Der Tag wird kommen von Nyotsu (With Hope In Your Heart) ================================================================================ Kapitel 6: Vergangenheit ------------------------ Der Morgen verlief ziemlich ruhig. Josh sprach mich gar nicht an und schien mir aus dem Weg zu gehen. Im Flur war ich dann wieder Daniel begegnet, der mir neue Handtücher zum Duschen hinhielt. „Mach dich erst mal frisch.“, sagte er lächelnd. „Danke. Ich denke ich werde schauen bald nach Hause zu fahren. Ich möchte nicht noch mehr Umstände machen und vor allem möchte ich Josh keine weiteren Unannehmlichkeiten machen.“, erklärte ich und nahm die Handtücher. „Du machst uns keine Umstände und Josh wird auch wieder. Du kannst gerne noch etwas hier bleiben.“ „Ich hab meiner Mutter nur gesagt, dass ich eine Nacht hier bleibe. Ich sollte wirklich heute zurück.“, log ich. Eigentlich habe ich ihr gesagt, dass ich nicht wüsste wie lange ich hier bleibe und ihr ab und zu eine Nachricht schreiben würde, ob ich noch bleibe oder nach Hause komme. „Ach so, okay. Geh erst einmal duschen.“ Ich nickte als Antwort und ging in Joshs Badezimmer. Als ich fertig war, hörte ich Daniel und Josh lautstark diskutieren. „Du kannst nicht einfach seine Mutter anrufen und sagen, dass Timo noch hier bleiben will. Es ist seine Entscheidung und nicht deine!“, hörte ich Daniel Josh ankeifen. Ich hatte Joshs Zimmertür geöffnet und beobachtete die beiden im Türschlitz. Sie standen beide im Wohnzimmer. Daniel kochte vor Wut, dass konnte man ihm ansehen. „Ich will aber das er hier bleibt.“, meinte Josh trocken zurück, doch seine Ausstrahlung war genauso beängstigend wie am Vortag. Ich bewunderte Daniel, dass er bei der Ausstrahlung keinen Rückzieher machte. „Was du willst, ist hier scheiß egal. Du hättest Timo gestern nicht so zurückweisen sollen. Er war am Boden zerstört, er hat sich bei mir ausgeweint und das muss was heißen. Er kann mich immerhin nicht leiden und dennoch hat er es mir anvertraut, was zwischen euch war.“, Daniel tobte richtig vor Wut. Josh wollte etwas sagen, doch Daniel ließ ihn dazu keine Chance. „Timo ist ein lieber und netter Kerl, der nicht mal einer Fliege was antun würde. Du behandelst ihn wie Dreck. Kannst du nicht einmal dein Ego runterschrauben? Du bringst dich in jeder neuen Freundschaft oder Beziehung in den Ruin und wieso? Weil du gottverdammt deine Bindungsängste in der Vordergrund schiebst. Du magst Timo, dass sieht jeder. Du hast damals nicht mal dein Ex geschützt, als Sven merkte, dass der schwul war. Sven hat ihn zusammengeschlagen und du standst daneben, aus Angst, dass jeder merken würde, dass du schwul bist. Ich frage mich echt, wie ich das all die Jahre mit dir ausgehalten habe. Bring dein Leben endlich auf die Reihe oder ich hau früher ab als es dir lieb ist. Kümmere dich einmal um den richtigen Kram und stell mal deine ganzen Komplexe in den Hintergrund. Wenn du Timo einmal deinen Kontrollzwang, einmal dein Ego oder sonstiges an ihm auslässt, dann wirst du mich kennen lernen. Ich denke, dass willst du nicht noch einmal.“, fuhr Daniel seine Standpauke fort. Josh stand da, sah wütend aus, doch auf eine gewisse Art und Weise gekränkt. Ich trat aus dem Zimmer. Sie sollten sich nicht wegen so etwas streiten. Als ich in das Wohnzimmer trat schauten beide mich an, mit demselben Gesichtsausdruck wie sie sich gegenseitig angeschaut haben. Daniel mit seiner Wut und Josh sah sichtlich verletzter aus, als ich es von weitem sehen konnte. Seine sonstige stramme Körperhaltung war zusammengesackt. Seine Schultern waren nach vorne, wie ein ängstlicher kleiner Junge. Ich verspürte plötzlich Mitleid mit Josh. „Beruhigt euch beide Mal. Das kann man sich ja nicht anhören.“, sprach ich und ging auf den Balkon eine zu Rauchen. Ihre überraschten Gesichtsausdrücke waren mir nicht entgangen. Mir war es egal, dass sie wussten, dass ich sie belauscht hatte. Immerhin war meine Person der Mittelpunkt der Diskussion, dann darf ich auch eingreifen. Josh trat auf den Balkon und zündete sich auch eine Zigarette an. „Es tut mir leid.“, nuschelte er und es schien viel Überwindung zu kosten, sich zu Entschuldigen. „Was tut dir leid?“, fragte ich. Ich konnte es mir denken, aber ich wollte, dass er es aussprach. Ich wollte wissen, was in ihm vorging. Zu viel war passiert die letzten Tage. Ich lernte ihn kennen und mein Leben stellt sich auf den Kopf. „Dass ich gestern so unsensibel war, dass ich dich heute Morgen ignoriert habe, dass ich dich wie Dreck behandelt habe, dass ich ohne dich zu fragen deine Mutter angerufen habe damit du hierbleibst.“, erklärte er. Unsensibel war er gewesen, doch wie er hier vor mir stand, konnte ich nicht wirklich wütend auf ihn sein. Er sah echt fertig aus. Über das Ignorieren sah ich hinweg. Ich hätte auch nicht gewusst wie ich handeln sollte, wenn es anders rum gewesen wäre. Er hat mich zwar hier und da wie Dreck behandelt, doch auch immer darauf geachtet das es mir gut geht, hat sich um mich gekümmert und für mich eingesetzt. Dass er meine Mutter angerufen hatte verstand ich nicht ganz so. „Wieso hast du meine Mutter angerufen?“ „Weil ich nicht wollte, dass du gehst. Ich habe Mist gebaut und wollte ihn wieder gut machen. Ich habe mitbekommen, dass du gehen wolltest. Ich hätte das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können.“, erklärte er und seine Augen spiegelten Traurigkeit wieder. Ich verstand ihn immer weniger. Er hatte mich weggestoßen und nun wollte er nicht, dass ich gehe. Was noch dazu kam, wieso hatte er Mist gebaut? Ich hatte ihn immerhin geküsst. Er wollte es nicht und hat richtig gehandelt. „Du hast keinen Mist gebaut, eher ich. Es tut mir leid. Es wird nicht wieder vorkommen. Vergessen wir das einfach und machen so weiter wie immer.“ Ja, das war das Beste was wir tun konnten. Einfach versuchen zu vergessen und wie zuvor die Zeit miteinander verbringen. Ich drückte mein Zigarette aus und schenkte Josh ein Lächeln, bevor ich hinein ging. Ich ging in die Küche, nahm mir eine Tasse Kaffee und setzte mich zu Daniel. „Alles okay?“, fragte ich vorsichtig, als ich sein leicht wutverzehrtes Gesicht zur Kenntnis nahm. „Ja alles okay.“, antwortete er recht freundlich und strich sich durch die Haare. Er biss sich auf die Unterlippe und schien nachzudenken. Ich ließ ihn in Ruhe und trank schweigend meinen Kaffee. Nach einer kurzen Weile stand Daniel auf und verließ die Küche mit seinem Kaffee. Eine Stunde später kam Josh ins Wohnzimmer. Ich hatte es mir vor dem Fernseher bequem gemacht gehabt und zappte durch die Programme. „Wo ist Daniel?“, kam es nur von ihm und blickte zurück in den Flur. „Der hat sich vor einer Stunde in sein Zimmer verkrochen.“, antwortete ich ihm und blickte wieder auf den Fernseher. Josh bedankte sich und ging. Kurze Zeit später standen Daniel und Josh im Flur. Ich konnte sie vom Sofa aus beobachten. Sie schienen sich wieder vertragen zu haben. „Bringst du auf dem Rückweg noch Brötchen mit? Wir müssen morgen unbedingt einkaufen gehen.“, kam es von Daniel. „Wir?“, hackte Josh nach. „Ich bin nur noch ein paar Monate hier. Du solltest entweder nach jemanden suchen, der dir den Haushalt macht oder endlich mal anfangen das alles selbst auf die Reihe zu bekommen. Es sind nur noch 2 1/2 Monate und dann bin ich weg.“, antwortete Daniel ihm. Josh schien nachzudenken. „Reden wir später drüber. Ich muss jetzt erst mal los. Bin in zwei Stunden wieder da.“ Damit war Josh schon aus der Wohnung. Daniel kam zu mir ins Wohnzimmer und setzte sich neben mich aufs Sofa. Wir schauten stumm zusammen den Fernseher an. Nach einer kurzen Zeit läutete die Tür. Daniel sprang sofort auf und hastete zur Tür. Ich stand auch auf und ging langsam hinterher. Hatte Josh vielleicht was vergessen? „Kate!“, hörte ich Daniel erfreut sagen. In der Tür stand eine Frau im mittleren Alter. Blonde lange Haare und braun-grüne Augen. Sie war schlank und eine Aura umgab sie, dass man ihr vertrauen konnte. Daniel umarmte sie herzlich. Sie trug eine blaue Jeans und eine weiße Bluse. „Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte. Ist Josh schon weg?“, fragte sie und Daniel nickte. „Seit circa 15 Minuten. Vielen Dank, dass du kommen konntest.“, er lächelte sie an. „Es geht immerhin um meinen Sohn, da ist alles wichtig.“ Ihr Sohn? Josh? Die Frau sah aus wie Mitte 30. „Das ist Timo, von dem ich dir schon erzählt habe.“ Daniel zeigte auf mich. Joshs Mutter kam auf mich zu und hielt mir freundlich die Hand hin. „Du bist also der junge Mann, der dabei ist meinem Sohn den Kopf zu verdrehen? Ich bin seine Mutter Katherine, aber bitte nenn mich Kate.“ „Hallo, ich bin Timo.“, sagte ich leicht konfus. Diese Frau schien das genaue Gegenteil von Josh zu sein. „Kaffee oder Tee?“, kam es von Daniel. „Tee, wenn du es da hast.“, sagte sie lächelnd und wir gingen gemeinsam in die Küche. „Timo? Ich weiß nicht ob es gut ist, wenn du bei bist. Du weißt immerhin noch nicht allzu viel.“, sagte Daniel und ich nickte. Ich wollte schon wieder gehen als Kate sprach. „Als ob Joshua das alles von sich aus sagt. Er würde es ewig geheim halten. Ich denke wenn es Timo wirklich ernst ist und er Joshua mag wie er ist, dann kann er das alles schon verkraften.“, sagte Kate sehr freundlich. Daniel nickte. Ich blickte etwas unsicher zwischen den beiden her. Kate griff nach meiner Hand. „Keine Sorge, Kleiner. Das ist kein Weltuntergang.“ Ich nickte und setzte mich hin. Daniel stellte mir auch eine Tasse Tee hin. Die brauchte ich nun. Diese Situation warf mich aus der Bahn. Was mochte jetzt wohl kommen? Seit über 2 Tagen fuhr mein Leben nun eine Achterbahn. Seitdem Josh mich auf den Bahnsteig angesprochen hatte. Hätte mir das jemand gesagt, ich hätte es nicht geglaubt. „Was ist den passiert?“, fragte Kate an Daniel gewandt. „Er macht immer wieder dicht. Ich komme hier und da kaum noch an ihn ran. Er verkriecht sich wieder in sich selber. Er behandelt uns wieder alle als wären wir Fremde, mit dieser ewigen monotonen Stimme. Ich habe gestern Nachmittag versucht mit ihm zu reden, aber er blockt immer wieder ab. Ich dachte du könntest es noch mal versuchen an ihn heranzukommen.“, erläuterte Daniel die Situation. Ich schaute zwischen den Beiden hin und her und versuchte aus der Situation schlau zu werden. Also war Josh nicht immer so monoton? Etwas in mir drin war erleichtert darüber. „Wieder diese Komplexe? Hat er sich was angetan?“, fragte Joshs Mutter nach. Sie schien hin und hergerissen, ob sie nun genervt oder verzweifelt sein soll. „Ich denke mal, aber nein ich glaube nicht, dass er sich verletzt hat. Ich glaube das können wir Timo verdanken.“ „Mir?“, fragte ich verdutzt. Verletzt? Ich soll was dagegen getan haben? „Ja, Josh ist nicht erst seit vorgestern so, dass geht mittlerweile zwei Wochen. Vor ein paar Tagen war es am schlimmsten. Die Depressionen schienen die komplette Kontrolle über ihn zu haben. Auf jeden Fall ist die Depression wieder da, nur wie schwer weiß ich nicht.“, erklärte Daniel. Josh litt unter Depressionen? Das schien mir eigentlich gar nicht so. Ich hatte immer gedacht er führe ein fröhliches Leben. „Josh ritzt sich?“, fragte ich weiter nach. Daniel nickte als Antwort. „Er hat es lange nicht mehr gemacht. Ich glaube das letzte Mal ist ein Jahr her, dass ich es gesehen habe.“, fügte er zu seiner stillen Antwort hinzu. „Diese ganzen Probleme nur wegen uns.“, sagte Kate verzweifelt. „Wieso sollte es wegen euch sein?“, fragte ich verwirrt nach. „Joshua hat einen älteren Bruder, dieser war immer vorbildlich, hatte gute Noten, ging auf das Gymnasium und studiert nun. Mein Mann und ich haben Joshua so getrimmt auf alles was sein Bruder konnte und auf mehr, damit aus ihm noch mehr werden konnte. Er hatte im Gegensatz zu seinem Bruder G8 und war damit schon sichtlich überfordert und dabei haben wir ihn gezwungen Latein zu wählen anstatt Französisch. Irgendwann hat es ihm anscheinend so zugesetzt, dass er sich zurückzog und angefangen hat sich selbst zu verletzen, dass er da schon in einer tiefen Depression war, war uns nicht klar. Ich hatte eines Tages die Wunden gesehen und wir stellten ihn zur Rede. Er meinte er hält den Druck auf dem Gymnasium nicht stand, obwohl dies nur ein Grund war von vielen. Wir veranlassten, dass Joshua auf eine private Realschule kam. Ihm ging es dann auch etwas besser, aber immer noch war er total zurückgezogen. Irgendwann holten wir uns Hilfe, selbst als wir ihn fragten, ob er Hilfe möchte, antwortete er mit ja. Er war distanziert zu uns, weil er die Liebe, die wir ihm gaben, nicht spürte. Wir haben oft mal auch seinen älteren Bruder bevorzugt, was uns nicht aufgefallen war und Joshua litt darunter. So war der Anfang dieser Teil seines Lebens.“, erklärte mir Kate ausführlich und sie kam den Tränen nahe. Daniel nahm Kate in den Arm und ich machte uns noch einen Tee. Wir wechselten das Thema, damit Kate sich ablenkte. Die Haustür ging auf und Josh kam herein. In der Küchentür blieb er stehen. „Mum? Was willst du hier?“, fragte er und blickte in unsere Runde. Er hatte anscheinend keine große Lust seiner Mutter zu begegnen. „Dich besuchen. Wir haben nur geredet.“ Kate lächelte Josh von ganzen Herzen an. „Worüber?“ Sein Gesicht verzog sich. Eine Spur Angst war dort zu sehen. „Dich.“, antwortete sie weiter freundlich. In Josh schien Panik empor zu kommen. Er ging ein paar Schritte rückwärts und dann direkt in sein Zimmer. Die Tür fiel leise ins Schloss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)