Blue Boy von Anemia ([Simon Cruz & Olli "Twisted" Kosunen]) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- * Mann. Wenn es jemanden gab, der einen Ruf weghatte, dann warst ohne Zweifel du es. Welch krude Horrorgeschichten man sich unter Bandkollegen über dich erzählte und wie man sich über deine Arroganz ausließ, die förmlich auf deine Stirn geschrieben zu sein schien. Nein, angeblich sprach sie aus deinem Lächeln. Und angeblich sagte dieses mehr als tausend Worte. Für sie warst du das Arschloch. Für mich warst du einfach nur der Typ, an dem man kein gutes Haar ließ. Ein Urteil über dich konnte ich mir nicht bilden, denn wir waren uns nie begegnet. Doch im Grunde hatte ich immer schon an Martins Übertreibungen gezweifelt. Vielleicht warst du ja arrogant. Aber kein Mensch besitzt nur diese eine Seite. Schließlich sind wir dreidimensionale Wesen, die man hinstellen kann. Und selbst du wirktest bei unserer ersten Begegnung nicht so, als wärst du flach wie ein Blatt Papier. Ganz im Gegenteil. * Langsam aber sicher begannen mir die wabernden Lichter auf den Sack zu gehen. Natürlich, ich liebte das Rampenlicht und blühte erst dann richtig auf, wenn ich mich auf einer Bühne präsentieren konnte, eine Disco war allerdings ein etwas anderes Kaliber. Doch heute war mir alles lieber, als zu Hause zu vergammeln und mir ein Bier nach dem anderen hinter die Binde zu kippen. Feierlaune wollte zwar keine aufkommen, aber wenn ich all die fröhlichen Menschen anschaute, die sich noch fröhlicher soffen, dann erschien es mir plötzlich legitim, einen über den Durst zu trinken. Zwar war ich ohnehin nicht eine von diesen verklemmten, kleinen Pussys, die bereits von einem Bier einen roten Kopf bekamen und genoss den Alkohol fast täglich in vollen Zügen, doch in dieser Nacht übertrieb ich es vielleicht ein klein wenig. Denn aus den wabernden Lichtern entstanden bald schon rasende, bunte Flammen und rissen mich nicht nur einmal fast zu Boden. Gerade noch so gelang es mir, mich an einer umstehenden Person festzukrallen, was mir selbst in diesem Zustand absolut erbärmlich vorkam. Besagte Person scheuerte mir glücklicherweise nicht gleich eine, sondern drehte sich zu mir um und stieß ihre Krallen förmlich in meine Oberarme, damit ich nicht gleich wie ein Schwächling auf die Knie sank. Prompt lallte ich etwas, das wohl ein 'Aua' sein sollte, aber letztendlich war ich doch ziemlich dankbar, dass ich somit wieder aufgerichtet wurde, denn ich wäre beinahe tatsächlich wie ein Blatt Papier zusammengeklappt. "Alles klar?", hörte ich die Person ziemlich nah vor meinem Gesicht fragen. Ob sie männlich oder weiblich war konnte ich in meiner Befindlichkeit nicht erkennen; lediglich die langen, blonden Haare, die ihr auf die Schulter fielen, nahm ich wahr. Und natürlich das Augenpaar, welches sekündlich seine Position zu wechseln schien. "Woah, ein Chamäleon", faselte ich, die lauten Umgebungsgeräusche sowie die dröhnenden Bässe sorgten allerdings dafür, dass Goldlöckchen, wie ich die Person mit einem stillen Grinsen später taufen würde, lediglich die Bewegungen meiner Lippen wahrnahm. Fasziniert griff ich der Person mitten ins Gesicht, woraufhin sie mich urplötzlich auf eine Couch stieß und ich mir mein irres Gegluckse nicht länger verkneifen konnte. "Trink mal Wasser, Kerl, du bist ja vollkommen dicht." "Joa, vielleicht, vielleicht." Grinsend sah ich zu, wie Goldlöcken von dannen zog und bedauerte es beinahe schon, dass ich es wohl nie wieder zu Gesicht bekommen würde, doch schon wenig später kehrte der blonde Engel zu mir zurück und hielt mir ein Glas mit Wasser unter die Nase. Währenddessen hatte er direkt neben mir Platz genommen und sich verdammt noch mal in meine Intimzone geschlichen. Oh Scheiße, er roch heftig nach Schnaps. Oder war ich das etwa? Schließlich trank ich. Trank, und bemerkte mit Erschrecken, wie gut mir dieses so harmlose Gesöff tat. Stürzte alles hinunter. Bis das Glas leer war und ich es auf dem niedrigen Tisch abstellte. "Du bist mein Retter...meine Heldin...was auch immer..." "Einigen wir uns auf Retter, wenn es denn sein muss", erwiderte der andere trocken, schmunzelte ein wenig. "Für 'ne Heldin hab ich dann doch zu viel in der Hose." Ah, also doch ein Männchen. Okay. Eigentlich war ich Androgynität gewohnt, spätestens seit Peter wusste ich, dass nicht alles Weibchen war, was Rock trug, aber für Verwirrung sorgte dieses Spielchen letzten Endes doch jedes Mal. Und wenn man eh nicht mehr klar denken konnte, dann war man tatsächlich versucht, seinem Gegenüber die Hosen herunterzuziehen, um unverzüglich und präzise zu erfahren, mit welchem Pronomen man um sich zu werfen hatte. Doch selbst wenn ich es in diesem Falle gewollt hätte, ich hätte es nicht gekonnt. Die Trunkenheit war stärker als jeder Muskel meines Körpers. War sie immer. Deswegen pinkelte man sich auch manchmal ein, wenn man Alkohol in seinen Blutbahnen rasen spürte. "Wenn du mich fragst, ist es eigentlich ziemlich bescheuert, sich so den Rest zu geben", meinte Goldlöckchen nun und strich sich die Haare nach hinten, verschwendete keinen Blick in meine Richtung. Hatte das Bier mein Gesicht dermaßen gezeichnet, dass ich absolut unansehnlich geworden war? Ich hoffte es nicht. Trotz Alkohol blieb ich eitel. War mein gutes Recht. Schließlich musste man als Sänger einer Band stets aussehen wie gerade mit Perwoll gewaschen. Tat ich zwar ohnehin nie, weil nicht jeder Peter oder Martin heißen konnte, aber ich versuchte wenigstens mein Bestes. "Pff", machte ich, spielte nicht sonderlich unauffällig mit meiner Zunge an meinem Lippenpiercing und glotzte ungeniert den Damen in ihren kurzen Lederröcken hinter. "Heute darf ich mir den Rest geben. Heute, wo doch mein Ehrentag ist." Vorwitzig beugte ich mich zu Goldlöckchen hinüber und schnippte ihm mit den Fingern vor der Nase herum, woraufhin es auszuweichen versuchte. Ich allerdings grinste nur dämlich. "Ich hab Geburtstag, Baby! Woohoo!" "Na dann herzlichen Glückwunsch", erwiderte der andere halbherzig, nippte nun selbst an seinem Schnapsgläschen und ich musste feststellen, dass seine Augen ebenfalls unter all die knappen Röckchen der Ladys krochen. Er war sogar so eingenommen von diesen Anblicken, dass eine Gesprächspause entstand. Oder er wollte sich einfach nicht mit einem sturzbetrunkenen Typen unterhalten. Weil die bekanntlich sehr viel Scheiße laberten. Einige von ihnen bekamen sogar einen homosexuellen Touch, wenn sie locker wurden. Oho. "Und wieso bist du dann ganz alleine hier, wenn du doch Geburtstag hast?" Endlich guckte Goldilock mal zu mir rüber. Mh. Wirklich schade, dass es zu viel in der Hose hatte, um eine Heldin zu sein. Sonst hätte ich nicht lange gefackelt und das Mäuschen abgeschleppt. Irgendwie musste ich zwar zugeben, dass mir dieses Gesicht bekannt vorkam, aber im Moment konnte ich es nicht einordnen. Es war mir auch egal. Viel lieber kam ich wieder näher und fummelte ein bisschen an den blonden Strähnen herum, ließ sie zwischen meinen Fingern hindurchgleiten, was unserem Hengstchen selbstverständlich missfiel, seiner erneuten ausweichenden Geste nach zu urteilen. "Gegenfrage: Hättest du Bock, mit einer absoluten Tunte, die vollkommen den Verstand verliert, wenn sie betrunken ist, einem nervigen Gitarristen und im Gegensatz dazu einem absoluten Drummerlangweiler deinen Ehrentag zu verbringen?" "Absolut Tunte, die den Verstand verliert?", hakte der andere prompt nach und kaute auf seiner Unterlippe herum mangels Piercing, an dem er spielen konnte. Eine Weile lang musterte er mich nachdenklich, ehe so etwas wie Erkenntnis in seinen Zügen auftauchte. Zwar wackelten seine Augen und die Nase noch immer sehr ungesund, aber selbst ein Blinder hätte realisiert, dass in Goldilocks Hirn ein Licht aufgegangen war. "Man, klar, du bist doch Simon Cruz!", rief er laut aus und ich konnte nicht anders, als die Stirn in Falten zu legen. "Und die Tunte, die du meinst, ist Peter. Verdammte Tussi, die..." "Du kennst Peter? Du Ärmster." "Ja, ja, ich Ärmster", lachte Goldlöckchen auf und es traf mich in diesem Augenblick fast wie ein Schlag. Dieses Lächeln, es musste von den Göttern erschaffen worden sein. Kein Normalsterblicher bescherte seinen Mitmenschen so einen Flash, wenn er die Mundwinkel nach oben zog. "Gott, du bist Olli", entwich es mir daraufhin ganz verwirrt. Ich schüttelte mein Haupt. "Du musst einfach Olli sein. Wie sagt Martin immer? Ach ja: Dollface. Und verdammte Axt, er hat Recht! Du bist voll die Puppe, wenn du lachst." "Klar bin ich Olli", rollte mein Gegenüber mit den Augen. "Und du scheinst ja schon eine krasse schwule Schlagseite bekommen zu haben von deinem Umgang mit Peter." Er trank noch einen Schluck, lachte dann wieder, allerdings nicht mehr so breit. "Ein Glück, dass ich rechtzeitig die Flucht ergriffen habe, ehe der mich warmmachen konnte. War wirklich höchste Eisenbahn. Man, wie weit wir schon gegangen waren..." "Reicht", gab ich bekannt und hob meine Hände. "Ich will gar nicht wissen, was ihr gemacht habt." Ich räusperte mich. "Themenwechsel: Was macht denn ein Goodlooker wie du ganz allein in einer großen, bösen Disco?" Aber er brauchte gar nicht zu antworten. Ich musste nur einmal mehr seine Blickrichtung verfolgen. "Die Damen, natürlich." "Na klar die Damen", äußerte Olli und man hörte seiner Stimme an, dass er nun ganz in seinem Element war. "Meine Kumpels haben sich schon alle verpisst, schon viel eher...weißt du, wir haben alle Frauen zu Hause und sie wollen eben nicht in Versuchung geführt werden. Ist ja auch verdammt riskant." Er deutete mit dem Kinn auf ein Mädchen mit meterlangen Beinen. "Guck dir nur die Schnitte an. Hell yeah..." "Ja, heiß." Aber da war etwas, das mich im Moment stärker interessierte als der x-te Arsch einer Frau. "Du hast wirklich ne Frau?" "Klar. Und genau deswegen darf ich nur gucken und nicht anfassen. Appetit holen ist okay, aber gegessen wir zu Hause." "Man, bin ich froh, dass ich Single bin", freute ich mich daraufhin und als mich die Frau, der wir gerade eben noch eindeutige Blicke zugeworfen hatten, bemerkt zu haben schien, schlug ich Olli hart auf die Schulter und erhob mich schwankend. "Entschuldige mich, aber ich hab da was klarzumachen..." Besagter antwortete nicht erst, trank ungerührt weiter an seinem nächsten Schnapsglas und ließ mich ziehen. Wenn sich nur der Boden nicht so bewegt hätte. Aber eigentlich mochten Frauen es doch, wenn man vor ihnen sofort auf die Knie ging. Peinlich nur, dass ich Olli ebenfalls schon auf diese Art und Weise angebetet hatte. Pah, Olli. Das war wirklich verrückt. Ich musste an all die Geschichten denken, die meine Bandkollegen sich über ihn erzählten. Wie viel ich bereits über ihn erfahren hatte, ohne ihn überhaupt zu kennen. Theoretisch musste er ein absolut schlechter, egoistischer und arroganter Mensch sein. Doch waren nicht genau dies die interessanten Charaktere in der Geschichte, die sich Leben nannte? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)