Brightest Light von Flordelis (Miracle) ================================================================================ Kapitel XI - Ich denke, ich weiß, was du sagen wolltest. -------------------------------------------------------- Die restliche Woche achtete Kieran darauf, sich nicht mehr mit Aydeen zu treffen. Da er eingeschlafen war und sie es nicht übers Herz gebracht hatte, ihn zu wecken, war er erst bei Sonnenaufgang heimgekehrt – und war dabei natürlich von seinem Vater erwischt worden. Das zufriedene Grinsen, das Cathans Gesicht seitdem zierte, da er wer-weiß-was dachte, nervte Kieran, deswegen wollte er ihm in dieser Woche keine Gelegenheit mehr dazu geben, das zu denken. Erst am Samstag schaffte er es wieder, mit seinem Vater gemeinsam am Tisch zu sitzen und mit ihm zu essen. Die Spannung war nun nicht mehr derart angespannt wie früher, aber dafür war es Kieran ein wenig unangenehm, bei ihm zu sitzen, wenn er wusste, was dieser dachte. Also aßen sie schweigend ihr Mittagessen, bis Cathan schließlich tatsächlich etwas sagte: „Übrigens musst du heute wieder nicht auf Streife gehen.“ Kieran hob ein wenig verlegen den Blick und schielte zu ihm hinüber. „Hm?“ Cathans Augen waren immer noch auf sein Essen gerichtet, aber er lächelte sanft. „Ich treffe mich heute Abend mit einem Freund, der einen seiner Schüler mit in die Stadt bringt, der wird sich heute Nacht darum kümmern. Du kannst dich dann ja wieder mit deiner Freundin treffen.“ Er lächelte verschlagen bei diesen Worten, immer noch ohne seinen Sohn anzusehen. Kieran presste die Lippen aufeinander, nachdem er sich murmelnd bedankt hatte. Bislang war Cathan überraschend wenig neugierig gewesen, was Aydeen anging. Er kannte ihren Namen und ihre Tätigkeit und auch, wie die beiden sich begegnet waren, aber viel mehr schien ihn nicht zu interessieren – oder er hielt sich gnädigerweise zurück. Er stellte keine weiteren Fragen, verlangte nicht, dass sie einmal vorbeikommen würde und Kieran war froh darum. Er schämte sich für keinen der beiden, er befürchtete nur, dass etwas eintreten könnte, was in Aydeen Ablehnung weckte. Oder dass Cathan unzufrieden sein könnte, was den Plan ad absurdum führen würde. Damit das Thema auch gar nicht erst auf sie kam, stellte er sofort eine andere Frage: „Kannst du denn so lange rausgehen?“ „Keine Sorge.“ Cathan musste dieses Verhalten bereits gewöhnt sein, deswegen konnte er ihn sofort beruhigen. „Das Restaurant, in dem wir uns treffen, ist nicht weit entfernt und er holt mich nicht nur ab, sondern wird mich auch wieder zurückbringen.“ „Du wirst dich aber nicht betrinken, oder?“ Die Vorstellung, wie sein Vater versuchte, unter Alkoholeinfluss mit seinen Krücken zurechtzukommen, war gleichzeitig amüsant als auch besorgniserregend. Deswegen wollte er direkt ausschließen, dass es dazu kam. Cathan lachte leise. „Natürlich nicht.“ „In Ordnung, dann bin ich zufrieden“, sagte Kieran und widmete sich wieder seinem Essen. Dafür spürte er nun aber den Blick seines Vaters auf sich. „Also wirst du dich heute wieder mit Aydeen treffen?“ „Ich weiß es noch nicht. Ich habe viel für die Schule zu tun und eigentlich würde ich gern schlafen.“ Natürlich würde er sich gern mit ihr treffen, aber sicher nicht, wenn sein Vater das regelrecht arrangierte und dann von ihm erwartete, dass er sich mit Aydeen traf. Und nach den folgenden Worten wollte er das noch weniger: „Denk nur immer daran, zu verhüten, wenn du-“ „Ich habe es verstanden“, unterbrach Kieran ihn. „Und ich habe nicht ... ich bin nur eingeschlafen, weil ich todmüde war. Bist du nie eingeschlafen während deiner Rundgänge?“ „Oh, andauernd“, gab Cathan zu. „So habe ich deine Mutter kennen gelernt. Ich bin damals auf einer Parkbank eingeschlafen und-“ „Ich will nichts von ihr hören“, unterbrach Kieran ihn zum zweiten Mal. Sein Vater verstummte tatsächlich und sah ihn an, als wartete er auf eine gewisse Reaktion – nämlich jene, dass er einfach aufstehen und hinausgehen würde, was er aber nicht einmal plante. Da er blieb, wagte Cathan, ihm eine Frage zu stellen: „Meinst du nicht, du warst lange genug sauer auf sie?“ „Absolut nicht.“ Sein Vater argumentierte nicht dagegen, was deutlich dafür sprach, dass er ihn durchaus verstehen konnte, obwohl er eine andere Meinung vertrat. Glücklicherweise wollte er darüber auch nicht weitersprechen. „Gut, was auch immer du heute tun willst, sieh zu, dass du dich entspannst. Du kannst das ab und an wirklich brauchen, wenn du schon im Park einschläfst.“ „Werde ich.“ Kieran blieb seinem Wort treu und entspannte sich am Abend indem er für die anstehende Geschichtsklausur lernte. Da dieses Fach nicht im Mindesten daraus bestand, Formeln auswendig zu lernen oder Vorgänge in der Natur zu verstehen, sondern lediglich geschichtliche Ereignisse und deren Ursache und Wirkung, fand er es wirklich entspannend, dafür zu lernen. Manchmal machte er sich einen Spaß daraus, sich vorzustellen, dass an dem ein oder anderen Konflikt eigentlich ein Dämon verantwortlich war – das half ihm gleichzeitig beim Lernen, auch wenn er manchmal fürchtete, das aus Versehen tatsächlich in die Klausur zu schreiben. Er war gerade bei Napoleons Feldzug gegen Russland angekommen, als es plötzlich an der Tür klingelte. Statt sofort aufzustehen, wanderte sein Blick zur Uhr. Es war gerade kurz vor elf Uhr, was ihn nur noch weiter verwirrte. Es kam selten genug vor, dass sie Besucher bekamen, aber auch noch um diese Uhrzeit? Cathan war noch nicht zurück, aber er besaß einen eigenen Schlüssel, er müsste nicht klingeln. Außer er hat sich tatsächlich betrunken, was ich aber nicht für ihn hoffe. Es klingelte noch mehrmals, während er darüber nachdachte, dass es vielleicht nur ein Irrtum war, dann erhob er sich von seinem Stuhl und ging an die Gegensprechanlage. Er nahm den Hörer und fragte, mit einem leisen Seufzen, wer da wäre – und die Antwort überraschte ihn sehr: „Hier ist Richard. Kann ich rein?“ Wenn er um diese Zeit zu ihm kam, musste das bedeuten, dass etwas Schwerwiegendes geschehen war, also konnte er ihn nicht einfach vor der Tür stehenlassen und ließ ihn herein. Es dauerte überraschend lang, bis Richard die Treppe heraufgekommen war und als er direkt vor ihm stand, konnte Kieran auch genau sehen, woran das lag: Sein Freund schwankte ein wenig, sein Atem roch nach Alkohol, wenn auch nicht sonderlich penetrant. Hätte Kieran raten müssen, wäre sein Tipp gewesen, dass Richard etwas getrunken hatte, wenn auch nicht übermäßig viel. Er bat ihn herein und lenkte ihn dann in sein Zimmer, wo er ihn auf den Stuhl niederdrücken wollte, doch sein Freund schüttelte mit dem Kopf und erklärte, dass er lieber stehen blieb. „Ist etwas geschehen?“, fragte Kieran, da Richard keinerlei Anstalten machte, irgendetwas zu tun. Er stand einfach nur mit vor der Brust verschränkten Armen da und sah sich mit gerunzelter Stirn um, wobei er immerzu Kierans Blick auswich. Doch schließlich stieß er ein Seufzen aus. „Es ist nichts geschehen. Also zumindest nichts, wovon ich wüsste.“ Obwohl er angetrunken war, sprach er noch vollkommen normal. Wahrscheinlich wirkt sich das nur auf seine motorischen Fähigkeiten aus. Es war eine gänzlich neue Sache, die er an ihm feststellen konnte und das erfüllte ihn mit freudiger Aufregung, als hätte er gerade eine besonders großartige Entdeckung gemacht. „Ich bin auch wegen etwas ganz anderem hier.“ Aufmerksam sah Kieran ihn an, aber es schien nicht so, als würde Richard es einfach sagen können, denn er druckste immer noch herum. „Mhm ... ich habe aber eigentlich gar keine Ahnung, wie ich es sagen soll.“ „Ist es denn etwas Schlimmes?“ „Vielleicht. Es könnte einiges zwischen uns verändern – und ich glaube, es ist ohnehin der falsche Zeitpunkt, es dir zu sagen ...“ Sofort erinnerte Kieran sich an das zuvor belauschte Gespräch, in dem Bellinda Richard aufgefordert hatte, ihm etwas zu sagen. Zwar hatte er das in der Bahn verneint, aber wenn er wirklich glaubte, dass es der falsche Zeitpunkt war, konnte er das zumindest nachvollziehen. „Es kann nicht so schlimm sein“, erwiderte Kieran schließlich. „Wir sind doch Freunde, da kannst du mir alles sagen.“ Kaum hatte er das gesagt, presste er die Kiefer aufeinander, da er erwartete, dass Richard ihm vorwerfen würde, dass er das ebenfalls nicht tat, aber das blieb glücklicherweise aus. „Ja, jetzt sind wir noch Freunde“, sagte er stattdessen. „Aber wenn ich dir das gesagt habe, sind wir vielleicht keine mehr. Deswegen habe ich es so lange nicht gesagt, obwohl ich vielleicht auch deswegen nichts gesagt habe, weil ich mir gar nicht so sicher war.“ Seine wenig eloquente Art und die ganzen Wortwiederholungen, mussten ebenfalls ein Zeichen des Alkohols sein, wie Kieran glaubte – oder er war einfach nur furchtbar nervös, was er nicht im Mindesten verstehen konnte. In seinen Augen gab es keinen Grund, aufgeregt zu sein, zumindest nicht für Richard. „Sag es am besten einfach“, schlug er ihm vor. „Ich garantiere dir, dass wir danach immer noch Freunde sein werden.“ Sein Gegenüber blickte ihn prüfend an, kniff dafür sogar misstrauisch die Augen zusammen, was absolut nicht zu ihm passen wollte. Doch schließlich entspannten sich seine Gesichtszüge wieder und der altbekannte, leicht grimmige, Ausdruck kehrte zurück, zusätzlich dazu wich er auch wieder Kierans Blick aus. Er wartete geduldig und hörte schließlich, wie sein Freund seufzte. „Ich glaube, es gibt keine einfache Art, das auszudrücken.“ Was genau will er denn sagen? Diese Frage wurde ihm auch sofort beantwortet, als Richard einen Schritt auf ihn zutrat und dann die Hände auf seine Schultern legte. „Eh?“ Kieran blinzelte ihn verwirrt an, da er immer noch nicht verstand, worauf es hinauslaufen sollte. „Was ...?“ Richard, der ein wenig größer war als er, beugte sich vor und legte seine Lippen auf Kierans. Für den Bruchteil einer Sekunde musste er an seinen Kuss mit Aydeen denken, an jenes wohltuende Empfindung, die ihn in diesem Moment durchflutet hatte – und nun war da Richard, seine Lippen, nach denen er sich so lange gesehnt hatte und alle Gefühle in seinem Inneren schienen geradewegs zu explodieren und ihn mit so viel Glück wie nie zuvor zu erfüllen. Bei Aydeen war das Gefühl wie ein ruhiger Fluss gewesen, bei Richard entsprach es vielmehr einem Wildfeuer, das sein Inneres erfüllte und vollkommen einnahm. Er legte die Arme um Richard und erwiderte den Kuss, wenn auch ein wenig unbeholfen. Das schien den anderen weiter zu ermutigen, denn er nahm die Hände von seinen Schultern, um ihn ebenfalls in die Arme zu schließen. Wie lange dieser Moment anhielt, konnte er nicht sagen, aber er war viel zu schnell vorbei. Irgendwann ließ Richard wieder von ihm ab und sah ihn dann schweigend an, was Kieran genauso erwiderte. In den Augen des anderen glaubte er, ein Feuer zu sehen, das ihm absolut unbekannt war bei seinem besten Freund. Aber nach einem Moment der Stille schien ihm etwas bewusst zu werden, das ihn dazu brachte, Kieran erst einmal loszulassen und einen Schritt zurückzuweichen. Ohne das wärmende Gefühl kam es ihm plötzlich furchtbar kalt vor, aber noch viel mehr fürchtete er sich eigentlich vor dem, was nun kommen könnte. Richard neigte den Kopf ein wenig, während er ihn verwirrt musterte. „Hast du das jetzt nur rein aus dem Affekt heraus erwidert? Ich meine ... dir ist bewusst, was ich ausdrücken wollte, oder?“ „Ich denke, ich weiß, was du sagen wolltest.“ Es überraschte Kieran nicht einmal, wenn er darüber nachdachte. Eigentlich würde das sogar erklären, weswegen Richard sich in der letzten Zeit – seit er mit Aydeen zusammen war – so komisch verhielt. „Und ... was sagst du dazu?“, fragte er nervös. „Ich weiß, dass du in einer Beziehung bist und deswegen ist das eigentlich der total falsche Zeitpunkt, aber ...“ Die Röte kroch Kieran den Nacken hinauf. Er hatte sich diesen Moment so lange erträumt, wenngleich mit weniger Alkoholgeruch, aber da war auch Aydeen, für die er etwas empfand und sein Plan ... Aber allein die Erinnerung an das Feuer in Richards Augen, fachte auch die Flammen in seinem Inneren wieder an. Besonders nach diesem Ereignis könnte er nun nicht mehr so normal mit Richard agieren wie zuvor, aber er wollte sich auch nicht mehr von ihm loslösen, nein, er wollte nun erst recht in seiner Nähe sein. Am besten für immer. Kieran atmete tief durch, ehe er, ein wenig verlegen, antwortete: „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Außer, dass ich mir jetzt denke, dass ich das auch einmal hätte versuchen sollen.“ „Auch einmal?“ Er konnte es nicht direkt sagen, selbst in diesem Moment nicht, also musste er eine passende Umschreibung finden. „Vielleicht wäre ich diese Ungewissheit früher losgeworden, wenn ich dich einmal einfach so geküsst hätte.“ Im ersten Moment sah Richard ihn weiterhin nur ratlos an, dann umspielte ein Lächeln seine Mundwinkel. „So ist das also. Dann hatte Bellinda tatsächlich recht.“ Kieran konnte sich gut vorstellen, dass diese das alles wirklich gewusst hatte und deswegen immer der Meinung gewesen war, dass Richard es ihm einfach sagen sollte. Nein, genau genommen war er nun überzeugt, dass auch die anderen beiden es gewusst hatten und Richard der einzig Ahnungslose gewesen war. Offenbar war er furchtbar schlecht darin, Geheimnisse zu bewahren. „Aber was ist nun mit Aydeen?“ Diese Frage ließ Kieran schaudern. Er wusste es nicht, wollte im Moment auch gar nicht darüber nachdenken, weil ihn das möglicherweise zu einer Entscheidung drängen würde, die er im Moment noch nicht treffen wollte. Zuerst müsste er darüber nachdenken und dann auch mit ihr selbst darüber sprechen und am besten auch mit seinem Vater und ... Seine Gedanken fokussierten sich wieder auf Richard, der immer noch vor ihm stand und alles andere war wie weggefegt. Er wollte jetzt nicht über all diese unangenehmen Dinge nachdenken, nicht gerade in diesem Moment, in dem sein Traum endlich wahr zu werden schien. Also schob er all das Unangenehme ganz weit fort und beschloss, in diesem Moment einfach seinem Wunsch zu folgen und Richard nun aus eigenem Antrieb zu küssen, was von diesem sofort erwidert wurde. Für den Augenblick gab es nur noch sie beide und alle Probleme würden auch an einem anderen Tag noch auf ihn warten. Oder wie sein Vater es gern ausdrückte: Er konnte das ab und an brauchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)