Hinter dem Schleier von Alaiya (Nie gefürchtet) ================================================================================ Der Schleier fällt ------------------ Der Schleier fällt Alles geschah im Bruchteil einer Sekunde. Das Verrückte daran war, dass sie nicht einmal Schmerz fühlte – oder vielleicht nahm sie diesen auch einfach nicht mehr wahr. Es war so seltsam. Im Moment waren ihre Gedanken noch so klar. Klar genug, um zu erkennen, dass dies nicht mehr lange andauern würde. Ja, sie hatte nur noch einen Augenblick, kaum mehr würde ihr bleiben. Ihr Blick wanderte vom Gesicht des Engels, das dem Asukas so verblüffend ähnlich sah, zu der Lanze, die in ihrem Bauch steckte. Sie sah das Blut, das an der Spitze der Waffe klebte, und wusste nicht einmal, ob es ihr eigenes wahr. Der Stoff ihres Kleides wirkte klebrig nass, doch dank der Dunkelheit und der Schwärze des Stoffs, hätte man das Blut nicht einmal als solches erkannt. „Du konntest nicht immer davonlaufen, Engelsmörder, Kamiyugi Ayase“, sagte der Engel nun mit kühler Stimme und zog seine Lanze zurück. Unwillkürlich griff sie nach der Wunde in ihrem Bauch. Nun, wo die Waffe die Wunde nicht mehr verschloss, floss das Blut ungehindert aus dieser hervor und lief warm über ihre Hände. Dann schwindelte es ihr und sie ging in die Knie. Noch einmal sah sie in das Gesicht des Engels, der nun die Flügel ausbreitete und davon flog, während das Bild vor ihren Augen langsam verschwamm. Sie fragte sich, wo die anderen waren. Würde sie allein sterben? Denn sterben würde sie, das wusste sie. Es gab keine Möglichkeit sie schnell genug zu einem Arzt zu bringen – wenn Ärzte diese Wunden überhaupt versorgen konnten. Einzig Fierte könnte sie retten, doch Asuka wusste nicht einmal, dass sie hier war. Da hörte sie Stimmen. Stimmen, die nach ihr riefen. „Ayase! Ayase-san!“ Als die anderen sahen, was geschehen war, wurden ihre Stimmen angespannter – panisch. „Ayase!“ Der erste an ihrer Seite war Yamato. Er überlegte nicht lang, um seine Jacke auszuziehen und gegen ihre Wunde zu drücken, auch wenn er wahrscheinlich selbst wusste, dass es nutzlos war. „Was ist passiert?“, fragte er. Ayase versuchte Luft zu holen, doch es war, als wäre ihr gesamter Brustkorb paralysiert. „Du musst versuchen zu atmen“, schrie er sie beinahe an und nahm ihre Hand, um sie unter der seinen gegen die Wunde zu drücken. „Ayase-san!“, rief Chitose und erschien nun auch in ihrem Blickfeld. Sie schien panisch, verzweifelt. „Ayase-san, du...“ Rindou legte seiner Partnerin eine Hand auf die Schulter. Ayase spürte, wie ihre Lider schwer wurden. Eine Kälte schien ihre Brust zu erfüllen – kälter als alles, was sie je gespürt hatte. Sie hörte, dass die anderen noch immer mit ihr versuchten zu reden, doch verstand sie ihre Worte nicht mehr. So fühlte es sich also an zu sterben. Sie hatte es sich schlimmer vorgestellt. Nur eine Frage hing noch immer in ihrem Bewusstsein fest, hinderte es daran, ganz davon zu gleiten. Sie versuchte zu sprechen, doch es gelang ihr nicht, und so verwendete sie ihren letzten klaren Gedanken darauf, mit ihm nach ihrem Partner zu rufen. Sieger! Dann schloss sie die Augen und fühlte sich auf einmal seltsam entspannt. Sie hörte schwere Schritte hinter sich und wusste, dass es die schweren Schritte gewaltiger Pfoten auf dem steinigen Boden waren. Auch ohne die Augen zu öffnen, wusste sie, dass sie zu Sieger gehörten. „Ayase“, hauchte der geflügelte Panther mit seiner tiefen Stimme. Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht, als er sich zu ihr hinabbeugte. „Steh auf, Ayase.“ „Aber ich...“, begann sie, doch brach sie gleich ab, als sie erkannte, dass sie frei sprechen konnte, obwohl sie noch immer keine Luft bekam. Sie richtete sich auf. Ihr Körper fühlte sich noch immer kalt an, doch nicht mehr so taub, wie zuvor. „Sieger...“, flüsterte sie und sah in die violetten Augen des Untiers vor ihr. Blut tropfte vom riesigen Maul des Monsters, das sie nun ruhig ansah. „Ich habe Uriel getötet“, sagte er und knurrte tief. „Es ist vorbei, Ayase.“ Zögernd nickte sie. „Ja...“ Langsam sah sie sich um. Sie lag nicht mehr an jener Klippe, wo Uriel sie eingeholt hatte, sondern auf einer Ebene, deren Größe sie kaum Einschätzen konnte, da Nebelwände zu allen Seiten von ihnen aufragten. Weder Yamato, noch Chitose oder Rindo waren hier zu sehen – doch hatte sie kaum damit gerechnet. Genau so wenig hatte sie jedoch damit gerechnet, Sieger hier anzutreffen. „Wieso bist du hier?“, fragte sie vorsichtig und streckte eine Hand aus, um die blutverschmierte Schnauze zu berühren. „Weißt du das nicht?“, erwiderte Sieger und rieb seine Nase an der Innenfläche ihrer Hand. Für einen Moment schwieg sie und sah sich noch einmal um, ohne mehr zu sehen, als den undurchdringlichen Nebel. „Doch“, antwortete sie dann leise. „Es tut mir leid, dass ich dich nicht beschützen konnte“, meinte der Panther. „Es hatte nicht so sein sollen. Noch nicht.“ Ayase sah in die Augen des Monsters, das ihr keine Angst einzujagen vermochte. Dann schüttelte sie den Kopf. „Du hast mich schon so lange beschützt. Du konntest nicht immer da sein.“ Ein tiefes, kehliges Lachen erklang von Sieger. „Hast du denn wirklich keine Angst?“ Doch das Mädchen schüttelte den Kopf und merkte, dass sie dabei matt lächelte. „Nein.“ Dann schlang sie die Arme um seinen Kopf und drückte ihn an sich. So seltsam es auch war, in dieser Welt, so war Sieger doch warm und es schien ihr, als könne er sie zumindest etwas wärmen. Er schwieg, was in sich schon beinahe lustig war. Zuvor, ja, zuvor hätte er einen anzüglichen Witz über eine solche Umarmung gemacht, aber nun schwieg er und sah sie still an, als sie sich von ihm löste. Dann rieb er seine Schnauze an ihrer Wange und beugte sich schließlich hinab. „Komm, Ayase“, sagte er dann und bedeutete ihr damit auf seinen Rücken zu steigen. Sie nickte. Wie schon so unzählige Male zuvor schwang sie sich auf den breiten Rücken des Untiers und hielt sich an seinem warmen Fell fest, während er seine riesigen Schwingen ausbreitete. Der Nebel wirbelte um sie herum, als die Flügel mit jedem Schlag einen Windstoß erzeugten, ehe sie sich in die Luft erhoben. „Wohin gehen wir?“, flüsterte Ayase, als sie in den Nebel hineinflogen. Sieger drehte den Kopf, um kurz zu ihr zu sehen. „Hinter den Schleier“, antwortete er nur. Darauf sagte sie nichts. Stattdessen legte sie sich noch weiter vor, um mehr von seiner Wärme zu spüren. Sie hatte den Tod nie gefürchtet. Sie hatte immer gewusst, dass sie irgendwann sterben musste, doch immer schon hatte sie auch gewusst, dass es jemanden geben würde, der dort auf sie warten würde. Hier war sie nicht allein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)