Desperation von Törtchen ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Serah!“ Es war fast Mitternacht. Nachdem die schwere Tür zum Labor sich geöffnet hatte, stolperte sie beinahe hektisch über ihre eigenen Füße. Inmitten des kühlen Raumes stand ein großer, eisiger, blauer Kristall, dessen Optik dem Betrachter für gewöhnlich eine innere Ruhe und Balance vermittelte. Bei genauem Hinsehen jedoch, erkannte man, in der kalten Hülle der wundersamen Materie ein junges, unschuldiges Mädchen schlafend und dieser Anblick versetzte jedem, der diesen Kristall sah, einen Stich ins Herz. Besonders Lightning traf es hart, denn die schlafende junge Frau, welches von dem magischen Stein versiegelt wurde, war ihre geliebte Schwester. Ihre einzige Schwester, die sie durch eine tragische, unwiderruflichen Entscheidung, einen Fehler, an einen Pulse fal'Cie verlor. Vorsichtig beugte Lightning sich nach vorn um Serah's Gesicht leicht zu berühren. Eine unangenehme Kälte schnellte durch ihre Fingerspitzen an ihren Armen hinauf, sodass sie ihre Hand schnell wieder weg zog. Serah... Traurig betrachtete sie die stumme Statue ihrer Schwester, während innerlich die schmerzlichen Selbstvorwürfe ihr Herz zerfleischten. Mit jeder Minute, jeder Sekunde, wo sie Serah still betrachtete, wurde ihr bewusst, was sie Schlimmes getan hatte...das nur sie für alles verantwortlich war, verantwortlich für das unendliche Leid ihrer Schwester sowie den unschuldigen Bewohnern Cocoons. In diesem Moment expandierte der Schmerz in ihrem Herzen ins Unermessliche, der sie für wenige Sekunden lähmte. Sie konnte nicht mehr denken, nicht mehr sprechen; nur stiegen tief aus ihrem Unterbewusstsein heiße Tränen in ihre Augen und sie bekam das Bedürfnis zu schreien... „Kontrolliere deine Gefühle, konzentriere dich auf dein Ziel und blende deine Emotionen aus.“ Hope. Genau diese Worte hatte sie vor wenigen Tagen noch Hope mit auf seinen Weg gegeben. Lightning atmete lautlos tief durch und erhob sich wieder, allerdings ohne den Blick von Serah abzuwenden. Die Schritte hinter ihr nahm sie nun auch wieder wahr nachdem sie zurück in die Realität gefunden hatte. Schnell nahm ihr hübsches Gesicht wieder den neutralen, emotionslosen, ernsten Ausdruck an, den jeder von ihr kannte als sie die Person hinter sich von der Seite ansah, die wenige Meter von ihr entfernt stand; ein sehr groß gewachsener Mann wie Snow, mit rabenschwarzen Haar, gekleidet in einer blassgrauen Uniform. Sein fehlender Umhang ließ ihn für einen hochrangigen Offizier einer Schutzeinheit des Sanktums sehr schlicht aussehen, doch nicht weniger nobel und höflich wie er sich trotz seinen eiskalten Augen gab: Cid Raines. „Ich hätte nicht gedacht, dass du hierher kommst.“ Seine Stimme klang ruhig und gefasst, genau so wie man es von einer Persönlichkeit wie ihm erwartete. „Ich bin wegen Serah gekommen.“, kam sofort die kurze, aber defensive Antwort von Lightning. „Natürlich.“ Eine Pause unterbrach das ohnehin schon recht kühle Gespräch. „Lightning, also...“ Sie quälte sich mit dem Schicksal einer Pulse l'Cie. Ginge es nach den Regeln des Sanktum, wäre sie schon lange gegen ihren Willen exekutiert worden. Als Staatsfeindin von Cocoon war sie genau wie ihre fünf Begleiter von einer Pulse fal'Cie auserwählt worden um ihrer Bestimmung zu folgen. Etwas, was niemals hätte passieren sollen, niemals hätte passieren dürfen. Nein, das Schicksal eines l'Cie, dem Untertanen eines fal'Cie, konnte man mit dem Tod gleichsetzen. Egal ob man als ewig stummer Kristall oder, im Falle einer nicht erfüllten Bestimmung, als alles hassender Cie'th, der einen Groll auf Lebewesen jeder Art hegte, endete. Das Schicksal eines l'Cie war besiegelt, ganz egal wie es ausging. In Momenten wie jetzt kamen in ihr, Lightning, deutlich die Selbstvorwürfe zum Vorschein; denn sie war mit der Auslöser das alles so passierte, wie es nicht hätte passieren dürfen. Sie hatte ihrer nun in Kristall ewig schlafenden Schwester Serah keinen Glauben geschenkt als sie ihr beichtete, von einer Fal'Cie auserwählt worden zu sein. Ja, das war ihr Preis dafür, dass sie ihr keinerlei Beachtung schenkte, als sie sie am meisten brauchte und um Hilfe bat. Und jetzt war Serah fort...alles was übrig blieb war der stumme, starre, eiskalte, kristallisierte Körper ihrer Schwester und das penetrante Schuldbewusstsein in ihrem eigenen Herzen Serah nicht beschützt zu haben... Sie antwortete nicht auf seine Frage, stattdessen wandte sie sich wieder zu Serah und musterte sie still. „Seit ihr wirklich dazu entschlossen, dass Sanktum herauszufordern?“, fragte sie dann gelassen ohne wieder in die Nähe ihres emotionalen Damms zu gelangen, der seit längerem schon drohte, unter dem Druck einzustürzen. „Ja.“, antwortete Raines ohne zu zögern. „Wir wollen Cocoon wieder zurück in die Hände des Volkes geben. Die heilige Regierung, der Potentat und die Fal'Cie haben uns lange genug unter ihrer Fuchtel gehabt. Wenn keine Umstellung eintritt, wird die Menschheit sich nie aus den gierigen Klauen des Sanktums befreien können. Wir werden nie voranschreiten, nie lernen uns selbst zu versorgen, niemals unabhängig, frei werden. Eine Veränderung zu erzielen stellt sich als äußerst schwierig heraus, aber es ist notwendig.“ „Der Idealist in Person, wie immer.“, kommentierte Lightning kühl und spielte vorsichtig mit den Fingern an dem metallischen Teil ihrer Gunblade. Wieder glitt ihr Blick kurz hinunter zu ihrer Schwester. „Snow sagte, sie wird zurückkehren...“, murmelte sie mit anbrechender Hoffnungslosigkeit in ihrer Stimme. „Warst du derjenige, der ihm das erzählt hat?“ Cid blickte hinunter auf seine weißen, makellosen, sauberen Lederstiefel, runzelte nachdenklich die Stirn. „Ich habe niemals behauptet, dass sie mit Sicherheit erwacht. Ich sagte, es wäre möglich, dass sie eines Tages die Kristallstarre überwinden könnte. Du hast Fang vorhin zugehört, nehme ich an? Die Dauer einer Kristallstarre hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der eigenen Persönlichkeit und die Bestimmung der betroffenen l'Cie...die Spanne reicht von wenigen Monaten bis viele Jahrhunderte.“ Er sah vom Boden auf an die Wand vor ihm um dort einen imaginären Punkt zu fixieren während er die Arme vor der Brust verschränkte. „Das Team aus der Forschungsabteilung tut alles was in seiner Macht steht, doch ohne die Daten des Pulse fal'Cie befürchte ich, all ihre Mühen sind umsonst.“ Lightning drehte sich nach diesen bitteren Worten nun direkt zu Cid um, hob einen Arm und legte die Hand auf ihre Hüfte. „...was ist mit den Cocoon l'Cie? Gab es dazu keine Berichte? Ich bin mir sicher, der Kommandant der Kavallerie ist nicht ganz unwissend.“ Raines blieb diesmal stumm und sah schweigend über die Wand hinweg bevor er sich aus ihrem Blickfeld weg drehte. „Cid.“ Lightnings Ton blieb standhaft. „Von den rund neunzehn l'Cie, die während des Transgressionskriegs ihre Bestimmung erfüllt haben und kristallisierten, wurden elf gefunden. Die exakte Position der anderen acht ist noch immer unbekannt aber es ist erwiesen, dass nicht auch nur ein einziger von ihnen die Kristallstarre bisher überwunden hat...bis auf Fang, natürlich.“ Schweigend und mehr als unzufrieden mit der Antwort sah Lightning erneut zu Serah hinunter, kniete sich vor sie und berührte ihre ebenfalls kristallisierten Finger, ihr Handgelenk, ihr Gesicht... „Als Serah zu einer l'Cie wurde,...warum bist du nicht zu mir gekommen?“, fragte Raines mit einem überraschend warmen und freundlichen Unterton. „Ich hätte die Möglichkeit gehabt, sie von hier weg zu bringen, fort aus dem Visier der PSIKOM. Sie hätte-“ „Hör auf!“, fauchte Lightning mit Wut und bitterem Zorn in ihrer Stimme. „Du hast kein Recht so etwas zu sagen! Du weißt ganz genau, dass ich-“ Ein heißer, erdrückener Stich fuhr plötzlich durch ihre Lungen. Augenblicklich verkrampfte sich ihr ganzer Brustkorb schmerzvoll, dass pochende Herz schlug schneller und trieb ihren Puls in die Höhe. Sie legte eine Hand auf ihre linke Brust wo das l'Cie-Stigma aufleuchtete und nur wenige Sekunden später der Schmerz wieder nachließ... Raines trat ein paar Schritte näher, blieb jedoch in diskretem Abstand zu ihr stehen. „Vergib mir, Claire...das waren jetzt unangebrachte Worte...“, entschuldigte er sich leise und vorwurfsvoll. „Bitte, hör auf...“ Lightning rieb sich mit einer Hand über die schmerzenden Schläfen. „Erzähle mir nicht, was ich für sie hätte tun können! Es ist alles so gekommen, weil ich ihr nicht von Anfang an geglaubt habe! Deswegen sind wir hier! Nur wegen mir...wegen mir...es ist zu spät um noch darüber nach zu denken. Es ist etwas, was ich nicht wieder rückgängig machen kann, so gerne ich es wollte! Ich sollte eigentlich noch froh darüber sein, dass sie nicht als Cie'th endete und ich habe beschlossen nichts mehr zu bereuen, sondern nach vorne zu schauen und einfach zu hoffen,... Sie schluckte. …dass sie eines Tages wieder zurückkommt...“ Vorsichtig ließ Lightning sich weiter auf ihre Knie sinken bis diese den kalten Boden berührten. Die Innenflächen ihrer Hände bedeckten nun ihre feuchten Augen, versteckten die Tränen unter Handschuhen aus Leder. Raines musterte sie mit einem unlesbaren Ausdruck im Gesicht wie sie sich selbst in Verzweiflung wiegend auf dem eisigen Boden vor Serah nieder ließ. Erst als die junge Soldatin ein gebrochenes, aussichtsloses Schluchzen von sich gab, welches ihr mehr als peinlich und unangenehm war, näherte sich der Brigadegeneral ihr so weit, dass er eine Hand vorsichtig auf ihre Schulter legen konnte. Er war sich unsicher, wie man eine Frau wie Lightning in so einem Moment am Besten trösten konnte... Für wenige Sekunden behaarte Lightning auf Knien vor dem Kristall ihrer Schwester, spürte das angenehme Gewicht von Raines Hand auf ihrem Körper. Vorsichtig sah sie zaghaft auf, schüttelte den Kopf und erhob sich um mit einem leisen Schniefen den Raum zu verlassen... Raines blickte ihr mit einem lautlosen Seufzen hinterher bis sie die Treppen hinunter verschwunden war. Lightning... Es war bereits das zweite Mal, dass er sie so erleben musste. Und er war der Einzige in ihrem Leben, der sie jemals verzweifelt gesehen hatte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)