konnte. Nun, aber zumindest konnte er seinen Eltern so versichern, dass alles in Ordnung war - vorerst.  Viel hatte er nicht mitgebracht. Das war auch nicht nötig gewesen, immerhin war gesagt worden, dass die Station alles Notwendige bereitstellen würde - Nahrung, Kleidung, Lernmittel. Mehr brauchte es wohl nicht, um hier zu überleben. Und Freizeitkleidung brauchte man hier wohl nicht viel. War ja nicht so, als könnte man am Abend weggehen. Oder generell irgendetwas tun, das einem Spaß machen könnte... Viel mehr, als die schwarze Kapuzenjacke und die Jeans, die er ohnehin schon trug, hatte er gar nicht erst mitgebracht. Wenn die Vorgabe schon nur ein Koffer oder eine Tasche pro Person war, dann musste man den Platz so gut wie möglich nutzen. Also packte er seine paar Sachen in seinen Schrank und verstaute die Tasche unter seinem Bett. Das Zimmer was spärlich eingerichtet. Ein Terminal hatten sie zwar, aber sie konnten wohl kaum viel damit anfangen, wenn es nicht einmal Zugang zum Extranet hatte. Und dann gab es eigentlich nur Betten und Schränke und für jedes der vier Betten einen kleinen Schreibtisch. Das musste dann wohl reichen.  Mit einem leisen Seufzen nahm Kaidan die Uniform zur Hand, die auf seinem Bett gelegen hatte. Sie schien vom Augenmaß her genau richtig zu sein, blauer Stoff, mit Ärmeln, die man einfach und schnell hochkrempeln konnte, wenn es zu warm wurde. Auf der Brust waren ein paar Buchstaben eingestickt. Einmal das nicht wirklich überraschende BAaT und dann sein Nachname in Großbuchstaben. Wahrscheinlich, falls die Lehrer wissen sollten, wen sie anherrschen mussten. Ohne sie weiter zu beachten, legte er die Uniform zu seinen wenigen eigenen Kleidungsstücken in den Schrank und wandte sich wieder um. Der Junge, der mit ihm in diesem Zimmer war, hieß Robert Bunner. Er war ein Jahr jünger als Kaidan, und wie bei ihm waren die Männer von Conatix irgendwann auf seiner Türschwelle des Hauses seiner Eltern in Ohio gestanden und hatten ihm nahe gelegt, auf Jump Zero sein Verständnis für die Anwendung der menschlichen Biotik zu verbessern. Er war ein hagerer Junge, ein bisschen kleiner als Kaidan, mit kurzem braunen Haar und auffallend grünen Augen. Gerne schien er nicht zu sprechen, und Kaidan konnte sich nur allzu gut vorstellen, dass es sich für ihn hier noch ein wenig schlimmer anfühlen musste als für ihn selbst.  "Oh, Neuankömmlinge." Ein Junge mit strubbeligem roten Haar betrat den Raum und betrachtete Robert und Kaidan nachdenklich. Mit einem lauten "Hmmm" verschränkte er die Arme vor der Brust, die braunen Augen zu Schlitzen verengt. Kaidan blickte ihn fragend an, wobei ihm die Narbe über der Augenbraue ins Gesicht sprang, die sich leicht mit bewegte, als der Junge die Augenbrauen zusammenzog. "Nun, dann heiße ich euch mal im Lager 'Gehirnwäsche' willkommen. Ich bin David."  Er salutiere auf sehr spöttische Art und Weise, ehe er sich auf sein Bett warf und die Arme hinter dem Kopf verschränkte. "Und ihr seid?" Robert starrte nur betreten zu Boden, anscheinend ein wenig eingeschüchtert von Davids selbstsicherem Auftreten. Kaidan rieb sich nur die Schläfe, es wäre schön, wenn sein Zimmergenosse etwas leiser reden würde.  "Kaidan Alenko", meinte er schließlich, ehe er zu Robert deutete. "Und das ist Robert Bunner." Robert nickte nur zustimmend.  "Ah, woher hat es euch hierher verschlagen?" David schien nun zumindest wirklich interessiert zu sein, während er sich etwas aufsetzte, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Nicht, dass es ihn großartig etwas anginge, aber immerhin sollten sie sich ein Zimmer teilen, da wäre es nur recht und billig, ein wenig was übereinander zu wissen.  "Kanada", sagte er schlicht. "Aus der Nähe von Vancouver."  Er blickte zu Robert, der noch immer auf den Boden starrte, das Gesicht etwas verzogen, ehe er schließlich ein leises "O-Ohio" hervorbrachte, nur, um sich dann abzuwenden und auf sein Bett zu setzen, die Knie dicht an den Körper gezogen. Dieser Junge gehörte wirklich nicht hierher, dass Conatix auf die Idee gekommen war, ihn mit hierher zu nehmen, zeigte nur, dass sie keinerlei Rücksicht darauf nahmen, wie es den Menschen ging, die sie mitnahmen. Aber das hatte er schon auf dem Flug hierher gemerkt. Und wahrscheinlich war es schon immer so.  "Er taut schon auf, keine Sorge." Davids Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, auch, wenn das Gesicht des anderen Jungen etwas anderes sagte. Nämlich, dass er nicht daran glaubte, dass Robert auftauen würde. Und Kaidan sah genau, wie Davids Blick zu dem leeren Bett neben ihm wanderte und einen Moment zu lange daran hängen blieb.  "Wem gehört das Bett?", wagte es Kaidan schließlich zu fragen. Immerhin würden sie ja sicher nicht einfach einen Schlafplatz leer lassen.  "Niemandem." Mit einem Mal klang die selbstbewusste Stimme des anderen Biotikers ziemlich tonlos. "Mehr."  Kaidan hatte bereits den Mund geöffnet, um nachzufragen, was David damit meinte, aber da durchbrach schon eine Lautsprecherdurchsage die betretene Stille. Die Neuankömmlinge sollten sich zusammenfinden. Erst würde wohl noch ein weiterer kleiner Rundgang stattfinden (den ersten hatten sie schon vor der Begrüßung durchstehen müssen) und dann würden sie die Chance bekommen, mit ihren Eltern zu sprechen.  "Na, dann mal los, Kanada und Ohio." David ließ sich wieder aufs Bett fallen. "Erkundet mal die Gegend, ich warte hier so lange auf euch."  Mit gerunzelter Stirn trat Kaidan zur Tür, während Robert mutlos vom Bett kletterte. Er hatte nicht einmal die Zeit, sich über diesen sonderbaren Spitznamen zu beklagen, weil in diesem Moment schon der Lärm auf dem Flur ins Unermessliche anschwoll. Wieder rieb sich der Biotiker die Schläfe. Das würde lustig werden.  "Ich bin sicher, dass wir dir noch etwas nachschicken könnten, solltest du etwas vergessen haben." Die Stimme seiner Mutter über den Lautsprecher klang schon besorgt genug, aber ihr Gesicht war eine einzige Maske aus Sorge und etwas, das Kaidan nicht so ganz in Worte fassen konnte. Wahrscheinlich hatte sie Angst um ihn. Gut vorstellen konnte er es sich. Dabei versichterte er ihr immer wieder, dass es keinerlei Grund zur Besorgnis gab. Noch nicht, doch wenn er so an Davids Worte dachte, dann wurde ihm schon etwas anders. Seine Mutter redete weiter und riss ihn aus seinen Gedanken. Immer wieder schob sie sich die Nickelbrille zurück auf die Nase, wenn sie nach unten rutschte, während sein Vater versuchte, sie irgendwie zu beruhigen. Es war ja nicht so, dass er wirklich etwas bräuchte.  "Meinst du wirklich, sie schicken ein Shuttle los, nur weil ich meinen Lieblingspulli vergessen habe?" Kaidan lachte kaum hörbar auf, es war lieb gemeint von ihr, aber sie musste sich nicht so viele Gedanken um ihn machen.  "Du hast ihn vergessen?" Seine Mutter sprang fast auf, sie hätte wohl wirklich fast in seinem Zimmer nachgesehen, ob er ihn dabei hatte, um ihn dann Conatix Industries zuzuschicken. Wahrscheinlich mit einer Nachricht, dass es ihr egal wäre, wenn sie eine unbemannte Raumfähre nach Jump Zero schicken würden. Hauptsache, der Junge hätte seinen Pulli!  "Schatz, beruhige dich." Die Stimme seines Vaters war ruhig wie immer. Wahrscheinlich sagte seine Mama auch nicht umsonst, dass er und Kaidan sich ziemlich ähnlich waren. Und das nicht nur vom Aussehen her, sie beide hatten dieselben strengen Gesichtszüge, und auch die die gleichen braunen Augen, aber auch ansonsten glichen sie sich in den ein oder anderen Dingen. Nur die Besorgnis hatte er von seiner Mutter geerbt. Nur nicht im vollen Ausmaß, wie es zumeist schien.  "Mom, ich hab nur gescherzt, er liegt im Schrank in meinem Zimmer." Als er ihr leises Seufzen hörte, tat es ihm ziemlich leid, dass er überhaupt versucht hatte, einen dummen Scherz zu machen. Immerhin wusste er doch, dass sie sich Sorgen machte. Er wollte sich gar nicht daran erinnern, wie oft sie geweint hatte, nachdem die Entscheidung gefallen war, dass er ins All fliegen würde. Sein Vater hatte es mit Fassung getragen, wenngleich man auch ihm hatte ansehen können, dass es ihm nicht wirklich gefiel. Aber er hatte Kaidan an einem Abend, als seine Mutter bereits im Bett war, gesagt, dass es besser war, etwas zu tun und das, was man an Fähigkeiten hatte, zu nutzen. Und er war Soldat bei der Allianz gewesen, er musste das schließlich mitunter am besten wissen. Wie es war, für andere zu kämpfen. Diese Worte hatten Kaidan nur noch in seiner Entscheidung bestärkt. Wenn er schon diese Kräfte hatte, dann sollte er sie auch für irgendetwas einsetzen können. Wie falsch konnte das schon sein? "Erschreck mich nicht so, Kaidan."  "Tut mir leid, Mom." Sie nickte, und obwohl sie danach tapfer lächelte, wirkte es nicht echt. Und es zerriss ihm schier das Herz, sie so zu sehen. In den wenigen Minuten, die sie miteinander sprechen durften, hätte er so viel sagen wollen, aber im Moment steckten ihm die Worte noch im Rachen fest.  "Wirst du klar kommen, Junge?" Sein Vater sprach weiter, während sich seine Mutter die Nase putzte und versuchte, so stark wie möglich auszusehen. Und er konnte in diesem Moment nicht mehr tun, als es ihnen beiden zu versichern. Er war Lichtjahre von Zuhause entfernt, aber er würde schon durchhalten. Er musste einfach durchhalten. Für sie beide.  "Klar. Du kennst mich, ich komm zurecht."  Zwar war er sich dessen nicht so sicher, wie er es gerne gewesen wäre, aber vielleicht - nur vielleicht - würde es hier gar nicht so schlimm werden, wie gedacht. Die Durchsage kam, dass die Verbindungen in einer Minute getrennt werden würden und Kaidan schaffte es kaum noch, auf das "Ich liebe dich" seiner Mutter und das "Pass auf dich auf" seines Vaters zu reagieren, als die Verbindung gekappt wurde. Und das würde sie sicher für lange, lange Zeit bleiben.  Seufzend stand Kaidan auf, sah, wie es ihm andere an den anderen Terminals gleich taten, nicht wenige mit Tränen in den Augen. Schweigend ging er mit Robert zurück zu ihrem Zimmer, sah den Jungen dabei mehr als einmal über seine roten Augen wischen, ehe sie durch die Tür traten. David döste auf seinem Bett, wie es schien und Robert verkroch sich fast sofort unter die Decke seines eigenen. Kaidan trat schweigend zu seinem Schrank, nahm seinen Pulli heraus und zog sich so leise wie möglich um, ehe er es den beiden gleich tat und sich ins Bett legte.  Kapitel 2: Two -------------- "But just because it burns Doesn't mean you're gonna die You've gotta get up and try" ― P!nk, Try Ihr zuständiger Ausbilder trug den Namen Vyrnnus. Er war ein Turianer, einer jener Rasse, deren Heimatplanet Palaven irgendwo in den Weiten des Alls lag, wo bisher nur sehr wenige Menschen gewesen waren. Nun, wenn sie Vyrnnus gekannt hätten, wären sie wahrscheinlich auch gerne weiterhin auf der Erde geblieben. Er war ein Commander gewesen, einer, der zusammen mit anderen Turianern im Erstkontaktkrieg gegen die Menschen gekämpft hatte, als sie zum ersten Mal aufeinander getroffen waren. Damals waren sie sich noch feindlich gesonnen gewesen und hatten sich als Bedrohung angesehen. Wobei die Menschen mit den hohen Entwicklungsstandards der Turianer kaum hatten mithalten können. Wie man gehört hatte, wurden sie deswegen mehr als einmal belächelt - so weit Lächeln den Turianern denn überhaupt möglich war. Und was Vyrnnus anging... nun, seine Einstellung hatte sich wohl seitdem nicht wirklich geändert, er hatte noch immer nichts für die Menschen übrig. Und das konnten die ihm zugeteilten Biotiker schon nach guten fünf Minuten sagen und nur dadurch, dass er sich ihnen gerade vorgestellt hatte. "Sie sind also hier, um den Umgang mit der Biotik zu erlernen, nicht wahr?" Vyrnnus' zwei Finger trommelten auf das Pult vor ihm und er betrachtete die Gruppe verängstigter oder zumindest eingeschüchterter Kinder mit einem Teil Zufriedenheit und einem Teil Verachtung. Kaidan wusste nicht, warum, aber Turianer erinnerten ihn auf irgendeine Art und Weise an Vögel. Seltsame aggressive Falken, mit schwarzen Augen und Gesichtsbemalungen und graublauer Haut. Und dieser hier war wohl... ein ziemlich gemeines Exemplar von Vogel, das sich nicht darum scherte, wem es die Augen mit dem nicht vorhanden Schnabel aushacken würde. "Nun, es wundert mich nicht, dass man uns gebeten hat, das für die Menschheit zu übernehmen, da ihr Wissen diesbezüglich doch eher... nichtig ist." Ja, er machte wirklich keinen Hehl daraus, dass Menschen für ihn nichts weiter als Neandertaler war, die versuchten, im Universum Fuß zu fassen. Für ihn war es ein Leichtes, so zu reden, war sein Volk doch vertraut mit der Biotik und dem Weltall und... allem einfach. "Ich glaube kaum, dass viele von Ihnen den hier vorhanden Ansprüchen genügen", schnarrte der Commander dann leise, während er den Blick über die Schüler schweifen ließ. Dann stand er auf und ging um das Pult herum, bedachte viele von ihnen mit einem abschätzigen Blick. Schweigend trat er an ihnen vorbei, das Schaudern, das dabei durch den Raum lief, war schon fast spürbar. Es war Kaidan, vor dem er stehen blieb, als der sich gerade die Schläfe rieb. Das helle Licht in diesem Raum machte ihm zu schaffen, die Lampen brannten mit so viel Watt, dass ihm seine Lichtempfindlichkeit in diesem Moment mit einem Holzhammer auf die Schädeldecke schlug. Den Turianer schien das eher zu amüsieren, und Kaidan ließ die Hand sofort sinken, als er ihn vor sich stehen sah. "Ich kenne die Menschen, sie sind schwach und haben keinerlei Durchhaltevermögen. Und sie sterben ganz einfach." Die klauenartigen Hände mit den drei Fingern legten sich auf den Tisch vor Kaidan, und der junge Biotiker nahm etwas mehr Haltung an, während er dem Turianer in die schwarzen Augen mit den blauen Iriden sah. "Ich habe viele von ihnen mit meinem Geschwader erledigt. Inklusive Ihres Vaters." Kaidan runzelte die Stirn. "Sir, mein Vater hat nicht im Erstkontaktkrieg gedient." Es waren generell wenige Truppen gewesen, die dort gekämpft hatten und sein Vater war anderweitig stationiert gewesen, er war nie in ein direktes Feuergefecht geraten. Und nach allem, was man über den Erstkontaktkrieg hörte, war das auch nicht wirklich etwas Schlechtes gewesen. Dem Turianer allerdings schien das gar nicht zu gefallen. Kaidan wusste, dass er von nun an wahrscheinlich ihn und seine gesamte Familie für ausgemachte Feiglinge halten würde. Aber das sollte ihn nicht kümmern, schließlich wusste er am Besten, dass sein Vater sehr viel für die Allianz getan hatte. Einen Moment lang lag Vyrnnus' Blick auf seinem Namensschild und Kaidan konnte sich vorstellen, wie er die Archive nach seinem Vater und ihm durchsuchen würde. Nur zum Spaß. "So, so..." Der Turianer wandte sich ab und durchschritt den Raum zurück zu seinem Pult mit einer stoischen Ruhe. "Wie ich bereits sagte, Sie sollen den Umgang mit Biotiken erlernen. Was nicht viele von Ihnen schaffen werden. Aber gut, Sie sind hier, und ich muss mich um Sie kümmern, ob ich will, oder nicht." Die beißzangenartigen Wangen des Turianers zuckten, als er mithilfe von biotischen Kräften ein Datenpad in die Höhe hob, sich der Blicke der Schüler nur allzu bewusst. "Oder aber Sie glauben, dass Sie bereits perfekt sind. Dass Sie keine Kämpfe und Kriege und kein Training nötig haben, um Ihre Fähigkeiten zu verbessern." Mit einer kurzen Handbewegung stieß er das Pad, ohne es irgendwie zu berühren, nur mit seinen Kräften von sich. Und Kaidan sah es genau auf sich zufliegen. Oh, Schei- Er zog den Kopf ein und duckte sich zur Seite weg, das Datenpad landete mit einem dumpfen Aufprall hinter ihm an der Wand und sank daran hinab, um dann halb zerborsten und unbrauchbar am Boden liegen zu bleiben. Erst nach einem Moment und dem Ausbleiben weiterer fliegender Gegenstände wagte es Kaidan, den Kopf wieder zu heben. Die gesammelten Blicke der anderen lagen auf ihm oder dem Pad und sein Herzklopfen schien im Moment nicht abklingen zu wollen. Dieser... er hatte wirklich etwas nach ihm geworfen? "Man hätte das Pad natürlich auch mit einem Schutzschild aus biotischer Energie abprallen lassen oder es mithilfe der eigenen Biotik abfangen können", erklärte Vyrnnus in Plauderlaune. "Aber man kann sich auch verstecken wie ein Feigling. Auch eine sehr beliebte Option der Menschheit." Kaidan ballte die Faust unter dem Tisch, aber er hielt sich zurück, schluckte jeglichen Kommentar hinunter, der ihm auf der Seele brannte. Es würde nichts nützen, es würde ganz und gar nichts nützen. Wenn er es hier schaffen wollte, dann musste er wohl oder übel mit diesem Tyrannen zurechtkommen... "Nun, Alenko, mir ist leider das Datenpad aus der Hand gefallen, wenn Sie denn so freundlich wären...?" Und in diesem Moment wünschte sich Kaidan bereits, dass er die nötigen Kenntnisse hätte, um es ihm mit voller Wucht ins Gesicht zurück zu geben.   "So lange es nur ein Pad war..." David stand im großen Vorratsraum der Gagarin Station und suchte sich etwas zum Abendessen aus. Es war nicht so, als würde es hier feste Zeiten für Mahlzeiten geben. Oder überhaupt einen Koch, der ihnen etwas zu Essen zubereiten würde. Hier versorgte man sich entweder selbst, oder man verhungerte. Wahrscheinlich sollte das auch eine Vorbereitung auf ihre Zukunft sein. Und man wollte sie ja schließlich nicht verwöhnen, nicht wahr? So mussten sie sich jeden Tag selbst etwas aus dem schier endlos wirkenden Vorrat auswählen und sich in der dafür bereitgestellten Küche zuzubereiten. Jeder der das nicht tat musste hungern. Zumindest waren sie aber so umsichtig gewesen, mehrere Küchen in der gesamten Einrichtung einbauen zu lassen, um wenigstens die Chance zu gewährleisten, dass auch wirklich jeder etwas essen könnte - wenn er es denn zubereiten konnte. "Wenn es auf dich zugeschossen wäre, dann hättest du dich sicher auch geduckt..." Kaidan drehte nachdenklich eine Büchse Ravioli in der Hand, ehe er sie kopfschüttelnd zurück in das voll gestellte Regal stellte. Auf Biotiker zugeschnittene Nahrung... Das einzige, was es immer für ihren zu hohen Verbrennungshaushalt gab, waren Energieriegel für jeden, die den Kohlenhydrathaushalt auffrischen sollten. Und dass die nicht einmal sonderlich gut schmeckten, das musste wohl nicht extra gesagt werden. "Musst du mir nicht sagen. Mein menschlicher Ausbilder hat mal aus Versehen ein Tablett voller Essen auf mich zufliegen lassen, weil er keine Ahnung hatte, was er eigentlich tut." David deutete auf die Narbe an seiner Augenbraue. "Seitdem bin ich flinker geworden. Und besser mit meinen Schilden." Der Biotiker grinste, ehe er sich etwas Fleisch aus dem Gefrierfach des überdimensionalen Kühlschranks nahm und es mit einem leisen Seufzen in der Hand wog, während Kaidan ihn einfach nur bedrückt ansehen konnte. Immerhin hatte er nicht im Sinn gehabt, ihn zu beleidigen oder unangenehme Erinnerungen zu wecken. "Tut mir l-" "Hey, Kanada, kannst du kochen?" Ohne eine Warnung warf ihm David das Fleisch zu. Kaidan fing es ungeschickt auf und hob eine Augenbraue in Richtung des anderen Jungen, als so etwas wie 'ist doch das, was ihr da oben esst, oder?' aus Richtung des Kochbereichs erklang. Rindfleisch... nun gut, damit ließ sich etwas anfangen. Er schnappte sich ein bisschen Knoblauch aus dem Regal und machte sich auf nach vorne. "Ich mach' ein ganz passables Steak, denke ich." Kaidan suchte eine große Pfanne aus dem Schrank, er hatte es noch nicht oft machen müssen, aber so lange davon keiner krank werden würde, sollte es schon in Ordnung sein. Und wer es nicht wollte, nun, der musste es ja nicht essen, nicht wahr? Es waren ohnehin nicht viele hier. Robert saß noch an einem der Tische, und dabei ein paar andere aus Kaidans und Davids jeweiligen Gruppen. Manche hatten sich selbst schon etwas zu Essen gemacht, andere warteten noch, bis die beiden endlich fertig sein würden. Schweigend schnitt sich Kaidan Fleisch und Knoblauch zurecht, ehe er sie in die Pfanne warf. "Warum eigentlich Kanada?" Er blickte halb über die Schulter, wo David an einem der tristen grauen Küchenschränke lehnte und ihn nachdenklich musterte. "Weil es keinen Sinn hat, sich deinen Namen zu merken, so lange ich nicht sicher bin, ob du auch überlebst. Und nach deinen Erzählungen heute sieht es für dich echt mau aus." In diesem Moment wünschte Kaidan, er hätte nicht gefragt. Wunderbar, er hatte es sich gleich am ersten Tag mit seinem Ausbilder verscherzt und war damit scheinbar in der Nahrungs- und Überlebenschancenkette ein gutes Stück weit nach unten gesackt. Das waren wirklich beruhigende Aussichten. Er wartete ja nur darauf, dass sich der Falke namens Vyrnnus auf ihn stürzte und ihm die Augen aushackte. "Aber mach dir keine Sorgen, Ohio ist im Moment noch schlimmer dran als du." Robert war noch nicht wirklich aufgetaut, nein, aber das war wohl einfach so bei ihm, er war eher der ruhige und reservierte Typ. Und er hatte Heimweh, das konnte man spüren und gesehen hatte man es am Morgen auch, als man sein Gesicht gesehen hatte, die Augen noch immer rot und geschwollen. "Sag so was nicht, du weißt nicht, wa-" "Oh, das riecht gut." Überrascht von der unbekannten Stimme sah Kaidan auf, und blickte direkt in ein paar warme braune Augen, in einem ziemlich hübschen Gesicht, dass von schwarzem Haar umrahmt wurde. Das Mädchen lehnte sich über den Tresen vor den Kochplatten und betrachtete das Essen, das Kaidan gerade versuchte zuzubereiten - wenngleich er im Moment etwas von dem liebevollen Lächeln abgelenkt war, dass sich auf das Gesicht des Mädchens legte. "Gibt es eine Chance, dass davon genug für eine hungrige Person mehr übrig bleibt?" Der Biotiker sah einen Moment lang einfach nur mit offenem Mund zu ihr, nicht wissend, wie er diese Frage jetzt am besten verarbeiten sollte. Sie wollte... etwas davon abhaben, wenn er das richtig verstanden hatte. Ja, er hatte es ganz sicher richtig verstanden und nun ja, es war sicher genug Essen für vier da, von daher sollte das kein Problem sein. Das musste er ihr nur sagen! "Ähm... ja?" "Oh, vielen Dank!" Das Mädchen faltete die Hände und strahlte ihn einfach nur einen Moment lang an, nachdem sie sich bedankt hatte. Kaidan kannte sie zumindest vom Sehen, sie gehörte zu den anderen, die von Vyrnnus ausgebildet wurden. Zwar kannte er ihren Namen nicht, aber das war nichts, was man nicht ändern konnte, nicht wahr? "Hey, Kanada, dein Knoblauch brennt an", erklang schließlich Davids Stimme hinter ihm und riss ihn aus seiner Lethargie. Richtig, erst das Essen, dann alles Weitere! Und trotz angebranntem Knoblauch wurde sein Essen ziemlich gelobt, sogar von David, der meinte, dass er Kanada mal besuchen würde, wenn er wieder zurückkommen würde. Oder falls. Ob er damit das Land an sich meinte oder doch Kaidan selbst, das ließ er bisher offen. Robert rang sich sogar ein schwaches Lächeln ab, als er aufgegessen hatte. Und das Mädchen? Nun, man konnte sagen, dass es geradezu herzerwärmend war, wie sie lächelte. Dass sie lächelte. Selbst an einem Ort wie diesem.   Ihr Name war Rahna und sie kam aus der Türkei. Sie war ebenso wie viele andere im Mutterleib der Strahlung ausgesetzt worden und hatte entgegen aller Umstände biotische Fähigkeiten entwickelt, anstatt wie viele andere an einem Hirntumor zugrunde gehen zu müssen. Sie hatte dasselbe Problem wie jeder andere Biotiker mit L2-Implantaten. Nur, dass ihre Sorgen damit nicht ganz so groß waren wie die anderer. Lichtempfindlichkeit war ein Problem, und das kannte Kaidan nur allzu genau, nur schien es bei ihr noch schlimmer entwickelt zu sein, während es bei ihm mit den Migränen einher ging - oder diese mitunter auch auslösen konnte. "Manchmal habe ich Schwierigkeiten, allem zu folgen, wenn es im Raum so hell ist", erklärte sie. Sie würde so gut wie nichts erkennen können und es war ihr jedes Mal, als würde sich jemand mit einer Säge durch ihren Schädel sägen wollen. Aber ansonsten fand sie wohl persönlich, dass es sie verdammt gut erwischt hatte, wenn man andere bedachte. David hatte manchmal Anfälle, die ihn für eine Weile außer Gefecht setzten. Er sagte, dass es sich für einen Moment anfühlte, als würde jemand ein Klavier auf ihn werfen und dann hielt der Schmerz für eine Weile an. Eine ganze Weile, wie es klang. Manchmal sogar für Stunden. Robert klagte selten über stechende Schmerzen und des Öfteren bekam er sogar Nasenbluten, wenn der Schmerz zu heftig war. Alles in allem waren sie alle gehandicapt durch ihre 'Krankheiten', aber es ging ihnen besser als anderen, die sie hier gesehen und gesprochen hatten. Viel besser, wenn man hörte, dass einige sogar unter Wahnvorstellungen litten. Viele warteten nur darauf, dass ihnen vielleicht irgendwann die L3-Implantate eingesetzt werden würden, an denen schon länger geforscht wurde, aber es würde wohl noch eine Weile dauern, bis diese auch wirklich fertig gestellt sein würden. "Als ob sie es noch schlimmer machen könnten", hatte David angemerkt, und eigentlich konnte man ihm damit nur Recht geben. Und ob man überhaupt die Chance hatte, eins davon eingesetzt zu bekommen, war eher fraglich und unwahrscheinlich. Und so wuchs ihre kleine Gruppe langsam aber sicher zusammen. Sie waren nicht viele, aber ab und an wurde es einer mehr, der sich zu ihnen gesellte. Sie verbrachten die freie Zeit in ihren Zimmern oder einem der Gesellschaftsräumen auf dem Flur einen Stock über ihnen, spielten Karten, erzählten, lernten und tauschten sich aus. Viel mehr konnten sie hier nicht tun, aber sie versuchten, das Beste aus der Zeit zu machen, die sie für sich hatten, aus der Zeit, die ihnen allein zustand und wo ihnen niemand Befehle erteilen konnte. Es war ein wirklich gutes Gefühl, bei dem man auch schon einmal all die Schrecken, die man über Lager Gehirnwäsche überall auf Jump Zero hörte, erst einmal ausblenden konnte. Es war die beste Zeit des Tages, wo die Ausbildung doch am allerwenigsten vergnüglich war. Vyrnnus brachte sie gerne bis an ihre Grenzen und er kannte kein Pardon. Nicht wenige waren bereits einmal unter seinem strengen Kommando zusammen gebrochen. An einem Tag war Rahna gerade aus der Tür getreten, als sie fast in die Knie gegangen wäre. Kaidan hatte sie gerade noch auffangen und zur nächsten Sitzgelegenheit bringen können. Sie hatte blass ausgesehen, aber sie hatte ihm mit fester Stimme versichert, dass sie sich vor Vyrnnus keine Blöße geben wollte. Und in diesem Moment war er wirklich stolz auf sie gewesen. Das Training bestand teils aus geistiger Arbeit, daraus, Gegenstände mit der Biotik zu bewegen und Schaden mit mehr schlechten als rechten Schilden abzuwenden. Und Vyrnnus zwang sie sogar dazu, selbst kleine Dinge wie ein Glas voll Wasser oder ein Pad oder einen Stift per Biotik zu sich zu ziehen, und sollte jemand gegen diese Regel verstoßen, so zögerte er auch nicht, entsprechende Strafen zu verteilen. "Natürlich sind mir die Dokumente aus der Hand gerutscht, aber seien Sie so gut und heben sie jedes einzelne Blatt biotisch auf... und bringen Sie sie in die richtige Reihenfolge." Und wenn es keine einfachen Übungen waren, dann mussten sie körperliche Arbeit leisten, da man ja Körper und Geist in Einklang halten wollte. Für jemanden wie den Commander bedeutete das wohl, dass man Körper und Geist in gleichem Maße zerstörte und die Kinder bis an ihre Grenzen trieb. Es war erschreckend  gewesen zu sehen, wie eine von Kaidans und Rahnas Mitschülerinnen auf einmal aus heiterem Himmel begonnen hatte, unkontrolliert zu lachen und gleichzeitig zu weinen. Das Mädchen war aus dem Raum gebracht worden und seitdem war ihr Platz leer. Das war vor anderthalb Wochen gewesen. Zwar konnte Kaidan nicht sagen, dass er sie gut gekannt hatte, aber dieser Verlust war schon... schwer zu verdauen. "Hätte auch jeder von uns sein können", hatte David am Abend schulterzuckend gemeint. "Komm, wir spielen 'ne Runde Karten." Der Turianer ließ keine sich ergebende Gelegenheit aus, seine Schüler zu piesacken. Kaidan war noch immer eines seiner bevorzugten Opfer, es kam des Öfteren vor, dass Dinge zu Übungszwecken durch den Raum auf ihn zuflogen oder dass er doch den anderen die tollen Dinge zeigen sollte, die er schon mit seiner Biotik zu tun vermochte und die er nicht einmal ansatzweise beherrschte. Aber so lange man still war und nicht widersprach, war man eigentlich auf der sicheren Seite. Außer der Commander hatte einen tiefgreifenden Hass entwickelt... Dann sah die Sache schon langsam anders aus. Robert taute langsam etwas auf. Auch er litt unter Vyrnnus' Tyrannei, gerade, weil er so ruhig und verschüchtert war, aber er hielt sich tapfer und versuchte, keine Miene zu verziehen, selbst, wenn der Commander ihn anherrschte und beleidigte. Am Abend war er dennoch relativ entspannt, scherzte mit den anderen, beteiligte sich am Kartenspiel und ließ sich auch ab und an für den Küchendienst einteilen. Wenn es ihm im Moment schlecht ging, dann bemerkte man es nicht. Manchmal erzählte von sich, von dem kleinen Familienbetrieb seiner Eltern, eine Viehzucht, in der er irgendwann arbeiten wollte, wenn er wieder daheim auf der Erde war. Manchmal ging er sogar auf Davids derbe Scherze ein, witzelte herum, wenn es hieß, dass sie alle zusammen ein paar Mädchen einladen sollten, um Strip Poker zu spielen. Kaidan konnte Rahna nur entschuldigend anlächeln, er hoffte, dass das nicht so kommen würde... Aber die Biotikerin drohte den beiden mit einer haushohen Niederlage und das dazugehörige selbstbewusste Lächeln ließ die Jungs erst einmal verstummen. Alles in allem war die Zeit, in der sie nicht an das BAaT denken mussten, wirklich angenehm. Bis sie an jedem Morgen aufs Neue die Wirklichkeit einholte.   "Bewegen Sie sich schneller! Ihre Kondition ist lächerlich! Wenn sie nicht einmal das durchhalten könnten, wie wollen sie dann auf Dauer von ihren biotischen Kräften Gebrauch machen?" Es war natürlich eine sehr befriedigende Idee gewesen, die dem Turianer gekommen war. Ausdauertraining. Nachdem einige von ihnen zumindest die Grundlagen der Biotik verinnerlicht hatten, war es für ihn wohl mehr als wichtig gewesen, dass sie auch die dazu nötige Kondition antrainierten. Im Dauerlauf über den riesigen Innenhof der Station. Viele von ihnen schafften kaum ein paar Runden über den kiesbehafteten Weg zu drehen, ehe sie schon schnauften und prusteten. Kaidans Kopf dröhnte unangenehm durch die Belastung und die direkte Sonneneinstrahlung. Aber Vyrnnus trieb sie weiter, anscheinend wollte er von jedem an die zwanzig Runden sehen, ehe er vielleicht zufrieden war. Rahna lief ein Stück vor Kaidan, das schwarze Haar klebte bereits an der schweißnassen Stirn. Er brauchte nur ein wenig, um aufzuholen. Früher hatte er einmal öfter Wanderungen mit seinen Eltern unternommen, ein wenig Kondition hatte er sich von damals noch bewahren können, deswegen war es im Moment noch nicht das Problem für ihn, obwohl es in seiner Brust schon ziemlich stach und brannte und ihm sein Kopf arge Schwierigkeiten bereitete. Mehr als durchhalten konnte er nicht. Und genau das versucht er. Die Biotikerin versuchte sich an einem schwachen Lächeln und hob einen Daumen, als Kaidan sie erreicht hatte. Scheinbar würde sie durchhalten. Er erwiderte die Geste und rannte weiter, überholte Dimitri und Merle, ehe er an Robert vorbei rannte, der schon fast eher taumelte als wirklich lief. "Geht es?", fragte Kaidan mit kratziger Stimme und trockenem Hals. Der andere Junge machte dieselbe Geste wie Rahna, die noch immer dicht hinter ihnen war, aber ihm kaufte sie der Biotiker nicht wirklich ab. Dennoch, eine knappe Erwiderung und er rannte weiter, Rahna dicht auf den Fersen. "Sie sind mir zu langsam, ich will vor Sonnenuntergang wieder drin sein!" Das Bild vom Sklaventreiber wäre perfekt gewesen, wenn der Turianer noch eine Peitsche gehabt hätte. Aber auch so hatte man genug Respekt vor ihm, dass man den Aufforderungen ungefragt Folge leistete. Es war immerhin auch nicht so, als hätten sie eine andere Wahl. Es verging kaum eine halbe Minute, ehe Kaidan hinter sich plötzlich einen dumpfen Aufprall hörte. "Rahna?" Er wandte sich um, lief ein wenig langsamer um das Mädchen hinter ihm anzusehen, aber sie war es nicht gewesen, die hingefallen war. Der Blick der Biotikerin wanderte zu einem Punkt hinter ihr, ehe sie gänzlich stehen blieb und kehrt machte, und dieses Mal war es Kaidan, der ihr folgte. Es war nicht Rahna gewesen. Er hörte sie nur einen Namen schreien, ehe sie los rannte. Es war Robert, dessen Blut gerade den Kies dunkelrot färbte. Kapitel 3: Three ---------------- "Go on and try to tear me down I’ll be rising from the ground Like a skyscraper" ― Demi Lovato, Skyscraper   Kaidan brauchte exakt sieben Schritte, ehe er bei Rahna und Robert war. Die Biotikerin kniete bereits hilflos neben dem Jungen, ihre Hände schwebten in der Luft, unsicher, was sie tun sollten, tun konnten, was seinen Zustand verbessern oder verschlimmern könnte... Kaidan war sofort bei den beiden, panisch redete er auf Robert ein, der vollkommen apathisch am Boden lag, die Augen weit aufgerissen, während sein Körper wie von selbst zuckte und das Blut weiter aus seiner Nase lief. Es war schon öfter schlimm gewesen, aber das hier war... anders. Er hatte sich übernommen, und nun reagierte er weder auf Berührungen. noch darauf, wenn man ihn ansprach. Als wäre er gar nicht da. "Wir müssen ihn zu den Sanitätern schaffen!" Kaidan richtete sich auf, er wollte ihn hochziehen, huckepack nehmen, wenn es sein musste, aber er musste ihn hier rausschaffen, er brauchte einen Arzt, irgendjemanden, der sich mit Biotikern und ihren Ticks auskannte, er konnte nicht hier bleiben! Rahna machte ihm Platz, sie hatte Tränen in den Augen, während sie die beiden betrachtete. "Hilf mir", bat Kaidan angestrengt, aber noch ehe Rahna auch nur einen Schritt auf ihn zu machen konnte, erklang die Stimme ihres Ausbilders hinter ihnen. "Lassen Sie ihn los, Alenko." Vyrnnus kam gemächlich auf sie zu, mit einem Gesicht, als wäre es ihm egal, dass einer seiner angeblichen Schützlinge hier gerade zusammengebrochen war. Kaidan hätte ihn am liebsten angebrüllt, ihm klar gemacht, dass Robert jetzt Hilfe brauchte und nicht erst, wenn der Turianer endlich einmal hier angekommen wäre. "Sir, Robert muss dringe-" "Hören Sie schlecht, Alenko? Ich sagte, Sie sollen ihn liegen lassen!" Vyrnnus' Stimme wurde lauter, und sein Gang wurde etwas schneller. Rahna versuchte ebenfalls, auf ihn einzureden, aber auch ihr fuhr er über den Mund, hob drohend einen Finger in ihre Richtung. "Geben Sie Ruhe." Robert, der mehr schlecht als recht auf den Beinen war und nur durch Kaidan aufrecht gehalten wurde, der sich seinen Arm um die Schulter gelegt hatte, zuckte und ächzte merklich, ehe er begann, Blut zu spucken. Kaidan sah ihn alarmiert an, und er sollte ihn auf dem Boden liegen lassen? Das war doch wohl ein schlechter Witz! Im Gegenteil, er gab gerade wirklich einen Scheiß darauf, was dieser Kerl ihm gerade befohlen hatte, er zog den anderen Biotiker mit sich. Nur kam er nicht weit. "Drückt Ihnen Ihr fehlerhaftes Implantat aufs Gehör?" Die klauenartige Hand packte ihn am Stoff seines Oberteils und riss ihn zur Seite, stieß ihn von sich, so dass sich Kaidan einen Moment später auf dem Kiesboden wieder fand, den Kopf noch schwummrig vom Sturz. Rahna war sofort bei ihm, als er sich wieder aufsetzte. Vyrnnus stand da und sah ihn einfach nur an, würdigte Robert, der ohne Kaidans Halt wieder zu Boden gestürzt war, keines Blickes, er blickte einfach nur zu ihm, als wolle er ihm allein mit seiner Präsenz beweisen wollen, dass er noch immer das Zepter in der Hand hatte, dass er entschied, wann was auch immer getan wurde. "Um Bunner wird sich schon gekümmert werden. Nicht, dass ich viel Hoffnung habe, dass er durchkommen wird, aber gut..." Mit unglaublicher Ruhe aktivierte er sein Universalgerät, tippte irgendetwas darauf ein und am liebsten hätte sich Kaidan auf ihn gestürzt, aber Rahnas Arme um seinen Körper und sein relativ gut funktionierender gesunder Menschenverstand hielten ihn zurück. Das Mädchen hielt ihn sogar so fest umschlungen, dass er nicht anders konnte, als inne zu halten. Und dennoch wandte er den Blick nicht von seinem Ausbilder ab. "Tu das nicht, Kaidan. Tu das nicht." Ihre Stimme klang tränenerstickt, und ihr Atem ging noch immer nur rasselnd. "Er wird ihn dafür leiden lassen..." "Gehen sie in Ihre Zimmer zurück", brüllte der Turianer plötzlich über den Platz. "Und sehen Sie sich im Vorbeigehen noch einmal genau an, was passiert, wenn man nicht stark genug für diese Station ist." Der gesamte Hass gegen ihren tyrannischen Ausbilder schien sich einen Moment fast schon zu verfestigen, alle blickten zu ihm, wie er Robert schon fast als Beispiel für die offensichtliche Schwäche der Menschen zu präsentieren schien. Oder es zumindest wollte. Denn jeder Blick eines jeden Mitglieds des BAaT-Trainings lag auf dem Turianer und keiner rührte auch nur einen Finger, bewegte sich auch nur einen Millimeter. Es brauchte eine zweite Aufforderung, bis die ersten sich in Bewegung setzten und sich auf zurück zum Hauptgebäude machten. Und nur widerwillig ließ sich Kaidan von Rahna auf die Beine und zurück zum Gebäude ziehen, den Blick auf den Jungen gerichtet, der noch immer zu Vyrnnus' Füßen lag.   Am Abend desselben Tages saß er auf seinem Bett, die Hände im Schoß verschränkt und starrte schweigend in die Richtung, in der Roberts leeres Bett stand. Das Bettzeug war ordentlich zusammengelegt, neben dem Kopfkissen anscheinend irgendein Glücksbringer in Form eines kleinen Shuttles. Wahrscheinlich zum ersten abenteuerlichen Ausflug in den Weltraum. Wenn seine Eltern das vorher gewusst hätten, hätten sie ihn sicherlich nie ins All fliegen, ihn nie hierher kommen lassen. Aber es hatte niemand vorher gewusst, das war das Problem. Niemand hätte ahnen können, welche Ausmaße das hier annehmen würden. Diejenigen, die unter der Führung menschlicher Fachkräfte ihre Biotiken trainierten, hatten vielleicht noch Glück, aber die anderen, wie sie, die sie unter Vyrnnus' mehr als unmenschlichen Methoden leiden mussten... Nun, sie hatten einfach schlicht und ergreifend Pech gehabt. Der Turianer sprengte jegliche Grenze, jede Richtlinie war für ihn nur ein kleines Hindernis, das er überwinden musste, damit er seine Schüler weiter an den Rand einer Klippe treiben konnte. Es war kein Wunder, dass einige schon übergeschnappt waren, denn die Nachricht, die Lehre des Commanders war einfach, aber wirkungsvoll: Lern oder stirb bei dem Versuch. Werde ein Übermensch oder ein seelisches Wrack. Es ist deine Wahl. Nur, dass es nicht ihre Wahl war, es war nicht so, als könnten sie mehr tun, als ums schiere Überleben und ihre geistige Gesundheit zu kämpfen. "Wie geht es dir?" Kaidan riss seinen Blick endlich von Roberts Bett los und sah zu Rahna hinüber, die im Türrahmen stand und ihn besorgt musterte. "Oh, hey...", brachte er leise hervor. Selbst auf diese Entfernung konnte er erkennen, dass ihre Augen noch immer gerötet waren und plötzlich verspürte er den immensen Drang, ihr über die Wange zu streichen. Doch er hielt sich zurück, musterte sie stattdessen einfach nur schweigend. Als würde das helfen, wenn er eine beruhigende Geste versuchen würde. Doch es war Rahna, die ihn schließlich zu trösten versuchte. Schweigend kam sie zu ihm, setzte sich neben ihn auf das Bett und legte die die Hand auf sein Knie, eine Geste, die so einfach wie tröstend zugleich war. Dankbar schloss er einen Moment die Augen, ehe er vorsichtig die Hand auf ihre legte und sie festhielt. Es war verdammt schwer, nicht auf die Schlafstätte gegenüber zu blicken, aber wenn er sich davon nicht losreißen konnte, dann würde er dieses Ereignis wahrscheinlich nie überwinden können. "Den Umständen entsprechend", antwortete er schließlich. Das war nicht wirklich die Wahrheit, aber gelogen war es auch nicht. Es ging ihm nicht gut, aber es hätte wohl alles schlimmer kommen können. Für andere und für ihn selbst auch. Und dennoch war es im Moment wirklich ein Gefühl, das ihn nahezu zu ersticken schien. Wahrscheinlich, weil er sich noch immer fragte, wieso das alles hatte passieren müssen. Aber das war eine Frage, auf die er wohl niemals eine Antwort erhalten würde. Und auch damit musste er umzugehen lernen. "Keine gute Lüge." Kaidans Mundwinkel zuckten, als er Rahnas halb vorwurfsvolle Worte hörte. Ja, das war wirklich keine besonders gute Lüge gewesen, aber was sollte er denn machen? Er war nicht derjenige der am heutigen Tag alles verloren hatte. "Ich sollte seine Sachen zusammenpacken." Seine Stimme klang selbst in seinen Ohren viel zu tonlos und auch die Biotikerin schien es zu bemerken, an der Hand hielt sie ihn fest, hielt ihn davon ab, aufzustehen und genau das zu tun, was er gerade angekündigt hatte. Kaidan sah wieder zu ihr, fast schon entschuldigend, als hätte er gerade irgendetwas falsch gemacht. Aber Rahna schüttelte nur den Kopf. "Ich helfe dir." Sie drückte noch einmal kurz seine Hand, ehe sie ihn losließ und zu Roberts Kleiderschrank hinüber ging, um seine Sachen zu holen. Kaidan zog die kleine Reisetasche unter dem Bett hervor und stellte sie darauf, nahm sich dann selbiges und den Schreibtisch vor, um sie leer zu räumen. Viel gab es nicht einzupacken, ein paar Bücher und zwei Fotos von Robert und seiner Familie. Sein Vater, ein Mann, wie man sich einen Farmer vorstellte, mit breiten Schultern, muskulösen Oberarmen und einem Vollbart, seine Mutter, eine stämmige Frau mit gelocktem Haar, ein Mädchen, das sicherlich seine große Schwester Abigail war und ein Hund, dessen Namen sich Kaidan nicht hatte merken können. Vorsichtig steckte er die Fotos zwischen die Seiten eines Buches, damit sie nicht knicken würden. Ansonsten war der Schreibtisch beinahe unangetastet und leer. Schweigend griff Kaidan nach einem der Kleidungsstücke, die Rahna vom Schrank her gebracht hatte und faltete es auseinander, um das kleine Modellflugzeug darin einzuwickeln. Es sollte ja nicht kaputtgehen, wenn sie es ebenfalls in die Tasche steckten. Nachdem das erledigt war, sahen sie sich noch einmal um, suchten den Raum nach Sachen ab, die sie eventuell vergessen haben könnten. Aber sie schienen wirklich alles eingepackt zu haben. Kaidan zog mit einem resignierten Seufzen den Reißverschluss der Tasche zu, dann gab es für sie hier wohl nicht mehr allzu viel zu tun. Schweigend starrte er in den nun viel leerer wirkenden Raum. Zwei leere Betten. Das war wirklich kein schöner Anblick. Im Gegenteil. "Diese Drecksäcke!" David kam in den Raum gestürmt, das Gesicht vom Laufen oder seinem angestauten Ärger gerötet, so dass es sogar seinem Haar Konkurrenz machen konnte. Er schmiss die Tür mit einem lauten Knall hinter sich ins Schloss und lief Kreise im Raum, als wäre er ein Tiger in einem viel zu kleinen Käfig. Nun, dieses Gefühl konnte Kaidan sogar noch gut nachvollziehen. "Was ist los?", fragte er den anderen Biotiker schließlich, was ihn dazu brachte, zumindest einen kleinen Moment inne zu halten, durchzuatmen und dann in Richtung Tür zu deuten. "Die wollen nicht mal seinen Eltern Bescheid geben!" David spuckte diese Worte beinahe schon aus, als könne er nicht fassen, dass jemand wirklich so etwas gesagt hätte. Rahna und Kaidan standen wie vom Donner gerührt da, sie wollten es ihnen nicht sagen? Aber... sie mussten! Seine Eltern hatten das Recht zu erfahren, was mit ihrem Sohn geschehen war! Am Besten hätte es noch das gesamte Universum erfahren! "Sie sagen, es bestünde keine Notwendigkeit. Immerhin ist er ja noch nicht tot!" Das war es ja. Noch nicht, aber er war noch immer so kurz davor, dass es Kaidan die Brust zuschnürte, wenn er nur daran dachte, was ihnen die Ärzte beim Besuch gesagt hatten.   Sie mussten ein paar Stunden vor der Krankenstation warten, ehe man ihnen überhaupt sagte, wie es im Robert stand. Und noch einmal eine ganze Weile, bis sie sie ihn auch sehen ließen. Zumindest für einen Augenblick. Die erste Frage der Ärzte war, ob sie denn "Abschied nehmen wollten". Die drei sahen  fassungslos in das Gesicht des Mannes, der sie das gefragt hatte, Rahna schlug bereits die Hände vors Gesicht , als er sie - zumindest auf seine sehr seltsame Art und Weise - beruhigen wollte. Der Zustand des Jungen sei sehr kritisch, aber er sei am Leben. Noch. Denn wenn er nicht in eine medizinische Einrichtung gebracht wurde, die besser ausgerüstet war als diese hier auf Jump Zero, dann würde es nur eine Frage der Zeit sein, bis das ohnehin schon fehlerhafte Implantat noch mehr Schäden an Roberts Gehirn anrichtete. Falls dergleichen denn überhaupt noch möglich war. Anscheinend hatte sich das Implantat langsam aber sicher in einen der Hirnlappen gegraben und einige Zellen und Blutgefäße beschädigt, die das häufige Nasenbluten und alles weitere ausgelöst haben mussten. Es war wohl ein Wunder, dass es noch nicht schlimmer gekommen war... Aber was nicht war, konnte anscheinend dennoch noch immer werden. Sie alle fragten sich wohl, warum sie sich verdammt noch mal nicht auf dieser Station um die Biotiker kümmern konnten, wenn sie hier lebten - oder wohl eher ihr Dasein fristeten. Was nützte denn diese Station, wenn sie nicht einmal dafür ausgerüstet war. Aber wahrscheinlich war es Conatix oder der Allianz oder dem gesamten Universum schlichtweg egal  gewesen, ob den Kindern und Teenagern hier etwas passierte. Eine provisorische Krankenstation hatten sie, aber mehr auch nicht. Nichts, was wirklich auf die Bedürfnisse der Biotiker zugeschnitten war. Das war mehr als lächerlich! Und nun mussten sie um Roberts Leben bangen, während es dieser gesamten Station wirklich egal war. Schlicht und ergreifend egal! "Wohin bringen Sie ihn?" Rahna hatte sich mittlerweile zumindest wieder etwas gefangen und blickte zu den Ärzten, von denen einer ein Salarianer war, ein recht echsenähnlicher Außerirdischer mit großen schwarzen Augen. Seine Haut war mit grünen Flecken gesprenkelt und er tippte ab und an hektisch auf seinem Universalgerät umher, wahrscheinlich wartete er auf Nachricht von dem besser ausgerüsteten Krankenhaus am anderen Ende dieses Sonnensystems oder... Kaidan wusste es nicht. Doch was auch immer es war, er hoffte, dass sie sich beeilen würden. Es ging hier immerhin um das Leben eines Freundes! Eines sehr guten Freundes. "Leider dürfen wir Ihnen darüber keine Auskunft geben", war die kaltschnäuzige Antwort. "Prinzipiell hätten wir Ihnen nicht einmal sagen dürfen, was ihm fehlt. Aber man wird sich dort um ihn kümmern, Sie müssen sich also keinerlei Sorgen machen." Keinerlei Sorgen. Einen Moment lang hatte Kaidan Sorge, dass David dem Salarianer die Finger um den dürren Hals legen würde, um ihm zu zeigen, wie es aussah, wenn er sich eben keine Sorgen machte. Aber der Biotiker hielt sich zurück, sah lediglich zu Kaidan hinüber, der ihm beruhigend die Hand auf die Schulter legte. "Er wird nicht ansprechbar sein, wir mussten ihn zu seinem eigenen Besten in ein künstliches Koma legen. Aber gehen Sie ruhig zu ihm." Das ließen sie sich nicht zwei Mal sagen. Schweigend traten sie in das kleine, separate Zimmer, in dem Robert im Moment untergebracht war. Sein Gesicht war leichenblass, er war an einem Beatmungsgerät angeschlossen, um die Sauerstoffversorgung zu gewährleisten. In seinem Arm steckten einige Nadeln, deren Schläuche zu Flüssigkeiten in einem Tropf führten. Betreten versammelten sich die drei um das Bett, betrachteten ihn, wie er fast schon leblos dalag, und Rahna nahm vorsichtig seine Hand. "Sie ist eiskalt." "Wir sind Laborratten für die." Davids Stimme klang hohl, ein bitterer Zug zeichnete sich um seinen Mund ab, die Hände waren zu Fäusten geballt. Einen Moment lang erinnerte sich Kaidan an das andere leere Bett in ihrem gemeinsamen Zimmer. Er wollte sich gar nicht vorstellen, dass David das alles schon einmal hatte durchmachen müssen. "Wenn sie uns nicht mehr brauchen, werden wir entweder umgebracht oder an den Rand des verschissenen Universums geschifft." "Shh." Rahna blickte David vorwurfsvoll an, und Kaidan war sich sicher, dass sie ihn verstand, aber das waren Worte, die im Moment nicht halfen. Die Vorstellung, dass Robert sterben könnte, machte sogar alles nur noch einmal so schlimm und noch einmal so unerträglich. "Dann zeigen wir denen, dass wir uns nicht  wie Ratten behandeln lassen." Kaidan trat neben Rahna, sah, wie sie Roberts Hand in den ihren hielt, wie sie verzweifelt versuchte, die Tränen zurück zu kämpfen. "Denn es wird nicht besser werden. Es war nie besser." Vyrnnus würde sie weiter so behandeln, als wären sie damals als Neandertaler besser in ihren Höhlen geblieben. Aber so war er eben einfach. Er war diese Art von Turianer, der ein bissiges Vergnügen darin fand, sie zu piesacken und zu quälen. Aber nicht jeder auf dieser Station war so. Nicht jeder Turianer war so. Das wusste er, das wusste er einfach. Und deswegen würde er sich nicht von Vyrnnus brechen lassen. "Ich werde das durchstehen. Egal, was noch kommen wird. Egal, was ich noch ertragen muss. Ich werde es für Robert durchstehen." Irgendwann würde das alles ein Ende haben, und er würde diesen Tag erwarten. Das hier war nicht für ewig, und er hatte nicht vor, diese eine Person  über sein Leben bestimmen zu lassen. Die beiden anderen nickten in stiller Zustimmung, sie hatten nicht vor, sich allzu leicht aufzugeben oder sich zerstören zu lassen. Das hier mochte schwer sein, nahezu unerträglich, aber sie hatten einen Grund zu kämpfen. Für ihre Freunde und sich selbst. Und auch, wenn es schwierig war... irgendwie würden sie es schon schaffen. "Wir sehen uns wieder", versprach er Robert leise, ehe er sich schweren Herzens von ihm löste. Rahna schluchzte leise auf, ehe sie die Hand, die sie bis eben fest umschlossen gehalten hatte, wieder zurück auf das Bett legte. David murmelte etwas Unverständliches, ehe er sich an die anderen wandte. "Ich will noch mal mit den Ärzten reden. Ich komme später nach." Einen Augenblick noch sahen sie alle zu Robert und verabschiedeten sich in drückender Stille,  ehe sie ihrer Wege gingen.   "Liebling?" Kaidan öffnete die Augen wieder, er musste sie unbewusst geschlossen und den Kopf in Richtung Tischplatte gesenkt haben, als er sich mit beiden Händen die Schläfen gerieben hatte. Sein Kopf schien im Moment explodieren zu wollen, seit dem Vorfall heute war es nur noch schlimmer geworden. Viel schlimmer. "Entschuldige", meinte er leise und blickte wieder auf, sah direkt in das besorgte Gesicht seiner Mutter, das mit einer ziemlich dürftigen Auflösung auf dem Bildschirm vor ihm dargestellt war. Es tat gut, sie zu sehen. Sehr gut sogar. Das letzte Mal, dass sie hatten sprechen können, war lange her, und auch, wenn sein Vater heute nicht dabei sein konnte, so war es dennoch eine wirkliche Erleichterung, ein bekanntes und geliebtes Gesicht zu sehen. Zwar war die Kommunikation mit der Familie nur einmal im Monat gestattet, aber Kaidan hatte einfach heute mit ihr sprechen müssen. "Was hattest du gesagt?" "Ich habe gefragt, ob es dir gut geht." Aber angesichts ihres Gesichtsaudrucks hatte sich diese Frage wohl schon erledigt, sie hatte gerade festgestellt, dass dem wohl augenscheinlich nicht so war. Kaidan wollte gar nicht wissen, wie er aussah. Wahrscheinlich gingen seine Augenringe bis zu den Kniekehlen, wahrscheinlich sah er blass und abgemagert aus. Aber genau das war nun einmal seine momentane Verfassung. Und sie passte zu seiner Gefühlslage. "Klar, um mich brauchst du dir keine Sorgen machen, Mom." Wenn du nur wüsstest... Aber es würde ihr das Herz brechen, würde er ihr sagen, wie er sich wirklich fühlte. Das konnte er nicht über sich bringen. Schon gar nicht, wenn sein Vater nicht bei ihr war, um ihr eine Stütze zu sein und sie zu trösten. "Ganz sicher? Du siehst so erschöpft aus, da mache ich mir Sorgen..." "Jaaa", meinte Kaidan so locker wie möglich und zuckte leicht die Schultern, während er sich ein klägliches Lächeln abrang, das hoffentlich irgendwie echt aussah. "Ich hab' gestern nicht sonderlich gut geschlafen." Eigentlich hab ich die ganzen letzten Tage kaum geschlafen und heute wird es wohl nicht anders sein. Aber auch diesen Gedanken schluckte er hinunter, das konnte er nicht sagen. Er konnte einfach nicht. Auch, wenn er sich nichts sehnlicher wünschte, als dass sie ein Shuttle schicken würde, um ihn von hier weg zu holen. Aber was nicht sein sollte, sollte wohl einfach nicht sein. Und das Einzige, was er für seine Eltern tun konnte, war, sie davor zu bewahren, vor Sorge kaputt zu gehen. "Oh", hörte er seine Mutter lediglich antworten. Vor seinem inneren Auge konnte er geradezu sehen, wie sie das Taschentuch, das sie sicherlich in den Händen hielt, durchknetete und faltete und einfach nervös damit spielte. "Und wie geht es deinen Freunden? Und diesem netten Mädchen, von dem du erzählt hast? Rahna?" Treffer, versenkt. Unbewusst hatte sie gerade das schmerzhafteste Thema ausgewählt, das sie hatte anschneiden können. Aber gut, nun musste er das durchstehen. Augen zu und durch. "Denen geht es gut. Allen." Wie sehr es in der Brust schmerzte, sie zu belügen. Und sich selbst. Aber was sollte er sonst sagen? Na ja, Robert liegt im Koma und wird wohl selbst das Sprechen neu lernen müssen, wenn er wieder aufwachen sollte. Und Rahna weint schon den ganzen Tag, ohne, dass ich sie trösten kann. Und David hat vorhin einen Stuhl gegen die Wand geworfen. "Wir treffen uns nachher wieder zum Kartenspielen." Scheinbar war sie nun etwas beruhigt, jedenfalls lächelte sie zufrieden, als sie hörte, dass mit seinen Freunden alles in Ordnung war. Gut, dann hatten die Lügen wenigstens einem guten Zweck gedient. Mehr oder minder. "Und... du und dieses Mädchen, seid ihr...?" "Mom!" Seine jetzige Bestürzung musste er nicht einmal spielen, was fragte sie denn da? Das ging doch nicht! Als ob er und Rahna, also Rahna und er... Nein, nein, wie kam sie denn auf diesen Gedanken, das war doch absurd! "Das erste Mal, dass ich dich heute richtig lächeln sehe", hörte er seine Mutter liebevoll sagen und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er bei der Vorstellung wirklich gelächelt haben musste. Nun ja, vielleicht irgendwann? Es war... ein netter Gedanke. Die Durchsage, dass die Zeit abgelaufen war, ertönte, und Kaidan sah seine Mutter ernst an. Würde sicher eine Weile dauern, bis er es wieder sagen konnte. Wenn überhaupt. "Ich liebe dich, Mom." Er konnte den Schmerz in den Augen seiner Mutter sehen, als er das sagte. Sie wusste, dass er gelogen hatte, richtig? Sie musste es wissen. "Ich dich auch, Kaidan. Ich dich auch."   Als er zurück ins Zimmer kam, war er von dem geschäftigen Treiben überrascht. Ein paar Leute aus seiner Klasse waren hier, diejenigen, mit denen er sich relativ gut verstand, sie saßen auf dem Boden oder den wenigen Möbelstücken. Rahna saß wieder auf seinem Bett, und berichtete wohl allen von dem, was vorgefallen war. Die Leute hingen geradezu an ihren Lippen, nicht aus schierer Neugier, denn in vielen Gesichtern spiegelte sich auch Sorge wieder, Sorge um Robert, Sorge um sich selbst. Kaidan setzte sich nicht zu ihnen, er schenkte lediglich Rahna einen Blick, die ihn aufmunternd anlächelte. Und es half. Irgendwie war ihm jetzt trotz allem etwas leichter zumute. Jetzt konnte er daran glauben, dass sie es schaffen würden. Alle zusammen. Und ihre kleine Gruppe war heute um ein gutes halbes Dutzend gewachsen. Die anderen gingen nicht, als es dunkel wurde. Die schliefen auf dem Boden, auf den Stühlen, aber sie blieben hier. Keiner von ihnen wollte jetzt alleine sein. Kaidan stieg über ein paar der Leute. Rahna war auf seinem Bett eingeschlafen, zusammengerollt wie eine Katze, das schwarze Haar hing ihr ins Gesicht. Vorsichtig zog Kaidan die Decke unter ihr hervor und deckte sie zu, strich ihr ein paar Strähnen hinter die Ohren, ehe er zurück zum Fensterbrett ging und sich darauf setzte. Schweigend blickte er auf den großen Innenhof, der von Scheinwerfern ausgeleuchtet wurde. Wie ein Hochsicherheitstrakt. "Kannst du nicht schlafen, Kanada?" David stand von seinem Bett auf und kam zu ihm, ließ sich ihm gegenüber nieder und lehnte den Kopf gegen das kühle Fensterglas. Er sah genauso fertig aus, wie sich Kaidan fühlte. Vyrnnus mochte nicht sein Ausbilder sein, aber er fühlte mit ihnen, er sorgte sich mit ihnen. Und er schien auch genauso mit ihnen zu leiden. "Noch nicht." Kaidan zog ein Knie an und legte den Arm darauf, das andere baumelte über den Rand des Fensterbretts. Seufzend riss er den Blick von dem Platz vor seinem Fenster los und sah wieder zu David. "David. Sagst du mir, wem das leere Bett gehört hat?" Der rothaarige Biotiker verzog das Gesicht, augenscheinlich war schon die Erinnerung daran zu viel für ihn. Kaidan hatte lange mit sich gerungen, ob er fragen sollte, aber was machte es schon für einen Unterschied? Mehr als "Nein" konnte David ja nicht sagen. "Meinem Zwillingsbruder." In der Ferne hörten sie ein Raumschiff starten. Eines, das wohl einen Freund von ihnen von hier fort brachte. Kapitel 4: Four --------------- "Cause I'm only a crack in this castle of glass. Hardly anything else I need to be.  Hardly anything there for you to see." - Linkin Park, Castle Of Glass Zu sagen, dass man alles durchstehen würde, was noch auf einen zukam, das war leichter, als es am Ende wirklich zu tun. Zumindest versuchte Jump Zero ihren Willen zu brechen, so gut es ging. Wären da nicht die Abende gewesen, die sie alle zusammen verbringen konnten... Nun, dann wären wohl noch einige mehr von ihnen dem schieren Wahnsinn anheim gefallen. Einmal öfter kam die Frage auf, warum denn die Allianz - einer der größten Geldgeber dieser gesamten Unternehmung - nichts unternahm. Dagegen, dass die Schüler hier, die eigentlich nur den Umgang mit der Biotik erlernen sollten, wie Tiere behandelt wurden, dass es keine ordentliche Versorgung für sie gab, nicht einmal Ärzte, die sich mit ihren Bedürfnissen und Sorgen und Krankheiten wirklich auseinander zu setzen vermochten... Aber wahrscheinlich war das wirklich mehr als klar - Die Allianz kam nicht hierher. Es gab nicht genug Leute, um davon auch noch einige zu einer Stippvisite auf die Gagarin Station zu schicken und nach dem Rechten zu sehen. Wahrscheinlich waren die Berichte von Conatix an die Allianz über die Entwicklung des BAaT verschönert und ließen Rückschläge, Todesfälle und jegliche andere negative Entwicklung einfach unter den Tisch fallen. Die Allianz dachte, dass es ihnen hier wirklich gut gehen musste. Ebenso sollten es die Eltern denken. Nicht umsonst waren immer ein paar Angestellte von Conatix dabei, wenn mit den Familien gesprochen wurde. Es war mehr als einmal der Fall gewesen, dass bei negativen Entwicklungen der Gespräche einfach eine Verbindungsstörung vorgegaukelt wurde. Immerhin wollte man ja nicht, dass sich die Eltern der Kinder Sorgen machten, wo doch alles so wunderbar lief für ihre Kinder und sie endlich unter ihresgleichen sein konnten, um sich weiter zu bilden. Was für ein Witz. "Kanada, wenn du Rahna noch einmal absichtlich gewinnen lässt, dann sind wir geschiedene Leute!" David warf mit einem Grummeln die Karten auf den Boden und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Kaidan blinzelte ihn etwas verständnislos an, er hatte doch überhaupt nichts gemacht? Jedenfalls nicht absichtlich. Jedenfalls nicht mit vollster Absicht. Mit ein wenig vielleicht noch, aber... "Ich lasse überhaupt niemanden absichtlich gewinnen", antworte er stirnrunzelnd. "Und überhaupt finde ich es noch immer ungerecht, dass du sie beim Vornamen nennst und mich noch immer Kanada." "Sie ist 'ne Lady! Ich kann sie nicht einfach Türkei nennen, das passt nicht zu ihr. Bei dir hingegen ist das was ganz anderes." Der rothaarige Biotiker zuckte nur mit den Schultern, ehe er die Karten wieder zu mischen begann. Mit einem unzufriedenen Schnauben gab ihm Kaidan seine restlichen Karten und wartete darauf, dass sie wieder ausgeteilt werden würden. Heute waren sie erst einmal nur zu dritt in Kaidans und Davids Zimmer, der Rest würde später nachkommen. Einige sprachen wohl heute mit ihren Eltern, andere wollten sich noch etwas zu Essen machen und wieder andere hatten sich nach einem erneuten kräftezehrenden Tag schon schlafen gelegt. Einige kamen schon gar nicht mehr dazu, sich zu erholen, so sehr wurden sie gefordert. Es hatte mehrere Zusammenbrüche gegeben in der letzten Zeit, weil ihnen keine Zeit gegeben wurde, wieder Kräfte zu sammeln. Eine Nacht reichte bei Weitem nicht aus, um wieder auf die Beine zu kommen, aber wenn am nächsten Tag schon wieder zweihundert Prozent von ihnen gefordert wurden... Nun, dann konnte man irgendwann nur noch unter der Last zusammenbrechen. Und beten, dass man nicht enden würde wie Robert - wobei das für einige gar keine so schlechte Aussicht zu sein schien, wenn man bedachte, dass man dann immerhin von dieser Station herunter kam. Wie lange waren sie schon hier? Kaidan konnte sich nicht mehr wirklich erinnern. Über ein halbes Jahr sicherlich schon, wahrscheinlich noch viel länger. Irgendwann vergaß man, die Tage zu zählen, man hoffte nur noch, dass es aufhören würde. Irgendwann. "Kaidan." "Hm?" Überrascht blickte der Biotiker zu Rahna hinüber die schräg von ihm saß und ihn mit einem herzerwärmenden Lächeln bedachte. War er mal wieder in Gedanken versunken gewesen? Hatte er irgendwas vergessen? Würde ihn nicht mal wundern, ab und an fiel es ihm schwer, sich bei den immer wiederkehrenden Kopfschmerzen auf etwas zu konzentrieren. "Ja, Rahna?" Die Türkin lachte leise auf, ehe sie den Kopf schüttelte. "Nichts. Nur Kaidan, nichts weiter. Du wolltest doch beim Vornamen genannt werden?" Er konnte David schnauben hören, während ihm selbst eine angenehme Wärme in die Wangen stieg, eine, die er schon öfter einmal gespürt hatte, wenn sie so lächelte oder irgendetwas sagte, ihn lobte und generell mit ihm sprach. Normal war das wahrscheinlich nicht, und er würde sich hüten, weiter zu denken. Denn es war einfach so, dass jeder Rahna mochte. Wirklich jeder. Was nur allzu verständlich war, wo sie immer freundlich zu jedem war, immer zuvorkommend und niemals ein bösartiges Wort verlor. Sie war wahrscheinlich das, was viele Lete schlicht und ergreifend perfekt nennen würden. Sicher, das war nur seine Ansicht, aber er konnte sich vorstellen, dass es anderen ebenso erging. Auch, wenn ihn das auf eine gewisse Art und Weise etwas eifersüchtig machte. Doch immerhin gab es doch auch diese Momente hier. Die, in denen ihr Lächeln wirklich nur für ihn gedacht war. Und auch das war etwas, an dem man festhalten konnte. Momente, die ein ziemliches Herzklopfen auslösten. Eigentlich hatte er nie an so einen Unsinn von wegen Schmetterlingen im Bauch oder dergleichen geglaubt. Aber auch nach siebzehn Jahren konnte man wohl noch eines Besseren belehrt werde. "Oh, ähm... Dankeschön." "Um Gottes Willen, ich ziehe gleich aus und nehm' mir 'n anderes Zimmer, dann habt ihr Zeit, euch gegenseitig beim Vornamen zu nennen oder irgendwas dergleichen!" Kopfschüttelnd wurden die Karten verteilt, während Kaidan und Rahna ein kurzes Lächeln austauschten, ehe sich die Biotikerin an David wandte. "Wir dich doch auch, David." "Ihr könnt mich mal. Alle beide." Lachend nahmen sie alle drei ihre Karten zur Hand. Das war etwas, das alles hier erträglich machen konnte. Den Unterricht, wenn man ihn denn noch so nennen wollte, die Strafen, die Vyrnnus ihnen auferlegte, das gesamte Wissen, dass sie hier untereinander sein konnten, wer sie waren. Aber alle guten Dinge fanden irgendwann ein Ende... "Nun, zumindest scheinen Sie ja etwas zu können. Dinge anzuheben und angehoben zu lassen ist zwar wirklich nichts Besonderes, aber ich denke, bei Leuten wie Ihnen muss ich schon für Kleinigkeiten dankbar sein." Vyrnnus ging prüfend durch die Reihen, betrachtete die Schüler, die schwitzend und keuchend versuchten, die Gewichte, die biotisch vor ihnen in der Luft schwebten, auch dort zu halten. Der Turianer hatte sich von Anfang an nicht damit aufgehalten, sie mit leichten Objekten hantieren zu lassen. Im Gegenteil, es war von vornherein verlangt worden, dass sie alles, was sie zur Hand nehmen wollten und konnten, biotisch anheben und zu sich ziehen mussten. Und ein fünfzig Kilogramm schweres Gewicht vor sich in der Luft schweben zu lassen, war für viele keine Kleinigkeit. Himmel, einige von ihnen waren immerhin so abgemagert, dass sie es nicht einmal per Hand würden heben können! Und wahrscheinlich hatten sie im Moment einfach nur Glück, dass er keines davon nahm und auf sie schleuderte. Denn auch so etwas war in der letzten Zeit öfter vorgekommen. Vyrnnus schien mit jedem Tag aggressiver zu werden, seine Strafen wurden härter, ab und an war er sogar schon handgreiflich geworden und hatte sich nicht damit begnügt, lediglich Gegenstände nach ihnen zu werfen. Kaidan war sich zuweilen nicht sicher, ob es ihm nicht eigentlich zuwider war, dass die Schüler Fortschritte machten. Dass die dummen Menschen versuchten, in Wissen und Kraft ein wenig die Lücke zu schließen, die sich zwischen ihnen und den außerirdischen Rassen noch immer auftat. Logisch wäre es, immerhin sagte er oft genug, dass die Menschen besser auf ihrem kleinen, rückständigen Planeten geblieben wären, anstatt zu versuchen, sich der intergalaktischen Gemeinschaft anzuschließen. Er wäre dann schließlich von alledem hier verschont geblieben und hätte nicht den lieben langen Tag versuchen müssen, anscheinend hoffnungslosen Fällen sein Wissen näher zu bringen. "Lassen Sie sie runter." Die Gewichte herunter zu lassen bedeutete nicht einmal, dass sie sie einfach fallen lassen konnten. Im Gegenteil, mit allergrößter Vorsicht mussten die Gewichte auf dem Tisch platziert werden, und das so leise wie möglich. Wer es sich einfach machen wollte, durfte jedes Mal zur Strafe noch einmal eine gute halbe Stunde damit zubringen, einen Gegenstand nach Vyrnnus Wahl in der Luft schweben zu lassen. Einmal hatte er sogar selbst einen Schüler in die Luft gehoben und mit voller Wucht von der Decke zu Boden fallen lassen. "Sehen Sie? Ihnen würde das auch nicht gefallen." Die Konzentration im Raum war fast greifbar, als jeder versuchte, den Gegenstand vor sich zurück auf den Tisch schweben zu lassen. Ein paar Mal war ein leises Geräusch zu hören, als die schweren Dinger auf die Platte trafen, aber ein wirklich lautes Geräusch verursachte keiner - weil jeder wusste, wie dumm das gewesen wäre. Wahrscheinlich gefiel das Vyrnnus nicht wirklich, unzufrieden lehnte er an seinem Pult und betrachtete die schwitzende und schwer atmende Gruppe von Teenagern vor sich. Wie ein Falke, der nur darauf wartete, dass seine Beute einen Fehler beging. Wahrscheinlich war es das, was so viele von ihnen schon halb wahnsinnig und paranoid hatte werden lassen. Die Angst vor der geringsten Blöße, die sie sich geben könnten, wenn sie nicht zu einhundert Prozent konzentriert waren. Einige von ihnen wischten sich mit dem Handrücken über das Gesicht, um das Nasenbluten zu stoppen, dem viele von ihnen immer wieder ausgesetzt waren. Andere zogen ihre Gläser mit Wasser mithilfe ihrer Kräfte zu sich heran, um einen Schluck zu trinken. Darunter auch Kaidan und Rahna und - Oh nein. Nein, nein, nein, nein! Kaidan sah mit großen Augen, wie sich Rahna müde über die Stirn fuhr und nach ihrem Glas Wasser griff. Gut, vielleicht würde es Vyrnnus nicht sehen, vielleicht sah er gerade in die genau andere Richtung und würde es nicht einmal bemerken! Aber kaum, dass sich die Finger der Türkin um das Glas geschlossen hatten, da schlug es ihr eine Klaue aus der Hand, und das Glas zerschellte an der nächsten Wand in tausend kleine Scherben, während das Wasser den Boden durchtränkte. Große. Scheiße. "Da hat wohl jemand wieder die Regeln vergessen." Die Stimme des Commanders klang fast schon amüsiert, als er Rahnas Handgelenk packte und sich zu ihr vorbeugte, während die junge Biotikerin nur schlucken und ob des festen Griffs leise wimmern konnte. "S-Sir, es tut mir leid! I-ich habe nicht daran gedacht..." "Nicht daran gedacht?" Vyrnnus spie ihr diese Worte regelrecht entgegen, packte ihr Handgelenk noch fester, während seine andere Hand ihr Kinn umfasste und sie zwang, ihn anzusehen. Kaidan ballte die Hände zu Fäusten, er wollte sich zwingen, ruhig zu bleiben, aber er konnte nicht. Sein viel zu lauter Herzschlag, der seinen Verstand mit einem lauten Tu endlich was! übertönte, musste ihn schon fast verraten, es war beinahe ein Wunder, dass Vyrnnus ihn noch nicht gehört hatte. "Nicht daran gedacht...", wiederholte der Turianer noch einmal und ließ Rahnas Kinn los. Kaidan konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber sie zitterte wie Espenlaub, was angesichts dieser Bedrohung nur allzu verständlich war. Beiß die Zähne zusammen, er wird ihr schon nichts tun. Und das war genau das, was nicht stimmte. Zwar war Rahnas Kinn losgelassen worden, aber die nun freie Hand ihres Ausbilders fuhr mit einer einzigen fließenden Bewegung zu ihrer Schulter und packte sie dort so fest, dass sie leise aufschrie. "Ich sollte dafür Sorge tragen, dass Sie nicht noch einmal nicht daran denken, meinen Sie nicht auch?" "Sir, bitte, nein...!" Kaidan verstand, noch bevor es überhaupt passierte. Es war ein einziger Moment, ein paar winzige Sekunden, aber wenn man es mitansehen musste, dann fühlte es sich an wie eine Ewigkeit. Der Turianer zog das Mädchen halb auf den Tisch, ignorierte jegliches Wimmern und Schreien und Flehen und die entsetzten Gesichter der anderen. Die Knochen einer menschlichen Frau hatten dem Griff nicht viel entgegen zu setzen. Es war ein Ruck, eine kurze Bewegung, und mit einem Mal erfüllte ein lautes Knacken den Raum, begleitet von einem Schrei. Nein, zwei Schreien. "NEIN!" Rahna wurde losgelassen und blieb schluchzend mit dem Oberkörper auf dem Tisch liegen. Das Mädchen neben ihr wollte ihr helfen, aber Vyrnnus herrschte sie an, nichts zu tun, genau, wie er es damals bei Kaidan getan hatte, als er Robert hatte helfen wollen. Doch lag sein Blick nicht mehr länger auf ihr oder Rahna, deren Fingernägel sich fast in die Tischplatte bohren wollten. Nein, er hatte seine Aufmerksamkeit jemand ganz anderem gewidmet. "Haben Sie ein Problem mit meinen Erziehungsmethoden, Alenko?" Kaidan war von seinem Platz aufgestanden, die zitternden Hände noch immer zu Fäusten geballt, die Zähne fest zusammengebissen und sah den Turianer einfach nur hasserfüllt an. Es war genug. Es war endgültig genug. Wahrscheinlich sollte er sich jetzt einen Idioten schimpfen, denn er fühlte sich tief im Inneren wie einer, aber gleichzeitig wollte er genau das auch nicht. Das hier war das Richtige und auch, wenn ihn der Rest der Klasse ansah, als hätte er den Verstand verloren, es war das, was er tun musste. "Ich habe sie etwas gefragt, Alenko!" Mit festen Schritten kam Vyrnnus auf ihn zu, wie damals schon am ersten Tag, und wieder blieb er vor ihm stehen, die Klauen auf sein Pult gelegt. So schloss sich wohl der Kreis. Ein tiefer Atemzug, ehe Kaidan zu ihm aufsah. Selbst im Stehen war er noch einen guten Kopf kleiner als der Turianer, aber im Moment scherte ihn das nicht, im Moment war ihm das alles egal. "Ja", antwortete er schließlich mit so fester Stimme wie möglich, während sein Verstand versuchte ihm klar zu machen, dass er hier einen großen, sehr großen Fehler beging. Nur dumm, dass er so von seinen anderen Gedanken übertönt wurde. "Ja, was?" "Ja, ich habe ein Problem damit." Er war sich nie sicher gewesen, ob Turianer grinsen konnten. Oder lächeln. Aber wenn sie es konnten, dann würde Vyrnnus' Gesicht jetzt wohl genau das zeigen. Ein diabolisches Grinsen, wie bei jemandem, der eine Spinne gefangen hatte und sich jetzt genüßlich daran machte, ihr jedes Bein einzeln auszureißen. Es wurde nicht einmal mehr ein einziges Wort gesprochen, wahrscheinlich hielt es der Turianer nicht für nötig, seine nun folgenden Taten anzukündigen oder zu rechtfertigen. Kaidan hatte ihm augenscheinlich genug Gründe gegeben, einfach zu tun, was er jetzt einfach tat. Denn das nächste, das Kaidan spürte, war der Faustschlag mitten in sein Gesicht. "Du solltest wissen, dass es mich nicht kümmert, was du denkst." Die Stimme des Turianers troff nur so vor Hass und Abscheu, als er den wankenden Kaidan packte und ihn zu Boden warf, als wäre er kaum mehr als ein nasser Sack. Als nächstes folgte ein Tritt, direkt in seine Magengrube. Kaidan rang keuchend nach Luft und versuchte panisch rückwärts und auf dem Rücken liegend aus Vyrnnus' Reichweite zu gelangen, aber vergebens. Sein Ausbilder war so in Rage, dass es ihm anscheinend egal war, ob er Kaidan damit töten würde. Wahrscheinlich musste er sogar dankbar sein, dass er seine Schläge und Tritte nicht biotisch verstärkte, denn das würde ihm wahrscheinlich jeden Knochen im Leib einfach zertrümmern. Und er selbst hatte nicht einmal die Chance, auch nur eine Barriere um sich zu errichten, so sehr bedrängte ihn der Turianer. Vyrnnus packte ihn am Kragen seiner Kleidung und zog ihn mit, ehe er ihn mit voller Wucht gegen das Pult vorne im Raum schlug. Einmal. Zweimal. Dreimal. Kaidan presste es die Luft aus den Lungen, und vergeblich umgriff er den Arm des Turianers, krallte sich hinein, versuchte, den Griff etwas zu lösen, natürlich vollkommen vergeblich. Und dann folgte ein weiterer Schlag, genau gegen die Schläfe, so dass Kaidan einen Moment wie benommen war. "Sie hätten euch damals alle zurück in die Steinzeit bomben sollen!" Vyrnnus zog ihn wieder auf die Beine, nur, um ihn kurz darauf auf das Pult zu wuchten. "Als ob die Galaxie euch brauchen würde!" Kaidan konnte Blut schmecken, als die Faust sein Gesicht ein drittes Mal traf. Er versuchte, den Turianer zu treten, aber entweder gingen seine unkoordinierten Tritte ins Leere oder es war dem Turianer egal, dass er getroffen wurde. Als würde eine Mücke versuchen, einen Elefanten zu stechen. "Ihr denkt, ihr seid so etwas Besonderes? Ihr seid nichts!" Der Turianer beugte sich weiter über ihn, eine Hand schloss sich um Kaidans Hals und drückte fest zu. Verzweifelt versuchte der junge Biotiker, etwas dagegen zu unternehmen, aber je mehr er sich wehrte, umso fester drückte Vyrnnus zu. Irgendwo glaubte Kaidan, jemanden schreien zu hören. Vielleicht Rahna. Vielleicht jemand anderen. Haltet bloß die Klappe, dachte er, während er sich weiter unter dem festen Griff wand und der Turianer nur weiter und weiter auf ihn einprügelte. Seid bitte einfach still! "Nichts weiter als Kakerlaken!" Der Griff um seinen Hals wurde etwas lockerer, Vyrnnus schien für einen Moment abgelenkt zu sein, Kaidan konnte es nicht sehen, aber musste wohl in seinen Taschen nach etwas suchen. Rasselnd holte Kaidan Luft und versuchte, sich aufzurichten, als er schon wieder nach unten gedrückt wurde und sein Hinterkopf mit voller Wucht auf der Tischplatte landete. Und dann sah er es. Direkt vor seinem Gesicht ließ sein Ausbilder ein Messer aufschnappen, drehte es nachdenklich in der Hand, ehe er wieder zu Kaidan sah. "Warum so still? Sonst hast du doch auch so eine große Klappe!" Ein freudloses, bösartiges Lachen ging durch den Raum. "Vielleicht habe ich hier etwas, um deinen Lippen wieder ein wenig zu öffnen..." Kaidan sah sich schon fast von dem Messer durchbohrt, aber das, was Vyrnnus schlussendlich tat, war noch viel, viel schlimmer. Willkürlich fuhr der mit der Klinge über Kaidans Mund, ritzte zeitweise tief in die Haut, betrachtete sein Werk nachdenklich. Kaidan spürte die brennenden Schnitte und biss die Zähne zusammen, während er sich unter dem festen Griff wand. Es würde nicht einmal etwas bringen, nach dem Turianer zu schlagen, er konzentrierte all seine Kraft darauf, nicht zu schreien, er wollte ihm auf keinen Fall das geben, was er sich augenscheinlich so sehr ersehnte! "Nun? Keinen Ton dazu zu sagen, Alenko? Nun, dann bringen wir das hier zu Ende!" Was folgte, war der schlimmste Schmerz, den Kaidan bis dato jemals gespürt hatte. In einer einzigen langsamen Bewegung fuhr die Klinge von oben nach unten, schnitt durch seine Haut, seine Oberlippe, die Unterlippe. Kaidan konnte das Blut schmecken. Er konnte spüren, wie die Haut sich schmerzhaft auseinander zog. Und jetzt konnte er nicht einmal mehr schreien, selbst, wenn er gewollt hätte. Wahrscheinlich war es das Wissen, dass das hier das Ende sein würde - sein Ende - wenn er nichts unternahm, das dazu führte, dass auf einmal wie von selbst ging. Es war so, wie es schon bei Rahna gewesen war. Alles schien ihn Zeitlupe abzulaufen. Kaidan spürte den elektrischen Impuls, der durch seinen Körper raste. Er sah das blaue Leuchten, das seinen Körper im Bruchteil einer Sekunde umhüllte. Und er sah, dass Vyrnnus es auch sah. Sie beide wussten, was das bedeutete. Er oder ich. Vyrnnus riss das Messer nach oben, bereit, es auf Kaidan niedergehen zu lassen. Kaidan winkelte sein Bein im Bruchteil einer Sekunde an und ließ es nach oben schnellen. Sein Stiefel traf den Kiefer des Commanders. Die Knochen knirschten unter der Wucht des Tritts. Der Kopf flog in einem schier unmöglichen Winkel in den Nacken. Ein weiteres Knacken ging durch den Raum. Mit einem gurgelnden Geräusch, das Kaidan durch Mark und Bein fuhr, ging der Commander zu Boden, das Messer fiel neben ihm zu Boden. Schreie gingen durch den Raum. Kaidan rutschte vom Tisch und fiel hin, versuchte vergeblich, sich wieder auf die Beine zu bringen. Er sah Vyrnnus' Körper schwach zucken, doch seine Sicht wurde immer schlechter. War das sein Blut, dass da zu Boden tropfte? Ein Arzt. Er wusste nicht, ob er das Wort noch aussprach oder nicht, aber er betete, dass irgendjemand einen holen würde. Schnell. Kapitel 5: Five --------------- "I've given everyone I know a good reason to go. But I came back with the belief that everyone I love is gonna leave me." - Fun, All Alright   Er fühlte sich mehr als benommen, als er schließlich wieder erwachte. Einen Moment lang hatte er gehofft, dass er einfach nur einen echt beschissenen Traum gehabt hätte, aber spätestens, als er den dumpfen Schmerz in seinem gesamten Körper spürte, da wusste er, dass das wohl alles real gewesen sein musste. Und das war wirklich ein verdammt mieses Gefühl. Und damit hatte sich wohl auch der Gedanke erledigt, dass er vielleicht einfach Zuhause aufgewacht war. Aus einem sehr, sehr langen Albtraum. Kaidan versuchte gar nicht erst, die Augen zu öffnen oder sich aufzusetzen, denn was auch immer danach folgen würde, es würde definitiv unangenehm sein. Er hatte seinen Ausbilder angegriffen. Sicher, er hatte das nur getan, um sich zu verteidigen, aber als ob das hier jemanden interessieren würde...? Doch nicht in dieser Art von Einrichtung. Er fuhr sich ächzend mit der Hand über die Stirn und erstarrte einen Moment, als er die Bandage spürte. Blinzelnd öffnete er die Augen, das grelle Licht blendete ihn einen Moment, ehe sich seine Augen langsam daran gewöhnten und er überhaupt irgendetwas erkennen konnte. Erst einmal die gekachelte Decke, die eigentlich nur zur Krankenstation gehören konnte und dann seine Hand. Mittel- und Ringfinger seiner rechten Hand waren dick in einen Verband gewickelt, ebenso die Handfläche. Hatte er sich die Finger auch gebrochen? Er konnte sich an einiges erinnern (wobei er das eigentlich wirklich, wirklich gar nicht wollte), aber an das...? Nun, wahrscheinlich machte es bei der Menge an Verletzungen auch keinen wirklichen Unterschied mehr. Ihm tat ja ohnehin alles weh, da machte das bisschen jetzt auch nichts mehr. "Kaidan." Er löste leicht ungläubigen den Blick von seiner Hand, als die Stimme wie durch eine Schicht aus Watte an seine Ohren drang und drehte den Kopf zur Seite. Zur falschen Seite, niemand zu sehen. Toll, er musste wirklich im Eimer sein, wenn er im Moment links nicht einmal von rechts unterscheiden konnte. Fast hatte er erwartet, dass Rahna an seinem Bett sitzen würde, den gebrochenen Arm in einer Schlinge, aber froh darüber, dass er aufgewacht war und glücklich, dass ihm nichts weiter passiert war. Wobei nichts weiter in diesem Zusammenhang wohl wirklich nur bedeutete, dass er nicht tot war. Aber es war nicht Rahna, die bei ihm saß. Nicht, dass er über den jetzigen Anblick nicht auch erfreut gewesen wäre, aber einen kleinen Stich versetzte es ihm schon, sie hier nicht zu sehen. Aber wahrschenlich war sie einfach selbst in Behandlung oder musste gerade etwas erledigen. Vielleicht würde sie später kommen, um ihn zu besuchen. Ganz sicher würde sie das machen. Kaidans Lippen formten den Namen seines Besuchers, aber mehr als ein heiseres Keuchen bekam er kaum zustande. Außerdem durchzuckte ihn ein wirklich unangenehmer Schmerz, wenn er versuchte, den Mund weiter zu öffnen. Die Finger seiner gesunden Hand fuhren vorsichtig über seine Lippen. Auf der linken Seite war sie wohl notdürftig mit ein paar Stichen genäht worden, die Haut unter seinen Fingern fühlte sich mehr als wund an. Natürlich. Vyrnnus' Versuch, ihm die Lippen wieder etwas zu öffnen... "Scheiße, du bist echt hinüber." David betrachtete ihn mit einem sorgenvollen Gesichtsausdruck, einem, den er bei dem anderen Biotiker noch nie gesehen hatte. Er musste also wirklich mehr as mitgenommen aussehen. In Davids Augen wahrscheinlich sogar beschissen. Mit einem leisen Stöhnen versuchte Kaidan, sich etwas aufzusetzen, eine Hand auf seine Rippen gepresst, von denen sicher auch einige durch die Tritte in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Und wenn ihm die Ärzte Schmerzmittel gegeben hatten, dann wirkte es bei ihm wirklich nicht sehr gut, die Schmerzen waren schier unerträglich, sobald er sich nur ein einziges Mal falsch bewegte. "So schlimm?", fragte Kaidan schließlich heiser, als er sich wieder einigermaßen gefangen und David ihm ein Glas Wasser gereicht hatte, das er mehr über sich gekippt als wirklich getrunken hatte. Als würde es jetzt noch etwas ausmachen, wenn er sich wie der letzte Trottel anstellte. Sehen konnte ihn außer David ohnehin niemand, und der war zu besorgt, als dass er sich wie sonst darüber hätte lustig machen können. "Du willst im Moment in keinen Spiegel sehen, glaub mir." Zwar versuchte sich David an einem schwachen Lächeln, aber es wurde überschattet von Sorge und ein paar schlaflosen Nächten. Jedenfalls sagten das die dunklen Ringe unter seinen braunen Augen. Und tatsächlich war Kaidan wohl anderthalb Tage weggetreten gewesen. Anderthalb. Er wusste nicht, ob er erschrocken darüber sein sollte oder froh, dass er zumindest nicht wie Robert seinerzeit in ein künstliches Koma verlegt wurde. Aber wenigstens schien es seinem Kopf den Umständen entsprechend zu gehen - als hätte jemand mit einem Hammer auf ihn eingeprügelt. "Verdammt." Kaidan sah zu David hinüber, der den Kopf schüttelte und auf die Bettdecke starrte. "Ich hab' wirklich gedacht, dass es bei dir auch so enden würde wie bei Robert und Jimmy..." Jimmy. Ja, irgendwann hatte David ihm die Geschichte von seinem Zwillingsbruder erzählt. Im Moment war es schwer, sich alle Einzelheiten in Erinnerung zu rufen, aber am Ende hatte es geendet, wie es hatte enden müssen, wenn man Kinder zu weit an den Rand ihrer Kräfte trieb. Irgendwann war er einfach umgefallen. Umgefallen und nie wieder aufgestanden. Wahrscheinlich war das auch etwas, das jedem von ihnen passieren könnte, wenn der Druck und die Erwartungen und der Stress nur hoch genug waren. "Tut mir leid", antwortete Kaidan leise und blickte auf seine Hände. Was genau ihm leid tat, wusste er nicht. Aber es gab wahrscheinlich einiges. Und es gab einige Fragen, die beantwortet werden mussten. Zu dem gesamten Vorfall - er war sich sicher, dass David und die gesamte Station davon gehört hatten - zu Rahna, zu Vyrnnus... zu allem eben. "Wie geht es Rahna?" Auch, wenn es für viele nicht die wichtigste Frage gewesen wäre, für Kaidan war sie es. Ging es ihr gut, abseits von dem gebrochenen Arm? War sie vielleicht selbst noch hier auf der Krankenstation? Davids Gesicht schien sich für einen Moment zu verfinstern, und er wagte es kurzzeitig nicht einmal, Kaidan anzusehen, ehe er lautstark seufzte und wieder zu ihm blickte. "Der geht es gut. Sicher, der Arm ist gebrochen, aber na ja, das war auch alles, was der passiert ist." Wie er den spöttischen Unterton in der Stimme des anderen Jungen zu deuten hatte, wusste er nicht wirklich. Für ihn klang es fast, als hätten sich die beiden gestritten gehabt. Warum auch immer, denn das würde absolut keinen Sinn für ihn machen. Schließlich hatte es nie mehr als kleine, freundschaftliche Streitereien zwischen den beiden gegeben und das meist nur wegen Kartenspielen. "Warst ja du, der alles abbekommen hat." Kaidan ließ es dabei bewenden. Wenn es ihr gut geht, dann war das alles, was er wissen musste und wollte. Davon ab merkte er doch, dass David das Thema irgendwie mehr als unangenehm war, aus Gründen, die er noch nicht verstand. "Und... was ist mit Vyrnnus?" Jetzt war seine Stimme unwillkürlich doch etwas leiser geworden als geplant. Einerseits wollte er gar nicht wissen, was mit dem Turianer passiert war und andererseits wollte er hören, dass er keine unheilbaren Schäden angerichtet hatte. Dieser Kerl mochte ein Arschloch ohnegleichen gewesen sein, aber dennoch... "Der hat bekommen, was er verdient hat." Kaidan weitete die Augen bei den Worten, die er gerade hörte. Nein. "Die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun. Der wird nie wieder auch nur einen einzigen Menschen anrühren." Sein Mund war mit einem Mal ziemlich trocken, als er David ansah und versuchte zu verarbeiten, was ihm gerade gesagt wurde. "Ich habe ihn umgebracht." "Du hast dich gewehrt! Was dein gutes Recht war, wo der Typ dich fast zu Tode geprügelt und aufgeschlitzt hat!" "Ich wollte aber nie..." "Scheiße, verdammte!" David war auf den Füßen, und der Stuhl hinter ihm fiel klappernd zu Boden, als er urplötzlich aufgestanden war. "Hättest du lieber abgestochen werden wollen?" Kaidan sah ihn mit einem gequälten Gesichtsausdruck an. Nein. Nein, das hätte er natürlich nicht gewollt. Aber dennoch, dass er ihm mit einem einzigen Tritt getötet hatte... er hatte nichts davon gewollt. Kopfschüttelnd blickte er zu David, der den Stuhl wieder aufstellte und sich mit einem lauten Seufzen wieder darauf fallen ließ. "Entschuldige, Kaidan. Ich bin auch etwas mit den Nerven runter." Er jetzt wagte der Biotiker etwas zu fragen, was ihm schon vorher unwillkürlich in den Sinn gekommen war. "Kaidan? Seit wann bin ich nicht mehr Kanada?" Nicht, dass er den Spitznamen vermissen würde, aber es kam dennoch wirklich überraschend, dass ihn David auf einmal beim Vornamen nannte. Immerhin hatte er ihm doch erklärt, warum er das bei ihm nie getan hatte. David verschränkte die Hände im Schoß und sah ihn auf einmal mit einem zugleich bedauernden und erleichterten Ausdruck im Gesicht an. "Weil du es geschafft hast, Kaidan. Ich hab dir gesagt, dass ich niemanden beim Vornamen nenne, bei dem ich nicht weiß, ob er es hier schafft. Hast du aber." Er sah Kaidan die Stirn runzeln. Sicher, Vyrnnus war keine Gefahr mehr, aber deswegen hatte er doch nicht alles überstanden. Immerhin gab es doch Jump Zero noch immer. Und so lange es diese Station gab, würde sie auch weiterhin junge Biotiker in die Knie zwingen. "Sie schließen die Station. Heute Morgen kam die Durchsage." Ein paar tote Schüler hatte Conatix sicherlich vor der Allianz geheimhalten können, aber einen toten Ausbilder? Nein, jetzt hatten die Verantwortlichen der Firma auspacken müssen und die Allianz hatte entsprechend gehandelt und die soforte Schließung der Station befohlen. Alle Kinder würden wieder nach Haus gebracht werden, scheinbar versprach mach ihnen sogar eine Entschädigung für alles, was diese Station ihnen und ihren Familien angetan hatte. Für viele - nein, eigentlich für alle - von ihnen war das das, was sie sich schon so lange gewünscht hatten. Endlich hatten die Quälereien hier ein Ende, endlich konnten sie ihre Eltern, Geschwister und Freunde wiedersehen. Kaidan verließ die Krankenstation noch am selben Abend, obwohl die Ärzte dagegen waren. Sicher, er war noch nicht wieder ganz auf den Beinen, aber die Aussicht, dass er bald wieder nach Hause konnte, trug einiges dazu bei, dass er sich rasch wieder besser fühlte. Oder so gut, wie es eben ging. Außerdem wollte er noch mit Rahna sprechen, ehe sie den Planeten verließen. Vielleicht war das eine seiner letzten Gelegenheiten, und er wollte sie nicht verstreichen lassen. "Bist du dir sicher, dass du zu ihr willst?" Kaidan wandte sich zu David um und sah ihn fast ungläubig an, wieso sollte er das nicht wollen? Er musste sich sicher sein, dass es ihr wirklich gut ging, ihr fragen, ob alles in Ordnung war, vielleicht musste er sogar noch mehr tun... Aber ja, er war sich mehr als einfach nur sicher. "Natürlich. Wieso? Sollte ich das nicht?" "Nein, nein. Ich meine nur... Ach, nicht so wichtig." David blieb kurz vor der Tür zu Rahnas Zimmer stehen, während Kaidan einen Schritt durch die offene Tür machte. Bis vor ein paar Sekunden hatte hier noch geschäftiges Treiben geherrscht, Sachen wurden gepackt, Späße gemacht, Zukunftspläne geschmiedet. Und mit einem Mal verstummte jegliches Gespräch und Kaidan wusste, dass es wegen ihm war. Das Schlimme daran war nur, dass dieses Schweigen sich nicht anfühlte, als würde man ihn in irgendeiner Art und Weise für seine Taten würdigen wollen oder irgendetwas dergleichen. Nein, dieses Schweigen war unangenehm, nahezu angsterfüllt. Sie starrten ihn an, als wäre er irgendwie gefährlich oder bissig oder... Vyrnnus. Rahna kam langsam zu ihm, während der Rest der Mädchen in ihrem Zimmer so tat, als würden sie sich wieder ans Sachen packen machen. Was nur bedeuten konnte, dass sie umso aufmerksamer lauschen wollten. "Kaidan." Die Biotikerin blieb mit einem ziemlich großen Abstand zu ihm stehen. Sicher, vorhin hatte Kaidan sein Gesicht kurz im Spiegel gesehen und sich selbst erschrocken über den riesigen Schnitt in seinem Gesicht und die blauen Flecken um seine Augen und die Würgemale auf seinen Hals, aber er hatte gehofft, dass es ihr nicht allzu viel ausmachen würde. Aber das war wohl ein falscher Gedanke gewesen. "Uhm, hey", brachte er leise hervor. Er wagte es noch immer nicht, den Mund weiter als nötig zu öffnen, er hatte nicht wirklich ein Interesse daran, dass sich die Fäden lösten oder dass es wieder zu bluten begann. Mit der gesunden Hand rieb er sich den Nacken und sah sie peinlich berührt an. Er hatte sich einige Dinge zurecht gelegt, die er hatte sagen wollen, aber jetzt, wo er vor ihr stand, da war das alles wieder einmal wie weggeblasen. "Wie geht es deinem Arm?" Dumme Frage. Immerhin steckte er noch in einer Schlinge und er wusste, dass es einzige Zeit dauern würde, bis der Bruch wieder verheilt sein würde. Aber das war doch normalerweise etwas, das man fragte, oder? Einfach nur, um sicher zu gehen...? "Wird schon wieder", lautete die knappe Antwort, ehe sich Rahna kurz zu ihren Freundinnen umwandte, als würde sie um Hilfe bitten wollen, als wüsste sie nicht, was sie mit dem Jungen hier in ihrem Türrahmen anfangen sollte. Sie sah wieder zu ihm. "Hör zu, ich muss weiterpacken, wenn uns morgen das Schiff abholt..." "Ich wollte auch nicht lange stören", beeilte sich Kaidan zu sagen, er wollte überhaupt nicht stören, er hatte nur nach ihr sehen wollen. Und dass sie ihn jetzt so wegschicken wollte, das versetzte ihm schon einen kleinen Stich, aber gut, er störte, das verstand er natürlich. "Ich habe dich nur kurz besuchen wollen und ich dachte, ehe wir alle nach Hause fliegen... Nun ja..." Er hatte ja auch nicht viel erwartet. Gar nicht viel. Nicht einmal ein Danke. Nicht einmal eine Erklärung, warum sie ihn nicht besucht hatte. Er wusste selbst nicht einmal mehr, was er denn erwartet hatte, als er hierher gekommen war. Jedenfalls nicht, dass er schon nach einer knappen Minute wieder weggeschickt werden würde. Rahnas Blick war innerhalb dieser Minute unstet gewesen, sie sah alles an, nur nicht ihn. Wollte sie nicht oder konnte sie nicht? Sicher, er war kein schöner Anblick, aber immerhin hatte er sich doch für sie eingesetzt... Es war vielleicht nicht die klügste Entscheidung seines Lebens gewesen, aber immerhin hatte er sie für Rahna getroffen. "Du warst doch jetzt hier." Kaidan sah die Türkin fast schon fassungslos an. Das war alles? Er hatte fast sein Leben für sie geopfert und sie... sie schickte ihn fort? Sie trat einen Schritt zurück, ihr Blick huschte durch den Raum. Sie hatte Angst. Es war nicht wegen seinem Äußeren oder dergleichen. Sie hatte Angst vor ihm. Deshalb wich sie zurück. "Rahna", begann er unsicher. "Ich wollte nicht... I-ich dachte einfach nur..." Sie ging noch weiter zurück, als wolle sie sichergehen, dass er sie nicht mehr erreichen, dass er ihr am Ende nicht noch etwas antun könnte. "Du bist wirklich ein undankbares Miststück!" Mit einem Ruck schob David ihn zur Seite, anscheinend konnte und wollte er sich dieses Trauerspiel nicht mehr mitansehen. "Er wäre fast für dich gestorben!" Rahna blickte David mit offenem Mund an, unfähig, irgendetwas auf diesen (vielleicht sogar berechtigten) Vorwurf zu erwidern. Sie stand nur da, rang die Hände und blickte von David in jede andere Richtung und wieder zurück. "David..." Kaidan trat zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter, aber der andere Biotiker schüttelte sie ab. "Und du besuchst ihn nicht mal! Du dankst es ihm nicht einmal!" "David." "Ehrlich, du solltest dich schämen!" "David!" Kaidan packte ihn am Kragen, zwang ihn dazu, zu ihm zu sehen und zu verstehen, dass er ihm etwas sagen wollte. "Ist schon gut. Lass uns... lass uns einfach gehen, ja?" Einen Moment lang hatte er Sorge, dass David ihn wegstoßen würde, so zerknirscht, wie er ihn ansah. Als könnte er nicht glauben, was Kaidan da gerade sagte. Als wäre überhaupt nichts gut. "Sag nicht, dass du Verständnis dafür hast, dass sie dich wie den letzten Dreck behandelt." Kaidan sah traurig zu ihm auf, wagte es nicht noch einmal, zu Rahna zu blicken, die die beiden wahrscheinlich wie vom Donner gerührt anstarrte. "Doch... Habe ich." Schweigend wandte er sich um und ging, darauf vertrauend, dass David ihm gleich folgen würde. Wütend zwar, aber er würde ihm folgen.   Am selben Abend noch saß er vor den Monitoren, die ihm eine Verbindung zu seiner Familie ermöglichen sollten. Das letzte Mal, ehe er nach Hause zurückkehren würde und vielleicht wäre das auch nicht nötig, wenn er nicht aussehen würde, wie er aussah. Aber doch, wahrscheinlich war es genau das. Die Verbindung stand bereits, aber die Kamera hatte er im Voraus schon im Menü ausgeschaltet. Es gab da schließlich... einige Dinge, die seine Familie nicht sofort sehen musste. Besonders seine Mutter nicht. Und wenigstens stand dieses Mal kein Sicherheitsoffizier hinter ihm, der ihn bei dem Gespräch belauschen konnte. Wofür denn auch noch? Wenn die Station ohnehin geschlossen wurde, dann brauchten sie auch keine Aufpasser mehr, die verhinderten, dass sie verbotene Dinge ausplauderten. "Kaidan?" Die Stimme seines Vaters drang durch den Lautsprecher zu ihm durch und er sah ihn gerade mit gerunzelter Stirn an seinem eigenen Monitor basteln. Gut, Kaidan konnte die beiden sehen, sie ihn aber nicht. " Ich habe kein Bild. Die Verbindung steht wohl nicht wirklich." "Doch, tut sie", meinte Kaidan müde und rieb sich über die Stirn, atmete einmal schmerzerfüllt aus, als seine Finger die blauen Flecken streiften. "Ich hab'... die Bildübertragung ist noch ausgeschaltet." "Was soll denn das, Kaidan?" Dieses Mal war es seine Mutter, die sprach und sie klang mehr als ängstlich und besorgt. Und ihr Gesicht spiegelte das auch nur allzu gut wieder. "Ist etwas passiert?" Okay, bleib stark, ganz ruhig, es kann nichts mehr passieren. Er musste nur einmal tief durchatmen, die Nachrichten waren sicher noch nicht bis zu ihnen durchgedrungen. Warum sollten sie denn auch? Es gab immerhin keinen Grund, weswegen sie den Eltern der Schüler Bescheid geben sollten. Er musste es ihnen einfach nur selbst sagen. Er würde wieder nach Hause kommen. Er würde bald wieder daheim sein. Sehr bald sogar. "Junge, jetzt schalte die Übertragung ein!" "Vorher möchte ich, dass Mama das Zimmer verlässt." Kaidan versuchte, seine Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen, aber sie zitterte merklich. Sein Kopf schmerzte und augenscheinlich hörte langsam das Schmerzmittel auf zu wirken. Und seine Mutter musste ihn nun wirklich nicht in diesem erbärmlichen Zustand sehen, wenn er sich wegen der Schmerzen halb auf dem Stuhl krümmte. Die Stimmen seiner Eltern überschnitten sich, seine Mutter protestierte, sein Vater wohl ebenso, dann stritten sie kurz untereinander, deuteten auf den Monitor und Kaidan hatte das Gefühl, sein Kopf würde platzen, wenn sie so weitermachen würden. Er meinte es doch wirklich nur gut! "Mom. Bitte." Mit einem Mal herrschte Schweigen und einen Moment lang dachte er, dass man ihm seine Verzweiflung wirklich angehört haben musste, wenn sie auf einmal so still waren. Seine Mutter starrte auf den Bildschirm, fast, als könnte sie ihn plötzlich doch sehen, auch, wenn das vollkommen unmöglich war. Es war sein Vater, der schließlich wieder das Wort ergriff. "Gut." Es folgten ein paar bittende Worte an seine Frau und auch, wenn sie anfangs noch vehement widersprach und fast den Tränen nahe zu sein schien, so gab sie am Ende doch nach, als ihr Mann sie weiterhin bat und meinte, dass Kaidan sicher einige gute Gründe hätte, darum zu bitten. Und die hatte er wirklich. Schweigend warteten sie, bis sie aus der Tür war, ehe Kaidan überhaupt erst in Betracht zog, mit zittrigen Fingern die Tasten für die Bildübertragung aktivieren zu wollen. "...Hey, Dad. Versuch, dich nicht allzu sehr zu erschrecken, okay?" Er sah, wie sich sein Vater müde über die Augen fuhr, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Monitor richtete. Und lediglich nickte. Sicher, es gab nicht viel, was er noch nicht gesehen hatte, aber dennoch wollte Kaidan ihn wenigstens gewarnt haben. Ein weiterer, tiefer Atemzug, dann schaltete er ein. Und einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen, während sich die beiden in die Augen sahen. Kaidan war es, als würde sein Vater sein Gesicht durch den Monitor hindurch abtasten, ehe er sich mit der Hand über den Mund fuhr. "Großer Gott, Kaidan..." "Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht", versuchte er ihn zu beruhigen, auch, wenn es ganz und gar nicht der Wirklichkeit entsprach. Nun, wobei, eigentlich war es nicht einmal gelogen, es war sogar schlimmer, als es aussah. Aber das musste er im Moment nicht wissen, richtig? "Lüg mich nicht an, Junge", sagte sein Vater ernst. Mittlerweile war er augenscheinlich froh, dass seine Frau nicht mehr mit im Zimmer war, um sich das hier ansehen zu müssen. "Was ist passiert?" "Ein - uhm - Unterrichtsunfall." Was so gesehen nicht gelogen war. Aber für die Details fehlte ihm im Moment einfach die Zeit. Das konnte er alles noch erzählen, wenn er wieder daheim war. Er sah schon, wie sein Vater den Mund öffnete, wahrscheinlich um zu fragen, in welcher Art Unterricht mit Messern hantiert wurde, aber Kaidan hob schnell die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. Aus Reflex natürlich die rechte Hand, was seinen Vater nur noch einmal herzhaft fluchen ließ. "Dad, hör zu. Die Leute von Conatix oder die Allianz oder... ach, es ist auch egal. Sie schließen die Station. Wir können alle wieder nach Hause. Ich werde euch dann alles erklären, ja? Wirklich alles." Für einen Augenblick schien es, als würde sich die ganze steife Haltung seines Vaters mit einem Mal entspannen und er atmete erleichtert aus. Waren wohl die besten Nachrichten der letzten Monate gewesen. "Sie bringen euch alle nach Hause? Wann?" "Morgen schon. Die Reise wird ein wenig dauern, aber wie es heißt, werden sie uns wieder bis vor die Haustür bringen." "Müssen sie nicht." Sein Vater schüttelte den Kopf und verschränkte die Hände vor dem Kinn. "Ich traue den Kerlen keinen Meter mehr weit. Das hätte ich von Anfang an nicht tun dürfen. Sollen sie dich bis zum Raumhafen bringen. Von da hole ich dich ab. Wird Zeit, dass du nach Hause kommst, Junge." Im Moment konnte Kaidan gar nicht anders, als seinem alten Herren dankbar dafür zu sein, dass er das für ihn tun wollte. Mit brennenden Augen biss er sich auf die Unterlippe, was angesichts der Umstände eine wirklich dumme Idee war und nickte dann mit dem Hauch eines Lächelns auf dem Gesicht. Seinem Vater waren die Umstände wohl egal. Augenscheinlich dachte er nur, dass alles, was passiert war, unmöglich Kaidans Schuld sein könnte. Es musste an den Typen von Conatix liegen, sie waren Schuld, sie und niemand sonst... Und er war ihm wirklich dankbar, dass er das alles so sah. Auch, wenn er die Wahrheit noch gar nicht kannte. "Erklärst du Mom das alles?", fragte er dann leise. Wahrscheinlich war es besser, wenn er das in Ruhe tat, um sie nicht weiter aufzuregen. Kaidan wollte auf keinen Fall, dass sie nach hinten umfiel, wenn sie ihn das erste Mal sehen würde. Deswegen hatte er sich überhaupt erst dafür entschieden, mit seinem Vater allein zu sprechen. "Ich wollte ihr das alles jetzt nicht zumuten." "Natürlich." "Okay. Danke, Dad. Ich werde dann weiter Sachen packen gehen." Viel würde es nicht sein, aber zumindest hätte er dann eine Beschäftigung und müsste nicht weiter über alles nachdenken, was in der letzten Zeit vorgefallen war. Und morgen würde es dann endlich wieder nach Hause gehen. Endlich. "Kaidan. Und wie geht es dir mit alledem?" Die Frage seines Vaters traf ihn ein wenig unvermittelt. Er blinzelte ein paar Mal. Mit alledem? Mit der Schließung der Station? Mit seinem Zustand? Damit, dass Rahna ihn mehr fürchtete als sie Vyrnnus je hätte fürchten können? "Dieses Mal ohne all die Lügen oder Ausreden." Natürlich. Seinen Vater hatte er noch nie gut belügen können. Wahrscheinlich war das einfach nicht möglich. "Beschissen", antwortete er schließlich ehrlich. Schlicht und ergreifend beschissen, wenn er daran dachte, was alles geschehen war in den letzten Tagen. Die Mundwinkel seines Vaters zuckten. Er war nie ein Mann vieler Worte gewesen, aber die meisten davon trafen immer ins Herz. "Wir werden das ändern, wenn du wieder hier bist, Kleiner. Versprochen." Kapitel 6: Six -------------- "Tell them I was happy And my heart is broken All my scars are open Tell them what I hoped would be Impossible" - Arthur James, Impossible Das Raumschiff lag am nächsten Morgen bereits in dem kleinen Raumhafen vor Anker, als sie nach draußen gingen, als wartete es nur darauf, sie von Jump Zero fortzubringen. Nun, die meisten von ihnen begrüßten diesen Umstand, eigentlich schien ihn jeder einzelne Mensch hier zu begrüßen - abgesehen von den Leuten von Conatix und der Allianz, die sich wohl bald für all die Fehler und Verstöße und Unfälle würden rechtfertigen müssen. Falls denn die gesamte Sache nicht einfach im Sande verlief und niemals jemand mehr darüber sprechen würde. Denn wahrscheinlich würden genau dafür die Entschädigungen gezahlt werden, und genau deswegen würden die Leute von Conatix auch mit den Eltern und anderen Familienangehörigen sprechen wollen. Viele wollten sicher nicht einmal etwas von alledem hören, einige wollten wahrscheinlich nicht einmal ihre ach so gefährlichen Kinder zurück, und wieder andere... nun, wieder andere wollten einfach nur genau das. Sie wollten ihre Kleinen wieder bei sich und somit in Sicherheit wissen und nicht am anderen Ende der Galaxie. Die ersten Biotiker machten sich schon auf den Weg ins Schiff, sie konnten es kaum erwarten, von diesem unglückseligen Ort fortgebracht zu werden. Es herrschte überall Gedränge, von überall drangen Gesprächsfetzen bis zu ihm vor. Gespräche und Lachen und freudige Stimmen im Allgemeinen. Kaidan hielt sich ein wenig abseits von den anderen - und wahrscheinlich hielten sich auch alle anderen abseits von ihm. Schweigend saß er im Schatten eines großen Pfeilers und starrte zu Boden. Wozu auch den Blick heben? Als ob es etwas Interessantes zu sehen gäbe. Sein blauer Kapuzenpullover war mittlerweile viel zu weit für ihn geworden, die Zeit hier musste ihm mehr zugesetzt haben als gedacht, der Stoff schlackerte nur so um ihn herum, aber im Moment könnte ihn nichts weniger interessieren als die Tatsache, dass seine Kleidung eben nicht mehr direkt auf der Haut anlag. Immerhin war er ohnehin insgesamt kein sonderlich schöner Anblick und das wusste er. Und auch alle anderen machten keinen Hehl daraus, ihm zu zeigen, dass sie seine Nähe nicht wirklich schätzten, was für ihn ein wirklich, wirklich bedrückendes Gefühl war. Es war nur ein Nachmittag gewesen, den er wieder da gewesen war, aber die Abneigung die ihm entgegen geschlagen war, und die Angst, die sie kaum hatten verstecken können, hatten ihm heftige Magenkrämpfe und Kopfschmerzen beschert. Er wusste zwar, warum sie Abstand zu ihm hielten, aber allein die Tatsache, dass er sich unter Außenseitern wie ein Außenseiter fühlte, dass sie ihn mieden wie irgendeinen Schwerverbrecher, der in ihrer Mitte lediglich akzeptiert wurde, allein das machte ihn wirklich fertig. Eine ganze Zeit lang hatte er hier trotz allem das Gefühl gehabt, dass er dazu gehören würde, dass sie Biotiker unter sich Freunde waren, ein Team, dass sie einfach füreinander da waren und zusammenbleiben würde, ganz egal, was auch immer kommen würde. Aber dem war nicht so, und dem würde auch nie wieder so sein. Zuerst war es nur Rahna gewesen, die ihn weggeschickt hatte, aber auch der Rest der Station schien ihn zu meiden, und nicht nur einmal waren Gespräche unterbrochen worden. Kaidan hatte seither mit niemandem außer David gesprochen und auch, wenn es tröstend war, dass der andere Biotiker am liebsten alle anderen 'idiotischen Arschgeigen' einmal quer durch den Raum geschleudert hätte, so war es dennoch ein wirklich beklemmendes Gefühl zu wissen, dass David der einzige Mensch in dieser Einrichtung war, der wirklich noch zu ihm stand. Bei allen anderen... Nun, so froh sie waren, dass sie wieder nach Hause konnten, es war unverkennbar, was ihre Blicke ihm sagen sollten. Und jeder neue traf einmal mehr tief ins Herz. Idiot. Freak. Mörder. Wahrscheinlich war er für viele von ihnen einfach gemeingefährlich. Vyrnnus war wahrscheinlich nicht einmal halb so schlimm gewesen wie er, immerhin hatte er selbst nie jemanden umgebracht. Gebrochene Knochen waren eine Sache, aber ein zertrümmerter Kiefer und ein gebrochenes Genick eine gänzlich andere. Und dass es genau so gekommen war, war wohl wirklich Kaidans Schuld gewesen... Und nun konnte er sich nur noch wie der König der Freaks fühlen. Und ungekrönter und ziemlich verhasster König, den die Leute nur fürchteten und auf keinen Fall verehrten. Das war ein wirklich, wirklich beschissener Umstand und ein Ruf, den er niemals hatte innehaben wollen. "Bereit für den Aufbruch?" Kaidan blickte müde auf. David hatte seine Tasche bereits geschultert, und auch seine Jeans und sein rotkariertes Hemd waren in all der Zeit hier ein wenig zu groß für ihn geworden. Aber zumindest hatte er das Lächeln nicht verlernt, auch, wenn er jetzt allein nach Hause zurückkehren musste. Kaidan hatte erst später erfahren, dass David keine Familie mehr hatte, zu der er zurückkehren konnte. Augenscheinlich hatten er und Jimmy nie eine gehabt, sie waren in irgendeiner Einrichtung der Allianz aufgewachsen und dann nach Jump Zero gebracht worden. Wohin er nun gehen wollte, wusste er selbst noch nicht genau. Aber er hatte selbst gesagt, dass er das herausfinden würde und wenn er dort bei diesem wohin angekommen war, dann würde er Kaidan Bescheid geben. "Denke schon", antwortete Kaidan schließlich leise und ließ sich von David auf die Beine ziehen. Einen Moment lang atmete er zischend aus, ehe er wieder fest auf den eigenen Füßen stand. Sein Körper spielte zwar noch nicht wirklich mit, aber es würde sicher irgendwann wieder besser werden mit ihm, wenn erst wieder jeder Knochen ordentlich an Ort und Stelle eingerastet war. "Und was soll der Unsinn mit der Kapuze, Mann?" Seufzend zog ihm David die Kapuze vom Kopf und schüttelte missbilligend den Kopf. Kaidan war zwar nicht wirklich froh darüber, immerhin hatte er sie ja nicht umsonst so tief ins Gesicht gezogen, damit nicht jeder gleich sah, wie unschön er im Moment aussah. Aber verstecken hatte wohl wirklich keinen Sinn. Als würde nicht ohnehin jeder die gesamte Geschichte schon in der ein oder anderen Form kennen... "Nichts weiter", antwortete er nur ausweichend. "Will ich auch meinen, du siehst aus wie ein Schwerverbrecher damit." David schien erst etwas zu spät zu realisieren, was genau er da gerade gesagt hatte und stammelte etwas vor sich hin, das mit viel gutem Willen eine Entschuldigung hätte sein können. Vielleicht war es aber auch einfach nur unartikuliertes Gemurmel gewesen. Allerdings verstummte das rasch, als er sich umsah und mit einem genervten Seufzen wieder nach vorne blickte. Dieses Mal verstand Kaidan sogar, was er sagte. "Ah, Zickenalarm..." Zwar hätte es Kaidan nicht so beschrieben, aber er wusste auch, wer da hinter ihnen war, ohne, dass er sich umwenden musste. Und er hatte auch nicht vor, sich wieder umzuwenden, denn nichts hier war es wert, dass man auch nur einen Blick zurück warf. Überhaupt nichts von alledem. "Erklär mir noch mal, warum du es in Ordnung findest, dass sie dich wie den letzten Dreck behandelt!" "David..." "Nein, ich will es wissen!" "Würdest du gerne bei jemandem sein, der dich mit einem Schlag für den Rest deines Lebens zum Krüppel machen könnte? Würdest du das?" "Kaidan, das war eine einmalige Sache! Du hast dich nur gewehrt, nichts weiter!" "Ja, es war wirklich eine einmalige Sache." "Was willst du machen? Dich im Wald verschanzen und den Rest deines Lebens als Einsiedler verbringen? Niemals wieder jemanden an dich heran lassen? Aus Angst, dass du dieser Person weh tun könntest?" "Vielleicht ist das die beste Möglichkeit." "...Weißt du, ich hoffe wirklich, dass da irgendwann irgendjemand kommt und dir das Abstand halten allein mit seiner Anwesenheit schon unmöglich macht, dass du gar nicht mehr anders können wirst, als dein Einsiedlertum aufzugeben." "Du bist wirklich zu freundlich zu mir." "Ich wünsch' dir echt nur alles Beste, du Trottel." "..." "..." "Hey, David... Danke." "Wenn du mich jetzt dafür umarmen willst, dann sind wir geschiedene Leute." Die Rückreise zur Erde verlief wirklich ziemlich ereignislos. Die meiste Zeit über konnte man nicht viel mehr tun, als sich mit jemandem zu unterhalten oder auf irgendeinen im Schiff befindlichen Punkt zu starren und zu hoffen, dass die Lichtgeschwindigkeit sie auch wirklich so schnell von A nach B brachte, wie es immer behauptet wurde. Kaidan saß die gesamte Zeit über neben David. Sie redeteten nicht allzu viel, spielten lediglich ein paar Runden Blackjack, da man für so ziemlich jedes andere Spiel mehr Mitspieler gebraucht hätte und diese sich in mehr als angemessener Entfernung von ihnen fernhielten, aßen und tranken ein wenig ("Ich füttere dich nicht, Kanada!") und waren ansonsten still. Die Gespräche der anderen versuchte Kaidan auszublenden, so gut es ging. Der Lärm im Schiff bereitete ihm zwar wieder Kopfschmerzen, aber das war ihm relativ egal, so lange er nicht Bestandteil dieser Gespräche war - denn das war er in den letzten Tagen wohl mehr als einmal gewesen. Nur einmal hatte er sich dabei erwischt, wie er sich nach Rahna umgesehen hatte. Dass sie auf diesem Flug mit dabei war, wusste er ja, aber eigentlich hatte er vorgehabt, keinen einzigen Blick mehr zurück zu werfen. Wozu auch? Es gab einige Dinge, die unweigerlich vorbei waren. Ob man das nun wollte oder nicht. Zwar hätte er sich gewünscht, dass es anders gewesen wäre, aber was nicht möglich war, das war eben einfach nicht möglich. David war gerade in seinem Sitz eingeschlafen. Keine Ahnung, wie spät es gerade nach der intergalaktischen Zeitangabe sein musste, aber eigentlich kümmerte es ihn auch nicht wirklich. Wenn er schlafen würde, würde die Zeit sicher um einiges schneller vergehen. Es war zwar nicht gerade einfach, eine bequeme Pose zu finden, in der ihm nicht irgendein Knochen oder generell einfach irgendeine Verletzung schmerzte, aber irgendwann war er zumindest so weit, dass er es sich irgendwie gemütlich gemacht hatte und die Augen schließen konnte. Normalerweise sollte Schlaf etwas Erholsames sein. Aber in Kaidans Fall waren die Dinge schon etwas länger nicht mehr sonderlich normal gewesen. Er hätte sich nicht darüber wundern dürfen, dass er ein paar mehr als krude Dinge träumte, das war schon gestern der Fall gewesen, aber dieser Traum heute... der war noch etwas sonderbarer als der letzte es gewesen war. Verstörender sogar. Er war wieder im Klassenzimmer auf Jump Zero. Zumindest sah es im ersten Moment so aus, doch irgendwie war der Raum verzerrt, und Dinge schwebten überall durch den Raum. Gewichte, Bücher, Menschen. Kaidan sah sich irgendwo weiter vorn im Raum stehen, unfähig, sich irgendwie zu bewegen oder etwas für oder gegen all die schwebenden Sachen zu tun. Weiter hinten im Raum entdeckte er einige seiner Klassenkameraden. Die Gesichter der meisten waren undeutlich und verzerrt wie der Raum an sich, aber einige konnte er erkennen, selbst, wenn sie mit dem Rücken zu ihm saßen. Robert war dort. Und Rahna. Wie durch eine widerspenstige Masse bewegte sich Kaidan langsam auf die beiden zu. Robert erreichte er zuerst, der Junge saß scheinbar schluchzend auf seinem Platz, den Blick von Kaidan abgewandt. Tröstend legte er ihm die Hand auf die Schulter - und prallte zurück, als sich Robert zu ihm wandte. Blut lief ihm aus Mund und Nase, während er Kaidan aus den grünen Augen heraus anblickte. Und sich sein Gesicht zu einer hasserfüllten Grimasse verzog. 'Danke, dass du mich im Stich gelassen hast.' Diese Worte schienen Kaidan das Herz aus der Brust zu reißen. Er versuchte, Robert zu erklären, dass er das niemals gewollt hatte, dass er ihm hatte helfen wollen, dass er es versucht hatte. Aber kein Wort verließ seine Kehle, als hätte man ihm zuvor die Stimmbänder heraus gerissen. Blut begann aus Roberts Augen zu laufen und Kaidan machte einen erschrockenen Schritt zurück, prallte gegen den nächsten Tisch und als er das nächste Mal auf den Platz sah, auf dem der andere Biotiker bis eben gesessen hatte, war er leer. Ein paar Mal öffnete und schloss er die Augen, schüttelte den Kopf, aber Robert blieb verschwunden. Mit zittrigen Beinen ging Kaidan weiter, die Blicke der geisterhaften Biotiker um ihn herum schienen ihm zu folgen und ihn für das zu verurteilen, was er getan hatte - oder eben nicht getan hatte. Er kämpfte sich bis zu Rahna vor, die vorne am Lehrerpult stand. Ihre schmalen Schultern bebten, während sie ihren scheinbar gebrochenen Arm mit der anderen Hand hielt und einen Moment lang war sich Kaidan nicht sicher, ob er wirklich dorthin gehen sollte, ob er wirklich sehen wollte, was dort auf ihn warten würde. Wenn es wie bei Robert war, dann wollte er es vermutlich gar nicht sehen. Aber sie dort einfach stehen lassen, das konnte er auch nicht. Und es war nicht so, wie es bei Robert gewesen war - es war viel schlimmer. Noch ehe er sie erreicht hatte, wandte sich die Türkin zu ihm um, den Kopf gesenkt und die Haare hingen ihr ins Gesicht, so dass er nicht wirklich etwas erkennen konnte. Aber als sie den Kopf schließlich hob, da wäre er am liebsten umgedreht und einfach nur gerannt. Ihr Gesicht war voller Blut, der Mund war eine einzige lange Linie, der an beiden Seiten mit einem scharfen Messer weiter aufgeschnitten worden war. Die Schnitte reichten zu beiden Seiten fast bis zu den Wangenknochen hinauf, und wenn sie den Mund öffnete, entblößte er fast all ihre Zähne. Diverse Schnitte verliefen über der Stirn, und insgesamt sah sie... furchtbar aus. Einfach nur furchtbar. Wann hatte ihr Vyrnnus das angetan? War er nicht eingeschritten? Warum nicht, er hätte niemals zugelassen, dass ihr etwas geschah! Rahnas gesunde Hand hob sich und deutete auf Kaidan. Nicht genau auf ihn, aber auf etwas in seiner Hand. Er senkte den Blick und starrte ungläubig auf das Messer, das er fest umschlossen hielt. Nein... Nein, das konnte nicht sein. Es war dasselbe Messer, das Vyrnnus benutzt hatte, um ihn zu verletzen. Und es war verschmiert mit Blut. Sofort riss er den Blick davon los, er musste Rahna erklären, dass er das nicht gewesen war, dass er so etwas niemals gekonnt hätte! Aber sie war fort. Stattdessen stand der Turianer hinter dem Lehrerpult, der Kopf hing schlaff und in einem eigentlich unmöglichen Winkel zur Seite herunter, und der Kiefer, der eigentlich hätte gebrochen sein müssen, hatte sich zu so etwas wie einem Grinsen verzogen. 'Sehr gut, Alenko', sagte Vyrnnus und der Stolz, der in seiner Stimme mitklang, hätte echter kaum klingen können. Und das war genau das, was Kaidan so unglaublich erschreckte. 'Genau das, was ich ihnen beibringen wollte. Sehr gut gemacht. Jetzt ist Ihre Ausbildung abgeschlossen.' Das Messer fiel aus Kaidans Hand. Nein. Nein! Das alles war nicht wahr, das durfte nicht wahr sein! Er hatte das hier alles niemals gewollt, nie! Er wollte nur weg von hier, nur weg und nach Hause und - "Kaidan! Kaidan, scheiße noch eins!" Er versuchte, die Hand wegzuschlagen, die ihn durchschüttelte. "Wach auf, Mann! Alles gut, mach die Augen auf!" Widerwillig öffnete Kaidan die Augen. Sicher würde David auch entstellt sein, wenn er ihn ansah, er würde verletzt sein, wahrscheinlich hatte er selbst ihm die Augen herausgeschnitten und das hatte er nie gewollt! Doch als er David ansah, konnte er keine Spuren von Verletzungen entdecken. Ächzend atmete Kaidan aus, sein Kopf pochte, als hätte er einen harten Schlag abbekommen und einen Moment lang wurde ihm schwarz vor Augen, ehe er sich wieder einigermaßen fing. Fast schon instinktiv fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht und erschrak, als er das Blut sah. Wäre David nicht da gewesen, hätte er wahrscheinlich vor Panik laut aufgeschrien, aber der andere Biotiker versicherte ihm, dass er lediglich Nasenbluten hatte. Nichts weiter. "Hey, wow, ganz ruhig..." David hielt ihn noch immer an der Schulter fest und betrachtete ihn mit mehr als schierer Besorgnis. "Alles klar?" "Ja", presste Kaidan hervor. Eigentlich war gar nichts klar, aber es war wenigstens nur ein Traum gewesen. Ein scheiß beschissener Traum. Nicht mehr und nicht weniger. "Geht schon." Erst jetzt fiel ihm auf, wie ruhig es im Schiff war, sämtliche Gespräche schienen unterbrochen worden zu sein. Kaidan wollte gar nicht erst aufblicken, es war ihm ohnehin klar, dass ihn alle anstarren mussten. "Wie laut hab' ich geschrien?" "...laut", antwortete David ehrlich, ehe er den Kopf hob und die Menge überblickte. Fast alle Insassen des Raumschiffs blickten wohl zu ihnen, einige sicher verängstigt, andere vielleicht kopfschüttelnd. Kaidan konnte es nicht sehen. "Habt ihr jetzt nicht genug geglotzt? Kümmert euch doch mal um euren eigenen Scheiß!" Er setzte sich mit einem genervten Seufzen, als sich die anderen wieder ihrem Kram zu wandten. Und die Gespräche wieder aufgenommen wurden. "Du bist einfach noch ein wenig durch den Wind... Das wird schon wieder. Und hey, wir sind bald wieder auf der Erde!" David versuchte, so zuversichtlich wie irgend möglich zu klingen, aber im Moment wollte Kaidan einfach nur weg sein. Durch die viel gepriesene Luftschleuse aus dem Schiff irgendwo ins All geschleudert werden. Ja, das wäre jetzt wirklich schön... "Wie hältst du es nur bei mir aus?", fragte Kaidan irgendwann in die Stille zwischen ihnen hinein, das Gesicht in den Händen versteckt und mit noch immer zittrigen Beinen. Er hatte schon öfter Albträume gehabt, aber das hier... das war noch eine Ecke härter für ihn gewesen. Und viel, viel verstörender als vieles, was er zuvor erlebt hatte. "Hm, lass mal überlegen..." David rieb sich nachdenklich über das Kinn, ehe er lächelnd zu Kaidan sah, der sich langsam wieder ein wenig aufrappelte. "Vielleicht, weil du einfach ein ziemlich guter Kerl bist? Der einen ganzen Haufen Scheiße mitmachen musste. Und der trotzdem noch immer ein guter Kerl geblieben ist. Mit etwas weniger Gewicht vielleicht." Kaidan blickte mit einem schwachen Nicken zur Seite. Nun, das war vielleicht wirklich so, aber dennoch konnte er nicht glauben, dass David als Einziger von allen hinter ihm stand. Nicht, dass er nicht unglaublich dankbar dafür wäre! Aber es verwunderte ihn doch ein wenig, das er trotz allem bei ihm geblieben war. "Und so lange muss ich dich nicht mehr ertragen, da schaffe ich die letzten Minuten auch noch!" "Fast hätte ich deine Worte rührend gefunden..." Jetzt entkam sogar Kaidan ein schwaches Lächeln, warum konnte dieser Kerl denn auch nie wenigstens für einen Moment ernst bleiben? "Hier, lass uns noch eine Runde Karten spielen, dann schläfst du wenigstens nicht ein und ich muss nicht wieder Leute anschreien." David mischte den Stapel Karten und teilte aus. "Obwohl... so schlimm war das gar nicht." Es war später Nachmittag, als sie im Raumhafen von Vancouver anlegten. Die ersten von ihnen konnten es kaum erwarten, aus dem Schiff heraus zu kommen und sich auf den Weg zu ihren Eltern oder den Shuttles zurück in ihre Heimat zu machen. Kaidan und David warteten eine Weile, ehe sie ihre Taschen schulterten und sich auf den Weg nach draußen machten. Sie mussten eine Weile laufen, ehe sie das Hauptquartier der Allianz erreicht hatten und es gemächlich durchschritten. Überall herrschte reges Treiben, Allianzsoldaten halfen bei der Orientierung, während ein jeder nach seinem Weg suchte und hoffte, Familienangehörige oder den Weg nach Hause zu finden. "Wartet dein Vater draußen auf dich?" David schob sich durch die Masse an Leuten und sah sich um. Da er noch kein richtiges Ziel hatte, würde er später wohl einen der von der Allianz zur Seite nehmen und ihn fragen, ob er für den Moment noch einmal in die Einrichtung zurückkehren konnte, aus der Jimmy und er damals gekommen waren. Aber vorher wollte er Kaidan noch loswerden, wie er selbst so freundlich gesagt hatte. "Das hat er gesagt, ja." Kaidan hoffte, dass das Gedränge draußen nicht mehr so stark sein würde, er wollte einfach nur noch nach Hause und sich ausruhen. Sie drängten sich durch die Glastüren nach draußen, und erst da bekamen sie wirklich wieder Platz zum Atmen. Und irgendwie fühlte er sich jetzt besser, wo er die anderen weit weg wusste, er merkte fast schon, wie sich seine Schultern etwas lockerten. "Halt einfach nach einem blauen Skycar Ausschau." David scherzte, dass die Auswahl dann ja mehr als eingeschränkt war, aber schließlich machte er sich dennoch auf den Weg, um Kaidans Vater zu suchen. Lange dauerte die Suche nach ihm nicht wirklich, sie entdeckten ihn nach einem Moment bereits etwas abseits der anderen Wagen. Und bisher hatte er nicht einmal daran gedacht, wie schwer es sein würde, nicht einfach auf ihn zu zu rennen und ihn zu umarmen. Wenigstens ein wenig Haltung wollte er noch bewahren. "Ist er das? Sieht jedenfalls fast so aus wie du." David hob wie Kaidan die Hand zum Gruß und Kaidans Vater löste sich von seinem Wagen und kam auf die beiden Jungen zu. "Ja", brachte der Biotiker gepresst hervor. Die eben noch so lockeren Schultern strafften sich etwas, hoffentlich machte er keinen allzu jämmerlichen Eindruck. Aber wahrscheinlich würde ihn sein Vater so oder so durchschauen und wissen, dass er sich gerade wirklich, wirklich elend fühlte. Und das, obwohl er sich gerade nichts Schöneres hätte vorstellen können, als endlich wieder nach Hause zu kommen. "Hey, Kaidan." Er spürte die Hand seines Vaters auf seiner Schulter, als er zu den beiden getreten war, und er sah auch mehr als genau, wie seine Augen Kaidans mitgenommenes Gesicht abtasteten, während er selbst nur ein leises "Hey" zur Begrüßung hervorbringen konnte. Die Brauen seines Vaters zogen sich ein wenig zusammen, aber dennoch schwieg er für den Moment, ehe er sich David zu wandte. "Und du bist sicher David?" Der andere Biotiker ergriff die ausgestreckte Hand und nickte. "Ja, Sir. Der bin ich!" "Freut mich, dich kennen zu lernen." Sein Vater blieb die gesamte Zeit über neben ihm stehen, die Hand immer noch auf dessen Schulter, während er ein paar Worte mit David austauschte. Kaidan hörte ehrlich gesagt im Moment weniger zu, jetzt, wo all die Anspannung der gesamten Zeit auf Jump Zero von ihm abgefallen war, da wollte er einfach nur nach Hause, um sich in sein Bett zu legen und am besten eine gesamte Woche durchzuschlafen - oder zumindest einmal durchgängig für gute acht Stunden ohne irgendwelche Albträume. "...hat viel von dir erzählt..." "...bin ja fast geschmeichelt..." Kaidan versuchte, seine Aufmerksamkeit wieder auf die Unterhaltung der beiden zu lenken, auch, wenn es ihm im Moment schwer fiel. Nicht nur, weil er erschöpft war und sein Körper mit einem Mal um Ruhe bettelte, sondern auch, weil er sich gleich von David würde verabschieden müssen. Etwas, das ihm schon immer schwer gefallen war, denn Abschiede waren einfach nicht sein Metier. "Machen wir uns auf den Heimweg?" Sein Vater drückte kurz seine Schulter und ließ Kaidan dann los, der einen Schritt auf David zu machte, um sich zu verabschieden. Irgendwie. "Ich find' Abschiede ja eigentlich immer echt peinlich", meinte David für seine Verhältnisse ziemlich leise und rieb sich den Nacken. Wenn er einmal nicht fluchte oder schrie, dann musste er schon wirklich, wirklich verlegen sein. Aber Kaidan verstand ihn schon, immerhin war es ja nicht so, als würde es ihm leicht fallen. "Pass auf dich auf, ja?", meinte er deswegen nur und überging damit Davids spöttische Anfangsrede. "Und falls was sein sollte - nun, du weißt ja, wo ich lebe." "Kanada ist aber auch echt ein Dorf", lachte der rothaarige Biotiker und schlug Kaidan freundschaftlich auf die Schulter. "Ich werd' dich dann schon finden, mach dir da mal keine Sorgen! Also sparen wir uns doch diese lächerliche Verabschiedung, wir sehen uns ohnehin bald wieder! Und Mr. Alenko, Sir?" Er sah zu Kaidans Vater, der mit verschränkten Armen ein paar Schritte von den beiden entfernt stand und sie betrachtete. Er nickte nur zum Zeichen, dass er David gehört hatte. "Sie haben einen wirklich großartigen Sohn!" Kaidan blinzelte David an, der seine Hand ergriff und bei ihm einschlug, ehe er ein paar Schritte zurück trat und so tat, als würde er ernsthaft salutieren wollen. "Wir sehen uns, Kanada!" Verlegen blickte ihm der Biotiker nach, als sich David auf den Weg zurück ins das Hauptquartier der Allianz machte, zumindest so lange, bis er einen Arm spürte, der sich um seine Schulter legte. "Als ob ich das nicht wüsste." Kaidan fühlte regelrecht, wie rot seine Ohren wurden, als er die Worte seines Vaters hörte. Konnten sie nicht beide aufhören so zu tun, als wäre er irgendetwas Besonderes? Denn er fühlte sich wirklich nicht so. Und dennoch erfüllte es ihn mit ziemlichem Stolz, so etwas von seinem Vater zu hören. "Ab nach Hause, Kleiner. Immerhin weiß ich ja, was dort auf dich wartet." Sie wandten sich ab und gingen langsam zurück zum Skycar, das sie hoffentlich schnell und sicher nach Hause bringen würde. "Ein gutes Steak?", fragte Kaidan schließlich hoffnungsvoll und spürte, wie ihm sein Vater mit einem kaum hörbaren Lachen durch die Haare fuhr. "Nun, ich sprach eigentlich von deiner Mutter, aber vielleicht kriegen wir für dich auch noch ein Steak..." Kapitel 7: Seven ---------------- "And it's hard to dance with a devil on your back So shake him off" - Florence and the Machine, Shake it out Sie schwiegen fast die gesamte Heimfahrt über. Wahrscheinlich wäre Kaidan am Ende wieder eingeschlafen, wenn ihn die Erinnerung an den letzten, sehr unangenehmen Traum nicht noch wach gehalten hätte. Nein, schlafen war im Moment wirklich keine besonders gute Idee. Also starrte er schweigend aus dem Fenster, hörte abwesend dem Radio zu, das abwechselnd Nachrichten und dann wieder sehr fragwürdige Musik ausstrahlte. Es dauerte etwas mehr als anderthalb Stunden, ehe sie daheim angekommen waren. Kaidan betrachtete das Haus seiner Eltern schon fast ungläubig, widerstand aber dem Drang, sich zu kneifen. Nein, er war hier, er war wirklich wieder zurück. Sein Vater legte ihm eine Hand auf den Rücken und schob ihn schon beinahe vor sich her, als Kaidan erst einmal keine wirklichen Anstalten machte, sich auf den Weg zur Haustür zu machen. Es war ja nicht so, dass er nicht gerne wollte, aber bei der Vorstellung, dass seine Mutter ihn gleich so sehen würde, zog sich irgendwas in seiner Brust zusammen. Sicher, er hatte seinen Vater gebeten, ihr alles beizubringen und das hatte er hoffentlich so schonend wie möglich getan, aber dennoch waren davon erzählt zu bekommen und es dann zu sehen zwei verschiedene Dinge. Aber es nützte nichts, ehe sich Kaidan versah, standen sie an der Haustür, die sein Vater ohne zu zögern aufschloss und sie beide hinein gingen. Er hielt den Kopf gesenkt, als er die Stimme seiner Mutter aus dem angrenzenden Zimmer vernahm, die sie aufgeregt fragte, ob sie denn alle beide wieder daheim waren. "Ja, sind wir", antwortete Kaidans Vater, während er seine Schuhe auszog. Sein Sohn tat es ihm gleich. Und vor allem tat er es sehr, sehr langsam, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt, als seine Turnschuhe ordentlich hinzustellen, während die Schritte hinter ihm lauter wurden. Aber irgendwann konnte er nur noch auf die Schuhe starren, und es nützte doch ohnehin nichts mehr, sich weiterhin zu verstecken, wozu denn auch? Seine Wunden würden immerhin nicht innerhalb von ein paar Minuten verheilen, nur, weil er es sich gerade wünschte. Langsam wandte er sich um, blickte zu seiner Mutter, die wie immer ein Taschentuch in der Hand hatte und es nervös knetete, während sie ihn ansah. Sie sagte nichts, sie musterte ihn einfach nur, "Hey, Mom", meinte er nur leise, während er sie besorgt musterte. Er hatte sie lange nicht gesehen, aber... seit wann war sie so dünn? Seit wann hatte sie solche dunklen Augenringe hinter den Brillengläsern? Seit wann wirkte sie so zerbrechlich? Wahrscheinlich war es seine Schuld, wie so vieles in der letzten Zeit seine Schuld gewesen war. Er sah doch, dass sie sich Sorgen um ihn gemacht hatte, wahrscheinlich mehr, als gut für sie gewesen war. "Bin wieder da." Sie antwortete ihm auch nicht, sondern blickte ihn einfach nur stillschweigend an. Und obwohl er sehen konnte, wie sie tapfer versuchte, die Tränen zurück zu kämpfen, doch Erfolg hatte sie damit keinen, sie stiegen ihr immer wieder in die Augen, während sie auf ihn zu kam. Mit einem erstickten Schluchzen legte sie die Arme um ihn, drückte ihn gerade so fest an sich, dass sie ihm nicht weh tat, aber ihn auch wirklich, wirklich fest im Arm halten konnte, fast, als hätte sie Angst, dass er sich in Luft auflösen würde, wenn sie ihn wieder losließ. Vorsichtig legte Kaidan die Arme um sie, strich ihr beruhigend mit der Hand über den Rücken, als ob sie diejenige wäre, die jetzt den meisten Trost brauchte. Wahrscheinlich war sie das auch, denn er spürte nur allzu genau, wie sie zitterte. Kaidans Augen brannten, als er ihr ein paar beruhigende Worte zuflüsterte. Sie solle sich keine Sorgen machen, es ginge ihm gut. All das versuchte er ihr leise zu versichern, ob es denn nun stimmte oder nicht. Während er sie leise und zittrig durchatmen hörte, löste sie sich ein Stück weit von ihm und nahm sein Gesicht mehr als sanft in beide Hände, um ihn zu betrachten - sofern das durch den Tränenschleier überhaupt möglich war. "Oh, Kaidan..." Sie fuhr ihm über die Haut, gerade, dass ihn ihre Fingerspitzen überhaupt berührten. Und immer und immer wieder versuchte sie, ein leises Schluchzen zu unterdrücken, während sie ihn so vorsichtig betastete und über die kleinen Schnitte und blauen Flecken fuhr. "Ist nicht so schlimm, wie es aussieht", versuchte er es bei ihr noch einmal. Bei seinem Vater mochte diese Ausrede nicht funktioniert haben, aber vielleicht beruhigte sie seine Mutter ein klein wenig. Aber im Moment hörte sie einfach nicht auf zu weinen, egal, was er sagte. Und dieser Anblick zerriss ihn innerlich. "Komm, lass den Jungen erst einmal nach Hause kommen." Vorsichtig trat sein Vater zwischen die beiden und führte seine Mutter sanft an der Schulter von Kaidan fort. Er nickte seinem Sohn noch über die Schulter zu, ehe er seine Frau in Richtung der Couch im Wohnzimmer führte und sich vor sie kniete, scheinbar, um sie noch ein wenig auf sie einzureden und ihre Tränen zu trocknen. Kaidan hingegen schulterte seine Tasche und stieg die Treppe zu seinem Zimmer hinauf. Irgendwie sollte es sich doch gut anfühlen, nach Hause zu kommen, oder etwa nicht? Für ihn fühlte es sich im Moment einfach nur leer an. Als wäre er nicht ganz nach Hause zurückgekehrt, sondern als ob ein Teil von ihm noch immer auf der Gagarin Station in den Weiten des Weltraumes war. Es fühlte sich noch immer so unwirklich an, wieder hier zu sein. Seufzend ließ er seine Tasche mitten im Raum fallen, wo sie mit einem dumpfen Laut auf den Boden traf, während er selbst zum Bett hinüber schlurfte. Er wollte sich nur einen kleinen Moment ausruhen, alles andere konnte er sich noch später machen, er wollte nur eine kleine Weile die Augen schließen und einfach an nichts denken müssen. Nicht, dass er glaubte, dass das sonderlich gut funktionieren würde, aber einen Versuch war es doch allemal wert. Nur wurde aus dem Augenblick eine ziemlich lange Zeit. Als er die Augen wieder öffnete, lag sein Zimmer schon im Halbdunkel, er musste wohl gute zwei oder drei Stunden geschlafen haben. Seufzend setzte er sich auf und fuhr sich müde über das Gesicht - so gut es eben ging, ohne vor Schmerz zusammenzuzucken. Hatte er eigentlich geträumt? An ein paar undeutliche Bilder konnte er sich noch erinnern, aber die waren alle nicht wirklich nennenswert gewesen. Zumindest war es nicht dasselbe gewesen wie noch im Raumschiff auf dem Weg zurück zur Erde. Aber sonderlich gut schien er auch nicht gewesen zu sein, er schälte sich erst einmal aus seinem verschwitzten Kapuzenpulli, mit dem er vorhin eingeschlafen war. Er streckte sich kurz, ehe er aufstand und nach unten trottete. Trotz allem hatte sich sein Magen nämlich mit einem lauten Grummeln gemeldet und er wollte ihn nicht wirklich länger auf sein Essen warten lassen - zumal er nicht einmal mehr wusste, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte, vor allem etwas, das er nicht hatte selbst kochen müssen. Im Wohnzimmer brannte noch immer Licht. Nun, allzu spät war es immerhin noch nicht, wahrscheinlich gegen Acht Uhr abends. Hoffentlich war niemand böse, dass er das Abendessen verpasst hatte. Aber dank der kurzen Ruhepause fühlte er sich um Längen besser, wahrscheinlich hatte er genau das gebraucht. Auf Zehenspitzen tapste er in Richtung der Küche, allerdings war das vollkommen unnötig gewesen, da sich seine Mutter ohnehin dort befand und ihn entdeckte. "Hast du Hunger?", fragte sie sofort, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Kaidan vergrub die Hände in den Hosentaschen und nickte schwach, obwohl seine Mutter die Antwort nicht einmal abgewartet hatte, sondern gleich aufgesprungen war, um nach einem Teller zu fischen, den sie mit Essen aus dem Topf voll lud, der noch immer auf der Herdplatte stand. Himmel, wo sollte er denn das alles hin essen? "Ich wollte dich vorhin nicht wecken", erklärte ihm seine Mutter lächelnd, während der Deckel zurück auf den Topf wanderte und sie ihm den Teller reichte. Kein Steak, aber immerhin der beste Eintopf, den man in ganz Vancouver finden würde. "Du hast so ruhig geschlafen, da habe ich das Essen einfach aufgehoben und..." Sie zuckte etwas hilflos die Schultern, während Kaidan seinen Teller auf dem Tisch abstellte, ehe er sich wieder seiner Mutter zuwandte. "Tut mir leid, ich wollte das Essen nicht verpassen", meinte er entschuldigend. Wenn sie sich schon die Mühe machte zu kochen, dann wollte und sollte er auch wach sein, um es so frisch wie möglich zu essen. "Du hättest mich ruhig wecken können." "Nein... nein, du hast genug durchgemacht." Da war wieder das Händeringen, dieser unstete Blick, diese bebende Unterlippe. "Ich meine, sicher weiß ich das natürlich nicht, aber ich kann es mir vorstellen. Ich meine, ich sehe es ja sogar und... mein Gott." "Mom..." Kaidan war bei ihr, als sie wieder zu weinen begann und nahm sie fest in die Arme. Hätte er ihr vielleicht von Anfang an die Wahrheit sagen sollen? Vielleicht ja, vielleicht wäre dann alles viel leichter für sie gewesen. Aber nun spielte das keine Rolle mehr. Es war vorbei und er war wieder hier, das war doch sicher alles, was zählte, oder etwa nicht? "Ich werde dir und Dad bald alles erzählen, okay?" Denn da kam er wohl nicht drum herum. Und Ausflüchte waren keine Option mehr. Nicht noch mal. Seine Mutter strich ihm durchs Haar, ehe sie anmerkte, dass das Essen gleich kalt sein würde. Kaidans Lachen, das auf diese Aussage hin folgte, war das ehrlichste seit gefühlten Wochen. Er schlief schlecht in der ersten Nacht. Verdammt schlecht sogar. Die Albträume waren wiedergekommen und mehr als einmal wachte er schweißgebadet auf, nachdem er in seinen unheilvollen Träumen erneut Vyrnnus und Rahna und Robert begegnet war. Wieder auf erschreckende Art und Weise. Er wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, was in seinem Traum passiert war, er wollte einfach nur in Ruhe wieder einschlafen können. Am besten, ohne dann überhaupt noch irgendetwas zu träumen. Beim dritten Aufwachen registrierte er den schwachen Lichtstreif, der wohl durch die geöffnete Tür in sein Zimmer und an seine Wand fiel. Er kam wohl aus dem Flur. Waren seine Eltern noch immer wach? Dabei war es doch schon recht spät, oder er glaubte zumindest, dass dem so sein musste. Er wollte gerade seinen Wecker zu Rate ziehen, als sie Tür mit einem leisen Knarren etwas weiter geöffnet wurde und das leise Geräusch von nackten Füßen auf dem Boden erklang. Und die Schritte waren eindeutig zu leicht, als dass sie von einem Mann kommen konnten. Einen Moment lange überlegte er, die Augen offen zu lassen und seine Mutter zu fragen, ob alles in Ordnung war, aber er überlegte es sich anders und schloss stattdessen die Augen. Wahrscheinlich würde sie sich noch mehr Sorgen machen, wenn er mitten in der Nacht wach im Bett lag - und das musste wirklich nicht sein. Gut, dass er ohnehin mit dem Gesicht zur Wand lag, so war es einfacher, den friedlich schlafenden Sohn zu mimen. Er hörte ein befreit wirkendes Aufatmen, als sie neben seinem Bett stand. War es die Erleichterung, dass er wieder hier daheim war? Bei seiner Familie? Konnte gut möglich sein. Kaum einen Moment später spürte er, wie sie ihm leicht über das Haar strich und ihm einen Kuss auf die Schläfe hauchte. Irgendwann hatte ihm sein Vater einmal gesagt, dass sie das bereits getan hatte, als er noch ein Baby gewesen war - und einige Dinge änderten sich wohl wirklich niemals. Und zumindest schlief er von da an den Rest der Nacht recht gut durch. Die nächsten Wochen und Monate brauchte er, um wenigstens wieder etwas auf die Beine zu kommen. Physisch wie psychisch. Zwar war er nicht begeistert davon, dass ihn seine Eltern immer und immer wieder zu Ärzten bringen wollten, aber zumindest seine Fäden musste er überprüfen lassen, wenn er nicht mit einem Spalt in der Lippe herumlaufen wollte. Und zumindest verheilten sie mittlerweile recht gut, einige der blauen Flecken waren schon fast vollkommen verschwunden, und viele der nicht so tiefen Schnitte waren schon zu blasseren Narben geworden. Ganz verschwinden würden einige wohl nie, besonders die ganz große quer über der Lippe nicht, aber damit konnte er leben. Zumindest würde es ihn daran erinnern, was dort auf Jump Zero passiert war, und auch daran, dass er nicht zulassen wollte, dass das jemals wieder geschah. Die Allianz hatte den ehemaligen Mitgliedern des BAaT-Programms psychologische Hilfe versprochen, mit Ärzten und Professoren und Psychiatern, die genau wussten, welche Knöpfe sie drücken und welche Worte sie sagen mussten, um die jungen Biotiker zu beruhigen und wieder gesellschaftsfähig zu machen. Kaidan hatte diese Hilfe nicht in Anspruch genommen, zumal er keinerlei Interesse daran hatte, wieder wie eine Laborratte zu enden. Seine Mutter hatte es nicht wirklich gutheißen können, aber dieses eine Mal hatte er sich nicht wirklich reinreden lassen. Im Moment wollte er der Allianz und allen, die dazu gehörten, so fern wie möglich bleiben. Seine Probleme konnte er auch alleine aufarbeiten. Wahrscheinlich musste er das sogar. Einige Tage nach seiner Heimkehr hatte er seinen Eltern alles gestanden, was sich auf der Gagarin Station wirklich abgespielt hatte. Begonnen bei der nicht vorhandenen Versorgung über die unmenschlichen Ausbildungsmethoden bis hin zu den Verlusten, die sie hatten erleiden müssen. Er hatte nicht geglaubt, dass es so schwer werden würde, alles zu erzählen, was er früher verschwiegen hatte, aber er gab sich Mühe, sich nicht allzu oft zu unterbrechen. Was schwierig gewesen war, besonders dann, wenn die Sprache auf Robert kam. Oder Rahna. Oder irgendein schlimmes Erlebnis generell. Scheinbar hatte er dann zumindest für einen Moment die Eigenarten seiner Mutter übernommen und nervös die Hände gerungen, bis sie Kaidans Hand kurz gedrückt hatte, während er nach den passenden Worten gesucht hatte. Mehr als einmal waren ihr dabei die Tränen in die Augen gestiegen, während sein Vater fast die gesamte Zeit über schweigend zugehört hatte, die Arme vor der Brust verschränkt und mit mehr als dunklem Ausdruck auf dem Gesicht. Nur einmal war er aufgestanden, und durch den Raum gelaufen. Das war, als Kaidan begonnen hatte, von Vyrnnus zu erzählen - beziehungsweise von dem, was der Turianer ihm angetan hatte. Jedes einzelne Detail hatte er nicht erwähnen müssen, und das hatte er auch nicht vorgehabt, denn das, was dort passiert war, konnte man nur noch allzu gut in seinem Gesicht ablesen. Und er hatte nicht mehr zu tun brauchen, als das Messer überhaupt zu erwähnen, damit seine Mutter halb in Tränen ausgebrochen war und sein Vater mit einem leisen Fluch auf den Lippen die Stirn gerunzelt hatte, ehe er wie ein Tiger im Käfig im Raum auf und ab gelaufen war. Am schwierigsten war es aber gewesen, von seinem eigenen Angriff auf seinen Ausbilder zu berichten. Wahrscheinlich, weil er einfach schlicht und ergreifend Angst gehabt hatte, dass seine Eltern wie Rahna und all die anderen hätten reagieren können. Er hatte doch nur nicht gewollt, dass auch sie ihn fürchteten... Am Ende des Teils über Vyrnnus' Taten hatten seine Hände gezittert. Und nicht nur die, wenn er sich denn recht erinnerte, selbst seine Zähne hatten geklappert, und fast war es ihm so erschienen, als hätte sich eine eiskalte Hand um sein Herz gelegt gehabt, die bereit gewesen war, jeden Moment zuzudrücken, während er zuerst nur Schweigen von seinen Eltern vernommen hatte. Aber genau das war nicht geschehen. Sein Vater hatte sich lediglich wieder hingesetzt, seine Mutter hatte sich das Gesicht abgeputzt und beide hatten ihn angesehen, wie bei einer stummen Aufforderung, dass er zu Ende erzählen sollte. Also hatte er genau das getan. Er hatte einfach weiter erzählt, vom Krankenhausaufenthalt gesprochen, davon, wie die anderen ihn von da ab gemieden hatten. Von Rahna hatte er nicht mehr sonderlich viel erzählt, wahrscheinlich war seinen Eltern aber schon bewusst gewesen, dass sie auch zu denjenigen welchen gehört haben musste, die ihn von da ab gemieden hatten. Und dann war er am Ende gewesen. Am Ende seines Berichts und seiner Kräfte. Er war sich müde über die brennenden Augen gefahren, und seine Mutter hatte ihn lediglich in den Arm genommen, seinen Kopf an ihre Schulter gedrückt und ihn festgehalten. Und das hatte sie eine ganze Weile lang getan, bis er sich mit einem schwachen Lächeln von ihr gelöst hatte, während sie ihm die Tränen von den Wangen gestrichen hatte. Keiner von ihnen hatte noch ein Wort über all das verloren. Und das war Kaidan mehr als genug gewesen, denn so hatte er trotz allem gewusst, dass sie ihn nicht hassten, ihn nicht fürchteten. Und bevor er in sein Zimmer gegangen war, hatte sein Vater einen Arm um seine Schulter gelegt und ihn kurz an sich gedrückt. "Ich bin stolz auf dich." Kaidan hatte ihn nur mit großen Augen ansehen können, aber dann hatte er nur schwach genickt. Glücklich genickt. Denn diese fünf Worte seines Vaters hatten ihm in diesem Moment wirklich die Welt bedeutet. Es war nicht gerade einfach, wieder in ein geregeltes Leben zurückzukehren. Zumindest nicht für ihn. Die nächsten anderthalb und zwei Jahre verbrachte er damit, irgendeinen Sinn in seinem Leben zu finden. Was alles andere als einfach war und mit einigen Nervenzusammenbrüchen und Migräneanfällen endete, wenn er wieder einmal am Ende seiner Kräfte angelangt war. Doch aufgeben wollte er auch nicht. Es musste etwas geben, das er tun konnte, zumal er nicht viele Ansprüche hatte. Aber eine normale Arbeit? Als Koch? Mechaniker? Anwalt? Polizist? Kaidan glaubte nicht, dass er für etwas derartig Normales gemacht war. Nicht, weil er sich einbildete, etwas Besonderes zu sein - denn das hatte er noch nie -, aber er hatte gemerkt, dass das alles nichts für ihn war. Eine ganze Zeit lang hatte er einfach nur daheim gesessen und nichts getan, weil er nicht wusste, was er überhaupt tun konnte, ob er wirklich etwas tun konnte. Es musste doch auch als Biotiker möglich sein, ein ganz einfaches, normales Leben zu führen, aber das war nicht, was er wirklich wollte. Vielleicht hatte er in der Zeit auf Jump Zero zu viel gesehen und zu viel erlebt, als dass es ihm noch möglich war, etwas derartig Normales zu tun. In den Nachrichten hatte er von Biotikern mit L2-Implantaten gehört, die sich an der Allianz und Conatix für all das rächen wollten, was ihnen passiert war. Von dem Einsatz der fehlerhaften Implantate bis hin zu den schieren Folterungen auf Jump Zero. Es war der Brief, den er irgendwann bekam, der die Wende brachte. Er hatte keine Ahnung, wo er auf einmal hergekommen war, die wenigsten Leute verschickten noch Briefe, wo fast jeder ein Terminal daheim hatte - und die meisten Menschen sogar einen Chip für das Universalgerät in ihrem Arm implantiert hatten, das wie ein eigener, kleiner, holografischer Computer funktionierte. Aber er war direkt an ihn adressiert. Kaum jemand kannte seine Adresse und er war wirklich mehr als verwirrt, vor allem aufgrund des fehlenden Absenders. Stirnrunzelnd öffnete er den Brief und blickte auf eine überaus krakelige Schrift. Als hätte der Verfasser des Briefes gerade das erste Mal per Hand geschrieben. Hallo Kaidan (das d war sogar falsch herum geschrieben), Vielleicht erinnerst du dich nicht mehr an mich. Aber ich mich an dich und an die anderen von der Station. Es tut mir leid, dass ich mich erst jetzt melde, aber ich konnte nicht eher. Ich hoff, dieser Brief erreicht dich irgendwie von hier aus. Hab gehört, dass die Station jetzt zu ist. Nicht schade drum. Sie war sowieso nur wegen euch erträglich. Ich hoffe, es geht dir gut. Offiziell ist nichts, hab aber einiges gehört. Tut mir leid, falls du wirklich da drin gesteckt hast. Du bist sicher nicht Schuld an irgendwas. Glaub ich jedenfalls überhaupt nicht. Das wollte ich dir nur gesagt haben. Mir geht es so weit ganz gut. Wenn es so weitergeht, kann ich bald wieder nach Hause. Dank eurer Hilfe hab ich es so weit geschafft, denke ich. Darum wollte ich mich bedanken. Ihr wart alle echt tolle Freunde für mich. Ihr alle. Und was immer ihr in Zukunft tun wollt, tut es einfach. Wenn das jemand schaffen kann, dann ihr. Ich werd wieder zurück zu Mom und Dad und auf der Farm helfen. Sehr bald. Und vielleicht sehen wir uns dann irgendwann wieder. Das würde mich freuen. Gib nur nicht auf, ja? Mit den besten Grüßen aus dem Serenade-Hospital, Robert :-) Kaidan starrte auf den Brief in seiner Hand. Von Robert. Er hatte oft an den anderen Biotiker gedacht, aber er wusste nie, was mit ihm geschehen war und die Informationen, die er gebraucht hätte, hätte er niemals von jemandem bekommen. Aber Robert hatte es geschafft! Er war am Leben und kam langsam wieder auf die Beine. Und er hatte etwas vor. Er wollte wieder nach Hause zu seinen Eltern. Und er wollte die anderen wieder sehen, auch, wenn die Chancen darauf mehr als gering waren. Kaidan schluckte einmal schwer. Er hatte einen Plan, eine Perspektive. Und er würde weiter lernen und versuchen, sich zu erholen, damit sein Vorhaben bald Wirklichkeit werden würde. Jump Zero hatte ihn nicht zerstört, im Gegenteil! Es hatte ihm Mut gemacht, mehr Mut, als er jemals zuvor gehabt hatte. Und Kaidan? Er verbrachte seine Zeit damit, darüber zu sinnieren, was er nicht tun konnte oder wollte... anstatt einfach etwas zu tun. Wie Robert es ihm vorgeschlagen hatte. Eigentlich war es ihm doch klar gewesen, oder? Er wollte seine Kräfte nicht mehr benutzen, aber vielleicht musste er das gar nicht, um helfen zu können. Er hatte immer helfen wollen, er hatte immer etwas tun wollen. Vielleicht war er ein Biotiker, aber er war auch ein Mensch, einer, der gerne helfen würde, seinesgleichen in den Weiten des Universums zu vertreten. Und vielleicht konnte er das tun, genau das. Es würde vielleicht nicht einfach werden, aber er hatte nicht nur seine Biotik, durch sie er sich auszeichnen konnte, er konnte so viel mehr, vielleicht konnte er von wirklichem Nutzen sein. Für die Erde, für die Galaxie und für andere Menschen und Außerirdische. Mittlerweile glaubte er nicht mehr, dass er seine Zukunft hier auf Erde verbringen wollte oder sollte. Ja, er sollte einfach auf Robert hören und das tun, was er tun wollte. Und jetzt, dank dieses kleinen Briefes mit der schiefen Handschrift und dem umgedrehten D und den vielen Rechtschreibfehlern, der dennoch so voller Zuversicht war, da wusste er, dass er sich nicht mehr länger wie ein Schluck Wasser in der Südkurve hängen lassen wollte. Er hatte Kump Zero überlebt, es ging ihm gut und er war jung genug, dass er wahrscheinlich noch alles erreichen konnte, was er auch immer wollte. An diesem Abend trat er zu seinen Eltern, die Schultern etwas gestraffter als sonst und blickte sie ernst an. Jump Zero war eine Sache gewesen, die nicht seine Entscheidung gewesen war, aber das jetzt... "Ich gehe zurück zur Allianz." Dieses Mal allerdings zu seinen Konditionen. Kapitel 8: Eight ---------------- "I knew there would come a day when all was said and done Everything I was is everything but gone All my big mistakes are bouncing off your wall The bottles never break, the sorrow never comes So come on let me in, I will be the sun I will wake you up, I am who I was Just open up your heart" -Fun, Out On The Town   "Was tut ihr beide denn da?" Weder Mama Alenko noch er selbst hatten die Tür gehen hören und wandten sich entsprechend überrascht um, als Kaidan auf einmal in der Tür zum Wohnzimmer stand. Noch immer in der dunkelblauen Allianz-Uniform, mit etwas durchnässtem, schwarzen Haar - wann hatte es denn begonnen zu regnen? - und einem fragenden Blick auf dem Gesicht, während er näher trat. Und John fiel auf, dass er vielleicht nicht nur fragend war, sondern schon fast auch schon ein wenig... säuerlich? "Hallo, Kaidan. Du bist ja schon wieder da." Seine Mutter lächelte etwas peinlich berührt, eine Art Ich-hab-es-doch-gewusst-Lächeln, während John den Biotiker einfach nur ansah, als würde er ihn gerade zum ersten Mal in seinem Leben sehen. Fast schon automatisch suchten seine Augen die des anderen Mannes, nachdem sie über die Narbe über den Lippen weiter nach oben gewandert waren. "Oh, Gott, Mom, ihr habt nicht wirklich..." Zwar hatte seine Mutter das Fotoalbum in diesem Moment schon zugeklappt, aber wahrscheinlich kannte es Kaidan viel zu gut, als dass er es nicht selbst in diesem kurzen Moment hätte erkennen können. Er ließ ein leises Seufzen vernehmen, ehe er sich durch die nassen Haare fuhr, wahrscheinlich hatte er sich diese Frage in Gedanken gerade selbst beantwortet. Seine Mutter legte das Buch zur Seite und stand auf, ehe sie mit ein paar schnellen Schritten die Couch umrundet hatte und bei ihrem Sohn war. John sah, wie die beiden sich begrüßten, hörte, wie Kaidans Mutter ihm eine warme Dusche empfahl und versprach, etwas zu Essen zu machen, während John selbst noch immer mit dem Foto des 17-jährigen Kaidans in der Hand da saß, ehe er es wortlos zurück in das Fotoalbum steckte und ebenfalls aufstand. Mrs. Alenko war bereits auf dem Weg in die Küche, nur ihr Sohn stand noch leicht triefend im Wohnzimmer, die Arme vor der Brust verschränkt und blickte John an. Und das in einer Art und Weise, die dem Spectre eindeutig zu verstehen gab, dass er irgendetwas wirklich richtig falsch gemacht haben musste. "Okay", meinte er dann nur und trat einen Schritt näher zu Kaidan heran. "Das Gesicht kenne ich doch. Raus damit, was ist los?" Das angespannte Gesicht des Biotikers lockerte sich ein wenig, aber sein Ausdruck war nichtsdestotrotz ziemlich ernst. Er löste seine Arme aus der Verschränkung und zuckte müde die Schultern. "Schaust du denn niemals nach deinen Nachrichten?", fragte Kaidan leise und deutete auf Johns linken Arm, den er fast schon instinktiv hob und das Universalgerät aktivierte, das auf dem Chip in seinem Arm installiert war. Seit dem Krieg hatte er seltener Gebrauch davon gemacht, aber als er es jetzt aktivierte, sprangen ihm neben ein paar Fanmails (unter anderem von Conrad Verner, der sich anbot, vertretungsweise Commander Shepards Platz im Universum einzunehmen), und den üblichen Werbenachrichten vier Nachrichten von Kaidan ins Auge. "Hey, John, wo bist du?" Die zweite hatte einen genauso knappen Inhalt. "Nicht da, wo du sein solltest, so viel ist klar." Und die dritte lautete ganz einfach: "Wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege und du nur eine Kiste durch das Haus getragen hast, dann...!" Weiter ging die Nachricht gar nicht erst, aber die vierte gab Aufschluss darüber, was Kaidan womöglich gemeint haben könnte. "Okay, du weißt, dass dieses 'dann' nie folgen wird, aber verdammt, John, könntest du dich bitte einmal melden?" Damit endeten die Nachrichten. Die erste war vor gut zwei Stunden geschrieben worden, die letzte war erst eine knappe halbe Stunde her. Und die gesamte Zeit über und schon vorher hatte er ja mit Kaidans Mutter hier gesessen und sich über den Biotiker unterhalten - oder sich viel eher von ihm erzählen lassen. John sah den Mann vor sich mit gerunzelter Stirn an, wo hätte er denn aber auch sonst sein sollen? Immerhin hatte er doch heute absolut keinen... Oh. "Oh", wiederholte er seinen Gedanken dann laut. In Ordnung, das hatte er wirklich vollkommen vergessen. Und das erklärte auch ziemlich gut, warum Kaidan ihn so missbilligend ansah. John deaktivierte das Universalgerät und rieb sich den Nacken, das war jetzt wirklich eine sehr unbequeme Situation. Zumal er sich eigentlich nicht einmal schlecht fühlte, dass er die Sache an sich vergessen hatte. Er fühlte sich schlecht, weil Kaidan anscheinend danach auf ihn gewartet hatte. "Tut mir leid. Ich habe es wirklich einfach vergessen, als ich, nun... geholfen habe?" Eine von Kaidans Augenbrauen schoss gefährlich in die Höhe und John fühlte sich gerade wieder wie ein kleiner Junge, dessen Ausrede keinen einzigen Credit wert war. Gut, wie sollte er sich aus herausreden? Immerhin standen da am anderen Ende es Wohnzimmers und in der Küche und oben in den Zimmern zwölf Kisten, die er selbst dorthin getragen hatte. "John, die Therapie ist wichtig!" "Ich konnte die Kisten problemlos durchs Haus tragen, das war auch eine gute Übung." Dieses Mal war es John, der die Arme vor der Brust verschränkte und den obligatorischen Commander-John-Shepard-braucht-keine-verdammte-Therapie-Blick aufsetzte. Nur leider half das wenig gegen Kaidans ernsten und zugleich besorgt wirkenden Blick, der ihm zu sagen schien: Sieh mich an, John! Siehst du die grauen Haare an den Schläfen? Eine Menge davon verdanke ich dir. Aber verdammt, es war doch wirklich so, seit guten anderthalb Monaten war er endlich aus dem Krankenhaus entlassen und auf den Beinen und dennoch wollte ihn jeder mit Samthandschuhen anfassen. Gut, dass Familie Alenko besorgt war, das war ihm mittlerweile bewusst, aber dennoch war so viel Sorge auch nicht nötig. Er hatte die Reaper besiegt und vernichtet, dass das nicht ohne Verletzungen hatte vonstatten gehen können, das war jedem von ihnen von Anfang an klar gewesen, oder nicht? Und viel fehlte ihm doch nicht mehr. Ein bisschen fehlerhafte Kybernetik hier und da und vielleicht war er psychisch noch nicht immer wieder ganz auf der Höhe, aber ansonsten ging es ihm doch bereits wieder gut! Einen Augenblick lang betrachtete Kaidan ihn noch etwas ungläubig, ehe er sich abwandte und sich daran machte, in Richtung Badezimmer zu gehen. John bekam gerade noch seinen Arm zu greifen und drehte ihn wieder zu sich. "Hey, Kaidan. Mir geht es doch gut. Und die nächsten von diesen Therapiestunden versäume ich schon nicht." Zwar sagten Kaidans zusammengezogene Brauen ziemlich deutlich, dass er ihm nicht glauben wollte, aber er nickte, während er John schweigend betrachtete. "Ich mache mir nur Sorgen um dich." Er strich über Johns stoppelige Wangen, und der Commander verstand ihn ja irgendwie auch. Verdammt, er hatte ihn doch schon zweimal verloren glauben müssen, konnte man ihm da verdenken, dass er sich Sorgen um ihn machte? Wahrscheinlich nicht. "Deine Mutter hat also eine lange, ausgiebige Dusche vorgeschlagen?" Kaidan seufzte zuerst auf, als John so ungalant das Thema wechselte, aber ein leises Lachen konnte er sich auch nicht wirklich verkneifen. "Und?", fragte der Biotiker schließlich so gespielt naiv, dass John zur Antwort nur grinsen konnte. Seine Hand legte sich in Kaidans Nacken und zog ihn näher zu sich und er war sich sicher, dass Kaidan nicht entging, dass er seine Lippen genau auf die noch immer sichtbare Narbe über Kaidans Mund presste. Einen Moment lang schlossen die beide die Augen (John etwas später als Kaidan) - und dann schreckten die beiden Männer kurz auf, als sich hinter ihnen ein Regenschirm aufspannte. "Beachtet mich gar nicht", meinte Mama Alenko mit einem äußerst zufriedenen Lächeln, während sie ihre Handtasche richtete. "Ich muss noch Kartoffeln holen." "Mom, ich kann auch..." "Nein, nein, keine Sorge. Ruh dich aus, entspann dich, du hast schon etwas vor." Sie ließ die beiden stehen und trat hinaus. Einen kleinen Moment herrschte Schweigen im Wohnzimmer, ehe Kaidan leise zu lachen begann. "In Ordnung, das war wirklich etwas... nun..." "Deine Mutter ist großartig", fuhr ihm John dazwischen, die Hand noch immer in Kaidans Nacken und noch immer ein Lächeln auf dem Gesicht. "Und sie hat einen großartigen Sohn." Der Biotiker löste sich von ihm, griff dann aber nach seiner Hand und zog ihn kopfschüttelnd mit sich. "Das mit dem erfolgreichen Flirten üben wir noch ein paar Mal..."   Es war am selben Abend, als Kaidan in der Küche seines Elternhauses stand und abwusch. John hatte zwar gemeint, dass er helfen wollte, aber der Biotiker hatte nach dem Abendessen nicht mehr mit sich reden lassen. Immerhin hatte der Commander sich heute bereits zu viel zugemutet, erst das Wuchten der Kisten aus dem Keller zurück ins Haus und dann auch noch... andere Dinge, die zu seiner Erschöpfung beigetragen hatten. Nein, John hatte sich auszuruhen, ob er wollte oder nicht und beim nächsten Mal würde Kaidan persönlich dafür sorgen, dass er auch wirklich zu seiner Therapie ging. Denn egal, wie sehr der Spectre auch behauptete, dass es ihm gut ging, Kaidan wusste, dass dem nicht immer so war und dass er ab und an wirklich Probleme mit dem Laufen hatte. Oder dass ihm manchmal die Hände zitterten, wenn er versuchte, eine Nachricht zu verschicken. Und dass ihm noch immer ein Anfall von Panik drohte, wenn er eine enge Gasse oder dergleichen betreten musste. Nein, auf den Beinen war er noch lange nicht wieder, und das wussten sie alle beide. Allein deswegen hatte er John ins Bett gesteckt und war wieder nach unten gegangen, wo er seine Mutter aus der Küche verbannt hatte, denn auch sie hatte heute schon genug zu tun gehabt, den Rest konnte er erledigen. Allerdings dauerte es nicht allzu lange, bis seine Mutter den Kopf durch die Tür steckte. "Da du Johns Jacke trägst, gehe ich davon aus, dass er im Bett ist?", fragte sie lächelnd, während sie sich an den Küchentisch setzte und sich eine Tasse Tee eingoss. Kaidan grinste verschmitzt und nickte nur in ihre Richtung. "Ja, wenn auch nicht ganz freiwillig." Er hörte seine Mutter hinter sich leise auflachen, während er den ersten Teller ins Spülwasser tauchte. Ab und an war es wirklich, wirklich entspannend, nicht den Maschinen die gesamte Arbeit zu überlassen, sondern es selbst zu tun. Auf irgendeine Art und Weise war das wirklich befreiend. "Tut mir leid, falls ich ihn überfordert habe", sagte seine Mutter schließlich. "Ich habe ihm aber gesagt, dass er sich ausruhen soll, wenn es ihm zu viel wird." "Das kannst du ihm nie oft genug sagen." Kaidan stellte einen der Teller zur Seite und machte sich daran, den nächsten abzuspülen. "Er ist zu stur, um auf irgendjemanden zu hören... was?" Was hatte sie denn? So frech, wie sie in seine Richtung lächelte, da dachte sie sich doch bereits wieder ihren Teil! "Nichts weiter." "Raus damit, Mom." "Nun... er ist nicht der erste Sturkopf in unserer Familie." Ein leises Schnauben entkam dem Major, warum wurde denn von ihm auch immer behauptet, dass er stur sei? Als so schlimm empfand er sich gar nicht, im Gegenteil, er ließ doch mit sich reden. Meistens zumindest. Aber eben nicht immer, denn bei manchen Sachen war er wohl wirklich etwas... nun, vielleicht war er ein bisschen stur, aber auch nicht so sehr! Nachdenklich trocknete er das Geschirr ab, ehe er sich zu seiner Mutter an den Küchentisch setzte, während sie ihm eine Tasse Tee eingoss. Es war kein unangenehmes Schweigen, das zwischen ihnen beiden herrschte, sondern ein ziemlich angenehmes, eines, dass ihnen beiden sagte, dass alles in absoluter Ordnung war - oder es zumindest bald wieder sein würde. Seine Mutter wärmte sich die Hände am Tee, während Kaidan den ersten Schluck trank. "David hat wohl Recht behalten." Der Biotiker hob eine Augenbraue, als seine Mutter wieder zu sprechen begann und ihn mit einem sanften Lächeln betrachtete. David hatte Recht behalten? Sicher, er hatte ein paar Mal Recht gehabt, aber wovon sprach sie denn jetzt genau? "Inwiefern?" "Du hast dein Einsiedlertum aufgeben müssen." Mit einem plötzlichen warmen Gefühl in der Magengegend und geheuchelten Interesse betrachtete Kaidan die Flüssigkeit in seiner Tasse. Und das überaus hässliche Blumenmuster auf der Außenseite. Und den mittlerweile herunter gekrempelten Ärmel von Johns Hoodie, mit dem roten Streifen auf der rechten Seite, der ihn an Johns N7-Rüstung erinnerte. Den Ring an seiner Hand, den er noch vor dem finalen Schlag gegen die Reaper von John bekommen hatte. Ja, Einsiedlertum war eine dumme Idee gewesen. Eine, die ihm besonders zwei Personen wieder ausgetrieben hatten. "Das war allein Johns Schuld. Und Ashleys."   "Willkommen auf der Normandy, Lieutenant Alenko." Captain Anderson schüttelte seine Hand, ehe er sich dem Mann zu seiner Rechten zuwandte. "Das ist mein erster Offizier, Commander Shepard." Kaidan reichte dem hoch gewachsenen und resolut wirkenden Mann mit dem Buzzcut und den auffallend blauen Augen die Hand. Es war eine verdammte Ehre, mit Captain Anderson und Commander Shepard auf einem Schiff sein zu dürfen. Dazu noch auf der Normandy... Er hatte wirklich Glück gehabt, dass ihn jemand für die Crew dieses Schiffs empfohlen hatte! Und er schwor sich, dass er diese Chance absolut nicht vertun würde! "Auf gute Zusammenarbeit, Lieutenant." Die tiefe Stimme des Commanders riss ihn wieder aus seinen Gedanken, und er straffte die Schultern. "Auf gute Zusammenarbeit, Sir."   "Das war beeindruckend. Da unten auf Eden Prime, meine ich." Die junge Frau lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Wand der Krankenstation, während Kaidan den ohnmächtigen Commander betrachtete. Was auch immer auf dem Planeten und mit dem Sender dort passiert war, es hatte Shepard ausgeknockt, und das schon für eine angemessene Zeit. Die Soldatin, die sie auf Eden Prime getroffen hatten - Gunnery Chief Ashley Willams - war die einzige Überlebende ihres Trupps gewesen. Das war beeindruckend. Abseits der Tatsache, dass alles, was auf dieser Mission vorgefallen war, beeindruckend gewesen war. Aber was genau davon war es, das sie meinte? "Wovon genau sprechen Sie?", fragte Kaidan schließlich und blickte von seinem noch immer besinnungslosen Vorgesetzten zu der Soldatin. Ein schwaches Lächeln zierte ihr Gesicht, ehe sie sich den hochgesteckten Zopf etwas fester zog. "Sie beide haben den Geth ziemlich in den Arsch getreten. Jeder auf seine Art und Weise." Der Lieutenant runzelte die Stirn, das war nicht gerade die Art und Weise, wie er es ausgedrückt hätte, aber... nun, das hatten sie. Zumindest ein wenig. Kaidan nickte, als Hinweis, dass er ihr Lob zur Kenntnis genommen hatte, ehe er zu Dr. Chakwas blickte, die durch die Krankenstation wuselte, darauf wartend, dass der Commander endlich erwachen würde. Nun, zumindest schien der Chief keine Angst vor seiner Biotik zu haben. "Nicht der Mitteilsamste, hm, LT?" "...Nie gewesen."   "Scheiße, wenn ich lebend von diesem Planeten runter komme, dann will ich, dass Sie mich auf einen Drink einladen, Skipper!" Ashleys Zähne klapperten, obwohl sie versuchte, das so gut es ging zu unterdrücken. Und auch Kaidan wünschte sich gerade mehr als alles andere an irgendeinen warmen Ort. Oder zumindest ein zusätzliches warmes Kleidungsstück unter der Rüstung. "Mom hatte Recht, ich hätte noch einen Pulli einpacken sollen." Die Blicke der beiden anderen Soldaten waren in diesem Moment komplett auf ihn gerichtet, während sie auf dem Schneeplaneten Noveria unterwegs waren, um die Patriarchin Benezia zu finden. Kaidan spürte sein taub gewordenes Gesicht unter der Hitze seiner Wangen geradezu wieder auftauen. "Was...?" Commander Shepard wandte sich kopfschüttelnd um und machte sich auf den Weg in die Station, in der sie sich nach der Asari erkundigen wollten. Ashley und Kaidan folgten dem Skipper, wie Ashley ihn zu nennen pflegte. Der Biotiker war sich nicht sicher, wie viel Respekt wirklich in dieser Anrede steckte, aber da sich Shepard nicht daran zu stören schien, sollte es ihn nicht weiter kümmern. Er selbst war jedenfalls weit davon entfernt, den Commander in irgendeiner anderen Art und Weise als mit  den üblichen Bezeichnungen anzusprechen. "Gut", sagte der Spectre schließlich, noch ehe sie die Station betreten hatten und wandte sich zu den beiden Squadmitgliedern um. "Wenn wir hier fertig sind, bekommen Sie, Williams von mir einen Drink und Alenko, Sie ebenfalls. Zusätzlich zu einem neuen Pulli. Und jetzt vollste Konzentration auf die Mission." Sie salutierten beide, und folgten dem Commander dann augenblicklich nach. Es gab vor dem Drink einiges zu tun!   Das Schlimmste waren eigentlich die allwöchentlichen Untersuchungen bei Dr. Chakwas. Nicht, dass er die Frau Doktor nicht mochte, aber sie war absolut bestimmt und unbeirrbar in ihrer gesamten Art und Weise. Und sie ließ ihn nicht gehen, ehe sie nicht jeden erdenklichen Test durchgeführt hatte, um zu überprüfen, ob er wirklich noch immer diensttauglich war - denn viele in seinem Alter mit den defekten L2-Implantaten waren das nicht. Die meisten Besuche bei Chakwas endeten damit, dass er mit pochendem Kopf und schmerzenden Augen und überaus schlechter Laune an einem der Tische in der so genannten Lobby saß und versuchte, sich wieder ein wenig zu sammeln. "Chakwas?" Kaidan hörte ein leisen Klappern und dann stieg ihm bereits der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee in die Nase. Langsam nahm er die Hand von der Schläfe, betrachtete die Tasse, die vor ihm stand und dann den Mann ihm gegenüber. Sofort straffte sich seine gesamte Haltung, als er den Commander erkannte. "Sir", begrüßte er ihn höflich, während Shepard nur da saß und einen Schluck aus seiner eigenen Tasse nahm. Kaidan schwieg einen Moment, ehe ihm bewusst wurde, dass er die aus einem Wort bestehende Frage nicht wirklich beantwortet hatte. "Ja, ich war bis eben bei Dr. Chakwas. Sie, eh... ist gerne gründlich." Die Mundwinkel des Commanders zuckten, ehe er auf den Kaffee vor Kaidan deutete. "Trinken Sie. Koffein hilft gegen Kopfschmerzen, habe ich gehört." Mit einem leisen Dankeschön nahm er einen großzügigen Schluck des noch immer heißen Getränks, ehe er Shepard stirnrunzelnd ansah. "Sie wissen davon? Von der Migräne?" "Ich kenne mein Team gerne. Und die Auswirkungen der Implantate stehen in Ihrer Akte." Und Kaidan war froh, wenn wirklich nur das darin stand, denn alle Akten aus der Zeit von Jump Zero waren gelöscht oder zumindest nicht zugänglich, von daher musste er wohl keine Sorge haben, dass Shepard so etwas davon erfahren würde. "Ich würde irgendwann gerne die gesamte Geschichte erfahren, die dahinter steckt." "Ich..." Kaidans Mund wurde mit einem Mal ziemlich trocken, er wollte die gesamte Geschichte erfahren? Da wäre er aber wirklich der Erste, der sich dafür interessieren würde. Und das aus ehrlichem Interesse heraus. "Natürlich, Commander. Wenn sich die Gelegenheit ergibt." "Nein, Alenko. Dann, wenn Sie es mir von sich aus erzählen möchten."   Shepards Kampfkraft war unübertroffen, nicht umsonst hatte er das als mehr als schwierig und Kräfte zehrend geltende N7-Programm überstanden. Aber abseits davon bewunderte es Kaidan noch mehr, wie der Commander Konflikte mitunter lösen konnte, ohne einen einzigen Schuss abzugeben - einfach nur durch Worte. Als wüsste er genau, welche Knöpfe er bei den Leuten drücken müsste, um sie zur Vernunft zu bringen. Und Kaidans Achtung vor ihm schien mit jedem Tag mehr zu steigen, je öfter er mit dem Spectre sprach und seine Handlungen beobachten konnte. Sie waren gerade von einer weiteren erfolgreichen Mission zurückgekehrt, die ohne jegliches Blutvergießen vonstatten gegangen war  und Shepard hatte sie entlassen, er wollte einen Bericht übermitteln, und Ashley und Kaidan blieben einen Moment stehen und sahen ihrem Vorgesetzten hinterher. "Er ist wirklich unglaublich", meinte Kaidan mit schierer Ehrfurcht, während Ashley nur den Kopf zur Seite legte und die Augen etwas zusammenkniff. "Großartig. Nennen wir ihn großartig." Seufzend wandte sich der Biotiker der Soldatin zu. "Reden wir gerade wirklich von derselben Sache?" "Ich rede von seinem Hintern in dieser Rüstung." Entgegen seines eigentlichen Vorhabens konnte sich Kaidan ein Lächeln nicht verkneifen. "Verstehe schon."   "Auf die Normandy!" Die drei Gläser klirrten aneinander, ehe jeder von ihnen einen großzügigen Schluck nahm. Kaidan schüttelte den Kopf, nachdem der Whiskey seinen Hals hinab geflossen war und sah sich dann im Flux um. Nur gut, dass sie hierher gegangen waren und nicht in Choras Nest in den unteren Bezirken, denn er bekam schon Kopfschmerzen, wenn er nur an die Beleuchtung und den Lärm dort dachte! Aber das Flux war angenehm, gedämmtes Licht und angenehme Musik - zumindest noch. Sicher würde sich das spätestens ab 2000 ändern, wenn die meisten Besucher aller Rassen in den Club kamen. Aber vorher hatten sie ihre Ruhe und Zeit zu reden. Und zu trinken. Zumindest so lange, bis Ashley nach dem zweiten Glas plötzlich auf den Beinen war. "Wir sollten das Tanzbein schwingen!" Kaidan sah die Soldatin fassungslos an, während Shepard nur in der Art und Weise eine Augenbraue hob, die jedem sagte, dass er von diesem Plan nicht sonderlich viel halten wollte. Aber Ashley ließ sich nicht beirren, sondern zog erst den Lieutenant von seinem Stuhl, ehe sie sich an den Commander wandte, der sich scheinbar schon freiwillig seinem Schicksal ergab und aufstand, um zur Tanzfläche zu gehen. "Ich halte das für keine gute Idee", murmelte Kaidan, während er mehr in Richtung der lauter werdenden Musik schlich als lief. "Bleiben Sie in meiner Nähe. Lassen Sie niemanden zu nahe kommen. Versuchen Sie, ihre Deckung nicht zu vernachlässigen." Entweder war es der Alkohol, der den Spectre so reden ließ, oder aber er machte sich wirklich Gedanken darüber, wie er dieses Selbstmordkommando denn eigentlich überstehen sollte. Aber es tat gut, den sonst so ernsten Commander auch einmal entspannter zu sehen. "Selbstverständlich, Sir." Und dennoch, nach vielen, vielen Minuten auf der Tanzfläche, nachdem Ashley sich laut lachend über den augenscheinlich nicht vorhandenen (oder sehr, sehr rückständigen) Tanzstil der beiden Männer amüsiert hatte, während sie selbst sehr viele begehrende Blicke auf sich gezogen hatte, hatten sie sich schon so etwas wie Spaß an der ganzen Sache. Einmal zuckte Kaidan zusammen, als er mit jemandem zusammenstieß, aber es stellte sich heraus, dass das Shepard war, der mit dem Rücken an seinem stand. "Bleiben Sie so, Alenko, geben Sie mir Deckung!" "Etwa wegen dieser Asari dort hinten, die sehr eindeutige Gesten in Ihre Richtung macht, Sir?" "...Hm." Das war der Moment, in dem sie wirklich so unauffällig wie möglich von der Tanzfläche zu verschwinden versuchten.   "Er erkundet sich ziemlich oft nach dir." Kaidans Kopf schnellte bei Ashleys Worten nach oben, wobei er vergaß, dass er noch immer halb unter dem Terminal saß, das er gerade zu reparieren versuchte. Sein Hinterkopf prallte mit einem dumpfen Geräusch gegen den Rahmen der Elektronik. Nicht. Klug. "Wer?", brachte der Biotiker mit zusammengebissenen Zähnen hervor, als Ashley schließlich in sein Blickfeld gerückt war. Er rieb sich den schmerzenden Hinterkopf und versuchte erneut, das Terminal wieder in Gang zu bringen. "Skipper natürlich", meinte der Chief augenrollend, ehe sie leise zu bemerken gab, dass das Gerät noch immer nicht funktionierte. "Das tut er doch aber bei jedem." Kaidan bildete sich nichts darauf ein. Immerhin musste man wahrscheinlich öfter nach ihm fragen, wenn er wieder einmal wegen seiner Kopfschmerzen lediglich auf dem Bett liegen und sich zusammenrollen konnte. Dennoch, dass er es überhaupt tat... Das war schon ein ziemlich schöner Gedanke. "Grins nicht so." "Es wäre einfacher, wenn du ihm auch mal sagen würdest, wie es dir wirklich geht." "Das tue ich doch immer." Ashley holte tief Luft und Kaidan seufzte nur, während er sich dem Terminal zuwandte. Das würde jetzt wieder etwas geben. "Machen Sie sich keine Sorgen, Sir. Ich habe Ihre Zeit genug in Anspruch genommen, Commander. Ich fühle mich gut genug, um mit auf Mission zu kommen, Shepard." Kaidan grinste schief und blickte über die Schulter. "So klinge ich?" Ashley kam auf ihn zu und verpasste ihm einen Schlag gegen den Oberarm. "Nur, wenn du mit ihm sprichst, LT. Nur dann."   Irgendwann gewöhnte er sich an das angenehme Gefühl, den Commander und Ashley um sich herum zu haben. Und seltsamerweise erinnerte es ihn immer mehr an Rahna und David - allerdings waren dieses Mal die Geschlechter mehr oder minder vertauscht. Es gab da diesen Mann, der sich um ihn und sein Wohlergehen sorgte, und dann gab es da diese resolute Frau, die alles sagte, was ihr in den Sinn kam und kein Blatt vor den Mund nahm. Kaidan  hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er mit der Erkenntnis  umgehen sollte, dass sich nicht nur die Personen sich ihrem Verhalten ähnelten - sondern auch die Gefühle, die er ihnen gegenüber empfand.   "John!" Seine Hand umschlang den Unterarm des Commanders, hielt ihn fest, damit er nicht von der Klippe stürzen konnte. Was mehr als schwierig war, wo ihm noch ein Husk - ein ehemals menschliches Wesen - am Fuß hing, der sich auf ihn gestürzt und ihn beinahe mit in die Tiefe gerissen hatte. Zwar versuchte John - Shepard! - ihn abzuschütteln, aber es brauchte einen gut platzierten Schuss von Ashley, ehe der Husk von ihm abließ und  leblos nach unten stürzte. Kaidan zog den Commander nach oben und betrachtete ihn besorgt und OhGotthoffentlichgingesihmgutunderwarunverletztund - Johns, nein, die Hände des Spectre lagen auf seiner Schulter, und er konnte durch den Helm des anderen Mannes die blauen Augen sehen, die ihn aufmerksam und irgendwie... besorgt musterten. Warum ihn? Immerhin war er nicht beinahe von der Klippe gefallen! "Alles in Ordnung, Sir?", brachte Kaidan schließlich leise und stockend hervor und der Commander nickte, ehe er langsam aufstand. Ashley unterdessen hatte ihre Waffe gesichert. "Scheinen alle erledigt zu sein." "Gut", meinte Shepard lediglich und sammelte seine Waffe ein, die er beim Ansturm des Husks fallen gelassen hatte. "Dann zurück zum Erkundungsfahrzeug." Die beiden Soldaten nickten ihrem Vorgesetzten zu und wandten sich in die Richtung um, in der sie das Mako abgestellt hatten. Doch der Commander holte schnell zu ihnen auf und hielt Kaidan einen Moment auf, indem er ihm eine Hand auf die Schulter legte, so dass sie ein paar Schritte hinter Ashley liefen. "Ich wusste gar nicht, dass Sie meinen Vornamen kennen, Kaidan." "Ich... Sir, ich, eh, wollte nicht unhöflich oder unverschämt erscheinen. Tut mir leid." "Gottverdammt, LT, nehmen Sie endlich den Stock aus dem Arsch!" Ashleys Stimme ließ ihn aufschrecken und er war froh, dass der größte Teil seines Gesichts vom Helm verdeckt war. Shepard drückte seine Schulter, und fast hätte der Biotiker ein Lächeln unter dem Helm vermutet, als sein Vorgesetzter auf einmal ein paar Schritte schneller ging. "Es war nicht so, dass mich das stören würde, Lieutenant."   Verbrüderung in der Allianz war strengstens untersagt. Das wussten sie alle. Aber das bedeutete nicht, dass man sich aussuchen konnte, wie man für irgendjemanden empfand, richtig? Kaidan betrachtete nachdenklich den Inhalt seines Glases, während sie alle drei im Flux saßen und sich eine Auszeit von all den Missionen gönnten. Das war wirklich die beste Zeit, wenn sie zusammen lachen und diskutieren und über Gott und die Welt erzählen konnten, ohne sich um irgendetwas Gedanken machen zu müssen. Und er genoss diese Zeit, er genoss sie wirklich in vollen Zügen. Wahrscheinlich sollte er sich mehr als glücklich schätzen, zwei so gute Freunde gefunden zu haben - und wahrscheinlich sollte er nicht mehr verlangen, als er wirklich haben konnte. "Ich werde mich für heute verabschieden", meinte Ashley schließlich und stand auf. Kaidan entging das Zwinkern nicht, dass sie erst ihm und dann John schenkte, und er sah den Chief an, als wolle er sie fragen: Wieso tust du das gerade? In Johns Nähe war er immerhin selten mehr als ein sozial inkompetenter Lieutenant, der nicht wusste, wie weit er gehen konnte, ohne die Grenze zwischen Vorgesetztem und Freund zu übertreten. Und nun? Nun saß er hier alleine, sich Johns Blick nur allzu bewusst und wusste nicht, was er sagen sollte. Oder durfte. Vielleicht war es ja auch vollkommen gleich? Sie waren doch trotz den Rangunterschieden Freunde, oder? Und auch, wenn das Gesetz zwischen ihnen stand, das er nicht überschreiten konnte oder wollte, so konnte es dennoch nicht das tilgen, was er an Gefühlen empfand. Selbst, wenn daraus nicht mehr werden durfte, noch mehr Chancen wollte er nicht aufgeben müssen, einfach bei jemandem sein zu können, der ihn nicht von sich stieß. Bei jemandem, dem er augenscheinlich wirklich etwas bedeutete. "Sie hatten mich doch einmal nach meiner Vergangenheit gefragt, Sir?", fragte er schließlich vorsichtig und sah, wie John das Glas sinken ließ, das er gerade erhoben hatte. "Das habe ich", antwortete er mit einem sanften Nicken. "Und es gibt keinen Grund, jetzt förmlich zu sein, Kaidan." Der Biotiker holte tief Luft. Er musste, sollte, durfte nicht alles erzählen, aber einige Dinge... die konnte er wohl sagen. "In Ordnung... John." Der Name fühlte sich noch immer etwas fremd an, wenn man ihn sonst nur mit Titeln oder dem Nachnamen ansprach. Fremd, aber nicht falsch. "Ich denke, dass ich Ihnen jetzt gerne davon erzählen möchte." Epilog: End ----------- "I've learn to lose I've learn to win Turn my face against the wind I will move fast I will move slow Take me where I have to go" - Lisa Miskovsky, Still Alive   Sie hatten vieles verloren in all den Jahren. Freunde und Kameraden, wie Richard Jenkins, Ashley Williams, Mordin Solus, Thane Krios, Legion, viele aus der Besatzung der ersten Normandy, der SR-1... Sie hatten sich verloren und wieder gefunden. Und fast hätte er John wieder verloren, nachdem er ihn endlich wieder hatte in die Arme schließen können. Wäre all das so gekommen, wenn er sich damals dagegen entschieden hätte, nach Jump Zero zu gehen? Wenn er dort nicht Vyrnnus zum Ausbilder gehabt hätte? Wenn er an Roberts Stelle gewesen wäre? Wenn jemand anderes an seiner statt aufgestanden wäre, als Vyrnnus ein Exempel hatte statuieren wollen? Wenn er ihn nicht umgebracht hätte? Wenn Rahna danach nicht voller Furcht vor ihm gewesen wäre? Wäre er dann auch ziellos und zerbrochen auf die Erde zurückgekehrt? Vielleicht, aber wahrscheinlich nicht in demselben Ausmaß, wie es schlussendlich der Fall gewesen war. Wahrscheinlich hätte er niemals Roberts Brief erhalten und hätte sich nie dazu entschieden, wieder zur Allianz zurückzukehren. Dann wäre er John und Ashley niemals begegnet. Vielleicht waren seine Entscheidungen nicht in jedem Fall die richtigen gewesen, aber er wusste, dass er jetzt nicht hier wäre, wenn er einige davon nicht oder anders gefällt hätte. Und er wusste nur allzu gut, dass selbst von dort aus noch viel hätte passieren können. Auf Eden Prime hätte er an Richards Stelle sein können. Er hätte an Ashleys Stelle sein können, als John die Entscheidung auf Vimire hatte fällen müssen. Ebenso gut hätte er mit der ersten Normandy untergehen können, wenn ihm nicht befohlen worden wäre zu gehen. Oder er hätte von den Kollektoren verschleppt werden können, wenn nicht gerade zu diesem Zeitpunkt John gekommen wäre, um die schier aussichtslose Lage auf Horizon zu retten. Er hätte auf dem Mars sterben können, bei der ersten gemeinsamen Mission seit über zweieinhalb Jahren, bei der der Commander und er selbst gelernt hatten, sich wieder gegenseitig zu vertrauen. Und er erinnerte sich noch gut daran, dass John jedes Mal ins Krankenhaus gekommen war, um ihn zu besuchen, um ihm zu sagen, dass zwischen ihnen alles wieder in Ordnung war. Und ihm anzubieten, wieder auf die Normandy zu kommen. Selbst dann noch, als sie sich wenig später mit gezogenen Waffen gegenüber gestanden hatten, und er sich fast sicher war, dass John ihn erschossen hätte, wenn er nicht nachgegeben und weiter Udinas Lügen geglaubt hätte. So vieles hätte anders verlaufen können, in so vielen Momenten hätte sein Leben enden können, ohne, dass er John jemals hätte sagen können, was er für ihn fühlte. Doch das Leben hatte manchmal andere Pläne. Wahrscheinlich hatte Kaidan deswegen die Chance bekommen, John irgendwann in seiner sozial inkompetenten Art zu sagen, wie viel er ihm bedeutete, nur, um im selben Atemzug zu erfahren, dass der Spectre genauso von ihm gedacht hatte. Die Zeit danach war - allen Umständen zum Trotz - die schönste seines ganzen Lebens gewesen. Und er wollte, dass sie anhielt, jetzt, wo er keine Angst mehr haben musste, John zu verlieren. Er war nicht gerade dankbar für alles, was ihm in seinem Leben zugestoßen war, aber Jump Zero und Vyrnnus und einfach alles, was geschehen war, hatte ihn direkt dahin gebracht, wo er sein sollte und wollte - zu John Shepard, nicht zu dem Commander, dem ersten menschlichen Spectre, dem Retter der Citadel oder dem Bezwinger von Kollektoren und Reapern. Einfach zu John. Genau dahin, wo er hingehörte. Er mochte ein Freak sein, wahrscheinlich in vielerlei Hinsicht. Aber entweder lebte er mit diesem Umstand, oder er tat es eben nicht. Er selbst... er hatte nach all der Zeit endlich jemanden gefunden, der dafür Sorge trug, dass er sich menschlich fühlen konnte. Und wenn er spürte, wie John neben ihm lag, den Arm im Schlaf fest um ihn geschlungen, die Nase in Kaidans Haar vergraben, und die Beine um Kaidans gelegt, dann wusste er, dass er als Junge niemals erwartet hätte, jemals so etwas erfahren und fühlen zu dürfen.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)