Wie Sterne bei Dämmerung von Mamura (BL - Makoto x Rin) ================================================================================ Kapitel 3: (Un-)Wirklichkeit ---------------------------- Drei Schritte bis zum Startblock. Eins. Zwei. Beim Dritten stand sein Fuß auf der Stufe. Seine Ferse drückte sich in den Gummibelag. Er spürte es nicht. Die gesamte Aufmerksamkeit des Schwarzhaarigen zentrierte sich auf das Becken. Er stellte den linken Fuß ebenfalls auf den Block. Haruka zog die Schwimmbrille auf die Augen. Er presste sie fest und ging in Startposition. Seine Zehen klammerten sich an den Kunststoff. Das Wasser war unruhig. Rins Körper schnitt Harukas Blickfeld. Er wusste genau, wann er springen musste. Millisekunden zählten. Haruka konzentrierte seine Kraft. Er stieß sich ab. Das Stechen in seinem Bauch verriet Haruka, dass etwas nicht stimmte. Eine Störung im Ablauf. War er zu früh gesprungen? Wo war Rins Ruf? Er rief immer nach ihm? Haruka blickte ins Wasser. Er flog wie in Zeitlupe. Das Entsetzen packte ihn. Die Oberfläche unter ihm färbte sich Rot; Blut im Wasser; Rins Blut? Mit aller Mühe straffte Haruka seine Muskeln. Er tauchte unsanft ein. Die Wellen streiften seine Wangen. Er tauchte tief. Der Wettbewerb war vergessen. In einer schnellen Wenden drehte Haruka. Er schwamm in die entgegengesetzte Richtung. Sein Herz raste. Rins lebloser Körper sank tiefer. Das Blut quoll aus einer Wunde am Kopf. Haruka streckte seine Hand aus. Seine Lungen schrien nach Luft, doch er gab nicht nach. Er tauchte so tief, dass das Wasser sie zu verschlucken schien. Alles wurde Rot, dann Schwarz. Panisch kämpfte der Schwarzhaarige mit dem gnadenlosen Element. »Rin«, schrie Haruka. Die Luft drang aus seinem Mund. Wasser füllte seine Lungen. Er würde ertrinken. Rin verschwand in der Dunkelheit. Schweiß lief ihm in den Nacken. Atemlos keuchte Haruka. Er wagte es nicht sich aufzusetzen. Fassungslos fokussierte er die Decke des Zimmers. Traum? Er hob die Hände und bewegte die Finger. Realität? Um sich zu beruhigen, rekapitulierte der Mann das Erlebte. Er legte die Hände auf seine Augen und starrte ins Nichts. Rins fehlendes Rufen war Wirklichkeit. Seine Bahn war zügig, aber unkonzentriert gewesen. Haruka meinte sich zu erinnern, dass er Rin Husten gehört hatte. Er musste Wasser geschluckt haben. Eine Sekunde fehlte. Jene in der Haruka in die Hocke gegangen war um Abzuspringen. Dort hatte er Rin nicht gesehen, erst wieder, als er sprang. Alles war rot gefärbt. Aber Haruka hatte gewendet. Er war zurück geschwommen, um Rin zu retten. Doch er war zu langsam gewesen. Um den Startblock sammelten sich Hilfskräfte. Überall waren Menschen. Haruka hatte sich die Brille von den Augen gerissen. Zwischen all den Sanitätern und Schaulustigen erkannte er nur Nagisa und Makoto. Niemand konnte genau sagen, was in ihnen vorging. Beklommen war Haruka zurück geschwommen. Eine blecherne Ansage forderte alle auf, das Becken umgehend zu verlassen. Nagisa lief auf Haruka zu, zog ihn aus dem Wasser und nahm ihn in den Arm. Haruka erinnerte sich an den leeren Ausdruck in Makotos Augen, das Flüstern seiner Lippen und wie der Braunhaarige los lief, sich durch die Menge kämpfte und nach dem Verunglückten schrie. »Rin! Rin! Rin!« In der Gegenwart presste Haruka sich die Hände auf die Ohren und kniff die Augen zu. Das Zittern, die Schreie, das blutige Wasser. In den Gedanken des Schwarzhaarigen war es noch da. Überall. Nagisas Angst. Makotos Verzweiflung. Rins Blut. »Haru-chan?« Ohne anzuklopfen stürmte Nagisa das Hotelzimmer. Er hatte den blonden Pony mit einer kitschigen Spange zurückgesteckt und trug ein enges, fliederfarbenes T-Shirt. Haruka rappelte sich auf. »Hast du geschlafen?«, fragte der Störenfried und setzte sich zu seinen Kameraden aufs Bett. Dieser schwieg und schlug die Decke zurück. Er setzte die Füße auf den Teppichboden, noch immer verschwamm seine träumerische Wahrnehmung mit der Realität. Er konnte Nagisa nicht ansehen und starrte auf seine Hände. »Möchtest du duschen? Wir haben das Zimmer an der Rezeption für ein paar Tage verlängert. Gou-chan und Seijuro-chan müssten bald hier sein. Rei und ich müssen leider wieder zurück. Wegen der Arbeit und so. Kommt ihr zurecht? Ich meine Du und Mako-chan?« Nagisas Worte drangen in flüchtigen Fetzen aus seinem Mund. Er traute sich nicht, Haruka in den Arm zu nehmen, wie er es sonst bei jedem tat, der derart unglücklich aussah. Dennoch suchte der Blonde den Blickkontakt. »Haru-chan?«, murmelte er, »Hörst du mir zu?« »Ja«, antwortete der Schwarzhaarige ruppiger als gewollt. Er schlug den Blick nieder und atmete tief aus. Er wollte bloß unter die Dusche. »Wir melden uns, wenn wir zu Hause sind«, versicherte Nagisa und erhob sich. Er wollte gehen. Schließlich hob Haruka den Kopf. Er sah Nagisa Gehen und bat ihn laut: »Seid vorsichtig.« Der Jüngere blieb in der Tür stehen und wandte den Oberkörper herum. Er zwinkerte und lächelte. »Alles wird gut«, sagte er überzeugt und verließ das Zimmer. Einen Augenblick blieb Haruka im Stillen, bevor er aufstand und unter die Dusche ging. Als er unter dem strömenden, warmen Wasser stand, hatte er nur einen Gedanken: Wenn doch nur alles gut werden würde. Gegen vier Uhr fuhr Seijuro mit dem Auto auf den Parkplatz des Hotels. Sie stiegen nicht aus. Haruka wartete bereits am Eingang und lief hinüber. Gou saß auf der Rückbank des roten Mazda, der Schwarzhaarige begab sich zu ihr. Sofort wurde er in eine stürmische Umarmung gerissen. »Verdammt, ich hab mir solche Sorgen gemacht! War habt ihr nicht gleich angerufen?«, sprach sie gegen seine Schulter. Haruka wusste nicht recht, wo er seine Hände positionieren sollte. Die starke Wölbung des Bauches harmoniere nicht mit der krummen Haltung ihres Körpers. Beschwichtigend tätschelte Haruka Gous Rücken und versuchte, sie wieder aufzurichten. »Gou, setz dich anständig hin«, forderte Seijuro seine Frau auf, die widerwillig ihren Gurt wieder anlegte. »Wie geht es dir, Haruka?«, fragte der Trainer bemüht gefühlvoll. Er gab im Bordcomputer die Adresse des Krankenhauses ein und fuhr los. »Hast du schlafen können? Nagisa hat uns von unterwegs angerufen, er meinte du hättest Probleme beim Einschlafen gehabt und ein Albtraum hätte dich geweckt.« Gous Kummer grub eine tiefe Falte in ihre Stirn. Sie hielt noch immer Harukas Hand. »Lass den armen Kerl doch. Du siehst doch, dass er kaum mit sich selbst fertig wird«, Seijuro warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Harukas ausdrucksloses Gesicht war aus dem Fenster gerichtet. Gous warme Hand fühlte sich angenehm an. Die beiden waren wie eine Familie für ihn geworden. Nichts und niemand konnte ihren Zusammenhalt und ihre Fürsorge für sich und andere erschüttern. Haruka schuldete ihnen einen Erklärung, am besten, bevor sie das Krankenhaus erreichten. Doch er hatte Probleme, seine Gedanken in Worte zu fassen. Normalerweise war Makoto bei ihm, der für ihn sprach. Makoto wusste immer, was wann zu sagen war und was nicht. »Wir haben lange gewartet«, begann er einen holprigen Satz und schwieg einige Augenblicke, bevor er weitersprach, »Makoto sagte, solange wir warten können, es euch zu sagen, sollten wir warten. Nicht um euch zu kränken.« Der Schwarzhaarigen sah direkt in Gous rubinfarbene Augen, die denen ihres Bruders so ähnlich waren. »Wir mussten wissen, dass...«, Haruka schluckte, »...Er es übersteht.« »Ist schon okay. Jetzt sind wir ja hier«, Seijuro befreite den Jüngeren aus der Erklärungsnot. Sie schwiegen eine ganze Weile, während sie durch die belebten Straßen Tokios fuhren. Am Schwesternzimmer im dritten Stock des Krankenhauses empfing Schwester Aiko die drei Besucher. »Bevor wir hinüber gehen, müsste ich ein paar Worte mit Ihnen wechseln, Mastuoka-san«, sagte sie und verbeugte sich. Die Angesprochene sah Seijuro an, der einen Arm um sie legte und erklärte: »Ich bin Mikoshiba Seijuro, Gous Ehemann. Ich werde mir auch anhören, was Sie zu sagen haben.« Die Schwester nickte und wandte sich kurz an Haruka: »Warten Sie bitte einen Moment, Nanase-san.« Gou legte ihm eine Hand auf den Arm, bevor sie ihn stehen ließen und die Tür des Schwesternzimmers sich schloss. Haruka blickte sich um. Angrenzend lag ein einsehbarer Aufenthaltsraum. Darin stand ein Wasserspender. Der Schwarzhaarige lief hinüber und zapfte sich einen Becher daran. Als wäre er kurz vorm Verdursten leerte er zwei Füllungen nacheinander. Haruka schnaufte leise. Seine Kehle war noch immer trocken. Er befüllte den Becher erneut und ging zurück auf den Korridor. Keine zehn Meter entfernt lag das Zimmer von Rin. Elektrisiert bewegten sich Harukas Füße darauf zu. Er blieb vor der verdeckten Glasscheibe stehen. Ein winziger Spalt ließ die Sicht hinein zu. Unverändert lag Rin dort. Verkabelt und gestützt. Haruka erkannte Makoto. Er war noch immer dort drin. Er beugte sich über den schlafenden Körper und legte eine Hand auf Rins Wange. Makoto neigte seinen Kopf tiefer. Was hatte er vor? Haruka konnte nicht wegsehen. Seine tiefblauen Augen machten nur die Konturen der Beiden im Raum aus. Ihre Gesichter waren sich so nah, dass der Schatten von Makotos Körper sie verdeckte. Haruka wandte sich ab. Er lehnte den Rücken gegen die weiße Wand und starrte in seinen Becher. Makoto. Rin. Früher waren diese innige Freunde gewesen, soweit Haruka es bewerten konnte. Doch sie hatten sich verändert. Beide. Es begann vor einem halben Jahr, als die Vorbereitungen auf die Nationals anliefen. Ihre Unterhaltungen waren wortkarger geworden. Manchmal nahmen sie einander kaum noch war. Auf Harukas Nachfrage, weshalb Rin derartig abweisend reagierte, hatte Makoto damals es nur mit einem Lächeln abgetan. Er meinte, dass Rin fixiert auf das Finale sei und daher kaum noch Zeit für andere Dinge hätte. Wozu auch ihre Freundschaft zählte. Außerdem trainiere Rin bereits für den Olympiaentscheid, was einzig ihn allein betraf. Doch konnte mehr dahinter stecken? Hinter ihrer Distanz, ihrem Schweigen, ihrer plötzlich wiederkehrenden Anziehung? In Harukas Gedanken klang die Art von Makotos Schreien nach Rin wie auf einem Tonband. Verstörend hallte es in seinen Ohren wider, bis Schritte im Korridor ihn aufsehen ließen. Am Übergang zu den Fahrstühlen, zwischen den weit geöffneten Feuerschutztüren, stand ein junger Mann. Langsam kam er auf Haruka zu. Er kannte ihn nicht, auch wenn sein helles, kantig geschnittenes Haar und die Farbe der Trainingsjacke, die er trug, Haruka an etwas erinnerte. Er hatte ihn schon einmal gesehen. Aber wo? 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