☾ Mikadzuki von Mimiteh ================================================================================ Kapitel 66: Silberbann ---------------------- Du willst also ein Auge auf ihn haben?“ Kirins Stimme klang wenig überrascht, während seine leicht gespaltenen Hufe sich in den Sand gruben. Yutaka, der neben ihm über den Strand trottete, nickte etwas. „Naoki war ein guter Freund. Und Jinenjis Mutter wird vermutlich nicht mehr lange in dieser Welt bleiben. Sie ist und bleibt ein Mensch“, bemerkte er. Kirin schüttelte seine Mähne, ohne den Schritt zu unterbrechen. „Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen, ehrlich gesagt habe ich es mir schon gedacht. – Eigentlich schade, dass niemand mehr weiß, dass auch in Mischpartnerschaften die Zeichnung möglich ist“ „Es ist selten nötig, Kirin-san. Die wenigen Paare, die sich aus Mensch und Dämon zusammensetzen… aber für eben jene wäre es schon ein großer Vorteil. Immerhin die Lebenszeit wäre dadurch angeglichen. – Á propos, wie ist das eigentlich mit dieser Miko? Kagome?“, wandte Yutaka ein. Kirin antwortete einen Moment lang nicht, an seiner Brust schimmerte das sonst unsichtbare Medarión no Chié auf, als er auf es horchte. Dann zeigte sich ein belustigtes Blitzen in Kirins Augen. „Um die brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Die Tía ist sehr zufrieden mit ihrer neuen Trägerin“, sagte er nur und Yutaka wusste sich diese Worte zu deuten. „Und was hast du nun vor?“, wollte er von seinem Begleiter wissen. Kirin blickte kurz übers Meer, dann den Strandabschnitt entlang. „Ich denke, ich werde einen kleinen Rundgang machen. Kagome hat den Bannkreis wieder geschlossen, das heißt, die Schlösser sind inzwischen auch teleportiert. Die Fürstenfamilien sollten sich eingerichtet haben, wir werden nachschauen, wie es ihnen geht. – Oder willst du lieber zu deinem Schützling?“ Das klang belustigt. Yutaka zog vielsagend eine Augenbraue hoch und winkte etwas ab. „Ganz Recht, Kirin, er ist vielleicht mein Schützling, aber ich nicht sein Schatten. So leid es mir tut, mein Freund, aber ich werde dich begleiten“ „Schaaade…“, seufzte Kirin gespielt enttäuscht, ehe er seine Schritte beschleunigte. Er wollte keine Zeit verlieren. ~*~ Sesshoumarus Gruppe und InuYashas Reisegruppe hatten sich inzwischen zusammengefunden, während die Bediensteten schon wieder im verlagerten Schloss waren. Momentan wagte niemand auch nur im Geringsten aufzumucken. Sie alle wussten, dass der Fürst noch immer angespannt war, nach dem, was seiner Ziehtochter angetan worden war und ein jeder nahm sich fest vor, nie wieder einen schiefen Blick oder ein falsches Wort auf dieses Menschenmädchen zu beziehen. Irgendwie hingen sie doch alle an ihrem Leben und ahnten, dass jenes nicht lange währen würde, wenn sich einer von ihnen noch einmal im Ton vergriff. Sesshômaru saß allein auf einer kleinen Düne und blickte scheinbar emotionslos über das Meer. Seit zwei, drei Jahren war es Plan gewesen, sich hierher zurückzuziehen, jetzt war es geschehen. Obwohl er nicht darauf achtete, prickelte eine leichte Erwartungshaltung in ihm. Es hatte etwas von einem Neuanfang. Doch dann spannte er sich etwas an, wandte halb den Kopf. „Was willst du?“, fragte er kühl. Er konnte die schlanke Gestalt trotz der fortgeschrittenen Dämmerung gut erkennen, ein Umstand, der allerdings nur auf Gegenseitigkeit beruhte, weil er weiß gekleidet war. Rasch ließ die Gestalt sich auf ein Knie nieder. „Entschuldigt, Sesshômaru-sama, aber ich möchte Euch einen Vorschlag unterbreiten“ Sango hielt den Kopf gesenkt, während sie sprach, ihr Pferdeschwanz wehte leicht im Küstenwind und verfing sich im Kragen ihres Kampfanzugs. Sie verharrte still. „Nun?“ Sango atmete sichtlich durch. „Ich möchte niemals anzweifeln, dass nicht auch die Dämonen ganz selbst mit jenen Oni fertig werden, die auch hier auf den Inseln leben, aber Oni vermehren sich buchstäblich so rasch wie Ratten. Und ebenso versteckt und hartnäckig. Es könnte den Dämonen… auf die Nerven fallen, nehme ich an“ Sie sprach ausgesucht höflich und doch klang gewisse Vorsicht aus ihren Worten. Sie wusste nicht, wie Sesshômaru auf ihr Ersuchen reagieren würde, aber er war ihre einzige Chance. Die anderen Dämonenfürsten würden sie nicht einmal anhören. Und seit Kohaku sie überredet hatte, mit in den Süden zu kommen um die dort lebenden Taijiya – oder das, was sich dafür hielt – aufzusuchen, seit dem brannte auch in ihr wieder ein Feuer, nicht zulassen zu wollen, dass eine, dass die Chance zur Wiederauferstehung der Taijiya ungenutzt verstrich. „Und?“, fragte Sesshômaru, der wieder nach vorne blickte, als sei nichts los. „Wie wäre es, wenn Ihr die Aufgabe, die Oni im Zaum zu halten… uns überlasst?“, fragte Sango behutsam weiter. „Euch“, wiederholte Sesshômaru nur das für ihn wesentliche. Sango spürte instinktiv, dass er der Sache nichteinmal abgeneigt war. Vorsichtig hob sie den Kopf, bemerkte, dass Sesshômaru lautlos aufgestanden war, sich ihr zugewandt hatte und sie nun von oben herab ansah. „Ja, Sesshômaru-sama. Uns – den Taijiya“, antwortete sie feierlich und so fest wie ihre vor Aufregung bebende Stimme es zuließ. Als wäre das das Stichwort gewesen, setzten plötzlich alle drei Nekomata gleichzeitig hinter ihr auf, ihre Reiter glitten von ihen Rücken und sofort auf ein Knie nieder. Miroku, Kohaku, Koume. Auch das junge Mädchen trug inzwischen einen Kampfanzug, die Panzerungen schimmerten eisblau. Über den Rücken hatte sie ihre Waffe geschnallt, die einem s-förmigen Speer ähnelte. Kohaku hockte direkt neben ihr, die große Waffe neben sich auf dem Boden, die Kusarigama im Gürtel des Kampfanzugs. Miroku, natürlich im Mönchsgewand, legte gerade den Shakujô in den Sand. Dahinter kamen vier weitere Gestalten an, nicht in Kampfanzügen, aber auch dunkel gekleidet, sanken ebenfalls in die Knie – sichtlich furchtsamer im Angesicht des weißgekleideten Dämons. Sango spürte für einen Moment gemischte Gefühle in sich aufwallen. Den einen Unterarm auf das aufgestellte Knie gestützt, warf sie einen Blick herum. Das letzte Mal, als sie in dieser Haltung gesessen hatte, andere Kämpfer um sich herum, da hatte ihr Vater noch an ihrer Stelle, an der Führungsposition gekniet. Jetzt war sie die Aijin, die Anführerin. Sie unterdrückte das unwillkürliche Erschauern, als sie daran dachte, zu was die Szene in ihrer Erinnerung eskaliert war. Nie wieder…, bekräftigte sie für sich und wusste, dass Kohaku in diesem Moment das Gleiche dachte. Sesshômaru betrachtete die Gruppe einen Moment. Er wusste, dass diese Sango kämpfen konnte, er wusste, dass dieser Miroku kämpfen konnte und er kannte Kohaku. Wenn er den Rest einschätzen wollte, musste er diesen dreien vertrauen. Taijiya. Dämonenjäger. Menschen, die es den Yôkai abnahmen, die niederen Oni zu verjagen. Eigentlich ein reizvoller Gedanke. Aus dem Augenwinkel sah er InuYasha in der Nähe stehen, sichtlich wenig überrascht, sondern eher interessiert. Sein Halbbruder war also eingeweiht gewesen. Er wandte sich wieder der Dämonenjägerin zu seinen Füßen zu. Er ahnte, wie sie auf ihre Idee gekommen war, denn soetwas hatte es vor langer Zeit gegeben, einen sogenannten Silberbund oder Silberbann zwischen Dämonen und Menschen, allerdings für Kriegsfälle oder als Schutzversprechen. Zumindestens gab es Legenden darüber – und auch die Eid-Formeln waren überliefert. Wortlos hob Sesshômaru eine Hand, die Handfläche nach oben gekehrt, schloss die Augen und konzentrierte sich. Etwas Leuchtendes erschien, oval und schimmernd. Reines Yôki. Feine Lichtstrahlen kamen aus der Luft zusammen und fanden sich in diesem flachen Oval zusammen. Dann verflog das Licht und eine kleine, silbrige Platte blieb zurück, auf der wie ein Schatten matt das Kanji für ‚Inu‘ schimmerte und darüber, wie eingebrannt die Kontur des Kanji für ‚Hito‘. Sango blinzelte ungläubig, als sie es erkannte. Sie hätte nicht gedacht, dass Sesshômaru sie so direkt durchschaute – und bereit war, ohne weitere Diskussion darauf einzugehen. Aber sie bemerkte auch Sesshômarus abwartenden Blick. Rasch straffte sie die Schultern. „Ich danke Euch“, sagte sie, ehe sie mit einer Handbewegung Kohaku zu sich winkte. „Die Schwurformeln aus den Sagen, Vater hat sie auch dir beigebracht. Erinnerst du dich noch?“, fragte sie gedämpft. Ihr jüngerer Bruder nickte nach kurzem Zögern, ehe er ohne auf die Aufforderung zu warten wie ein Schatten wieder an seinen Platz zurückkehrte. Sango atmete tief durch. Sie beiden waren die einzigen, die die sagenhaften Worte kannten. Sie hatte nicht geglaubt, Sesshômaru so schnell darauf einstimmten zu können, dass ihr keine Zeit blieb, sie den anderen beizubringen. Sie konnte jetzt nur hoffen, dass die anderen beim zweiten und dritten Wiederholen die Wechselverse automatisch mitsprechen würden. Doch jetzt senkte sie ersteinmal den Kopf, legte eine Hand aufs Herz, die andere auf das Heft ihres Schwertes und begann zuerst leise, dann zunehmend energischer die uralten Worte zu rezitieren: „Hell wie Sternenfunkeln, brennt der Stahl der Klinge, Silberbann erflammt auf diesem, unser’m Pfad. In der Welten Wandel streiten wir für Ordnung, denn wir sind das Licht im wilden Schicksals Rad“ Sesshômarus Stimme war gewohnt ausdruckslos, als er fortführte: „Wie der Stein der Berge, wie des Meeres Klippen weit, sind wir im wilden Sturme, doch beständig alle Zeit“ Er machte eine kurze Pause, ehe er hinzufügte: „Wir sind das Licht…“ Sango reagierte sofort auf die überlieferte, stillschweigende Aufforderung und setzte hinzu: „…das Licht, das aller Anfang schenkt“ Sesshômaru nickte knapp, ehe er sagte: „Wir sind der Ruf…“ „…der Ruf der Schicksalsklinge lebt“, konterte Sango, durch nichts zu erkennen gebend, wie sehr ihr erst jetzt auffiel, welche Huldigung jene Yôkai, die die Verse einführten, von den schwörenden Menschen gefordert hatten. „Wir sind der Zorn…“ „… der Zorn der sich gerecht erhebt“ „Wir sind der Weg…“ „… der Weg, der silbern in uns lebt“, vollendete die Dämonenjägerin den letzten Wechselvers und setzte mit klarer Stimme hinzu: „Ehre, Mut und Treue leiten uns’re Wege…“ Und dann gleichzeitig mit dem Inuyôkai: „Seit‘ an Seite steh’n wir sicher in der Schlacht“ Sango hob den Kopf und richtete den Blick auf die kleine Silberplakette, ehe sie allein fortfuhr: „Vor dem Thron des Silber’n sind wir alle gleich, und jeder trägt sein Licht in dunklen Krieges Macht. Denn des Finst‘ren Wirken sei vertrieben und verbannt, in Silber flammend Morgen schnell wie Schatten verbrannt!“ Sesshômaru verzog noch immer keine Miene, als er wieder begann: „Wir sind das Licht…“ Sango kniff gequält die Augen zusammen, als Stille einkehrte. Es verging ein Herzschlag, zwei, dann erhob sich plötzlich eine einzelne Stimme. Kohaku. „… das Licht, dass aller Anfang schenkt“ Sesshômaru ließ sich von der Verzögerung nicht beeindrucken. „Wir sind der Ruf…“, setzte er fort. Sango krampfte eine Hand um den Knochenbumerang, der vor ihr im Sand lag. „Miroku…“, bat sie fast tonlos und tatsächlich verstand ihr Mann, worum es ihr ging. „… der Ruf der Schicksalsklinge lebt“, setzte er rasch fort. „Wir sind der Zorn…“ Diesmal kam die Antwort von Miroku, Kohaku – und Koume. Kohaku musste es ihr irgendwie verklickert haben, dass möglichst viele nun die Formeln sprechen mussten: „… der Zorn, der sich gerecht erhebt“ „Wir sind der Weg…“ „… der Weg, der silbern ins uns lebt“, sprachen diesmal alle. Auch die Neuen hatten verstanden. Erleichterung untermalte Sangos Stimme, als sie wieder einsetzte: „Gerechtigkeit und Ordnung tragen uns’re Klingen, doch auch Zorn, der silber Funkenflug entflammt…“ Und diesmal war es Sesshômaru, der reagierte: „Chaos sei vertrieben, sei gejagt vom Morgen, von dem Licht, das alle Dunkelheit verbannt. – Wir das Licht…“ Und jetzt klappten die Wechselverse einwandfrei. Ohne Zögern sprachen alle sie mit. Sango unterdrückte das selige Lächeln nicht mehr, als sie auf die Beine kam und eine Hand hob um sie vorsichtig auf die kleine Silberplatte in Sesshômarus Hand zu legen. Dass sie dabei auch die Finger des Inuyôkai berührte, ließ sich nicht vermeiden, aber keiner von beiden ließ sich etwas anmerken. Stattdessen besiegelte Sango den Schwur ein letztes Mal mit festen Worten: „Hell wir Sternenfunkeln, brennt der Stahl der Klinge, Silberbann erflammt auf diesem, uns’rem Pfad…“ Ein Windstoß kam auf, der nicht nur Sangos Pferdeschwanz, sondern auch Sesshômarus Haare und Schulterfell leicht aufwirbelte und die Dämonenjägerin spürte ein kurzes Pulsieren an ihrer Handfläche. Als sie die Finger wegzog, ging von der kleinen Silberplatte ein bläulicher Schimmer aus. Das Ritual, das seit Jahrhunderten zum ersten Mal wieder geschlossen worden war, war gelungen. Befreit lockerte Sango ihre Haltung. Vor einem Jahr noch war das Wiederauferstehen der Taijiya ein waghalsiger Traum gewesen, jetzt war es Realität geworden. Da hörte sie plötzlich ein ersticktes Kichern, erkannte Koume. Ein wenig wandte Sango den Kopf, lächelte unwillkürlich, als sie erkannte was dort vor sich ging. Kohaku hatte Koume in seiner Euphorie an sich gezogen und küsste sie. Na endlich…, dachte Sango bei sich, die etwas in dieser Art schon eine ganze Weile erwartet hatte. „Süß, die beiden…“, bemerkte sie leise, woraufhin Miroku ihrem Blick folgte. Er grinste verschmitzt. „Och, das kann ich auch…“, verkündete er mit gedämpfter Stimme, legte einen Arm um Sangos Taille und zog sie zu sich um sie seinerseits zu küssen. Einen Moment lang gab Sango sich mit genüsslich geschlossenen Augen dem Kuss hin, der sie – wie immer, wenn Miroku es darauf anlegte – dahinschmelzen lassen konnte, aber als Mirokus Hände vor aller Augen mal wieder auf Wanderschaft gehen wollten – anscheinend war ihr Kampfanzug noch immer eine zu große Herausforderung für seine Selbstbeherrschung – da schob sie ihn entschieden von sich. „Übertreib‘s nicht!“, rügte sie ihn und wusste doch ganz genau, dass er sich diese Ermahnung nicht sonderlich lange zur Herzen nehmen würde. Miroku war und blieb eben Miroku, auch wenn er nicht mehr jedem Rock hinterherjagte. Als sie sich umsah, erkannte sie, dass Sesshômaru sich bereits abgewandt hatte, ein paar Schritte entfernt stand und übers dunkle Meer blickte, als ginge ihn die Sache längst nichts mehr an. Das kleine Silberplättchen aber, auf das sie geschworen hatten, schwebte noch immer an Ort und Stelle in der Luft und sandte seinen bläulichen Schimmer aus. Vorsichtig streckte Sango die Hand aus und nahm das kleine Silberoval an sich, steckte es dort an ihren Kampfanzug, wo die kleine, gold-rote Verzierung sie einst als Tochter des Anführers ausgewiesen hatte. Obwohl es in keinster Weise dort befestigt werden konnte, verband das Oval sich mit dem Anzug und hielt. Das bläuliche Licht blieb. Ich habe es geschafft, Vater. Ich habe gekämpft, dich nicht zu enttäuschen, Vater, und ich habe es geschafft. Das Volk der Taijiya lebt wieder! Sango erlaubte sich ein befreites Lächeln, als sie spürte, dass Kirara in ihrer kleinen Form auf ihrer Schulter landete und das Köpfchen an ihren Hals schmiegte. Das Schnurren der Nekomata klang viel zu laut und kräftig für den winzigen Körper. Sango kraulte ihre alte Freundin am Ohr und atmete tief durch. Ja, sie hatten es geschafft. Der Bund war geschlossen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)