A different Future von BondingTails ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Nach langem Schweigen, langen Gesprächen und einer unruhigen Nacht kam ich am nächsten Morgen zum Frühstück herunter, als nur Bulmas Mutter bisher wach war. Ich versuchte immer, diese Uhrzeit zu erwischen, damit das Frühstück bereits gemacht oder immerhin gerade in der Mache war, aber noch niemand anderes da war, um mich zu nerven. Jetzt hatte ich sogar besonderes Glück, da das Essen bereits auf dem Tisch stand, Mrs. Briefs aber nicht in der Küche war. Wahrscheinlich erledigte sie gerade irgendeine andere Hausarbeit, aber es war egal; ich war nur froh, dass ich mir ungesehen meinen Teller vollschaufeln und damit heimlich wieder in mein Gästezimmer verschwinden konnte. Ich erschrak fürchterlich, als das Telefon laut in die morgendliche Stille hinein klingelte. Ich wusste, egal wo Bulmas Mutter war, sie würde jeden Moment hierher zurückkommen, um das Telefonat entgegenzunehmen – deshalb reagierte ich sofort und lief mit meinem Teller aus dem Raum, hatte gerade erst den Treppenansatz erreicht, da hörte ich ihre Schritte und das schrecklich laute Klingeln fand ein Ende. „Hallo?“, hörte ich sie in den Hörer fragen und begann, die Treppenstufen hinaufzuschleichen. Als sie wieder zu sprechen anfing, ging ich schneller, denn während sie sprach, würde sie meine Schritte nicht hören können, doch als ich verstand, was sie sagte, hielt ich sofort inne. „Guten Morgen, Chichi!“, war ihre fröhliche Begrüßung. Dann hörte ich den Fall in ihrer Stimme. „Oh. Er ist krank? Was hat er denn?“ Ich starrte nur noch vor meine Füße, sah die Treppenstufen jedoch nicht. Es hatte begonnen. Augenblicklich blitzten Bilder vor meinen Augen auf, wie Son Goku fiebrig im Bett lag, schweißgebadet. Ich wollte sofort zu ihm. Ich wollte es sehen, wie schlecht es ihm bereits ging. Ich wollte wissen, ob er seine Medizin regelmäßig nahm. Ich wollte mich versichern, dass man sich richtig um ihn kümmerte. Aber ich wusste, ich würde es nicht tun. Tagelang wartete ich auf Neuigkeiten, horchte jedes Mal auf, wenn das Telefon klingelte, und ließ enttäuscht den Kopf hängen, wenn sich herausstellte, dass am anderen Ende niemand von Son Gokus Familie war. Ich flog mehrmals los und kehrte auf halbem Wege wieder um. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, wenn ich ankam. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, wenn ich dort war. Ich wusste nicht, ob ich sehen wollte, was mit Son Goku geschah. Ich wusste nicht, ob ich es ertragen konnte, ihn leiden zu sehen. Im Kampf gegen andere Gegner als mich war das längst zu einer schweren Aufgabe geworden, aber jetzt war das noch viel schlimmer, jetzt, wo ich ihm gegen diesen Gegner nicht helfen konnte, jetzt, da sein Gegner ihn auf ganz andere Weise leiden ließ: lautlos und schmerzhaft, langsam und grausam. Aber ihn störte es wahrscheinlich am meisten, wie er gesagt hatte, dass er dabei ans Bett gefesselt war. Nach sechs Tagen kam ein weiterer Anruf von Chichi. Ich saß, wie so oft seit dem letzten Telefonat zwischen ihr und Mrs. Briefs, im Wohnzimmer, ganz in der Nähe des Telefons. Ich hatte es mir angewöhnt, dort zu sitzen, um kein Ferngespräch zu verpassen. Dieses Mal war es Bulma, die den Hörer abnahm. „Ja?“, fragte sie hastig, und gleich darauf: „Chichi?“ Sie musste es gewusst haben, wer anrief. Ich hielt den Atem an, hoffte, dass Chichi so laut sprechen würde, dass ich vom Sofa aus, gegen das ich lehnte, etwas verstehen konnte. „Wie geht es ihm?“ Es herrschte Totenstille. Chichi schien alles andere als laut zu sprechen; ich konnte wirklich gar nichts hören. Vielleicht flüsterte sie. Vielleicht weinte sie. Plötzlich sog Bulma scharf die Luft ein und mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich starrte sie an, das einzige Medium, das mir Hinweise auf Son Gokus Zustand geben konnte. Und sie keuchte. „Das ist nicht dein Ernst, Chichi.“ Ich bemerkte, dass ich beinahe erstickte. Ich konnte nicht mehr atmen. „Natürlich, ich bin sofort da.“ Sofort da? Hieß das, man konnte ihn besuchen? Hieß das, es ging ihm besser? Bulma hatte den Hörer aufgelegt und sich zu mir umgedreht. Ungefragt sagte sie, vielleicht auch mehr zu sich selbst: „Son Gokus Zustand hat sich noch verschlechtert.“ Mit diesem Satz zerstörte sie all meine Hoffnung. „Chichi möchte, dass wir Son Goku besuchen.“ Ich hörte ihre Worte kaum noch. „Wir sollen uns von ihm verabschieden.“ Und meine Welt zerbrach. ~ An diesem Tag konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Diese Ungewissheit, nicht mit eigenen Augen zu sehen, wie es ihm ging. Diese Gefahr, ihn vielleicht tatsächlich nie wieder zu sehen, war grausamer als alles andere, was ich mir vorstellen konnte. Ich wartete zwar noch, bis Bulma von ihrem Besuch zurückgekehrt war – es war einer der längsten Zweistundenzeiträume meines Lebens – ich haderte in dieser Zeit noch mit mir, wog das Für und Wider ab, aber dann flog ich los. Schneller als ich es für möglich gehalten hätte, landete ich vor dem Haus, dessen Tür offen stand, wie das für den letzten Abschied üblich war. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Wie konnte man Son Goku denn schon aufgegeben haben? Egal wie schlecht es ihm ging, wenn er noch atmete, wenn sein Herz noch schlug, wenn er noch irgendwie lebte, gab es noch Hoffnung. Er hatte bisher immer erst in der letzten Sekunde alles zum Guten gewendet. Er würde das auch dieses Mal tun. Davon war ich überzeugt. Ich glaubte an ihn. Ich gab ihn noch nicht auf. Als ich die Treppe hinaufstieg, war nichts mehr von dieser Zuversicht in mir zu spüren. Ich hatte solche Angst davor, was ich gleich sehen würde. Meine Beine fühlten sich unzuverlässig an, instabil, unberechenbar. Lange stand ich mit ihnen unsicher vor der Tür, hinter der ich Son Gokus schwache Aura spüren konnte. Ich zögerte noch immer. Denn ich wusste, dass ich es nicht mögen würde, was ich gleich zu sehen bekam. Aber ich musste es sehen. Ich würde es bereuen, wenn ich es nicht tat. Mit diesem Gedanken wagte ich endlich den letzten Schritt, schob langsam die angelehnte Tür auf und betrat den Raum. Das Fenster stand offen, die Vorhänge wehten im sanften Wind. Kuririn saß auf einem Stuhl vor dem Bett und betrachtete denjenigen, der darin lag, als hoffte er, dass er jeden Moment aufwachte. Er erschrak leicht, als er mich bemerkte. Ich blieb mitten im Raum stehen, beachtete ihn nicht, konnte nur Son Goku anstarren. Sein Gesicht war gerötet und schweißnass wie der Rest seines Körpers. Er musste hohes Fieber haben. Unter seinen Augen waren tiefe Schatten. Seine Haut straffte sich ungewohnt stark über seine Wangenknochen. So geschwächt und hilflos hatte ich ihn noch nie gesehen. Nicht einmal auf dem Schlachtfeld. Es passte nicht zu ihm. Wie konnte er einer Krankheit unterlegen sein? Wie konnte etwas so Kleines wie ein Virus ihn so einfach in die Knie zwingen? Selbst im Kampf, auch wenn er bereits völlig entkräftet am Boden lag und nicht mehr weiterkämpfen konnte, hatte er stets noch einen provokanten oder selbstironischen Spruch auf den Lippen, zusammen mit einem Lächeln. Aber jetzt blieb er stumm, sein Gesicht angespannt. Und selbst wenn er bei einem Gefecht eigentlich nicht mehr weiterkämpfen konnte, versuchte er es dennoch immer. Er gab einfach nicht auf, egal was passierte. Genau das war es, was mir jetzt noch Hoffnung machte. Ich wusste, er würde kämpfen. Sein Gesicht zeigte es. Er würde sich nicht aufgeben und sich der Krankheit und ihren Folgen unterwerfen. Er würde stark sein. Er würde das durchstehen. Wenn er es nicht schaffte, würde ich ihm das nie verzeihen. Ich dachte an die letzten Gespräche mit ihm. An all die Gedanken, die er sich über den Tod gemacht hatte. An seine Ernsthaftigkeit, seit er von seiner Krankheit erfahren hatte. An seinen Leichtsinn, gegen mich zu kämpfen, obwohl er wusste, dass er bereits so geschwächt war und kaum noch eine Chance hatte. An die Situationen, in denen ich gedacht hatte, wie lebensmüde er wirkte. Ich hoffte inständig, dass ich mir das nur eingebildet hatte. „Er hat fürchterliche Albträume“, sagte Kuririn plötzlich und ich erschrak. Mein Kopf schnellte zu ihm herum. Ich hatte seine Anwesenheit vollkommen vergessen. „Jeden Tag, alle paar Stunden. Und er ist schon seit zwei Tagen nicht mehr für länger als ein paar Minuten am Stück wach gewesen.“ Er schüttelte den Kopf, seine Augen weiterhin auf Son Goku gerichtet. Ich folgte seinem Blick, konnte wieder nur auf ihn hinabstarren und mit ihm leiden. Ich hätte alles dafür getan, um ihn wieder gesund zu machen und ihm diese Qualen zu ersparen. Ich hätte sie auf mich genommen, wenn ich könnte. „Der Arme“, sprach Kuririn meine Gedanken aus. „Ich wünschte, ich konnte irgendetwas für ihn tun.“ Gerade wollte ich losgehen, aus dem Raum, aus dem Haus, weit fort von hier, um nachdenken zu können, um mich abreagieren zu können und um meinen Emotionen freien Lauf lassen zu können, denn ich hielt es nicht mehr aus, nicht zu schreien, nicht zu weinen – doch genau in diesem Augenblick erhob sich Kuririn von seinem Stuhl und bewegte sich auf die Tür zu. Ich blieb wie erstarrt stehen, als er an mir vorbeiging, rührte mich nicht, bis die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war. In diesem Augenblick schien ich in eine surreale Welt einzutauchen. Ich – allein mit Son Goku in einem Raum. Er – schweißnass im Bett. Ich – nur wenige Schritte davor. Seine Aura war so schwach, als wäre sie nur eine Erinnerung an seine Stärke. Alles schien so unwirklich. Wie in einem Traum. Einem Albtraum. Warum hatte Kuririn mich hier zurückgelassen? Wollte er etwa, dass ich die Gelegenheit hatte, mich in Ruhe von Son Goku zu verabschieden? Und wusste, dass ich das vor seinen Augen nicht tun würde? Er schien allerdings nicht zu wissen, dass ich es auch nicht ungesehen tun würde. Ich würde mich nicht verabschieden. Egal wie lange er mich hier einsperren würde. Son Gokus Atem wurde mit einem Mal flacher, seine Stirn legte sich in angestrengte Falten und er stöhnte leise vor Schmerzen. Wie in Trance bewegte ich mich auf ihn zu und setzte mich zu ihm auf das Bett, vorsichtig, als könnte ich ihn aufwecken. Dabei wusste ich: Nichts könnte ihn in seinem Zustand jetzt aufwecken. Ich streckte eine Hand nach seinem Gesicht aus und legte sie sachte an seine glühende Wange. Ich zögerte nicht lange, schließlich war es nicht real. Es konnte nicht real sein. Er war nicht schwach. Für einen Augenblick wurde Son Goku wieder ruhiger, als spürte er meine Berührung, als spendete sie ihm Kraft und Ruhe. Und plötzlich streckten sich seine Arme nach mir aus und griffen blind ins Leere. Seine linke Hand streifte noch meinen Ärmel, bekam ihn aber nicht zu fassen. Wahrscheinlich spürte er ihn überhaupt nicht. Seine Arme sanken daraufhin wieder langsam, doch bevor sein rechter wieder die Matratze berührte, griff ich nach seiner Hand und hielt sie sanft fest. Ich spürte einen Sog in meiner Handfläche, in meinen Fingern, und begriff, dass ich ihm unwillkürlich durch meine Hand Energie übertrug. Es war, als saugte er sie mir regelrecht aus, ebenso unbewusst wie ich sie ihm gab. Und ich hätte ihm alles gegeben, was ich habe, wenn es ihn nur rettete. Ich hätte mein Leben für ihn gegeben. Ich fragte mich, ob ich ihm so die Kraft geben konnte, die er brauchte, um gegen den Virus ankämpfen zu können. Ich würde Tage und Nächte hier sitzen bleiben und seine Hand halten, wenn es so war. Doch konnte ich wissen, ob ich damit nicht eher den Virus stärkte als wirklich ihn? Konnte ich wissen, ob ich so sein Leiden nicht nur herauszögerte? Son Gokus Augenlider flatterten, als würde er jeden Moment aufwachen. Ich überlegte vage, was ich tun würde, wenn es so wäre – sofort zurückweichen, wäre meine gewöhnliche Reaktion gewesen –, aber er schlief weiter und ich glaubte mich weiterhin in einer Traumwelt. Ich übte sanften Druck auf seine Hand aus, doch ich sah keine Reaktion mehr. Die Falten auf seiner Stirn hatten sich jedoch allmählich geebnet, sodass es fast so aussah, als schlief er nun friedlich. Doch der Schweiß zerstörte das friedliche Bild. Das weiße Shirt, das er trug, war beinahe durchsichtig. Und ich wusste, warum man diese Farbe gewählte hatte: Sie stand für den Tod. Meine Hand, die an seiner Wange gelegen hatte, griff nach dem kühlen Handtuch, das von seiner Stirn gefallen sein musste, denn es lag neben seinem Kopf auf dem Kissen. Ich tupfte damit behutsam den Schweiß fort. Ich spürte, wie mein eigener Atem unruhiger wurde. Mein Daumen fuhr sanft über seine Schläfe, bis ich bemerkte, dass er zitterte. Es dauerte aber noch einen ganzen Moment, bis ich begriff, dass es mein Daumen war, der zitterte, und nicht Son Gokus Kopf. Dann nahm ich meine bebende Hand fort, ballte sie zur Faust, sodass ich ein paar Tropfen Wasser und Schweiß aus dem Handtuch presste, die in der Matratze versickerten. Meine Sicht verschwamm. Du kannst mich hier nicht alleine lassen… „Wenn du mich jetzt allein lässt“, sagte ich leise, „werde ich dir das nie verzeihen, Son Goku.“ Bei dem Klang seines irdischen Namens entkrampfte sich meine Faust wieder etwas. Es war das erste Mal, dass ich diesen Namen laut ausgesprochen hatte. Und er hatte es nicht gehört. Ich wusste nicht, ob es besser so war, aber in diesem Moment hätte ich mir gewünscht, dass es anders wäre. Alles wäre besser gewesen, als ihn so zu sehen und zu wissen, dass er dem Tode so nahe war. Ich schloss die Augen und beugte mich nach vorne, legte meine Stirn an die seine und wisperte: „Bitte, lass mich nicht allein…“ Ich spürte, wie ein Tropfen von meinem Auge fiel, und hob meinen Kopf von seiner Stirn, um zu sehen, dass er in seinen Augenwinkel gefallen war, als wäre es seine eigene Träne. Ich drückte nochmals seine Hand und als Son Goku aufkeuchte, dachte ich zuerst, dass ich vielleicht zu fest zugedrückt hatte. Doch auch als ich meinen Griff lockerte, wurde sein Atem immer flacher und flacher. Sein Kopf warf sich von der einen zur anderen Seite, als wollte er Moskitos daran hindern, ihn zu stechen. Verzweifelt blickte ich auf ihn hinab und fühlte mich hilfloser als je zuvor. Plötzlich kam mir ein Gedanke: Wenn ich ihn umbringen würde… Ich sah es vor mir, wie ich seine Luftröhre zusammendrückte und meine Lippen auf die seinen presste, bis er zu atmen aufhörte. …könnte man ihn mit den Dragonballs dann wieder zurückholen? Ich hatte schon mit Bulma darüber gesprochen, dass es nicht machbar war, die Dragonballs einzusetzen, wenn er durch diese Krankheit und somit eines natürlichen Todes sterben würde. Aber wenn es eben kein natürlicher Tod wäre? Wenn er durch meine Hand sterben würde? Ich erstarrte. War es das, was Son Goku von mir gewollt hatte? War das der Grund, weshalb er gerade mich eingeweiht hatte? Weil er wusste, dass ich der Einzige war, der diesen Plan, um das Schicksal auszutricksen, durchführen könnte? „Vege… ta“, stöhnte er mit einem Mal und ich erstarrte. War er wach und spürte meine Anwesenheit, auch ohne seine Augen aufzuschlagen, oder träumte er von mir? „Geh.“ Es war ein Albtraum. Ich war wahrscheinlich sein Albtraum. Ich versuchte, mir gar nicht erst vorzustellen, wovon er gerade träumen könnte. Wie sich meine Hände um seinen Hals legten und zudrückten. „Nicht.“ Meine Hand in seiner hielt inne. Sie hatte sich gerade entfernen wollen. „Bitte…“ Ich starrte ihn an. „Geh nicht…“ Ich hörte Schritte auf der Treppe, brach sofort alle Berührungen mit Son Goku und erstarrte mit rasendem Herzen. Ich war wieder in der Realität. Ich spürte die Nässe um meine Augen und wusste, dass ich genau das tun würde, was Son Goku in seinem Traum – oder auch in der Realität, ich wusste es nicht – offensichtlich nicht von mir wollte. Als sich die Tür öffnete, war ich bereits zum offenen Fenster hinaus verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)