Come, what may... von MavisVermillion (Eine JohnLock-Story) ================================================================================ Kapitel 6: Labyrinth -------------------- Im ersten Moment vollkommen perplex und von den sich überschlagenden Ereignissen überrumpelt, ließ ich mich auf die Rückbank des Wagens verfrachten und erst nach einigen Minuten drang die Wirklichkeit zu mir durch. Mit hochrotem Kopf sah ich zu Irene Adler hinüber, als sich die Erinnerung an den Kuss vor meinem inneren Auge abspielte und die peinlichen Worte in meinen Ohren hallten, die niemals jemand anderes als Sherlock hätte hören dürfen. „Miss Adler, ich -“ „Du brauchst dich nicht entschuldigen, John. Und hör auf, mich so förmlich anzureden. Immerhin haben wir uns eben recht innig geküsst.“ unterbrach die selbstsichere Frau mich augenblicklich, während sie aus Sherlocks Kleidung schlüpfte und sich ihre eigenen anzog. Mit einem amüsierten, leisen Lachen kommentierte sie dabei, dass ich mich hastig umwandte, um sie nicht nackt zu sehen. Glücklicherweise beließ sie es dabei und ärgerte mich nicht damit, dass sie sich mit dem Anziehen Zeit ließ, sodass ich mich kurz darauf wieder normal hinsetzen und mich zu ihr umdrehen konnte. „Erklärst du mir jetzt, was dieses ganze Spiel soll? Wo ist Sherlock? Wieso muss er sich immer noch verstecken?“ wollte ich wissen, nachdem ich mich wieder gefasst hatte und sah Irene herausfordernd an, bis sie meinen Blick erwiderte und ich augenblicklich kleinbei gab, meine etwas ‚demütigere‘ Rolle wieder einnahm. Diese Frau hatte diese gewisse Aura, die einen Mann einfach einschüchterte, wenn er noch ein bisschen bei klarem Verstand war. Der große Sherlock Holmes bildete davon natürlich eine Ausnahme. Auf ihn schien diese Ausstrahlung eher faszinierend zu wirken. Aber es ging hier immerhin um einen Mann, der sein Leben aufs Spiel setzte, nur um Recht zu behalten... „Du wirst ihn schon noch früh genug sehen. Und du weißt doch, wie gern er spielt, verdirb ihm nicht den Spaß.“ schmunzelte sie und ergriff, ohne dass ich den Grund kannte, meine Hand. Kurz darauf spürte ich ein kleines Pieksen in meiner Handinnenfläche und ich zuckte instinktiv zurück, beäugte meine Hand, konnte jedoch nichts sehen. Dann warf ich Irene einen kurzen, fragenden Blick zu. „Was hast du getan?“ „Gar nicht, John. Und jetzt ruh dich aus.“ hörte ich sie sagen, bevor ich mich in meinem Sitz zurücklehnte und die immer schwerer werdenden Augenlider schloss. Hoffentlich dauerte es nicht allzu lange, bis wir endlich dort ankamen, wo Irene – oder besser gesagt Sherlock – mich haben wollte... Als ich die Augen wieder öffnete und einen müden Blick aus dem Fenster riskierte, staunte ich nicht schlecht, obwohl ich noch im Halbschlaf war: wir waren nicht mehr in London, sondern scheinbar irgendwo auf dem Land. Wie sonst sollte ich mir erklären, dass ich am Horizont langsam die Sonne aufgehen sah, ohne dass mein Blick von Häusern gestört wurde. Moment... „Wir fahren immer noch? Irene, wohin zum Teufel bringst du mich? Wo sind wir?“ fragte ich und meine Stimme klang noch etwas rau vom Schlaf. Dann musste ich ausgiebig gähnen und streckte mich, sodass meine Gelenke knackten - ich hatte wirklich stundenlang in ein und derselben Stellung verharrt, daran bestand kein Zweifel. Aber wieso hatte ich so tief geschlafen? Und warum so plötzlich? Ich erinnerte mich an den kleinen, mysteriösen Stich in meiner Handfläche und besah mir die Stelle genauer. „Du hast mir allen ernstes ein Schlafmittel gegeben?“ fragte ich seufzend, als mir klar wurde, was der Pieks zu bedeuten hatte. Irene antwortete mit einem vielsagenden Blick und einem schelmischen Lächeln, sodass ich mich mit geschlossenen Augen in meinem Sitz zurücklehnte. „Ich will gar nicht wissen, ob das deine oder Sherlocks Idee war. Sag mir einfach nur, wann diese Spielchen endlich ein Ende haben. Ich hab keine Lust mehr, mich von euch wie eine Marionette behandeln zu lassen.“ grummelte ich gerade so laut, dass die Frau neben mir mich hören konnte. Sie verschonte mich gnädigerweise mit spöttischen Kommentaren und teilte mir stattdessen mit, dass wir bald dasein würden, ich mich aber noch eine Weile gedulden müsse. Geistesabwesend nickte ich und sah dann aus dem Fenster, um der Landschaft dabei zuzusehen, wie sie an uns vorbeihuschte, während die Sonne immer weiter aufging und die Welt allmählich erhellte. So schlecht meine Stimmung im Moment auch war, Dank der Spielchen, die Sherlock und Irene mit mir trieben, so hatte ich schon lange keinen Sonnenaufgang mehr so bewusst erlebt und genossen. Zu sehen, wie alles aus dem Dunkel auftauchte und das Leben erwachte, die Vögel vermehrt umherfliegen zu sehen, den leichten Morgennebel, der noch über den weiten Feldern hing, die wir passierten. Und als ich den Blick weiter hob, um zum Himmel hinaufzusehen, stellte ich fest, dass es einer der schönen Tage war, an dem der Himmel fast vollständig wolkenlos war, auch wenn am westlichen Horizont bereits neue Wolken aufzogen, die den typisch-englischen Regen verkündeten. Doch die Sonne stieg unbeirrt in die Höhe und zog meinen Blick auf sich, sodass ich kurz geblendet wurde, aus meinem kleinen Trancezustand erwachte und wegsah. Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit auf Irene. „Ich weiß selbst, dass Sherlock alles andere als normal ist, aber wieso machst du diesen ganzen Unsinn eigentlich mit? Schuldest du ihm etwas oder hast du einfach nur denselben Spaß an makaberen Scherzen?“ Wahrscheinlich würde sie mir sowieso nicht antworten – zumindest hatte sie zuvor deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie Sherlock den Part mit den Erklärungen überlassen will – aber ich konnte die Fragen einfach nicht zurückhalten. Ich konnte einfach immer noch nicht richtig realisieren, dass sie beide zusammenarbeiteten, nur um mich an der Nase herumzuführen. Und wenn man bedachte, wie sie mich behandelten, bestand kein Zweifel daran, dass sie eine ungemeine Freude daran hatten. Welche erwachsenen Leute verhielten sich schließlich so? „Ich will es mal so ausdrücken: Ich habe meine Gründe.“ antwortete sie und ich konnte gerade noch ein sowohl genervtes, als auch resignierendes Seufzen unterdrücken. Bevor ich es jedoch wider aller Vernunft noch einfach versuchen konnte, sprach Irene weiter. „Ich bin ihm nichts schuldig, zumindest nicht direkt. Wahrscheinlich steht er sogar eher in meiner Schuld, wenn ich an die letzten Jahre denke, die er nun schon untergetaucht ist. Aber auch wenn er es wahrscheinlich abstreiten würde, wenn man ihn darauf anspräche, sind wir so etwas wie Freunde.“ Wieder lächelte sie verschmitzt. „Natürlich macht es mir dann und wann Spaß, bei seinen kleinen Spielchen mitzumachen — und dich ein wenig zu foppen ist auch alles andere als langweilig — aber das alles hier machen wir nicht zum Zeitvertreib. Es sind immer noch Leute da draußen, die Sherlock tot sehen wollen. Und egal, wie gut er und ich darin sind, ihn zu verstecken und seine Spuren zu verwischen, damit er nicht gefunden wird... du weißt wie unberechenbar und unvernünftig er werden kann, besonders, wenn er sich langweilt. Und London ist der Ort, an dem all seine Feinde ihn als erstes erwarten. Wir hatten es nach seinem fingierten Tod geschafft, ihn unbemerkt außer Landes zu schaffen, aber nach und nach hat Sherlock uns mit seinen Schlussfolgerungen überredet, ihn wieder nach England zu bringen. Immer wieder hat er durchblicken lassen, dass er es in seinem ‚Gefängnis‘ — egal wo er war, für ihn war alles ein Gefängnis — nicht länger aushalten würde und er sich nach London schleichen würde, um sein Leben doch wieder aufzunehmen. Aber-“ „Wir sind gleich da, Miss. Durchlaufen wir dieselbe Prozedur wie gewöhnlich?“ unterbrach der Chauffeur Irene mit ungewöhnlich heller Stimme. Sie ließ ein kurzes Grummeln hören, dass eigentlich nicht ihrer Art entsprach und wandte sich dann an den Fahrer, der sich jetzt, da ich ihn eines genaueren Blickes würdigte, als eine Frau in der Uniform eines Chauffeurs entpuppte. „Natürlich! An der Sicherheitsstufe hat sich trotz unseres Gastes nichts geändert.“ Irenes Stimme klang ein wenig schärfer als zuvor, weswegen die Fahrerin leicht den Kopf einzog, knapp nickte und dann von der Straße auf einen etwas holprigen Feldweg fuhr. „Was wird das? Selbst wenn uns jemand folgen sollte, fallen wir doch auf, wenn wir am helligten Tag querfeldein fahren!“ gab ich zu bedenken und hielt mich am Sitz fest, falls die Schlaglöcher tiefer würden, um nicht zu sehr durchgeschüttelt zu werden. „Es geht nicht um das Sehen oder Gesehen-werden, sondern um den Ort, zu dem uns dieser Weg führt. Warte es einfach ab.“ antwortete Irene nur und sah nach vorn. Die Erklärungen, die sie mir vor einer Minute noch geben wollte, waren vergessen, aber das war auch nicht wichtig. Ich wollte im Moment nur noch aus diesem Auto raus, denn ich hatte das Gefühl, dass mir durch das lange Sitzen der ganze Körper schmerzte und der Pfad, dem wir folgten, trug nicht gerade zu meinem Wohlergehen bei. Und natürlich wollte ich Sherlock sehen. Und erst dann wollte ich die Erklärungen, die mir er und Irene schuldig waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)