Yajuu 2 von Avyr (-beyond redemption-) ================================================================================ Kapitel 7: Luca´s Misere ------------------------ Luca seufzte erschöpft, als er sich endlich in sein Bett legen konnte. Wow, er hatte ganze zwei Stunden Schlaf, bevor er wieder zur Schule müsste. Lua war nun seit fast drei Monaten verschwunden. Er machte ihr zwar keine Vorwürfe, denn er wusste, wie es um sie gestanden hatte, doch es war nun unheimlich schwer die Kinder zu versorgen und nebenbei auch noch die Schule zu besuchen. Daher hatte er beschlossen, dass er mit den Halbjahresferien abbrechen würde, um sich noch einen Job zu suchen. Sicher, Lua hätte das nie gutgeheißen, aber was blieb ihm schon übrig? Doch neben den finanziellen Sorgen, plagten ihn auch die Kleinen. Luca hatte es nicht über´s Herz gebracht ihnen die Wahrheit zu erzählen und hatte daher behauptet, dass sie auf einer wichtigen Geschäftsreise war und wiederkommen würde, wenn alles erledigt war. Er wusste, dass das eine bescheuerte Lüge war, doch wahrscheinlich hoffte er ja, dass er selbst daran glauben würde, würde er es nur häufig genug wiederholen. Zum Glück glaubten die Kleinen ihm, vermissten Lua aber natürlich trotzdem. Manchmal weinte Tiara nachts und auch sonst schienen alle drei nicht mehr ganz so ausgelassen wie früher, aber sie gaben sich Mühe ihre Sehnsucht zu überspielen. Irgendwie war Luca stolz auf die drei. Er selbst fragte sich natürlich auch, was mit Lua war. Lebte sie überhaupt noch oder war sie mittlerweile zu einer der unzähligen Bestien geworden und tötete munter Menschen nur um selbst von einem Hunter getötet zu werden? Widerwillig schüttelte er den Kopf. Nein, Lua würde nie im Leben eine solch grausame Bestie werden, davon war er einfach fest überzeugt. Woher er diese Überzeugung nahm, war ihm jedoch schleierhaft. Luca ärgerte sich, denn mal wieder waren seine Gedanken zu durcheinander, als das sie ihn schlafen ließen und so klingelte sein Wecker noch bevor er ein Auge zu getan hatte. Mühsam kämpfte er sich aus dem Bett und packte seine Sachen zusammen. Dann schleppte er sich in die Küche und machte ein mageres Frühstück für die Kleinen. Als er fertig war, weckte er sie und so begann langsam ein Tag, wie jeder andere. Wie fast jeden Tag kam Luca zu spät zur Schule. Das lag daran, dass die Kleinen oft so sehr herumtrödelten, dass er es nicht mehr rechtzeitig schaffte. Doch heute würde dies schlimme Konsequenzen für ihn haben. Wutentbrannt verpasste sein Lehrer, der ihn sowieso nicht besonders leiden konnte, nachsitzen. Und das extralang. Obwohl Luca mit ihm diskutierte, dass das nicht ginge, weil er sonst zu spät zur Arbeit kam, gab dieser nicht nach und es kam wie es kommen musste. Auch wenn er rannte, hatte Luca keine Chance pünktlich zur Arbeit zu kommen. Da auch dies nicht das erste Mal war, beorderte sein Chef ihn wütend ins Büro. Es endete mit einer fristlosen Kündigung. Luca war verzweifelt. Es war so schwer gewesen allein diesen Job zu bekommen, weil niemand einen 14 jährigen haben wollte und die, die ihn nehmen wollten, bezahlten nur Magerlöhne. Es war zwar mittlerweile legalisiert wurden, dass Teenager ab 12 arbeiten durften, aber trotzdem wurde das in der Gesellschaft sehr kritisch beäugt und viele weigerten sich deswegen auch ihn einzustellen. Ethisch gesehen nicht schlecht, aber finanziell für ihn eine Katastrophe. Vor den Kleinen ließ sich Luca seine Wut und Verzweiflung nicht anmerken, aber innerlich kochte er. Wovon sollten sie jetzt leben? Wie sollte er vor allem die Medikamente bezahlen? Ohne Job und ohne Perspektive verfiel Luca in eine Depression. Nachts streifte er ziellos durch die Gassen und tagsüber ging er ebenso ziellos zur Schule. Das Halbjahr endete und die Ferien begannen. Niemand wollte Luca einstellen, selbst wenn er sich älter machte, als er war. Durch viel körperliche Arbeit sah er nämlich nicht unbedingt wie 14 aus und oft machte er sich zwei bis drei Jahre älter. Trotzdem hatte er einfach kein Glück. In Windeseile waren die letzten Ersparnisse, die Lua hinterlassen hatte, aufgebraucht. Lange konnte Luca es nicht mehr vor den Kleinen verheimlichen, die sowieso schon mitbekommen hatten, dass es immer weniger Essen gab. Doch sie beschwerten sich nie. Wieder einmal stromerte Luca durch die Nacht. Sein Innerstes fühlte sich leer und stumpf an. Es war wie eine Hülle, die all seinen Zorn und seine Verzweiflung unterdrückte. In irgendeiner breiteren Gasse endete sein Weg plötzlich. Das erste was er sah, war ein riesiger Schatten über sich. Dann landete er direkt vor Luca und gab den Anblick auf einen widerlichen und grotesk aussehenden Yajuu frei. Dieser lechzte nach Blut. Luca sah das erste Mal in seinem Leben dem Tod ins Auge. Wie jeder normale Mensch verspürte er Angst. Schweiß rann ihm die Stirn herab, da wurde er bereits gegen die nächstgelegene Wand geschleudert. Die Luft wich ihm aus den Lungen, als er zu Boden fiel. Er stützte sich auf die Arme und sah wie dieses widerliche Vieh langsam auf ihn zukam. Seine Fratze war zu einem breiten Grinsen verzogen. Lucas Gedanken drehten sich um die Kleinen. Wenn er auch noch verschwand, dann hätten sie niemanden mehr. Das konnte er nicht zulassen, das durfte er nicht zulassen! Da zersprang die Barriere, die sein Innerstes abgeschirmt hatte und all der Zorn, den er in sich hineingefressen hatte, entlud sich. Luca schnappte sich das Taschenmesser, was er immer bei sich trug und rannte in blinder Wut auf den Yajuu zu. Dieser nahm ihn jedoch nicht im Geringsten ernst und spielte nur mit ihm. Er holte mit seinem Schweif aus und versuchte Luca damit ein weiteres Mal zu erwischen, doch wie im Reflex sprang dieser ab, landete auf dem Schwanz des Yajuu und rannte dann weiter seinen Körper herauf bis zu seinem Kopf. Dann rammte er mit voller Wucht das Messer in eines der Augen des Yajuu. Die Bestie schrie in einem markerschütternden Ton und räkelte sich wild umher, sodass Luca weggeschleudert wurde. Unsanft prallte er auf dem Boden auf und rollte sich gerade noch rechtzeitig weg, bevor ein Schwanzhieb ihn zerquetscht hätte. Luca war extrem sportlich und das kam ihm nun zugute. Schnell schaute er sich um. Nicht weit von ihm lag ein abgebrochenes Metallrohr. Sein Ende sah sehr spitz aus. Luca raffte sich auf und rannte hinüber zu dem Rohr. Es war schwerer, als er gedacht hätte, aber er schaffte es dennoch es anzuheben. Der Yajuu schrie noch immer hasserfüllt und schlug wild um sich. Immer wieder musste Luca seinen Schlägen ausweichen, doch irgendwie gelang es ihm. Das Adrenalin in seinem Körper ließ ihn vergessen, dass mehrere tiefe Schnitte durch sein Fleisch ihn peinigten und dass mehrere Knochen verstaucht oder geprellt sein mussten. So kam er direkt vor der Bestie zum stehen. Als es ihn erblickte, stellte es sich auf die Hinterbeine und wollte ihn mit einer der Pranken zerquetschen, doch Luca war schneller. Er mobilisierte all seine verbliebenen Kräfte und rammte das Rohr so tief wie er nur konnte in dessen Brust. Blut spritzte umher und besudelte Luca von oben bis unten. Es störte ihn jedoch nicht. Sein Geist war wie leer gefegt. Seine gesamte Wut war verflogen und war nun einem Gefühl der eiskalten Gleichgültigkeit gewichen. Hätte er nicht irgendetwas spüren müssen? Angst? Wut? Ekel? Vielleicht sogar ein schlechtes Gewissen, denn schließlich hatte er soeben jemand ermordet? Aber da war nichts. Lucas blaue Augen funkelten fast schon dämonisch in dieser Nacht, während er sich langsam aufrichtete und dem keuchenden Yajuu beim Sterben zusah. Er sah, wie sich das Wesen langsam in einen Menschen zurückverwandelte und den Blick auf einen Jungen freigab, der nicht älter als er selbst sein konnte. Mit verzweifeltem Blick starrte der Junge Luca an. Er wollte nicht sterben, doch von seinem Mörder hatte er keinerlei Hilfe zu erwarten. Mit letzter Kraft, keuchte er: „Wer bist du…?“ Luca starrte ihn nur weiter kalt an. „Dein Mörder.“, war seine Antwort und als nun das letzte Leben aus den Lungen des Yajuu entwich und sich seine Augen trübten und für immer schlossen, da sah er schemenhaft, wie sich der Blick seines Mörders zu einem eiskalten und gefühllosen Lächeln veränderte. Luca keuchte. Was war da eben mit ihm passiert? Verzweifelt versuchte er sich das Blut vom Körper zu waschen. Nachdem er wieder zu sich gekommen war und er die Leiche vor sich gesehen hatte, war er weggerannt. Im Park hatte er nun versucht sich im Wasser des Sees das Blut abzuwaschen, aber egal was er tat, er fühlte sich einfach nicht sauberer. „Ich bin kein gefühlloser Mörder.“, stöhnte Luca verzweifelt. „Das bin ich nicht!“ Erneut tauchte er den Kopf unter Wasser. Als er den Blick wieder hob, erschrak er, denn er sah in der Spiegelung, dass jemand hinter ihm stand. Luca drehte sich zu dem Mann mittleren Alters um. Er trug einen Anzug und wirkte wie ein typischer Geschäftsmann. „Alle Achtung, so viel Talent hab ich schon lang nicht mehr gesehen.“ Luca blickte ihn noch immer verzweifelt, aber auch skeptisch an. „Wer sind sie?“, fragte er. „Oh entschuldige, mein Name Lucius van Serenberg. Ich kam nicht umhin, dass Spektakel von eben mit anzusehen.“ „Sie… haben mich gesehen?“, keuchte Luca erschrocken aus. „Oja und du mein Lieber hast Talent, sag ich dir.“, lächelte der Mann mit den dunklen Haaren, die bereits erste silberne Stellen aufwiesen. „Talent… wofür?“ „Na zum Töten natürlich.“, antwortete dieser, als wäre es das normalste auf der Welt. Luca stockte der Atem. „Ich habe von einem jungen Mann gehört, der verzweifelt nach Arbeit sucht. Ich schätze, da bin ich wohl an den richtigen geraten?“ Luca nickte zögerlich. „Ich bin Geschäftsmann, auch wenn mein Geschäft etwas speziell ist. Ich wäre bereit dir Arbeit zu geben und dich auch ausreichend dafür zu entlohnen, wenn du es möchtest.“ „Was für Arbeit?“, fragte Luca skeptisch. Der Mann lächelte siegesgewiss. „Ich bilde Auftragskiller aus. Egal ob für Menschen oder Monster, dass ist unser Geschäft.“ So etwas hatte Luca schon geahnt. Wie konnte dieser Mann ihm nur so ein Angebot machen? Luca sollte lieber auf der Stelle zur Polizei gehen und ihn anzeigen, doch er traute sich nicht, denn er wusste, dass dieser Mann gefährlicher war, als es den Anschein haben musste. „Meinen sie Hunter?“, fragte Luca, denn bis jetzt hatte er nur von ihnen als Mörder gehört, wenn auch nicht für Menschen. „Oh nein, um Gottes Willen, mit diesen Personen haben wir nichts zu tun. Als würde ich zulassen, dass meine kostbaren Assassine zu Monstern mit Chip im Kopf degradiert würden.“, schüttelte der Mann energisch den Kopf. Das zumindest war die Wahrheit, erkannte Luca. Er hatte nicht gewusst, dass die Hunter nicht menschlich waren, umso mehr schockte ihn diese Nachricht. „Ich werde ganz bestimmt kein Auftragskiller werden.“, sagte Luca nun bestimmt. „Das ist schade, denn du hast wirklich Talent.“, entgegnete ihm Lucius ehrlich bestürzt. „Das sagten sie bereits und ich will es nicht hören. Ich habe mich eben lediglich selbst verteidigt, nicht mehr und nicht weniger.“, sagte Luca zornig. „Red dir das nur ein.“, seufzte Lucius nun provozierend, doch Luca ließ sich nicht darauf ein. „Ich werde jetzt gehen.“, sagte er bestimmt und ging geradewegs an dem Mann vorbei. „Du kannst dein innerstes Wesen nicht leugnen. In dir schlummert ein Killer. Du kannst nicht leugnen, dass du Freude am Töten hattest.“ Luca weigerte sich jedoch anzuhalten oder irgendetwas darauf zu antworten. Niemals! Er schrie es in Gedanken, um sich selbst zu bekräftigen. Niemals würde er so etwas machen. … Die Tage vergingen und Luca verfiel noch tiefer in seine Verzweiflung. Das Geld war alle, die Essensvorräte aufgebraucht. Stehlen konnte er auch vergessen, denn dafür waren die Läden mittlerweile zu gut überwacht. Als die Kleinen heute Morgen in die Küche gekommen waren und nichts vorgefunden hatten, hatten sie einfach tapfer gelächelt und so getan, als wäre nichts dabei. Yara und Seth waren schnell wieder abgerückt, um ihre Sachen zu Recht zu suchen. Auch sie benahmen sich erwachsener in letzter Zeit. Luca wusste, dass es seine Schuld war, dass sie das Elend so sehr mitbekamen. Lua hatte es immer verstanden, diese Dinge gut zu verschleiern. Plötzlich spürte er, wie jemand an seinem Ärmel zog. „Tiara, was hast du denn?“, fragte er das kleine Mädchen mit den großen Augen. „Nicht traurig sein, Luca.“, sagte sie und blickte ihn an. Tiara hatte moosgrüne Augen und diese schienen die Natur selbst wiederzuspiegeln. Luca konnte nicht fassen, dass sie gerade versuchte ihn zu trösten, wobei sie doch die Jüngste hier war. Bevor er wusste war er tat, fiel er auf die Knie und sie umarmte ihn fest. „Alles wird gut. Tiara ist ganz tapfer. Alles wird gut.“, redete sie auf ihn ein. So klang doch keine 5 Jährige!, schrie er sich in Gedanken selbst an. Vorsichtig erwiderte er die Umarmung. Als sich Tiara wieder von ihm löste, strahlte sie ihn fröhlich und optimistisch an. Er wünschte sich, dass er auch etwas von diesem Optimismus haben könnte. Aber dafür wusste er einfach zu sehr, wie die Dinge wirklich standen. Dann half er ihr ihre Sachen für den Kindergarten zu packen und brachte die drei weg. Luca selbst war nicht wieder zur Schule gegangen, als das neue Halbjahr begonnen hatte. Was sollte er auch dort? Zumal er so wenigstens das Geld für Bücher und all das sparte. Fast schon apathisch durchstreifte Luca nun auch tagsüber die Stadt. Er fühlte sich wie ein Wanderer und hätte er die Kleinen nicht gehabt, hätte er wohl schon längst den Halt verloren… oder besser gesagt, komplett verloren. Er hätte nicht erwartet, dass Lua eine solch große mentale Stütze für ihn gewesen war. Jetzt da sie aber fort war, erkannte er es erst. Nun bemerkte er auch endlich, wo er sich überhaupt befand. Er stand mitten auf der großen Brücke, die auch Lua immer als sehr anziehend empfunden hatte. Vielleicht war er deswegen hierher gekommen, weil er an sie gedacht hatte. Er musste sich eingestehen, dass er sie auch vermisste, sogar noch mehr, als es die Kleinen taten, denn sie kannten ja die Wahrheit nicht. Luca lehnte erschöpft über dem Geländer und starrte in die Ferne. Nicht, dass es hier irgendetwas Sehenswertes gab. Er schob eine Hand in die Hosentasche und zuckte plötzlich zurück, als er auf eine Visitenkarte stieß. Ihm fiel auf, dass er heute dieselbe Hose trug, die er auch an jenem Tag angehabt hatte. Luca hatte gar nicht bemerkt, dass Lucius ihm das Ding untergeschoben hatte. Das machte ihn etwas wütend, weil er so unachtsam gewesen war. Schließlich sah er darüber hinweg und wandte sich der Karte zu. Die Visitenkarte war schwarz. Auf ihrer Rückseite war ein Logo zu sehen, dass ihn an eine ineinander geschlungene Rose erinnerte und auf der Vorderseite standen die Kontaktdaten. „Lucius van Serenberg…“, las Luca leise vor sich hin. Er erinnerte sich nicht gerne an jenen Tag zurück, doch vor seinem inneren Auge hatte er den Mann wieder vor sich. Dort stand auch eine Adresse. Gedankenverloren starrte Luca auf die Karte. Dann rümpfte er die Nase und schleuderte das Teil über die Brücke. Sie glitt langsam Richtung Boden, bis Luca sie nicht mehr sehen konnte. Dann verließ er die Brücke. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)