Rhynna von YvaineLacroix (Story zu Runes of Magic) ================================================================================ Kapitel 5: Mitternacht ---------------------- Es vergingen einige Tage, in denen es keine nennenswerten Vorkommnisse gab. Weily Loth brauchte seine Zeit, um sich an die Tatsache zu gewöhnen, dass er nun zu der einst so verhassten Löwenherzgarde gehörte. Doch die Kameradschaft der Rekruten untereinander und die Anerkennung für seine Fortschritte im Kampf durch Ser Kai, gaben ihm das nötige Selbstbewusstsein und beseitigten seine letzten Zweifel. Er besuchte seine Mutter regelmäßig und berichtete ihr voller Stolz davon wie er seine Zeit nun verbrachte und wie gut er in seiner Ausbildung vorankam. Rhynna unterdessen merkte wie eine Veränderung im Verhalten der Rekruten ihr gegenüber stattgefunden hatte. Sie begegneten ihr nicht mehr voller Gleichgültigkeit, sondern äußerst respektvoll und auch wenn sie immer noch nicht wirklich zu ihnen dazu gehörte, so fühlte sie sich zumindest angenommen und nicht mehr ganz so einsam und ausgegrenzt wie zuvor. Offenbar hatte es sich herumgesprochen, dass sie Nigula in letzter Sekunde vor dem erdolcht werden bewahrt hatte und das hatte ihre Kameraden wohl sehr beeindruckt. Einzig Nigula selbst benahm sich wie zuvor auch. Er behandelte sie weiterhin, als wäre sie nicht da, was Rhynna maßlos ärgerte. Wenigstens ein Dankeschön hatte sie erwartet, aber nicht einmal das bekam sie zu hören. Undankbarer Kerl! Beim nächsten Mal würde sie es sich zweimal überlegen ob sie sein Leben rettete oder nicht. Eines Tages nahm Ser Kai sie nach dem Training beiseite. „Rhynna, ich muss Euch etwas erzählen.“ Er ließ den Blick einmal schweifen, um sich zu vergewissern, dass man sie nicht belauschte. Rhynna wunderte sich über sein Verhalten. Er war doch sonst nicht so geheimnisvoll. Um was es wohl gehen mochte? „Jetzt habt Ihr mich neugierig macht. Sprecht bitte.“ bat sie ihn. Er fuhr sich einmal nervös mit der Hand durch die Haare, ehe er schließlich mit dem, was ihm auf dem Herzen lag, heraus platzte. „Bitte erschreckt jetzt nicht, aber John Hoffmann hat nach Euch gefragt. Er benötigt Hilfe bei einer äußerst delikaten Angelegenheit und hat ausdrücklich nach Euch verlangt. Worum es genau geht, vermag ich Euch bedauerlicherweise nicht zu sagen. Man hat mich nicht eingeweiht, da ich morgen ohnehin nach Shador aufbrechen werde, um eine spezielle Aufgabe zu erfüllen. Wir werden uns also eine lange Zeit nicht sehen, werte Freundin.“ Er lächelte traurig. „Oh,“ entfuhr es Rhynna überrascht. „Das ist bedauerlich. Ich weiß es zu schätzen was Ihr für mich getan habt und werde Euch und Euren Rat sehr vermissen.“ Zaghaft erwiderte sie sein Lächeln. Sie meinte jedes ihrer Worte ernst. In Ser Kai hatte sie nicht nur einen hervorragenden Lehrer gefunden, sondern auch einen wirklich guten Freund. Er würde ihr schrecklich fehlen, wenn er fort war. Und ihm schien es nicht viel anders zu ergehen. „Ich bin mir sicher Ihr werdet es weit bringen, während meiner Abwesenheit. Lasst Euch sagen, dass ich schon jetzt sehr stolz auf Euch bin. Noch nie zuvor hatte ich eine so ungewöhnliche Rekrutin wie Euch, die ihre Talente und Begabungen so vortrefflich einzusetzen weiß. Ihr seid ein ganz besonderer Mensch und ich bin froh Eure Bekanntschaft gemacht zu haben.“ Bei so viel ehrlich hervor getragenem Lob röteten sich Rhynnas Wangen leicht und sie musste die Tränen weg blinzeln, die ihr plötzlich in den Augen standen. „Habt Dank,“ sagte sie und verneigte sich ehrerbietig vor ihrem Mentor. Ser Kai blinzelte nun ebenfalls einmal energisch, ehe er ihr ein letztes Mal auf die Schulter klopfte. „Ihr solltet nun besser gleich zu Hauptmann Hoffmann gehen. Er wartet nicht gern.“ Sie nickte. „Gehabt Euch wohl, Ser Kai. Auf ein baldiges Wiedersehen.“ „Sorgt Euch nicht. Wir sehen uns gewiss wieder. Davon bin ich überzeugt.“ Er schmunzelte und Rhynna konnte nicht anders sie musste lachen bei soviel Selbstvertrauen in das Schicksal. „Ich hoffe es sehr.“ Mit einem letzten Lächeln in seine Richtung drehte sie sich schließlich um und schritt davon. Ehe sie das Kasernengebäude betrat winkte sie ihm noch einmal zu. Dann machte sie sich auf die Suche nach Ser John. Sie war schon sehr gespannt warum er ausdrücklich nach ihrer Person verlangt hatte. Worum es wohl bei dieser delikaten Angelegenheit ging? Rhynna fand den Hauptmann schließlich in der Wachstube wo er die aktuellen Pläne für die Patrouillen der nächsten Wochen mit einigen seiner Männer durchging. Als er sie im Türrahmen stehen sah, bedeutete er ihnen mit einer knappen Handbewegung zu gehen. Gehorsam zogen sie sich zurück, jedoch nicht ohne vorher einen neugierigen Blick auf Rhynnas zierliche Gestalt geworfen zu haben. „Ihr wolltet mit mir in einer wichtigen Angelegenheit sprechen, Hauptmann?“ fragte sie mit ruhiger Stimme. Innerlich war sie allerdings alles andere als ruhig. Die Neugierde um was es wohl gehen könnte, nagte unerbittlich an ihren Nerven und es überraschte sie selbst ein wenig, dass sie so gelassen bleiben konnte. „In der Tat, das war meine Intention. Doch tretet erst einmal ein, Rhynna.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie mit einem leichten Schmunzeln, als sie die Tür hinter sich ins Schloss zog. Rhynna ließ sich davon jedoch nicht beirren. Sie hatte den Hauptmann noch nie anders als gut gelaunt gesehen. Stets trug er sein übliches Grinsen zur Schau und erlaubte sich allerlei Scherze und Sticheleien mit den Soldaten. Umso überraschter war sie, als sein Lächeln jäh verschwand und ein besorgtes Stirnrunzeln an dessen Stelle trat. Er seufzte einmal angespannt, ehe er das Wort an sie richtete. „Ihr seid doch eine sehr erfahrene Priesterin wie man hört. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Ihr Euch nicht nur mit lebenden Körpern und deren Funktionsweise auskennt, sondern auch über den Tod und was er mit einem Körper anstellt Bescheid wisst?“ Fragend sah er sie an. Rhynna zog erstaunt eine Augenbraue hoch und erwiderte seinen Blick. „Das ist wahr. In der Priesterausbildung lernt man die Zeichen des Todes zu erkennen. Wir müssen schließlich wissen ob wir jemanden retten können oder ob seine Zeit endgültig abgelaufen ist.“ Ser John brummte einmal zustimmend. „Verstehe. Sicherlich fragt Ihr Euch warum ich Euch eine derartige Frage überhaupt stelle.“ Sie nickte. „In der Tat frage ich mich das. Bitte klärt mich auf, worum es hier eigentlich geht. Ser Kai sagte mir nur, dass es eine delikate Angelegenheit sei, aber genau Details wusste er nicht.“ Ein schiefes Grinsen zuckte kurz um Ser Johns Mundwinkel. „Delikat ist es zweifelsohne, wie Ihr mir sicher beipflichten werdet, wenn Ihr wisst um was es sich genau handelt. Also schön, ich werde Euch nicht länger auf die Folter spannen.“ Er holte einmal tief Luft ehe er weitersprach. „In den letzten Tagen haben wir die Leichen einiger Männer gefunden. Es waren vornehmlich Vagabunden und Obdachlose, die scheinbar Opfer ein und desselben Täters wurden. Ich kann es nicht genau beschreiben, aber ihre Körper wiesen merkwürdige Spuren auf, die wir uns einfach nicht erklären konnten. Also habe ich den hiesigen Leichenbestatter darum gebeten sich die Toten einmal genauer anzusehen.“ Rhynnas Augen weiteten sich bei seinen Worten. Jemand da draußen in Dalanis ermordete Vagabunden auf mysteriöse Art und Weise? Wie grauenhaft! Sie schluckte einmal um gegen die Furcht, die sich ihrer auf einmal bemächtigt hatte, anzukämpfen. „Und nun wünscht Ihr, dass ich Euch bei Eurem Gang begleite, um meinerseits zu schauen ob mir etwas Verdächtiges an den Leichen auffällt?“ wollte sie dann wissen. Ihre Stimme bebte leicht und ihr war nicht wohl bei dem Gedanken in ein Bestattungsinstitut zu gehen und sich die Leichname näher anzusehen. Ser John schien erleichtert, dass sie so schnell verstanden hatte, was er von ihr wollte. „Genau so ist es. Sicher versteht Ihr jetzt auch, warum ich ausdrücklich darauf bestanden habe, dass Ihr zu mir kommt. Ihr verfügt über die notwendigen Erfahrungen mit dem Tod, welche Eure Mitrekruten nun einmal nicht haben.“ „Natürlich, das leuchtet ein,“ murmelte sie und faltete nervös die Hände. Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und dachte nach. Egal wie unangenehm es auch werden mochte und wie sehr sie sich bereits jetzt ekelte, sie würde ohne irgendeinen Laut des Klagens mitgehen und ihre Pflicht erfüllen. Sie war viel zu stolz und pflichtbewusst, um eine Weigerung auszusprechen. Sie spürte Ser Johns Blick auf sich ruhen und straffte schließlich wieder die Schultern. „Ich werde Euch begleiten. Sagt mir nur, wann Ihr aufzubrechen gedenkt.“ Für ihre Worte bekam sie ein dankbares Lächeln vom Hauptmann geschenkt. „Wunderbar. Am liebsten würde ich jetzt gleich gehen, damit wir diesen Gang hinter uns haben. Wäre Euch das recht?“ „Natürlich.“ „Gut, dann lasst und gleich aufbrechen.“ Er öffnete die Tür und ließ sie zuerst hinausgehen, ehe er ihr folgte. „Wir müssen ins Dunkelgassenviertel. Dort befindet sich das Bestattungsinstitut von Mitternacht. Er hat uns schon oft bei unseren Ermittlungen in diversen Mordfällen der Vergangenheit geholfen, so dass ich ihn gut kenne. Ihr dürft Euch von seiner verschrobenen Art nicht einschüchtern lassen, man gewöhnt sich irgendwann daran.“ klärte er Rhynna auf, während sie das Kasernengebäude verließen und sich in die schmalen, verwinkelten Gassen des Dunkelgassenviertels begaben. Schweigsam schritten sie immer tiefer in das Dunkelgassenviertel, welches seinem Namen alle Ehre machte. Es drang nur wenig Licht in die schmalen Straßen, so dass es selbst jetzt, am helllichten Tag einen ziemlich düsteren und trostlosen Eindruck machte. Nur wenige Menschen waren in den engen Gassen unterwegs, aber die, welche sich im Freien aufhielten, warfen Rhynna und Ser John misstrauische Blicke zu. Offenbar verirrten sich die Gardisten der Löwenherzgarde nicht sehr oft in diesen Teil von Dalanis. Rhynna war ziemlich unbehaglich zumute. Die stechenden Blicke der teilweise recht grimmig wirkenden Bewohner gefielen ihr ganz und gar nicht. Sie wollte lieber nicht wissen, was ihnen durch den Kopf ging, während sie ihnen hinterher starrten. Sie war beinahe froh, als sie ihr Ziel endlich erreicht hatten. Der Hauptmann marschierte schnurstracks zur Eingangstür, so als würde er jeden Tag einen Leichenbestatter aufsuchen. Rhynna jedoch zögerte. Sie betrachtete das große Haus, vor dem eine Reihe von Särgen unterschiedlichster Größe und Machart aufgebaut waren. Es wirkte alles andere als einladend und wenn sie diesen Ort allein aufgesucht hätte, wäre sie wohl nicht hineingegangen, zu groß war das dumpfe Gefühl, dass sie nicht hier sein sollte. Doch als Ser John ihr einen fragenden Blick zuwarf, straffte sie sich und eilte zu ihm. Ihr Herz klopfte laut und sie musste einmal tief durchatmen, um sich zu beruhigen, doch dann folgte sie dem Hauptmann ins Innere. Es hatte sie einiges an Überwindung gekostet, aber sie war nie feige gewesen und wollte nun keineswegs damit anfangen. Sie kniff die Augen zusammen, um in dem schummrigen Licht, welches im Inneren des Bestattungsinstituts herrschte, etwas zu sehen. Sie befanden sich in einem großen Raum, welcher durch einen dunkelblauen schwerem Vorhang in der Mitte in zwei Bereiche unterteilt war. Im vorderen Bereich, in dem sie sich aufhielten, standen hohe Regale, die mit alten Folianten, Pergamenten und etlichen Flaschen, Gläsern und Phiolen mit undefinierbarem Inhalt vollgestopft waren. In der Mitte befand sich ein großer Tisch, der voller geheimnisvoller Apparaturen stand und auf dem Werkzeuge lagen über dessen genaue Verwendung Rhynna lieber nicht genau Bescheid wissen wollte. An den steinernen Wänden spendeten vereinzelte Fackeln schwaches Licht. Ihr stetiges Flackern schuf eine recht unheimliche Atmosphäre und die sonderbaren Geräusche, die hinter dem Vorhang zu hören waren, trugen nicht gerade dazu bei, dass Rhynnas furchtsames Herz so schnell zu klopfen aufhörte. Allerdings wirkte auch Ser John nicht mehr ganz so ruhig und selbstsicher wie zuvor. Verunsichert stand er einen Moment da, ehe er sich dann laut und vernehmlich räusperte. Die Geräusche hinter dem Vorhang verstummten jäh, ein mattes Klirren war zu vernehmen, so als würde ein Gegenstand aus Metall beiseite gelegt. Rhynna zwang sich nicht darüber nachzudenken um was es sich dabei handeln konnte. Das war aller Wahrscheinlichkeit ohnehin nichts was man genauer wissen wollte. Schließlich wurde der Vorhang beiseite geschoben und ein großer Mann kam dahinter hervor. Rhynnas Augen weiteten sich vor Erstaunen, als sie seine eher ungewöhnliche Erscheinung wahrnahm. Er trug eine bodenlange Robe in tiefschwarz, welche über und über mit Juwelen und Bordüren in Mitternachtsblau besetzt war. Auf dem Kopf saß ein dunkelroter, nach oben hin spitz zulaufender Hut mit breiter Krempe, der die weit über die Schulter reichenden silbernen Haare des Mannes notdürftig bändigte. Als er näher trat, sah sie, dass er für einen Mann ein recht fein geschnittenes Gesicht besaß. Der dünne Schnurrbart über seiner Oberlippe unterstrich den femininen Eindruck eher noch, statt das Gegenteil zu bewirken. Seine Augen waren von einem intensiven Dunkelgrau und blickten sie seltsam entrückt an, so als wäre er in Gedanken noch in einer anderen Welt. Dann flackerte plötzlich Erkennen in seinem Blick auf und ein wissendes Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. „Ah, der Herr John Hoffmann! Seid willkommen! Ich habe Euch bereits erwartet.“ Lange schlanke Finger, an denen eingetrocknetes Blut klebte, kamen unter den weiten Ärmeln seiner Robe zum Vorschein, als er dem Hauptmann zur Begrüßung die Hand entgegenstreckte. Rhynna verzog das Gesicht und auch Ser John macht keinen sonderlich begeisterten Eindruck, als er die dargebotene Hand ergriff und sie beflissen schüttelte. Dann versuchte er mit dem ihm ganz eigenen Sinn für Humor die unangenehme Situation zu überspielen. „Und da heißt es doch immer der Besitzer des Bestattungsinstituts sei schwer beschäftigt und hätte keine Zeit. Wie kann es dann angehen, werter Mitternacht, dass Ihr immer ausgerechnet dann persönlich anzutreffen seid, wenn ich vorbei schaue?“ scherzte er. In Mitternachts Augen trat ein beunruhigendes beinahe irres Funkeln. „Ihr seid es doch, der mir immer diese außergewöhnlichen Kunstwerke bringt, an denen ich so viel Freude habe. Für mich seid Ihr schon allein deshalb ein bedeutender Gast.“ Er lachte schallend, was Rhynna mit hochgezogener Augenbraue quittierte. Ser John hatte sie bereits vorgewarnt, dass der Leichenbestatter einen verschrobenen Charakter besaß. Verschroben war jedoch viel zu harmlos um diesen Mann vor hier hinreichend zu beschreiben, dachte sie trocken. Ihr fielen da ganz andere Attribute ein, die weitaus treffender wären. Als hätte er gespürt, dass sie über ihn nachdachte, fixierten die dunkelgrauen Augen nun sie. Prüfend musterte Mitternacht ihre Gestalt und ließ nicht im geringsten erkennen, was für eine Meinung er sich über sie gebildet hatte. „Wer ist denn das hübsche Kind an Eurer Seite?“ fragte er nach einem Moment des Schweigens. Bevor der Hauptmann jedoch antworten konnte, stellte Rhynna sich bereits selbst vor. „Mein Name ist Rhynna Harrowington. Ich begleite Ser John auf seinen Wunsch hin.“ Sie verneigte sich respektvoll vor dem Leichenbestatter. „Erfreut Eure Bekanntschaft zu machen,“ fügte sie dann höflich hinzu und erwiderte den prüfenden Blick ruhig. Um Mitternachts Mundwinkel spielte ein leichtes Lächeln. Er machte jedoch keinerlei Anstalten die Begrüßung zu erwidern wie Rhynna ein wenig verstimmt feststellte. „So, so, Ihr begleitet den werten Hauptmann heute. Dürfte ich vielleicht erfahren aus welchem Grund?“ Sein Blick wanderte zu Ser John, der auf einmal einen recht betretenen Eindruck machte. „Nun,“ begann er und rieb sich mit der rechten Hand verlegen den Nacken. „Ihr habt sicher schon bemerkt, dass Rhynna keine gewöhnliche Rekrutin der Garde ist, sondern zudem über die heilende Fähigkeiten einer Priesterin verfügt. Ich dachte, sie könnte eventuell auch noch einmal einen Blick auf die Leichname werfen. Eventuell könntet Ihr zwei Euch austauschen...“ Er verstummte jäh, als er bemerkte, dass Mitternachts Miene sich bei seinen Worten zunehmend verfinsterte. „Eine Priesterin also, so, so.“ murmelte der Leichenbestatter und warf Rhynna einen Seitenblick zu, der deutlich machte, was er von dieser Tatsache hielt. Rhynna entging die Feindseligkeit in seinem Blick keineswegs und sie meinte so etwas wie Abscheu herauszuhören, als er das Wort Priesterin aussprach. Ihre Wangen röteten sich und sie presste hastig die Lippen aufeinander, um nicht etwas so Törichtes zu tun wie ihn für seine offenkundige Ablehnung zu tadeln. Verbissen starrte sie ihn einfach nur an, die Arme vor der Brust verschränkt. Der sonderbare Leichenbestatter musterte sie mit einem amüsierten kleinen Lächeln in den Mundwinkeln. „Ihr wirkt verstimmt, mein Kind. Dabei sollte Euch eigentlich bewusst sein, dass Eure Profession und die meine unterschiedlicher nicht sein könnten. Ihr lebt davon Leben zu bewahren und diejenigen zu retten, die ohne Eure Hilfe sterben würden. Ich wiederum lebe davon zu erforschen auf welche Art und Weise die Verblichenen zu Tode gekommen sind. Wir sind folglich wie das Licht und die Dunkelheit. Zwei Dinge, die zur gleichen Zeit nicht existieren können, Ihr versteht?“ Sie verstand in der Tat was er damit sagen wollte und erwiderte seinen intensiven Blick mit trotzig vorgeschobenem Kinn. Auch wenn er es nicht direkt ausgesprochen hatte, sie war hier unerwünscht und das konnte sie deutlich aus seiner Miene heraus lesen. Offensichtlich schätzte er es ganz und gar nicht, dass seine Arbeit angezweifelt wurde und als nichts anderes empfand er ihre Anwesenheit. Rhynna wandte sich an Ser John, der Mitternachts Worten wortlos gelauscht hatte. „Ich denke es ist besser, wenn ich nun gehe. Ich möchte niemanden zur Last fallen...“ Sie hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da lachte Mitternacht laut auf. Indigniert drehte sie sich zu ihm um. „Bleibt nur, wertes Kind. Ich denke es schadet nicht, wenn wir alle gemeinsam einen Blick auf das exquisite Kunstwerk werfen, wegen dessen Ihr beide hier seid. Ich kann Euch schließlich nicht unverrichteter Dinge gehen lassen, wo Ihr Euch doch die Mühe gemacht habt zu mir zu kommen.“ Er lächelte sie an und warf ihr wieder einen dieser sonderbaren Blicke zu, die ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagten. Was für ein merkwürdiger Mann. Sie meinte einen gewissen ironischen Unterton aus seinen Worten heraus zu hören. Oder bildete sie sich das lediglich ein? Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen. Der Hauptmann bemerkte die Spannungen, die in der Luft lagen und versuchte diese mit seiner gewohnt humorvollen Art zu überspielen. „Eine ausgezeichnete Idee! Ich kann es kaum erwarten Eure Erkenntnisse am Leichnam selbst präsentiert zu bekommen.“ Er setzte ein gewinnendes Lächeln auf. „Ihr habt doch gewiss schon etwas herausgefunden, nicht wahr? Ein Mann mit Euren Fähigkeiten!“ Mitternacht nickte erhaben und bedeutete ihnen mit einer ausladenden Bewegung seiner Hand ihm hinter den Vorhang zu folgen. „Selbstverständlich. Das Kunstwerk, welches Ihr mir vor einigen Tagen brachtet, ist wirklich erlesen. Ich vermochte mich die letzten beide Tage nicht davon zu trennen und habe jedes kleine Detail untersucht.“ Sie waren hinter den Vorhang getreten. „Vielleicht möchtet Ihr zuerst einen Blick darauf werfen, holde Priesterin?“ Seine grauen Augen funkelten sie wissend an. Offenbar rechnete er fest damit, dass sie jeden Moment angeekelt zurückweichen würde oder sich vor lauter Abscheu übergeben musste. Rhynnas Magen drehte sich in der Tat um, bei dem Anblick der sich ihr bot. Doch entschlossen kämpfte sie gegen die aufsteigende Übelkeit an. Vor diesem Mann würde sie sich keine Blöße geben. Vor ihnen auf einem hüfthohen schmalen Tisch lag der Leichnam eines Mannes mittleren Alters aufgebahrt. Die Haut hatte sich blau-gräulich verfärbt und der süßlich faulige Geruch des Todes wehte zu ihnen herüber. Der Verwesungsprozess hatte bereits begonnen, aber Rhynna sah auch, dass Mitternacht offenbar etwas verwendet hatte, um diesen zu verlangsamen und Insekten vom Körper des Toten fern zu halten. Dafür war sie sehr dankbar. Es war schon schlimm genug einer Leiche so nahe zu sein. Tapfer ging sie näher und versuchte zu erkennen woran der Mann gestorben war. Sein gesamter Körper war mit tiefen Schnitten übersät, doch merkwürdigerweise klebte dort kein eingetrocknetes Blut. Aber daran schien er ohnehin nicht gestorben zu sein. Sämtliches Blut wich aus ihrem Gesicht, als sie den langen Schnitt sah, der von seiner Kehle bis zu seinem Nabel verlief und von jemanden notdürftig zusammen genäht worden war. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah sie Mitternacht an. „Ihr habt diesen Schnitt hier genäht, nicht wahr? Ist es das woran er gestorben ist?“ „Richtig erkannt. Man hat ihm anscheinend bei lebendigem Leib den Brustkorb geöffnet und sein Herz entfernt.“ Die Stimme des Leichenbestatters war so ruhig und gleichgültig, als würde er über das Wetter sprechen. Ser John sog scharf die Luft ein. „Ist das Euer Ernst? Als wir ihn fanden, war nirgends Blut zu finden. Nicht einmal an seinen Kleidern! Wie kann das sein?“ Sein Gesicht war blass und offenbar hatte auch er ein wenig mit der Übelkeit zu kämpfen, doch er hielt sich wacker. Mitternachts Lippen verzogen sich kurz zu einem bitteren Lächeln. „Grausam, nicht wahr? Aber für das fehlende Blut gibt es eine Erklärung. Ich habe Rückstände von einem merkwürdigen Trank in seinem Körper gefunden. Anscheinend bewirkt dieser Trank, dass der Blutfluss unterbunden wird. Und wenn ich das anmerken darf, er war nicht der einzige, der auf diese Art und Weise sein Leben verlor. Bei den anderen getöteten Vagabunden war es ähnlich. Irgendetwas in Dalanis geht vor, seid Euch dessen bewusst.“ Rhynna schluckte. Wie furchtbar! Wer war so grausam und ließ einem Menschen bei lebendigem Leib das Herz herausreißen? Sie mochte sich so viel Brutalität nicht genauer ausmalen. Es war zu schrecklich. Sie mussten etwas unternehmen. Ser John holte einmal tief Luft, ehe er wieder sprechen konnte. „Habt Ihr sonst noch etwas herausfinden können?“ „In der Tat. Hier seht.“ Mitternacht ergriff eine Hand des Toten und drehte sie vorsichtig um. „An seinen Fingernägeln habe ich Rückstände von feinstem Leder gefunden. Und wenn Ihr genauer hinschaut, erkennt Ihr die ungewöhnlichen Risse, von denen sie verunstaltet werden. Zudem verströmen seine Finger immer noch einen leicht metallischen Geruch, wie er nur von Goldmünzen stammen kann. Aufgrund dieser Indizien gehe ich davon aus, dass er bei seinem letzten Atemzug etwas Ledernes mit aller Kraft festgehalten hat. Er wollte unter keinen Umständen, dass es ihm weg genommen wird. Dabei kann es sich eigentlich nur um einen Lederbeutel voller Goldmünzen gehandelt haben.“ Ser John hob verwundert eine Braue. „Goldmünzen? Wirklich äußerst interessant,“ murmelte er. „Wie kommt es wohl, dass ein gewöhnlicher Vagabund dermaßen viel Gold sein eigen nennt?“ Gleichgültig zuckte Mitternacht mit den Achseln. „Dafür mag es vielerlei Gründe geben, doch bedauerlicherweise werden wir nie erfahren welcher nun der richtige ist.“ „Was ist mit dem Gold? Ist es gestohlen worden? Oder habt Ihr es bei dem Leichnam sicherstellen können?“ erkundigte Rhynna sich bei Ser John. Sie musste dem Leichenbestatter zustimmen. Die Umstände sprachen dafür, dass dieser heimatlose Mann eine Menge Gold mit sich herumgetragen hatte. Und das musste irgendwo geblieben sein, Wenn es nicht bei der Leiche gewesen war, als man diese fand, war Diebstahl am wahrscheinlichsten. Aber die Brutalität mit welcher dieser bedauernswerte Mensch umgebracht worden war, ging weit über bloßen Raubmord hinaus. „Wir haben nichts bei der Leiche gefunden, was darauf schließen lässt, dass er Gold bei sich hatte.“ Rhynna überlegte. „Wo habt Ihr denn die Leichen bisher gefunden?“ wollte sie nach einem Moment des Schweigens wissen. Ein Anflug von Neugierde huschte über Mitternachts fein geschnittene Gesichtszüge und mit neu erwachtem Interesse musterte er sie, wie sie nebenbei bemerkte. Doch ihre gesamte Aufmerksamkeit galt jetzt dem Hauptmann, der sie zwar fragend ansah, jedoch prompt antwortete. „Dies ist der dritte Tote in Folge. Seinen Leichnam und die der anderen haben wir in der Unterstadt gefunden. Die Fundorte der Leichen lagen relativ dicht beieinander, fällt mir da ein. Das ist sicherlich von Relevanz für unsere Ermittlungen.“ Fragend blickte er von Rhynna zu Mitternacht. Rhynna nagte derweil nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum. Sie zögerte einen Moment, weil sie nicht sicher war, ob ihre Idee nicht völlig aus der Luft gegriffen war, doch dann sprudelten die Worte aus ihr hervor. „Könnte es eventuell sein, dass die Fundorte nicht mit dem tatsächlichen Ort des Todes übereinstimmen?“ Sie erntete einen verwirrten Blick von Ser John und bemerkte wie das interessierte Funkeln in Mitternachts Augen noch heller zu strahlen begann. „Ich meine, da die Opfer durch das vorherige Verabreichen dieses Trankes nicht bluten konnten, ist es doch nicht unwahrscheinlich, dass ihre Leichen erst im Nachhinein an den jeweiligen Fundort gebracht wurden.“ Sie wandte sich direkt an den Leichenbestatter und sah ihn eindringlich an. „Habt Ihr bei Euren Untersuchungen irgendetwas gefunden, was meine Theorie unterstützt?“ Einige Sekunden verstrichen, in denen sie sich einfach nur ansahen. Rhynna wartete gespannt auf seine Antwort. Würde er es Ihnen mitteilen, wenn es so wäre, wie sie vermutete? Oder würde seine scheinbare Antipathie ihr gegenüber und allem wofür sie stand ihn dazu veranlassen etwaige Erkenntnisse zu verleugnen? Dann lächelte er sie beinahe schon anerkennend an. „Nicht schlecht, meine Liebe. Es ist in der Tat so, dass ich an den Schuhen des Toten Rückstände eines ganz besonderen Schlammes gefunden habe. Er muss sich zum Todeszeitpunkt in der Kanalisation von Dalanis aufgehalten haben. Anders kann ich mir diese Spuren nämlich nicht erklären, denn nur dort findet man Schlamm von derartiger Zusammensetzung. “ Ser John seufzte schicksalsergeben. „Nun gut. Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als uns die Kanalisation einmal näher anzusehen.“ Er verneigte sich respektvoll vor Mitternacht. „Dann bedanke ich mich im Namen des Königs und der gesamten Löwenherzgarde für Eure Hilfe. Seid versichert, dass jedes Zusammentreffen mit Euch wahrlich sehr interessant ist.“ Der Leichenbestatter lächelte. „Ihr könnt jederzeit wiederkommen, Herr Hoffmann. Ihr bringt immer so seltene und exquisite Kunstwerke mit, da ist es eine wahre Freude seiner täglichen Arbeit nachzugehen. Darüber hinaus verströmt Ihr den Geruch des Todes, welchen ich schon von weitem riechen kann.“ Er schnupperte anerkennend in die Richtung des Hauptmannes. Ser John lachte schallend. „Der Geruch des Todes, hört, hört! Solch Lob aus dem Munde eines Mannes, dem Leichen so geläufig sind. Ich fühle mich geschmeichelt.“ Er zwinkerte Rhynna verschmitzt zu, ehe er sich zum Gehen wenden wollte. Doch Mitternacht hielt ihn zurück. „Wartet bitte.“ Der Hauptmann drehte sich zu ihm um. „Ja?“ Er erfuhr nie, was der Leichenbestatter ihm ursprünglich sagen wollte. Hinten ihnen erklang die sanfte melodische Stimme eines Mannes, die Rhynna wohl vertraut war. Fassungslos drehte sie sich um. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)