Der leere Hof meines Herzens von Tamanna ================================================================================ Kapitel 2: 2. Advent: Gib dem Kind einen Namen! ----------------------------------------------- Gib dem Kind einen Namen! Eine Woche war vergangen, seit Kirei und Gilgamesh ein kleines Baby in einer Müllsammelstelle aufgelesen hatten. Der kleine Junge war wieder völlig gesund und brachte viel Leben in die Kirche von Fuyuki – sehr zum Leidwesen von Gilgamesh, der schon seit Tagen nicht mehr richtig durchgeschlafen hatte, da das Baby ständig weinte. Kirei verstand nicht, worüber sein Servant sich eigentlich beklagte. Immerhin war der Priester es, der nachts aufstand und das Baby beruhigte. Doch es gab noch eine Unstimmigkeit zwischen den beiden Partnern. „Ich verstehe immer noch nicht, warum du das nicht machen willst“, warf Gilgamesh ein. Kirei war gerade dabei, dem Baby die Windeln zu wechseln, und rollte genervt mit den Augen. „Fängst du schon wieder damit an? Ich will es nicht machen, weil es sinnlos wäre“, erwiderte er bestimmt. Sein Tonfall gab zu verstehen, dass das Thema für ihn damit beendet war. Damit hatte er bei dem König von Babylon jedoch keine Chance. „Warum sinnlos? Das weißt du doch gar nicht!“ Kirei seufzte. „Ich erkläre es dir gern noch mal. Ich möchte einfach keinen Aufruf starten, weil ich davon überzeugt bin, dass sich sowieso keiner darauf meldet. Das Baby lag im Müll! Warum sollte ich also nach seinen Eltern suchen?“ „Möchtest du etwa nicht wissen, warum sie es ausgesetzt haben? Vielleicht war es ja ganz anders? Möglicherweise waren es gar nicht die Eltern, sondern ein anderer? Und selbst wenn… könnte es Verwandte haben, wie die Großeltern, die danach suchen.“ „Ob du es glaubst oder nicht, aber diese Möglichkeit habe ich auch schon in Betracht gezogen. Jeden Tag lese ich die Zeitung und schaue die Nachrichten, ob irgendjemand eine kleinen Jungen vermisst. Aber bisher gab es nicht einmal einen Satz in diese Richtung. Glaub mir, Gilgamesh. Niemand sucht dieses Baby.“ Der blonde, junge Mann verengte seine Augen und beäugte seinen Master misstrauisch. „Ich habe so das Gefühl, es gibt einen anderen Grund, warum du nicht nach seinen Eltern suchen willst. Wenn du jetzt nach ihnen suchen lässt, könnte die Polizei auf den Fall aufmerksam werden. Die hättest du eigentlich sofort informieren müssen, damit sie sich der Sache annimmt. Und wenn sie keine Verwandten finden können, geben sie das Baby in ein Heim, bis es adoptiert wird. Und genau das willst du nicht. Du willst das Baby behalten, habe ich recht?“ Kirei antwortete nicht. Mit starrem Blick fixierte er das Baby, das vor ihm auf der Couch lag und energetisch mit den Beinchen und Ärmchen zappelte. Gilgamesh wartete ein paar Sekunden, dann seufzte er stumm und fügte hinzu: „Wie es scheint, liege ich wohl damit richtig. Ich gebe zu, ich kann nicht nachvollziehen, wie man Vatergefühle für ein wildfremdes Kind entwickeln kann, aber offensichtlich ist das hier der Fall. Ich kann dir nur raten, dich nicht emotional auf das Baby einzulassen, denn wenn tatsächlich irgendwo Familie hat, die es wiederhaben will, wird diese ganze Geschichte sehr schmerzhaft für dich enden. Je schneller du den Knirps weggibst, desto besser ist es für dich, glaub mir.“ „Tenshi.“ „Hä?“ Kirei hob das Baby hoch und lächelte ihm sanft ins Gesicht. „Ich werde dich Tenshi nennen. Das ist ein schöner Name…“ Gilgamesh, der an der Wand neben der Couch lehnte, knickte mit einem Bein weg. „HÖR MIR GEFÄLLIGST ZU, KÖTER!!!! „Ich habe dir zugehört, du selbstgefälliger König. Und wenn es dich glücklich macht, dann ja. Du hast recht. Ich will das Baby nicht an die örtlichen Behörden abgeben. Im Grunde ist es mir egal, welcher Grund dazu geführt hat, dass das Baby an diesem Ort gelandet ist. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, irgendjemand in seiner Familie ist schlecht für das Baby – und die anderen haben ihn einfach gewähren lassen, statt das Kind zu beschützen! Und was die Behörden angeht – ich glaube kaum, dass die Jemanden finden können, der besser für das Kind sorgen kann, als ich.“ „Tatsächlich?“, fragte Gilgamesh wenig überzeugt. „Soviel ich weiß, bist du auch nicht viel besser, als die Leute, die du hier anklagst. Hast du dein Kind nicht ebenfalls weggegeben?“ Jetzt war Kirei doch überrascht. Er hatte dem Blonden nichts davon erzählt. Woher wusste er es also? Der König schien diese Frage aus dem Gesicht des Priesters lesen zu können. „Ich habe zufällig zugehört, wie dein Vater Tokiomi davon erzählt hatte“, erklärte er und Kirei verzog verärgert das Gesicht. „Dein Vater meinte, du hättest deine kleine Tochter abgeschoben, nachdem deine Frau das Zeitliche gesegnet hatte. Und gerade du erlaubst es dir, ein Urteil über andere zu fällen?“ „Ich habe Caren nicht »abgeschoben«“, knurrte Kirei. Er war wütend, dass sein Vater mit Außenstehenden über solche Dinge gesprochen hatte. Wieder einer dieser Momente, in denen der junge Mann solche Wut auf seinen Vater verspürte, dass er ihn am Liebsten ermordet hätte. Ein schrecklicher Drang in ihm, hervorgerufen durch einen tief sitzenden Groll. Innerlich hatte er seinen Vater immer dafür gehasst, dass dieser ihm seinen Lebensweg aufgedrängt hatte. Doch da man ihm im Internat speziell für Ordensmitglieder Gehorsamkeit gegenüber Autoritäten eingebläut hatte, wagte er es nie, sich gegen ihn aufzulehnen. Dass sein Vater dies alles nur getan hatte, weil er ihn liebte und nur sein Bestes wollte, glaubte er ihm nicht mehr. Jedenfalls war dies der Schluss, zu dem Kirei nach dem Ende des Gralskrieges gekommen war. Ob dies der Wahrheit entsprach, würde er ohnehin nicht mehr herausfinden können – sein Vater war tot. Aber so ein schlechter Vater wie sein eigener war er ganz sicher nicht! Und nach kurzem Zögern entschied er, dass Gilgamesh ruhig mehr darüber erfahren sollte. „Als Caren geboren wurde… ging es Claudia gesundheitlich schon nicht mehr so gut. Nach einem Jahr war sie so schwach, dass sie oft nichts mehr allein machen konnte. Ich musste sie rund um die Uhr pflegen. Es dauerte nicht lange, bis ich mit der Doppelbelastung - Claudia zu pflegen und das Baby zu versorgen - überfordert war. Zudem schien es, als würde Caren spüren, wie schlecht es ihrer Mutter ging. Sie weinte oft, wenn sie bei ihrer Mutter war und wollte irgendwann nicht mehr zu ihr. Schließlich entschied ich mich dazu, Caren zu Claudia’s Eltern zu geben, damit sie vom Leid ihrer Mutter ferngehalten wird. Als Claudia dann gestorben war… wollte ich meine Tochter wieder zu mir holen.“ Nun war es Gilgamesh, der aufrichtig überrascht war. Davon hörte er zum ersten Mal. „Und… warum ist sie nicht hier?“, fragte er vorsichtig. Kirei schloss die Augen und schwieg ein paar Sekunden. Schließlich fuhr er fort: „Meine Schwiegereltern wollten sie mir nicht wiedergeben. Angeblich, weil es Caren bei ihnen besser hätte. Doch ich wusste genau… worum es in Wirklichkeit ging. Sie mochten mich nicht. Wäre es nach ihnen gegangen, hätte Claudia mich nie geheiratet. Und nachdem sie schon ihre Tochter an mich verloren hatten, wollten sie wenigstens über das Leben ihrer Enkelin frei verfügen. Wie ich hörte, erziehen sie sie streng religiös und haben sie auf dasselbe Internat geschickt, auf dem ich als Kind war. Wenn sie dann alt genug ist, soll sie Mitglied unseres Ordens werden.“ „Und du… wolltest das alles nicht?“ Kirei schüttelte den Kopf. „Claudia und ich haben schon vor unserer Hochzeit entschieden, dass, wenn wir mal Kinder haben, wir sie zwar religiös erziehen werden, dies aber keinesfalls ihr ganzes Leben bestimmen soll. Sie sollten selbst wählen, welche Rolle Religion in ihrem Leben spielen soll. Meinen Schwiegereltern passte das gar nicht. Sie versuchten, Claudia umzustimmen, aber sie hörte nur noch auf mich.“ Wieder schwieg Kirei eine Weile, dann sah er zu Gilgamesh auf und sagte leise: „Vielleicht hast du nicht ganz unrecht. Ich war kein besonders guter Vater, immerhin habe ich meine Tochter zu Menschen gegeben, von denen ich hätte wissen müssen, dass sie nicht gut für sie sind. Aber genau deswegen möchte ich Tenshi auf keinen Fall hergeben! Es könnte doch sein, dass er ebenso zu Menschen kommt, die ihm nicht gut tun. Es war Schicksal, dass ich dieses Baby gefunden habe. Davon bin ich überzeugt. Denn seit Tenshi in mein Leben getreten ist… fühle ich, wie die Leere in mir verschwindet…“ Kirei hob das Baby hoch, legte es sich in die Arme und betrachtete es liebevoll. Gilgamesh ließ ihn mit dem Baby allein. Er wusste bereits, dass Kirei einsam und lebensmüde war. Doch in diesem Augenblick merkte der König zum ersten Mal, wie einsam sein Partner wirklich war. Umso besorgter war er, wenn er an die leiblichen Eltern dachte. Was, wenn sie nach dem Kind suchten und es hier fanden? ~ to be continued ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)