Seelensplitter von Zuckerschnute ================================================================================ Kapitel 13: Seelensplitter Teil 2 --------------------------------- „Komm schon Alera!“ Die achtjährige riss ihre Augen von den Puppen im Schaufenster los und rannte ihrer Mutter hinterher, die, zwei Tüten in jeder Hand, trotz ihrer hohen Schuhe so schnell den Bürgersteig entlang eilte, dass Alera kaum mithalten konnte. „Nicht so schnell Mami!“ Sie zupfte am Ärmel der Bluse aus unglaublich weichem Material in der Hoffnung, dass sie etwas langsamer laufen würde, aber Nadja Benett schüttelte nur ihre blonden Locken. „Wir müssen uns beeilen mein Schatz, nachher kommen doch meine Freundinnen!“ Alera wusste, dass ihre Mutter sie liebte aber manchmal hatte sie das Gefühl immer nur die zweite Geige zu spielen. Zenzele die alte Dame von nebenan, die meistens auf sie aufpasste, hatte einmal gesagt, Nadja würde sich für den Mittelpunkt des Universums halten. Auch wenn Alera den Sinn dahinter nicht wirklich verstand, hatte sie trotzdem das Gefühl, dass dieser Satz ziemlich genau zutraf. Erneut liefen sie an einem Schaufenster vorbei und das Kind blieb kurz stehen um sein Spiegelbild im Glas zu betrachten. Einige Leute sagten, sie würde ihrer Mutter ähnlich sehen. Ihre Fingerspitzen strichen über die glatte Oberfläche, über das zu runde Gesicht (Nadjas Gesicht war schmaler, ohne Babyspeck), die dunklen Locken und verweilten schließlich unter der Reflektion ihrer Augen, die sich offensichtlich nicht entscheiden konnten ob sie nun das grau ihrer Mutter oder das grün ihres Vaters annehmen sollten. „Alera!“ Das Mädchen zuckte schuldbewusst zusammen und beeilte sich, zu seiner Mutter aufzuschließen. Hinterher konnte sie nicht wirklich erklären, warum sie in die düstere Seitenstraße gerannt war, schließlich war sie sonst ein eher braves Kind. Hatte sie ihre Mutter ein wenig länger für sich haben wollen? Oder war es nur ein plötzlicher Anfall von Ungehorsam gewesen? Warum auch immer, Alera rannte mit einem frechen „fang mich wenn du kannst“ an Nadja vorbei, hinein in die Gasse und ignorierte die Aufforderungen ihrer Mutter sofort zurück zu kommen. Leider war der Weg eine Sackgasse, weswegen die Verfolgungsjagt schnell vorbei war. „Alera Benett, was ist nur in dich gefahren?“ Nadja griff nach dem Arm ihrer Tochter und wollte sie aus der Gasse ziehen, in ihrem hübschen Gesicht konnte Alera Enttäuschung und Ärger sehen. „Na warte! Wenn ich das deinem Vater erzähle!“ Bei diesen Worten zuckte Alera zusammen, denn die Strafpredigten ihres Vaters waren ihr ein Greul. Er war so fürchterlich streng! „Aber Mama, ich…“ „Nichts ‚aber Mama‘ junge Dame!“ Nadja wollte sich an einem Mann vorbeischieben, der mitten auf der Straße stand. „Wenn wir zuhause sind…“ Der Mann machte einen Schritt zur Seite und versperrte den beiden so weiterhin den Weg. Mit gerunzelter Stirn wollte sie auf der anderen Seite vorbei, aber wieder wurde die Straße blockiert. „Lassen Sie uns bitte vorbei!“ „Aber gerne doch! Aber das kostet! Mal sehen…“ der Kerl lies den Blick an Nadjas Körper auf und ab wandern. „Ich denke die Ohrringe und der Inhalt deines Geldbeutels sollten reichen Schätzchen!“ Wenn es etwas gab, das Nadja Benett absolut nicht gewöhnt war, dann am kürzeren Hebel zu sitzen. Himmel, ihr Vater war John Stag, ein milliardenschwerer Geschäftsmann! Und auch wenn sie ihr altes Leben für ihren Mann aufgegeben hatte, so gab es immer noch Mittel und Wege zu bekommen was sie wollte. Ob nun durch einen herzzerreisenden Augenaufschlag, ausgiebiges Schmollen oder einen simplen Tobsuchtsanfall! Die Tatsache dass Maxime den Boden unter ihren Füßen anbetete war natürlich auch sehr hilfreich! Nur Leider nutzte ihr das in dieser Situation überhaupt nichts, denn der widerliche Kerl zog eine Pistole und richtete sie auf Nadja. „Her mit dem Zeug, wird’s bald?“ Was glaubte dieser Dreckskerl eigentlich wer er war? Kinderhände krallten sich in ihr Hosenbein und machten sie darauf aufmerksam, dass Alera sich hinter ihren Beinen zu verstecken versuchte. Mit einem abfälligen Schnauben stellte sie die Tragetaschen ab, griff ihn ihre Handtasche und zog ihren Geldbeutel hervor. „Bitte sehr!“ der Mann nahm den Geldbeutel an, klemmte ihn unter seinen Arm und streckte ihr die Hand entgegen, damit sie ihre goldenen Creolen hineinlegen konnten. Doch anstelle zu gehorchen tat sie etwas ziemlich dummes: Nadja machte einen Satz nach vorne, packte die Waffe und wollte sie ihm aus der Hand reisen. Leider bedachte sie dabei zwei Dinge nicht… Erstens war es nicht so leicht wie es in Filmen aussah und zweitens war die Waffe nicht gesichert. Es gab einen lauten Knall und Nadja starrte fassungslos auf den roten Fleck, der sich auf ihrer Brust ausbreitete. Verdammt, die Bluse war ruiniert! Dann setzte der Schmerz ein, sie begann zu wanken, taumelte beim Versuch das Gleichgewicht zu halten ein paar Schritte hin und her und stürzte schließlich, wobei sie ihre Tochter unter sich begrub. Alera wollte schreien, einfach nur schreien und sich irgendwo verstecken, doch der schwere Körper auf ihr drückte die Luft aus ihren Lungen. „Mami… bitte… runter!“ Doch ihre Mutter bewegte sich nicht, es waren nur röchelnde Atemzüge zu hören, also versuchte Alera, sie von sich wegzuschieben. Nach mehreren Minuten konnte sie sich endlich aufsetzen und Lungen mit tiefen Atemzügen füllen, die allerdings zischend wieder entwichen, als ihr Blick auf den großen roten Fleck und das schmerzverzerrt Gesicht ihrer Mutter fiel. „Mami? Mami, was ist mit dir?“ Wieder keine Antwort, aber wenigstens öffnete sie ihre grauen Augen und hob eine Hand, um sanft mit den Fingern über ihre Wange zu streichen. „Es tut mir Leid, Alera mein Liebling! Es… tut mir so Leid!“ Nadja schloss die Augen wieder und holte noch einmal Luft. „Kümmere… dich um deinen Vater Alera!“ Die Hand an ihrer Wange erschlaffte und fiel zu Boden, während panische Angst ihr die Kehle zudrückte. „Mami?“ ein tonloses Flüstern, das ungehört blieb. „MAMI!“ Alera packte ihre Mutter an den Schultern und versuchte sie wach zu schütteln, doch sie reagierte wieder nicht. Verzweifelt zog sie Nadjas Oberkörper auf ihren Schoß, barg ihren Kopf an ihrer Brust und begann sich sanft hin und her zu wiegen, wie ihre Eltern es bei ihr machten, wenn sie einen bösen Traum gehabt hatte. „Mami… bitte sag doch was!“ In genau dieser Position fand sie später eine Frau, die mit ihrem Hund spazieren war und diese Position behielt sie bei, bis Polizei und Krankenwagen eintrafen und man sie zwang loszulassen. „Willst du etwas trinken?“ Ohne den Blick von ihren blutigen Fingern abzuwenden schüttelte Alera den Kopf. Sie wollte nichts trinken, sie wollte nichts essen und sie wollte auch keine blöde Decke! Sie wollte ihre Mutter! „Wo ist meine Frau?“ die Frage war in den Raum gebrüllt worden, noch bevor die Tür gegen die Wand gekracht war. Aleras Vater stürzte in den Raum, komplett noch mit Arbeitskleidung und dreckigen Händen. „Paps…“ Doch Maxime Benett hatte keinen Blick für seine Tochter übrig. „Wo ist Nadja?“ Alera rollte sich noch enger auf dem Stuhl zusammen, versuchte sich so klein wie möglich zu machen und doch fiel Maximes wütender Blick direkt auf sie, als er wieder aus dem Raum kam in dem ihre Mutter lag. „Was hast du getan?“ Eine große Hand packte Aleras Unterarm und zerrte sie auf die Beine. „Du solltest doch auf deine Mutter hören, warum bist du in diese Seitenstraße gelaufen?“ „Paps… ich…“ „Spar dir die Ausreden! Das ist alles deine Schuld!“ Die Hand griff fester zu und der Zorn in Maximes grünen Augen stach Alera mitten ins Herz. Sie hatte das doch nicht gewollt! „Hätte deine Mutter doch nur auf mich gehört und dich abtreiben lassen! Dann wäre das alles nie passiert“ „Paps… es tut mir Leid… ich wollte nicht…“ „Sei einfach still! Ich will nichts hören!“ Schweigend sah der Polizist zu, wie der Mann seine Tochter aus dem Gebäude zerrte. „Meinst du er kommt klar?“ fragte er seinen Kollegen, der sich gerade ein Mars aus dem Automaten holte. Der übergewichtige Mann zuckte gleichgültig mit den Schultern und riss die Verpackung seines Schokoriegels auf. „Der kriegt sich schon wieder ein und wenn nicht, wir sind weder die Seelsorge noch die Wohlfahrt, also geht es uns nichts an!“ Beunruhigt biss sich der jüngere auf die Unterlippe. Irgendwie hatte er ein mieses Gefühl in der Magengegend, beschloss aber trotzdem, alle Gendanken an kleine Kinder mit großen graugrünen Augen vorerst bei Seite zu schieben uns sich auf seine Ermittlungen zu konzentrieren. Er würde in einer Woche oder so mal bei ihr vorbeischauen, wenn sich alles etwas beruhigt hatte. Leider wurde aus einer Woche zwei, daraus wurde ein Monat und irgendwann hatte er es komplett vergessen. Die folgenden Wochen waren einfach nur schrecklich! Egal was Alera auch tat, ihr Vater reagierte einfach nicht. Seit der Beerdigung redete er nicht, er aß nicht, er schlief nicht und er ging nicht zur Arbeit. Nach einer Woche begann Alera das Telefon zu ignorieren und wäre Zenzele nicht jeden Tag vorbeigekommen wären sie vermutlich beide total verwahrlost. Die alte Frau kochte das Mittagessen, half Alera bei den Hausaufgaben kümmerte sich um die Wäsche und schaffte es sogar Maxime zum Essen zu überreden. Darum war Alera auch so überrascht, als sie eines Morgens (es war ein Samstag) vom Lärm des Staubsaugers geweckt wurde. Zenzele kam doch erst mittags! Sie schwang die Beine aus dem Bett und lief die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, wo Maxime gerade das Wohnzimmer saugte. Hoffnung wärmte sie von innen heraus wie heiße Schokolade. Ging es ihm endlich besser? „Paps?“ „Guten Morgen! Hab ich dich geweckt?“ „Ja….“ Nervös zwirbelte Alera eine Locke um ihren Finger. „Tut mir Leid! Deine Mutter ist nicht da und ich dachte ich mache hier schnell sauber, sonst kriegt sie noch einen Schreck wenn sie von ihrer Joggingrunde zurückkommt!“ Die Wärme war mit einem Schlag verschwunden. Sie war zwar erst acht, aber auch sie wusste, dass Tote weder joggten noch zurückkamen. Und beides zusammen schon gar nicht! Was zur Hölle war hier los? Völlig verängstigt rannte sie noch im Schlafanzug ins Nachbarhaus, doch die dunkelhäutige Afrikanerin zuckte nur hilflos mit den Schultern. „Er versucht wohl auf seine Art mit Nadjas Verlust fertig zu werden… Vielleicht hilft es ja? Du behältst ihn einfach im Auge und wenn es in ein paar Wochen nicht besser geworden ist sagst du mir bescheid, dann braucht er einen Psychologen oder so. Kannst du das meine Kleine?“ Alera nickte bestätigend. Es würde alles wieder gut werden. Warum ich niemandem etwas gesagt habe? Ich war ein Kind und ich hatte Angst! … Ja ich weiß, Zenzeles Rat war nicht gerade der Beste, aber wir dachten beide, dass Paps sich wieder erholen würde. Wir dachten es wäre nur vorübergehend! Und als ich merkte, dass er nie wieder der Alte sein würde, da war ich einfach nur verzweifelt! … Psychatrie? Wie hätte ich ihm das antun können? Nachdem ich ihm die Person genommen habe, die er am meisten geliebt hat? Zenzele bekam davon nichts mehr mit, sie wurde kurze Zeit später wegen eines Knochenbruchs in ein Pflegeheim gebracht und alle anderen? Denen war ich herzlich egal! Ich war alleine mit meiner Angst und meinen Selbstvorwürfen, Also hören Sie gefälligst auf mir vorzuwerfen, ich hätte völlig falsch gehandelt, das weiß ich selbst! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)