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Rhynna

Story zu Runes of Magic
von

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Prolog

„Bald ist die Zeit gekommen. Zandorya wird im Chaos versinken. Die sieben Fürstentümer sind uneins und mit Motwas Kalume ist ihre letzte Hoffnung auf Einigkeit gestorben. Dieser neue junge König der Menschen, Callaway Kalume, ist schwach und unwissend. Er wird niemals in der Lage sein die Fürstentümer zu einen, geschweige denn zu erkennen, dass sein größter Feind in seinen eigenen Reihen lauert.“

Die lange Robe des Magiers raschelte leise, als er seine Position am Fenster verließ und sich dem Mann zu wandte, der hinter ihm stand und auf neue Anweisungen wartete.

„Du weißt was zu tun ist. Trage dafür Sorge, dass keiner mehr Vertrauen in den jungen König setzt. Arbeite gegen ihn wo du nur kannst. Untergrabe seine Autorität. Alle sollen merken, dass er nicht geschaffen ist, um zu herrschen. Ich will ihn leiden sehen, bevor ich seinem erbärmlichen irdischen Dasein ein Ende setze.“ Ein diabolisches Lächeln umspielte die schmalen Lippen des Magiers. „Das Ende der Kalumes ist nahe. Und ganz Zandorya wird dann allein unter meiner Kontrolle stehen.“

Ein grausames Lachen ertönte und jagte dem Mann unwillkürlich einen Schauer über den Rücken. Er verneigte sich jedoch respektvoll ohne sich etwas anmerken zu lassen und schritt von dannen, um den Wünschen seines Meisters nachzukommen...

Begegnung mit einem Ritter

Rhynna Harrowington, ihres Zeichens Priesterin und Bogenschützin aus Leidenschaft, saß auf einem ihr völlig fremden Kontinent in einer kleinen Dorfschenke namens „Schwein im Teich“ und wartete auf ihre Freundin Evaline.

Gelangweilt rührte sie mit der Spitze ihres Fingers in ihrem Krug Met herum. Sie pustete die Strähne ihres roten Haares, welche ihr ständig in die Stirn fiel, zum wiederholten Male beiseite und seufzte.

Allmählich begann sie sich um Evaline zu sorgen. Die hochgewachsen Elfe hatte ihr versichert, dass sie sich nur kurz mit ihrem Kontakt treffen wolle, und danach so schnell wie möglich zurückkehren würde.

Doch das war nun schon beinahe drei Stunden her. Konnte ein simples Treffen wirklich dermaßen viel Zeit in Anspruch nehmen? Oder war dieser Morrok Wallinder, zu dem sie sich auf den Weg gemacht hatte, einfach ein besonders anspruchsvoller Klient?

Ach, vielleicht hätte sie ihre Freundin doch einfach begleiten sollen. Aber dieser geheimnisvolle Wallinder hatte ausdrücklich darauf bestanden, dass die Elfe alleine kam und obwohl Rhynna ein sehr neugieriger Mensch war, hatte sie dies respektiert und war zurück geblieben.

Ob das die richtige Entscheidung gewesen war?

Rhynna seufzte erneut und stütze ihr Kinn auf die Hand. Dann nahm sie einen Schluck ihres Mets und blickte sich dann in der Schenke um.

Allzu viel hatte sich nicht verändert, seitdem sie ihren Blick das letzte Mal hatte schweifen lassen. Da saßen immer noch dieselben Gestalten vor ihren Krügen und schwadronierten über wer weiß was, die Schankmagd eilte immer noch träge hin und her und wischte mal hier mal dort einen Tisch ab und der Wirt spülte in aller Ruhe weiter seine Gläser.

Sehr öde das Ganze, wie Rhynna fand. Aber Warten war noch nie ihre Stärke gewesen. Wenn wenigstens etwas Interessantes geschehen würde!

Wie es das Schicksal so wollte, stapfte in eben diesem Moment ein aufgebrachter, elegant gekleideter Mann in die Schenke. Er schimpfte lautstark vor sich hin und hielt zielstrebig auf den Tresen zu.

„Wirt! Einen Krug Met!“ verlangte er gebieterisch.

Offenbar war er es gewohnt zu befehlen, dachte Rhynna mit hochgezogener Augenbraue. Solch arrogante Menschen hatte sie noch nie so recht leiden können, kamen sie doch einst in ihrem Umfeld viel zu oft vor.

Dennoch lauschte sie gespannt, als der neue Gast dem Wirt ungefragt den Grund für seinen Ärger erzählte. Sie spitzte interessiert die Ohren, als sie mitbekam, dass er ein Händler war, dem offenbar seine Waren abhanden gekommen waren.

Vielleicht konnte sie ihm ihre Hilfe anbieten? Jedenfalls war das besser, als weiter hier herum zu sitzen und auf Evaline zu warten.

Sie erhob sich entschlossen, strich einmal glättend über ihre azurblaue Kurzrobe, die sie um die Taille gegürtet wie eine etwas längere Weste trug, und schritt auf den Händler zu.

„Entschuldigt bitte, aber es war nicht zu überhören, dass Ihr ein Problem habt. Vielleicht kann ich Euch dabei behilflich sein?“ Sie lächelte freundlich.

Der Angesprochene wandte sich ihr zu und musterte sie erstaunt. „Ihr wollt mir helfen? Ihr seht nicht so aus, als könntet ihr es mit den Mallen Banditen aufnehmen, um mir meine kostbare Ware zurück zu holen.“ Der pure Zweifel sprach aus seiner Stimme, als er Rhynnas zierliche Gestalt wahrnahm.

„Das kommt auf einen Versuch an, meint Ihr nicht?“ Ein spitzbübisches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Sagt mir einfach, wo diese räuberischen Subjekte Euch überfallen haben, und ich werde sehen, was sich tun lässt. Ich bin nicht so wehrlos wie ich vielleicht aussehen mag,“ versuchte Rhynna den Händler schmeichelnd von sich zu überzeugen.

Sein Blick steckte zwar immer noch voller Zweifel, doch gleichzeitig schien er auch froh, dass sich überhaupt jemand für sein Problem interessierte. „Also gut, wenn Ihr es so wollt,“ meinte er schließlich. „Dann bitte ich Euch diesen Mallen-Banditen eine Lektion zu erteilen, die sie so schnell nicht vergessen! Es darf einfach nicht angehen, dass diese Halunken immer ungeschoren davonkommen und tun und lassen können was ihnen beliebt ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Wenn die Ritter der Löwenherzgarde nichts unternehmen, dann muss man sich einfach selbst zur Wehr setzen. Was bleibt einem sonst übrig?“

Er fuhr sich mit der Hand durch die kurzen Haare und schüttelte leicht den Kopf. „Wenn ihr dem Weg aus dem Dorf folgt, kommt Ihr recht bald an eine Wegkreuzung. Dort haben sie mich überfallen. Stellt Euch vor, am helllichten Tag! Dreist, nicht wahr? Sollte es Euch tatsächlich gelingen mir meine Habseligkeiten wieder zu beschaffen, dann ist Euch eine Belohnung gewiss. Sie können noch nicht weit gekommen sein. Die Kiste ist sehr schwer. Wenn Ihr Euch beeilt, erwischt Ihr sie noch.“

Rhynna lächelte noch einmal beruhigend. „Macht Euch keine Sorgen. Ich werde nicht versagen.“ Und mit diesen Worten drehte sie sich um und eilte raschen Schrittes nach draußen.

Endlich hatte sie eine Aufgabe, der sie nachgehen konnte. Und besser als die elende Warterei war das allemal.

Ein paar Banditen konnten ihr keine Angst machen, hatte sie doch schon weitaus Schlimmeres erlebt. Sie war zuversichtlich, dass sie nicht scheitern würde. Diese Banditen würden auch nicht glauben, dass sie in der Lage war ihnen eine Lektion zu erteilen. Und genau darin lag ihr Vorteil.
 

Kai Kaiyinth hatte keinen Blick für die Schönheit des Frühlingstages, als er sich auf seiner Patrouille in der Nähe des Dorfes Tomara befand. Zu schwer lastete die Sorge um seine Zukunft auf ihm.

Wenn sich nicht bald etwas ändern würde, dann war die einst so stolze und ruhmreiche Löwenherzgarde am Ende. Ihnen gingen die Mitglieder aus und ihr Ansehen hatte in den letzten Monaten seit Motwas Kalumes Tod mächtig gelitten.

Kaum jemand wollte mehr beitreten, um ehrenhaft dem neuen König Callaway Kalume zu dienen. Zu groß waren die Gerüchte, dass es der berühmte General Lance, das Oberhaupt der königlichen Garde, selbst gewesen war, der den alten König heimtückisch vergiftet hatte. Ihm wurde seitdem von allen Seiten mit Misstrauen begegnet und da er zu den engsten Vertrauten Callaways zählte zweifelte das Volk auch ihren König selbst an.

Kai seufzte niedergeschlagen und fuhr sich mit der Hand durch seine kurzen silbernen Stoppeln. Wenn das so weiter ging, hatte er bald keine Rekruten mehr, die er ausbilden und denen er die Ideale der Löwenherzgarde näher bringen konnte.

Momentan nannte er einen einzigen Schüler sein eigen. Früher hatte er Dutzende zugleich gehabt. Welch ein Unterschied!

Es erfüllte ihn mit Traurigkeit, dass es mit der Garde immer weiter bergab ging. Sie war sein Lebensinhalt und er wusste nicht was er tun sollte, wenn sie irgendwann ganz am Ende wäre.

Er blieb stehen und genoss einen Moment lang den atemberaubenden Ausblick, der sich ihm bot. Von hier oben konnte man ganz Sternhorn überblicken. Dahinter ragten majestätisch die vielen Türme und Gebäude von Dalanis auf, welches sicher geschützt hinter einer hohen Steinmauer lag. In Dalanis residierte nicht nur der König in seinem Palast, sondern dort war auch der Hauptsitz der Löwenherzgarde, der Ort an dem er sich zu Hause fühlte.

Wenn man ihm das nahm, wusste er nicht was aus ihm werden würde.

Leises Gemurmel und das laute Schlurfen von Schritten rissen ihn jäh aus seinen Gedanken. Eilig versteckte er sich hinter dem nächsten Busch, um erst einmal auszukundschaften, wer oder was sich ihm da näherte.

Als er die beiden Männer erblickte, die unter lautstarken Flüchen eine große elegant gearbeitete Holzkiste hinter sich her zerrten, wusste er instinktiv, dass es sich bei ihnen nur um zwei Mitglieder der hier in der Gegend berüchtigten Mallen Banditen handeln konnte. Und sie hatten ihr erbeutetes Diebesgut sogar noch bei sich. Das war beinahe so gut, als hätte er sie auf frischer Tat bei einer verbrecherischen Handlung ertappt.

Seine rechte Hand griff automatisch nach dem Griff seines Schwertes, bereit die beiden diebischen Halunken zu stellen, doch jemand kam ihm zu seinem Erstaunen zuvor.

Eine zierliche Frau mit flammend roten Haaren trat einige Schritte vor den Banditen auf den Weg und zielte mit gespannten Bogen auf sie. „Halt!“ befahl sie entschlossen. „Ihr werdet mir jetzt auf der Stelle diese Kiste aushändigen oder ich sehe mich dazu gezwungen euch mit Pfeilen zu spicken wie ein Nadelkissen.“

Kai zog eine Augenbraue hoch bei dieser recht dramatischen Ansprache. Er war sich nicht sicher ob das großen Eindruck auf die zwei Diebe machen würde. Doch einst musste er der Fremden lassen: Sie war mutig. Und Mut war etwas, was er schon immer bewundert hatte

Die beiden Schurken sahen sich an, ehe sie amüsiert grinsten.

„Weißt du überhaupt wie man mit so einer Waffe umgeht, Schätzchen?“ flachste der eine und musterte die Frau auf ziemlich unhöfliche Art und Weise von oben bis unten. „Was für ein hübsches Ding,“ meinte er dann mit einem anerkennenden Pfiff.

Der andere hatte ihre weibliche Figur ebenfalls mit unverhohlenem Interesse taxiert. „Schlank, aber kurvenreich. So habe ich meine Frauen gern,“ sagte er dann mit einem lüsternen Grinsen.

Die Augen der Fremden wurden bei diesen respektlosen Worten vor Zorn jäh zusammen gekniffen bis sie nur noch zwei schmalen Schlitzen ähnelten. Offenbar schätzte sie es ganz und gar nicht, dass die Banditen sie nicht im geringsten ernst nahmen, sondern sich dreist über ihre Vorzüge unterhielten.

Kai fand es nicht weiter verwunderlich, als plötzlich ein Sirren davon kündete, dass ein Pfeil verschossen worden war. Er flog haarscharf am Gesicht des einen Banditen vorbei und fügte seiner Wange einen hässlichen langen Kratzer zu, ehe er schwankend in einem Baum stecken blieb.

Der Streifschuss schien höllisch zu brennen, denn der Mann presste eine Hand auf die Wange und fluchte unterdrückt.

„Na warte, du Miststück! Dafür wirst du mir büßen!“ brüllte der Kerl und zog sein Schwert. Sein Kumpan tat es ihm mit unheilverkündender Miene gleich.

Kai wollte erst eingreifen, doch irgendetwas hielt ihn zurück. Vielleicht war es die Unbekümmertheit im Gesicht der Fremden oder die Art und Weise wie sie den Bogen in ihrer Hand gegen einen herrlich geschnitzten Stab mit einer rotierenden Kugel aus blauen Licht auf seiner Spitze austauschte.

Als die Banditen mit lautem Brüllen auf sie zu stürmten, schloss sie einen kurzen Moment die Augen und wirbelte den Stab unter leise gemurmelten Worten ein paar Mal anmutig in der Luft herum. Als sie die Augen Sekunden später wieder aufriss tauchte eine im Sonnenlicht blau schimmernde Welle Wasser wie aus dem Nichts auf und raste mit donnerndem Tosen auf die Angreifer zu.

Diese hatten nicht einmal Zeit verblüfft stehen zu bleiben, als die gewaltige Kraft der Welle sie bereits erfasste, sie von den Füßen riss und mit sich fort spülte. Unsanft prallten sie gegen die hinter ihnen stehenden Bäume, husteten und spuckten Wasser. Sie sahen ziemlich derangiert aus und trieften nur so vor Nässe.

Die Fremde lächelte amüsiert und verstaute ihren Stab wieder auf ihrem Rücken.

Auch Kai konnte sich ein Lachen nicht verkneifen und beschloss, dass nun der richtige Zeitpunkt gekommen war seine Anwesenheit zu offenbaren. Er trat aus dem Gebüsch und klatschte Beifall.
 

Rhynna hob überrascht den Kopf, als ein hochgewachsener Soldat aus einem Gebüsch in der Nähe hervortrat und ihr applaudierte.

Er trug eine herrlich gearbeitete Rüstung aus blau-silber schimmerndem Mithril, welche über und über mit goldenen Intarsien verziert war. Auf der Brustplatte befand sich ein eindrucksvolles Wappen, zwei sich gegenüberstehende Löwen, welches ihn als Mitglied der Löwenherzgarde auswies. Abgerundet wurde seine imposante Erscheinung von einem weit fallenden blauen Umhang aus feinstem Stoff, der mit aufwändigen Goldfäden umrahmt war.

Neugierig musterte Rhynna das braun gebrannte Gesicht des Fremden. Seine Haare waren von silberner Farbe, obwohl er vielleicht gerade einmal ein paar Jahre älter war als sie selbst. Seine Augen blickten freundlich und auch um seine Mundwinkel spielte ein nettes Lächeln.

„Wer seid Ihr?“ fragte sie neugierig und strich sich eine widerspenstige Strähne ihres Haares hinters Ohr, welche sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte.

Er deutete eine leichte Verbeugung an ehe er sich vorstellte. „Mein Name ist Kai Kaiyinth, Ausbilder der Löwenherzgarde von Dalanis. Und wie lautet der Eure, werte Dame?“ Fragend sah er sie an.

„Ich bin Rhynna Harrowington aus Varanas. Erfreut Eure Bekanntschaft zu machen.“ Sie neigte respektvoll den Kopf und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass die beiden Banditen der Mallenbande dabei waren sich aus dem Staub zu machen.

Mist. Sollte sie diese Schurken wirklich mit einer so milden Abreibung davon kommen lassen?

Der Ritter bemerkte wohin ihr Blick ging und meinte abwinkend: „Lasst sie laufen. Es ist nur eine Frage der Zeit, dann werden sie für ihre Verbrechen bezahlen müssen. Und die Kiste konnten sie auf ihrer Flucht immerhin nicht mitnehmen.“ Er deutete auf die Kiste, die immer noch dort stand, wo die Kerle sie hatten stehen lassen, als sie Rhynna angegriffen hatten.

„Gut, wenn Ihr meint.“ Sie wandte sich der Truhe zu und versuchte sie anzuheben, doch sie musste feststellen, dass sie viel zu schwer für sie alleine war.

Verdammt. Und wie sollte sie dieses Ding nun den ganzen Weg zurück zum „Schwein im Teich“ bekommen, um sich ihre Belohnung von diesem Händler abzuholen? Was hatte er da eigentlich drin? Steine?

„Verzeiht, aber darf ich Euch vielleicht behilflich sein?“ Kai Kaiyinth trat neben sie und hob die Kiste auf seine Schulter, als wäre sie so leicht wie eine Feder.

Beeindruckt sah Rhynna ihn an. Es war schon manchmal vorteilhaft, wenn man auch über eine gewisse körperliche Stärke verfügte.

„Vielen Dank. Äh... könntet Ihr mir die Kiste eventuell zum „Schwein im Teich“ bringen? Ich wäre Euch zu tiefstem Dank verpflichtet, wenn Ihr das tätet.“ Sie lächelte ihn herzlich an.

„Es wäre mir eine Ehre, wenn ich Euch zu Diensten sein dürfte.“ Er erwiderte ihr Lächeln und bedeutete ihr voraus zu gehen.

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, ein jeder versunken in seinen Gedanken.

Dann begann Kai Kaiyinth ein Gespräch. „Ihr sagtet vorhin Ihr seid aus Varanas? Das liegt in Kolydia, nicht wahr?“

Rhynna nickte. „Ja. Ich bin noch nicht lange auf Zandorya. Ich begleite eine Freundin, die hier etwas Wichtiges zu erledigen hat.“

Mehr mochte sie nicht preisgeben. Sie hatte ihn gerade erst kennengelernt, da brauchte er nicht zu erfahren, dass sie wieder einmal auf der Flucht vor ihrem alten Leben war. Vor ihrem alten Leben und dem Mann, der sie seit Jahren verfolgte und sie mit alten Erinnerungen quälte.

Wrath.

Sie verscheuchte schleunigst wieder jeden Gedanken an ihren ganz persönlichen Nemesis.

Doch der Ritter an ihrer Seite schien ein sehr feines Gespür für die Stimmungen seiner Mitmenschen zu haben, denn er meinte mitfühlend. „Ihr mögt nicht weiter darüber sprechen, habe ich recht?“ Sie nickte und blickte betreten zu Boden. „Verzeiht, falls ich alte Wunden wieder aufgerissen habe. Das lag nicht in meiner Absicht.“ entschuldigte er sich.

Bestürzt sah Rhynna zu ihm hoch. „Nein, es ist schon in Ordnung. Ich bin generell nicht besonders mitteilsam, wenn es um meine Vergangenheit geht, fürchte ich.“

„Das ist Euer gutes Recht.“

Sie versanken einen Moment in Schweigen.

Rhynna atmete tief die frische Frühlingsluft ein und fragte sich, warum Kai Kaiyinth ihr überhaupt seine Hilfe angeboten hatte. Früher oder später würde er es ihr wahrscheinlich erzählen, doch sie war eine sehr neugierig Person und hätte es am liebsten sofort gewusst. Ob er irgendetwas im Schilde führte? Sie würde wohl abwarten müssen.

Das Dorf Tomara war schon zu sehen, als Kai schließlich wieder das Wort an sie richtete. „Ich wollte Euch übrigens noch mein Kompliment dafür aussprechen wie Ihr mit diesen Verbrechern umgesprungen seid. Ihr habt sehr mutig agiert, ward dabei jedoch konzentriert und habt wohl überlegt gehandelt. Es mag vielleicht komisch klingen, wenn ich Euch das jetzt frage, aber ich würde es nicht tun, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass ihr das Potenzial dazu habt.“

Rhynnas Augenbrauen schossen in die Höhe und sie schaute den Ritter an ihrer Seite verwundert an. Nanu? Was kam denn nun?

„Falls Eure Verpflichtungen Eurer Freundin gegenüber Euch nicht allzu lange hier festhalten, was würdet Ihr davon halten, wenn Ihr Euch der Löwenherzgarde anschließen würdet?“ platzte er schließlich mit seinem Anliegen heraus.

Vor Überraschung blieb Rhynna stehen. Erlaubte er sich einen Scherz mit ihr? Was sollte sie kleine Person denn bei einer Garde, die wahrscheinlich aus lauter hartgesottenen kräftigen Männern bestand?

Sie war eine Priesterin! Ihre Waffe waren der Zweihandstab und der Bogen, aber ein Schwert war keine Waffe mit der sie umgehen konnte. Sie wäre nie im Leben ein guter Ritter. Zumindest nicht nach der Definition, die sie von einem Ritter vor Augen hatte.

„Das ist nicht Euer Ernst, oder?“ fragte sie zögernd. „Ich bin eine Priesterin Narfas'. Für gewöhnlich erhalte ich Leben und lösche sie nicht aus.“

Er grinste verlegen und fuhr sich mit der freien Hand durch seine strubbeligen Haare. „Natürlich ist mir nicht entgangen, dass Ihr nicht gerade dem Idealbild eines typischen Ritters entsprecht, aber glaubt mir, wenn ich Euch sage, dass wir bei der Löwenherzgarde auf jeden Fall Verwendung für jemanden mit Euren Talenten hätten. Ihr wärt dort keineswegs so fehl am Platze wie Ihr jetzt wahrscheinlich glaubt. Ein Ritter zu sein bedeutet weitaus mehr, als sich mit dem Schwert in den Kampf zu stürzen. Gebt dem Ganzen eine Chance und Ihr werdet es sehen.“

Zweifelnd sah Rhynna ihn an. „Ich weiß nicht so recht,“ meinte sie zögerlich. „Aber ich verspreche Euch darüber nachzudenken. Einverstanden?“

„Einverstanden.“

Und so setzten sie ihren Weg fort bis sie vor dem „Schwein im Teich“ standen. Dort erwartete sie bereits der bestohlene Händler, der überglücklich war seine kostbare Ware unversehrt zurück zu erhalten. Wie sich herausstellte handelte es sich um teure sehr alte Weine.

Er entlohnte Rhynna großzügig, ehe er sich mit seinem neu angeheuerten Geleitschutz wieder auf den Weg machte.

„Vielen Dank für Eure Hilfe. Ich weiß nicht wie ich ohne Euch die Kiste seinem rechtmäßigen Besitzer hätte übergeben sollen. Ich finde Euch steht ein Teil des Lohns zu. Hier, nehmt dies als Dank.“ Rhynna kramte die Hälfte der Goldmünzen aus dem soeben erhaltenen Beutel hervor und bot sie Kai dar.

Doch der lehnte dankend ab. „So sehr ich Eure Geste und den Gerechtigkeitssinn, der dahinter steckt, schätze, bitte ich Euch Euer Gold zu behalten. Ich habe Euch gern geholfen. Ich möchte Euch nur noch einmal darum bitten über mein Angebot nachzudenken. Solltet Ihr Interesse haben, so findet ihr mich in Dalanis. Fragt einfach eine der Wachen. Sie werden Euch dann zu mir führen.“

Rhynna nickte und steckte das Gold zurück in den Lederbeutel, den sie sicher unter ihrem Gewand verstaute.

Sie verabschiedete sich von Kai und betrat dann das Innere der Schenke in der Hoffnung dort endlich auf Evaline zu treffen.

Ein Entschluss und seine Umsetzung

Rhynna trat in das Halbdunkle der Schenke und blickte sich suchend um. Es dauerte einen Augenblick ehe ihre Augen sich an das schummrige Licht, welches hier drinnen herrschte, gewöhnt hatten. Doch von der Elfe, nach der sie Ausschau hielt, war keine Spur zu entdecken.

War ihre Freundin etwa immer noch bei dem Treffen mit Morrok Wallinder? Sorgenvoll runzelte sie die Stirn.

„Hey Ihr!“ rief der Wirt ihr zu. Fragend sah sie in seine Richtung. „Ich habe eine Nachricht für Euch. Hier seht selbst.“

Rhynna eilte zu ihm und nahm das sorgfältig zusammengefaltete Stück Pergament entgegen, welches er ihr überreichte. Gedankenverloren schob sie ihm eine Goldmünze zum Dank hin und setzte sich an einen Tisch in der Nähe, um den Brief zu lesen.

Wie erwartet stammte er von Evaline. Sie schrieb, dass Rhynna sich keine Sorgen zu machen brauchte und nicht auf sie warten sollte. Sie würde mit Morrok Wallinder mitgehen, da er mit einer Aufgabe an sie herangetreten war, die jede Menge Zeit in Anspruch nehmen würde.

Nachdem sie die letzte Zeile in Evalines verschnörkelter Schrift gelesen hatte, faltete sie das Pergament mit einem enttäuschten Seufzen zusammen und steckte es ordentlich weg.

So wie es aussah würde ihre elfische Freundin sich ohne sie in ein Abenteuer stürzen und das versetzte ihr einen schmerzhaften Stich, war sie doch ursprünglich davon ausgegangen Evaline nach der ersten Besprechung mit diesem Wallinder auf ihrer weiteren Reise begleiten zu können.

Doch nun stellte sich heraus, dass sie sich diesbezüglich geirrt hatte. Evaline brauchte ihre Hilfe dieses Mal nicht und zog es vor sich alleine um Morroks Angelegenheit zu kümmern.

War es da verwunderlich, dass sie ob dieser Neuigkeit verstimmt war?

Rhynna stützte ihren Kopf auf die Hände und dachte nach. Was sollte sie nun tun so ganz allein in einem fremden Land?

Der Vorschlag, den Kai Kaiyinth ihr vor kurzem unterbreitet hatte, kam ihr wieder in den Sinn. Der Löwenherzgarde beizutreten wäre zwar ein sehr ungewöhnlicher Schritt für eine Priesterin, die nicht einmal die rudimentäre Technik des Schwertkampfes beherrschte, aber zumindest wäre es eine Aufgabe, die sie beschäftigen würde bis Evaline von ihrer Reise zurückkehrte.

Je länger sie darüber nachdachte, desto verlockender erschien ihr die Idee.

Sollte sie es wirklich tun?

Schließlich hatte sie ihre Entscheidung gefällt. Sie würde Kai Kaiyinth aufsuchen und ihn bitten sie in die Reihen der Löwenherzgarde aufzunehmen. Im schlimmsten Fall stellte sich heraus, dass sie völlig ungeeignet für die Aufgaben eines Ritters war und dann könnte sie wieder ihrer Wege ziehen. Was war schon dabei?

Entschlossen erhob sie sich und zog sich in das von ihr gemietete Zimmer zurück.

Gleich am nächsten Morgen würde sie sich auf den Weg nach Dalanis machen.
 

Rhynna wurde vom penetranten Krähen eines Hahns geweckt. Verschlafen fuhr sie sich mit der Hand über die Augen, gähnte einmal ausgiebig und schwang dann die Beine über den Rand ihres Bettes.

Sie wusch sich das Gesicht und den Körper so gut es ging mit kaltem Wasser, welches sie aus einem irdenen Krug in eine kleine Schüssel goss. Dann band sie ihre Haare zu dem üblichen Pferdeschwanz, den sie stets trug, und kleidete sich sorgfältig an. Nachdem sie ihren Stab auf den Rücken geschnallt und überprüft hatte ob noch genügend Pfeile in ihrem Köcher waren, begab sie sich nach unten in den Schankraum, wo sie in aller Ruhe ein leichtes Frühstück zu sich nahm.

Anschließend bezahlte sie das Zimmer und machte sich dann frohen Mutes auf gen Dalanis.

Draußen war der Tag gerade erst hereingebrochen. Die Sonne sandte zaghaft die ersten wärmenden Strahlen durch die Baumwipfel und die Grashalme glänzten noch feucht vom nächtlichen Tau.

Rhynna atmete tief die herrliche Luft in und lauschte dem leisen Rauschen des Windes und dem Gesang der Vögel, während sie den Weg voranschritt.

Nachdem sie eine gute halbe Stunde gegangen war, lichtete sich der Wald und vor ihr erstreckten sich atemberaubende Wasserfälle, die tosend in einen großen in der Sonne glitzernden See stürzten.

Einen Moment verharrte sie an Ort und Stelle und sog die Schönheit dieses Ortes in sich auf. Lächelnd beobachtet sie eine kleine Herde Pangos, die am Ufer des Sees im seichten Wasser standen und die zarten Schösslinge irgendwelcher Wasserpflanzen mit ihren weichen Mäulern ab rupften. Sie mochte diese friedlichen, trägen Tiere, die ihre massigen Körper recht gemächlich bewegten und durch nichts aus der Ruhe zu bringen waren.

Die kleine Herde ließ sich auch dann nicht von ihrer Anwesenheit stören, als sie dicht an ihnen vorbei ging.

Zur Überquerung des Sees musste Rhynna auf große natürliche Steinplatten treten, die aus dem Wasser ragten und einen Weg bis ans andere Ufer bildeten. Sichern Schrittes gelangte sie schließlich auf die andere Seite und setzte ihren Weg ins Tal hinab fort.
 

Es war kurz vor Mittag, als sie schließlich Sternhorn durchquert hatte und etwas ratlos vor einem der gewaltigen Stadttore von Dalanis stand. Die Wachen am Tor, welche eine etwas weniger prunkvolle Version der Löwenherzgardenrüstung samt Umhang trugen, musterten sie aufmerksam durch die Visiere ihrer Helme.

Zögernd näherte Rhynna sich ihnen. „Bitte verzeiht die Störung, aber ich suche jemanden. Vielleicht könntet Ihr mir behilflich sein?“ Fragend sah sie von einem zum anderen.

Der Soldat rechts von ihr verließ schließlich seinen Posten und trat zu ihr. „Wenn wir können, helfen wir immer gerne. Wen sucht Ihr denn?“

Rhynna lächelte ihn erleichtert an. Sie hatte schon befürchtet auf Ablehnung zu stoßen, da sie nicht einzuschätzen vermochte welch Mienen die beiden hinter ihren Visieren zur Schau trugen. „Kai Kaiyinth, Ausbilder der Löwenherzgarde. Könnt Ihr mich zu ihm bringen?“

„Selbstverständlich. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet.“ Und er schritt voran in die Stadt hinein.

Rhynna beeilte sich ihm hinterher zu eilen. Während sie sich bemühte mit ihm Schritt zu halten, blieb genügend Zeit sich die Stadt näher anzuschauen.

Nach allem was sie schon über Dalanis gehört hatte, war die Stadt ringförmig aufgebaut. Der erste Ring, den sie gerade durchquerten, beherbergte die Unterstadt. Hier lebten die einfachen Menschen und Humanoiden in schlichten, aber solide wirkenden Hütten aus Stein und Holz.

Der Soldat erzählte ihr außerdem, dass die Hälfte dieses Stadtteils mittlerweile aus verlassenen Ruinen bestand, in dem sich allerlei zwielichtiges Gesindel herumtrieb. Er warnte sie ausdrücklich davor alleine bei Nacht herzukommen.

Rhynna nickte und nahm sich seinen Rat zu Herzen. Ihr war als hätten die Hütten Augen und würden ihr gierig nachsehen. Sie verscheuchte diesen absurden Gedanken schnell wieder und eilte schaudernd weiter. Die vereinzelt hin und her huschenden Ratten ignorierte sie einfach, genau wie den Unrat, der sich hier und da auftürmte.

Schließlich passierten sie ein weiteres bewachtes Tor und gelangten in das Zentralviertel von Dalanis, welches sich im zweiten sichelförmigen Ring befand. An diesem Ort lebten die etwas wohlhabenderen Bürger der Stadt, vor allem Händler und Handwerker hatten hier ihre Geschäfte und Stände, an denen sie ihre Waren feilboten.

Neben einem weiteren Tor, welches schließlich in den innersten Bereich der Stadt führte und in seinem Zentrum den Palast beherbergte, der über allem anderen thronte, stand ein großes Gebäude aus Stein. Rhynna wusste beinahe sofort, dass es sich hierbei nur um die Kaserne der Löwenherzgarde handeln konnte, denn schon weitem hörte man das Klirren aufeinander prallender Klingen und die Schreie kämpfender Männer.

Der Soldat führte sie in den Innenhof der Kaserne. Ein paar Schritte von ihnen entfernt stand Kai Kaiyinth und feuerte einen Mann an, der im Kampf mit einem bulligen Rhino verstrickt war.

Fasziniert sah sie zu wie der Mann den wuchtigen Schlägen der Axt beinahe spielend auswich und seinerseits mit dem Schwert angriff. Er focht energisch, aber mit großem Geschick und schon bald musste sich der Rhino brummend geschlagen geben.

„Das habt Ihr sehr gut gemacht, Nigula. Eure Fortschritte in der kurzen Zeit, die verstrichen ist seit Ihr bei uns seid, sind bemerkenswert,“ lobte Kai und klopfte dem jüngeren Mann anerkennend auf die Schulter.

„Ser Kai. Ich werde alles tun was nötig ist, um der Ehre der Löwenherzgarde keine Schande zu bereiten,“ erwiderte Nigula und verneigte sich dann ehe er sich zurückzog um noch ein wenig an einer Stoffpuppe zu trainieren.

Rhynna schmunzelte ob dieses Ehrgeizes, erinnerte es sie doch an sie selbst in jüngeren Jahren als sie gerade frisch eine Anwärterin Narfas' geworden war und die heilenden Künste der Magie zu erlernen begann.

Sie bedankte sich bei dem Soldaten, der sie hergebracht hatte und ging dann zu Kai, der versonnen Nigula beim Training beobachtete und noch nicht mitbekommen hatte, dass sie da war.

Sie räusperte sich vernehmlich, woraufhin er sich ihr zuwandte. Sein Gesicht drückte Erstaunen aus, als er sie erkannte, welches sich jedoch recht schnell in Freude verwandelte.

„Rhynna! Ihr seid tatsächlich gekommen! Ich muss ehrlich sagen, ich hatte so meine Zweifel ob Ihr überhaupt noch einen Gedanken an mich und mein Anliegen verschwenden würdet.“ Er lächelte sie schief an. „Umso mehr freut es mich natürlich, dass Ihr nun hier seid.

Rhynna lachte. „Nun wie es aussieht, Ser Kai, verfügt Ihr über ein vortreffliches Talent andere von Euren Ideen zu überzeugen. Ich habe lange über Euer Angebot nachgedacht und denke, dass es nicht schaden kann, wenn ich mich zumindest einmal als Ritter erprobe. Wenn Ihr der Meinung seid, ich kann das schaffen, warum sollte ich es dann nicht zumindest versuchen?“

Er blickte sie forschend an, so als wollte er herausfinden wie ernst es ihr mit ihren Worten war. „Und was ist mit Euren Verpflichtungen Eurer Freundin gegenüber?“ hakte er dann vorsichtig nach.

Rhynna winkte ab. „Seid unbesorgt, die haben sich fürs Erste erledigt. Ich stehe Euch ganz zur Verfügung und freue mich schon darauf von Euch unterwiesen zu werden.“

Er lachte schallend. „Nun wenn das so ist, dann folgt mir. Wir werden sehen, dass wir Euch entsprechend kleiden und die Aufnahmezeremonie für Rekruten durchführen.“

Gemeinsam betraten sie das Innere der Kaserne und begaben sich zur Aservatenkammer, in der nicht nur jede Menge Waffen lagerten, sondern auch die verschiedensten Rüstungen in unterschiedlichen Ausfertigungen. Doch keine wollte Rhynna passen. Sie waren alle bei weitem zu groß und klobig für ihre kleine, zierliche Gestalt.

Ratlos blickte Kai sie an.

Rhynna überlegte kurz und meinte dann. „Grämt Euch nicht. Ich denke es ist ohnehin besser, wenn Ihr mich nicht in solch eine unförmige Rüstung steckt. Ich bin nicht dafür geschaffen so etwas zu tragen. Reicht es nicht aus, wenn ich zum Zeichen meiner Dienste für die Löwenherzgarde den Umhang trage?“ Und sie griff nach einem der herrlich gearbeiteten blauen Umhänge und drapierte ihn sich gekonnt um ihre Schultern. Mit zwei großen goldenen Broschen, auf denen das Wappen der sich gegenüberstehenden Löwen abgebildet war, befestigte sie das lange Stück Stoff, damit es nicht mehr verrutschen konnte.

Anschließend gürtete sie sich ihre Halterung für Bogen und Stab über den Umhang, so dass sie wieder leichten Zugang zu ihren Waffen hatte. Dann drehte sie sich einmal um ihre eigene Achse, so dass der Umhang leicht um ihre Beine schwang. „Und? Was meint Ihr?“

Stirn runzelnd musterte Kai ihre Erscheinung. „Das dürfte wohl gehen.“ gab er dann widerstrebend zu. „Jetzt brauchen wir nur noch ein Schwert für Euch.“

Ehe er sich jedoch daran machen konnte eine geeignete Klinge für sie heraus zu suchen, hielt Rhynna ihn zurück. „Glaubt mir, wenn ich Euch sage, dass ich und Schwerter nicht miteinander harmonieren. Der Schwertkampf liegt mir nicht, aber ich habe eine andere Idee, wie ich mich auch im Nahkampf beweisen kann, ohne auf mein magisches Potenzial zurückgreifen zu müssen.“

Kais Augenbraue schnellte in die Höhe. „Ach? Und die wäre?“

Rhynna musste bei dem skeptischen Blick, mit dem er sie bedachte, unwillkürlich schmunzeln. „Habt Ihr schon einmal jemanden gesehen, der des Stabkampfes mächtig war?“ wollte sie dann wissen.

„Ich bin mir nicht sicher, aber ich kann es mir vorstellen. Ihr wollt Euren Zweihandstab zum Kämpfen nutzen, nicht wahr? Aber habt Ihr denn gar keine Angst, dass er dabei zu Schaden kommen könnte?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, denn das kann nicht geschehen. Die dem Stab innewohnende magische Energie schützt ihn größtenteils vor Beschädigungen. Und wie ich mit meinem Stab umgehen muss, weiß ich nur zu gut. Ich bin sehr geschickt im Stabkampf. Die Kenntnisse darüber habe ich bereits während meiner Priesterausbildung erworben und bin mir sicher, dass ich sie unter Eurer erfahrenen Anleitung noch weiter verfeinern kann.“

Er rieb sich über das stoppelige Kinn und dachte über ihre Worte nach. „Nun,“ meinte er nach einer Weile „Ich könnte mir vorstellen, dass sich die grundlegenden Techniken nicht allzu großartig unterscheiden und man gewiss damit arbeiten kann. Wir können es später einmal versuchen, dann sehen wir ob es klappt.“

„Gerne.“

„Gut. Dann müssen wir nur noch die offizielle Einweihungszeremonie abhalten. Das machen wir im großen Saal. Folgt mir bitte.“

Rhynna eilte ihm beschwingt nach. Es war alles noch etwas unwirklich, doch schon bald würde sie einer der wohl ungewöhnlichsten Ritter sein, welche die Löwenherzgarde je hatte. Und irgendwie freute sie sich schon darauf.

Missbilligung und Anerkennung

Der große Saal entpuppte sich als recht weitläufig mit einer sehr hohen Decke und einer großen Kuppel in seiner Mitte, durch welche sich die Strahlen der Sonne brachen und ein hübsches Spiel aus Licht und Schatten erzeugten.

Rhynna folgte Kai bis zum Ende des Saals, wo er sie feierlich bat niederzuknien. Sie tat wie ihr geheißen und neigte das Haupt. Er streckte ihr das Heft seines Schwertes hin und sie legte ihre Hand darauf.

„Sprecht mir nach: Ich, Rhynna Harrowington gelobe hiermit, dass ich in den Diensten der Löwenherzgarde stets gerecht und ehrenhaft handeln werde. Ich werde meinem Herren, König Callaway Kalume, treu dienen und ihn und mein Land bei meinem Leben vor jeglicher Gefahr verteidigen.“

Gehorsam wiederholte sie den ersten Teil des Schwurs.

„Allem was Kommandant General Lance mir aufträgt, werde ich ohne Widerspruch Folge leisen. Darüber hinaus habe ich die Befehle von Vizekommandantin Iswan Giant ebenfalls ohne Klagen auszuführen.“

Auch diese Worte wiederholte Rhynna. Auf ein Zeichen von Ser Kai hin, erhob sie sich wieder und sah ihn fragend an.

Was das schon alles gewesen? Hatten diese wenigen Worte gereicht um sie in ein neues Abenteuer stürzen zu lassen? Denn als solches betrachtete sie die vor ihr liegende Zeit bei der Löwenherzgarde. Hoffentlich stellte sich das auch als wahr heraus und sie hatte sich nicht aus einer Laune heraus zu etwas verpflichtet, was überhaupt nicht ihrem Naturell entsprach.

„Herzlichen Glückwunsch, Rhynna, Ihr seid nun als Rekrutin in die Reihen der Löwenherzgarde aufgenommen.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen und ohne zu zögern, ergriff sie diese und schüttelte sie.

Plötzlich erscholl ein Klatschen hinter ihnen.

Rhynna drehte sich um und erblickte einen stattlich gebauten Soldaten in voller Rüstung mit dunklen Haaren, durch die sich an den Schläfen bereits die ersten grauen Strähnen zu ziehen begannen. Er hatte ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen und musterte sie interessiert.

Neben ihm stand eine ernst drein blickende Frau, die sich durch ihre prächtige Rüstung ebenfalls als hohes Mitglied der Löwenherzgarde auswies. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und machte insgesamt einen ziemlich abweisenden Eindruck

Unwillkürlich runzelte Rhynna die Stirn. Ihres Wissens nach gab es nur eine einzige Frau von hohem Rang in der Löwenherzgarde und das war Iswan Giant höchstpersönlich. Allerdings stellte sich ihr die Frage wieso die >Eiserne Rose<, wie die Vizekommandantin von einigen spöttisch genannt wurde, dermaßen ablehnend auf sie reagierte.

Ser Kai schien es einen Moment lang die Sprache verschlagen zu haben, doch dann bekam er sich wieder in den Griff und eilte seinen beiden Vorgesetzten entgegen. „Hauptmann Hoffman, Vizekommandantin Giant! Darf ich Euch Rhynna Harrowington vorstellen, das neueste Mitglied in unserem Orden?“

Rhynna trat näher, lächelte den Hauptmann und die Vizekommandantin fast schon schüchtern an und neigte dann respektvoll den Kopf. „Es freut mich Euch kennenzulernen. Ich habe schon viel von Euch gehört,“ bemühte sie sich dann ein Gespräch zu beginnen.

Iswan Giant ignorierte sie jedoch völlig, trat an Ser Kai heran und zog ihn beiseite um etwas abseits unter vier Augen mit ihm zu sprechen.

Erstaunt musste Rhynna mitansehen, wie sie ihm offenbar Vorhaltungen machte und er sich hitzig zur Wehr setzte. Den Blicken der beiden nach zu schließen, die sie immer wieder in ihre Richtung warfen, ging es um sie.

Ihre Wangen verfärbten sich rot. Es hatte keineswegs in ihrer Absicht gelegen den freundlichen Soldaten in Schwierigkeiten zu bringen. Und nun bekam er offensichtlich Ärger, weil er sie einfach eingeladen hatte der Löwenherzgarde beizutreten und sie eingewilligt hatte.

Der Hauptmann an ihrer Seite grinste immer noch, als er nun das Wort an sie richtete. „Es ist nicht Eure Schuld. Die Vizekommandantin denkt zu viel nach und ist oft zu schnell in ihrem Urteil. Doch sie hat ein gutes Herz und wird schon bald erkennen, dass Ihr Eure Sache gut machen werdet.“

„Und woher wollt Ihr das so genau wissen?“ wollte Rhynna mit einer gewissen Skepsis in der Stimme wissen und sah ihm in die blauen Augen, aus denen der Schalk ihr munter entgegen blitzte.

Er lachte leise. „Ich weiß es einfach. Vertraut mir. Ich bin übrigens John Hoffman, Hauptmann der Wache und damit der direkte Vorgesetzte Eures Ausbilders.“ Er streckte ihr die Hand hin und schüttelte die ihre kraftvoll, als sie diese hineinlegte.

„Erfreut Eure Bekanntschaft zu machen,“ murmelte Rhynna und biss sich sorgenvoll auf die Lippe, als Iswan Giant nach einer letzten nachdrücklichen Ermahnung an Ser Kai mit rauschendem Umhang den Saal verließ.

Der starrte ihr recht erbost hinterher, gewann aber schnell die Kontrolle über seine Gefühle wieder und schluckte seinen offenkundigen Ärger hinunter.

„Es tut mir Leid, dass Ihr Euch wegen mir einen Tadel eingefangen habt,“ entschuldigte Rhynna sich sogleich bei ihm, als er zu ihr und Ser John trat.

Kai machte eine abwinkende Handbewegung. „Schon gut. Ich hätte diese Reaktion voraussehen müssen. Schließlich ist es mehr als ungewöhnlich eine Priesterin als Rekrutin aufzunehmen.“

„In der Tat, mein Freund!“ Ser John schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Aber ich bin mir sicher, Ihr habt dennoch eine sehr gute Wahl getroffen und werdet sie in einen vorzüglichen Ritter verwandeln.“

Er lachte noch einmal dröhnend, ehe er Rhynna und Ser Kai alleine zurückließ. Kai sah ihm einen Moment lang nach, ehe er sich ihr wieder zu wandte und sie aus dem Raum geleitete. „Kommt. Ich zeige Euch Euer Zimmer. Ihr müsst hungrig sein nach dem langen Fußmarsch. Soll ich Euch einen kleinen Imbiss zubereiten lassen? Unser Koch ist wirklich ausgezeichnet. Oder vielleicht möchtet Ihr auch lieber so einen Weile ruhen?“

Sie hatten das Zimmer, welches fortan Rhynnas Zuhause sein sollte, erreicht. Es war sehr klein, verfügte über ein Bett, eine schmale Kommode mit Waschschüssel und einen Tisch mit zugehörigem Stuhl. Es war recht karg eingerichtet, aber das genügte auf alle Fälle. Viel Zeit würde sie hier eh nicht verbringen.

Sie legte ihre wenigen Habseligkeiten aufs Bett und wandte sich dann energisch Ser Kai zu. „Lasst uns gleich mit der Ausbildung anfangen!“

Sie würde allen zeigen, dass in ihr mehr steckte, als nur die Priesterin, die Leben erhielt und beschützte. Wenn es darauf ankam, konnte sie wie eine Löwin kämpfen und daran dass allen zu zeigen, wollte sie sogleich arbeiten.

Zumindest hatte sie heute gelernt, warum Iswan Giant von aller Welt als >Eiserne Rose< bezeichnet wurde, so unnahbar und kühl wie sie sich gab. Hoffentlich gelang es ihr den ersten Eindruck bei der Vizekommandantin zu revidieren. Gerade diese Frau sollte sehen, dass es durchaus seine Berechtigung hatte, dass sie hier war.
 

Ser Kai betrachtete sie verwundert. „Und Ihr seid Euch sicher, dass Ihr nicht erst eine Kleinigkeit zu Euch nehmen wollt?“

Energisch schüttelte Rhynna den Kopf. „Ich bin nicht hungrig. Viel lieber würde ich Euch zeigen wie ich mit meinem Stab kämpfen kann.“ Abwartend sah sie ihn an.

Ein interessiertes Lächeln breitete sich auf Kais Gesicht aus. „Nun, wenn das so ist, dann lasst uns wieder hinaus in den Hof gehen.“

Rhynna nickte und eilte voller Elan voraus.. Ser Kai folgte ihr mit großen Schritten.

Sie bog um die nächste Ecke und prallte zu ihrer Überraschung unsanft mit jemanden zusammen. Hinter sich hörte sie wie ihr neuer Ausbilder scharf die Luft einsog. Vorsichtig blickte sie hoch um zu sehen um wen es sich bei ihrem Gegenüber handelte und erschrak, als sie den Mann erkannte, in den sie so rüde hineingelaufen war. Vor ihr stand kein geringerer als General Lance, oberster Kommandant der Löwenherzgarde, höchstpersönlich.

Sie wich einen Schritt zurück, verneigte sich ungeschickt und murmelte dann hastig eine Entschuldigung. Ihre Wangen brannten vor Scham, was zu ihrer roten Haarpracht sicher vorzüglich passte, wie sie ironisch dachte.

Unter ihren Wimpern hindurch musterte sie den General unauffällig. Er war sehr groß und füllte die prächtig gearbeitete Rüstung, welche über und über mit goldenen Elementen als Zeichen seines hohen Ranges verziert war, komplett aus. Auf dem Rücken trug er ein gewaltiges Zweihandschwert, welches allerfeinster Schmiedekunst entstammen musste. Seine blonden Haare waren streng hinten zusammengefasst und er betrachtete sie kühl aus eisig blauen Augen, als wäre sie ein lästiges Insekt, welches es zu zertreten galt.

Sein Blick blieb an ihrem schlichten Umhang mit dem Löwenwappen hängen, welcher sie als Rekrutin der Garde auswies. Fragend zog er eine Augenbraue hoch und wandte sich dann an Ser Kai. „Werdet Ihr mir nun sagen, dass Ihr diese Priesterin in unsere Reihen aufgenommen habt?“

„General Lance, bitte, hört mich an. Bei dieser Frau handelt es sich um eine ganz außergewöhnliche Person. Ich sah wie sie es allein mit einer Gruppe Mallen Banditen aufnahm und sie hat sich als sehr tapfer und geschickt erwiesen. Auch wenn sie nicht dem typischen Bild eines Ritters entsprechen mag, so bin ich mir sicher, dass sie uns mit ihren vielseitigen Fertigkeiten von Nutzen sein kann. Gebt ihr nur eine Chance sich zu beweisen.“

Der Blick des Generals ruhte wieder kühl auf Rhynnas zierlicher Gestalt. Er schien über Ser Kais Worte nachzudenken. Schließlich meinte er: „Nun gut, soll sie sich beweisen. Lasst sie draußen im Hof gegen Euren besten Rekruten antreten. Ein fairer Zweikampf nach ritterlichen Regeln. Ich will mit eigenen Augen sehen ob sie so gut ist wie Ihr sagt.“

Er lächelte, was auf Rhynna jedoch einen recht hämischen Eindruck machte.

Sie sollte kämpfen? Und dann auch noch gegen den besten Rekruten?

Es war lange her, dass sie zum letzten Mal den traditionellen Stabkampf hatte anwenden müssen. Hoffentlich erinnerte sie sich noch daran wie die Bewegungsabläufe waren, sonst würde sie sich schrecklich blamieren.

Ser Kai verbeugte sich ehrerbietig. Er machte keinen sonderlich glücklichen Eindruck, als er davon eilte, um einen Gegner für sie aufzutreiben.

Schweren Herzens blickte Rhynna ihm nach. Sie wusste, dass er hohe Erwartungen in sie setzte und sie betete inständig, dass sie ihn nicht enttäuschen möge. Dazu mochte sie ihn bereits zu gerne.

„Wollt Ihr mich dann schon einmal nach draußen begleiten, Rekrutin?“

Bildete sie sich das ein oder betonte er das letzte Wort wirklich dermaßen sonderbar, so dass es mehr einer Verspottung gleichkam denn einer Anrede?

„Mein Name ist Rhynna,“ erwiderte sie spitz, bemüht ihren Ärger hinunter zu schlucken.

„Natürlich.“

Schweigend begaben sie sich in den Innenhof, wo sich bereits einige Soldaten versammelt hatten, die Rhynnas Erscheinung neugierig beäugten.

Sie versuchte eine ausdruckslose Miene zu bewahren, als die Versammelten begannen sich gegenseitig mit dem Ellenbogen anzustoßen und zu tuscheln anfingen. Sie hasste es dermaßen im Mittelpunkt zu stehen.

Ser Kais Erscheinen setzte dem Getuschel schließlich ein Ende. Rhynnas Augen weiteten sich, als sie erkannte, wen er als ihren Gegner auserkoren hatte. Der Rekrut namens Nigula, den sie bei ihrer Ankunft hatte kämpfen sehen, würde also ihr Herausforderer sein.

Sie schluckte und wurde noch nervöser als sie ohnehin schon war. Mit zittrigen Beinen schritt sie in die Mitte des Hofes und verneigte sich höflich vor Nigula, der diese Begrüßung seinerseits erwiderte.

„Rekruten, wählt Eure Waffen!“ donnerte die Stimme des Generals dann. Während Nigula sein Schwert zog, holte Rhynna ihren Zweihandstab vom Rücken und umfasste ihn fest mit beiden Händen.

Überraschtes Raunen ging durch die Zuschauer, als sie die ungewöhnliche Wahl registrierten. Doch Rhynna ließ sich davon nicht beirren. Sie blendete die Menge einfach aus und konzentrierte sich ganz auf Nigula, der begonnen hatte sie lauernd zu umkreisen.

Sein erster Angriff kam nicht überraschend. Geschickt parierte Rhynna den Schwerthieb mit ihrem Stab und lenkte die Wucht des Schlages mit einer Drehung ab. Nigula versuchte es wieder, diesmal seitlich, doch auch den Hieb sah sie rechtzeitig kommen und konnte ihn abwehren.

Eine ganze Weile kämpften sie auf diese Art und Weise. Nigula griff an und Rhynna verhielt sich eher defensiv und parierte lediglich.

Allmählich bekam sie wieder ein Gefühl für diese Art des Kämpfens. Feine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und einige Strähnen ihres roten Haares hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst.

Sie wollte gerade selbst zum Angriff übergehen und Nigula in die Defensive zwingen, als ihre ihr eigene Tollpatschigkeit sich ihr in den Weg stellte.

Sie stolperte und geriet ins Straucheln. In letzter Sekunde konnte sie noch Nigulas nächstem Streich ausweichen, verlor dabei aber das Gleichgewicht und ging rückwärts zu Boden.

Hastig rollte sie zur Seite und entging dem nächsten Hieb wieder nur um Haaresbreite. Beinahe zeitgleich holte sie mit ihrem Stab aus und schlug ihn mit voller Wucht von hinten gegen Nigulas Kniekehlen. Mit schmerzverzerrten Gesicht und einem lauten Stöhnen sackte er in sich zusammen und ließ sein Schwert fallen.

Leichtfüßig sprang Rhynna auf die Füße und hielt ihm die Spitze ihres Stabes unter die Nase.

Der Kampf war vorüber. Sie hatte gewonnen.

Doch um welchen Preis? Bestürzt erkannte sie wie flammender Zorn in Nigulas Augen auf glomm, als er nun zu ihr aufsah.

Sie hielt ihm die Hand hin, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein, doch grob schlug er diese nette Geste aus. Er würdigte sie keinen Blickes, als er zurück in die Kaserne stapfte.

Rhynna seufzte resigniert und suchte Ser Kais Blick. Der blickte seinem besten Rekruten besorgt hinterher, unschlüssig ob er ihm nacheilen sollte oder nicht.

Ihr Blick wanderte weiter zu General Lance, der mit undurchdringlicher Miene und verschränkten Armen da stand und sie schweigend musterte.

„Eines steht fest. Man sollte Euch nicht unterschätzen, Rekrutin,“ meinte er dann ehe er sich um wandte und Richtung Palast davon eilte.

Mit gemischten Gefühlen blickte Rhynna ihm nach. Ein sehr sonderbarer Mann wie sie fand. Er hatte irgendetwas an sich, dass ihr Unbehagen bereitete.

Aber vielleicht kam sie auch einfach nur nicht mit seiner kühlen, herablassenden Art zurecht. Mit der Zeit sah sie ihn vielleicht in einem ganz anderen Licht. Das blieb abzuwarten.
 

Die nächsten Tage verstrichen recht ereignislos.

Rhynna trainierte viel und verbesserte mit Ser Kais Hilfe ihre Stabkampftechnik. In der wenigen freien Zeit, die sie sich gönnte, las sie in alten Geschichtsbüchern von Zandorya, um das Land und seine Geschichte besser kennen zu lernen.

Von den anderen Rekruten wurde sie weitestgehend ignoriert. Sie sprachen nur das Nötigste mit ihr und verhielten sich sehr zurückhaltend ihr gegenüber. Offenbar nahmen sie es ihr übel, dass sie es sich als Priesterin anmaßte einer der ihren sein zu wollen.

Nigula hingegen beachtete sie überhaupt nicht. Er schien nicht vergessen zu können, wie sie ihn vor General Lance Augen besiegt hatte. Damit hatte sie seinem Stolz einen empfindlichen Dämpfer aufgesetzt, den er so leicht nicht überwinden konnte.

Rhynna sagte sich immer wieder, dass es ihr gleich war wie die anderen von ihr dachten und sie keinen großen Wert auf die Gesellschaft ihrer Kameraden legte. Doch hin und wieder fühlte sie sich ziemlich alleine und vermisste jemanden, mit dem sie einfach nur sprechen konnte.

Es setzte ihr mehr zu, als sie wahrhaben wollte, dass die anderen Soldaten sie mit solch einer verletzenden Gleichgültigkeit behandelten.

Ser Kai bemerkte, dass sie unglücklich war und bemühte sich nach Kräften diesen Zustand zu ändern. Er nahm sie oft auf seine Patrouillen durch Sternhorn und die angrenzenden Gebiete mit, lehrte sie etwas über die hiesigen Pflanzen und Wesen und lenkte sie mit seiner charmanten Art so ein wenig von ihrem Kummer ab.

Dafür war sie ihm sehr dankbar. Trotz der kurzen Zeit, die sie ihn kannte, war er schon fast so etwas wie ein guter Freund für sie geworden.

Hass und Verbitterung

Eines Tages patrouillierten sie wieder in Sternhorn und genossen einträchtig nebeneinander gehend das herrliche Wetter. Die Sonne strahlte von einem herrlich blauen Himmel. Nur vereinzelt zog eine schneeweiße Wattewolke vorbei und warf für kurze Zeit einen dunklen Schatten auf die satte grüne Landschaft.

Rhynna sinnierte gerade darüber nach ob sie wohl bald schon ihre Grundausbildung abschließen durfte, als sie aus einem naheliegenden Gebüsch auf einmal ein lautes Schluchzen vernahm.

Wie angewurzelt blieb sie stehen und bedeutete Ser Kai es ihr gleich zu tun. „Habt Ihr das gehört?“ wollte sie wissen und lauschte noch einmal angestrengt in die Richtung, aus der sie das Geräusch vernommen hatte.

Wieder war das Wehklagen zu hören, diesmal deutlich länger und lauter.

Kai riss erstaunt die Augen auf. „Ja, ich höre es. Da weint eine Frau! Lasst uns nachsehen woher das kommt.“

Rhynna nickte und so verließen die beiden die staubige Straße und schlugen sich nach links ins Gebüsch.

Sie waren erst einige Schritte in die Wildnis gegangen, als sie auf einer kleinen Lichtung eine in sich zusammen gesunkene Frau erblickten. Sie kniete mit vor den Augen geschlagenen Händen auf der Erde und schluchzte immer wieder, so dass es einem schier das Herz zu zerreißen drohte.

Unschlüssig verharrten der Ritter und seine Schülerin zunächst an Ort und Stelle, unsicher was sie nun tun sollten.

Dann fasste Rhynna sich ein Herz und ging langsam zu der Fremden hin, Sie hockte sich neben sie und sprach mit ruhiger Stimme auf sie ein. „Beruhigt Euch, gute Frau. Wir sind von der Löwenherzgarde und würden Euch gerne helfen. Vielleicht möchtet Ihr mir erzählen was Euch dermaßen in Verzweiflung gestürzt hat.“

Irgendetwas von ihren Worten musste zu der Frau durchgedrungen sein, denn sie blicke jäh auf und musterte Rhynna mit dunkel verschleierten Augen, in denen sich großer Schmerz spiegelte.

Ihre Stimme klag rau und belegt, als sie schließlich zu sprechen begann. „Nun seid Ihr also hier? Und wo wart Ihr, als die Fürsten die Leute unterdrückt hatten? Wo wart Ihr, als man ihnen die Früchte ihrer Arbeit gestohlen hat? Und als die Feuer des Krieges unsere Familien gierig verschlangen, wo wart Ihr da?“

Aus jedem ihrer Worte sprachen Vorwürfe. Ihr bleiches Gesicht mit den vor Tränen verschmierten Wangen gewann etwas seiner Farbe zurück während ihre Worte allmählich immer hitziger wurden. „Wisst Ihr wie die Donnerhufhügel bereits genannt werden? Die Hügel der zerbrochenen Herzen! Wir sind machtlos gegen die Banditen. Um zu überleben gibt es nur zwei Möglichkeiten: sich ihnen unterwerfen oder durch ihre Hand sterben. Welchen Weg würdet Ihr da wählen?“

Mit herausfordernd funkelnden Augen sah sie Rhynna an.

„Ich... äh...“ Hilflos tauschte sie einen Blick mit Ser Kai, der ebenso ratlos wirkte wie sie sich fühlte.

„Eine schwierige Wahl, die es da zu treffen gilt, nicht wahr? Mein einziger Sohn hat sich dafür entschieden einer dieser Verbrecher zu werden und sich ihnen angeschlossen um mich vor schlimmeren Leid zu bewahren. Könnt Ihr Euch auch nur im Entferntesten vorstellen wie es ist eine Mutter zu sein und in ständiger Angst davor zu leben das eigene Kind tot in irgendeinem Straßengraben liegen zu sehen?“

„Das muss wirklich grauenvoll für Euch sein,“ meinte Rhynna mitfühlend und wollte der Frau beruhigend die Hand auf die Schulter legen. Doch das ließ diese nicht zu.

Sie schüttelte Rhynnas Hand sogleich wieder ab und warf ihr einen wütenden Blick zu. „Geht! Auf der Stelle! Als unsere Welt zerfiel, wart ihr von der Löwenherzgarde nicht da, also komme ich nun auch sehr gut ohne Euch zurecht. Und jetzt verschwindet endlich, lasst mich in Ruhe um mein Kind trauern . Ich will Euer geheucheltes Mitleid nicht! Lasst mir den letzten Rest meiner Würde und geht!“

Bestürzt sah Rhynna die Frau an, die wieder wie ein Häufchen Elend in sich zusammen gesunken war und ihr Wehklagen wieder aufgenommen hatte.

Mit welch einem Hass sie ihre Worte so eben hervorgebracht hatte. Wieso nur reagierten die Menschen dermaßen ablehnend auf die Löwenherzgarde? Was war nur geschehen?

Und vor allem wie konnten sie dieser armen Frau nun helfen?

Hilfesuchend sah Rhynna zu Ser Kai.
 

Ser Kai machte einen recht erschütterten Eindruck. Mit starrem Blick nahm er Rhynna beiseite. Seine Stimme klang belegt, als er schließlich das Wort an sie richtete. „Ich kann es nicht fassen mit welch einer Hoffnungslosigkeit sie uns gegenüber tritt. Hoffnungslosigkeit gegenüber der ganzen Welt, doch vor allem für die Löwenherzgarde. Wie konnte das geschehen? Wie konnte es soweit kommen, dass die Menschen uns mit solch Verachtung gegenüber treten und unsere Hilfe ablehnen, wenn wir sie ihnen bereitwillig darbieten?“

Fassungslos schüttelte er den Kopf. Es nahm ihn wirklich mit welch Abscheu sich die Fremde ihnen gegenüber gezeigt hatte. „Rhynna, wir müssen handeln. Ich kann nicht zulassen, dass diese gute Frau weiter leiden muss. Die Löwenherzgarde hat viel zu lange die Menschen mit ihren Problemen allein gelassen und die Augen vor ihrem Leid verschlossen. Wir müssen Wiedergutmachung leisten. Das schulden wir uns und diesen Menschen. Lasst uns damit gleich bei dieser Frau anfangen.“

Rhynna nickte voller Entschlossenheit.

Er hatte recht. Sie mussten etwas unternehmen.

„So soll es sein,“ sagte sie dann und wandte sich wieder an die leise vor sich hin schluchzende Frau.

„Meine Dame, bitte hört uns an. Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, damit ihr Euren Sohn wieder wohlbehalten in Eure Arme schließen könnt. Aber dafür benötigen wir Eure Hilfe. Ihr müsst uns alles sagen was Ihr über die Banditen wisst, denen sich Euer Sohn angeschlossen hat.“ redete sie eindringlich auf die am Boden hockende ein.

Mit feuchten geröteten Augen sah diese sie abschätzend an. „Das würdet Ihr wirklich tun? Ihr kennt weder mich noch meinem Sohn und habt Euch so lange von uns einfachen Menschen ferngehalten. Und nun wollt Ihr auf einmal helfen?“

Rhynna nickte ernsthaft und Ser Kai streckte der Fremden hilfsbereit die Hand entgegen um ihr aufzuhelfen. Zögernd schlossen sich ihre Finger um die seinen und sie ließ sich von ihm hoch ziehen.

„Wir haben vieles falsch gemacht in letzter Zeit,“ sagte er dann und seine Stimme war voller ehrlichem Bedauern. „Ich bitte Euch inständig, gebt uns die Möglichkeit zu helfen. Dies ist unser aufrichtiger Wunsch.“

Schweigend musterte die Fremde Ser Kai und Rhynna eine ganze Weile, als ob sie prüfen wollte wie ernst es ihnen mit ihrem Anliegen tatsächlich war, ehe sie schließlich in einer kleinen resignierenden Geste die Achseln zuckte und seufzte. „Also schön. Was habe ich noch zu verlieren? Was müsst Ihr wissen?“
 

Nachdem Betty Ilun, so der Name der Fremden, ihnen alles über die kleine Gruppe Banditen berichtet hatte was sie wusste, begleiteten Rhynna und Ser Kai sie nach Hause, bevor sie in die Kaserne zurückkehrten um einige Vorkehrungen zu treffen.

Betty kannte das Versteck der Banditen und hatte ihnen verraten wie sie dort hinkommen konnten, ohne bemerkt zu werden. Nun plante Ser Kai einen Hinterhalt und hatte außer Rhynna die fünf besten Rekruten ausgewählt, um gemeinsam mit ihnen die Bande zu zerschlagen und Betty Iluns Sohn zu retten.

Nigula war auch unter ihnen, was nicht weiter verwunderlich war, zählte er doch zu den besten Schwertkämpfern der Kaserne.

Er und die anderen vier Männer behandelten Rhynna jedoch als wäre sie Luft. Sie bezogen sie in die Vorbereitungen absichtlich nicht mit ein, was ihr einen schmerzhaften Stich versetzte.

Ser Kai bekam davon nichts mit, da er zu beschäftigt damit war die beste Angriffsstrategie auszutüfteln und sie mochte ihn damit auch nicht belästigen.

Zum wiederholten Male fragte sie sich warum sie dermaßen ausgegrenzt wurde. Hatte sie nicht bewiesen, dass sie genauso gut kämpfen konnte wie jeder andere? Ihre Waffe war zwar eine andere, aber was zählte war doch das Ergebnis oder etwa nicht?

Mühsam schluckte sie ihren Ärger hinunter und verstaute einige heilende Tränke in ihrem kleinen Beutel. Wenn sie schon im Kampf keine entscheidende Rolle spielen sollte, so konnte sie sich anschließend zumindest um die Verwundeten kümmern. Dafür war eine Priesterin schließlich gut genug, dachte sie mit einem Anflug von Verbitterung.
 

Als sie im Morgengrauen des nächsten Tages aufbrachen, bildete sie das Schlusslicht der Gruppe. Die anderen Rekruten unterhielten sich angeregt miteinander, scherzten und lachten, und sie fühlte sich ausgeschlossener denn je.

Traurig ließ sie den Kopf hängen und fragte sich wieso sie nicht einfach aufgab und wieder ihrer Wege zog. Sie hatte es schließlich nicht nötig sich derart behandeln zu lassen.

Doch das wäre Kai gegenüber nicht fair, hatte er so viel auf sich genommen, damit sie einen Platz in der Garde bekam. Hinzu kam, dass sie es liebte den Menschen zu helfen und sie niemals jemanden im Stich lassen würde, der Hilfe bedurfte.

Die Ideale der Löwenherzgarde entsprachen also genau ihrem Wesen. Hier hatte sie die Möglichkeit ihre Fähigkeiten sinnvoll einzusetzen um Gutes zu tun.

Plötzlich gebot Ser Kai ihnen allen mit einer ausdrücklichen Geste fortan zu schweigen. Sie waren ihrem Ziel also recht nahe.

Leise schlichen sie zu den nahe gelegenen Ruinen, in deren Mitte sich das Versteck der Banditen laut Betty Iluns Angaben befand und versteckten sich hinter einer großen umgestürzten Säule.

Rhynna hockte etwas abseits der anderen und spähte vorsichtig hinunter in die kleine Talsenke. Die Banditen hatten Zelte aus grobem Tuch rund um ein großes Lagerfeuer errichtet. Sie spürte deutlich den einfachen Zauber, welcher das Feuer umgab und verhinderte, dass man den aufsteigenden Rauch von der Ferne aus erkennen konnte.

Ein schmutzig aussehender Mann saß bewaffnet mit einem Speer am beinahe niedergebrannten Feuer und döste vor sich hin. Ansonsten war es ruhig im Lager. Die anderen Gauner schienen alle noch zu schlafen und ahnten nichts von dem Hinterhalt, in den sie gleich hineingeraten würden.

Rhynna warf Ser Kai einen fragenden Blick zu und wartete angespannt darauf, dass er endlich das Zeichen zum Angriff gab.

Sie wusste was sie zu tun hatte und hoffte, dass die anderen sich genau an den geplanten Ablauf halten würden. Unter keinen Umständen durfte Betty Iluns Sohn zu Schaden kommen.
 

Als Ser Kai schließlich das Zeichen zum Angriff gab, ging alles ganz schnell. Die Männer rannten mit gezogenen Waffen den Abhang hinunter und stürmten laut brüllend die Zelte der Banditen.

Sie trieben die schlaftrunkenen und überraschten Diebe in die Mitte der Senke und hielten sie dort in Schach.

Es waren weniger als erwartet. Rhynna zählte von ihrem Versteck aus nur sechs Mann, dabei hätten es laut Betty Iluns Aussagen mindestens doppelt so viele sein müssen.

Ein ungutes Gefühl beschlich sie.

Irgendetwas stimmte da nicht. Wo waren die übrigen Räuber?

Später wusste sie nicht mehr genau was es gewesen war, dass sie stutzig werden ließ. Vielleicht war es die tödliche Klinge des Dolches, die kurz in der Sonne aufblitzte, welche ihre Aufmerksamkeit jäh fesselte.

Sie bemerkte jedenfalls den näher kommenden Schemen und riss entsetzt die Augen auf, als sie verstand was er vor hatte. Hastig murmelte sie die vertrauten Worte, streckte die linke Hand aus und ließ einen perlenden Schild aus Wasser um den ahnungslosen Nigula entstehen, den sich der Schatten als erstes Opfer auserkoren hatte.

Keine Sekunde später prallte der Dolchstoß, der Nigulas ungeschützten Nacken hatte durchbohren sollen, wirkungslos vom Schild ab. Wellen durchliefen diesen und die Wucht des Stoßes schleuderte den Attentäter unsanft zurück.

Fluchend blieb er auf seinem Allerwertesten sitzen. Durch die überraschende Vereitlung seines Anschlags war er wieder sichtbar geworden, da seine Konzentration abrupt unterbrochen worden war.

Rhynna ließ die Hand langsam wieder sinken, woraufhin der magische Schild in tausend feine Wassertropfen zerstob, die kurz in der Sonne glitzerten ehe sie im Nichts verschwanden.

Nun begriffen auch die Soldaten der Löwenherzgarde, was gerade beinahe geschehen war. Nigula war kreidebleich im Gesicht, als er Rhynna nun anblickte. Sie erwiderte seinen Blick ruhig und begab sich dann zu den anderen nach unten.

Ser Kais Miene war grimmig, als er auf den gescheiterten Attentäter zu schritt. Er hielt dem noch recht jungen Burschen die Spitze seines Schwertes direkt unter die Nase ehe er grollend das Wort an ihn richtete. „Sprich schnell. Wer bist du und warum wolltest du einen meiner Männer töten?“

Aus den Augen des Jünglings sprach grenzenlose Wut, als er trotzig hoch in das Gesicht des älteren Mannes blickte. „Ich bin Weily Loth und ich wollte ihn töten, weil Ihr heuchlerischen Soldaten es nicht anders verdient.“

Verächtlich spuckte er Ser Kai direkt vor die Füße, was wütendes Gemurmel der Rekruten nach sich zog.

Der Ausbilder der Löwenherzgarde blieb regungslos stehen und starrte den Burschen mit ausdrucksloser Miene einfach nur an.

Rhynna bewunderte ihn für seine Gelassenheit, vor allem wenn man bedachte, dass es sich bei diesem respektlosen Jüngling um den gesuchten Sohn von Betty Ilun handelte. Weily Loth. Hätte er nicht einfach nur ein verängstigter Mitläufer sein können?

Sie seufzte. Der Junge hatte sich das Leben gerade unnötig schwer gemacht. Wie hatte er nur so naiv sein können zu glauben, er könnte einen Gardisten der Löwenherzgarde attackieren ohne Konsequenzen befürchten zu müssen?

Jetzt würden sie ihn nicht so einfach zu seiner Mutter zurückbringen können. Auf versuchten Mord stand eine hohe Strafe.

„Steh auf,“ befahl Ser Kai Weily nach einem Moment des eisigen Schweigens. Widerwillig rappelte sich der Angesprochene auf und funkelte den hochgewachsenen Soldaten vor ihm voller Trotz an.

Ser Kai richtete das Wort an seine Männer. „Bringt die Banditen nach Dalanis ins Gefängnis. Wir werden später darüber entscheiden was mit ihnen geschehen soll. Nigula, Ihr übernehmt das Kommando. Ich habe hier noch etwas zu erledigen.“

„Sehr wohl, Ser Kai.“ Nigula verbeugte sich leicht und erteilte den Männern dann Befehle. Wenig später zogen die Gardisten mit ihren Gefangenen ab.

Unschlüssig blickte Rhynna ihnen nach. Sie war nicht sicher ob sie ihnen folgen sollte oder nicht.

Ser Kai bemerkte ihre Unsicherheit. „Ist schon in Ordnung, Rhynna. Ich wünsche, dass Ihr bei mir bleibt. Wir beide kümmern uns um unseren jungen Freund hier.“

„Ich bin nicht Euer Freund, Ser Ritter!“ Die letzten beiden Worte spie Weily förmlich aus und sie waren voller Verachtung.

Rhynna hatte genug von seinem aufmüpfigen Gebaren. „Seid still!“ fuhr sie ihn zornig an. „Ihr seid selbst Schuld, wenn Ihr Euch nun jegliche Chance verspielt habt zurück in Euer altes Leben zu Eurer Mutter zu gehen. Wir wollten Euch helfen und wie dankt Ihr es uns? Indem Ihr törichterweise versucht einen Soldaten hinterrücks zu erdolchen! Wisst Ihr denn nicht welche Strafe auf solch eine Tat steht?“

Bei der Erwähnung seiner Mutter verlor Weilys Gesicht jegliche Farbe. Sein Widerstand schmolz dahin wie Eis in der Sonne. Plötzlich sah er aus wie der siebzehnjährige Bursche, der er war, jung und verloren.

Rhynnas Gesichtszüge wurden wieder weicher, als sie seine zusammengesunkene Gestalt bemerkte. Offenbar sorgte er sich um seine Mutter, auch wenn er das niemals offen zugeben würde. „Es geht Ihr gut, Weily. Sie macht sich allerdings große Sorgen um Euch und bat uns schweren Herzens Euch zu helfen wieder auf die richtige Seite des Gesetzes zu kommen. Das hier ist doch kein Leben für Euch:“

„Ich kann nicht glauben, dass sie jemanden wie Euch schickt. Sie verachtet die Löwenherzgarde genau wie ich es tue.“

Ser Kai zuckte bei diesen Worten unmerklich zusammen und seine Miene sah einen Moment lang ziemlich gequält aus. Rhynna konnte ihn gut verstehen. Sie war es allmählich ebenfalls leid, immer wieder zu hören zu bekommen wie sehr die Menschen die Garde verabscheuten.

„Glaubt mir, sie war nicht glücklich darüber unsere Hilfe annehmen zu müssen. Doch Ihr und Euer Wohlergehen waren ihr wichtiger als ihr Stolz,“ meinte er dann brüsk und steckte sein Schwert zurück an seinen Platz.

Weily nickte kaum sichtbar, ehe er sich straffte und Ser Kai anblickte. „Was wird nun mit mir geschehen?“

„Das werdet Ihr noch früh genug erfahren. Jetzt begleitet uns erst einmal zu Eurer Mutter. Ich bin mir sicher sie wird überglücklich sein Euch gesund und munter zu sehen.“

Ser Kai bedeutete ihnen mit einer knappen Geste ihm zu folgen. Weily trottete ihm mit gesenktem Haupt hinterher, während Rhynna hinterher schritt und ihn misstrauisch im Auge behielt.

Er sah zwar nicht mehr so aus, als würde er irgendetwas Dummes versuchen wollen, aber man konnte nie vorsichtig genug sein wie sie aus Erfahrung wusste.
 

Sie waren etwa eine halbe Stunde gegangen, als sie die kleine Siedlung erreichten, in der Betty Iluns Hütte stand. Sie war im Garten und jätete Unkraut zwischen dem sorgsam angepflanzten Gemüse.

Als sie Schritte vernahm, erhob sie sich und drehte sich um. Sie schirmte ihre Augen vor der Sonne ab und stieß einen spitzen Schrei aus, als sie schließlich erkannte wer sich ihr da näherte.

„Weily!“ rief sie mit Tränen in den Augen und stürzte ihnen entgegen. „Mein Junge!“ Schluchzend schloss sie ihren Sohn in die Arme und herzte ihn ausgiebig.

Regungslos ließ Weily es über sich ergehen. Offenbar war ihm die Rührseligkeit seiner Mutter in Gegenwart der beiden Mitglieder der Löwenherzgarde äußerst unangenehm. Etwas hilflos tätschelte er ihren Rücken, sichtlich beschämt.

Rhynna und Ser Kai standen etwas abseits und ließen den beiden Zeit für ihr Wiedersehen.

Dann trat Ser Kai vor und verneigte sich respektvoll vor Betty Ilun. „Wie versprochen bringe ich Euch Euren Sohn wieder.“ sagte er mit ruhiger Stimme.

Die kleine Frau blickte den großen Gardisten voller Dankbarkeit an. „Wie kann ich Euch nur dafür danken, dass Ihr meinen Weily aus den Fängen dieser nichtsnutzigen Banditen befreit habt? Ihr habt ihn davor bewahrt ein Gesetzloser zu werden, was ihm früher oder später zweifelsohne den Tod gebracht hätte. Ich weiß nicht wie ich Euch das jemals vergelten kann.“

Ser Kai lächelte sie freundlich an. „Ich wüsste da schon etwas. Doch zunächst möchte ich Euch noch einmal von ganzem Herzen um Verzeihung bitten, dass Ihr so viel Leid ertragen musstet und die Löwenherzgarde nichts unternommen hat um dieses Leid zu lindern. Wir sind nicht gekommen, als Ihr uns am dringendsten brauchtet und das ist unentschuldbar. Ich schwöre Euch, dass so etwas fortan nicht mehr vorkommen wird. Dafür werden ich und meine Gardisten Sorge tragen.“

Rhynna lauschte still Ser Kais Worten. Es beeindruckte sie zutiefst mit welch Redegewandtheit es ihm gelang diese schwierige Situation zu meistern. Sie wäre froh, wenn sie das auch nur halb so gut vermochte wie er.

Ernst blickte er Betty Ilun an, ehe er mit seiner Rede fortfuhr: „Momentan bin ich auf der Suche nach neuen Rekruten. Es wird an der Zeit, dass die Löwenherzgarde wieder alle Menschen beschützt und nicht nur die, die innerhalb der Mauern von Dalanis leben. Doch dafür benötige ich Eure Hilfe.“

Ein Schatten huschte über Betty Iluns Gesicht, als sie verstand worauf der hochgewachsene Soldat hinaus wollte. Zögernd schaute sie ihren Sohn an, der mit versteinerter Miene neben ihr stand und argwöhnisch die beiden Mitglieder der Löwenherzgarde vor ihm musterte.

Dann glitt ihr Blick wieder zu Ser Kai. „Kann ich Euch vertrauen? Ihr müsst verstehen, dass es mir nach all der Zeit schwer fällt Euren Worten Glauben zu schenken.“

Ser Kai nickte verständnisvoll. „Das verstehe ich durchaus. Doch ich würde mich geehrt fühlen, wenn Ihr mir Euer Vertrauen schenken würdet. Ich verspreche Euch hiermit hoch und heilig, dass die Löwenherzgarde in Zukunft unter der Führung des Königs alles tun wird, um dafür zu sorgen, dass wieder Frieden und Wohlstand nach Zandorya zurückkehren. Die Menschen werden nicht länger von Sorgen und Ängsten geplagt werden. Und Hoffnung wird wieder den Platz in ihren Herzen einnehmen, der jetzt von Verzweiflung besetzt ist. Wir von der Löwenherzgarde werden unsere Hingabe für das Volk durch unsere Beharrlichkeit beweisen und nicht eher ruhen bis wir das von uns angestrebte Ziel erreicht haben!“

Er hatte voller Leidenschaft gesprochen und man merkte deutlich, dass jedes seiner Worte seiner tiefsten Überzeugung entstammten. Sprachlos starrte Rhynna ihn an. Sie wusste, dass er ein sehr emotionaler Mensch war, dem viele Dinge schnell nahe gingen, aber mit solch einem leidenschaftlichen Ausbruch hatte sie nicht gerechnet.

Auch Betty Ilun schien zutiefst beeindruckt. Ihre Stimme klang entschlossen, als sie nach einem Moment des Schweigens zu sprechen begann. „Wie könnte ich weiterhin zweifeln, wenn Ihr mir mit solch glühender Inbrunst ein solches Versprechen gebt? Ich bin bereit an die Zukunft von der Ihr sprecht zu glauben. In allererster Linie brauchen wir ein sicheres Leben, die Bequemlichkeit kommt erst an zweiter Stelle. Wenn Ihr uns beschützt, dann bin ich zufrieden.“

Sie lächelte, griff den verdutzten Weily bei den Schultern und schob ihn zwischen sich und Ser Kai. „Dürfte ich Euch um etwas bitten?“

„Selbstverständlich. Sprecht.“

„Würdet Ihr meinen Sohn ausbilden? Ich möchte, dass er zu einem guten Ritter der Löwenherzgarde wird und dazu beitragen kann, dass dem Land eines Tages wieder Frieden und Wohlstand gebracht werden.“

Weily ließ ein entsetztes Keuchen hören, als er die Bitte seiner Mutter vernahm. „Mutter... ich...“ protestierte er, doch ein strenger Blick Ser Kais brachte ihn zum Schweigen. Offensichtlich war ihm wieder eingefallen, dass er es auch weitaus schlimmer hätte treffen können, nach seiner törichten Tat im Lager der Banditen.

Rhynna fand auch, dass er es noch recht gut getroffen hatte. Ein Leben als Gardist bei der Löwenherzgarde war dem Gefängnis allemal vorzuziehen.

Dessen wurde sich Weily allmählich wohl auch bewusst. Er blickte zwar ziemlich verstimmt drein, sagte aber nichts weiter.

Ser Kai verbeugte sich erneut vor Betty Ilun. „Bei meiner Ehre, ich verspreche Euch, dass ich mich persönlich um die Ausbildung Eures Sohnes kümmern werde, auf dass er ein hervorragender Ritter werde.“

Sie knickste leicht. „Habt Dank, werter Ritter. Für alles was Ihr für mich und Weily getan habt.“

Dann umarmte sie ihren Jungen zum Abschied. „Mach mich stolz, mein Sohn,“ flüsterte sie mit belegter Stimme.

„Zeit aufzubrechen,“ meinte Ser Kai und bedeutete Rhynna und Weily ihm zu folgen.

Betty Ilun sah den dreien noch nach, bis sie hinter der Wegbiegung verschwunden waren.

Mitternacht

Es vergingen einige Tage, in denen es keine nennenswerten Vorkommnisse gab.

Weily Loth brauchte seine Zeit, um sich an die Tatsache zu gewöhnen, dass er nun zu der einst so verhassten Löwenherzgarde gehörte. Doch die Kameradschaft der Rekruten untereinander und die Anerkennung für seine Fortschritte im Kampf durch Ser Kai, gaben ihm das nötige Selbstbewusstsein und beseitigten seine letzten Zweifel.

Er besuchte seine Mutter regelmäßig und berichtete ihr voller Stolz davon wie er seine Zeit nun verbrachte und wie gut er in seiner Ausbildung vorankam.

Rhynna unterdessen merkte wie eine Veränderung im Verhalten der Rekruten ihr gegenüber stattgefunden hatte. Sie begegneten ihr nicht mehr voller Gleichgültigkeit, sondern äußerst respektvoll und auch wenn sie immer noch nicht wirklich zu ihnen dazu gehörte, so fühlte sie sich zumindest angenommen und nicht mehr ganz so einsam und ausgegrenzt wie zuvor.

Offenbar hatte es sich herumgesprochen, dass sie Nigula in letzter Sekunde vor dem erdolcht werden bewahrt hatte und das hatte ihre Kameraden wohl sehr beeindruckt.

Einzig Nigula selbst benahm sich wie zuvor auch. Er behandelte sie weiterhin, als wäre sie nicht da, was Rhynna maßlos ärgerte. Wenigstens ein Dankeschön hatte sie erwartet, aber nicht einmal das bekam sie zu hören.

Undankbarer Kerl!

Beim nächsten Mal würde sie es sich zweimal überlegen ob sie sein Leben rettete oder nicht.
 

Eines Tages nahm Ser Kai sie nach dem Training beiseite. „Rhynna, ich muss Euch etwas erzählen.“ Er ließ den Blick einmal schweifen, um sich zu vergewissern, dass man sie nicht belauschte.

Rhynna wunderte sich über sein Verhalten. Er war doch sonst nicht so geheimnisvoll. Um was es wohl gehen mochte?

„Jetzt habt Ihr mich neugierig macht. Sprecht bitte.“ bat sie ihn.

Er fuhr sich einmal nervös mit der Hand durch die Haare, ehe er schließlich mit dem, was ihm auf dem Herzen lag, heraus platzte. „Bitte erschreckt jetzt nicht, aber John Hoffmann hat nach Euch gefragt. Er benötigt Hilfe bei einer äußerst delikaten Angelegenheit und hat ausdrücklich nach Euch verlangt. Worum es genau geht, vermag ich Euch bedauerlicherweise nicht zu sagen. Man hat mich nicht eingeweiht, da ich morgen ohnehin nach Shador aufbrechen werde, um eine spezielle Aufgabe zu erfüllen. Wir werden uns also eine lange Zeit nicht sehen, werte Freundin.“

Er lächelte traurig.

„Oh,“ entfuhr es Rhynna überrascht. „Das ist bedauerlich. Ich weiß es zu schätzen was Ihr für mich getan habt und werde Euch und Euren Rat sehr vermissen.“ Zaghaft erwiderte sie sein Lächeln.

Sie meinte jedes ihrer Worte ernst. In Ser Kai hatte sie nicht nur einen hervorragenden Lehrer gefunden, sondern auch einen wirklich guten Freund. Er würde ihr schrecklich fehlen, wenn er fort war. Und ihm schien es nicht viel anders zu ergehen.

„Ich bin mir sicher Ihr werdet es weit bringen, während meiner Abwesenheit. Lasst Euch sagen, dass ich schon jetzt sehr stolz auf Euch bin. Noch nie zuvor hatte ich eine so ungewöhnliche Rekrutin wie Euch, die ihre Talente und Begabungen so vortrefflich einzusetzen weiß. Ihr seid ein ganz besonderer Mensch und ich bin froh Eure Bekanntschaft gemacht zu haben.“

Bei so viel ehrlich hervor getragenem Lob röteten sich Rhynnas Wangen leicht und sie musste die Tränen weg blinzeln, die ihr plötzlich in den Augen standen. „Habt Dank,“ sagte sie und verneigte sich ehrerbietig vor ihrem Mentor.

Ser Kai blinzelte nun ebenfalls einmal energisch, ehe er ihr ein letztes Mal auf die Schulter klopfte. „Ihr solltet nun besser gleich zu Hauptmann Hoffmann gehen. Er wartet nicht gern.“

Sie nickte. „Gehabt Euch wohl, Ser Kai. Auf ein baldiges Wiedersehen.“

„Sorgt Euch nicht. Wir sehen uns gewiss wieder. Davon bin ich überzeugt.“ Er schmunzelte und Rhynna konnte nicht anders sie musste lachen bei soviel Selbstvertrauen in das Schicksal.

„Ich hoffe es sehr.“ Mit einem letzten Lächeln in seine Richtung drehte sie sich schließlich um und schritt davon.

Ehe sie das Kasernengebäude betrat winkte sie ihm noch einmal zu. Dann machte sie sich auf die Suche nach Ser John.

Sie war schon sehr gespannt warum er ausdrücklich nach ihrer Person verlangt hatte. Worum es wohl bei dieser delikaten Angelegenheit ging?
 

Rhynna fand den Hauptmann schließlich in der Wachstube wo er die aktuellen Pläne für die Patrouillen der nächsten Wochen mit einigen seiner Männer durchging.

Als er sie im Türrahmen stehen sah, bedeutete er ihnen mit einer knappen Handbewegung zu gehen. Gehorsam zogen sie sich zurück, jedoch nicht ohne vorher einen neugierigen Blick auf Rhynnas zierliche Gestalt geworfen zu haben.

„Ihr wolltet mit mir in einer wichtigen Angelegenheit sprechen, Hauptmann?“ fragte sie mit ruhiger Stimme.

Innerlich war sie allerdings alles andere als ruhig. Die Neugierde um was es wohl gehen könnte, nagte unerbittlich an ihren Nerven und es überraschte sie selbst ein wenig, dass sie so gelassen bleiben konnte.

„In der Tat, das war meine Intention. Doch tretet erst einmal ein, Rhynna.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie mit einem leichten Schmunzeln, als sie die Tür hinter sich ins Schloss zog.

Rhynna ließ sich davon jedoch nicht beirren. Sie hatte den Hauptmann noch nie anders als gut gelaunt gesehen. Stets trug er sein übliches Grinsen zur Schau und erlaubte sich allerlei Scherze und Sticheleien mit den Soldaten.

Umso überraschter war sie, als sein Lächeln jäh verschwand und ein besorgtes Stirnrunzeln an dessen Stelle trat. Er seufzte einmal angespannt, ehe er das Wort an sie richtete. „Ihr seid doch eine sehr erfahrene Priesterin wie man hört. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Ihr Euch nicht nur mit lebenden Körpern und deren Funktionsweise auskennt, sondern auch über den Tod und was er mit einem Körper anstellt Bescheid wisst?“ Fragend sah er sie an.

Rhynna zog erstaunt eine Augenbraue hoch und erwiderte seinen Blick. „Das ist wahr. In der Priesterausbildung lernt man die Zeichen des Todes zu erkennen. Wir müssen schließlich wissen ob wir jemanden retten können oder ob seine Zeit endgültig abgelaufen ist.“

Ser John brummte einmal zustimmend. „Verstehe. Sicherlich fragt Ihr Euch warum ich Euch eine derartige Frage überhaupt stelle.“

Sie nickte. „In der Tat frage ich mich das. Bitte klärt mich auf, worum es hier eigentlich geht. Ser Kai sagte mir nur, dass es eine delikate Angelegenheit sei, aber genau Details wusste er nicht.“

Ein schiefes Grinsen zuckte kurz um Ser Johns Mundwinkel. „Delikat ist es zweifelsohne, wie Ihr mir sicher beipflichten werdet, wenn Ihr wisst um was es sich genau handelt. Also schön, ich werde Euch nicht länger auf die Folter spannen.“ Er holte einmal tief Luft ehe er weitersprach. „In den letzten Tagen haben wir die Leichen einiger Männer gefunden. Es waren vornehmlich Vagabunden und Obdachlose, die scheinbar Opfer ein und desselben Täters wurden. Ich kann es nicht genau beschreiben, aber ihre Körper wiesen merkwürdige Spuren auf, die wir uns einfach nicht erklären konnten. Also habe ich den hiesigen Leichenbestatter darum gebeten sich die Toten einmal genauer anzusehen.“

Rhynnas Augen weiteten sich bei seinen Worten. Jemand da draußen in Dalanis ermordete Vagabunden auf mysteriöse Art und Weise? Wie grauenhaft!

Sie schluckte einmal um gegen die Furcht, die sich ihrer auf einmal bemächtigt hatte, anzukämpfen. „Und nun wünscht Ihr, dass ich Euch bei Eurem Gang begleite, um meinerseits zu schauen ob mir etwas Verdächtiges an den Leichen auffällt?“ wollte sie dann wissen. Ihre Stimme bebte leicht und ihr war nicht wohl bei dem Gedanken in ein Bestattungsinstitut zu gehen und sich die Leichname näher anzusehen.

Ser John schien erleichtert, dass sie so schnell verstanden hatte, was er von ihr wollte. „Genau so ist es. Sicher versteht Ihr jetzt auch, warum ich ausdrücklich darauf bestanden habe, dass Ihr zu mir kommt. Ihr verfügt über die notwendigen Erfahrungen mit dem Tod, welche Eure Mitrekruten nun einmal nicht haben.“

„Natürlich, das leuchtet ein,“ murmelte sie und faltete nervös die Hände. Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und dachte nach.

Egal wie unangenehm es auch werden mochte und wie sehr sie sich bereits jetzt ekelte, sie würde ohne irgendeinen Laut des Klagens mitgehen und ihre Pflicht erfüllen. Sie war viel zu stolz und pflichtbewusst, um eine Weigerung auszusprechen.

Sie spürte Ser Johns Blick auf sich ruhen und straffte schließlich wieder die Schultern. „Ich werde Euch begleiten. Sagt mir nur, wann Ihr aufzubrechen gedenkt.“

Für ihre Worte bekam sie ein dankbares Lächeln vom Hauptmann geschenkt. „Wunderbar. Am liebsten würde ich jetzt gleich gehen, damit wir diesen Gang hinter uns haben. Wäre Euch das recht?“

„Natürlich.“

„Gut, dann lasst und gleich aufbrechen.“ Er öffnete die Tür und ließ sie zuerst hinausgehen, ehe er ihr folgte.

„Wir müssen ins Dunkelgassenviertel. Dort befindet sich das Bestattungsinstitut von Mitternacht. Er hat uns schon oft bei unseren Ermittlungen in diversen Mordfällen der Vergangenheit geholfen, so dass ich ihn gut kenne. Ihr dürft Euch von seiner verschrobenen Art nicht einschüchtern lassen, man gewöhnt sich irgendwann daran.“ klärte er Rhynna auf, während sie das Kasernengebäude verließen und sich in die schmalen, verwinkelten Gassen des Dunkelgassenviertels begaben.
 

Schweigsam schritten sie immer tiefer in das Dunkelgassenviertel, welches seinem Namen alle Ehre machte. Es drang nur wenig Licht in die schmalen Straßen, so dass es selbst jetzt, am helllichten Tag einen ziemlich düsteren und trostlosen Eindruck machte.

Nur wenige Menschen waren in den engen Gassen unterwegs, aber die, welche sich im Freien aufhielten, warfen Rhynna und Ser John misstrauische Blicke zu. Offenbar verirrten sich die Gardisten der Löwenherzgarde nicht sehr oft in diesen Teil von Dalanis.

Rhynna war ziemlich unbehaglich zumute. Die stechenden Blicke der teilweise recht grimmig wirkenden Bewohner gefielen ihr ganz und gar nicht. Sie wollte lieber nicht wissen, was ihnen durch den Kopf ging, während sie ihnen hinterher starrten.

Sie war beinahe froh, als sie ihr Ziel endlich erreicht hatten.

Der Hauptmann marschierte schnurstracks zur Eingangstür, so als würde er jeden Tag einen Leichenbestatter aufsuchen.

Rhynna jedoch zögerte. Sie betrachtete das große Haus, vor dem eine Reihe von Särgen unterschiedlichster Größe und Machart aufgebaut waren. Es wirkte alles andere als einladend und wenn sie diesen Ort allein aufgesucht hätte, wäre sie wohl nicht hineingegangen, zu groß war das dumpfe Gefühl, dass sie nicht hier sein sollte.

Doch als Ser John ihr einen fragenden Blick zuwarf, straffte sie sich und eilte zu ihm. Ihr Herz klopfte laut und sie musste einmal tief durchatmen, um sich zu beruhigen, doch dann folgte sie dem Hauptmann ins Innere. Es hatte sie einiges an Überwindung gekostet, aber sie war nie feige gewesen und wollte nun keineswegs damit anfangen.

Sie kniff die Augen zusammen, um in dem schummrigen Licht, welches im Inneren des Bestattungsinstituts herrschte, etwas zu sehen.

Sie befanden sich in einem großen Raum, welcher durch einen dunkelblauen schwerem Vorhang in der Mitte in zwei Bereiche unterteilt war. Im vorderen Bereich, in dem sie sich aufhielten, standen hohe Regale, die mit alten Folianten, Pergamenten und etlichen Flaschen, Gläsern und Phiolen mit undefinierbarem Inhalt vollgestopft waren. In der Mitte befand sich ein großer Tisch, der voller geheimnisvoller Apparaturen stand und auf dem Werkzeuge lagen über dessen genaue Verwendung Rhynna lieber nicht genau Bescheid wissen wollte. An den steinernen Wänden spendeten vereinzelte Fackeln schwaches Licht. Ihr stetiges Flackern schuf eine recht unheimliche Atmosphäre und die sonderbaren Geräusche, die hinter dem Vorhang zu hören waren, trugen nicht gerade dazu bei, dass Rhynnas furchtsames Herz so schnell zu klopfen aufhörte.

Allerdings wirkte auch Ser John nicht mehr ganz so ruhig und selbstsicher wie zuvor. Verunsichert stand er einen Moment da, ehe er sich dann laut und vernehmlich räusperte.

Die Geräusche hinter dem Vorhang verstummten jäh, ein mattes Klirren war zu vernehmen, so als würde ein Gegenstand aus Metall beiseite gelegt. Rhynna zwang sich nicht darüber nachzudenken um was es sich dabei handeln konnte. Das war aller Wahrscheinlichkeit ohnehin nichts was man genauer wissen wollte.

Schließlich wurde der Vorhang beiseite geschoben und ein großer Mann kam dahinter hervor. Rhynnas Augen weiteten sich vor Erstaunen, als sie seine eher ungewöhnliche Erscheinung wahrnahm.

Er trug eine bodenlange Robe in tiefschwarz, welche über und über mit Juwelen und Bordüren in Mitternachtsblau besetzt war. Auf dem Kopf saß ein dunkelroter, nach oben hin spitz zulaufender Hut mit breiter Krempe, der die weit über die Schulter reichenden silbernen Haare des Mannes notdürftig bändigte.

Als er näher trat, sah sie, dass er für einen Mann ein recht fein geschnittenes Gesicht besaß. Der dünne Schnurrbart über seiner Oberlippe unterstrich den femininen Eindruck eher noch, statt das Gegenteil zu bewirken. Seine Augen waren von einem intensiven Dunkelgrau und blickten sie seltsam entrückt an, so als wäre er in Gedanken noch in einer anderen Welt.

Dann flackerte plötzlich Erkennen in seinem Blick auf und ein wissendes Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. „Ah, der Herr John Hoffmann! Seid willkommen! Ich habe Euch bereits erwartet.“

Lange schlanke Finger, an denen eingetrocknetes Blut klebte, kamen unter den weiten Ärmeln seiner Robe zum Vorschein, als er dem Hauptmann zur Begrüßung die Hand entgegenstreckte.

Rhynna verzog das Gesicht und auch Ser John macht keinen sonderlich begeisterten Eindruck, als er die dargebotene Hand ergriff und sie beflissen schüttelte.

Dann versuchte er mit dem ihm ganz eigenen Sinn für Humor die unangenehme Situation zu überspielen. „Und da heißt es doch immer der Besitzer des Bestattungsinstituts sei schwer beschäftigt und hätte keine Zeit. Wie kann es dann angehen, werter Mitternacht, dass Ihr immer ausgerechnet dann persönlich anzutreffen seid, wenn ich vorbei schaue?“ scherzte er.

In Mitternachts Augen trat ein beunruhigendes beinahe irres Funkeln. „Ihr seid es doch, der mir immer diese außergewöhnlichen Kunstwerke bringt, an denen ich so viel Freude habe. Für mich seid Ihr schon allein deshalb ein bedeutender Gast.“ Er lachte schallend, was Rhynna mit hochgezogener Augenbraue quittierte.

Ser John hatte sie bereits vorgewarnt, dass der Leichenbestatter einen verschrobenen Charakter besaß. Verschroben war jedoch viel zu harmlos um diesen Mann vor hier hinreichend zu beschreiben, dachte sie trocken. Ihr fielen da ganz andere Attribute ein, die weitaus treffender wären.

Als hätte er gespürt, dass sie über ihn nachdachte, fixierten die dunkelgrauen Augen nun sie. Prüfend musterte Mitternacht ihre Gestalt und ließ nicht im geringsten erkennen, was für eine Meinung er sich über sie gebildet hatte.

„Wer ist denn das hübsche Kind an Eurer Seite?“ fragte er nach einem Moment des Schweigens.

Bevor der Hauptmann jedoch antworten konnte, stellte Rhynna sich bereits selbst vor. „Mein Name ist Rhynna Harrowington. Ich begleite Ser John auf seinen Wunsch hin.“ Sie verneigte sich respektvoll vor dem Leichenbestatter. „Erfreut Eure Bekanntschaft zu machen,“ fügte sie dann höflich hinzu und erwiderte den prüfenden Blick ruhig.

Um Mitternachts Mundwinkel spielte ein leichtes Lächeln. Er machte jedoch keinerlei Anstalten die Begrüßung zu erwidern wie Rhynna ein wenig verstimmt feststellte. „So, so, Ihr begleitet den werten Hauptmann heute. Dürfte ich vielleicht erfahren aus welchem Grund?“ Sein Blick wanderte zu Ser John, der auf einmal einen recht betretenen Eindruck machte.

„Nun,“ begann er und rieb sich mit der rechten Hand verlegen den Nacken. „Ihr habt sicher schon bemerkt, dass Rhynna keine gewöhnliche Rekrutin der Garde ist, sondern zudem über die heilende Fähigkeiten einer Priesterin verfügt. Ich dachte, sie könnte eventuell auch noch einmal einen Blick auf die Leichname werfen. Eventuell könntet Ihr zwei Euch austauschen...“

Er verstummte jäh, als er bemerkte, dass Mitternachts Miene sich bei seinen Worten zunehmend verfinsterte.

„Eine Priesterin also, so, so.“ murmelte der Leichenbestatter und warf Rhynna einen Seitenblick zu, der deutlich machte, was er von dieser Tatsache hielt.

Rhynna entging die Feindseligkeit in seinem Blick keineswegs und sie meinte so etwas wie Abscheu herauszuhören, als er das Wort Priesterin aussprach. Ihre Wangen röteten sich und sie presste hastig die Lippen aufeinander, um nicht etwas so Törichtes zu tun wie ihn für seine offenkundige Ablehnung zu tadeln. Verbissen starrte sie ihn einfach nur an, die Arme vor der Brust verschränkt.

Der sonderbare Leichenbestatter musterte sie mit einem amüsierten kleinen Lächeln in den Mundwinkeln. „Ihr wirkt verstimmt, mein Kind. Dabei sollte Euch eigentlich bewusst sein, dass Eure Profession und die meine unterschiedlicher nicht sein könnten. Ihr lebt davon Leben zu bewahren und diejenigen zu retten, die ohne Eure Hilfe sterben würden. Ich wiederum lebe davon zu erforschen auf welche Art und Weise die Verblichenen zu Tode gekommen sind. Wir sind folglich wie das Licht und die Dunkelheit. Zwei Dinge, die zur gleichen Zeit nicht existieren können, Ihr versteht?“

Sie verstand in der Tat was er damit sagen wollte und erwiderte seinen intensiven Blick mit trotzig vorgeschobenem Kinn. Auch wenn er es nicht direkt ausgesprochen hatte, sie war hier unerwünscht und das konnte sie deutlich aus seiner Miene heraus lesen. Offensichtlich schätzte er es ganz und gar nicht, dass seine Arbeit angezweifelt wurde und als nichts anderes empfand er ihre Anwesenheit.

Rhynna wandte sich an Ser John, der Mitternachts Worten wortlos gelauscht hatte. „Ich denke es ist besser, wenn ich nun gehe. Ich möchte niemanden zur Last fallen...“

Sie hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da lachte Mitternacht laut auf. Indigniert drehte sie sich zu ihm um.

„Bleibt nur, wertes Kind. Ich denke es schadet nicht, wenn wir alle gemeinsam einen Blick auf das exquisite Kunstwerk werfen, wegen dessen Ihr beide hier seid. Ich kann Euch schließlich nicht unverrichteter Dinge gehen lassen, wo Ihr Euch doch die Mühe gemacht habt zu mir zu kommen.“ Er lächelte sie an und warf ihr wieder einen dieser sonderbaren Blicke zu, die ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagten.

Was für ein merkwürdiger Mann. Sie meinte einen gewissen ironischen Unterton aus seinen Worten heraus zu hören. Oder bildete sie sich das lediglich ein? Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen.

Der Hauptmann bemerkte die Spannungen, die in der Luft lagen und versuchte diese mit seiner gewohnt humorvollen Art zu überspielen. „Eine ausgezeichnete Idee! Ich kann es kaum erwarten Eure Erkenntnisse am Leichnam selbst präsentiert zu bekommen.“ Er setzte ein gewinnendes Lächeln auf. „Ihr habt doch gewiss schon etwas herausgefunden, nicht wahr? Ein Mann mit Euren Fähigkeiten!“

Mitternacht nickte erhaben und bedeutete ihnen mit einer ausladenden Bewegung seiner Hand ihm hinter den Vorhang zu folgen. „Selbstverständlich. Das Kunstwerk, welches Ihr mir vor einigen Tagen brachtet, ist wirklich erlesen. Ich vermochte mich die letzten beide Tage nicht davon zu trennen und habe jedes kleine Detail untersucht.“

Sie waren hinter den Vorhang getreten. „Vielleicht möchtet Ihr zuerst einen Blick darauf werfen, holde Priesterin?“ Seine grauen Augen funkelten sie wissend an. Offenbar rechnete er fest damit, dass sie jeden Moment angeekelt zurückweichen würde oder sich vor lauter Abscheu übergeben musste.

Rhynnas Magen drehte sich in der Tat um, bei dem Anblick der sich ihr bot. Doch entschlossen kämpfte sie gegen die aufsteigende Übelkeit an. Vor diesem Mann würde sie sich keine Blöße geben.

Vor ihnen auf einem hüfthohen schmalen Tisch lag der Leichnam eines Mannes mittleren Alters aufgebahrt. Die Haut hatte sich blau-gräulich verfärbt und der süßlich faulige Geruch des Todes wehte zu ihnen herüber. Der Verwesungsprozess hatte bereits begonnen, aber Rhynna sah auch, dass Mitternacht offenbar etwas verwendet hatte, um diesen zu verlangsamen und Insekten vom Körper des Toten fern zu halten.

Dafür war sie sehr dankbar. Es war schon schlimm genug einer Leiche so nahe zu sein.

Tapfer ging sie näher und versuchte zu erkennen woran der Mann gestorben war. Sein gesamter Körper war mit tiefen Schnitten übersät, doch merkwürdigerweise klebte dort kein eingetrocknetes Blut. Aber daran schien er ohnehin nicht gestorben zu sein.

Sämtliches Blut wich aus ihrem Gesicht, als sie den langen Schnitt sah, der von seiner Kehle bis zu seinem Nabel verlief und von jemanden notdürftig zusammen genäht worden war.

Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah sie Mitternacht an. „Ihr habt diesen Schnitt hier genäht, nicht wahr? Ist es das woran er gestorben ist?“

„Richtig erkannt. Man hat ihm anscheinend bei lebendigem Leib den Brustkorb geöffnet und sein Herz entfernt.“ Die Stimme des Leichenbestatters war so ruhig und gleichgültig, als würde er über das Wetter sprechen.

Ser John sog scharf die Luft ein. „Ist das Euer Ernst? Als wir ihn fanden, war nirgends Blut zu finden. Nicht einmal an seinen Kleidern! Wie kann das sein?“ Sein Gesicht war blass und offenbar hatte auch er ein wenig mit der Übelkeit zu kämpfen, doch er hielt sich wacker.

Mitternachts Lippen verzogen sich kurz zu einem bitteren Lächeln. „Grausam, nicht wahr? Aber für das fehlende Blut gibt es eine Erklärung. Ich habe Rückstände von einem merkwürdigen Trank in seinem Körper gefunden. Anscheinend bewirkt dieser Trank, dass der Blutfluss unterbunden wird. Und wenn ich das anmerken darf, er war nicht der einzige, der auf diese Art und Weise sein Leben verlor. Bei den anderen getöteten Vagabunden war es ähnlich. Irgendetwas in Dalanis geht vor, seid Euch dessen bewusst.“

Rhynna schluckte. Wie furchtbar! Wer war so grausam und ließ einem Menschen bei lebendigem Leib das Herz herausreißen? Sie mochte sich so viel Brutalität nicht genauer ausmalen. Es war zu schrecklich. Sie mussten etwas unternehmen.
 

Ser John holte einmal tief Luft, ehe er wieder sprechen konnte. „Habt Ihr sonst noch etwas herausfinden können?“

„In der Tat. Hier seht.“ Mitternacht ergriff eine Hand des Toten und drehte sie vorsichtig um. „An seinen Fingernägeln habe ich Rückstände von feinstem Leder gefunden. Und wenn Ihr genauer hinschaut, erkennt Ihr die ungewöhnlichen Risse, von denen sie verunstaltet werden. Zudem verströmen seine Finger immer noch einen leicht metallischen Geruch, wie er nur von Goldmünzen stammen kann. Aufgrund dieser Indizien gehe ich davon aus, dass er bei seinem letzten Atemzug etwas Ledernes mit aller Kraft festgehalten hat. Er wollte unter keinen Umständen, dass es ihm weg genommen wird. Dabei kann es sich eigentlich nur um einen Lederbeutel voller Goldmünzen gehandelt haben.“

Ser John hob verwundert eine Braue. „Goldmünzen? Wirklich äußerst interessant,“ murmelte er. „Wie kommt es wohl, dass ein gewöhnlicher Vagabund dermaßen viel Gold sein eigen nennt?“

Gleichgültig zuckte Mitternacht mit den Achseln. „Dafür mag es vielerlei Gründe geben, doch bedauerlicherweise werden wir nie erfahren welcher nun der richtige ist.“

„Was ist mit dem Gold? Ist es gestohlen worden? Oder habt Ihr es bei dem Leichnam sicherstellen können?“ erkundigte Rhynna sich bei Ser John.

Sie musste dem Leichenbestatter zustimmen. Die Umstände sprachen dafür, dass dieser heimatlose Mann eine Menge Gold mit sich herumgetragen hatte. Und das musste irgendwo geblieben sein, Wenn es nicht bei der Leiche gewesen war, als man diese fand, war Diebstahl am wahrscheinlichsten. Aber die Brutalität mit welcher dieser bedauernswerte Mensch umgebracht worden war, ging weit über bloßen Raubmord hinaus.

„Wir haben nichts bei der Leiche gefunden, was darauf schließen lässt, dass er Gold bei sich hatte.“

Rhynna überlegte. „Wo habt Ihr denn die Leichen bisher gefunden?“ wollte sie nach einem Moment des Schweigens wissen.

Ein Anflug von Neugierde huschte über Mitternachts fein geschnittene Gesichtszüge und mit neu erwachtem Interesse musterte er sie, wie sie nebenbei bemerkte. Doch ihre gesamte Aufmerksamkeit galt jetzt dem Hauptmann, der sie zwar fragend ansah, jedoch prompt antwortete. „Dies ist der dritte Tote in Folge. Seinen Leichnam und die der anderen haben wir in der Unterstadt gefunden. Die Fundorte der Leichen lagen relativ dicht beieinander, fällt mir da ein. Das ist sicherlich von Relevanz für unsere Ermittlungen.“ Fragend blickte er von Rhynna zu Mitternacht.

Rhynna nagte derweil nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum.

Sie zögerte einen Moment, weil sie nicht sicher war, ob ihre Idee nicht völlig aus der Luft gegriffen war, doch dann sprudelten die Worte aus ihr hervor. „Könnte es eventuell sein, dass die Fundorte nicht mit dem tatsächlichen Ort des Todes übereinstimmen?“ Sie erntete einen verwirrten Blick von Ser John und bemerkte wie das interessierte Funkeln in Mitternachts Augen noch heller zu strahlen begann. „Ich meine, da die Opfer durch das vorherige Verabreichen dieses Trankes nicht bluten konnten, ist es doch nicht unwahrscheinlich, dass ihre Leichen erst im Nachhinein an den jeweiligen Fundort gebracht wurden.“

Sie wandte sich direkt an den Leichenbestatter und sah ihn eindringlich an. „Habt Ihr bei Euren Untersuchungen irgendetwas gefunden, was meine Theorie unterstützt?“

Einige Sekunden verstrichen, in denen sie sich einfach nur ansahen.

Rhynna wartete gespannt auf seine Antwort. Würde er es Ihnen mitteilen, wenn es so wäre, wie sie vermutete? Oder würde seine scheinbare Antipathie ihr gegenüber und allem wofür sie stand ihn dazu veranlassen etwaige Erkenntnisse zu verleugnen?

Dann lächelte er sie beinahe schon anerkennend an. „Nicht schlecht, meine Liebe. Es ist in der Tat so, dass ich an den Schuhen des Toten Rückstände eines ganz besonderen Schlammes gefunden habe. Er muss sich zum Todeszeitpunkt in der Kanalisation von Dalanis aufgehalten haben. Anders kann ich mir diese Spuren nämlich nicht erklären, denn nur dort findet man Schlamm von derartiger Zusammensetzung. “

Ser John seufzte schicksalsergeben. „Nun gut. Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als uns die Kanalisation einmal näher anzusehen.“

Er verneigte sich respektvoll vor Mitternacht. „Dann bedanke ich mich im Namen des Königs und der gesamten Löwenherzgarde für Eure Hilfe. Seid versichert, dass jedes Zusammentreffen mit Euch wahrlich sehr interessant ist.“

Der Leichenbestatter lächelte. „Ihr könnt jederzeit wiederkommen, Herr Hoffmann. Ihr bringt immer so seltene und exquisite Kunstwerke mit, da ist es eine wahre Freude seiner täglichen Arbeit nachzugehen. Darüber hinaus verströmt Ihr den Geruch des Todes, welchen ich schon von weitem riechen kann.“ Er schnupperte anerkennend in die Richtung des Hauptmannes.

Ser John lachte schallend. „Der Geruch des Todes, hört, hört! Solch Lob aus dem Munde eines Mannes, dem Leichen so geläufig sind. Ich fühle mich geschmeichelt.“ Er zwinkerte Rhynna verschmitzt zu, ehe er sich zum Gehen wenden wollte.

Doch Mitternacht hielt ihn zurück. „Wartet bitte.“

Der Hauptmann drehte sich zu ihm um. „Ja?“

Er erfuhr nie, was der Leichenbestatter ihm ursprünglich sagen wollte. Hinten ihnen erklang die sanfte melodische Stimme eines Mannes, die Rhynna wohl vertraut war.

Fassungslos drehte sie sich um.

Morgensterns Prophezeihung

Rhynnas Herz raste und ihre Gedanken überschlugen sich. Sie starrte den Fremden mit großen Augen an und hörte kaum was er sagte. Dafür war sie einfach zu überrascht.

Sie fühlte sich jäh in vergangene Zeiten zurückversetzt, als sie mit Monchie, Pen, Baumgard und den anderen von einem Abenteuer ins nächste gestolpert war.

Tausend Erinnerungen überfluteten sie, kleine Episoden längst verstrichener Erlebnisse blitzten vor ihrem inneren Auge auf, lösten sich im Sekundentakt gegenseitig ab.

Und da war er.

Der geheimnisvolle Fremde.

In Zeiten großer Not war er ihr stets als Vision im Traum erschienen, hatte ihr neuen Mut gespendet und einen Ausweg aus der jeweiligen Misere aufgezeigt. Ohne ihn stünde sie nun nicht hier.

Das sie ihn jemals kennenlernen würde, hatte sie nicht erwartet. Zu sehr hatte sie sich an ihn als körperloses Wesen gewöhnt, welches nur in ihren Gedanken zu existieren schien.

Doch nun stand er leibhaftig vor ihr.

Sie versuchte sich zu beruhigen und verscheuchte eilig alle Gedanken an die Vergangenheit. Dann konzentrierte sie sich auf das Gespräch.

„Ihr solltet nicht überstürzt handeln, guter Freund,“ meinte der mysteriöse Fremde gerade zu Mitternacht. „Lasst Euch nicht von Euren Vorurteilen leiten, sondern macht Euch ein eigenes Bild von ihr und ihren Fähigkeiten.“

Moment einmal, er sprach über sie!

Rhynna stutzte und hörte gebannt zu.

„Ich habe ein Strahlen gesehen, welches in der aufkommenden Dunkelheit zu erlischen drohte. Doch es erlosch nicht, gleich wie sehr es auch flackern mochte. Ich denke sie ist dieses Strahlen.“

Die Blicke der drei Männer wanderten augenblicklich zu Rhynna, deren Wangen sofort von einer feinen Röte überzogen wurden. Ser John sah recht verwundert aus, in Mitternachts Augen spiegelte sich Neugierde und der Fremde hatte ein wissendes Funkeln im Blick. Ihr war sehr unbehaglich zumute unter der immensen Intensität dieser Blicke.

Ein Strahlen in der Dunkelheit... Und er glaubte, dass könnte sie sein? Sie hegte da so ihre Zweifel.

Schließlich räusperte Ser John sich vernehmlich. „Nun, ich denke, dann gehen wir jetzt besser, werter Mitternacht, damit Ihr Euch mit Eurem... Freund austauschen könnt. Offenbar gibt es eine Menge zu erzählen und da wollen wir gewiss nicht stören. Habt Dank, dass Ihr Euch so rasch der Angelegenheit habt annehmen können.“

Mitternacht neigte leicht den Kopf. „Jederzeit wieder, Herr Hauptmann. Ihr wisst, dass Ihr und Eure Kunstwerke gern gesehene Gäste in meinem Hause sind. Allerdings würden mein Freund und ich gerne noch mit unserer Priesterin hier ein paar Worte wechseln, wenn Ihr gestattet.“

Ser John hob irritiert eine Augenbraue ob dieser Bitte, Rhynna jedoch kam es sehr gelegen. Sie brannte darauf zu erfahren wer dieser Fremde war und was er genau mit seinen Worten sagen wollte.

„Selbstverständlich gestatte ich es,“ sagte der Hauptmann schließlich. Er wandte sich an Rhynna. „Trefft mich in der Kaserne, wenn Ihr hier fertig seid, damit wir das weitere Vorgehen in dieser Angelegenheit besprechen können.“

Sie nickte. „Natürlich.“

Er brummte zufrieden, ehe er sich umdrehte und das Bestattungsinstitut verließ.

Kaum war er zur Tür hinaus, fragte Rhynna: „Wer bei Ayvenas seid Ihr?“ Der Blick ihrer grünen Augen fixierte den Fremden voller Neugierde und ungeduldig wartete sie auf seine Antwort.

Im Übrigen sah er noch genauso aus wie in ihren Visionen: Das Gesicht verdeckt von einer fein gearbeiteten weißen Maske, die langen silberblonden Haare zurück gebunden, stand er in seiner hellgrauen Robe da und musterte sie mit einem kleinen amüsierten Lächeln.

„Ihr habt mich also erkannt. Das ist gut. Ihr könnt mich Morgenstern nennen, wenn Ihr mögt, denn unter diesem Namen kennt man mich hier.“

Zaghaft lächelte sie ihn an. „Schön Euch nach all dieser Zeit endlich einen Namen geben zu können,“ sagte sie dann. „Ich weiß nicht was ich ohne Eure Hilfe getan hätte. Wenn Ihr nicht gewesen wärt, dann...“

Mit einer beschwörenden Geste seiner Hände unterbrach Morgenstern sie. „Bitte, dankt mir nicht. Ich fürchte es war nicht ganz uneigennützig, dass ich Euch bei Euren früheren Abenteuern mental beistand.“

Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Wie meint Ihr das?“

Nun mischte Mitternacht sich ein. „Er will damit sagen, dass Er Euch geholfen hat, weil er damals schon wusste welch wichtige Rolle Ihr für noch kommende Ereignisse spielen werdet.“

Morgenstern lächelte. „So ist es. Euch ist großes vorher bestimmt, Rhynna, da bin ich mir sicher. Vertraut auf Euch und Eure Fähigkeiten, dann werdet Ihr die immer mächtig werdende Dunkelheit besiegen.“

Ihr Blick war voller Zweifel, als sie sich bemühte in den Tiefen seiner Augen zu lesen, welche im Schatten der Maske leicht verborgen waren. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Was macht Euch so sicher? Woher nehmt Ihr diese Gewissheit? Ich bin nur eine gewöhnliche Priesterin, auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit. Da ist absolut nichts Heroisches an mir. Ihr müsst Euch irren!“

„Auch wenn Ihr es nicht glauben könnt, so ist es doch nicht weniger wahr. Habt mehr Vertrauen in Euch. Ihr werdet es eines Tages verstehen und sehen, dass ich die Wahrheit spreche.“

Rhynna wollte ihm erneut widersprechen, doch dazu kam sie nicht.

Erneut vernahm sie eine Stimme, die ihr nur zu gut bekannt war.
 

„Hallo? Ist da wer?“

Dieser melodische, glockenhelle Klang... Rhynna kannte nur eine Person, die sich so lieblich anhörte, wenn sie sprach.

Als dann auch noch ein Kopf mit langen schwarzen Haaren, geschmückt von einem Kranz aus Blättern und Blüten hinter dem Vorhang hervorlugte, gab es nicht mehr den geringsten Zweifel.

Mit einem freudigen Aufschrei stürzte Rhynna zu der hochgewachsenen Elfe, die zum Vorschein kam. „Evaline!“ rief sie.

Über die ebenen Gesichtszüge der schönen Elfe huschte ein überraschter Ausdruck ehe ein helles Lächeln diesen verdrängte. „Rhynna! Was machst du denn hier?“

Lachend lagen sich die beiden Freundinnen in den Armen, die Umgebung um sich herum völlig vergessend. Zu groß war die Freude über ihr unerwartetes Wiedersehen.

Rhynna schmunzelte. „Dasselbe könnte ich dich fragen. Ich dachte du hilfst diesem Morrok Wallinder bei seinem Problem?“

„Das tut sie auch,“ ertönte da auf einmal eine tiefe Stimme von hinten.

Erschrocken löste sich Rhynna aus der Umarmung und blickte hoch in das halb im Schatten einer Kapuze liegende Gesicht eines großen Mannes. Er war breitschultrig und recht kräftig gebaut ohne jedoch stämmig zu wirken. Seine Kleidung war schlicht und pragmatisch. Das einzig ungewöhnliche an ihm war das weiße Fell, welches wie ein Umhang über seinen Rücken fiel.

„Ah, Morrok Wallinder, mein Freund!“ begrüßte Mitternacht den neuen Gast lächelnd. „Habt Ihr alles mitgebracht worum ich Euch gebeten habe?“ In seinen Augen stand wieder dieses beinahe wahnsinnige Funkeln, welches Rhynna einen Schauer über den Rücken jagte.

„Euer Assistent hat es bereits in Empfang genommen.“ Morroks Stimme war ruhig, fast monoton und er beobachtete Rhynna die ganze Zeit, während er sprach.

Wortlos erwiderte sie seinen Blick. Er hatte irgendetwas sehr Merkwürdiges an sich, doch sie konnte nicht genau benennen was es war, das ihn so anders wirken ließ.

Mitternacht rieb sich erfreut die Hände. „Ausgezeichnet! Ihr erstaunt mich immer wieder aufs Neue, werter Freund!“ Ein listiges Lächeln erschien um seine Mundwinkel. „Konntet Ihr mir denn auch die andere Ingredienz beschaffen?“

Morrok nickte knapp.

Evaline verzog das Gesicht und holte behutsam ein bauchiges Gefäß aus ihrer Tasche. In der öligen Flüssigkeit schwamm eine tote Ratte wie Rhynna angeekelt feststellte.

Die Elfe überreichte Mitternacht eilig das Gefäß mit seinem makabren Inhalt. Verzückt starrte der Leichenbestatter den leblosen Körper der Ratte an und fuhr mit seinen Fingerspitzen beinahe schon liebkosend über das Glas.

„Welch Perfektion,“ murmelte er gebannt. Ohne seine neueste Errungenschaft aus den Augen zu lassen, bedeutete er Morrok ihm zu folgen.

Die beiden verschwanden durch eine Tür nach hinten.

Morgenstern, der alles still beobachtet hatte, räusperte sich und meinte dann zu den beiden Frauen. „Ihr müsst mich nun leider auch entschuldigen. Ich habe noch zu tun. Doch ich bin mir sicher, dass wir uns schon recht bald wiedersehen werden.“

Er verneigte sich leicht vor ihnen, ehe er Rhynna noch einen wissenden Blick zuwarf. „Denkt darüber nach was ich Euch gesagt habe.“

Rhynna nickte ihm zu. „Das werde ich,“ versprach sie.

Mit einem zufriedenen Lächeln drehte er sich um und verließ das Bestattungsinstitut.

Kaum war die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen, wandte Evaline sich an ihre Freundin. „Rhynna, ich weiß zwar nicht wie du das angestellt hast, aber du scheinst ein weiteres Mal teil eines gewaltigen Abenteuers zu sein.“ Die violetten Augen der Elfe fixierten sie mit einem schelmischen Funkeln. „Wie machst du das nur immer?“

Verdutzt betrachtete Rhynna ihre Freundin. Glaubte diese wirklich, dass sie in ein umfassendes Abenteuer verstrickt war? Dabei war es doch die Elfe, die mit Morrok Wallinder, einem mehr als mysteriösen Mann, durch die Gegend zog!

Sie schüttelte den Kopf. „Du irrst dich, Evaline. Ich gehe nur meiner Arbeit als Mitglied der Löwenherzgarde nach. Das ist alles. Wenn hier jemand drauf und dran ist ein Abenteuer zu erleben, dann wohl eher du. Ich meine, in Öl ertränkte Ratten, ich bitte dich!“

Gekonnt ignorierte die Elfe diesen Einwurf. „Ach? Und dieser sonderbare Mann mit der Maske? Er hat dir eine Botschaft mit auf den Weg gegeben oder täusche ich mich da?“

Prüfend mustere Evaline ihre Freundin.

Rhynna rang unter ihrem durchdringenden Blick nervös die Hände. „Ja, schon. Und dennoch glaube ich, dass das nichts weiter zu bedeuten hat. Er muss sich irren.“

„Blödsinn!“ schnaubte die Elfe wenig damenhaft. „Er sah mir nicht so aus wie jemand, der umher läuft und einem Dinge weismachen will, die nicht der Wahrheit entsprechen.“

„Wenn du meinst,“ murmelte Rhynna, immer noch nicht bereit, das alles so hinzunehmen, was Morgenstern ihr gesagt hatte. Es war einfach zu absurd.

Schwungvoll warf Evaline ihre langen Haare zurück. „Ja, das meine ich. Oh, ich wusste schon immer, dass dir Großes beschieden sein wird!“

Rhynnas Wangen färbten sich rot. „Jetzt fang du nicht auch damit an.“

„Dann eben nicht.“ Evaline zog einen kleinen Schmollmund, was Rhynna zum Lachen brachte. Zufrieden damit, dass es ihr gelungen war die Freundin zu erheitern, setzte sie die Unterhaltung fort. „Jetzt musst du mir aber erzählen, wie es kommt, dass du bei der Löwenherzgarde bist. Ich dachte da können nur Ritter hin?“

Und so erzählte Rhynna ihr alles von Anfang an und auch Evaline berichtet von den Geschehnissen, die sich seit ihrem letzten Treffen ereignet hatten.

Als Mitternacht und Morrok von hinten zurückkamen und Morrok verdeutlichte, dass sie nun weiter mussten, verabschiedeten sich die beiden Freundinnen voneinander und versprachen sich, sich bald wieder zu treffen.

Nachdem sie auch Mitternacht Lebewohl gesagt hatte, begab Rhynna sich direkt zu John Hoffman, um das weitere Vorgehen mit ihm zu besprechen.

Toni

Callaway Kalume blickte sich immer wieder aufmerksam um, während er lautlos durch die dunklen Gassen von Dalanis schlich.

Niemand durfte merken, dass er sich erneut aus dem Palast gestohlen hatte. Man hielt ihn ohnehin schon für den unfähigsten König, der je auf dem Thron gesessen hatte, da durfte er den Klatschbasen nicht noch mehr Nahrung für ihre unverschämten Halbwahrheiten liefern.

Das Risiko von jemanden gesehen und eventuell erkannt zu werden, bestand allerdings immer, weshalb er wieder einmal inkognito unterwegs war. Er hatte seine sonst so prunkvollen Gewänder gegen schlichte dunkle Kleidungsstücke eingetauscht, die halb verborgen unter einem einfachen Umhang waren, genau wie das Schwert, welches er sich vorsorglich umgegürtet hatte.

Seine schulterlangen rotbraunen Haare, die er sonst immer offen trug, hatte er mit einem dunkelblauen Band aus Samt zurück gebunden, die einzige Dekadenz, die er sich bei seinem äußeren Erscheinungsbild erlaubte.

Jemand der dem König noch nie begegnet war, würde ihn in dieser Aufmachung nicht erkennen. Vor allem nicht, da er unter anderem Namen auftrat und sich schlicht und ergreifend Toni nannte.

Es mochte merkwürdig erscheinen, dass er sich als Herrscher klammheimlich aus seinem eigenen Palast schlich, doch er hatte seine Gründe dafür und die konnte er niemanden offenbaren. Keiner würde verstehen, dass er auf der Suche nach sich selbst war, um der König zu werden, den sein Volk verdiente.

Er wusste nur zu gut, dass er mit seinen achtundzwanzig Lenzen noch viel lernen musste, was das Herrschen anging. In vielen Belangen war er zu unbedacht und ungestüm, wollte zu viel in zu kurzer Zeit ohne an die möglichen Konsequenzen zu denken.

Das musste sich ändern.

Sonst würde er zwangsläufig versagen und das würde seinen Feinden direkt in die Hände spielen. Wer auch immer diese waren, sie durften nicht die Kontrolle gewinnen, sonst war Zandorya dem Untergang geweiht.

Er schnaubte wütend bei dem Gedanken daran und bog schwungvoll um die nächste Ecke. Er würde schon noch herausfinden, wer seinen Vater hatte umbringen lassen und nun alles tat um ihn zu sabotieren. Gleich wie lange es dauern mochte, eines Tages würde er wissen wer hinter all dem Übel steckte und dann würde er denjenigen seiner gerechten Strafe zukommen lassen.

Es war nur eine Frage der Zeit.

Er befand sich nun tief in den heruntergekommenen Randbezirken von Dalanis. Langsam schritt er die halb verfallenen Stufen hinunter, die zum Eingang der Kanalisation, seinem Ziel, führten.

Er rümpfte angewidert die Nase, als ihm die vielfältigen üblen Gerüche entgegen schlugen, doch er musste dort hinunter, wenn er herausfinden wollte wer für die grausame Ermordungen der letzten Zeit verantwortlich war.

Entschlossen zwängte er sich durch die schmale Öffnung und bahnte sich vorsichtig einen Weg nach unten.

Eine Ratte quietschte empört auf, als er ihr auf den Schwanz trat und schnappte nach seinem Stiefel. Fluchend sprang er einen Schritt zurück und blieb mit dem linken Arm an etwas Klebrigen hängen. Als er mit der rechten Hand danach griff und versuchte sich zu befreien, vernahm er ein unheilvolles Klicken, welches ihn augenblicklich in Alarmbereitschaft versetzte.

Mit einem Ruck kam er frei und zog sein Schwert. In dem fahlen Licht, welches hier unten herrschte konnte er den massigen Leib einer besonders großen Kanalspinne ausmachen, welche kaum zehn Schritte von ihm entfernt stand und geifernd ihre Beißwerkzeuge klackern ließ.

Sein Verstand arbeitete fieberhaft und er überlegte wie er gegen diese Kreatur vorgehen sollte. Er war zwar ein ganz passabler Schwertkämpfer, aber gegen ein echtes Monster hatte er nie zuvor kämpfen müssen. Schon gar nicht auf Leben und Tod.

Während er in Angriffsstellung ging, schoss plötzlicher ein heller Strahl gleißenden Lichts aus der Dunkelheit hervor und traf die gigantische Spinne mit voller Wucht. Das große Insekt ließ einen markerschütternden Schrei ertönen, ehe es qualmend zu Boden sank.

Toni schirmte seine Augen gegen das grelle Licht ab und blinzelte verwirrt. Er ließ das Schwert wieder sinken, als sich eine schmale Gestalt aus den Schatten hinter den Überresten des Ungetüms löste.

Im schwachen Leuchten einer blau rotierenden Kugel eines Zauberstabs erkannte er eine junge Frau, die ihn neugierig musterte. Sie trug eine einfach geschnittene Kurzrobe über einer schlichten Hose. Abgerundet wurde ihre Erscheinung von einem Umhang, der über ihren Rücken fiel, und schwarzen hohen Stiefeln, welche ihr bis an die Knie reichten.

Irritiert starrte er sie an. Was machte sie zu dieser späten Stunde hier unten so ganz allein? Dies war ein gefährlicher Ort wie er eben eindrucksvoll bewiesen bekommen hatte. Eine Frau wie sie sollte nicht schutzlos hier umher irren.

Er wartete darauf, dass sie etwas sagte, doch fürs erste schwieg sie und sah ihn einfach nur an. Irgendetwas in ihren Augen fesselte ihn und machte es ihm unmöglich wegzuschauen. Zu seinem Bedauern konnte er nicht erkennen von welcher Farbe sie waren, dazu war es hier unten einfach zu schummrig.

Wer mochte sie sein? Er hatte sie noch nie zuvor gesehen. An jemanden wie sie hätte er sich gewiss erinnert.

Der Moment des gebannten Innehaltens verflog schneller als ihm lieb war. Die Fremde senkte den Blick und verstaute ihren Stab auf dem Rücken.

„Gern geschehen,“ meinte sie dann trocken und warf ihm einen herausfordernden Blick zu.

Augenblicklich überzog eine feine Röte sein Gesicht und er war froh, dass sie das in dem herrschenden Dämmerlicht nicht sehen konnte.

Wie überaus unhöflich von ihm. Da hatte sie ihm allem Anschein nach soeben das Leben gerettet und anstatt ihr dafür zu danken, starrte er sie einfach nur wortlos an wie irgend so ein Dämlack.

„Verzeiht mein Versäumnis mich bei Euch für die willkommene Hilfe zu bedanken,“ entschuldigte er sich schließlich. „Ich war überrascht hier unten jemand anderem zu begegnen.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an, die sie mit einem kleinen Lächeln quittierte.

„Lasst nur, ich bin mir sicher in diese Gefilde verschlägt es nicht allzu oft jemanden. Zumindest nicht freiwillig.“ Sie rümpfte ihre Nase, wie um deutlich zu machen, dass es dafür auch gute Gründe gab. „Das wiederrum führt mich allerdings zu der Frage wer Ihr seid und was Ihr hier tut.“

Sie hob fragend eine ihrer fein geschwungenen Augenbrauen. Ihre Augen hielten seinen Blick fest und forderten ihn zu einer Erklärung heraus.

Toni fand ihr Gebaren im ersten Moment ziemlich unverschämt und wollte ihr schon eine seiner üblichen arroganten Antworten geben, als er etwas bemerkte, was ihm zuvor entgangen war. Der Umhang, welcher ihre Schultern zierte, wies sie als Mitglied der königlichen Löwenherzgarde aus!

Ihm stockte der Atem bei dieser Erkenntnis.

Welch Glück, dass sie ihn nicht zu erkennen schien, ansonsten wäre er in großer Erklärungsnot gewesen.

Er verkniff sich seine ursprüngliche Erwiderung und meinte nur: „Man nennt mich Toni. Ich... ich bin ein Vagabund auf der Suche nach Antworten.“

Ein interessierter Ausdruck huschte über ihre hübschen Gesichtszüge ehe sie das Wort wieder an ihn richtete: „Ihr solltet nicht allein hier unten umherstreifen. Es geht ein Mörder um, der offenbar Jagd auf die Heimatlosen dieser Stadt macht und sie auf brutalste Art und Weise aus dem Leben reißt. Also passt auf Euch auf, hört Ihr?“

Seine linke Augenbraue schnellte jäh in die Höhe.

Interessant. Das konnte nur bedeuten, dass John Hoffman sie in die Ermittlungen rund um die mysteriösen Todesfälle miteinbezogen hatte.

Das erschien ihm recht ungewöhnlich, da sie noch nicht lange bei der Garde sein konnte, denn sonst würde er sie kennen.

Wer mochte sie nur sein?

Das Verlangen eine Antwort auf diese Frage zu erhalten wurde immer stärker. Irgendwie musste er ihren Namen in Erfahrung bringen. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Er räusperte sich. „Ich habe davon gehört. Sorgt Euch nicht, ich bin nicht so allein und wehrlos wie ich vielleicht im Moment erscheinen mag.“

Wieder dieser fragende Blick aus ihren unbeschreiblichen Augen, deren Farbe er immer noch nicht zu benennen vermochte.

Schließlich nickte sie. „Nun gut, wie Ihr meint, Toni. Dann gehabt Euch wohl und lasst Euch nicht von den Kanalspinnen fressen.“

Sie schenkte ihm ein letztes verschmitztes Lächeln, ehe sie auf dem Absatz kehrtmachte und in der Dunkelheit verschwand, bevor er sie daran hindern konnte.

Lange Zeit starrte er ihr nach. Sie war eine außergewöhnliche Frau, soviel stand fest. Er zweifelte nicht daran, dass er ihr wieder begegnen würde und er freute sich bereits jetzt darauf.

Als ihn plötzlich eine ihm wohlbekannte Stimme ansprach, zuckte er unwillkürlich vor Schreck zusammen. „Überaus interessant wie sich das Schicksal manchmal fügt, findet Ihr nicht, Eure Majestät?“

„Morgenstern! Müsst Ihr Euch immer so an mich heranschleichen? Ihr wisst, dass ich das nicht leiden kann,“ tadelte er den Maskierten, der wie ein Geist neben ihm aufgetaucht war. „Außerdem verstehe ich einmal wieder kein Wort von dem, was Ihr da sprecht. Was genau meint Ihr?“

Morgenstern lächelte leicht über den Unmut des Königs und meinte nur: „Ich gehe richtig in der Annahme, dass Ihr soeben die Bekanntschaft einer sehr beeindruckenden jungen Dame gemacht habt, nicht wahr?“

Toni musterte den maskierten Mann neben ihm mit zusammen gekniffenen Augen. „Ihr kennt sie? Verratet mir ihren Namen! Ich bitte Euch.“

„Euer Hoheit, Ihr solltet nicht so ungeduldig sein. Ihr werdet bald erfahren wer sie ist und welche Rolle das Schicksal ihr zugedacht hat. Habt einfach etwas Geduld.“

Toni seufzte resigniert. Er wusste, dass es wenig Sinn hatte Morgenstern weiter auszufragen, wenn er solch ausweichende Antworten gab, Er war bedauerlicherweise nicht gewillt ihm zu verraten wer die Unbekannte gewesen war. Nun war er dazu gezwungen abzuwarten, was ihm alles andere als behagte, hasste er es doch zu warten.

„Kommt mit und lasst uns tun weshalb wir hier hergekommen sind. Oder wollt Ihr hier länger verharren als unbedingt notwendig?“ Fragend blickte Morgenstern ihn durch die Schlitze in seiner Maske an.

Toni schüttelte den Kopf. „Gewiss nicht. Geht bitte voran.“

Die beiden setzten den Weg gemeinsam fort, um ihre eigenen Nachforschungen bezüglich der Mordfälle in der Kanalisation anzustellen.
 

Am nächsten Morgen fiel es Rhynna schwer aufzustehen. Sie war bis in die frühen Morgenstunden in der Kanalisation unterwegs gewesen und hatte nach Hinweisen gesucht, die Aufschluss über den Mörder gaben. Doch außer den Habseligkeiten des zuletzt getöteten Vagabunden hatte sie nichts gefunden.

Verschlafen blinzelte sie in das grelle Sonnenlicht, welches seine Strahlen durch ihr kleines Fenster sandte. Wie schön wäre es jetzt einfach im Bett liegen zu bleiben und in einen leichten Schlummer zurück zu fallen. Einfach mal die Welt da draußen und all ihre Probleme in den dunklen Tiefen des Schlafes vergessen.

Doch dazu war sie einfach zu pflichtbewusst.

Sie unterdrückte ein Gähnen, ehe sie sich vorsichtig aufrichtete.

Es dauerte einen Moment, doch dann erhob sie sich und tapste barfuß zu der Waschschüssel, welche auf der Kommode stand. Sie goss etwas kaltes Wasser aus dem bereit stehenden Krug in die Schüssel, tauchte dann ihre Hände in das kühle Nass und warf es sich ins Gesicht.

Diesen Vorgang wiederholte sie ein paar Mal bis sie sich einigermaßen erfrischt fühlte. Dann wusch sie ihren restlichen Körper wie sie es jeden Morgen tat.

Während sie ihre Kleidung über der schlichten weißen Baumwollunterwäsche anlegte, kam ihr der Vagabund namens Toni wieder in den Sinn, den sie in der vergangenen Nacht unverhofft kennengelernt hatte.

Irgendetwas an ihm war merkwürdig gewesen, doch sie konnte nicht genau benennen was es war, dass ihn so anders erscheinen ließ. In dem spärlichen Licht hatte sie gesehen, dass er ein sehr ansehnlicher Mann war, mit beinahe schon edlen Gesichtszügen, aber das allein war es nicht was sie sofort in seinen Bann gezogen hatte.

Sie hegte die Vermutung, dass er mehr war, als er zu sein vorgab. Dieser Schluss lag nahe, denn seine gewählte Ausdrucksweise hatte nicht so recht zu seinem einfachen Auftreten passen wollen.

Doch wer mochte er dann sein?

Und wieso hielt er es für notwendig sich unerkannt in die Kanalisation zu begeben um eigene Nachforschungen anzustellen?

Sie nagte nachdenklich an ihrer Unterlippe herum, während sie darüber sinnierte. Dann seufzte sie, band ihre Haare zu ihrem üblichen Zopf zurück und schob jeglichen Gedanken an den mysteriösen Toni beiseite.

Entschlossen machte sie sich auf zu John Hoffman um ihn über die spärlichen Ergebnisse ihrer Ermittlungen zu informieren.

Er war sicherlich nicht erfreut darüber, dass sie so wenig vorzuweisen hatte.
 

Hauptmann John raufte sich die Haare, als Rhynna mit ihrem Bericht geendet hatte. Mit einem recht ratlosen Gesichtsausdruck starrte er auf das Bündel des verstorbenen Vagabunden, welches sie tief unten in der Kanalisation gefunden hatte.

„Sonst war da wirklich nichts, was uns irgendwie auf die Spur des Täters bringen könnte?“ Fragend schaute er sie an.

Einen kurzen Moment lang erwog Rhynna ihm von Toni zu erzählen, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, rein gar nichts. Tut mir leid.“ Sie hatte das leise Gefühl, es wäre das Richtige ihm nichts von der sonderbaren Begegnung zu verraten und so schwieg sie diesbezüglich und setzte eine bedauernde Miene auf.

„Verdammt.“ Der Hauptmann fluchte leise und begann unruhig auf- und abzugehen.

Mit hochgezogener Augenbraue betrachtete Rhynna ihn. Er verhielt sich schon die ganze Zeit reichlich untypisch. Bisher war noch kein humorvoller Spruch über seine Lippen gekommen und für sein übliches Grinsen, war er heute viel zu ernst.

Da war noch mehr, was ihn bedrückte, das war deutlich zu sehen.

„Gibt es ein Problem?“ wollte sie schließlich vorsichtig wissen.

Ser John blieb stehen und stütze seine Hände auf dem großen runden Tisch, welcher in der Mitte des Raumes stand und hauptsächlich zum Besprechen der einzelnen Patrouillenrouten genutzt wurde.

„Ob es ein Problem gibt? Das könnte man so sagen.“ Mit seinen blauen Augen hielt er ihren Blick fest. „Nachdem ich Euch gestern in die Kanalisation geschickt hatte, ließ ich Nigula zu mir rufen. Er sollte einer neuen Spur im Dunkelgassenviertel nachgehen. Eigentlich nichts Schwieriges, geschweige denn Gefährliches, schon gar nicht für jemanden mit Nigulas Fähigkeiten. Und doch ist er bis jetzt nicht zurückgekehrt. Und keiner hat ihn seit gestern Abend mehr gesehen.“

Rhynnas Augen weiteten sich und sie erwiderte den Blick des Hauptmanns erschrocken. „Ihr meint er ist verschwunden?“ Ser John nickte, sein Mund eine schmale Linie.

Besorgt begann Rhynna an ihrer Unterlippe zu nagen. „Das ist in der Tat nicht gut.“ meinte sie dann.

„Ihr sagt es. Wir müssen so schnell wie möglich herausfinden was mit ihm geschehen ist. Ich kann nur hoffen, dass ihm nichts zugestoßen ist.“ Er fuhr sich mit der Hand durch seine dichten Haare, seufzte einmal schwer und nahm das Auf- und Abgehen wieder auf.

Rhynna schwieg. Ihre Gedanken wirbelten wild im Kreis herum und sie betete inbrünstig, dass Nigulas Verschwinden nicht bedeutete, dass er ums Leben gekommen war. Ermittlungen auf eigene Faust waren stets gefährlich, ganz gleich um was es ging. Doch gerade bei diesen Vorfällen war besondere Vorsicht geboten. Immerhin lief dort draußen ein brutaler Mörder herum, der unschuldigen Humanoiden das Herz aus der Brust riss.

Plötzlich drehte Ser John sich auf dem Absatz um und riss sie somit aus ihren unheilvollen Gedanken. „Würdet Ihr Euch auf die Suche nach ihm begeben?“ Sein Blick ruhte hoffnungsvoll auf ihr. „Mir ist bewusst, dass Nigula und Ihr gewisse Differenzen habt und doch...“

„Ihr braucht nicht weiter zu sprechen,“ fiel Rhynna ihm ins Wort und hob abwehrend die Hände. „Solche Dinge sind mir gleich. Glaubt mir, wenn ich sage, dass ich mein Möglichstes tun werde, um herauszufinden was mit ihm geschehen ist. Ihr habt mein Wort darauf.“

Hauptmann John seufzte erleichtert. „Gut. Habt Dank. Ich wusste, dass man sich auf Euch verlassen kann.“

Sie nickte ihm ernsthaft zu und meinte dann. „Ich begebe mich dann gleich auf die Suche nach ihm. Jede Minute zählt, da wir nicht wissen was geschehen ist.“

Sie wollte gehen, doch Ser John hielt sie zurück. „Wartet! Nehmt Weily Loth mit Euch. Er wird Euch zur Seite stehen und Euch den Rücken frei halten. Es ist besser, wenn Ihr nicht alleine seid, Ihr versteht? Ich möchte nicht noch einmal den gleichen Fehler begehen wie bei Nigula...“ Er lächelte schief, ehe er wieder eine ernste Miene aufsetzte. Es war offensichtlich, dass er sich schwere Vorwürfe machte, weil er Nigula alleine los geschickt hatte.

Sie verstand genau was er meinte und sie war ihm dankbar für seine Voraussicht. Sie nickte ihm noch einmal zu, ehe sie den Raum verließ um mit den Nachforschungen zu beginnen.

Hoffentlich fanden sie Nigula.

Lebend.

Ansonsten würde Ser John wohl nie wieder der sein, der er vorher einmal war.



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