☾ Mikadzuki von Mimiteh ================================================================================ Kapitel 38: Anerkennung ----------------------- InuYasha glaubte seinen Augen nicht recht zu trauen, als er beobachtete, was da vor sich ging. Das, was Bokusenô Sesshômaru da ausgehändigt hatte, hatte offenbar ihrem Vater gehört, auch wenn er nicht verstand, um was es sich handelte. Eine Kasette aus Rinde gebogen. Tolles Geschenk. Allerdings schien Sesshômaru zu verstehen, um was es sich handelte. Und als er das Ding berührte, veränderte es sich, gab seine wahre Gestalt frei, edel und sorgsam gearbeitet. Selbst InuYasha erkannte die Kanji, die dort eingebrannt waren. Dunkel erinnerte er sich, dass seine Mutter ihm diese beiden Zeichen erklärt hatte. Hätte sie länger gelebt, hätte sie ihm vielleicht richtig lesen und schreiben beigebracht, so war es bei diesen und den Kanji seines eigenen Namens geblieben. InuYasha zuckte mit den Ohren. Doch dann zog etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich. Der Brief, den Sesshômaru aus dem Kistchen zog, interessierte ihn wenig, aber als der Inuyôkai jetzt den Kopf hob, offenbar mit Lesen fertig war, erstarrte InuYasha. Täuschte er sich, oder schloss sein Halbbruder die Augen und atmete tief durch? Nein, es war so. Der Hanyô kniff die Augen zusammen, doch ein Zupfen an seinem Suikan hielt ihn davon ab, sich zu Wort zu melden. Kagome hatte sich halb abgewendet und wollte offenbar gehen. „Na komm, InuYasha…“, forderte sie nur im Flüsterton, als wollte sie die Stille nicht stören. Der Halbdämon zögerte. Warum sollte er jetzt gehen? Sesshômaru war doch sowieso mit Lesen fertig, lange würde er doch sicher nicht mehr auf sich warten lassen. „InuYasha…“ Kagomes Stimme klang jetzt so zuckersüß, dass sich ihm wie so oft die Eingeweide zusammenzogen. Er klappte die Ohren zur Seite. „Schon gut…“, murmelte er, warf aber noch einen Blick zu Sesshômaru, der noch immer reglos dastand, den Brief in der einen, die Kassette in der anderen Hand. Dann ließ der Hanyô sich von Kagome mitziehen. Sesshômaru hatte das nur nebenbei mitbekommen, aber er war erleichtert. In diesen Momenten konnte er den vorlauten Hanyô noch weniger gebrauchen, als sonst. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten fühlte er Trauer um seinen Vater in sich aufsteigen, zum ersten Mal seit Jahrhunderten wurde ihm die Brust eng, beim Gedanken an jenen Yôkai, der sich nie darum geschert hatte, ob seine Herzensgüte oft genug angeeckt war. Ich habe dich immer von Herzen geliebt..., hallte es in seinem Kopf nach. Das glaubte er sofort. Aber in diesem Moment wurde ihm klar, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte. Er hatte tatsächlich nie viel von dem Vater gehabt, der Taro offenbar gerne gewesen wäre. Aber eben der hatte ihm sehr viel bedeutet. Nur seine jahrhundertelang antrainierte Selbstbeherrschung hielt ihn davon ab, seine aufrechte Haltung jetzt aufzugeben und einfach einmal loszulassen. Nicht einmal vor Bokusenô wollte er das, nicht einmal vor diesem uralten Freund seines Vaters, der mehr von jenem wusste, als er selbst. In diesem Augenblick fiel Sesshômaru noch etwas anderes auf. Die Schatulle in seiner Hand war noch immer da. Warum?, fragte er sich unwillkürlich. Er musterte die Kiste noch einmal. Und plötzlich fiel ihm auf, dass sich der dämonengold-ausgekleidete Boden nicht fest an das Außenmaterial schmiegte. Auch noch ein doppelter Boden? Vaters Insignie steckt voller Geheimnisse… Offenbar hatte diese Schatulle alle Fähigkeiten in sich vereint, die er sich für so einen – wenn auch magischen – Gegenstand vorstellen konnte. Vorsichtig schob er die Klauen unter das Gold und schob es zusammen. Es ließ sich aufdecken wie samtener Stoff – und darunter kam ein Amulett zu Tage, von dem Sesshômaru sofort wusste, was es bedeutete. Die Triskele in durchsichtig lichtrotem Ton, gefertigt aus feinem Kristall. Das Familienzeichen der Linie seines Vaters. Vater hatte es nur in seiner wahren Form getragen, er selbst hatte es gar nicht, weil immer das Familienzeichen der Mutterfamilie überwog. Daher trug er den Sichelmond seiner Mutter. In diesem Moment wurde Sesshômaru erst so richtig bewusst, wie wichtig seinem Vater sein letzter Wunsch gewesen war: InuYasha sollte Teil der Familie werden. Und dieses Amulett war der Schlüssel für den Hanyô. Hätte er es noch gekonnt, hätte er es InuYasha selbst gegeben… er vertraut darauf, dass ich es ihm übergebe, ihn legitimiere. Vater hat ihn seinerzeit anerkannt, das ist bekannt. Aber alles weitere … liegt an mir… Sesshômaru schloss die schmalen Finger um das Amulett und schloss abermals für einen Augenblick die Augen. In der anderen Hand spürte er das Prickeln des entfliehenden Yôki, als die Schatulle sich auflöste, doch er nahm es gar nicht richtig wahr. Es war schon ein infamer Plan, den sein Vater sich da ausgedacht hatte. Er hatte Recht, eine direkte Bitte um Schutz InuYashas hätte Sesshômaru niemals ausgeführt. Aber jetzt, wo er das Vaterlinie-Amulett in der Hand hielt, war es eine Frage der Ehre es seinem vorbestimmten Träger zu übergeben. Und Vater hatte genau gewusst, dass Ehre Sesshômaru über alles ging. Ganz kurz schürzte der Inuyôkai die Lippen, dann ließ er das Amulett im Ärmel seines Haori verschwinden. Er musste es sich scharf überlegen, ob es ihm das wert war. Damit machte er sich ohne eine Verabschiedung auf den Weg zurück zu den anderen. Wurde Zeit, dass er Natsu ablieferte und die anderen loswurde. Er brauchte Zeit nachzudenken. Dringendst. ~*~ „Kaede!“ Die alte Miko wandte sich um, als sie Miroku nach sich rufen hörte. Fragend sah sie ihn an. „Sind die beiden Gäste bei dir?“ „Der eine zwangsweise, der andere unumgänglich, ja. Warum?“, antwortete sie mit einem schelmische Blitzen in ihrem gesunden Auge. Miroku schmunzelte ebenfalls. Kaede hatte schon mehrfach angemerkt, das Riku sich kaum mehr als ein paar Minuten von Renjiro fernhalten ließ. Seit er ein paar Mal mit den angehenden Mönchen geredet hatte, wusste er auch genau warum: Immerhin trauerten sie um ihren gemeinsamen (leiblichen) Bruder und wollten einander nicht auch noch verlieren. „Gut, ich wollte mit den beiden reden. – Du weißt, was ich plane?“ „Sango hat mich informiert, ja. Nun, wenn du mich fragst, ist die Idee nicht schlecht. So können sie lernen und ihren Weg weitergehen, haben eine Idee für die Zukunft. Aber ich fürchte, ein Lager im Wald wird Renjiro noch nicht aushalten. Du müsstest ihnen Unterkunft für die Übernachtung beschaffen.“ Miroku betrachtete scheinbar höchst interessiert die tödliche Verzierung am oberen Ende seines Shakujô. „Och, das lass mal meine Sorge sein, Kaede. Ich weiß schon, wie ich das hinbekomme.“ „Das glaube ich dir sofort“, antwortete Kaede trocken, die nur zu genau wusste, dass der junge Mönch es mit der Wahrheit manchmal nicht so genau nahm – nicht wenn es um seinen Vorteil ging. „Hauptsache du fällst nicht auch in andere alte Gewohnheiten zurück.“ Miroku wusste ganz genau, wovon sie sprach, aber er gab keine Antwort. Für sich wusste er aber, dass da keine Gefahr bestand. In diesem Punkt hatte er alles, was er brauchte. Stattdessen nickte er der alten Miko zu und ging dann an ihr vorbei zu ihrer Hütte. Wurde Zeit, dass auch Riku und Renjiro von seinem Plan erfuhren. In der Hütte war es etwas dämmrig. Riku hatte sein Mönchsgewand inzwischen wieder und trug es auch, Renjiro, der an der Wand saß, trug ein einfaches, braunes Jinbei, das ein Dorfbewohner ihm geliehen hatte. So war es leichter, den Verband zu wechseln und die Wunde zu versorgen, die aber zum Glück gut abheilte. Wie gut, dass der Biss von dem vermutlich einzigen, ungiftigen Oni dieser Angrifftruppe gekommen war. Beide sahen auf, als Miroku eintrat, nickten ihm zu. Sie kannten ihn inzwischen. „Kaede ist ganz zufrieden mit der Verletzung. Sie meint, du wärst nun wieder reisebereit. Deswegen denke ich, es ist Zeit, euch zu erzählen, was ich vorhabe. Ich wüsste jemanden, der euch sicher aufnimmt und euch zu Ende ausbilden kann. Jemand, der euch nicht bei erstbester Gelegenheit wieder im Stich lässt.“ Riku sah etwas skeptisch aus. Kein Wunder, gute Erfahrungen hatten die Beiden im Bezug auf Vertrauen nicht gemacht. „Und wer wäre das?“, wollte er sofort wissen. Miroku setzte sich zu ihnen. „Mein alter Lehrmeister. Er heißt Mushin und leitet einen kleinen Schrein, dort wäre für euch gesorgt. Allerdings ist es etwas weit dahin, deswegen werden wir auf einen kleinen Trick zurückgreifen.“ Wieder war es Riku, der die Stirn runzelte, während Renjiro nur ruhig zuhörte und sich nicht einmischte. „Trick?“ Miroku nickte leicht. „Ich weiß, dass ihr sicher noch nie gute Erfahrungen mit Dämonen gemacht habt. Aber ebenso sicher habt ihr schon einmal gehört, dass es Oni und aber auch höhere Dämonen gibt, nicht wahr?“ Er wartete keine Antwort ab, denn jetzt wirkten beide etwas unsicher. „Zu den höheren zählen auch Kitsune und die Tanuki. Derjenige, der uns die Reise verkürzen könnte, ist ein Tanuki.“ „Und du bist sicher, dass du weißt, was du da tust?“ Miroku lächelte spitzbübisch. „Aber ja. Hachiemon und ich, wir kennen uns, seit ich ein Kind war. Er sieht öfter bei Mushin vorbei und so sind wir Freunde geworden.“ Dass Hachi dieses ‚Freunde‘ sicherlich manchmal nur unter Drohung unterschrieben hätte, verschwieg er geflissentlich. Immerhin wollte er den beiden die Angst nehmen, ihnen keine machen. Sie waren nicht aufgewachsen wie er, sie fürchteten sich vor dämonischem Leben wie jeder normale Mensch. Zwar würde Mushin ihnen zeigen können, wie sie richtig damit umgingen – ihm hatte der Alte das Einordnen ja auch beigebracht – aber noch waren beiden recht unbedarft. Er konnte ja froh sein, dass die beiden von ihrem vormaligen ‚Meister‘ wenigstens die absoluten Grundlagen eingepaukt bekommen hatten. „Ich habe ihn übrigens mitgebracht“, fügte Miroku nach einer kurzen Pause hinzu, in der die beiden jungen Mönche sichtlich nachdenklich geworden waren und winkte leicht Richtung Tür. Etwas zögerlich schob sich die rundliche Figur Hachis in die Hütte, der von Mirokus Worten, wie auch von dessen Plan wieder einmal nicht so ganz begeistert war. Er wusste, dass diese Tage für ihn alles andere als erholsam würden. Aber Miroku wiedersprechen? Das ging schon gar nicht. ~*~ „Verstehen muss ich es ja nicht, oder?“, fragte Kagome in die Runde, die nun um zwei dämonische Mitglieder erleichtert war. Natsu und Sesshômaru hatten sich wieder allein auf den Weg gemacht, wobei einzig Natsu ein paar Abschiedsworte verloren hatte. Von Sesshômaru kam nur die Information für Kagome, er würde einen Boten schicken, wenn er die Sekai no Tía brauche. Natürlich sagte er, die Tia brauche und nicht Kagome brauche. Aber das waren inzwischen alle gewöhnt. In manchen Verhaltensweisen musste man vermutlich erst gar keine Änderung erwarten. „Keh!“, erwiderte InuYasha nur zum wiederholten Male, worauf die junge Miko ihn von der Seite her anfunkelte. „Sehr konstruktiv, InuYasha!“, kommentierte sie sarkastisch, sah dann aber wieder zu den anderen. Kohaku sah ernst drein. „Naja, er wirkte etwas angeschlagen, als er wieder zu uns stieß. Sicher will er etwas ausruhen und dabei so wenig Zeugen wie möglich haben“, sagte er dann. „Ausruhen? Wer hat denn die ganze Arbeit gemacht. Er vielleicht? Das war doch Kyoko!“, brummte InuYasha und blickte kurz zu der Fuchsprinzessin, die ebenso wie Shippô an Kiraras Flanke lag und schlief. Die Nekomata unterhielt sich wohl mit ihrem Artgenossen, zumindest interpretierten die Gruppenmitglieder die leisen Knurr- und Maunzlaute der beiden so. „Es ist ja auch wahrscheinlicher, dass er seelisch erschöpft ist. So wenig wie er sich immer anmerken lässt, muss es ihn ganz schöne Kraft kosten sich jetzt unbeteiligt zu geben. Das scheint doch ein Brief von eurem Vater zu sein, den er da gekriegt hat, oder?“, berichtigte Kagome. Diesmal hielt InuYasha die Klappe. Das schien er nachvollziehen zu können. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Kohaku schließlich nach einer Weile. „Eigentlich haben wir doch, was wir suchten: Beide Artefakte sind wieder da und die Haru Tsume bei Kyoko doch sicherlich nicht in falschen Händen.“ „Der Meinung bin ich auch. Und über Shippô können wir ja Kontakt zu ihr halten. Ich bin dafür, dass wir die Nacht hier bleiben und morgen losziehen, um die beiden zurück zur Fuchsakademie bringen. Und dann gehen wir nach Hause. Wird Zeit, dass wir Sango und Miroku wiedersehen. Außerdem würde ich gerne wissen, was aus Yume geworden ist. Hat irgendwer was dagegen?“ Keiner sagte etwas, alle waren einverstanden. Damit stand der Plan fest und in inzwischen eingespielter Manier machten sich alle daran, das Nachtlager herzurichten. ~*~ Natsu und Sesshômaru waren inzwischen schon wieder ein gutes Stück entfernt. In der Dämmerung erreichten sie ein Waldstück und als sie zu einer Lichtung kamen, befahl der Inuyôkai die Rast. Natsu konnte sich denken, dass er das noch immer wegen ihrer Beine machte. Klar, wenn er mich verletzt zurück bringt, kriegt er Ärger und wenn es nach ihm geht, hört er bald nie wieder etwas von mir…, dachte sie, als sie sich hinsetzte und versuchte das Bedauern zu vergessen, das der Gedanke an den Abschied in ihr hervor rief. In den Wochen, die sie nun mit ihm durch die Gegend zog, hatte sie gelernt, dass er viel mehr war als er selbst zeigte und dass Tôran, die sich immer damit brüstete, Sesshômaru ja ach so gut zu kennen, nicht einmal seinen halben Charakter verstand. Vieles, was bei den Neko über den Hundeclan umging, entsprach nicht der Wahrheit, dessen war Natsu sich inzwischen sicher und die standhafte Feindschaft der beiden Gruppen schmerzte sie. „Wie lange werden wir noch brauchen, Sesshômaru-sama?“, fragte sie schließlich, mehr um ihre Gedanken zu vergessen, als um wirklich etwas zu erfahren. „Vier Tage“, kam die knappe Antwort vom anderen Ende der Lichtung, wo Sesshômaru an einem Baumstamm lehnte, wie es seine Art war. Auch wenn es sich wie üblich nicht so anhörte, machte Sesshômaru sich durchaus ebenso seine Gedanken über die Situation. Eigentlich hätten sie binnen eines Tages wieder am Nekoschloss sein können, sie müsste nur in Energieform reisen, aber er wollte die Zeit auf Reisen nutzen um noch einmal bei Rin vorbeizuschauen – und bis dahin wollte er Natsus Begleitung nicht missen. Sie hatte sich als durchaus angenehme Reisebegleitung entpuppt, weit angenehmer als er das zu Beginn geglaubt hatte. Vielleicht hatten sich seine Gedanken auch deswegen von der üblichen Distanz gegenüber einer Neko gelöst und… nein, er sollte aufhören, sich selbst etwas vorzumachen. Er mochte diese sture, vorlaute Hime, sehr sogar. Obwohl, vorlaut war sie schon seit einer ganzen Weile nicht mehr, so als würde sie sich absichtlich zurücknehmen. „Warum hältst du deine Zunge plötzlich so im Zaum?“, fragte er, ehe er sich dessen wirklich bewusst wurde. Natsu war überrascht, dass er offenbar ein Gespräch beginnen wollte, aber etwas in ihr freute sich auch, dass er sie nicht gänzlich ignorierte. „Für diese Reise seid Ihr mein Herr und Ihr habt von Beginn an klar gemacht, dass Ihr es nicht gutheißt, wenn ich offen rede“, antwortete sie allerdings, auch wenn das nicht der wahre Grund war. Zwischenzeitlich hatte sie ihn ja provozieren wollen, aber inzwischen hatte sie den Spaß daran längst verloren. Er war, wie er war und auf seine Art konnte er auch sehr zuvorkommend sein. Manchmal musste man eben dreimal überlegen, was seine kurzen Kommentare alles enthielten. Dass sie sich manchmal nicht schnell genug auf die Zunge biss war wiederum ihr eigenes Wesen, aber das passierte nicht allzu oft. Nicht gegenüber jemandem, den man zu respektieren gelernt hatte. Der Inuyôkai schien allerdings zu durchschauen, dass sie nicht ganz die Wahrheit sagte: „Du tust es schon wieder.“ Natsu konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Der ihr nur zu bekannte Trotz stieg in ihr auf. „Vielleicht will ich es Euch nur Recht machen!“, schnappte sie, diesmal wenig gewählt. „Warum?“ Natsu zögerte. Er hatte es wieder geschafft, hatte sie aufs Glatteis geführt und sie war treu in die Falle getappt. Jetzt stand sie da. Ihr Gehirn lief auf Hochtouren. Wie kam sie da jetzt bloß wieder raus? Die Wahrheit, die in ihrem Hinterkopf pochte, wollte sie nicht einmal in Gedanken aussprechen, geschweige denn ihm ins Gesicht sagen. „Ihr seid als kompromisslos bekannt, früher oder später hättet Ihr mich ruhig gestellt. Und im Kampf könnte ich niemals gegen Euch bestehen“, versuchte sie sich schließlich aus der Affähre zu ziehen. „Sicher?“, fragte er zurück. Sie wusste, dass er seine eigene Stärke niemals in Frage gestellt hätte, wenn er sie nicht provozieren wollte. Man sieht ja, dass ich es nicht einmal im Wortgefecht schaffe… Dieser Hundedämon redete sie mit drei Worten in Grund und Boden, sie, die im gesamten Nekoschloss für ihre lose Zunge gefürchtet war. Ehe sie jetzt aber über eine Antwort nachdenken konnte, spürte sie Metall am Arm, wandte den Blick. Ohne dass sie eine Bewegung gesehen hätte, stand Sesshômaru plötzlich neben ihr, ein heller Kontrast in der Dämmerung. Die Klinge seines Schwertes lag an ihrem Handgelenk, sein bernsteinfarbener Blick sah auf sie hinab. Sie erahnte, was er damit sagen wollte: Probier es aus. Er forderte sie zum Trainingskampf. Natsus Ehrgeiz und Neugier siegten über ihre Vernunft, sie erhob sich geschmeidig und zog ihrerseits Ashai-Ha. Einen Moment maßen sie sich mit Blicken, dann begriff sie, dass er ihr wortlos den ersten Angriff überließ. Und sie hob ihr Tsurugi, führte einen raschen Schwung und zielte auf seine Schulter. Blitzschnell wich er mit einem Seitwärtsschritt aus und hob die Spitze seines Schwertes um ihre Klinge abzufangen. Hell blitzten die Klingen im Licht des aufgehenden Mondes, die feinen Tauschierungen glänzten wie Silber, als er die Parade abbrach und stattdessen unter ihrer eigenen Klinge weg nach ihrer Seite schlug. Natsu sprang mit einem raschen Satz zurück. Ein paar Glühwürmchen flohen erschrocken, während die RaionYôkai sich etwas abduckte und die silbergrünen Raubtieraugen zusammenkniff. Dann griff sie mit vollem Elan an, rasch folgten die Schläge aufeinander und auch wenn Sesshômaru mit geradezu beängstigender Leichtigkeit parierte, war sie stolz, ihn ab und an zum zurückweichen zwingen zu können. Ein, zweimal hätte er sie dagegen beinahe erwischt, aber er zog die Klinge jedes Mal knapp vorher zurück. Dies war nur ein Trainingskampf, normalerweise hätte man ihn mit stumpfen Waffen geführt. Für einen Augenblick gab Natsu ihre Deckung auf um Ashai-Ha zur Seite zu führen und mit voller Kraft zuschlagen zu können und dieses Mal schien es, als hätte sie Erfolg. Sesshômaru brachte sich mit einer Drehung aus der Gefahr und gab ihr damit gleichzeitig die Chance, auf seinen Rücken zu zielen, wo er schwerlich abwehren konnte. Aber sie hatte nicht mit seiner Schnelligkeit gerechnet. In dem Atemzug, in dem er sich duckte und ihren Schlag entging, stand er schon wieder von Angesicht zu Angesicht vor ihr und hielt ihre Klinge mit der Seinen auf. Funken stoben in die Nacht. Seine goldenen Augen leuchteten deutlich im Mondlicht. Für einen Moment ging Natsu die Konzentration flöten – und das reichte aus. Er fing ihren nachlässigen Schlag ab, blockierte jegliche Bewegung ihres Schwertes mit seiner Klinge, aber anstatt es ihr aus den Fingern zu winden, was ihr durchaus das Gelenk hätte prellen können, packte er nur ihren Arm mit der freien Hand und hielt sie fest. Natsu ließ sich davon nicht stören. Sie nutzte es, dass er im Moment keine freie Hand hatte, mit der er sofort hätte nachfassen können und machte sich mit einem Ruck los. Mit einem raschen Abfedern verlagerte sie den Kampf nun in die Luft. Sesshômaru ging bereitwillig mit, umso heftiger drang er nun auf sie ein. Schonzeit vorbei?, fragte Natsu sich in Gedanken, aber das war auch schon alles, zu mehr blieb ihr keine Zeit, denn wieder einmal hätte er sie fast erwischt. Gerade noch konnte sie sein Schwert zur Seite ablenken und selbst angreifen, er brachte sich mit einem Überschlag aus der Gefahrenzone und musterte sie aus zwei Metern Abstand, locker in der Luft schwebend. Ganz offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, dass sie so lange durchhalten würde. Er hat diesen Kampf schon die ganze Zeit gewollt, er wollte austesten, wie viel ich eigentlich kann…, schoss es ihr durch den Kopf, dann legte sie erstaunt den Kopf schief, weil er weiterhin reglos blieb. „Keine Lust mehr?“, fragte sie aus dem Affekt heraus, ehe ihr so richtig zu Bewusstsein kam, dass er so einen Spruch sicher nicht so locker aufnehmen würde, wie ihr heimlicher Kampflehrer am heimatlichen Schloss. Er kniff auch prompt die Augen zusammen. „Dämliche Katze!“, knurrte er und noch ehe Natsu einschätzen konnte, ob er das ernst meinte oder sie wieder einmal nur provozieren wollte, musste sie seiner Energiepeitsche ausweichen, die so schnell auf sie zu zuckte, dass sie sie kaum gesehen hätte. Rasch wich sie weg und versuchte einen Gegenschlag. Im ernsten Kampf wäre es ihr gelungen, mit dem Schwert etwas gegen dieses pure Yôki ausrichten zu können, aber jetzt hatte er so wenig davon angerufen, dass ihre Klinge einfach hindurch glitt und ihr keinesfalls eine Hilfe war. Ihr blieb nur das ausweichen. Kreuz und quer jagte er sie durch den Himmel, oft genug gelang es ihr nur knapp, einem Angriff zu entkommen. Irgendwann wurde es ihr zu dumm. In der Hoffnung, ihm niemals im wahren Kampf gegenüberstehen zu müssen, griff sie auf jene geheimen Finten zurück, die ihr heimlicher Kampflehrer ihr nur unter dem absoluten Siegel der Verschwiegenheit beigebracht hatte. Die alten Techniken der Neko, die heute kaum noch jemand lernte. Selbst Sesshômaru schien überrascht, als sie unter dem nächsten Angriff seiner Energiepeitsche einfach durchtauchte und plötzlich wieder in Schwert-Reichweite vor ihm stand, die Klinge wieder gegen seine führte. Aber es dauerte nur Sekundenbruchteile, bis er sich gefasst hatte, Natsu kam gar nicht dazu, ihren Schlag zu vervollständigen, da unterbrach ein Schwung Bakusaigas ihre Bemühungen. Sie verkniff sich eine Grimasse und nutzte den Moment, in dem die Klingen in scheinbarer Kraftprobe aufeinanderlagen, um zu schauen, was er mit der Energiepeitsche anstellte. Er hatte sie wieder deaktiviert, wollte es wohl drauf ankommen lassen. Jetzt grienste Natsu doch, zog ihre Klinge etwas zurück, ließ sie erneut gegen Bakusaiga sausen, nur um Sesshômarus Schwert millimeterweise abzudrängen und die Lücke in seiner Deckung, die sie brauchte, selbst zu schaffen. Dann stieß sie die Schwertspitze vorwärts, gegen die Schulter des Inuyôkai und hätte getroffen, wenn sie Ashai-Ha nicht im letzten Moment zurückgezogen hätte und ein klein wenig zurück schwebte. Kurz legte sie den Kopf schief, aber wenn ihre plötzliche Schnelligkeit ihn erschreckt hatte, dann zeigte er es nicht. Typisch…, dachte sie fast beleidigt, gab aber nicht auf. Wieder sauste sie vor und zwang nun ihn Sprung für Sprung zurückzuschweben, die meisten ihrer Schläge nur angetäuscht, nie zu Ende geführt und ihm damit die Chance nehmend, eine Taktik zu erkennen. Als er zurückschlug, bog sie den Oberkörper zur Seite und ließ seine Klinge um Haaresbreite an sich vorbeisausen. Ehe er korrigieren konnte, war sie nach oben weggesprungen, verlagerte ihr Gewicht nach vorne und schlug einen schnellen Salto, griff im nächsten Moment von hinten an. Diesmal schaltete er nicht schnell genug und ihre Klinge berührte die Haut an seinem Nacken, ehe Natsu wieder zurücksprang. Die alte Kampftechnik der Neko war mehr Tanz als Kriegskampf. Sesshômaru hatte gelernt, im Kampf zu bestehen, aus einem Krieg heil herauszukommen und hatte sich dabei eine Präzision und ein Kalkül angeeignet, die beängstigend waren. Aber die katzenhafte Geschmeidigkeit und Beweglichkeit, die Natsu jetzt nutzte, damit konnte er nicht mithalten. Mit jedem Schlag, der ihr gelang, zeigte sich der Triumpf deutlicher in den Augen der RaionYôkai – und dann reagierte sie einmal nicht schnell genug, denn Sesshômaru war zu kampferfahren, um nicht seinen Nutzen aus ihrer Art der Angriffe ziehen zu können. Dass sie durch ihren Vorteil zunehmend unkonzentrierter wurde, kam ihm nur zu Gute. Sie achtete nämlich bei allem Einfallsreichtum nur darauf, seine Klinge auszuspielen, vertraute darauf, dass er die Energiepeitsche sein lassen würde. Das tat er auch, aber als sie jetzt vorstieß und sich im letzten Moment aus der Bewegung heraus in eine Seitwärtspirouette gleiten ließ, um einer Verteidigung geschickt zu entgehen, packte er zu. Seine Finger schlossen sich wieder um ihren Arm, hielten sie vor seiner Nase fest. Natsu reagierte instinktiv. Ruckartig warf sie ihr Gewicht nach hinten, riss die Beine hoch und gelangte so in eine Rückwärtsrolle, mit der nun wieder Sesshômaru nicht gerechnet hatte. Aus dem Affekt heraus ließ er los – und zufällig stieß ihre Fußspitze auch noch gegen seine Schwerthand. Bakusaiga fiel zu Boden, blieb im Mondlicht schimmernd, im Gras liegen. Einen Moment lang war Sesshômaru wie erstarrt, dann ließ er sich wortlos zu Boden sinken und hob das Schwert auf um es wieder wegzustecken. Auch wenn es eindeutig nur Zufall gewesen war, sie hatte ihn gezwungen, sein Schwert loszulassen und das bedeutete, dass sie das Trainingsduell gewonnen hatte. Unwillkürlich war er beeindruckt. Auch wenn er sich zurückgehalten hatte, ihr Geschick wies auf großes Talent und viel Übung hin. Wenn er da an die Bitte ihres Vaters dachte, sie zu beschützen, so konnte er sich denken, dass der nicht einen blassen Schimmer vom Können seiner Tochter hatte. Er verkniff sich ein Schmunzeln. „Du brauchst keinen Beschützer“, kommentierte er emotionslos, als sie ebenfalls wieder auf den Boden kam. Natsu sah ihn kurz von der Seite an, dann steckte sie ihre Klinge ebenfalls weg. „Wenn dem so ist…“, setzte sie an und drehte sich zur Seite weg. Ganz offensichtlich hatte sie verstanden, was der wahre Inhalt seiner Worte gewesen war: Ein Herr trug die Verantwortung für den Schutz seiner Untergebenen. Er war der Beschützer. Brauchte sie keinen Beschützer hatte sie auch keinen Herrn nötig. Allerdings hätte er seine eigene Autorität niemals so direkt aufgegeben. „Dann…“, setzte er ihren Satz lauernd fort. „Kann ich ja auch allein gehen“, beendete sie spitzbübisch und entfernte sich bereits von ihm. Das war dann doch zu viel der Provokation. „Nichts da!“, ruckartig hielt er sie am Arm zurück, nicht damit rechnend, dass sie sich nicht wehren würde, sondern sich wieder zurückziehen ließ und das ohne Wiederstand. Der Schwung war so groß, dass sie gegen seinen Brustpanzer prallte. Auf einmal war ihre warme, sommerliche Witterung überall. Keiner von ihnen war nach dem Trainingsduell sonderlich erschöpft, aber erhitzt waren sie beide. Der Instinkt tat sein Übriges dazu und ehe er darüber nachdachte, schloss sich Sesshômarus andere Hand um ihren zweiten Arm und zog sie herum, sodass sie direkt vor ihm stand. Ein wenig von unten sah sie zu ihm auf, der Silberglimmer in ihren grünen Iriden funkelte im Mondlicht wie Perlmutt. Alles in ihm rebellierte auf einmal dagegen, sie wieder loszulassen, ein Feuer erwachte in ihm, dessen Heftigkeit selbst ihn erschreckte. Das war kein Begehren… nicht nur. Er hatte sich lange zurückgehalten, sie war eine Neko, sie war seine Schutzbefohlene und zudem Tôrans Verwandte. Das mit dem Beschützerstand, das hatten sie ja nun eindrucksvoll geklärt. Und der Rest war ihm in diesem Augenblick vollkommen egal. Dennoch zögerte er. Ihre Augen ruhten unverwandt auf ihm, sie rührte sich nicht, wehrte sich nicht, auch wenn sie angespannt war, das spürte er. Da schloss sie plötzlich die Augen. „Worauf wartet Ihr?“, formten ihre Lippen, ohne das ein Ton ihren Mund verließ. Ihr Geruch benebelte ihn, er konnte den Blick nicht von ihr nehmen, nicht unterbrechen, was er einmal begonnen hatte. Mit einem raschen Vorwärtsschritt zwang er sie rückwärts, drängte sie gegen den nächsten Baumstamm, dann beugte er sich zu ihr hinab und sein Mund berührte den ihren. Selbst ihre Lippen schmeckten nach Sommer und Wärme. In dem Moment, in dem sie sich jetzt mit einer raschen Bewegung aus seinem Griff befreite und sich – ungeachtet der harten Rüstung – von sich aus gegen ihn drängte, fiel auch jegliche Ergebenheit von ihr ab – und jegliche Zurückhaltung von ihm. Sie war – das wussten die Götter – nicht das ergebene Püppchen, das er sich nehmen könnte, wenn er wollte, nein, sie legte es vollkommen darauf an, das wurde ihm jetzt klar, als er den Kuss vertiefte und sie prompt die Lippen öffnete und seine Zunge einließ. Sie hatte mit Sicherheit noch keine große Erfahrung in solchen Dingen, aber vollkommen neu war es ihr offenbar nicht, was hier geschah, außerdem kannten Dämonen so etwas wie Verlegenheit nicht. Dafür war ihre tierische, instinktive Seite in solchen Momenten doch zu stark. Für einen winzigen Moment – gerade lang genug zum Atemholen – löste Sesshômaru den Kuss, nur um ihn gleich darauf, weniger hart, aber nicht minder fordernd wieder aufzunehmen. Zögern? Wozu noch? Er hatte ihr die Chance gegeben, ihn abzuweisen, als der Instinkt noch nicht die Regie übernommen hatte, aber sie hatte es nicht getan. Stattdessen lagen ihre schmalen Hände längst in seinem Nacken und sie erwiderte seinen Kuss nur zu bereitwillig. Dass daran nicht unbedingt nur ihr eigener Wille Schuld war, sondern auch etwas anderes, etwas, vor dem ein leichter, lockender Funke in ihrer Witterung ihn hätte warnen sollen, nahm er nicht mehr wahr. Dumpf knurrte er auf, wissend, dass seine Augen schon lange nicht mehr golden sondern leuchtend rot waren. Wieder ließ er für einen Augenblick von ihr ab, musterte die Haarsträhnen, die ihr wirr ins Gesicht hingen, ihre geschwollenen Lippen, ihren bebenden Brustkorb und spürte, dass sein Blut endgültig zu kochen begann. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Seine Hände glitten über ihre Seiten, mühelos schlitzten seine Klauen Lederharnisch, Haori und Unterkimono der Löwendämonin auf, seine Finger fuhren über ihre bloße Haut, ließen sie leicht erschauern, entlockten ihr ein wohliges Schnurren, tief aus der Brust. Für einen Wimpernschlag nur, öffnete sie die Augen, ihre Irden waren von stärkerem Silberglimmer verschleiert, als sonst, aber dennoch trafen sich ihre Blicke. Emotionen, von denen Sesshômaru nicht einmal gewusst hatte, dass er sie besaß, schlugen über ihm zusammen, löschten die Umwelt aus. Wiederstandlos ließ Natsu sich zu Boden drängen, ließ zu, dass er die zerfetzte Kleidung von ihrem zierlichen Körper streifte. Die Vernunft, die sich fragte, warum sie sich ihm so plötzlich hingab, beachtete er nicht, sie, die sonst der oberste Gradmesser all seiner Entscheidungen war, war in diesem Moment unwichtig, als er dem Drängen seiner Instinkte nachgab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)