100% Karma-Frei von TeaTimeHero ================================================================================ Prolog: Bumerangbusfahrten -------------------------- *** We're just two lost souls swimming in a fish bowl Pink Floyd – Wish you were here Ich habe immer wieder diesen einen Traum. Ich bin auf einer Gartenfeier. Mit schwarzen und roten Lampions auf dünnen Drähten, die sich unter den Nachthimmel spannen. In diesem Traum spreche ich nie mit Anderen, noch kann ich sie berühren. Ich trinke Punsch aus einer Bowle und schmecke nur Wasser. Meine Zähne und Lippen berühren die wilden Zutaten darin. Käferbeine? Ein Skorpion? Kieselsteine? Geschmacklos. Aber es riecht sehr intensiv. Nach schwerem Patschuli und Baumwolle. Der Geruch sickert in mich wie ein Tropfen Blut in Wasser. Unbemerkt, doch die Zellen sind danach nie mehr dieselben. Wann ich diesen Traum das erste Mal hatte? Damals, in der Oberstufe. Er war der düstere Ausgleich zu den bedeutungslosen Tagen, die sich im Sommer lang zogen wie ein Gummiband nur um im Herbst und Winter zusammen zu schnalzen. Es waren die brütend heißen Tage des Jahres, die mich an den Rand des Klassenraums drängten, das Glas als kühlende Oberfläche gegen die ich mich lehnen konnte. Wenn es sich einrichten ließ, wanderte ich durch den Schulkeller oder die anderen dunklen Gänge beim Turnsaal. Ich möchte nicht sagen, dass ich damals etwas gesucht habe, ich würde am liebsten behaupten dass ich nie etwas gesucht habe. Die Wahrheit ist, dass mich jedoch immer etwas oder Jemand gefunden hat. Und ich weiß noch sehr genau, wann mich diese eine Person fand, deren Geruch immer über meinem Traum hängt, wie das Zwischenstück der Girlanden. „Das Leben verlieren ist keine große Sache; aber zuschauen, wie der Sinn des Lebens aufgelöst wird, das ist unerträglich.“ Ich weiß noch genau, wie mein Kopf leicht schwankte als Ich meinen Blick von dem Abgrund unter mir los reißen musste. Es war einer der wenigen Endzeitnachmittage in dieser Stadt und ich verbrachte ihn nicht etwa bei Algebra und meinen Klassenkameraden, sondern am Dach der Schule. Der Stein unter meinen Füßen war gerade so breit, das die Hacken meiner Schuhe darauf passten und meine Fingerspitzen hatten sich um die Metallstange hinter mir gewoben, so als hätte ich die Hand am Abzug, würde aber noch einen langen, letzten Blick auf diese Welt werfen wollen. Die prickelnde Erwartung nach Regen lag in der Luft. Da war Jemand. Der Gedanke, das Jemand den intimen Moment störte der nur dem Leben und mir gebührte, war ein Widerwillen, der sich anfühlte als würde man mit einem rostigen Eimer gegen Stein schlagen. Knirschend und Funkensprühend. Mein Rücken machte eine Kurve um das Metallgeländer, als ich meinen Kopf gerade soweit dreht um die störende Gestalt sehen zu können.  Wie beschreibe Ich ihn nur? Unerträglich ruhig? Unglaublich laut? Zuerst lehnte er an der Tür, mit einer Ruhe in der Haltung seines Körpers, die am Ehesten mit einer gespannten Bogensehne zu vergleichen ist. Als er sich in Bewegung setzte, sah ich seinen leicht federnden Schritt und seine Hände fuhren zu dem schwarzen Haar. Links ein Sidecut, rechts wirre Strähnen. Eine Zigarette im Mundwinkel. Ein Sturmfeuerzeug in der Hand, welches Funke schlug. Wie die, die sein Eindringen in meine Welt verursacht haben. Glut. Sonst war die Gestalt dunkel. Erdig. Wie ein Golem, nur das auf seiner Stirn nichts stand außer ‚Frechheit‘ und ‚Revolte.‘ Es brauchte nur einen Schwung seines Körpers, meine Hände verkrampften sich abermals um das Geländer, und der Junge war auf meiner Seite. Dem Abgrund zugewandt. Wo Ich spannungserwartend mit leicht gebogenen Knien stand, sah man ihm nicht an, dass es mehr Meter als gut für seinen Körper waren in die Tiefe ging. „Wenn man keinen Platz in dieser Ordnung hat, sollte man gehen bevor es peinlich wird.“ antwortete Ich leise und ohne rechten Grund. Er war ein Eindringling, der Rauch in meine Richtung blies und um dessen Lippen ein Lächeln taumelte, gespickt mit heiterer Belustigung und bösen Worten. „Das Alles ist Chaos.“, das war der erste Satz, den er sprach ohne mich mit fast schwarzen Augen anzusehen, als könnte er mich mit einem Blick aufspießen und draußen vor der Schule präsentieren wie die Osmanen in der Walachei. Seine Fingerspitzen waren leicht gelblich, vermutlich wegen dem ständigen Kontakt mit dem Zigarettenfilter, vielleicht lag es auch an dem unwirklichen Dämmerlicht. Vielleicht auch nur an meiner Einbildung. „Ich bin kein Selbstmörder.“, ich rechtfertigte mich nicht, ich stellte nur etwas klar. „Du bist ein freier Mensch.“, entgegnet er und hielt mir die Zigarette entgegen. Ich zog daran, hoffte nicht zu sehr zu husten und ließ den bläulichen-kalten Dunst aus meiner Lunge entweichen, am Ende eines Herzschlags, als würde ich eine Waffe abfeuern. Mit kindlicher Genugtuung schnipste ich den Glimmstängel in den Abgrund und mir war als würden wir Beide zeitgleich diesem Nikotin- und teerverseuchten Mikrokometen mit unseren Augen folgen. Ohne ihn nochmal eines Blicks zu würdigen, verließ ich nun meinen Aussichtspunkt und ließ ihn alleine auf der Seite des Abgrunds und auf dem Schuldach zurück. In dem kurzen Moment, bevor die Tür ins Schloss schlug, besah ich mir seine Silhouette. Die Hände im Nacken verschränkt, die Tätowierungen auf seiner Haut an den Stellen zu sehen an denen der Wind besonders ausgiebig mit seinem lockeren Gewand spielte. Da steht etwas, entblößt in seinem Nacken und da sieht man weitere Tinte durch das helle Shirt durchscheinen. Ausgewaschene Jeans. Tunnels in den Ohrläppchen. Ein Ring durch die Mitte der Unterlippe. Lächelte er? Ich konnte es nicht sehen, seine verdammten Haare waren mir im Weg und so egal mir dieser Augenblick damals sein wollte, so egal er mir jetzt seien sollte, so sehr hege ich dieses Bild wie eine Fotografie deren Negative ich längst verloren habe. In dieser Nacht träumte ich das erste Mal von diesen Girlanden, dem wässrigen Punsch und dem schrecklichen Geruch von Patschuli geträufelt auf Baumwolle. Die Erinnerung daran passierte mich, wie die Glühwürmchen in der Dunkelheit der Nacht. Dieser Weg, ich kannte diesen Weg mit geschlossenen Augen. Es war dunkel als ich ankam und der Wind zerrte rau an mir. Es war die Endstation, immer schon, obligatorisch beleuchtet durch eine Straßenlaterne, die wohl die erste ihrer Zeit war, nach den Gaslampen. Die lange Allee, in die ich ausgespuckt wurde, war gesäumt von großen, wurmzerfressenen Kastanienbäumen bis hin zu der schmalen Einfahrt rauf zum Haus meiner Eltern. Die Nacht drückte auf den Himmel, der Weg schien unter meinen Füßen zu verschwinden sobald ich mich in Bewegung setzte. Der Rucksack auf meinen Rücken hätte genauso gut ein Alpwesen sein können, das leise meinen Namen kicherte, als ich verzweifelt die letzten Erinnerungen zusammenklaubte, die ich an diese Stadt hatte.  Es war sieben Jahre her. Sieben lange Jahre, die ich dieser Stadt den Rücken kehrte und all ihre kleinen Winkeln, ihre Verschrobenheit und ihre Wälder hinter mir ließ, um an einen Punkt der Erde zu gelangen, an dem ich einfach für mich sein konnte. Es stellte sich schon bald heraus, dass es diesen Ort nicht gab. Nicht für mich zu mindestens, das hinderte mich aber nicht daran, dort ein neues Leben anzufangen und die überquerten Brücken nicht abzufackeln, sondern in die Luft zu sprengen.  „KABUMM!“, meine Kakofonie wurde nur von den leisen Grillen begleitet, die langsam aus dem erdigen Boden krochen. Und abermals driftete ich ab. An die Stadt am Meer. Weit weg von hier. Ich hatte in dieser neuen Stadt gelebt, gelitten, gefickt, geweint und hatte so viele Nächte und Tage an dem Kiesstrand am Rande der Stadt verbracht, das ich nicht mehr genau weiß ob das Meer eine Reflexion der Sonne war oder umgekehrt. In den stillen Abendstunden sah das Wasser oft aus wie eine leere Oberfläche, ohne Grund und ohne Widerspruch. Blickte ich von einem der Felsen hinein, sah ich mein Gesicht. Das kurze blonde Haar. Das lädierte Brillengestell und dahinter dieser Blick der ebenso inhaltslos wie das Meer war. Es hat sich nicht viel geändert. Mein Kinn wurde nicht markanter und meine Sehprobleme nicht besser. Ich hatte keinen Wachstumsschub hinter mir und mein Stimmbruch schien nur dafür zu sorgen, dass mein Adamsapfel meine Kehle deutlicher machte. Mein Geschmack in Klamotten hat sich geringfügig geändert und die Sehnsucht, einfach die Luft anzuhalten bis ich eins mit dem Wasser werden würde, war mittlerweile ein Teil von mir geworden, wie der Splitter einer Granate im Kopf. Jetzt war ich wieder Zuhause. Warum? Ihr kennt das ja. Eines dieser Ereignisse, zu dem man sich immer mit der Familie trifft. Begräbnisse. Das Haus vor mir war verlassen und einzig eine dumme Verbundenheit hatte mich zurück hier her gelockt. Den Toten würde es nicht auffallen, wenn ich nicht da wäre, nicht wahr? Warum war ich also hier? Nach all den Jahren kümmerte es mich noch immer zu viel, was Leute von mir denken würden. Es kümmerte mich so viel, das ich meinen Job hinschmiss und dorthin zurückkam wo Schlüssel noch immer unter der Türmatte klemmten und der Postkasten vollgeräumt war mit einem wässrigen Brei aus alten Mahnungen, Reklameteilen und den Bezirkszeitungen des letzten Jahrzehnts. Ich hatte mir keine Gedanken gemacht über meine Bleibe, über möglicherweise notwendige Nahrungsmittel und erst recht nicht über den Zustand des Hauses in dem ich zu mindestens für einige Zeit leben musste. Die Fichte vor der Südterrasse. Grobe Steine, die Statuen symbolisieren könnten und dazwischen so viel Müll und Trümmer, dass ich mich auf dem Treppenabsatz vor dem Haus fallen ließ und die Füße eng an den Körper zog um nicht noch mehr zu zertreten. Es war still. Und schwarz. Entweder das Haus schmolz im Dunklen zu einem simplen Fleck zusammen oder ich war kurzsichtiger als angenommen.  Wir passten gut zueinander. Das Haus und ich. Mit all diesen Erinnerungen, die wir uns weigerten los zu lassen, warteten wir stoisch auf eine Abrissbirne, die uns dem Erdboden gleich machen konnte. Der einzige frappierende Unterschied zwischen uns war, dass ich diesen Ort verlassen konnte. Obgleich es immer einen gewissen roten Faden geben würde, der mich zu dieser Stadt zog, so konnte ich theoretisch jederzeit meine Füße in die Hand nehmen und laufen. Flüchten, flüchten wäre der bessere Ausdruck, dachte ich mir zu diesem Zeitpunkt, als ich mit der Zigarette in der einen und dem Feuerzeug in der anderen Hand spielte. Die eiserne Eingangstür, durch die ich noch vor wenigen Minuten gegangen war, knarrte unwillig auf, als sich eine schmale Gestalt daran zu schaffen machte. Ich hatte nicht hinter mir abgeschlossen und überlegte mir ob das Haus wohl mittlerweile als gruslige Legende unter Kindern verschrien war. Wer sonst sollte um diese Zeit hier her kommen? Meine Überraschung war nur überschattet von einer namenlosen Furcht. Hatte sie sich verändert? Beim Näherkommen konnte ich natürlich sehen, dass die Grundzüge die gleichen waren. Das Gewand noch immer simpel und im schummrigen Licht waren die Augen noch immer hell und blau. Da waren dunkle, lange Locken und ein Körper der nur noch als asketisch zu bezeichnen war. Sie war nicht etwa abgemagert, nein, sie war nur schrecklich diszipliniert und sah Verzicht als Zeitvertreib. „Jean?“ sie blieb einige Schritte von mir entfernt stehen. Die Arme in einer abwehrenden Haltung vor dem Oberkörper überkreuzt. Die Lippen geschürzt. „Ich dachte, du kommst erst morgen an?“ Wie? Keine Standpauke? Ich hob die Augenbrauen und schluckte. „.. Es gab Komplikationen mit dem Ticket. Und bei Nacht fahren ist so und so charmant-“, weiter kam ich nicht, weil das Mädchen... die junge Frau, den Abstand überwand und mich in eine Umarmung zog, dass mir die Luft wegblieb und Zigarette samt Feuerzeug aus den Händen fielen, die ich ja irgendwie brauchte um sie zurück zu umarmen. Die wievielte Umarmung in unserem Leben war das wohl? Obwohl wir uns kannten, seitdem wir auf die Welt kamen, konnte man diese nämlich an einer Hand abzählen. Es war einfach weder ihre, noch meine Art. Aber es passte. Jetzt, genau jetzt passte es. Ihre Locken kitzelten mich und ihr Körper fühlte sich leicht kantig an meinem an. Es war perfekt. „Christina, sag bloß, du hast mich vermisst?“, meine eigene Stimme war belegt und ich redete mir selber ein, das lag an dem Wetter und nicht an meiner besten Freundin, die ich seit sieben Jahren nicht mehr gesehen hatte. „Natürlich. Es ist schwierig dich zu vergiften, wenn du nicht vor Ort bist. Außerdem. Wie siehst du eigentlich aus? Zieh dich ordentlich an, mach dir die Haare schick und..“, sie rubbelte mit ihrem Daumen über meine Wange, als ginge es darum einen Schmutzfleck weg zu wischen und zupfte dann, aber auch nur fast manisch, an meiner Lederjacke und dem Gilet, das da runter war. Verdrossen schüttelte sie den Kopf, als sie durch mein kurzes Haar fuhr. Als ich vor sieben Jahren abhaute, war das erste was ich tat, mir mein schulterlanges, helles Haar hinunter zu stutzen bis auf kurze Stoppel und erst langsam ließ ich sie wieder wachsen. „Schrecklich. Was wohl deine Familie davon hält?“, auf ihr Gemeckere zog ich die Augenbrauen zusammen. „Also, der Teil.. der noch lebt...“ Sie trat wieder zurück, unsicher ob ich mich schon mit dem Gedanken der anstehenden Beerdigung abgefunden hatte. „Werde ich ja dann bald heraus finden. Du hast nicht zufälligerweise einen Fussboden für mich frei?“, ich wusste, das morgen wieder unsere normale Balance im Raum stehen würde. Gegenseitige Morddrohungen, versetzt mit bösen Blicken. In unserem Fall war das keine Abneigung, sondern die Art, unsere Zuneigung füreinander auszudrücken, wenn wir gerade unfähig für emotionalen Quatsch waren. Erstaunlich, ich habe selten ein so rationales Mädche-.. eine so rationale junge Frau getroffen wie Chrissi. Gut. Nicht, dass ich sonst viel Kontakt mit dem anderen Geschlecht hatte, aber Chrissi war immerhin auch die einzige Frau, die von sich behaupten konnte, ich hätte tiefere Gefühle für sie gehabt. Für mehr als einen betrunkenen Kuss, unglaublich feucht und eklig, reichte es aber nie. Wir beließen es bei der Freundschaft und ich beließ es seitdem nur bei Kerlen. „Klar. Rechne nur nicht damit, dass du morgen Frühstück kriegst...“, da ging es wieder los. Und während sie sich umdrehte und wegspazierte, mich im Tau wie eine Ansammlung alter Dosen; „Bastian ist zuhause. Also erwarte auch kein Abendessen.“ Ich wusste um ihren Freund, einen jungen Philosophiestudenten, der eigentlich mehr nach Woodstock gehörte als in die heutige Zeit und ich wusste auch um dessen Vorliebe, gelegentlich einen Joint zu rauchen und im Anschluss die halbe Küche leer zu futtern. „Solang ich nicht mit einer Axt im Bein aufwache.“, gab ich ihr zurück, als wolle ich am liebsten jetzt schon in unsere alte Schiene hineinfallen. Sie setzte sich auf ein kleines Moped, knallrot und gefährlich tuckernd. Kein Helm, auch egal. Ich setzte mich hinter sie und schlang meine Arme um ihre Bauchmitte. „Kann ich nicht versprechen.“, ich hörte das leise Lachen und dann nur noch Lärm. Rucksack und Feuerzeug hatte ich ebenso zurückgelassen wie die Erinnerungen. Ich wünschte, ich könnte sagen. ich hätte sie alle an einer Raststätte ausgesetzt, die Wahrheit jedoch war, sie würden auf mich warten und ich würde sie wieder abholen. Wie immer. Kapitel 1: Kanonenkugelfrühstück -------------------------------- *** So tonight I'll call you from a fourth-street payphone But I'll sleep on the beach if I ain't got a ride The Gaslight Anthem - Blue Jeans & White T-shirts „.. Du hast echt schöne Brustwarzen..“ So wacht man doch gerne auf. Wovon ich jedoch weniger gerne aufwachte, waren seltsamen Träumen über Achterbahnen und der vagen Frage wo ich war. Ich hatte geschlafen wie auf Steinen. Oder Parkett um ganz genau zu seien. Der Polster war ein zusammen gerollter Pulli und die Decke, eine dieser Bettleintücher einer blau-gelben schwedischen Firma. Mein Arsch tat weh, mein Schädel brummte und als würde das nicht reichen, saß in meinem Blickfeld auf dem Sofa Bastian. „Morgen auch, du alter Hippie.“, brummelte ich vor mich hin. Sein Kleiderschrank war der Grund warum ich eine selbstgebatikte Pyjamahose anhatte und der Hitze des Raums war zu verdanken, dass ich kein Shirt genommen hatte. „Wann hast du sie dir piercen lassen..? Bleiben die eigentlich jetzt immer steif? Stimmt es, das der Sex dann.. na, du weißt schon..?“, der junge Kerl mit den rötlichen Dreadlocks grinste mich schelmisch an und schob die Hände in die weiten Hosen einer weiteren schrecklich selbst gemacht aussehenden Hose. „.. Vor zwei Jahren. Nein. Ja. Auch schön dich wieder zu sehen..“, ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, zog es dann aber doch vor die Decke wieder über meinen Oberkörper zu ziehen. Meine Piercings waren eine meiner kurzen Ausflüge Richtung Körperkunst. Es tat kaum weh, verheilte schnell bis auf einen Zwischenfall als es wirkte als würde meine linke Brustwarze ihr Piercing auffressen und hatte sich schon bezahlt gemacht. „Hast du nicht irgendetwas zu tun? Studieren oder so?“, mein eigener Atem schlug mir vom Stoff wieder zurück und erinnerte mich daran mir dringend eine Zahnbürste zu besorgen. Damit einher kamen all die anderen Gedanken, die man nicht gerne am Morgen hat. Gieß die Pflanzen, bring das Haus auf Vordermann, geh zum Begräbnis. Letzteres war erst in einer Woche, nur konnte ich bis dahin weder schlecht am Boden schlafen, noch mich in eine Ecke zurück ziehen und warten das die Zeit freiwillig aufgeben würde. Der Klügere gibt eben nach und unter meinem sturen Schädel war schon manche Mauer eingebrochen. „Joah…“, Bastian zog das Wort lang, wie Kaugummi; „In Philosophie bin ich jetzt Bachelor und als nächstes kommt dann Töpferei. Oder Blumensteckkunst..?“, fragte er mich und ich merkte sogar ohne seine leicht geweiteten Pupillen zu sehen, das ich ihn ans ‚la-la‘-Land verloren hatte. Der Hippie war ein ganz eigenes Kaliber an Wahnsinn und als ich einmal den Fehler machte zu Fragen wie Chrissi es bloß mit ihm aushalten konnte, begann er mir über die Vorzüge des Steinbocks zu erzählen und das Chrissi in all ihren Aszendenten und sonstigen Vorzeichen, perfekt zu ihm passen würde. Ich fischte unter der Decke nach meinem Shirt und zog es mir über den Kopf. Adrett oder passabel musste ich in diesen vier Wänden nicht aussehen, aber doch bitte wenigstens angezogen. „Würden die Herrschaften sich die Mühe machen und zum Tisch kommen..?“, Chrissi stand im Türrahmen und musterte mit hochgezogenen Augenbrauen ihren tagträumerischen Freund und mich, der die wenigen Habseligkeiten die ich hatte am Boden zusammen suchte. In der Hand, wie eine Waffe, eine Bratpfanne voller Eier und Speck. Einige Minuten später fand ich mich an einem Tisch sitzend, eingepfercht in die wo möglichst kleinste Küche der Welt. Jeder außer mir schaffte es zu Essen ohne den Tisch gleich vollzubröseln und glücklicherweise, waren alle still. Morgenmenschen zählen zu der Kategorie Mensch, denen ich am liebsten weitläufig aus den Weg ging und erst als mir Chrissi eine Kanne Tee vor die Nase knallte, hob ich den Blick wieder. „Arsen?“, ich roch an dem Hals der Kanne, ehe ich mir etwas von dem schwarzen Sud in die Tasse goß. „Zyankali, du Anfänger.“, erwiderte sie und ich glaubte es ihr sogar, so wie der Tee schmeckte, hatte Sie den aus irgendeiner Ecke herausgekratzt, zusammen mit etwas Staub und sonstigen Küchendreck. Sie wartete einige Augenblicke, solange ich brauchte um mir Löffel um Löffel Zucker in die Tasse zu kippen. Ich kannte sie lang genug um ihren angewiderten Blick mit geschlossenen Augen zu sehen. „Was hast du jetzt vor? Soll ich eine Willkommensfeier organisieren mit anschließender Jagd durch die Stadt, wer dich zuerst teert und federt?“ Ich schüttelte den Kopf; „Ich.. weiß es noch nicht. Ich denke, ich sollte zu mindestens mein altes Zimmer wieder herrichten. Damit ich deinen Boden nicht weiter abnutze. Vielleicht ein paar alte Freunde wieder treffen..“ Ich hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, da spürte ich wie mich zwei Paar Augen durchbohren wollten. Ich hatte damals nicht nur die Stadt zurück gelassen, sondern noch einen ganzen Haufen an kuriosen Leuten. „Du.. Also..“, es war selten mitzuerleben wie sie um Worte rang. So neugierig und fasziniert ich auch zu sah wie sie ihren Mund öffnete und schloss, so nervös war ich auch Angesichts der Worte die aus ihrem Mund schießen würden wie Patronen. „Nein. Nicht Er. Und nicht diese alten Freunde. Ihr reicht mir. Den Rest muss ich nicht wieder sehen.“ Zwei Lügen in einer Runde. Ich hatte damals nicht mehr Freunde außer diese kleine Runde voller Außenseiter und das ich den Rest nicht wieder sehen wollte, war eine verlogene Tatsache, die sich in meine Kehle verbiss. Am Frühstückstisch herrschte Stille. Die Mauer die ich hochgezogen hatte war fast greifbar und Bastian hatte seine dunkel blauen Augen abgewendet als wolle er nicht zu deutlich zeigen, dass er Teil dieses Gesprächs sein konnte. Konnte. Er war es nicht. Ich hatte ihn erst kennen gelernt, nachdem ich weggezogen war. Irgendwann hatte Chrissi mir einfach geschrieben, da wäre jemand in ihrem Leben und so eifersüchtig ich auch seien wollte, so sehr freute ich mich, das sie jemanden gefunden hatte, der mit ihr klar kam. Nicht nur das, jemand der sie liebte. Ich kippte den Tee meine Kehle hinunter um etwaige weitere Ausbrüche auszubrennen, wie eine frische Wunde. Eine Wunde, die schon seit über sieben Jahren frisch war. „Sobald das Begräbnis vorbei ist, seid ihr mich wieder los.“ Ich konnte gar nichts anderes sagen als das. Mein Selbsthass gemischt mit dem Unwillen mich mit den Scherben der Vergangenheit auseinander zu setzen machte es mir unmöglich. Ich wollte nicht, dass Alles wird wie früher. Ich wollte einfach weg. Schreien. Schlagen. Weg laufen. Selbst Chrissis Nähe war eine zu wache Erinnerung an die Nähe zu den Menschen die ich geliebt habe, schlichtweg weil ich ihr die Priorität in meinem Leben nicht absprechen konnte. „Gut.“, es klang giftig. Resigniert. Zu viel um beim Frühstück damit umzugehen. Ich stand auf und ging in das Vorzimmer um meine Jacke zu holen. Ich spürte Bastians Präsenz, als er im Türrahmen lehnte, als wolle er etwas sagen. Im Endeffekt sah er mir aber nur zu wie ich aus der Wohnung ging und die Tür hinter mir schloss. Warum war ich überhaupt her gekommen, verdammt. Tod. An den Tod zu denken, half mir. Ich konnte mir dann besser einreden, dass das Alles war. Das ich schneller in den Zug zurück springen würde, als mich jemand beim Namen rufen konnte und ein Teil von mir wollte auch nichts mehr als das zu tun. Ich könnte meine Familie vermeiden und all die unausgesprochenen Sachen die wie ein Gebirgszug zwischen uns lagen. Ich könnte vermeiden mit meinen alten Freunden zu sprechen und mich für meine Feigheit zu entschuldigen. Meine Feigheit, mit niemanden zu reden und still zu bleiben, während man mich um Antworten bat. Die Krönung war dann diese eine Novembernacht. Doch jetzt war es Oktober. Der Wind war frisch, graue Wolken schoben sich über den blauen Himmel und die Leute liefen schnell an mir vorbei durch die engen Gassen. Diese Stadt war ein Gemütszustand. Eingefroren in einer Zeit der Herrscher und Leibeigenen. Es gab kleine Kaffeehäuser, eingequetscht neben alten Kirchen und abgeranzten Bars. Um die innere Stadt zog sich ein ganzer Ring an teuren Hotels, Edelboutiquen und Autoläden, nur um sich dann immer mehr auf zu fransen, bis es ein wirrer Mischmasch aus Teuer und Billig, Nobel und Nuttig war. Ich bin schon viel rumgekommen, aber diese Stadt ist wie eine alte Geliebte. Selbst wenn sie eine ehemalige Affäre wäre, so würde mich mit ihr mehr verbinden als mich von ihr trennt. Ich kenne die Stadt, in vielen ihrer Ecken und ihrer Irrwegen und ihren Ecken, Kanten, Gräbern und ich kenne ihre hässlichen Seiten und ihre Schönheit. Sie ist wie eine in die Jahre gekommene Puffmutter. Eigentlich trifft es das recht gut. Diese Stadt war also nicht nur ein Gemütszustand, sondern auch eine Puffmutter. Diese Stadt hier, sie lebt von ihrer Vergangenheit. Es gibt nicht viele Städte die für ihre Griesgrämigkeit, ihre Eigenheit und ihren verbissenen Anachronismus bekannt ist. Diese Stadt ist dafür weltberühmt. An diesem Tag schien sie auf mich einzuwirken wie die passende Musik. Leute stießen ihre Regenschirme in die Luft, als sich die Wolken öffneten und flohen unter die Markisen der kleineren Läden. Es war ein Rauschen voller Mäntel und Wasserspritzer, die sich anfühlten als würde man kleine, gläserne Murmeln auf meinen Kopf fallen lassen. Mein Kopf selbst, eine metallene Schüssel voller Echo. Ich quetschte mich zu einem Pulk voller Menschen unter eine Markise, als wolle das Geschäft seine Flügel strecken und steckte die Hände tief in die Taschen meiner Jacken. Was war zu tun? Mein Rucksack und mein Feuerzeug, das lag zu Hause. Innerlich lachte ich über die Streifzüge meines Geistes. Zuhause, Jean? Wirklich? Ich hatte mich über die Jahre so sehr in die Vorstellung geflüchtet, nirgendwo ansässig zu seien, das irgendwann dieses Mantra wahr wurde. Es stimmt was die Leute sagen, wenn man sich oft genug etwas einredet, redet das irgendwann auch zurück. Und wenn man selbst die Monster unter dem Bett sieht, sehen einen die Monster auch. So viel ist sicher und so einfach ist das Alles. Dieser Moment, wenn man hinaus in den Regen tritt, während der Rest zurück bleibt. Wunderschön. Die ganze Welt erschien blasser und hastiger gezeichnet, als hätte ein Maler vorzeitig das Bild verlassen oder zu viel Wasser für ein Aquarell verwendet. Die Farben zerronnen und in der Panik sind manche Verläufe unvorsichtig und weitläufig geworden. Über diese Verläufe, die Straßen und Gehsteige, ging ich so gemächlich wie mir möglich war zu der Bushaltestelle, die mich wieder zurück bringen sollte. Der Stoff begann sich voll zu saugen und ich fühlte mich etwas, als würde mich die Stadt willkommen heißen. Schatz, wie siehst du denn aus? Wasch dich doch erstmal.. Eine überfürsorgliche Glucke, diese Puffmutter. Nach diesem Intermezzo auf dem Schuldach, habe ich den Jungen nicht wieder gesehen. Ich hatte natürlich nicht nach ihm Ausschau gehalten, aber weder konnten meine Klassenkameraden mir etwas über ihn sagen, noch erfasste ich ihn aus den Augenwinkeln wie die Erinnerungen eines vagen Traums. Er war vorm Erdboden verschluckt. Vielleicht hatte man die Buchstaben von seiner Stirn gewischt und er wurde wieder formloser Lehm? Der Gedanke, er könnte gesprungen seien, berührte mich kein einziges Mal. Es war eine Unmöglichkeit, ihn am Boden kleben zu sehen als roter Fleck und zeitgleich war mein Denken absolut arrogant. Ich kannte Ihn nicht. Diesen Eindringling. Diese Kontamination. Die Worte und Blicke die wir gewechselt haben waren Platzpatronen in einem kalten Krieg. Helle Blitze, etwas Krach. Aber seine Augen. Verdammt. Das Wort fand sich immer häufiger in meinem Sprachgebrauch und die Blicke, die ich früher immer dem Boden oder hoch entlegenen Stellen zu warf, fixierten sich zusehend auf andere Menschen als wolle ich in ihnen etwas wieder erkennen, was ich mit ihm verband. Diesem Fehler in meinem System. Dieser plötzlichen Mutation meines Alltags. Ich stand an der Bushaltestelle und es regnete. Ich mochte dieses Wetter schon immer, wenn alle Farben etwas ihrer Kraft verloren und sich Grau über die Stadt ausleerte, wie ein riesiger Topf. Striche voller Regen. Tiefe Wasserpfützen. Nasse Schuhe, nasse Kleidung, nasse Haare, nasse Gedanken. Nur meine Tasche sollte trocken bleiben, ich hatte sie in meine Arme gezogen und den Kopf leicht zwischen die Schultern. Jedes Mal wenn ein Wassertropfen von meinen Haaren in meinen Nacken fiel, zuckte ich leicht. Kübelfolter auf Volkschulniveau. Natürlich gab es ein Wartehaus. Aber dafür mochte ich den Regen eben viel zu sehr und das Gefühl auf meiner Haut. Was mir aber bis dato noch nie passiert war, war das mehr vom Himmel fiel als Wasser in verschiedenen Aggregatszuständen. Wie zum Beispiel, ein Stück Papier direkt gegen die Schläfe. Ich ließ meinen Blick auf den Boden sinken. Widerwillig trennte sich eine Hand von der Tasche, ich bückte mich und hob es auf. Um genauer zu seien, ein unbenutztes Busticket. Es brauchte einige Momente, ehe ich weitere kleine Papierfetzen sah, links von mir aufgereiht wie eine Brotkrumenspur von mir bis ins Wartehäuschen. Ich fühlte mich wie eine der Tauben die Hänsel und Gretels Krumen fraßen, als ich jeden dieser kleinen Bälle aufhob und der Spur folgte. Vom Regen ins Trockene, unter das Dach wo vor meinem Blick schwer aussehende Doc Martens lauerten und in ihnen stand der Golem, mit hochgezogener Augenbraue und einem Arm zum Wurf bereit. „..Oh..“, hatte ich mich verhört? Ich frage mich das bis heute, ich war wohl zu beschäftigt zu beobachten wie ein weiterer Zettelball mir vor die Füße knallte. Und dieser Gesichtsausdruck des Golems. Die Augen weit aufgerissen, die Lippen leicht gespalten und der Körper eingefroren in der Bewegung in der er, eine Sekunde zu spät bemerkte, das er meine Aufmerksamkeit längst hatte. Ich hockte etwas vor ihm und mir fiel erst jetzt auf, wie seltsam das wohl wirken mag. Mit einem Arm die Tasche umschlungen, mit dem Anderen beschäftigt Papierkugeln aufzusammeln die vom Regen leicht durchweicht waren. „Eigentlich.. sollten das da Papierflieger sein.“, sagte er dann und ließ den Arm sinken. „Eigentlich..?“, ich richtete mich auf, stopfte das Papier in meine Jackentaschen und hob die Augenbrauen. „Der Regen..“, er nickte mit dem Kopf nach draußen; „Im Regen fliegen Dinge nicht zu gut. Da wird aus einem Flieger schon mal gut und gerne eine Kanonenkugel.“ Sein Argument klang erschreckend logisch, aber das lag sicher an seiner Art. Wie selbstsicher er das sagte und dieses Lächeln, das bis in seine dunklen Augen kam. Ich hatte ihn schon gesehen. Seine Seitenperspektive und dann seinen Rücken. Doch an diesem Tag, sah ich ihn zum ersten Mal mir gegenüber stehend. Sah, den silbernen Ring der durch die Mitte seiner Unterlippe ging ganz genau und sah, das seine Haare noch feucht vom Regen waren. Jemand der so offensichtlich gegen Konventionen rebellieren wollte wie er, so jemanden traf man nicht alle Tage. „Was nicht erklärt, warum du mich überhaupt damit abschießen wolltest..“, Ich wusste, warum ich es bei ihm getan hätte. Wenn ich aggressiv genug wäre. Gut, dann hätte ich sicher nicht versucht hinter seinem Rücken etwas über ihn heraus zu finden, aber wenn ich aggressiv genug gewesen wäre, hätte ich das getan um ihn aus seiner Umlaufbahn in die Meinige zu schubsen. Er sah mich an. Im Laufe der Jahre würde ich noch lernen, diesem Blick stand zu halten, aber jetzt sah ich auf die Stelle seiner Nase die beiden Augen von einander separierte. Den meisten Leuten fiel dann nicht auf, das ich ihren Blick nicht erwidern konnte, aber seine Lippen zuckten in die Höhe als hätte er es in dem Moment durchschaut, in dem ich den Kontakt abbrach. „Macht man das nicht so? Ich hätte mich natürlich wieder neben dich stellen können. Und wir Beide hätten darauf warten können, dass der Bus einfährt und keiner von uns davor springt. Ich hätte dir eine Zigarette angeboten und dir erklärt, dass du ein freier Mensch bist. Du hättest meine Nettigkeit mit Füßen getreten und wärst verschwunden. Aber dieses Mal bist du zu mir gekommen.“ Ich hasste ihn dafür dass er Recht hatte. Seine Gestalt hatte etwas Heiteres an sich, obgleich die rotkarierte Hose zerfetzt war, die Lederjacke klobig und die Piercings die sein Gesicht zierten anderes vermuten ließen. Er hatte ein weites Shirt an, das viel zu viel von seinem Hals und seinem Oberkörper zeigte, wie eins dieser Wasserfallshirts die Frauen so gerne trugen. Ich wartete darauf, dass er weiter ausführte, warum er jetzt den Kontakt mit mir suchte, aber er vergrub die Hände in seine Taschen und wippte auf den Fußballen vor und zurück, während sein Blick absolut unbeirrt auf mir lag. „Du bist wie eine dieser Streunerkatzen. Tust auf wild, eigenständig, aber wenn man das geeignete Spielzeug hat, kommst du gleich her. Papier? Ich bin wohl gut im Raten..“, murmelte er dann vor sich hin und freute sich über diesen Geniestreich. „Bild dir nichts darauf ein.“, sagte ich, noch unsicher ob das jetzt eine Beleidigung oder ein Kompliment seien sollte. „Papier ist ein zu wertvoller Rohstoff um damit herum zu werfen.“ Schlagfertigkeit? Ein Fremdwort. Eloquenz.., ja, davon hatte ich sicher schon mal gehört. Gerade noch so sah ich wie er die Hand hob und an mein linkes Ohr gehen wollte, da schlug Ich sie auch schon wieder weg und hisste ihn sogar leise an. Verdammter Reflex. „Was soll das?“, meine Stimme war lauter als beabsichtigt. „Auch wenn dir das ein Fremdwort ist, es gibt tatsächlich Leute die ihre Privatsphäre schätzen und Eindringlinge in eben jener nicht gerade zum Freundeskreis zählen.“ Er war unbeeindruckt, zog die Hand aber zurück. „Wer hat gesagt, das ich einer deiner Freunde sein will? Ich dachte eher an so eine Art Nutzbeziehung. Ich kraul dich hinter den Ohren, hol dir die Zecken aus dem Pelz und du wärmst mir dafür den Schoß, wenn mir kalt ist.“ Dieser – verdammte – Bastard. „Leck mich.“ „Wie jetzt? An der Bushaltestelle? Aber, aber.. Ohne Vorstellung, Tee und Kuchen? Mir auch recht..“, sprachs und griff an den eigenen Hosenbund und begann sich tatsächlich an den Knöpfen zu schaffen zu machen. „Bist du denn von allen guten Geistern verlassen!“, unter dem Leder der Jacke spürte ich sein schmales Handgelenk, als ich ihn packte und von der Hose wegriss. „Von den Guten definitiv.“, er war mir zu nahe. Kennt ihr dieses Spiel, bei dem man testet auf welche Distanz welche Menschen stehen dürfen? Freunde und Familie sind unter einer Armlänge erlaubt. Fremde sollten erst bei der Spitze der Finger stehen, doch dieser Golem hatte mich dazu gebracht aus meinem Kreis zu treten und war noch dazu einen Schritt nach vorne gegangen um unsere Bahnen fast deckungsgleich werden zu lassen. „Albert.“Das T war stumm. Ich auch. Ich sah ihn einfach mit weit aufgerissenen Augen an. Gleich wie Wildtiere reagieren, wenn ein Lastwagen auf sie zu hält. „Ich bin Albert..“, sein Atem roch nach Rauch und auf diese Nähe sah ich sogar das seine Augen nicht schwarz waren. Nur unglaublich dunkel. Herr Golem hieß Albert. Jean und Albert. Das musste ein dummer, schwachsinniger Witz sein. Ich sah so etwas wie Irritationen in seinen Augen als ich auflachte. Hinter mir fuhr der Bus ein und ich ließ sein Gelenk los. Meine Taschen waren voller Papier (Damit einhergehend auch sein Busticket) und er stand da, mit offener Hose, darunter eine dieser eng anliegenden Boxershorts. „Und ich bin weg.“ Ich stieg in den Bus ein. Alleine. Ich stieg in den Bus ein. Alleine. 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